Тотеnтаnz / Пляска смерти. Книга для чтения на немецком языке

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Aus der Reihe: Моderne Prosa
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XIV

Es wäre natürlich unsinnig gewesen, eine derart zermürbte Ehe wieder zusammenflicken zu wollen. Fabian sah das längst ein. Jetzt handelte es sich darum, die nicht geringen Forderungen Clotildes auf ein vernünftiges Maß zurückzuführen. Auf keinen Fall aber, erklärte er Schwabach, werde er die Erziehung der beiden Jungen der Mutter überlassen. Als Vater und Christ sei ihm das völlig unmöglich!

Der Justizrat warf einige Notizen aufs Papier, dann legte er den Schriftsatz zur Seite und erhob sich, indem er sich reckte und den Pudelkopf schüttelte.

Nun trug Fabian die Angelegenheit von Sanitätsrat Fahle vor. Sofort hörte Schwabach mit dem Recken und Strecken auf und kehrte wieder auf seinen Stuhl zurück. «Ich stehe zur Verfügung[47], Herr Kollege».

Schwabach, an dessen Gutherzigkeit niemand zweifelte, hörte aufmerksam zu, aber allmählich wurden seine Züge leblos, selbst seine dicken Lippen bewegten sich nicht mehr. «Fahle? Fahle». murmelte er halblaut vor sich hin, als höre er den Namen zum erstenmal. «Ich war stets ein großer Bewunderer Fahles». Schwabach hatte die Stimme gedämpft, obwohl alle Türen seines Arbeitszimmers gepolstert waren. «Es handelt sich um eine neue Entdeckung, die von epochaler Bedeutung sein kann, Herr Justizra», schloss Fabian sein Ansuchen.

Schwabach tastete mit seiner fleischigen Hand nach Fabians Arm. «Man möchte natürlich einem so bedeutenden und prachtvollen Mann wie Fahle gern behilflich sein, von Herzen gern, verstehen Sie? Ich sehe aber keine Möglichkeit, nicht die geringst», sagte er endlich.

«Wenn ich oder noch besser Sie mit dem neuen Direktor des Krankenhauses sprächen». widersprach Fabian.

«Direktor Sandkuhl ist ein Fanatike», raunte Schwabach so leise und tief, als befürchte er, jemand lausche an der Tür. «Er lebt wahrscheinlich in der Furcht, dass Fahle als fanatischer Jude die unersetzlichen Instrumente zerstören könnte. Lächeln Sie nicht! Wie ein Katholik an das Dogma glaubt, ohne zu deuteln, so glaubt er an die Unfehlbarkeit der höchsten Stelle. Wir kennen die Gedankengänge der höchsten Stelle nicht. Vielleicht ist sie der Ansicht, dass die Juden für die deutsche Mentalität schädlich sind, vielleicht glaubt sie, dass der Einfluss des Judentums die deutsche Mentalität in hundert Jahren zerstören und vernichten wird? Wer soll es wissen? Sandkuhl wagt es nicht, eine eigene Meinung zu haben. Er kommt von der Armee und ist gewohnt, Befehle blind auszuführen».

Fabian erhob sich. «Sie erlauben mir, dass ich es trotzdem versuch»,versetzte er. «Vielleicht gelingt es mir, Sandkuhl zu überzeugen, dass die von der ganzen Stadt geschätzte Persönlichkeit Fahles und seine wissenschaftlichen Forschungen eine Ausnahme zulassen».

Schwabach stand ebenfalls auf, schüttelte den Kopf. «Sie werden nichts erreichen, lieber Freund, nichts und bei niemand». fuhr er mit gedämpfter Stimme fort. «Ich weiß, wie man an höchster Stelle denkt, glauben Sie es mir. Als Kollege aber, der Sie schätzt, gebe ich Ihnen den guten Rat, lassen Sie die Hände von diesen Dingen».

Fabian blickte Schwabach forschend an und zögerte zu antworten.

Darauf legte Schwabach seine fleischige Hand auf Fabians Schulter und setzte hinzu: «Es ist der Rat eines Freundes. Sie begeben sich auf ein heikles Gebiet, ja auf ein gefährliches Gebiet! Hören Sie auf mich».

Er geleitete Fabian bis ins Vorzimmer und sagte mit seiner gewöhnlichen lauten Stimme: «Und das mit der Stadt bringen Sie wohl am besten bald ins reine[48]? Taubenhaus ist ein großzügiger Mann, der das Herz auf dem rechten Fleck hat». Da Fabian nicht gleich antwortete, fügte er hinzu: «Wir müssen ja alle unser Scherflein auf dem Altar des Vaterlandes niederlegen[49], nicht wahr? Und ich weiß doch, dass Sie immer ein großer Patriot und Idealist gewesen sind». «Patriot werde ich wohl immer bleiben». erwiderte Fabian lächelnd. «Und auch Idealist bin ich noch immer, leider, hätte ich fast gesagt».

Schwabach lachte. «Gott sei Dank, wollen wir lieber sagen». rief er aus und reichte Fabian die Hand. «Wir haben in der Anwaltskammer oft von Ihnen gesprochen und im Hinblick auf Ihre Begabung so sehr bedauert, dass Sie zu keinem Entschluss kommen können. Allerdings, viel länger könnten wir nun nicht mehr warten, will ich Ihnen ganz im Vertrauen sagen… Leben Sie wohl, lieber Kollege».

Wenige Stunden später rief Fabian bei Sanitätsrat Fahle an. Er berichtete ihm, dass er bereits die ersten Schritte in der bewussten Angelegenheit unternommen habe. Er werde sich weiter nach Kräften bemühen und bäte nur um etwas Geduld, alles brauche Zeit. Es war ihm unmöglich, Fahle die bittere Wahrheit mitzuteilen, die ihn vernichtet hätte.

Schade, dachte er voll echten Mitleids, als er den Hörer ablegte. Es ist nichts zu machen, dreimal schade. Schwabachs Haltung hat mich mehr als überzeugt. Er ist immer vorzüglich orientiert. Gefährliches Gebiet? Hast du gehört, dass er gefährliches Gebiet sagte?

Er begab sich völlig zermürbt in den «Ster», um zu Abend zu essen. Da es noch früh war, befand sich noch kein Gast im Speisesaal. Trotz aller Erschöpfung verspeiste er mit gutem Appetit ein vorzügliches Sahnegulasch, und bei einer Zigarre und einer Flasche Bordeaux, die er langsam austrank, Glas um Glas, gab er sich seinen Gedanken über das Leben hin, das sich vor ihm ausbreitete.

Ein Abschnitt seines Lebens lag hinter ihm, er hatte schwere Fehler begangen, zugegeben, Clotildes Ansprüche würden auf keinen Fall gering sein, das war sicher. Die vier wertlosen Mietshäuser Clotildes werden mich eine schöne Stange Geld kosten – er lachte —, aber vergessen wir nicht, dass sie mir zwei prächtige Jungen geboren hat. Das wollen wir niemals, niemals außer acht lassen! Er hob das Glas und trank auf seine Jungen, Harry und Robby hießen sie. Was war, das war!

Gottlob hatte er Kraft und Mut genug behalten, um ein neues Leben zu beginnen. Wenn er ehrlich sein sollte, so hatte er nur aus Bequemlichkeit bis heute die Verhältnisse nicht geändert. Clotilde hielt das Haus in Ordnung und sorgte für eine feine Küche. Ihre Küche werde ich ja wohl vermissen, dachte er und lachte. Er hob das Glas. «Mut, Fabian». sagte er laut, er trank sich selbst zu.

XV

Der Schuhmacher Habicht, ehemals nichts als ein kleiner Flickschuster, hatte sein Geschäft früher in einem Keller am Hafenplatz, aber dort sagte man Fabian, dass er seit langem verzogen sei. Im Schottengraben fiel Fabian sofort ein langgestrecktes Gebäude auf, dessen Aufstockung soeben beendet wurde. Das Erdgeschoss des langen Gebäudes, das fast den ganzen Schottengraben einnahm, enthielt die Büroräume der Fabrik von Habicht.

Soeben fuhr ein Lastauto, beladen mit herb riechenden Lederballen, durch die Einfahrt zum Fabrikhof. Ein Diener in schlichter, grauer Livree, der nach Fabians Wünschen fragte, bedeutete ihm, dass der Herr Sturmführer, so nannte er ihn, im Kontor beschäftigt sei, zu dem einige neue granitene Stufen emporführten. Hier saß Habicht, eine Zigarre im Mund, und diktierte einer Sekretärin Geschäftsbriefe in die Maschine.

Fabian war aufs äußerste erstaunt. Ein tadellos gekleideter Herr mit weißem Kragen und einer kostbaren Krawatte erhob sich, und er hatte Habicht nur mit der Lederschürze und einem blauen Arbeitskittel in Erinnerung, in seinem düsteren Keller damals. Immerhin waren die großen Ohren, die wie Klappen von seinem kugelrunden Schädel abstanden und vom Licht rot durchleuchtet wurden, unverkennbar. Als Fabian eintrat, schickte er die Sekretärin ins Nebenzimmer.

Das Büro war mit großem Luxus eingerichtet. Teppiche, Holzvertäfelung an den Wänden, vier dunkelrote Klubsessel standen um einen großen, gediegenen Schreibtisch. Ein schwerer Siegelring und ein Brillant am kleinen Finger schmückten die roten Hände des früheren Flickschusters.

Da siehst du, wie es gemacht wird, dachte Fabian, er ist früher aufgestanden als du.

«Darf ich bitten». sagte Habicht und deutete auf einen der dunkelroten Klubsessel. «Seit Jahren warte ich schon auf Ihren Besuch, Herr Doktor».

Fabian hatte nur zehn Minuten mit Habicht zu sprechen, der ihn nach der Unterredung bis an die Einfahrt hinaus begleitete und ihm wie einem alten Bekannten die Hand schüttelte.

Wenige Tage später erhielt er vom Bürgermeister Taubenhaus die Aufforderung, ihn zu besuchen.

Wenn man früher zu Doktor Krüger ging, so wurde man von einem Fräulein Braun, einer stets liebenswürdigen und gewandten Dame empfangen, mit der es sich vorzüglich plaudern ließ. Mit Krüger war auch seine liebenswürdige Sekretärin verschwunden. Fabian war äußerst überrascht, ein junges, hübsches Mädchen in gelber Seidenbluse vor sich zu sehen. «Herr Oberbürgermeister erwartet Si», sagte die junge Dame in der gelben Seidenbluse und öffnete die Tür, die in das Amtszimmer des Stadtoberhauptes führte.

 

Der Bürgermeister empfing Fabian mit gemessener Freundlichkeit, die Besprechung aber dauerte länger als eine Stunde.

Über diesen Taubenhaus hatte Fabian nur einiges von Baurat Krieg gehört, der ihn als engstirnigen Pedanten beschrieb, der peinlich auf die Einhaltung der Dienststunden achtete. Bei Krüger konnte man getrost eine Stunde später kommen oder früher gehen, das gab es jetzt nicht mehr. Taubenhaus sollte an den Türen lauschen, um zu hören, ob die Damen schwatzten, anstatt mit der Maschine zu klappern, wie es sich gehörte. Seine Sparsamkeit sollte schon an Knickerei grenzen, jeder Bleistift, jedes Farbband und jeder Bogen Papier musste peinlich gebucht werden. Natürlich war das stark übertrieben, und Fabian war angenehm überrascht, einen nicht unsympathischen Herrn, der kaum die Vierzig überschritten hatte, anzutreffen.

Bürgermeister Taubenhaus war ganz Würde. Gekleidet in einen schwarzen Gehrock, hatte er halblanges, wie schwarze Borsten emporstehendes Haar und ein gestutztes schwarzes Schnurrbärtchen unter den Nasenlöchern, das an zwei Rußflecke erinnerte.

Er trug eine goldene Brille, die beim Sprechen lebhaft funkelte. Im Knopfloch war das Parteiabzeichen zu sehen, und auf der Brust seines Gehrocks gewahrte man eine Ordensschnalle, an der die Miniaturausgaben von mehreren Auszeichnungen hingen. Im Laufe der Besprechung konstatierte Fabian, dass es sich um recht alltägliche Auszeichnungen handelte, einfaches Blech, wie es jeder Offizier besaß.

Der neue Bürgermeister hatte eine volle und tiefe Stimme, die zuweilen etwas scharf und knarrend klang und preußischen Tonfall verriet. Er sprach rasch und mit einer Gewandtheit, die Fabian oft bei Leuten gefunden hatte, die sich nicht durch besonderen Reichtum an Gedanken auszeichneten.

Zuerst tauschten sie Erlebnisse aus dem Weltkrieg aus, und es fand sich, dass sie beide längere Zeit im Argonner Wald gelegen hatten. Seht an! Fabian stieg augenblicklich in der Achtung von Taubenhaus, weil er das «Storchennes». im Argonner Wald kannte.

«Das Storchennest[50]». rief Taubenhaus erfreut aus. «Ich habe das „Storchennest“ für schwere Minenwerfer ausgebaut».

«Ich bediente die schweren Minenwerfer im „Storchennest», sagte Fabian.

«Ist es möglich? Im „Storchennest“». lachte Taubenhaus, der nur selten lachte, und eine ganze Weile sprachen sie nur vom «Storchennes»..

«Eine böse Ecke, der Argonner Wald». rief Taubenhaus aus. «Also das „Storchennest“ kennen Sie auch, seht an? Eine vortreffliche Schule für den Soldaten, der Argonner Wald! Nu», fügte er mit einem bösen Funkeln der goldenen Brille hinzu, «mit dem schamlosen Friedensvertrag von Versailles hat es ja von jetzt an, Gott sei Dank, ein Ende! Ich bin überzeugt, dass die Engländer und Franzosen jeden Groschen wieder ausspucken müssen und noch einige Groschen dazu! Dafür werden wir schon sorgen, nicht wahr».

Endlich begannen sie von ihrem eigentlichen Thema zu sprechen. Taubenhaus berichtete, dass er aus einer kleinen Stadt in Pommern käme, wo die «Gänse und Ziegen auf dem Marktplatz herumliefe».. Das waren seine eigenen Worte. An maßgebender Stelle habe man auch sofort erkannt, dass das nicht der Ort war, wo er seine Fähigkeiten entfalten konnte, und ihm diese herrliche Stadt anvertraut.

Natürlich müsse er sich hier erst einleben, fuhr Taubenhaus fort, die Stadt, ihre Bürger, die sozialen Verhältnisse genau kennenlernen, ehe er mit der Arbeit des Aufbaus beginnen könne. Das werde natürlich eine wahre Herkulesarbeit werden, alle Wetter!

«Sehen Sie sich nur einmal das Pflaster an». rief Taubenhaus aus, und seine goldene Brille funkelte. «Ein Pflaster wie in einem Bauerndorf, bucklig und krumm, kein Stein dem anderen gleich, keine Linie gerade, eine Affenschande. Gleich am Bahnhofsplatz fiel mir das fürchterliche Pflaster auf. Und diese winkligen Gassen in der Altstadt mit ihren armseligen Häusern, die noch aus dem Mittelalter stammen, ohne alle hygienischen Einrichtungen. Es gibt Leute, die für die alten Giebel schwärmen, aber ich sage mir, fort mit dem alten Gerumpel».

Taubenhaus richtete sich auf und strich seine Weste glatt. Er hatte sich warm geredet, und seine Haltung verriet großes Selbstbewusstsein. «In wenigen Monate», fuhr er fort und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, «wird diese Stadt zu den bestverwalteten Städten unseres geliebten Vaterlandes zählen, das kann ich Ihnen schriftlich geben». Fabian nickte voller Überzeugung, als zweifle er nicht einen Augenblick daran.

Ermutigt entwickelte Taubenhaus sein Programm und seine Pläne. Die goldene Brille funkelte, und häufig schlug er mit der flachen Hand auf den Schreibtisch. Man hatte ihm diese herrliche Stadt anvertraut, und, beim Himmel, man sollte es nicht zu bereuen haben! «Die Stadt sollte die schönste im Kranze der deutschen Städte werden». rief er aus. «Eine Musik- und Theaterstadt soll sie werden, etwa wie München, eine Kunststadt, etwa wie Düsseldorf, kurz, alle Künste sollen erblühen, und dabei will ich den Wohlstand nach Möglichkeit heben. Die Bürgerschaft soll zur wahren Vaterlandsliebe und zu echtem Opfersinn erzogen werden, zur wahren Volksgemeinschaft. Es soll eine Stadt werden, in der zu leben man uns beneiden soll! Verstehen Sie mich».

Fabian nickte. Etwas viel auf einmal, dachte er. Es ist der Geist der Partei, dem nichts unmöglich erscheint! Er setzt sich das Unmögliche zum Ziel, um das Mögliche zu erreichen. «Ich glaube, Sie zu verstehe», entgegnete er. «Wenn man die Fähigkeit besitzt, die geistigen und seelischen Motoren der Stadt anzuwerfen, so ist die ungeheure Aufgabe möglich».

«Die geistigen und seelischen Motoren der Stadt». rief Taubenhaus begeistert aus. «Ein herrliches Wort! Ich sehe, dass Sie mich verstanden haben. Sie bezeichnen die Aufgabe selbst als ungeheuer, sie ist gewiss kein Kinderspiel. Nun ist es ja natürlich, dass ich mir dazu Mitarbeiter heranziehen muss, aufgeklärte, tüchtige Kräfte, wie sie sich mir bieten und wie ich sie im Laufe meiner Tätigkeit zu entdecken hoffe. Ich gestehe ganz offen, dass ich dabei auch an Sie, Herr Fabian, gedacht habe».

Fabian erhob sich und nahm straffe Haltung an, wie ein Offizier, der den Befehl seines Kommandeurs in Empfang nimmt. Dann, als er sich daran erinnerte, dass sie nicht im Argonner Wald waren, machte er eine leichte Verbeugung. «Ich stehe Ihnen mit meiner ganzen Kraft zur Verfügun», sagte er fast feierlich. «Jedenfalls können Sie über mich verfügen. Ich habe nur die eine Bitte, mir bald mein Arbeitsfeld anzuweisen». Die diensteifrige Haltung Fabians hatte auf Taubenhaus einen günstigen Eindruck gemacht. Er lächelte befriedigt, und seine Miene wurde noch selbstbewusster. «Ich freue mich ungemein, dass wir uns so gut verstehe», antwortete er, und seine Stimme schnarrte kräftiger. «Ihre Tätigkeit kann ich Ihnen natürlich erst zuweisen, sobald ich Ihre Fähigkeiten genauer kenne. Den ersten Auftrag aber kann ich Ihnen schon jetzt erteilen».

Fabian antwortete wieder mit einer leichten Verbeugung.

Taubenhaus fuhr fort: «Ich habe die Absicht, mich der Stadt und der Bürgerschaft in einigen Wochen in einer öffentlichen größeren Kundgebung vorzustellen. Nun wissen Sie ja, dass gesellschaftliche Verpflichtungen aller Art und besonders meine umfangreiche amtliche Tätigkeit mir in den ersten Monaten kaum eine freie Stunde Zeit lassen. Ich bitte Sie daher, mir diese Antrittsrede nach den soeben dargelegten Gesichtspunkten zu entwerfen. Sie verstehen mich».

Fabian nickte. «Sehr woh», erwiderte er. «Ich empfinde diesen Auftrag als besondere Auszeichnung und werde mich bemühen, ihn zu Ihrer Zufriedenheit zu erfüllen».

Taubenhaus erhob sich ebenfalls und reichte Fabian die Hand. Sein steifer und etwas harter Gesichtsausdruck wurde von einer Art Freundlichkeit gelockert. «Sie sind ja in dieser Stadt aufgewachse», sagte er, «und wissen besser als ich, was man aus ihr machen kann. Ich hatte ja noch gar nicht die Zeit, mich viel mit ihr zu beschäftigen. Von meinem Freund, Justizrat Schwabach, auf dessen Urteil ich viel gebe[51], hörte ich, dass Sie vor einigen Jahren einmal im Rathaussaal eine Rede gehalten haben, die geradezu enormes Aufsehen erregte. Vielleicht gelingt Ihnen etwas Ähnliches! Ich bitte Sie, nicht zu vergessen, dass die Rede in die weiteste Öffentlichkeit dringen wird, die ganze deutsche Presse wird sie aufgreifen, höchstwahrscheinlich wird auch der Gauleiter anwesend sein. Es hängt also viel davon ab, vergessen Sie das nicht. In etwa vierzehn Tagen werden Sie wohl mit dem Entwurf ins reine kommen».

Fabian warf Taubenhaus einen raschen Blick zu. «Wenn es nötig ist, kann ich den Entwurf in zwei, drei Tagen unterbreite», sagte er.

Taubenhaus lachte. «So eilig habe ich es nich», sagte er. «Gut Ding will Weile haben[52]. Also sagen wir in zwei Wochen? Und vergessen Sie mir das furchtbare Pflaster der Stadt nicht».

Damit war Fabian entlassen. Er klappte mit den Absätzen und verbeugte sich. Ein freundliches Lächeln geleitete ihn zur Tür.

Dieser Taubenhaus ist ja ein ganz prächtiger Mann, dachte er, als er die Tür hinter sich schloss. Wie kurzsichtig urteilte doch dieser Baurat Krieg?

Es schien ihm, als ob ihn die Sekretärin in der gelben Seidenbluse mit besonderer Aufmerksamkeit grüße, als er das Vorzimmer durchschritt.

XVI

Auf der Treppe des Rathauses blieb Fabian eine Weile stehen und blickte über den Platz. Man konnte ihm deutlich ansehen, dass das Gespräch mit Taubenhaus ihn mit tiefer Befriedigung erfüllt hatte.

Er empfand den Auftrag von Taubenhaus als überaus ehrenvoll. Welches Vertrauen setzte dieser ihm unbekannte Taubenhaus in ihn? Natürlich würde er sich hüten, auch nur mit einer Seele darüber zu sprechen! Die Rede würde ihn in der ganzen Stadt, ja im ganzen Land bekannt machen. Vielleicht lenkte sie auch die Aufmerksamkeit des Gauleiters auf ihn? Seine Position war gerettet. Viele Leute, das wusste er genau, zweifelten nicht an seiner Begabung, andere aber, Mißgünstige und Neidische, erklärten ihn für einen «Blende».. Nun, diesen Leuten würde er den «Blende». zeigen! Eitelkeit und Stolz färbten seine hübschen Wangen.

Der Entwurf der Rede beschäftigte ihn Tag und Nacht, selbst während er in seinem Büro Schriftsätze diktierte. Viele Stunden am Tage und am Abend ging er in der Stadt spazieren, die zur schönsten Stadt des Reiches werden sollte. Hier war er geboren, hier kannte er jeden Stein, und doch sah er sich alles nochmals genau an, mit neuen, prüfenden, kritischen Augen gleichsam, vom Pflaster bis zu den Dächern und Turmspitzen. Die barocken Häuser in der Altstadt, die Taubenhaus störten, gefielen ihm wie immer außerordentlich. Zwar waren sie nur schmal und standen eng, aber sie verliehen der Stadt ihren Charakter. Natürlich sollten sie erhalten bleiben.

Fabian besuchte den Historischen Verein, der in einem ehemaligen Nonnenkloser untergebracht war. Hier waren nur einige gotische Grabplatten mit abgeschlagenen Nasen zu sehen, ein paar verstaubte Säulenstümpfe und zwei kleine Vitrinen mit allerlei Feuersteinsplittern und Topfscherben aus germanischer Zeit, die von einer Ausgrabung bei Amselwies stammten und die niemand beachtete.

Auch dem Städtischen Museum stattete er einen Besuch ab. Hier sah man eine Anzahl von Stichen und alten Bildern, einige Truhen, Kommoden und Schränke, alles mit auffallender Lieblosigkeit angeordnet.

Am meisten fesselte ihn hier ein altes Gemälde, auf dem die Stadt mit den früher vergoldeten Turmspitzen des Doms dargestellt war. «Die Stadt mit den goldenen Türme». hieß das Gemälde, das ihn nicht mehr losließ. In diesem Augenblick durchfuhr ihn der Gedanke, in seinem Entwurf von diesen goldenen Turmspitzen auszugehen, denn er hatte den Eindruck gewonnen, dass es Taubenhaus vor allem darum zu tun war, Aufsehen zu erregen.

 

Die Stadt mit den goldenen Türmen! Dieser Gedanke erfüllte ihn, als er dem Hofgarten zustrebte, um sich mit seinem Auftrage zu beschäftigen. War das nicht ein prachtvolles Schlagwort, eine wirkungsvolle Empfehlung für die neue Stadt und das neue Programm? Eine Weile wurde er durch die herrlichen prunkvollen Dahlien abgelenkt, die vor dem Haus des Hofgärtners standen, dann verlor er sich in den Alleen, bis er an entlegene Stellen des Hofgartens kam, wo ihn eine magisch grüne Dämmerung völlig einhüllte, die zum Nachdenken wie geschaffen war. Dort nahm er auf einer stillen Bank Platz, zog einen Notizblock aus der Tasche und versenkte sich in tiefes Nachdenken. Niemand sollte auf den Gedanken kommen, dass Rechtsanwalt Fabian am lichten Tag im Hofgarten säße und untätig vor sich hinträumte.

In der Stadt gab es eine alte Brücke, die «Bischofsbrück». genannt wurde. Ein Bischof und die Apostel, herrliche Barockstatuen, bildeten ihren Schmuck. Kaum tausend Schritt von der «Bischofsbrück». entfernt führte eine moderne, höchst nüchterne Brücke über den Fluss, die kurz «Neue Brück». hieß. Fabian wollte sie, ganz wie die «Bischofsbrück», ebenfalls mit einer Anzahl von Statuen schmücken. Sie sollten Krieger aus allen Epochen der deutschen Geschichte darstellen, Germanen mit Keulen, Landsknechte mit Spießen, einen Trommler aus den Freiheitskriegen, einen Reitergeneral, etwa Friedrich den Großen[53]. Alle zusammen würden sie das Pendant zu dem Bischof mit den Aposteln bilden, und die Brücke sollte fortan «Heldenbrück». heißen.

Es war zur Zeit beliebt, das Heldische im Volk zu betonen. Fabians altes Soldatenherz selbst begeisterte sich dafür, und Taubenhaus, Pionierhauptmann aus dem Weltkrieg, würde von dem Vorschlag sicher hell entzückt sein.

Auch den Gedanken des Baurats Krieg, die alte Reitschule umzubauen, verflocht er in seine Vorschläge. Wenn es auch nicht sein eigener Gedanke war, er war gut zu verwenden. Ohne Zweifel würde es für die Stadt einen ungeheuren Gewinn bedeuten, einen neuen Marktplatz zu erhalten. Man konnte auf diese Weise den heutigen Rathausplatz prächtig und würdig ausgestalten. Wolfgangs Narzissbrunnen kam in die Mitte, vor dem Rathaus selbst aber stand, wie in vielen alten deutschen Städten, eine hoheitsvolle Rolandfigur[54]. Wolfgang müsste sie schaffen. Ein herrlicher Auftrag für ihn!

Jeden Tag dichtete er etwas in seiner «Stadt mit den goldenen Türme»..

Daneben versäumte Fabian keineswegs seine beruflichen oder gesellschaftlichen Pflichten. Seine Arbeitskraft war erstaunlich. Man konnte kaum durch die Strassen der Stadt gehen, ohne seiner gelben Aktentasche zu begegnen.

Er hielt Besprechungen in seinem Büro ab, diktierte Fräulein Zimmermann stundenlang Schriftsätze, nahm Termine wahr, man sah ihn im Theater, am späten Abend noch und häufig auch nachts war sein Büro noch hell erleuchtet.

Zuweilen kam er auch zu seinem Bruder Wolfgang, der in diesen Wochen fieberhaft an seinem «Kettensprenge». arbeitete, und öfter besuchte er auch Frau Lerche-Schellhammer, um ihr Bericht zu erstatten.

«Ich höre, dass die Werke drei neue große Hallen, ganz Glas und Eisen, zu bauen gedenken und vielleicht das Gut von Baron Metz im Norden der Stadt aufkaufen wollen».

Frau Beate lachte: «Weiß ich alles, dazu brauche ich doch keinen Anwalt, mein Lieber». Sie lachte Fabian einfach aus. «Sie sollen herausfinden, weshalb mich meine Brüder ausbooten wolle», forderte sie.

Um die Wahrheit zu sagen, machte Fabian diese häufigen Besuche nur, um Christa wiederzusehen. Er wollte sich darüber klarwerden, ob ihr Lächeln und ihre Sprache noch dieselbe starke Macht auf ihn ausübten.

In der Tat, sie taten es. Er fühlte, dass er nahe daran war, sich in Christa Lerche-Schellhammer zu verlieben. Sie plauderten oft ganze Stunden lang, und Christa erzählte ihm von ihren Reisen, die sie im letzten Jahr in Spanien gemacht hatte. Zuweilen kam es vor, dass ihn ein dringender Anruf in sein Büro zurückrief. Er hatte eine wichtige Besprechung völlig vergessen.

47j-m zur Verfügung stehen – быть, находиться в чьем-л. распоряжении
48etw. ins reine bringen – выяснить, урегулировать что-л.
49unser Scherflein niederlegen – внести свою лепту
50das Storchennest im Argonner Wald – укрепленная позиция немецких войск в Аргонском лесу во время Первой мировой войны
51auf j-s Urteil viel geben – придавать большое значение чужим словам; ценить чье-л. мнение
52Gut Ding will Weile haben ~ поспешишь – людей насмешишь
53Friedrich der Große – Фридрих Великий (1712-1786), прусский король
54Rolandfigur f – статуи Роланда, служила символом свобод и независимости города