Тотеnтаnz / Пляска смерти. Книга для чтения на немецком языке

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Aus der Reihe: Моderne Prosa
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XVII

Eines Tages überfiel Fabian ganz plötzlich der Gedanke, die Stadt in eine Gartenstadt umzuwandeln! Er war wie im Fieber. Der Hofgarten und einige Alleen aus der bischöflichen Zeit bildeten einen herrlichen Anfang, der sich mit Grünflächen, Alleen und Blumenrabatten vervollständigen ließ. Es war in der Tat ein wundervoller Einfall! Ohne großen Aufwand an Geld und Zeit konnte man der Stadt besondere Schönheit und Großartigkeit verleihen. Eine Gartenstadt, Herr Taubenhaus!

Seinen ganzen Stolz aber bildete sein neuer Bahnhofsplatz. Wie war er heute? Nun, heute war er völlig reizlos, um nicht zu sagen öde und langweilig. Er war, offen gestanden, nichts als eine triviale Haltestelle der Trambahnen, um die sich die Leute bei Regen mit entsetzlichen Regenschirmen drängten. Morgen aber, morgen sollte er eine prächtige gärtnerische Anlage darstellen, mit einem lustig plätschernden Springbrunnen in der Mitte und reizvollen Kolonnaden für die Trambahnen. Kurz, ein Bahnhofsplatz ganz nach dem Geschmack Fabians, das würdige Vorzimmer einer noblen, beglückenden und reichen Stadt.

Er nahm eigens eine Tram, um sich von der Reizlosigkeit des heutigen Bahnhofsplatzes zu überzeugen. Einige veraltete Gasthöfe lagen hier, zweitklassige, schlecht bewirtschaftete Wirtschaften.

Während er im grünen Dämmer der alten Kastanien und Linden saß und an seiner Stadt baute, beschäftigte ihn fast ununterbrochen ein geheimer Gedanke, der immer da war, sooft er seine Theaterbauten, Sportplätze und Schwimmhallen auch nur auf Sekunden vergaß, es war die Erinnerung an Christa. Ihr Haus lag nicht weit entfernt, zuweilen sah er ein kleines hurtiges Auto vorüberfliegen, das ihn an den kleinen Wagen gemahnte, den sie steuerte, zuweilen hörte er hinter sich einen leisen Schritt und wandte sich um, und sein Herz pochte. Christa? Wie reizend hatte sie neulich von Spanien erzählt, und ihr Lächeln stand noch vor ihm.

Sobald er seine Einfälle geordnet hatte, ging er an die formale Fassung seiner Rede. Das fiel ihm nicht schwer, denn es war ja sein Beruf, seine Gedanken gewandt und klar auszudrücken. Dabei besaß er auch eine gewisse journalistische Gewandtheit und das, was er seine «poetische Ade». nannte.

Es handelte sich, kurz gesagt, darum, die geistigen und seelischen Kräfte der Stadt zu wecken und Gleichgültigkeit und Lauheit zu überwinden. Die Stadt musste von allen Bürgern in leidenschaftlicher Anteilnahme mitgebaut werden, wie in alten Zeiten von den Zünften. Da aber spürte Fabian einen Ruck im Herzen und sah augenblicklich auf. Kein Zweifel, das war Christa! Er erkannte jede Linie, obschon sie fast ganz von den Gebüschen verborgen war. Sie schlenderte langsam den schmalen Weg entlang, den sie gewöhnlich mit ihrem Auto fuhr, weil er asphaltiert war. In Gedanken ging sie dahin und schwang einen Zweig in der Hand, den sie zuweilen wie einen Taktstock bewegte.

Wenn er laut gerufen hätte, würde sie ihn gehört haben, aber das wagte er nicht, er sprach ihren Namen nur ganz leise aus.

Da blieb sie wie durch einen Zauber stehen und blickte sich um. Dann aber schlenderte sie weiter. Ich werde rufen, dachte er, aber im gleichen Augenblick hielt Christa erneut den Schritt an, um sich umzublicken. Diesmal ging sie näher an das Gebüsch heran. Sie war zu weit entfernt, als dass sie ihn erkennen konnte, aber etwas an der Gestalt auf der Bank im dämmerigen Gebüsch musste sie gefesselt haben, denn sie ging einige Schritte zurück, um auf einem schmalen Seitenweg zu erscheinen. Sofort erhob er sich, voller Freude, dass ein Zufall, oder was es sein mochte, sie zu ihm geführt hatte. Im gleichen Augenblick eilte sie auf ihn zu, sie hatte ihn erkannt.

«Ist es möglich». rief sie erfreut aus, als sie noch einige Schritt entfernt war. «Ich hatte das Gefühl, es ist jemand in der Nähe, den du kennst. Wie sonderbar ist das». Sie lächelte.

«Ich sah Sie an den Büschen entlanggehen und erkannte Sie sofor», rief Fabian und ging ihr entgegen.

Sie reichte ihm die Hand. «Sie arbeiten hier im Hofgarte», fragte sie und blickte auf den Block, den er noch in der Hand hielt. «Ich störte Sie doch nicht».

«Nicht im geringsten. Ich bin eben fertig geworden, als ich Sie erblickte».

«Ich hatte eine Pann», fuhr Christa lebhaft fort, «und musste den Wagen in der Stadt stehenlassen, um zu Fuß nach Hause zu gehen. Begleiten Sie mich ein Stückchen, wenn Sie Zeit haben».

«Gern».

Sofort begann Christa eifrig zu plaudern. «Die Photos von meiner Spanienreis», sagte sie, «von denen ich das letztemal sprach, als der dumme Anruf aus Ihrem Büro kam, sind wirklich so interessant, dass Sie sie sehen müssen. Sobald Sie wieder zu uns kommen, müssen Sie sich ein Stündchen Zeit frei halten. Oder noch besser, Mama ist auf einige Tage verreist, und ich trinke jetzt häufig im „Residenzcafe“ meinen Tee. Haben Sie Zeit, mir einmal im „Residenzcafe“ Gesellschaft zu leisten».

Ihre Aufforderung war so herzlich und natürlich, ihre braunen Augen schimmerten freudig aus ihrem lächelnden Gesicht, dass Fabian errötete. Es war fast, als ob sie gesagt hätte: Ich liebe Sie.

«Ja natürlch? ich würde mich sehr freue», eriwderte Fabian. «Sie brauchen nur den Tag zu bestimmen».

Christa lachte und blieb stehen. «Wenn ich aber morgen sage».

Fabian lächelte. Es tat ihm leid, nicht sofort zustimmen zu können. «Morgen bin ich bestellt. Aber sagen wir übermorgen? Zu welcher Zeit».

«Gegen fünf Uhr».

«Gut, fünf Uhr».

XVIII

Genau zwei Wochen, nachdem Fabian seinen Auftrag erhalten hatte, meldete er Taubenhaus, dass der Entwurf fertig sei.

Taubenhaus empfing ihn leutselig. Sein Arbeitszimmer war nur matt beleuchtet.

«Lassen Sie hören, was Sie sich ausgedacht habe», begann er und putzte seine goldene Brille mit dem Taschentuch. «Stellen Sie sich an meinen Schreibtisch. Ich nehme borne Platz und spiele Publikum».

Fabian klappte mit den Absätzen und postierte sich an den schweren Schreibtisch des Stadtoberhauptes, an dem schon Napoleon gesessen haben sollte. Taubenhaus nahm auf einem der Stühle für die Besucher Platz. Das breite Gesicht neigte sich, und Fabian begann seine Rede.

«Ich komme aus einer kleinen pommerschen Stad», rief er aus, «wo die Gänse und Ziegen über den Marktplatz laufen».

Das breite Gesicht unter der schwarzen Haarbürste fuhr in die Höhe und die goldene Brille funkelte unwillig.

«Auch in dieser schönen und großen Stadt, in die ich gesandt wurde, laufen noch häufig Gänse und Ziegen über den Marktplat», fuhr Fabian mit erhobener Stimme fort, «die Gänse und Ziegen sind der Geist der Gleichgültigkeit, der Gedankenlosigkeit, der Trägheit».

«Ausgezeichnet». rief Taubenhaus lachend aus. «Ganz ausgezeichnet». Er lachte so herzlich, dass er husten und spucken musste.

Ein neuer Geist müsse die Stadt erfassen, rief Fabian voller Pathos, die geistigen Motoren der Stadt müssen angeworfen werden, die schlummernden seelischen Kräfte und Energien geweckt! Fort mit der Gleichgültigkeit, Gedankenlosigkeit, Trägheit, ja, zum Teufel mit ihnen! Wie Sturmwind in halberloschene Glut fährt, so müsse ein neuer Geist in die Asche fahren und eine züngelnde Lohe emporschlagen, eine helle, heilige Lohe!

Taubenhaus hob das Gesicht und nickte befriedigt.

Und Fabian baute vor seinen Augen die neue «Stadt mit den goldenen Türme». auf, gebettet in Grün, funkelnd wie ein Garten. Als er ihm seine neue Brücke zeigte, die «Heldenbrück». mit den Germanen, Trommlern, Grenadieren, Friedrich dem Großen in ihrer Mitte, setzte Taubenhaus sich aufrecht, er machte Miene aufzuspringen und rief ein paarmal halblaut: «Gut, gut».

Fabian baute unaufhaltsam weiter. Der neue Rathausplatz mit der Rolandstatue, Symbol des Rechts und der Gerechtigkeit, das neue Theater, das Museum, Sportplätze, Schwimmhallen, der Straßendurchbruch Nord-Süd, der neue Bahnhofsplatz mit dem heiter sprudelnden Springbrunnen, er fand kein Ende. Taubenhaus nickte und rief zuweilen «Gut! Ausgezeichnet». dazwischen. Sein Lob trieb Röte in Fabians Wangen.

Er hatte einen guten Tag. Er sprach ausgezeichnet und trug große Teile der Rede völlig frei vor. «Es gibt hier einen Museumsverei», rief er aus. «Er schläft, es gibt einen Historischen Verein, auch er schläft. Und dabei gab es prähistorische Grabstätten nahe der Stadt. Es gibt hier einen Fremdenverkehrsverein, einen Verschönerungsverein, auch die schlafen, schlafen. Wacht auf, wacht auf! Die Zeiten, da man nur Geld verdienen will und andere für sich denken lässt, sie sind vorbei».

Taubenhaus lachte. Doch das war seine letzte Äußerung, fortan hielt er sich ganz still. Er saß mit ausgestreckten Beinen und blickte zur Decke empor, als sei er müde und gleichgültig geworden. War er müde? Ganz und gar nicht, dachte Fabian, der seiner Sache gewiss war. Er spielt den Gleichgültigen. Ich kenne dich sehr gut, Taubenhaus.

Als Fabian geendet hatte, stand Taubenhaus langsam auf und putzte sehr umständlich die goldene Brille. «Gu», brummte er in etwas zu deutlich gespielter Gleichgültigkeit vor sich hin. Dann blickte er auf Fabian, der in bescheidener Haltung neben dem Schreibtisch stand. «Sie haben meine Andeutungen ganz vorzüglich aufgegriffe», sagte er, «als Unterlage ist Ihr Entwurf recht gut geeignet, ich danke Ihnen. Wollen Sie mir bitte eine Liste aller prominenten Persönlichkeiten aufstellen, die unbedingt eingeladen werden müssen».

Wie gut ich dich doch kenne, dachte Fabian und verbeugte sich.

In glänzender Laune kam er in sein Büro zurück.

«Wir haben einen äußerst ehrenvollen Auftrag erhalten, Fräulein Zimmermann». begann er, und die hagere Sekretärin wurde blutrot vor Freude. «Wir sollen eine Liste aller prominenten Persönlichkeiten der Stadt aufstellen, die zur Rede des Bürgermeisters eingeladen werden müssen».

«Sind Sie sich darüber im klaren, welch bedeutende Leute wir geworden sind? Es liegt in unserer Macht, jemand eine hohe Ehre zu erweisen oder aufs tiefste zu verletzen. Verstehen Sie».

 

Am späten Abend erschien er im «Ster». und bestellte sich eine Flasche Sekt und ein halbes Dutzend der besten Zigarren. «Wir haben es uns verdien», sagte er zu sich.

XIX

Das kleine «Residenzcaf». lag in einem barocken Pavillon neben dem früheren bischöflichen Schloss. Es bot einen schönen Ausblick auf die alte Lindenallee, war aber nur an Sonn- und Feiertagen während des Promenadenkonzertes stärker besucht. Sonst traf man dort nur stille Zeitungsleser und häufig Damen, die ihren Kaffeeklatsch veranstalteten. Als Fabian um fünf Uhr die Promenade überschritt, fühlte er, dass Christa schon anwesend war. Er empfand es an dem stärkeren Daseinsgefühl, das ihn durchströmte, augenblicklich fühlte er sich freier, leichter und fröhlicher. Sein Gefühl hatte ihn nicht getäuscht. Als er die Tür öffnete, sah er Christa an einem kleinen Fenstertisch sitzen. Sie hob in diesem Augenblick den Kopf, sah ihn mit einem zarten Lächeln ihrer braunen Augen an, und ihr Lächeln und ihr Blick erfüllten ihn mit Freude. Er war von diesem Augenblick an ein völlig neuer, verwandelter Mensch.

«Sie kommen gerade zur rechten Zei», begrüßte sie ihn, «nehmen Sie bitte hier an meiner Seite Platz, wir können so die Photos zusammen besser betrachten».

«Das also ist die Ausbeute Ihrer letzten Spanienreise». fragte Fabian, indem er Platz nahm. «Sie sind außerordentlich fleißig gewesen».

Auf dem Tisch vor Christa lag ein großer Stapel Photos, in denen sie soeben geblättert hatte. Es waren kleinere und größere Aufnahmen, viele hatte sie mit der eigenen Kamera festgehalten.

Christa Lerche-Schellhammer hatte sich einige Jahre mit Modellieren und Malen beschäftigt, war aber nunmehr endgültig, wie sie sagte, zur Architektur übergegangen, um die sie sich mit größtem Ernst bemühte. Zusammen mit ihrer Mutter unternahm sie jedes Jahr eine Reise im Auto, das die beiden Frauen abwechselnd steuerten. Im vergangenen Jahr hatten sie einige Monate Spanien bereist und all diese Photos mitgebracht, meist Aufnahmen von Bauwerken und architektonische Einzelheiten, Portale, Treppen, Kapitäle und andere Details, die Christa besonders interessierten.

Christa nickte. «Warten Si», begann sie eifrig, «ich will Ihnen zuerst diese herrliche kleine Kapelle aus Toledo zeigen, eben hatte ich sie noch in der Hand, ich glaube, sie ist eine der ältesten Kirchen Spaniens. Im Kirchenschiff hängen einige der herrlichsten Grecos[55]. Hier ist sie».

Und sie erzählte, dass gegenüber von dieser Kapelle eine Weinkneipe lag, in die sie sich beide verliebt hatten, besonders ihre Mutter. Das war ein kleiner Keller, in dem Reihen von mannshohen Weinkrügen, Amphoren, standen. Die riesigen Amphoren waren aus rotem Ton, und der ganze Keller sah wohl überhaupt noch ebenso aus wie zur Zeit der alten Römer. Es war einfach herrlich! Es gab hier die köstlichsten alten Weine, und sie tranken beide hier jeden Tag ein Gläschen. Ihre Mutter pflegte zu sagen: «Gehe du ruhig zu deinen Grecos, ich bleibe hier bei meinen Amphoren».

Sie erzählte reizend, mit einer seltenen Anschaulichkeit. Jede Einzelheit schien ihr in der Erinnerung plastisch vor Augen zu stehen. Ihre schlanken Hände formten die hohen Amphoren, und die herrlichen Grecos leuchteten im Glanz ihrer Augen. Fabian genoss erneut den Klang ihrer weichen Stimme und die Klarheit ihrer Sprache. «Ich bin erstaun», sagte er, «dass Sie sich an jede Kleinigkeit erinnern».

«Man erinnert sich immer gut an Dinge, die man lieb», erwiderte Christa.

Sie waren so eifrig mit dem Studium der Photos und dem Austausch ihrer Meinungen beschäftigt, dass sie alles ringsum vergaßen. Wenn der eine einen Gedanken nicht mit voller Klarheit auszudrücken vermochte, so kam ihm der andere zu Hilfe, und wenn auch das mißlang, so genügte ihnen eine Geste oder ein Lächeln.

An einem Nebentisch hatte sich nach und nach ein Kaffeekränzchen weißhaariger Damen zusammengefunden, die lebhaft schnatterten. Sie beachteten es kaum. Sie übersahen auch die beiden jungen Herren, die dicht neben ihnen die Schachfiguren aufzustellen begannen, während sie Kaffee bestellten und ihre Zigarren anzündeten.

Christa zeigte nun einige Klosterhöfe, die sie meist selbst aufgenommen hatte. Es waren Bilder, die den Frieden, die Stille und Unwirklichkeit einer anderen Welt verkörperten.

«Sie wisse», wandte sie sich an Fabian, «man hat zuweilen solche Anwandlungen. Hatten Sie nicht auch einmal den Wunsch, Priester zu werden? Erzählten Sie es nicht».

Fabian antwortete nicht sofort. Er betrachtete Christas Hand, die auf den Photos lag, und es schien ihm, als ob er zum erstenmal sehe, wie frauenhaft zart ihre Hand war. Wolfgang hatte sie einmal modelliert. Ihre Hand hatte Grübchen an den Knöcheln, wie man es oft bei Kindern sieht. Zum erstenmal sehe ich, wie frauenhaft schön ihre Hand ist, ging es ihm durch den Sinn, dann erst erwachte Christas Frage in seinem Ohr, und er sagte, während er flüchtig errötete: «Gewiss, ich habe es erzählt. Es war damals eine fixe Idee von mir, nun, ich war noch sehr jung. Ich sagte Ihnen auch, dass ich bereits in einem Priesterseminar ausgebildet wurde».

Christa streifte sein Gesicht mit den flachen Wangen und dem frauenhaften Mund, sie blickte auf seine männlich geformte Hand und dachte: In der Tat, er hätte recht wohl einen Priester abgegeben[56]. Dann errötete sie plötzlich.

«Wie lange waren Sie im Priesterseminar». fragte sie. Fabian sprach nur ungern von dieser Epoche seines Lebens. «Ziemlich lang», antwortete er. «Ich stand dicht vor der ersten Weihe».

«Und weshalb haben Sie Ihre Absicht wieder aufgegeben, Priester zu werden». forschte Christa weiter, während sie Fabian mit einem Lächeln ermutigte.

Fabian wurde verlegen. «Nun, ich war unterdessen älter geworden und zur Einsicht gekommen, dass ich nicht die nötige Eignung zum Priester besa», erwiderte er.

«Nicht die nötige Eignung».

«Nein. Ich fand, dass ich zu weltlich gesinnt war. Es fehlte mir der entsagungsvolle Charakter, den ein Priester haben muss».

«Gut, dass Sie rechtzeitig zu dieser Erkenntnis kame», erwiderte Christa und lächelte. «Nur auf Wahrheit und Lauterkeit lässt sich ein Leben aufbauen, pflegt Mama oft zu sagen».

Christa wandte sich wieder den Photos zu. «Das hie», begann sie von neuem, indem sie auf einen Stoß von Abzügen gleichen Formats deutete, «sind die Aufnahmen vom letzten Winter, den wir auf Palma de Mallorca[57] verbrachten. In diesem Dom hie», fuhr sie fort, «der berühmten Kathedrale von Palma de Mallorca, habe ich eines der tiefsten Erlebnisse meines Lebens gehabt. Hören Sie zu! Wir wohnten der Christnachtmesse bei, Mama und ich. Es war unvergesslich – einfach unvergesslich».

Und Christa erzählte, dass tausend Kerzenflammen den mächtigen Dom erhellten. Hunderte von armdicken Kerzen brannten auf dem Hauptaltar, und doch waren die ungeheuren Umrisse des Kirchenschiffes kaum zu ahnen. Auch von der dichtgedrängten Menge sah man nicht mehr als schattenhafte Umrisse. Die Männer knieten im linken Kirchenschiff, auch ihre Bekannten, Ärzte, Anwälte, die höchsten Beamten, sonst so vornehme Herren, alle knieten, die Frauen in ihren dunklen, spanischen Mantillen knieten auf der rechten Seite. Auch sie knieten, ihre Mutter und sie. Priester wandelten die Stufen zum Hauptaltar auf und nieder, der Bischof zelebrierte die Messe. Eine Unzahl von Ministranten bewegte sich lautlos beim Altar, der Weinrauch stieg im Schein der Kerzenflammen in die Höhe, die helle Glocke klingelte, ein Buch wurde feierlich hin und her getragen. Und das alte Latein, es hatte einen feierlichen, nie gehörten Klang! Herrlich erzählte Christa.

«Die Orgel ertönte! Ich weiß nicht, ob Sie wissen, dass der Dom von Palma eine der größten und wunderbarsten Orgeln der Welt besitzt? Diese Orgel konnte mehr als ein Mensch, sie konnte flüstern, seufzen, schluchzen, schreien, wimmern, lachen, weinen, frohlocken, jubeln, was konnte sie nicht? Ja, sie konnte noch mehr als ein Mensch, sie konnte brausen, donnern, rasen, verdammen und segnen. Wenn Gott eine Stimme hätte, so müsste er reden! Ein Mönch saß oben bei der Orgel, der berühmte Franziskaner[58] Francesco, einer der größten und unübertroffensten Meister nicht nur Spaniens, sondern der Welt. Unvergesslich wird mir für immer sein Spiel in dem von Tausenden von Kerzen erleuchteten Dom bleiben! Und das beschwörende alte Latein, es war wie ein Fest im Himmel». Sie hielt inne.

«Ich kenne den Wortlaut der Messe sehr gu», sagte Fabian halblaut und nickte, völlig benommen von ihrer Schilderung.

«Alle Leute weinten vor Ergriffenhei», schloss Christa, «auch Mama weinte, die niemals weint. Und auch ich weinte, dass mir die Tränen übers Gesicht liefen, überwältigt wie alle». Sie blickte Fabian an und lächelte.

Ihr Gesicht war blasser geworden und spiegelte in allen Zügen so klar ihre Erregung wider, dass es sich verwandelte und förmlich verklärte. Niemals hatte Fabian ihr Gesicht so gesehen, niemals hatte er ein menschliches Antlitz so wahr gesehen.

Lange blieben sie still. Fabian wagte nicht, sich zu bewegen. Er blickte in ihr verändertes, verklärtes Gesicht.

Ich liebe diese Frau, dachte er. Ja, nun weiß ich, dass ich sie liebe.

XX

Noch am gleichen Abend schrieb Fabian einen Brief an Christa, aber er empfand schon beim Schreiben, dass es ihm nicht gelang, die Gedanken und Empfindungen, die ihn bewegten, auszudrücken. Immer sah er ihr verändertes, verklärtes Gesicht vor sich und zerriss dreimal den Brief. Er ging spät schlafen, aber unaufhörlich sah er ihr verklärtes Gesicht, ob er die Augen offenhielt oder schloss. Ja, bei Gott, er liebte diese Frau! Am nächsten Morgen erstand er einen Strauß herrlicher Marschall-Niel-Rosen[59], die er mit seinem Kärtchen, das nur wenige Worte trug, an Christa senden ließ.

Christa fand die Rosen in ihrem Zimmer, als sie ihre Mutter von der Bahn abgeholt hatte, und war hocherfreut darüber. «Dank für die Christmesse auf Palma de Mallorc», stand auf der Karte. Nichts sonst. Sie wählte drei der herrlichsten Rosen aus dem Strauß und brachte sie hinunter zu ihrer Mutter.

«Mam», rief sie erfreut aus, «ich bin erst jetzt in der Lage, dich würdig willkommen zu heißen». Sie beugte ein Knie und überreichte ihrer Mutter die Rosen mit einer reizenden Geste. «Lass die Faxen, Christ», erwiderte lachend Frau Beate, die noch müde von der Reise war. «Woher hast du denn die herrlichen Rosen bekommen».

Christa erhob sich. «O», sagte sie, «ich fand einen riesigen Strauß auf meinem Zimmer. Ein Verehrer hat sie mir geschick», fügte sie hinzu und wurde plötzlich rot.

«Ein Verehrer? Ich sehe, die Männer sind immer noch so verrückt wie vor zweitausend Jahren».

Christa tat ein wenig gekränkt. «Aber es ist ein Verehrer, der mir außerordentlich sympathisch ist, Mama». entgegnete sie.

 
55El Greco – Эль Греко (1541-1614), испанский художник греческого происхождения
56er hätte recht wohl einen Priester abgeben – из него получился бы хороший священник
57Palma de Mallorca – Пальма-де-Мальорка, испанский курорт
58Franziskaner m – францисканец, член католического монашеского ордена
59Marschal-Niel-Rosen – розы, названные в честь французского маршала Адольфа Нила