Was Luther angerichtet hat

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Luther und die Freiheit



Das Stichwort der subjektiven Auffassung, der Lokalisierung der Rechtfertigung im höchstpersönlichen Gewissen (mit unverzichtbarer göttlicher Hilfe!), leitet über zur positiven Wertung Luthers als eines kulturgeschichtlich mächtigen Bringers von Freiheit, als eines Vorläufers der abendländischen Aufklärung. Für Georg Wilhelm Friedrich Hegel war Luthers Subjektivismus eine Weichenstellung: „Das Geschäft der Geschichte ist nur, dass die Religion als menschliche Vernunft erscheine, dass das religiöse Prinzip, das den Herzen der Menschen innewohnt, auch als weltliche Freiheit hervorgebracht werde.“ Nach Hegel’scher Auffassung ist die Geschichte eine dialektisch zu verstehende Entfaltung Gottes als des „Weltgeistes“, die mit dem Zielpunkt des Endes der Geschichte als einer endgültigen Ausfaltung der Harmonie in Gott (bzw. dem Weltgeist) versehen ist. Der Geist erkennt auf diesem Weg sich selbst immer besser, um es simpel auszudrücken. Da war das von Luther installierte Selbstbewusstsein, das keine Rücksicht mehr auf die überpersönlichen Vorgaben der etablierten Kirche nahm, ein wichtiger Schritt in der Selbsterkenntnis des von den Päpsten geknechteten Weltgeistes, der nach Hegels optimistischer Auffassung nicht nur chronologisch, sondern auch qualitativ fortschreitet.



Es ist klar, dass ein Katholik so nicht philosophiert hätte, auch wegen des Unterschiedes zwischen der Statik katholischen dogmatischen Denkens und der unbekümmert unorthodoxen Geist-Bewegtheit des Protestanten Hegel.



Die „Freiheit“ im Verständnis Luthers war ganz klar an religiöse Bezüge gebunden, keine etwa bei uns durch das Grundgesetz garantierte bürgerliche Freiheit ohne religiöse Voraussetzungen. Etwas in dieser säkularen Art entsprach nicht Luthers Vorstellungswelt. Dass er trotz der Einschärfung ernsthafter Frömmigkeit zum Katalysator einer für die Neuzeit entscheidenden geistigen Freiheit wurde, wird uns später noch beschäftigen. Zunächst ist genauer zu beobachten, wie er seine der Sache nach neue Kirche, auch wenn er aus religiösem Gewissen glaubte, nur die unverfälschte, wahre „alte“ Kirche wieder herzustellen, organisatorisch in der politischen Welt vertäute. Seine religiöse Schau ging einher mit weltlichem Realismus, der ins Konservative schlug, denn da ließ sich mehr und Dauerhaftes gestalten – wozu man als Beleg nicht einmal die Gegen-Figur des Thomas Müntzer braucht.





Die Reformation breitet sich aus



Voraussetzung dafür, dass die Institutionalisierung erforderlich wurde, war die Unwiderstehlichkeit der weiteren Ausbreitung von Luthers Lehren nach dem Reichstag zu Worms. Ein Mittelpunkt blieb das Kurfürstentum Sachsen, wohin viele Luther-Sympathisanten flohen, die anderswo verfolgt wurden. Im September 1522 erschien Luthers auf der Wartburg erstellte Übersetzung des Neuen Testaments im Druck, in zeitgenössischer Sprache gehalten und desto wirkungsvoller. Ab 1523 begann eine umfassende, nicht nur von Luther selbst bestrittene Produktion von Kirchenliedern für die neu zu schaffenden Gemeinden, die der Reformator als Grundzellen der „äußerlichen“ Kirche ansah.



Die Augustiner-Brüder in Thüringen und in Sachsen verließen ihre Klöster, die Nonnen taten es ihnen nach, es wurde viel geheiratet, weil man den Zölibat ablehnte. Franziskaner, Dominikaner, Benediktiner, Karmeliter und andere Orden verzeichneten ebenfalls einen starken Schwund. Die Bettelmönche kamen in Misskredit, denn denen Almosen zu geben, das sah zu sehr nach den „guten Werken“ aus, die in Luthers Lehre als unerheblich für die Rechtfertigung vor Gott galten. Die – nennen wir sie so – „Neugläubigen“ zogen die Klostergüter ein, die, sofern ihre Verwendung auf ehrliche Weise erfolgte, für den Bau und Unterhalt von Kirchen sowie für die Besoldung der Pfarrer verwendet wurden, auch für die Armen, die wirklich bedürftig waren und nicht nur als träge Bettler galten.



1518 hatte Luther die Universität Wittenberg in seinem Sinne reformiert. Im selben Jahr gewann dort Philipp Schwarzerdt aus Bretten, gräzisiert „Melanchthon“, den neu eingerichteten Lehrstuhl für Griechisch. Er wurde einer der engsten Mitarbeiter Luthers, war vorsichtiger und diplomatischer als dieser, glänzte in Philologie sowie mit der Kenntnis der antiken und mittelalterlichen Philosophie und war ein weitsichtiger Bildungspolitiker. Das trug ihm den Ehrentitel des „Praeceptor Germaniae“ ein. Man kann sagen: Melanchthon machte den Idealismus Luthers, der eine geläuterte christliche Gesellschaft anstrebte, praktikabler.



Luther hatte 1524 ein Sendschreiben „an die Bürgermeister und Ratsherren aller Städte deutschen Landes, dass sie christliche Schulen aufrichten sollen“ verfasst. Dabei dachte er nicht nur an die Ausbildung von Geistlichen seiner Richtung, sondern durchaus auch an weltliche Gelehrsamkeit. Denn vor allem zum Regieren bedürfe man der Gelehrten und in der Geschichte Erfahrenen. Bibliotheken sollten gegründet werden, neben der theologischen Literatur auch für die freien Künste, für Recht und Medizin, Chroniken und Historien, „denn sie seien nütze, Gottes Wunder und Werke zu sehen“. Melanchthon ging davon aus, dass Frömmigkeit von einem gediegenen klassischen Kanon begleitet sein müsse und war damit keinesfalls nur eine einzelne Figur in der großen reformatorischen Bewegung zur Hebung des Bildungsstandes in der Bevölkerung insgesamt.



Die Reichsstadt Nürnberg, mit Ulm, Augsburg und Straßburg die bedeutendste in deutschen Landen, war nach einer Diskussion zwischen Alt- und Neugläubigen im Rathaussaal am 3. März 1525 endgültig zum Luthertum abgeschwenkt und lud Melanchthon ein, eine höhere Schule nach seinen Vorstellungen zu errichten. So entstand 1526 das, offiziell aber erst seit 1933 so genannte, „Melanchthon-Gymnasium“ als erstes – später so bezeichnetes – „Humanistisches Gymnasium“ in Deutschland. Auch anderswo wurden Lateinschulen und höhere Lehranstalten gegründet, so 1539 das „Gymnasium illustre“ in Straßburg. Der Pommer Johannes Bugenhagen machte sich um Einführung und erste Reglementierung der Reformation fast in ganz Norddeutschland verdient; auf ihn gingen die Gymnasien in Hamburg (1529), Lübeck (1531) und Schleswig (1542) zurück.



Der Nürnberger Rat hatte sich der Reformation nicht nur aus Sympathie angeschlossen, sondern auch, weil er sie als eine Bewegung in der Bürgerschaft wahrnahm, die an ihn ganz neuartige Forderungen stellte. Die Gefahr der ernsthaften Beeinträchtigung von öffentlicher Sicherheit und Ordnung, auf denen die Leistungsfähigkeit des städtischen Wirtschaftssubjektes aufbaute, war mit dem Vordringen der neuen Lehre verbunden, wenn es tumultuarische Züge annahm. Also schien es dem Rat besser, sich an die Spitze der Bewegung zu stellen. Da war die „Reformation von oben“ die Reaktion auf und der Abschluss der „Reformation von unten“.



Überhaupt waren die Städte besondere Pflanzstätten der Reformation, denn dort konnten mehr Leute Luthers Flugschriften lesen, und Gruppen, etwa die Handwerker, nahmen die neue Lehre zum Ausgangspunkt, um ihre Mitwirkung an politischen Entscheidungen durchzusetzen, von denen sie bis dahin ausgeschlossen gewesen waren. Die propagierten höheren Lehranstalten im neuen Geiste hatten in den Städten ein zahlreicheres Publikum als auf dem Lande. Die Autorität des Stadtregiments wuchs insgesamt. Denn nun waren die Geistlichen kein eigener Stand mehr, sondern Bürger wie die Laien; mit der Auflösung der Klöster verschwand deren bis dahin abgeschotteter Rechtsraum, und bischöfliche Eingriffe in städtische Verwaltung und Gerichtsbarkeit, ein Streitthema schon seit langer Zeit, wurden unterbunden.



Nur 14 der 78 Reichsstädte (Stand im 16. Jahrhundert) blieben dem alten Glauben treu, wobei religiöse und pragmatische Gründe kaum zu trennen waren. So gingen die Stadtväter von Überlingen rigoros gegen Anhänger Luthers vor, sobald sich diese zu regen begannen, und blieben katholisch, weil sie ihren Handel mit den und durch die sie umgebenden habsburgischen Gebiete nicht gefährden wollten. Die Kölner Reichsstädter brauchten den Austausch mit den Niederlanden, deshalb hielten auch sie sich zurück. Im Sommer 1529 wurden die Reformierten aus der Reichsstadt Rottweil vertrieben, weil der Kaiser gedroht hatte, sein Landgericht dort abzuziehen, das als Relikt aus den Zeiten übrig geblieben war, als die Kaiser noch Herzöge von Schwaben waren und dort dem Reiche Güter gehörten.





Ulrich Zwingli



An dieser Stelle ist der Toggenburger, also Schweizer, Ulrich Zwingli zu erwähnen, dessen Einfluss nicht nur südlich des Bodensees, sondern auch nördlich davon im Sinne der Reformation wirkte. Zwingli achtete Erasmus von Rotterdam († 1536) sehr hoch, der durch seine vorbildliche griechische Ausgabe des Neuen Testaments (1516) der Bibelübersetzung Luthers vorgearbeitet hatte. Erasmus hielt die friedliche „Bergpredigt“ (Matthäus, Kap. 5–7) für den Angelpunkt des Christentums und war in seiner humanistischen Geneigtheit dafür, auch diversen berühmten Heiden der klassischen Antike mustergültige Tugendhaftigkeit zuzuerkennen, als ob sie Christen gewesen wären. Zwingli versetzte sie deshalb auch ins Paradies, aber die Untauglichkeit der Bergpredigt für das Regieren in dieser Welt war ihm klar. Nachdem er 1518 vom Rat der Stadt zum „Leutpriester“ am Großmünster in Zürich berufen worden war, betonte er die alleinige Verbindlichkeit der Heiligen Schrift, indem er ab Januar 1519 seine Predigten zu einer Reihe von Interpretationen der Bücher des Neuen Testamentes machte. Darin war er Luthers Lehre verwandt, und auch darin, dass er die Erlösung nicht von „guten Werken“ konditionieren ließ, sondern sie einzig der Gnade Gottes anheimstellte.



Großen Eindruck machte auf ihn Luthers Rede auf der Leipziger Disputation (Juli 1519), dass auch ein Konzil irren könne. Mit der amtlichen Hierarchie brach er. Die Existenz des Fegefeuers lehnte er ab, denn wenn der Sünder sein Heil durch den Glauben erlange, dann würden damit besondere Strafen, auch temporäre, im Jenseits überflüssig. Luther distanzierte sich von der Idee des Fegefeuers erst, nachdem Zwingli 1531 umgekommen war.

 



Zwingli lehnte auch den Zölibat ab und verheiratete sich. Heiligenverehrung, Prozessionen und Wallfahrten (Letztere als „gute Werke“) waren sinnlos. Mit seinem Bilderverbot, das der Rat der Stadt Zürich 1524 durchsetzte, stand er jedoch in Gegensatz zu Luther: Der war verbunden mit Lucas Cranach dem Älteren, dem langjährigen Hofmaler des Kurfürsten. Cranach hat, neben altgläubigen, mythologischen und allegorischen Sujets, auch das reformationsbewegte Altarbild in der Stadtkirche von Wittenberg geschaffen.



Zwingli unterschied sich weiterhin in zwei wesentlichen Punkten von Luther. Er arbeitete mit den Mitteln obrigkeitlicher Politik dafür, aus seinem Zürich eine vorbildliche christliche Gemeinde zu machen, nur als Ratgeber mitwirkend, aber damit von unvergleichlicher Autorität. Der Kurfürst von Sachsen als maßgeblicher Schutzherr Luthers hätte dies in solcher Direktheit nimmermehr zugelassen. Da auch Zwingli die sakramentale Qualität der Ehe ablehnte, wodurch Scheidungen möglich wurden, installierte der Rat ein besonderes Ehegericht, das bald zu einem allgemeinen Sittengericht wurde – eine Vorahnung zu der juristisch ausgefeilten und theokratisch gemeinten Stadtrepublik von Genf, die der von Luther erweckte Jean Calvin ab 1541 ins Leben rief.



Luther hatte seine Geistkirche und baute im Rahmen seiner Lehre von den zwei Reichen auf die weltliche Institution, die in seinem Kurfürsten verkörpert war, um die Erbsünde der Untertanen in Schranken zu halten. Zwingli forderte eine Identität von Staat und Kirche: „Eine christliche Stadt ist nichts anderes als eine christliche Kirche, ein Christenmensch nichts anderes als ein treuer und guter Bürger.“



Der zweite Punkt des Unterschiedes bestand in der Auffassung über den Charakter des Abendmahles (katholisch Eucharistie bzw. Kommunion). Matthäus 26,26 – 28 lautet: „Nehmet, esset! Das ist mein Leib Das ist mein Blut des Bundes, das für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden.“ Luther folgerte daraus die reale Gegenwart von Leib und Blut Christi im Abendmahl. Zwingli hingegen argumentierte aus Johannes 6,63: „Der Gott ist’s, der da lebendig macht, das Fleisch ist nichts nütze.“ Das Abendmahl war also nur eine symbolische Feier, wodurch das Mysterium verschwand, an dem Luther und auch die Katholiken festhielten. Der sich hier zeigende Rationalismus war Luther ein Gräuel.



Im Oktober 1529 vermittelte Landgraf Philipp von Hessen ein Gespräch der beiden reformatorischen Kontrahenten in Marburg, doch der Dissens blieb, worüber sich die Altgläubigen diebisch freuten. Da zeigte sich einmal mehr, dass Luther in seinem Glaubensfuror aus dem Erfolg der deutschen Reformation einerseits nicht wegzudenken war, andererseits aber keinen entwickelten Sinn für politische Kombinationen hatte. Denn der hessische Landgraf Philipp hatte das Treffen von Marburg angeregt als Voraussetzung für ein umfassendes Bündnis von Hessen, dem Kurfürstentum Sachsen, der reformierten „Orte“ der Eidgenossenschaft (neben Zürich auch Basel, Schaffhausen, St. Gallen, Appenzell etc.) und der süddeutschen Städte, die zu Zwingli neigten, z. B. Konstanz. Der Landgraf dachte auch an die Mitwirkung Frankreichs und der Republik Venedig, die sich aber heraushielten. Immerhin war das eine der ersten konfessionell geprägten Bündnisideen, wie sie der abendländischen Christenheit in den nächsten Generationen noch viel zu schaffen machen sollten und der Arbeit am friedlichen Ausgleich der Glaubensinteressen das Grab schaufelten.



Da Zwingli den gerechten Krieg befürwortete, stand er auch für dessen Führung zugunsten der Durchsetzung seiner wahren Lehre gegen die altgläubigen Kantone Luzern, Zug, Uri, Schwyz und Unterwalden, um deren Angriff zuvorzukommen, nachdem diese mit König Ferdinand, dem Bruder Kaiser Karls V., eine „christliche Vereinigung“ geschlossen hatten. Die Leute vom Vierwaldstätter See waren keine dumpfen Reaktionäre, aber sie bestanden darauf, dass die unbestreitbaren Defekte der Kirche Angelegenheiten des Papstes oder eines Konzils seien. Zwingli als urbaner Zürcher wies darauf hin, dass die „Waldstätte“, die Gründungskantone von 1291, auf der Ebene der gesamt-eidgenössischen Politik einen viel zu großen Einfluss hätten. So kam es im Herbst 1531 zum Krieg, zu dem Zwingli als Vertreter der Einheit von religiösem und staatsbürgerlichem Engagement selbst einrückte, und dabei im Gefecht von Kappel (an der Grenze zwischen den „Orten“ Zürich und Zug, 11. Oktober 1531) den Tod fand.



Das war nicht das Ende seiner Reformation in Zürich, denn die Sieger verstanden sich dazu, im Friedensschluss jedem Ort seinen eigenen Glauben zu konzedieren. Zudem war Zwinglis Gedankengut schon fest eingewurzelt. Die Situation erwies sich insofern als ähnlich der nach dem Sieg Karls V. im „Schmalkaldischen Krieg“ (1546/47) gegen die deutschen Protestanten.



Die Eidgenossenschaft hätte an ihren religiösen Gegensätzen zerbrechen können; das war fürs Erste abgewendet. Aber die reformationsgeneigten oberdeutschen Städte, deren Affinität zu den für Freiheit gegenüber fürstlicher Unterdrückung stehenden Schweizern Tradition hatte und die bis 1531 zwischen Luthertum und Zwinglianismus geschwankt hatten, zumal außer der Abendmahlslehre die religiös und innenpolitisch möglichen Punkte der Kontroverse noch nicht definitiv abgegrenzt waren, zogen es nun doch vor, nach Wittenberg anstatt nach Zürich zu schauen.





Des Kaisers große Politik



An dieser Stelle ist etwas an großer und an Reichspolitik nachzuholen, denn der geistlich-geistig-kulturelle Erfolg der Reformation war ohne diese weltlichen Gegebenheiten nicht möglich, siehe wenige Jahre vorher den Schutz des Kurfürsten Friedrich für den Ketzermönch.



Kaiser Karl V. hatte die Franzosen im Februar 1525 bei Pavia besiegen lassen und dabei sogar König Franz I. gefangen genommen. Er nötigte ihm einen demütigenden Friedensvertrag ab, den dieser sofort als abgepresst aufkündigte, sobald er wieder in Freiheit war, und mit Venedig, der Republik Florenz und dem Papst, dem das kaiserliche Übergewicht in Italien nun erst recht lästig war, schnell ein Bündnis zur Wiederaufnahme des Krieges schloss (Liga von Cognac, Mai 1526).



Hatte der Kaiser 1521 Luther in die Reichsacht getan, um den damaligen Papst zum Verbündeten zu gewinnen, so war er nun dieser Rücksichtnahme frei. In solcher Situation war auch der 1526 zu Speyer abgehaltene Reichstag nicht dazu angetan, die Vollstreckung der Reichsacht voranzubringen. Gerade, dass der Kaiser sie nicht aufhob, da er die katholischen Reichsfürsten nicht verprellen wollte. Er brauchte auch diejenigen, die zur neuen Lehre hinneigten neben Philipp von Hessen und dem neuen Kurfürsten Johann von Sachsen den Neffen des alten Kurfürsten, Herzog Ernst von Lüneburg, und den Hochmeister des Deutschen Ordens, Albrecht von Hohenzollern, der der starken reformatorischen Bewegung in Ostpreußen (damals minus Ermland) nachgegeben und sich auf Luthers eigens erbetenen Rat hin zum weltlichen Herzog erklärt hatte, in dieser Eigenschaft als Lehensmann des Königs von Polen. Karl brauchte die Reichsfürsten auch, da der osmanische Sultan Süleyman „der Prächtige“ gerade seine Heeresmassen gegen das Königreich Ungarn heranwälzte und des Kaisers Bruder Ferdinand, der Österreich verwaltete, Unterstützung anforderte.





Die Reichstage von Speyer 1526 und 1529



So kam es zu Karls Konzession in Speyer, dass der Reichstagsabschied (Karl selbst weilte in Spanien) jedem Stand bezüglich des Wormser Edikts bis zu der weiterhin erhofften, allgemeinen oder nationalen Kirchenversammlung erlaubte, „so zu leben, zu regieren und es zu halten, wie er es gegen Gott und Kaiserliche Majestät zu verantworten sich getraue“.



Damit hatten die der neuen Lehre zuneigenden Landesherren einen Freibrief erhalten, bei sich neugläubige Landeskirchen einzurichten. Wie provisorisch die bleiben würden, hing von der Realisierungsmöglichkeit der angesprochenen Kirchenversammlung ab, die man sich ohne Teilnahme der Neugläubigen noch nicht vorstellen wollte.



Karls Nachgiebigkeit zahlte sich aus, da die Fürsten militärische Hilfe für Ungarn versprachen. Doch zwei Tage darauf, am 29. August 1526, verlor der ungarische König bei Mohacs gegen Süleyman Schlacht und Leben. Damit waren die bestehenden habsburgischen Erbansprüche auf Ungarn bedroht, auch Österreich selbst geriet in Gefahr.



Im Oktober 1526 hielt Landgraf Philipp zu Homberg eine Versammlung ab, die die Kirche des Landes neu ordnen sollte. Man verkündete die Einteilung in Pfarrbezirke, von denen ihr Pastor frei gewählt und auch bezahlt werden sollte, und die jährliche Abhaltung einer Synode, wo diese Pastoren mit Nicht-Pastoren aus jedem Pfarrbezirk zur Beschlussfassung zusammenkamen. Philipp mischte sich nicht ein und hieß das gut, denn damit war ein Kirchenaufbau von unten festgelegt, mit der Gemeinde als Keimzelle, wie man es für Luthers Auffassung hielt. 1527 wurde zu Marburg als Ergebnis des in Homberg verabschiedeten Bildungsprogramms eine Universität gegründet.



Luther zögerte mit seiner Zustimmung zum Aufbau der hessischen Landeskirche von unten her, einmal, weil er auch noch zögerte, eine eigene Kirchenorganisation ins Leben zu rufen, zum anderen, weil er, wenn schon dazu geschritten werden sollte, die Autorität der Fürsten dabei für unverzichtbar hielt. Die Pastoren waren von der hessischen Versammlung als „Bischöfe“ bezeichnet worden. Die vorhandenen Strukturen der überkommenen Bistümer, was die geistliche Organisation betraf, mussten ersetzt werden, was bei dem Mangel an qualifiziertem Pastoren-Personal ein ernsthaftes Problem war.



Seinen Kurfürsten bestimmte Luther, mit „Visitationen“ zu arbeiten, um die häufig dürftige Qualität der Geistlichen zu prüfen und zu verbessern, deren Verbindung mit der Seelsorge vor Ort zu festigen, den Kirchenbesitz zu inventarisieren und im Interesse des Landesherrn zu pflegen, denn seit die altgläubige Verwaltung aufgehört hatte, war da mancher Verfall zu beklagen. Die erste kursächsische Visitation dauerte von 1528 bis 1531, die Hessen folgten ihrem Beispiel, die erste Ordination von auf eine einheitliche Lehre hin ausgerichteten Pastoren fand 1535 statt. Luther hatte vom Priestertum aller Gläubigen gesprochen. Aber die Organisation von Seelsorge musste doch professionalisiert werden, damit Luthers Botschaft sich in dem erwünschten Ausmaße und zur Hebung des christlichen Bewusstseins im Volke verfestigte. Nur dass die Professionalisierung, wie sie dann in den Kirchenordnungen vorgeschrieben wurde, zu ihrer Krönung nicht mehr des Sakramentes der Priesterweihe bedurfte.



Die mit dem Bild einer evangelischen Kirchenordnung zu verbindenden Einrichtungen eines Konsistoriums als einer vom Landesherrn eingerichteten, kirchlichen Verwaltungs- und Justizbehörde oder eines Superintendenten für einen bestimmten Kirchenbezirk kamen erst nach dem Augsburger Religionsfrieden (1555) auf. In anderen evangelisch gewordenen Fürstentümern wie Lüneburg, Anhalt, der Markgrafschaft Ansbach, der Grafschaft Ostfriesland, den Herzogtümern Schleswig und Holstein sowie in Mecklenburg wurden ebenfalls Visitationen durchgeführt, auf deren Grundlage man Kirchenordnungen erließ.



Die Monate März und April 1529 sahen einen Reichstag, wiederum in Speyer. Karl V. hatte inzwischen in dem ihm durch die Liga von Cognac (siehe oben) aufgezwungenen Krieg große Erfolge errungen, wenn auch sein abschließender Sieg bei Landriano (Juni 1529, zwischen Pavia und Mailand) sowie der Friede von Cambrai (August 1529) noch ausstanden. Des Kaisers bekanntester Erfolg war der Einmarsch seiner Landsknechte in Rom gewesen (Mai 1527), mit darauf folgender grauenhafter Plünderung, die derart wirkte, dass auch schon behauptet wurde, das spätere, im Unterschied zum frivolen Renaissance-Treiben viel strengere, wenn nicht gar düstere Rom der Gegenreformation hätte aus dieser Verwüstung seinen Ursprung genommen.



Das Vergnügen der protestantischen Landsknechte an derlei Vandalismus war die eine Sache; die wichtigere andere Sache war, dass der Kaiser den Papst nun politisch entmachtet hatte und deshalb versuchen konnte, die Glaubens-Abtrünnigen in Deutschland aus eigener Initiative zum altgläubigen Gehorsam zurückzuzwingen, also die kirchlichen Zustände, die Frage von Reform und eventuellem Konzil, seinem eigenen Willen zu unterwerfen und damit seinen Vorgänger Sigmund und dessen Konzil von Konstanz zu übertrumpfen.

 



Auf dem Reichstag hatten die altgläubigen Fürsten eine Mehrheit, und natürlich wurden sie unterstützt von den geistlichen Fürsten. Die Konzession von Speyer 1526 sollte widerrufen werden, die Sympathisanten Zwinglis unter den Reichsständen (den Reichsstädten) waren sowieso ausgeschlossen. Dagegen protestierten, und von da leitet sich seitdem das Etikett „Protestanten“ her, Hessen, Kursachsen, Lüneburg, Anhalt und Ansbach. Zu ihnen standen viele Reichsstädte, auch altgläubig gebliebene, weil Speyer 1526 die ko