Bionik II

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Flugproblemen zu finden. Die Natur war für ihn stets Vorbild, wie es auch seine

künstlerischen Studien beweisen. Ausgangspunkt war zunächst die Beobach-

tung von Flugfrüchten und Blättern. Er untersuchte deren Aufbau, experimen-

tierte und gelangte zu prinzipiellen physikalischen Erscheinungen. Er fertigte

Zeichnungen von seinen Fluggeräten an. Für das Experimentieren baute er mit

Ausdauer und Beharrlichkeit Messgeräte für das Ermitteln von Windstärke und

Windrichtung. Bei seinen Experimenten erkannte Leonardo gleiche Strömungs-

gesetzmäßigkeiten bei Wasser und Wind. In diesem Zusammenhang formulierte

er: „Die Wissenschaft der Winde erkennen wir an Hand der Bewegungen des

Wassers, und eine solche Wissenschaft gibt uns den Maßstab für das Verhalten

von Flugkörpern in Luft und Wind.“

Leonardo stellte fest, dass Winde, nach Art der Strömungen in den Flüssen,

Strudel und Wirbel bilden. Sie haben daher gleiche dynamische Gesetzmäßig-

keiten, deren Kenntnis die wahre Beherrschung der Luft ermöglicht. Fallschirm,

Helikopter und Gleitflugzeug sind daher einige von vielen Ergebnissen seines

tiefen Naturverständnisses und seiner ausgeprägten Erfindungsgabe.

Leonardos Skizzen mit Naturstudien und davon abgeleitete Flugapparate

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Die Erfindung des Fallschirmes

Im Jahre 1495 erfand Leonardo den Fallschirm. Leonardo hielt sich zu dieser Zeit in

Florenz auf. Man hatte ihn als Berater für den Bau des großen Versammlungssaales

im Palazzo Vecchio herangezogen. Nebenbei beschäftigte sich der wissbegierige

Leonardo mit der Erfindung einer technischen Lösung zum Absprung aus größeren

Höhen, ohne dabei Knochenbrüche und andere Verletzungen zu erleiden.

Die Frage, wie man von Gebäuden springen kann, ohne sich zu verletzen, erforderte

ein wirksames technisches Gerät.

Aber wie sollte es aussehen und funktionieren?

Dieses Problem

müsste sich doch

auf irgend eine Art

lösen lassen.

Leonardo

überlegte ...

Leonardo zeichnete und beschrieb deren

Aufbau. Dabei erkannte er, das Prinzip

des langsamen Sinkens durch den

Luftwiderstand. „Eine größere Fläche

erzeugt genügend Luftwiderstand, um

langsam zu Boden zu sinken ... Vom

Haarschirm der Löwenzahnfrucht leitete

er entsprechende Lösungen ab und

beschrieb ihre Wirkung im Luftstrom.

Leonardo fertigte aus Pergament kleinere Modelle an und

überprüfte deren Verhalten beim Sinken.

Vom Bild

der Löwen-

zahnfrucht

entstand so

durch Verän-

derung ihrer

Merkmale die

Lösung des

Fallschirms.

Leonardo fragte sich, ob es ähn-

liche Lösungen gibt, bei denen

Gegenstände aus Höhen ohne

Schaden unten angelangten, Er

orientierte sich dabei an den

Lösungen aus der Natur, wie die

Fallschirmfrüchte des Löwen-

zahns, solche von Disteln und

gleitenden Blättern im Wind.

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Den Fallschirm soll Leonardo durch die Beobachtung der in der Luft sanft zu

Boden schwebenden Löwenzahnfrucht entwickelt haben. Er wollte damit das

Problem lösen, wie ein Mensch einen Sturz aus einer Höhe überleben könnte.

Durch Untersuchung des Fruchtaufbaus und durch Experimentieren erkannte

er die Funktion der einzelnen Teile, auch Elemente genannt.

Dabei kopierte Leonardo nicht die Löwenzahnfrucht, sondern setzte das ihr

zugrunde liegende Prinzip in diejenigen Größenverhältnisse und Materialien

um, damit ein Mensch gefahrlos zu Boden sinken konnte. Sein Fallschirm hatte

die Gestalt einer Pyramide.

So folgerte er: „Wenn ein Mensch einen Pavillon [gemeint ist hier: Fallschirm]

aus dichter Leinwand hat, 12 Ellen breit und 12 hoch, wird er sich aus jeder Höhe

herunter werfen können, ohne Schaden zu nehmen.“

In der Fallschirmspitze brachte er eine nach unten führende Stange an, um

die Stabilität des Schirmes zu erhöhen und die Halteleinen zu befestigen.

Um 1500 entwarf Leonardo auch einen Helikopter. Dieser Flugapparat

bestand aus einer spiralförmigen Luftschraube, die sich durch Ziehen von

Schnüren bewegen ließ. Angeblich hatten ihn die spiralförmigen Früchte

des Schneckenklees dazu angeregt. Das Spiralschraubenprinzip entwickelte

schon Archimedes von Syrakus (285–212 v. Chr.), ein griechischer Gelehrter

und Erfinder. Er erfand eine technische Lösung zur Bewässerung von Feldern

mit Hilfe einer Wasserschnecke, die auch „Archimedische Schraube“ genannt

wurde.

Leonardos Helikopter drehte sich mit der Spiralschraube in die Luft hinein,

ähnlich wie eine Schraube immer tiefer in das Holz eindringt. Diese Schraube

wurde mit einer Schnur in schnelle Bewegung versetzt, so dass sie wie ein ho-

rizontal positionierter Propeller in die Luft ging. Die Spiralschraube hatte einen

Die Elle ist eine alte Längenmaßeinheit. Sie wurde ursprünglich von der Länge

des Unterarmes abgeleitet. Damit ist der Abstand zwischen Ellbogen und

Mittelfingerspitze eines ausgewachsenen mittelgroßen Mannes gemeint.

Die Elle hat eine Länge von etwas über einen halben Meter.

Elle

i

14

Radius von 4,80 Metern, war mit Leinentuch bespannt und besaß einen metall-

verstärkten Rand zur Stabilisierung.

Leonardo beschrieb sie so: „Wenn dieses schraubenförmige Instrument gut

gemacht ist, nämlich aus Leinwand, deren Poren mit Stärkekleister gedichtet

sind, und wenn es dann schnell gedreht wird, so wird diese Schraube sich in der

Luft empor schrauben und aufsteigen.“

Da Leonardo sich auch mit den Strömungseigenschaften des Wassers befasste

und von der Archimedischen Schraube wusste, könnte er deren Aufbau auch mit

in die Vorüberlegungen einbezogen haben. Die Ähnlichkeiten in der konstruktiven

Vom Schneckenklee zum Hubschrauber

Flugfrucht des Schneckenklees

Luftschrauber

Eine der Bewegungsrichtung entgegen

wirkende Kraft, die von der Geschwindigkeit

des bewegten Körpers, seiner Gestalt und

Oberflächenbeschaffenheit abhängt.

Je schneller der Radfahrer fährt,

umso höher ist der Luftwiderstand.

i

Luftwiderstand

15

Gestalt von Schneckenklee, Archimedischer Schraube und Helikopter sprechen für

sich. Beim Entwurf des Gleitflugzeuges ist jedoch sicher, dass Leonardo Studien an

Blättern im Gleitflug durchführte. Prinzipielle Gleitflugversuche stellte er dazu mit

Papierbögen an. Leonardo wurde dadurch klar, dass der Luftwiderstand von der

Größe der angeströmten Fläche abhing.

Leonardos Denk- und Handlungsprozess

Leonardo da Vinci

(1452–1519)

Leonardo–Gleiter von 1495

als Modellnachbau

Problem:

Fliegen?

Prinzip des Gleitens

1

Bio

 

logisches Vorbild:

Fallendes Laubblatt und

dessen Untersuchung

2

Modell des

Naturvorbildes

(Wesentliches)

3

Abgeleitetes

technisches

Modell im

Expreiment

4

Umsetzung in

die technische

Lösung

Auftriebskraft

Schwerkraft

Modellübertragung

16

Für sein Gleitflugzeug existiert jedoch keine Zeichnung, aber in seinen Abhand-

lungen eine genaue Beschreibung. Als Herstellungsmaterialien sollten Bambusrohr

und Leinwand verwendet werden. Unter den mit einer Spannweite von 10 Meter

großen Flügel wurde ein Rohr hängend angebracht, in dem der Luftschiffer liegend

Platz haben sollte. Leonardo erkannte außerdem, dass bei der Konstruktion des

Fluggerätes der Luftwiderstand gering gehalten und bei der von Fallschirmen

dagegen möglichst groß sein muss, um langsam zu sinken.

Leonardo war durch seine Erfindungen und Entdeckungen seiner Zeit weit

voraus.

Seine Denk- und Handlungsweise ist für das bionische Vorgehen typisch: Vom

Vorbild der Natur zum Prinzip und von da aus zur technischen Lösung.

Leonardo drang durch seine Forschungen, gepaart mit wissenschaftlicher

Neugier in die Geheimnisse der Natur und des Fliegens ein. Es gelang ihm aber

in seiner Zeit nicht, daraus eine umfassende Theorie zu entwickeln.

In unserer Zeit wurden einige Flugapparate von da Vinci nach seinen Vorlagen

nachgebaut. Einige funktionierten, andere wiederum nicht.

Prinzip des Strömungsprofils

Prinzip des Strö-

mungsprofils im

Querschnitt der

Brustflosse des

Kofferfisches

1

,

des

Flügels der Ahorn-

frucht

2

sowie

des Libellen-

3

und

Kolibriflügels

4

.

F

A

Auftriebskraft

F

G

Gewichtskraft

1

4

2

3

F

A

F

G

17

Viele Probleme, an denen Flugzeugkonstrukteure und Ingenieure heute arbeiten

und nach Lösungen suchen, hat die Natur längst mit Erfolg auf ihre Weise gelöst.

Als der menschliche Erfindergeist Gleitflugzeuge und Hubschrauber entwickelte

und baute, existierten diese schon seit Jahrmillionen in Form von Flugsamen

und Flugfrüchten in der Natur.

In den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen der Flugzeugindustrie könnte

eine Menge Entwicklungsaufwand gespart werden, würden die Konstrukteure

und Ingenieure die lebende Natur noch systematischer und zielgerichteter als

Ideenquelle nutzen.

Sie können dabei von der Tatsache ausgehen, dass trotz unterschiedlicher

Größenverhältnisse und Materialien in Natur und Technik, doch die gleichen

Kräfte wirken. Dadurch ist es nicht verwunderlich, dass unterschiedliche Arten

von Tieren und Pflanzen einen ähnlichen Aufbau aufweisen. So finden wir bei-

spielsweise an Flossen und Flügeln, zur Fortbewegung in den Bereichen Wasser

und Luft, eine verdickte Vorderkante, die das Querschnittsprofil bildet. Sie ist bei

der Frucht des Löwenzahns, beim Vogelflügel, bei den meisten Insektenflügeln

und sogar in den Brustflossen von Fischen und Meeressäugern vorhanden.

Alle diese Lebewesen können dadurch den Auftrieb in der Luft und im Was-

ser positiv beeinflussen, um die Wirkung der Schwerkraft zu überwinden. Beim

Insektenflügel, der eigentlich eben ist, wird das Profil durch die Flügelfaltung

in Längsrichtung und die anströmende Luft gebildet. Die Luft erzeugt in den

Faltentälern des Flügels so genannte Wirbelwalzen, die das Flügelprofil bilden.

Als Auftrieb wird allgemein das Emporsteigen eines

Körpers entgegen der Schwerkraft durch

Druckunterschiede an seiner Ober- und Unterseite

bezeichnet. So herrscht infolge der hohen

Strömungsgeschwindigkeit an der Oberseite des

Flügels ein Unterdruck (Sog) und an der Unterseite

ein Überdruck. Diese Druckunterschiede ergeben

den Auftrieb F

A

.

Auftrieb

i

F

A

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