Handbuch des Strafrechts

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

6. Ursachen- und Zurechnungszusammenhang

70

Zwischen dem Erpressungsmittel (Nötigung), der Vermögensverfügung des Genötigten und dem Erpressungserfolg (Vermögensnachteil) muss eine kausale Beziehung bestehen.[196] Das Opfer muss also gerade durch die Drohung oder die Anwendung von Gewalt zu seinem vermögensschädigenden Verhalten genötigt werden und gerade durch die vorgenommene Vermögensverfügung muss der Vermögensschaden eintreten.[197] Einzelfragen zur Kausalität lassen sich hier durch einen Rückgriff auf die zur Anstiftung entwickelten Grundsätze lösen, weil der Erpresser sein Opfer „anstiften“, d.h. dazu bestimmen will, an der Vollendung der Erpressung mitzuwirken („notwendige Teilnahme“).[198] Im Gegensatz zum Raub ist die Notwendigkeit eines solchen Kausalzusammenhangs bei der Erpressung völlig unstreitig. Die Kausalität muss allerdings bei der Erpressung objektiv vorliegen,[199] während sie beim Raub von der h.M. nur auf subjektiver Ebene im Wege einer Finalität des Handelns verlangt wird.[200] An der Kausalität fehlt es aber, wenn das Opfer auch ohne die Nötigung zur vermögensschädigenden Verfügung bereit war.[201] Dagegen schließt ein weiteres Motiv des Opfers, z.B. durch die tatsächliche Leistung den Täter später überführen zu können, die Kausalität nicht aus.[202] Anders ist es hingegen, wenn die Überführung des Täters das einzige Motiv des Opfers für seine Vermögensverfügung darstellt.[203] Gibt ein Bankmitarbeiter bei einem Banküberfall das Geld lediglich aufgrund einer bankinternen Anweisung heraus, schließt dies die Kausalität jedoch nicht aus.[204] Gleiches gilt für den Fall, dass das Opfer zwar auf Empfehlung der Polizei zahlt, es aber trotz Einschaltung der Polizei weiterhin die Verwirklichung der Drohung fürchtet und dies für ihn mitbestimmend ist.[205] An der Kausalität kann es hingegen fehlen, wenn der Täter ursprünglich einen bestimmten Gegenstand erlangen wollte, es im weiteren Verlauf jedoch zur Erlangung eines ganz anderen Gegenstandes kommt.[206]

7. Sonderfall: Die Dreieckserpressung

71

Genötigter und Geschädigter brauchen bei der Erpressung nicht identisch zu sein.[207] Dies ergibt sich daraus, dass das Gesetz darauf abstellt, dass infolge der Nötigung dem Vermögen „des Genötigten oder eines anderen“ ein Nachteil zugefügt werden muss. Die Lage entspricht somit auch hier derjenigen des Betruges, § 263 StGB, bei dem Getäuschter und Geschädigter ebenfalls nicht identisch sein müssen. Wie bei § 263 StGB ist aber auch bei § 253 StGB ein Näheverhältnis des Genötigten zum geschädigten Drittvermögen zu verlangen, welches dem Genötigten die Möglichkeit verschafft, über das Vermögen des anderen zu verfügen.[208] Der BGH[209] hat dieses Näheverhältnis dahin präzisiert, „daß das Nötigungsopfer spätestens im Zeitpunkt der Tatbegehung auf der Seite des Vermögensinhabers“ stehen muss. Für diese Dreieckserpressung sei charakteristisch, „daß der Täter die von einem Dritten im Interesse des Vermögensinhabers wahrgenommene Schutzfunktion aufhebt“.[210] Ein Näheverhältnis liegt jedenfalls dann vor, wenn der Dritte rechtlich dazu befugt ist, über das Vermögen des Geschädigten zu verfügen. Darüber hinaus reicht es aber auch aus, wenn der Dritte eine faktische Verfügungsbefugnis infolge einer Sonderbeziehung zum Vermögen des Geschädigten besitzt.[211] Dies ist immer dann gegeben, wenn der Genötigte zum Schutz des Vermögensinhabers tätig wird oder gar rechtlich verpflichtet ist, ihm beizustehen (z.B. eine Garantenstellung besitzt).[212] Er muss also, wie dies aus der vergleichbaren Diskussion beim Betrug bekannt ist, in dessen „Lager“ stehen.[213] Unstreitig liegt daher eine Dreieckserpressung vor, wenn der Täter einen Bankangestellten unter Anwendung von Gewalt oder Drohungen dazu zwingt, den Tresor zu öffnen und ihm das Geld in eine Tüte zu packen und zu übergeben. Denn hier erleidet nicht der Angestellte persönlich, sondern „die Bank“ einen Vermögensnachteil. Da der Angestellte aber auf der Seite der Bank steht, liegt eine Erpressung vor.[214] Anders stellt sich die Situation dar, wenn der Täter nicht einen Bankangestellten, sondern einen Passanten mit Waffengewalt dazu zwingt, in eine Bank einzubrechen, den Tresor zu öffnen und ihm das Geld in eine Tüte zu packen und zu übergeben. Denn der genötigte Passant steht nicht auf Seiten der Bank, sondern wirkt, wenn auch unter Druck, als Beteiligter an der Vermögensstraftat (hier: dem Einbruchsdiebstahl) mit. Je nach Stärke des Drucks ist der Passant durch einen Nötigungsnotstand entschuldigt und es läge ein Fall der mittelbaren Täterschaft (eines Einbruchsdiebstahls) vor. Wird die Polizei eingeschaltet, um in Erfüllung ihrer Aufgaben anstelle des Geschädigten die Vermögensverfügung vorzunehmen, wurde hingegen ein Näheverhältnis bejaht.[215]

72

Nach h.M. sind auf die Dreieckserpressung die Regeln des Dreiecksbetrugs entsprechend anzuwenden.[216] Dabei sind nach der vom BGH vertretenen Ansicht, die bei § 253 StGB auf eine Vermögensverfügung verzichtet, die Regelungen zum Dreiecksbetrug, insbesondere zum Näheverhältnis, teilweise zu modifizieren, was nach der hier vertretenen Ansicht, die bei § 253 StGB eine Vermögensverfügung fordert, nicht erforderlich ist. Eine Spielart des Näheverhältnisses ist die Sympathiebeziehung zwischen dem Vermögensinhaber und dem Genötigten.[217]

73

Andererseits müssen aber Genötigter und Verfügender identisch sein.[218] Wird ein Dritter bedroht, um von einem anderen eine Vermögensverfügung zu erzwingen, liegt eine Erpressung nur dann vor, wenn der zu einer Verfügung Genötigte die Drittbedrohung selbst als Übel empfindet (und sich daher die Drohung als solche gleichzeitig auch gegen den Verfügenden richtet).[219] Dies ist in der Regel dann unproblematisch, wenn der Täter eine dem Verfügenden nahestehende Person bedroht, also z.B. eine Waffe an den Kopf des Kindes hält, um von der Mutter die Herausgabe von Wertsachen zu erreichen. Es muss sich bei den Dritten aber nicht zwingend um nahestehende Personen handeln. So kann es z.B. auch ausreichen, wenn der Täter in einer Bank einen Kunden mit einer Waffe bedroht und vom Bankangestellten das Öffnen des Tresors und die Herausgabe des Geldes fordert. Empfindet der Bankangestellte hier das Drohen gegenüber dem Kunden auch selbst als Drohung, so liegt eine räuberische Erpressung, §§ 253, 255 StGB, vor. Auf diese Weise kann das Dreieck also auch zu einem „Viereck“ werden, welches aber in Wahrheit nur ein scheinbares ist, da es letztlich nur darauf ankommt, ob der Verfügende die Bedrohung des Dritten selbst als Übel empfindet.

8. Der subjektive Tatbestand

74

Der subjektive Tatbestand erfordert neben dem allgemeinen Vorsatz hinsichtlich des Vorliegens sämtlicher objektiver Tatbestandsmerkmale eine besondere Bereicherungsabsicht.

a) Vorsatz

75

Der Vorsatz muss sich – wie auch sonst – auf das Vorliegen sämtlicher objektiver Tatbestandsmerkmale erstrecken, wobei ein bedingter Vorsatz jeweils ausreicht.[220] Der Täter muss also wissen, dass er durch sein Verhalten Gewalt anwendet oder dem Opfer droht bzw., dass das Opfer sein Verhalten als Drohung empfindet. Dies wird meist unproblematisch sein. Darüber hinaus muss er wissen oder es zumindest für möglich halten, dass das Opfer durch die Gewaltanwendung oder Drohung zu einem Verhalten genötigt wird, welches nicht seinem freien Willen entspricht und welches das Opfer ohne das Verhalten des Täters nicht vorgenommen hätte. Im Hinblick auf die Drohung reicht es aus, dass der Täter es für möglich hält, dass das Opfer an die Ernstlichkeit der Drohung glaubt und dadurch zu seinem Entschluss bestimmt wird.[221] Auch muss der Täter den Vorsatz haben, das Opfer (oder einen Dritten) in seinem Vermögen zu schädigen.[222] Es ist allerdings zu beachten, dass dieser Schädigungsvorsatz bereits zum Zeitpunkt der Gewaltanwendung bzw. dem Ausspruch der Drohung bestehen muss.[223] Ferner muss der Täter das Nötigungsmittel gerade zu dem Zweck einsetzen, die Vermögensverfügung beim Opfer herbeizuführen, insoweit ist also eine Finalität des Handelns erforderlich.[224] Außerdem muss sich der Vorsatz auch auf den Ursachen- und Zurechnungszusammenhang beziehen.[225] Dabei entfällt der diesbezügliche Vorsatz jedoch nicht deshalb, weil der Täter weniger Geld erbeutet als ursprünglich geplant.[226]

b) Bereicherungsabsicht

76

Da es sich bei der Erpressung um ein Vermögensverschiebungsdelikt handelt, ist die bloße Nachteilszufügung nicht ausreichend. Der Täter muss vielmehr handeln, „um sich oder einen Dritten zu Unrecht zu bereichern“. Die angestrebte Bereicherung ist also für die Vollendung der Tat nicht erforderlich, sie muss allerdings das Tatziel sein, es handelt sich insoweit um ein sog. „kupiertes Erfolgsdelikt“.[227] Einer Vollendung der Erpressung steht es also nicht entgegen, wenn das Opfer das erpresste Geld auf den Postweg gibt (im Moment der Absendung ist der Vermögensschaden eingetreten) und das Geld während dem Transport verloren geht.[228] § 253 StGB fordert dabei gerade die Absicht rechtswidriger Bereicherung. Die Voraussetzungen decken sich hier mit denjenigen des Betruges, § 263 StGB.[229]

 

77

Der Täter muss also zum Zeitpunkt der Tatbegehung (d.h. bei Einsatz des Nötigungsmittels)[230] jedenfalls irgendeine (materielle) Bereicherung im Sinne einer günstigeren Gestaltung der Vermögenslage erstreben. Eine solche kann bereits in einer bloßen Besitzerlangung,[231] dem Erhalt eines Kredits oder in der Erteilung eines gewinnbringenden Auftrags gesehen werden.[232] Allerdings wurde die Nötigung zum Abschluss eines wirtschaftlich ausgeglichenen Vertrages nicht als Vermögensvorteil angesehen,[233] was jedenfalls dann zweifelhaft ist, wenn der Vertrag eine (im üblichen Rahmen liegende) Gewinnspanne für den Nötigenden enthält. Keine Bereicherung soll auch in der bloßen Besitzerlangung einer Sache zum Zweck der Vernichtung derselben liegen.[234] Auch wer eine Sache (wie z.B. ein Mobiltelefon) einem anderen abnötigt, um diesen damit in eine hilflose Lage zu bringen, soll keine Bereicherung anstreben.[235] Der BGH lehnte es ferner ab, dem Standplatz einer Prostituierten einen Vermögenswert zuzusprechen.[236] Unzutreffend ist es hingegen, wenn der BGH[237] auch dem abgenötigten Geschlechtsverkehr mit einer Prostituierten einen Vermögenswert abspricht.[238] Wie beim Betrug scheidet eine Erpressung aber in denjenigen Fällen aus, in denen durch die Nötigung nur ein staatlicher Bußgeldanspruch oder eine vergleichbare staatliche Sanktion abgewendet werden soll.[239]

78

Problematisch ist eine solche (beabsichtigte) Bereicherung dann, wenn der Täter vorhat, die Vermögensgegenstände unmittelbar nach der Tat wieder zurückzugeben,[240] der Polizei auszuhändigen[241] oder zu vernichten.[242] Hier kommt es darauf an, ob der Täter die Vermögensgegenstände wenigstens kurzzeitig für einen bestimmten vermögensrechtlich relevanten Zweck benutzen möchte, z.B. wenn er die Herausgabe eines Autos erpresst, um dieses kurzfristig als Transportmittel zu verwenden.[243]

79

Der Täter muss ferner handeln, „um sich oder einen Dritten zu Unrecht zu bereichern“. Die Absicht muss somit auf eine rechtswidrige Bereicherung gerichtet sein. Trotz der unterschiedlichen Formulierung entspricht § 253 StGB auch in diesem Punkt der Regelung in § 263 StGB („sich […] einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen“).[244] Wer einen materiell-rechtlich existierenden Anspruch mit (unerlaubten) Nötigungsmitteln durchsetzt, macht sich demnach nicht wegen einer Erpressung strafbar,[245] da, wie auch beim Betrug, der eingetretene Vermögensvorteil hier durch den Wegfall der Forderung kompensiert wird. Allerdings wird es in diesen Fällen zumeist schon an einem Vermögensschaden des Opfers fehlen, sodass bereits der objektive Tatbestand nicht vorliegt. Dies gilt zumindest dann, wenn das Opfer zur Zahlung eines Geldbetrages genötigt wird und dadurch seine bestehende Zahlungsverpflichtung zivilrechtlich erlischt.[246] Jedenfalls macht die mit Nötigungsmitteln durchgesetzte Forderung den begehrten Vermögensvorteil nicht alleine wegen der Art und Weise seiner Durchsetzung rechtswidrig.[247] Trotz der Rechtmäßigkeit des Ziels (Befriedigung des materiell-rechtlichen Anspruchs) kann das hierzu eingesetzte Druckmittel zwar unerlaubt sein, es greift dann aber nicht § 253 StGB, sondern (lediglich) § 240 StGB.

80

Entscheidend ist, dass sich die Rechtswidrigkeit der Bereicherung – obwohl Bestandteil des subjektiven Tatbestandes – ausschließlich nach objektiven Kriterien und nicht nach dem Wissen und Wollen des Täters bestimmt. Dabei hat das Strafgericht diese Rechtswidrigkeit eigenständig zu prüfen, ist also nicht etwa an die Einschätzung des Zivilgerichts gebunden.[248] Allerdings muss der Täter auch und gerade hinsichtlich dieser Rechtswidrigkeit vorsätzlich handeln. Wer fälschlicherweise glaubt, einen Anspruch zu haben, unterliegt einem vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum.[249] Der BGH führt diesbezüglich – im Hinblick auf zugrunde liegende sitten- oder gesetzeswidrige Geschäfte (Drogenverkauf) – allerdings aus, ein solcher Tatbestandsirrtum liege nicht vor, wenn sich der Täter nur „nach den Anschauungen der einschlägig kriminellen Kreise als berechtigter Inhaber eines Zahlungsanspruchs gegen das Opfer“ fühlt[250] und daher weiß oder es jedenfalls für möglich hält und billigend in Kauf nimmt, dass er die „Forderung“ auf rechtlichem Wege nicht durchsetzen kann. Auf der anderen Seite stellt der BGH in einer weiteren Entscheidung, die einen (vermeintlichen) Anspruch aus Drogengeschäften betraf, fest: „Da bei der Erpressung die Rechtswidrigkeit des erstrebten Vermögensvorteils ein normatives Tatbestandsmerkmal ist, liegt auch bei rechtlich falscher Beurteilung des dem Täter bekannten wahren Sachverhalts ein den Vorsatz ausschließender Tatbestandsirrtum vor“.[251] Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass in denjenigen Fällen, in denen der Täter mit der Möglichkeit rechnet, dass ein entsprechender Anspruch nicht besteht oder ein bestimmter schuldrechtlicher Anspruch von der Rechtsordnung nicht toleriert wird, und er dies auch billigend in Kauf nimmt, ein jedenfalls bedingter Vorsatz vorliegt.[252] Dieser aber reicht hier aus, sodass in diesen Fällen ein Tatbestandsirrtum ausscheidet.[253] Wer andererseits irrtümlich glaubt, einen rechtswidrigen Anspruch durchzusetzen, der aber in Wirklichkeit der materiell-rechtlichen Rechtslage entspricht, begeht – je nachdem ob er über tatsächliche Umstände oder die rechtliche Bewertung irrt – entweder einen untauglichen Versuch oder ein Wahndelikt.

81

Problematisch sind ferner diejenigen Fälle, in denen der Täter gewaltsam einen Anspruch gegen das Opfer durchsetzen will, welcher aber infolge Sitten- oder Gesetzeswidrigkeit des Grundgeschäfts nichtig ist (z.B. eine mit Nötigungsmitteln erlangte Bezahlung einer Forderung aus einem Drogenverkauf nach der Lieferung der Ware). Mangels Durchsetzbarkeit der Forderung sieht der BGH hierin eine ungerechtfertigte Bereicherung und daher eine (räuberische) Erpressung.[254] Damit setzt er sich aber in einen gewissen Widerspruch zum umgedrehten Fall der erpressten Rückforderung bereits gezahlter Beträge. Bezahlt nämlich der Käufer von Drogen diese und erhält er daraufhin die Ware nicht, besitzt er zivilrechtlich keinen Anspruch auf Rückforderung des Geldes. Setzt er die Rückzahlung des Geldes nun mit Nötigungsmitteln durch, soll es nach Ansicht des BGH an der Absicht, sich rechtswidrig zu bereichern, fehlen.[255]

82

Geschützt ist auch der Besitz nach § 861 BGB. Nicht strafbar ist demnach die durch einen Dieb mit Gewalt erpresste Rückgabe des ihm von einem Dritten entwendeten Diebesgutes,[256] weil auch der Dieb gegenüber dem Dritten, ungeachtet der Fehlerhaftigkeit seines Besitzes gemäß § 861 Abs. 1 BGB, einen Anspruch auf Wiedereinräumung des Besitzes hat. Darauf, dass sein Besitz an dem Diebesgut ebenfalls fehlerhaft i.S.d. § 858 Abs. 2 S. 1 BGB gewesen war, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an, denn auch der Dieb genießt gegenüber Dritten Besitzschutz.[257] Geht man von einem wirtschaftlichen Vermögensbegriff aus, so muss aber an sich nicht allein das Bestehen oder Nichtbestehen eines materiell-rechtlichen Anspruches, sondern auch die Möglichkeit von dessen Durchsetzbarkeit mit berücksichtigt werden. Dies wird in denjenigen Fällen relevant, in denen sich der Täter durch sein nötigendes Verhalten bessere Möglichkeiten zur Durchsetzung seines Anspruchs verschafft: Derjenige, der einen anderen dazu nötigt, seine Unterschrift unter einen Wechsel[258] oder ein Schuldanerkenntnis zu setzen, weil er den ihm materiell-rechtlich zustehenden Anspruch sonst nicht beweisen kann, erhöht die Chancen der Durchsetzbarkeit des Anspruchs (oder ermöglicht diese überhaupt erst), was den wirtschaftlichen Wert der Forderung steigert.[259] Entgegen dem BGH[260] muss dies für die Rechtswidrigkeit der Bereicherung daher ausreichen.[261]

83

Die angestrebte Bereicherung muss, wie auch beim Betrug, § 263 StGB, mit dem eingetretenen Vermögensschaden stoffgleich sein.[262] Der erstrebte Vermögensvorteil auf der einen Seite muss also dem entstandenen Vermögensnachteil auf der anderen Seite spiegelbildlich entsprechen und auf derselben Verfügung beruhen. Hieran fehlt es z.B., wenn der Täter vom Opfer einen Gegenstand „als Pfand“ dafür herausverlangt, dass das Opfer seine bei ihm bestehenden Schulden bezahlt[263] oder ihm die tatsächlich geschuldete Sache herausgibt.[264] Sie fehlt auch dann, wenn jemand mit Nötigungsmitteln eine Schädigung fremden Vermögens erreicht, damit er von einem Dritten hierfür belohnt wird.[265] Ferner liegt eine Stoffgleichheit nicht vor, wenn von einem anderen die Nutzungsmöglichkeit einer Wohnung erpresst wird, wobei es dem Täter nicht darauf ankommt, die entsprechende Miete nicht bezahlen zu müssen, sondern er vielmehr in der Wohnung gewinnbringende Drogengeschäfte abwickeln möchte.[266]

84

Schließlich muss der Täter hinsichtlich der stoffgleichen Bereicherung absichtlich handeln. Unter Absicht ist auch hier ein zielgerichtetes Handeln im Sinne eines dolus directus zu verstehen.[267] Es muss dem Täter also gerade auf die stoffgleiche Bereicherung ankommen. Dagegen reicht im Hinblick auf die Rechtswidrigkeit des erstrebten Vorteils dolus eventualis aus.[268]

9. Die Rechtswidrigkeit

85

Auf der Ebene der Rechtswidrigkeit kommen in erster Linie die allgemeinen Rechtfertigungsgründe zum Tragen. Das Fehlen dieser Rechtfertigungsgründe reicht jedoch für die Annahme des Unrechts der Tat noch nicht aus. Hinzukommen muss noch die positive Feststellung der Rechtswidrigkeit auf der Grundlage der in § 253 Abs. 2 StGB normierten sog. „Verwerflichkeitsklausel“. Insoweit handelt es sich bei der Erpressung, wie schon bei der Nötigung, § 240 StGB, um einen sog. „offenen Tatbestand“.[269] Die Erfüllung des Tatbestandes indiziert die Rechtswidrigkeit des Verhaltens ausnahmsweise nicht, vielmehr muss diese nach den Grundsätzen des § 253 Abs. 2 StGB (Verwerflichkeitsprüfung; Zweck-Mittel-Relation) konkret festgestellt werden. Hinsichtlich der systematischen Stellung dieser „Verwerflichkeitsfeststellung“ als Teil der Rechtswidrigkeit kann wiederum auf die Diskussion zu § 240 StGB verwiesen werden.[270] Die Verwerflichkeitsprüfung ist erst dann anzustellen, wenn festgestellt wurde, dass allgemeine Rechtfertigungsgründe nicht eingreifen. Es wäre nämlich auch im Rahmen der Erpressung unangebracht, ein Verhalten durch einen allgemeinen Rechtfertigungsgrund zu rechtfertigen, wenn zuvor die Verwerflichkeit des Verhaltens nach § 253 Abs. 2 StGB festgestellt worden wäre. Andererseits wäre es auch nicht sinnvoll, die Frage des Vorliegens eines Rechtfertigungsgrundes in die Verwerflichkeitsprüfung zu integrieren.

86

Diese Verwerflichkeit (i.S. eines gesteigerten Unrechts) liegt nach § 253 Abs. 2 StGB dann vor, „wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist“. Dies zu bestimmen fällt bei der Erpressung allerdings wesentlich leichter als bei der Nötigung: Weil der Erpresser ein unerlaubtes Ziel (die rechtswidrige Bereicherung) verfolgt, liegt der mangelnde Konnex zwischen dem Zweck und dem Mittel meist auf der Hand. Die Fälle, auf die § 240 Abs. 2 StGB eigentlich gemünzt ist (Verwerflichkeit trotz eines erlaubten Zwecks infolge des Einsatzes eines inadäquaten Mittels), treten bei § 253 Abs. 2 StGB trotz wörtlicher Übereinstimmung letztlich nicht auf. Die Rechtswidrigkeit des Zwecks indiziert somit die Verwerflichkeit.[271]

 

87

Im Gegensatz zur früheren Rechtsprechung[272] scheidet § 253 StGB im Rahmen eines regulären Arbeitskampfes allerdings aus. Insoweit ist eine „Verwerflichkeit“ nach § 253 Abs. 2 StGB regelmäßig ausgeschlossen, wenn der Arbeitgeber durch den Hinweis auf eine mögliche Arbeitsniederlegung zu einer Lohnerhöhung genötigt werden soll.[273] Eine strafbare Erpressung scheidet auch dann aus, wenn ein Dieb durch die Drohung mit einer Strafanzeige dazu gebracht werden soll, die gestohlene Sache zurückzugeben (hier wird es aber regelmäßig bereits an einem Vermögensschaden fehlen) sowie eine „Bearbeitungsgebühr“ zu bezahlen. Problematisch wird es aber dann, wenn der Dieb durch die Drohung mit der Stellung eines Strafantrages dazu gebracht werden soll, einer gemeinnützigen Einrichtung eine „Spende“ zukommen zu lassen. Auch die Ankündigung des Gläubigers gegenüber dem Schuldner, zur Eintreibung einer fälligen Forderung ein Inkassounternehmen einzuschalten oder eine gerichtliche Klage zu erheben, stellt sich als zulässiges und insoweit nicht verwerfliches Verhalten dar.[274] Die Beurteilung kann sich hier aber ändern, wenn es sich um eine offensichtlich unberechtigte Forderung[275] oder eine offensichtlich rechtswidrige Abmahnung[276] handelt. Auch darf zur Durchsetzung einer an sich berechtigten Forderung nicht mit einem völlig inkonnexen Mittel gedroht werden. Dies ist z.B. dann gegeben, wenn eine willkürliche und sachlich unter keinem Gesichtspunkt gerechtfertigte Verknüpfung von Mittel und Zweck vorliegt.[277] Insgesamt hat allerdings dann, wenn mit einem an sich rechtmäßigen Nachteil gedroht wird, eine besonders sorgfältige Prüfung der Verwerflichkeitsklausel zu erfolgen.[278]

88

Wer sich im Rahmen der Einschätzung der Verwerflichkeit des eigenen Handelns im Hinblick auf die Bewertung des Verhältnisses von Mittel und Zweck irrt, unterliegt regelmäßig (nur) einem Verbotsirrtum nach § 17 StGB.[279] Ein Erlaubnistatbestandsirrtum, § 16 StGB analog, liegt hingegen vor, wenn der Täter über tatsächliche Umstände irrt, die als Grundlage für die Verwerflichkeitsbeurteilung anzusehen sind.[280]