Handbuch des Strafrechts

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ee) Drohung durch und mit Unterlassen

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Zu unterscheiden ist eine Drohung mit einem Unterlassen, also die ausdrückliche oder konkludente Drohung damit, etwas nicht zu tun, und eine Drohung durch ein Unterlassen. Eine Drohung durch Unterlassen (als Verhaltensform) kommt jedenfalls dann in Betracht, wenn in Dreipersonenverhältnissen ein Garant verpflichtet ist, Drohungen durch andere zu verhindern (→ BT Bd. 4: Valerius, § 5 Rn. 58).[305] Problematisch ist jedoch – wie bei der Gewalt (Rn. 58) –, ob in Zweipersonenverhältnissen in Fällen einer zunächst ohne Wegnahmevorsatz erfolgten Drohung eine Tatbestandsverwirklichung des aufgrund Ingerenz garantenpflichtigen Täters durch Unterlassen möglich ist. Jedenfalls ist zunächst stets zu prüfen, ob der Täter zu dem Zeitpunkt, in dem er den Wegnahmeentschluss gefasst hat, konkludent droht. Ist dies nicht der Fall, kommen eine Drohung und damit ein Raub durch Unterlassen wegen pflichtwidriger Nichtbeendigung der Drohungslage in Betracht. Umstritten ist auch, ob eine Drohung mit einem Unterlassen tatbestandsmäßig ist. Insoweit kann hier jedoch auf die Ausführungen zu § 240 StGB (→ BT Bd. 4: Valerius, § 5 Rn. 59 ff.) verwiesen werden. Maßgeblich ist danach, ob das jeweilige Verhalten – unabhängig davon, ob ein aktives Tun oder ein Unterlassen in Aussicht gestellt wird – geeignet ist, den Genötigten zu dem gewünschten Handeln zu motivieren.[306]

2. Wegnahme einer fremden beweglichen Sache

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Neben der qualifizierten Nötigung ist als zweiter Akt eine Wegnahme einer fremden beweglichen Sache erforderlich. Diese Tatbestandsmerkmale entsprechen grundsätzlich denen des Diebstahls, sodass hier auf die Ausführungen zu § 242 StGB verwiesen werden kann (→ BT Bd. 5: Hans Kudlich, Diebstahl und Unterschlagung, § 29 Rn. 30 ff.). Allerdings ergeben sich aus der zweiaktigen Struktur des Raubes Besonderheiten.

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Zu hinterfragen ist zunächst im Hinblick auf die Zweiaktigkeit des Raubes, zu welchem Zeitpunkt die „Fremdheit“ der Sache vorliegen muss. Dies ist problematisch, wenn der Täter zwischen Nötigungs- und Wegnahmehandlung Eigentum erwirbt oder verliert. Diese Fallkonstellation wird in der Rechtspraxis selten sein, ist aber denkbar (z.B. Erbfall oder Bedingungseintritt beim Eigentumsvorbehalt). Hier ist schon im Hinblick auf den Wortlaut, der zeitliche Koinzidenz zwischen Fremdheit der Sache und Vollendung der Wegnahme verlangt, maßgeblich, ob die Sache bei Gewahrsamsbegründung fremd ist.[307]

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Auch hinsichtlich eines möglichen Gewahrsamsverlustes oder -wechsels ist fraglich, zu welchem Zeitpunkt das Opfer den für die Wegnahme erforderlichen Gewahrsam haben muss. Dies wird insbesondere relevant in Fällen eines Raubmordes, in denen der Täter den Gewahrsamsinhaber tötet, um sich eine fremde Sache zu verschaffen. Aus der Tatsache, dass Tote keinen Gewahrsam haben und die bürgerlich-rechtliche Fiktion des Erbenbesitzes (§ 857 BGB) im Strafrecht nicht gilt,[308] hat die Rspr. früher geschlossen, dass § 249 StGB nur anwendbar ist, wenn das Opfer zum Zeitpunkt der Wegnahmevollendung, d.h. Gewahrsamsbegründung, durch den Täter noch lebte.[309] Mit RGSt 60, 51 wurde diese Rspr. aufgegeben. Dort wird darauf abgestellt, dass die mit Raubabsicht begangene Tötungshandlung zugleich Beginn des Raubes und Vollendung der Wegnahme sei, da zu diesem Zeitpunkt das Opfer noch Gewahrsam habe und sich mit der Tötungshandlung der Täter in eine Lage brächte, die alleinige Herrschaft über die dem Getöteten gehörenden Sachen seinem Willen gemäß auszuüben.[310] Einschränkend wurde sodann ein zwischen Tötungshandlung und Wegnahme bestehender zeitlicher Zusammenhang gefordert,[311] der sich in der Rezeption der entsprechenden Entscheidungen hin zu einer Forderung nach einem unmittelbar zeitlichen und räumlichen Zusammenhang entwickelt hat.[312] In der Folge wurde in der Rspr. in der mit Raubabsicht begangenen Tötungshandlung zugleich der Beginn – aber gerade nicht mehr die Vollendung – der Wegnahme gesehen.[313] Nach dieser Auffassung unterfällt z.B. auch eine Konstellation dem Raubtatbestand, in der das Opfer infolge angewandter Gewalt unter Zurücklassung der Sache die Flucht ergreift, bevor der Täter diese an sich bringt.[314] Wenn man dies so versteht, dass sich Gewahrsamsverlust und Gewahrsamsbegründung hier – anders als in den typischen Diebstahlskonstellationen – nicht in einer einzigen Handlung des Täters realisieren, sondern auseinanderfallen, mag dies zwar auf den ersten Blick mit dem Wegnahmebegriff vereinbar erscheinen, so bleibt aber zu klären, ob ein Rekurs auf unterschiedliche Handlungszeitpunkte – fremder Gewahrsam bei Nötigungshandlung, Begründung neuen Gewahrsams durch Ansichbringen der begehrten Sache – unter systematischen Gesichtspunkten konsequent erscheint. Ließe man genügen, dass bei Begründung neuen Gewahrsams durch den Täter zu einem beliebigen Zeitpunkt davor ein fremder Gewahrsam bestand, würde der Tatbestand der Unterschlagung gemäß § 246 StGB in seinem Anwendungsbereich eingeschränkt. Ein Lösungsansatz, der gerade diese Problematik umgehen könnte, bestünde darin, in den Fällen der in Raubabsicht begangenen Nötigungshandlung, in denen das Nötigungsopfer den Gewahrsam infolge dieser Handlung verliert bzw. aufgibt, zugleich neuer Gewahrsam des Täters als begründet und somit die Wegnahme als vollendet anzusehen, so wie es schon RGSt 60, 51 feststellte. Denn bereits durch die Nötigungshandlung erscheint ein tatsächliches Herrschaftsverhältnis an der Sache begründet, sodass nach der Verkehrsanschauung von einem Gewahrsamswechsel ausgegangen werden kann.[315] Mit Blick auf die geforderte Zweiaktigkeit des Raubtatbestandes stellt sich aber auch dieser Lösungsweg nicht frei von Friktionen dar. Als dogmatisch stringenteste Lösung bleibt wohl die Annahme einer bloßen Unterschlagung gemäß § 246 Abs. 1 StGB (freilich in Tateinheit mit entsprechenden Tötungsdelikten), die jedoch aus kriminalpolitischen Gründen nicht zu überzeugen vermag. Diese liefe nämlich auf eine Privilegierung des besonders gewaltsamen Täters hinaus. Bei diesem Versuch der Quadratur des Kreises ist der Rspr., die in der Ausführung der Tötungshandlung zwar den Beginn der Wegnahme, nicht aber zugleich deren Vollendung bejaht, i.Erg. zuzustimmen, wobei ein besonderes Augenmerk auf einen zeitlich-räumlichen Zusammenhang zwischen der Nötigungshandlung und der Vollendung der Wegnahme zu richten ist. Letzteres ist aber eine zu klärende Frage im Rahmen der Prüfung des Finalzusammenhanges (Rn. 75).

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Kein Einverständnis mit dem Gewahrsamswechsel und damit ein Gewahrsamsbruch liegen vor, wenn das Opfer unter dem Eindruck der angewandten Raubmittel die Wegnahme duldet und ihr (obwohl ihm das noch möglich wäre) keinen Widerstand entgegensetzt.[316] Wird dagegen mit Raubmitteln die aktive Mitwirkung an dem Gewahrsamswechsel erzwungen,[317] stellt sich die Frage nach der Abgrenzung des Raubes zur räuberischen (Sach-)Erpressung (Rn. 109 sowie → BT Bd. 5: Heinrich, § 32 Rn. 34 ff.). Für das Einverständnis kommt es grundsätzlich auf die Person des Gewahrsamsinhabers an (→ BT Bd. 5: Kudlich, § 29 Rn. 39), unabhängig davon, ob dieser zugleich Eigentümer der Sache oder lediglich (schutzbereiter) Dritter ist.[318]

3. Zusammenhang von Raubmittel und Wegnahme

a) Das Erfordernis einer raubspezifischen Verknüpfung zwischen qualifizierter Nötigung und Wegnahme

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Schon aus dem Wortlaut des § 249 StGB („mit Gewalt […] oder unter Anwendung von Drohungen“) wird deutlich, dass zwischen der qualifizierten Nötigung und dem Diebstahl ein spezifischer Zusammenhang bestehen muss.[319] Das Raubunrecht erfordert nicht nur eine additive Aneinanderreihung einer Wegnahme und einer qualifizierten Nötigung, sondern auch deren Verknüpfung in einer „raubspezifischen Manier“[320]. Die qualifizierte Gewalt oder die qualifizierte Drohung müssen Mittel zur Ermöglichung der Wegnahme sein, nicht nur bloße Begleiterscheinungen („gelegentlich“) der Entwendung der fremden Sache.[321] In Abgrenzung zum räuberischen Diebstahl (§ 252 StGB) muss deshalb schon aus systematischen Erwägungen (so auch die h.M.) bei einem Raub das qualifizierte Nötigungsmittel vor oder zumindest zugleich mit der Wegnahmevollendung verwirklicht werden.[322]

b) Final- oder Kausalzusammenhang?

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Umstritten ist, in welchem Zusammenhang die qualifizierte Nötigung und der Diebstahl stehen müssen. Gefordert wird insofern teils ein Kausalzusammenhang (objektive Betrachtung), teils ein Finalzusammenhang (subjektive Betrachtung) zwischen dem qualifizierten Nötigungsmittel und der Wegnahme. In der Literatur wird von einer Mindermeinung ein Kausalzusammenhang zwischen qualifizierter Nötigung und Wegnahme gefordert, in dem Sinne, dass die Wegnahme durch die Anwendung des Nötigungsmittels ermöglicht oder zumindest erleichtert wird.[323] Nach ständiger Rspr.[324] und h.L.[325] ist ausreichend, dass aus der ex-ante-Sicht des Täters ein Finalzusammenhang besteht. Hierfür spreche, dass der spezifische Unrechtsgehalt des Raubes bereits gegeben ist, wenn der Täter die qualifizierten Nötigungsmittel anwendet, um eine Sache wegzunehmen.[326] Es könne hierbei keinen Unterschied machen, ob deren Einsatz wirklich erforderlich ist oder nicht.[327] Hingewiesen wird auch auf § 252 StGB, der den Einsatz von Raubmitteln zur Beutesicherung erfasst, was nahelegt, dass § 249 StGB den Einsatz von Raubmitteln zur Beutewegnahme unter Strafe stellt, sodass bei beiden Tatbeständen der Unwertgehalt in der finalen Verknüpfung zwischen qualifizierten Nötigungsmitteln und Begehung des Diebstahls (bei § 249 StGB) bzw. dessen Beendigung (bei § 252 StGB) liege.[328] Die Gegenmeinung verweist auf die Versuchsstrafbarkeit (mit einer bloß fakultativen Strafmilderung und in Tateinheit mit einem vollendeten Diebstahl)[329] sowie auf §§ 177 Abs. 1, 255 StGB, die beide weitgehend unstreitig einen Kausalzusammenhang erfordern.[330] Für die h.M. spricht auch der Wortlaut, der zumindest in der zweiten Alternative („unter Anwendung von Drohungen“ und nicht „durch“) auf die Notwendigkeit einer finalen Verknüpfung hindeutet.[331] Weniger überzeugend ist der Hinweis auf praktische Beweisprobleme bei dem Erfordernis eines Kausalitätsnachweises,[332] denn diese sollten nicht entscheidend für dogmatische Fragestellungen sein und stellen sich im Übrigen auch bei dem Erfordernis eines Finalzusammenhangs.[333]

 

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Wer (mit beachtlichen Argumenten) bei § 249 StGB einen Kausalzusammenhang fordert,[334] sollte diesem ein Kausalitätsverständnis zugrunde legen, wonach es im Einklang mit den gängigen Kausalitätstheorien stets auf den Erfolg in seiner konkreten Gestalt ankommt (condicio sine qua non-Formel). Damit ist nicht entscheidend, ob die Gewalt objektiv „erforderlich“ oder „unerlässlich“ für die Wegnahme (in ihrer abstrakten Gestalt) ist.[335] Es reicht aus, wenn die Wegnahme durch den Einsatz des Nötigungsmittels ermöglicht oder erleichtert wird.[336] Insofern wird auch nicht (wie argumentiert wird[337]) der besonders brutale Täter privilegiert, der „überschießend“ qualifizierte Nötigungsmittel anwendet.[338] Entsprechend besteht bzgl. des Inhalts des Finalzusammenhangs zum Teil Unklarheit:[339] Nach einer Ansicht muss aus der Sicht des Täters die Nötigung die Wegnahme ermöglichen.[340] Nach einer a.A. soll es genügen, wenn der Täter auch nur die Erleichterung der Wegnahme anstrebt.[341] Maßgeblich ist, dass sich der Täter vorstellen muss, durch die Nötigung den Erfolg in seiner konkreten Gestalt herbeizuführen. Der Einsatz des qualifizierten Nötigungsmittels muss also nach der Vorstellung des Täters nicht „unerlässlich“ oder „erforderlich“ für die Wegnahme (in ihrer abstrakten Gestalt) sein. Damit reicht es aus, wenn der Täter nach seiner Vorstellung durch die Nötigung die Wegnahme in ihrer konkreten Gestalt erleichtern möchte.[342] Auch dies entspricht den gängigen Grundsätzen strafrechtlicher Kausalität i.S.d. Äquivalenztheorie.[343] Aus dem Vorgesagten wird deutlich, dass die praktische Bedeutung dieses Streites bei einem zutreffenden engen Kausalitätsverständnis sowohl beim Kausal- als auch Finalzusammenhang eher gering ist und sich auf wenige Ausnahmefälle beschränkt.[344] Im Folgenden wird mit der h.M. und der gefestigten Rspr. davon ausgegangen, dass gerade im Hinblick auf den Unrechtsgehalt des § 249 StGB ein Finalzusammenhang zu fordern ist, hierbei aber ein enges Kausalitätsverständnis zugrunde zu legen ist.

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Bei einer rein subjektiv-finalen Interpretation lassen Abweichungen des tatsächlichen vom vorgestellten (Final-)Verlauf, etwa bei einem Irrtum über die Wirkungsweise der Gewalt, den Finalzusammenhang nicht entfallen.[345] Hierzu bedarf es nicht des Rückgriffs auf die Grundsätze der Rechtsfigur der unerheblichen Abweichung vom vorgestellten Kausalverlauf.[346] Damit sind auch erhebliche Abweichungen vom vorgestellten Verlauf unbeachtlich.[347]

c) Zeitlich-räumlicher Zusammenhang

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Str. ist, ob zwischen dem Einsatz der Nötigungsmittel und der Wegnahme neben dem Final- oder Kausalzusammenhang zudem (objektiv) ein enger zeitlich-räumlicher Zusammenhang derart bestehen muss, dass der Einsatz des Nötigungsmittels unmittelbar auf die nachfolgende Erlangung der zu entwendenden Sache erfolgt. Dies wird von der Rspr.[348] bejaht, denn nur dann sei der gegenüber Diebstahl und Nötigung erhöhte Strafrahmen des § 249 StGB gerechtfertigt. Aus der unrechtssteigernden Funktionalisierung von Nötigungsmitteln für den Eingriff in fremdes Eigentum folge, „dass der subjektiv-final auf ‚Wegnahme mit Gewalt gegen eine Person oder unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben‘ gerichtete Tatentschluss sich auch tatsächlich in einer ‚Wegnahme mit Gewalt‘ oder ‚unter Anwendung von Drohungen‘ realisieren muss und die den Raub konstituierenden Elemente der Nötigungshandlung und der Wegnahme eine raubspezifische Einheit bilden.“[349] Für diesen Zusammenhang soll allerdings nicht erforderlich sein, dass der Ort der Nötigungshandlung und der Ort des Gewahrsamsbruchs identisch sind.[350] Auch ließen sich verbindliche Werte zu einem zeitlichen Höchstmaß zwischen Einsatz des Nötigungsmittels und Wegnahme nicht benennen.[351] Vielmehr seien die Umstände des Einzelfalls entscheidend.[352] Für die raubspezifische Einheit von qualifizierter Nötigung und Wegnahme sei danach maßgeblich, ob es zu einer nötigungsbedingten Schwächung des Gewahrsamsinhabers in seiner Verteidigungsfähigkeit oder -bereitschaft gekommen ist[353] bzw. zu einer nötigungsbedingten Einschränkung der Dispositionsfreiheit des Gewahrsamsinhabers über das Tatobjekt.[354]

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Für das Erfordernis eines zeitlich-räumlichen Zusammenhangs könnte sprechen, dass auch der mit dem Raub verwandte § 252 StGB einen solchen im Rahmen des Tatbestandsmerkmals „auf frischer Tat betroffen“ verlangt (→ BT Bd. 5: Wittig, § 31 Rn. 50 ff.).[355] Andererseits könnte der Unterschied im Wortlaut im Wege eines Umkehrschlusses auch als Argument gegen eine solche (ungeschriebene) Einschränkung dienen. In der Literatur wird das Kriterium eines engen zeitlich-räumlichen Zusammenhangs als nicht durch den Wortlaut geboten, als zu unbestimmt und mit dem Raubtatbestand nicht vereinbar abgelehnt.[356] Es wird deshalb ergänzend oder präzisierend gefordert, dass die Nötigungshandlung unmittelbar der Wegnahme dienen müsse.[357] Das Unmittelbarkeitskriterium ist jedoch ebenfalls unbestimmt und gewinnt lediglich Bedeutung bei der Abgrenzung zwischen §§ 253, 255 StGB und § 249 StGB im Hinblick auf das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der Vermögensverfügung, vermag aber nicht zeitlich-räumliche Grenzen der Raubbegehung festzulegen (Rn. 109).[358] Nach einer a.A. ist Voraussetzung, dass durch die Raubmittelanwendung zur Wegnahme unmittelbar angesetzt werden müsse.[359] Dieses Verständnis ist jedoch zu eng im Hinblick auf die zweiaktige Struktur des Raubes.[360] Nach a.A. müssen Nötigungsmittel und Nötigungsziel eine natürliche Handlungseinheit bilden.[361] Auch diese vermeintliche Präzisierung ist gerade im Hinblick auf die Unstimmigkeiten der Konkurrenzlehre nicht geeignet, dem unbestimmten Kriterium eines engen zeitlich-räumlichen Zusammenhangs hinreichend Konturen zu verleihen.[362]

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Aber auch das Kriterium der Einschränkung der Dispositionsfreiheit oder die Schwächung der Verteidigungsfähigkeit und -bereitschaft des Gewahrsamsinhabers wirft als inhaltliche Ausfüllung des Erfordernisses eines objektiven zeitlich-räumlichen Zusammenhangs inhaltliche und systematische Probleme auf. Die Einschränkung der Dispositionsfreiheit[363] oder die Schwächung der Verteidigungsfähigkeit und -bereitschaft des Gewahrsamsinhabers beschreiben nur die typische Folge einer Nötigungshandlung, nicht aber einen zeitlich-räumlichen Zusammenhang.[364] In systematischer Hinsicht scheint es, dass die Rspr. inzident Kausalitätserwägungen i.S.e. „Verstärkerkausalität“ bei der Prüfung des Zusammenhangs zwischen Nötigung und Wegnahme einfließen lässt, obwohl sie weiterhin (explizit) nur einen Final- und keinen Kausalzusammenhang zwischen qualifizierter Nötigung und Wegnahme fordert.[365] Zwar versteht sie diese Kausalität lediglich als „Prüfstein“ für das Vorliegen eines engen zeitlich-räumlichen Zusammenhangs (und nicht als eigenständiges Kriterium)[366], dabei wird aber nicht klar, inwieweit die Kausalität geeignet sein kann, Aufschluss über das Vorliegen eines zeitlich-räumlichen Zusammenhangs zwischen qualifizierter Nötigung und Wegnahme zu geben.[367]

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Bleibt man hingegen bei einer subjektiven Lesart könnte ein Hinweis von Habetha in einer Urteilsbesprechung zu BGHSt 61, 141[368] den Weg zu einer gangbaren Lösung aufzeigen. Für ihn setzt Raub, im Anschluss an Vogel[369], einen objektiven Zurechnungszusammenhang zwischen qualifizierter Nötigungshandlung und Wegnahme voraus. Bleibt man indes bei einer rein subjektiven Bestimmung des Zusammenhangs zwischen Nötigung und Wegnahme, ist zusätzlich zu der (vorgestellten) Kausalität i.e.S. auch vorauszusetzen, dass sich – nach der Vorstellung des Täters – die spezifische Gefahr der Nötigung in der Wegnahme verwirklichen soll. Der Zurechnungsgedanke vermag jene Ausnahmefälle aus der Raubstrafbarkeit auszuschließen, bei denen der Täter das qualifizierte Nötigungsmittel zwar final im Hinblick auf den Wegnahmeerfolg (in seiner konkreten Gestalt) einsetzt, sich im Wegnahmeerfolg aber nicht mehr die typische Gefahr der Tathandlung realisiert. Im Hinblick darauf, dass es für das spezifische Raubunrecht nicht auf den tatsächlichen Zusammenhang zwischen Raubmittel und Wegnahme, sondern auf die Vorstellungen des Täters ankommt (Rn. 76), ist jedoch ein subjektives Verständnis des Zurechnungserfordernisses vorzugswürdig. Für diesen subjektiven Zurechnungszusammenhang ist erforderlich, dass nach der Vorstellung des Täters durch die Nötigung die Schutzbereitschaft des Opfers ausgeschaltet wird[370] und gerade dadurch die Wegnahme erleichtert wird. Richtet sich die Gewalt gegen den Gewahrsamsinhaber, ist dies regelmäßig zu bejahen, wenn der Täter eine Lockerung des Gewahrsams bezweckt.[371] Mithilfe dieses Kriteriums lassen sich auch die von der Rspr. und der Lit. behandelten (Ausnahme-)Fälle zufriedenstellend lösen. Im Sachverhalt, der dem Urteil des BGH in BGHSt 61, 197 zugrunde lag, wandte der Täter durch einen wuchtigen Kopfschlag Gewalt gegen seine Mutter in deren Wohnung an, um diese widerstandsunfähig zu machen und unmittelbar anschließend Sachen aus der Wohnung zu entwenden. Tatsächlich wurde die Mutter jedoch nicht bewusstlos, sondern war lediglich leicht benommen. Abweichend vom Tatplan verständigte der Täter daher den Notarzt und nahm erst etwa zwei Stunden später, nachdem seine Mutter ins Krankenhaus verbracht worden war, die Sachen an sich. Dass in diesem Fall der zeitlich-räumliche Zusammenhang noch vorliegt, wurde vom BGH zwar angenommen, ist aber mehr als zweifelhaft. Stellt man hingegen auf das Kriterium des subjektiven Zurechnungszusammenhangs ab, lässt sich die raubspezifische Verknüpfung problemlos bejahen, da der Täter durch den Schlag in der Wohnung die Wegnahme dadurch erleichtern wollte, dass seine Mutter sich infolge von körperlichen Einschränkungen – also gerade durch die Realisierung der typischen Gefahr von Schlägen – nicht mehr dagegen wehren konnte. Ihr Gewahrsam an den Sachen in der Wohnung sollte dadurch gelockert werden. Sein Irrtum über den Kausalverlauf ist dabei unbeachtlich (Rn. 77). In dem von Mitsch geschilderten „Kreuzfahrtfall“[372], in dem der Täter auf einem Kreuzfahrtschiff durch Schläge Gewalt gegen einen wohlhabenden Mitreisenden anwendet und diesen so zur Preisgabe seines Namens und seiner Adresse veranlasst, um drei Wochen später, nach Beendigung der Kreuzfahrt in dessen Villa einzudringen und wertvolle Gegenstände zu entwenden, ist zwar der Finalzusammenhang ebenfalls zu bejahen, doch fehlt es am subjektiven Zurechnungszusammenhang. In dem Wegnahmeerfolg sollte sich nach Tätervorstellung nicht mehr die eingeschränkte Widerstandsfähigkeit des Opfers, sondern der Vorteil aus dem durch die Gewaltanwendung erlangten Wissen realisieren. Diese sollte hier keine Schwächung der Schutzbereitschaft des Opfers, insbesondere keine Gewahrsamslockerung bewirken. Der subjektive Zurechnungszusammenhang ist damit abzulehnen.[373] Letztlich kann man den raubspezifischen Zusammenhang demnach als dolus directus 1. Grades (Absicht i.e.S.) des Täters hinsichtlich der Kausalität der Nötigung für die Wegnahme (in ihrer konkreten Gestalt) sowie hinsichtlich der objektiven Zurechnung des Wegnahmeerfolgs verstehen. Diese aus der allgemeinen Tatbestandslehre bekannten und am spezifischen (Gesinnungs-)Unrecht des Raubes orientierten Kriterien ermöglichen eine klare Bestimmung der erforderlichen Verknüpfung zwischen Nötigungs- und Wegnahmeelement sowie eine angemessene (subjektive) Einschränkung des Verbrechenstatbestandes, um eine Ausuferung der Raubstrafbarkeit zu verhindern.