Handbuch des Strafrechts

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cc) Restriktionsversuche

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Wie sich die Einschränkung auf Gewalt gegen Personen darüber hinaus auf § 249 StGB auswirkt, ist umstritten.[215] Der Gewaltbegriff ist nach hier vertretener Ansicht schon wegen des hohen – in der Praxis allerdings mit Zurückhaltung angewandten (Rn. 34) – Strafniveaus tendenziell restriktiv auszulegen.[216] Hierbei lassen sich Restriktionsversuche auf der Täter- und Opferseite unterscheiden.

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Str. ist auf der Opferseite vor allem, ob eine gewisse Erheblichkeit der körperlichen Ein- bzw. Auswirkung erforderlich ist. Zu weitgehend ist bei aller Notwendigkeit einer restriktiven Auslegung die Ansicht von Blesius, wonach Gewalt ausschließlich mit einer „tatbestandlichen Verletzung der §§ 223, 212, 239 [StGB]“ gleichzusetzen ist.[217] Auch muss im Gegensatz zur Drohungsalternative keine gegenwärtige Gefahr für Leib und Leben vorliegen.[218] Es kommt vielmehr auf die beim Opfer unmittelbar oder mittelbar eintretende körperliche (physische) Zwangseinwirkung an.[219] Die körperliche Einwirkung darf jedoch wie bei § 240 StGB nicht unerheblich (bzw. nicht unbedeutend) sein.[220] Diese Einschränkung gewährleistet nicht nur ein qualitatives Gleichgewicht zwischen den qualifizierten Nötigungsmitteln von Gewalt und Drohung, sondern zudem eine schuldangemessene Beschränkung des Raubtatbestandes (in Abgrenzung zum bloßen Diebstahl).[221]

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Als wenig geeignet erweisen sich dagegen Versuche, den Tatbestand auf Täterseite mit Hilfe des Merkmals der Kraftentfaltung einzuschränken, etwa indem ein gewisses Maß an Kraftentfaltung vorausgesetzt wird. Nach ständiger Rspr. erfordert die Anwendung von Gewalt nicht notwendig einen erheblichen Kraftaufwand des Täters[222] (→ BT Bd. 4: Valerius, § 5 Rn. 42).Vielmehr setzt sie nur einen sehr geringen Maßstab an: So reiche für die Kraftentfaltung z.B. schon die Beibringung eines Schlaf- oder Betäubungsmittels,[223] das Sprühen von Deo oder Reizgas aus naher Entfernung ins Gesicht,[224] das Einsperren in einen Raum[225] und das Wegschieben der Hand eines Sterbenden von der Hosentasche.[226] In einem gewissen Widerspruch steht hierzu die (einschränkende) Rspr. zum „Handtaschenraub“, bei dem sich die Frage stellt, wann Raubgewalt vorliegt und wann nur ein „offener Diebstahl“.[227] Nach der Rspr. muss „die Kraft, die der Täter entfaltet, wesentlicher Bestandteil der Wegnahme“ sein.[228] Sie müsse „daher so erheblich sein, daß sie geeignet ist, erwarteten Widerstand zu brechen“.[229] Die Formulierung, das Tatbild müsse durch Kraft (und nicht durch List, Schnelligkeit oder Geschicklichkeit) geprägt sein, ist unscharf.[230] Auch handelt es sich nicht um eine Frage der gleich erörterten spezifischen Gewaltfinalität (Rn. 53 ff.), sondern der für das Vorliegen räuberischer Gewalt maßgeblichen Erheblichkeitsschwelle im Hinblick auf die Zwangswirkung beim Opfer.

dd) Gewaltfinalität

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Da die Gewaltanwendung im Hinblick auf die Überwindung eines geleisteten oder erwarteten Widerstands gegen die Wegnahme erfolgen muss, ist eine „spezifische Gewaltfinalität“ erforderlich.[231] Diese „Absicht der Widerstandsüberwindung“ ist ein „konstituierendes subjektives Element des strafrechtlichen Gewaltbegriffs“[232] und vom Finalzusammenhang zwischen Nötigungsmittel und Wegnahme zu unterscheiden. Beim Einsatz der Raubmittel kommt es somit auf die Vorstellung des Täters hinsichtlich deren Wirkung im Hinblick auf einen geleisteten oder erwarteten Widerstand gegen die Wegnahme an.[233] Entscheidend ist also nicht, ob objektiv vom Opfer Widerstand zu erwarten ist, sondern die (ggf. irrige) subjektive Einschätzung des Täters.

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Der Widerstand muss nicht bereits tatsächlich geleistet werden, es reicht aus, wenn der erwartete Widerstand von vorneherein unmöglich gemacht wird (z.B. durch Niederschlagen des Opfers) und damit als „Vorsorgegewalt“[234] ausgeübt wird. Dabei ist das Maß der aufgewendeten Kraft („die Wucht des Angriffs“) ein Indiz für das Vorliegen einer Absicht des Täters, einen (erwarteten) Widerstand zu brechen.[235] Ausgeschlossen sollen jedoch Fälle der „Überraschungsgewalt“ sein, in denen der Täter einem erwarteten Widerstand des Opfers durch List, Schnelligkeit oder Geschicklichkeit zuvorkommt.[236] Wie bereits angesprochen, grenzt die Rspr. beispielsweise beim Handtaschenraub die räuberische Gewalt vielfach von überraschenden Handlungen ab, die einen Widerstand von vornherein verhindern sollen.[237] Raub ist nach der Rspr. dann zu bejahen, wenn das Opfer die Handtasche an sich klammert, um sie vor einem Zugriff zu schützen, und der Täter sie ihr entreißt.[238] Andernfalls nutze der Täter lediglich das Überraschungsmoment aus und wolle gerade keinen erwarteten Widerstand brechen, sondern diesem zuvorkommen.[239] Diese Abgrenzung überzeugt nicht. Es lässt sich wohl kaum rechtssicher feststellen, ob der Täter keinen Widerstand erwartet, weil er einen solchen von vornherein verhindern möchte (dann „Überraschungsgewalt“) oder ob er Widerstand erwartet und diesen vorsorglich ausschalten will (dann „Vorsorgegewalt“).[240] Im Hinblick auf den Unrechtsgehalt besteht zudem kein Unterschied. Entscheidend ist nicht die nachgeordnete Frage der Gewaltfinalität (die in den Fällen der „Überraschungsgewalt“ durchaus vorliegen kann), sondern bereits das Maß der körperlichen Zwangswirkung (Rn. 45 ff.).

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Zudem stellt sich die Frage, ob der (erwartete) Widerstand durch mindestens willkürliches Verhalten erfolgen muss. Nach Ansicht der Rspr. reicht es auch aus, wenn der Täter durch Kraftentfaltung eine unwillkürliche Abwehrhandlung des Gewahrsamsinhabers überwindet.[241] Es soll auch genügen, wenn beim Opfer eine von dessen Willen unabhängige physische Reaktion eintritt, die seine Widerstandsmöglichkeit gegen die Wegnahme beeinträchtigt.[242] Dem ist zuzustimmen, wenn die anderen Voraussetzungen von Raubgewalt, also insbesondere eine nicht nur unerhebliche körperliche Zwangswirkung, vorliegen.

ee) Gewalt in Mehrpersonenverhältnissen

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Gewaltadressaten können nach überwiegender Ansicht sowohl der Gewahrsamsinhaber (gleich, ob er Eigentümer ist oder nicht) als auch ein (schutzbereiter) Dritter sein, soweit dieser gegen den Gewahrsamsbruch einschreiten will und kann.[243] Schutzbereite Dritte können z.B. Personen sein, die zum Schutz des Gewahrsams verpflichtet sind (z.B. Sicherheitspersonal) oder auch solche, die dazu freiwillig bereit sind.[244] Hierbei reicht es wiederum aus, wenn der Täter nur einen potentiellen Widerstand im Hinblick auf die Duldung der Wegnahme ausschalten will.[245] Aber auch wenn der Täter nur irrig davon ausgeht, der Dritte sei schutzbereit, liegt Gewaltfinalität vor und damit – sofern auch ein Finalzusammenhang mit der Wegnahme besteht – ein vollendeter Raub,[246] da auch in diesen Fällen ein Angriff auf die Willensfreiheit vorliegt und diese nicht ausschließlich in Bezug auf den Schutz des Gewahrsams an einer Sache, sondern umfassend vom Tatbestand des § 249 StGB erfasst wird.

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Wie bei § 240 StGB (→ BT Bd. 4: Valerius, § 5 Rn. 44) kann nach h.M. die Nötigung auch als „Dreiecksnötigung“ begangen werden. In diesen Fällen sind die Personen, gegen die Gewalt ausgeübt wird (Gewaltopfer, auch „Gewaltmittler“ → BT Bd. 4: Valerius, § 5 Rn. 44), und diejenigen, die zur Duldung der Wegnahme genötigt werden sollen (Nötigungsopfer), nicht personenidentisch. Der Unterschied zur Konstellation des „schutzbereiten Dritten“ liegt somit darin, dass bei dieser Gewalt- und Nötigungsopfer personengleich sind. In den Fällen der „Dreiecksnötigung“ muss nach zutreffender Ansicht letztlich (auch) auf das Nötigungsopfer körperlich (und nicht nur psychisch) eingewirkt werden (→ BT Bd. 4: Valerius, § 5 Rn. 44).[247] Wenn dies der Fall ist, bedarf es keiner weiteren Einschränkung, etwa, dass das (unmittelbare) Gewaltopfer in einem besonderen Näheverhältnis zum Nötigungsopfer stehen muss oder ihm schutzpflichtig ist.[248] Nicht ausreichend ist somit die Gewaltanwendung gegen Personen ohne (vom Täter vorgestellte) Widerstandsbereitschaft, z.B. das Quälen eines Kindes, um die Eltern (durch psychischen Zwang) zur Duldung der Wegnahme zu bewegen. Diese sind keine schutzbereiten Dritten (hier das Kind) und auf die Nötigungsopfer (hier die Eltern) wird lediglich psychischer Zwang ausgeübt. In einer solchen Konstellation kann jedoch eine (konkludente) Drohung vorliegen.[249]

ff) Gewalt durch Unterlassen

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Umstritten ist, ob eine Gewaltausübung i.S.d. § 249 StGB auch durch Unterlassen erfolgen kann (zur Nötigung gemäß § 240 StGB durch Unterlassen → BT Bd. 4: Valerius, § 5 Rn. 46; zur davon zu trennenden Frage des Finalzusammenhangs Rn. 75). Dies wird weitgehend unstreitig bejaht, wenn in einem Dreipersonenverhältnis der garantenpflichtige Täter einen Dritten nicht davon abhält, räuberische Gewalt anzuwenden.[250] Str. ist dagegen, ob Gewaltausübung durch Unterlassen auch in Zweipersonenverhältnissen möglich ist, wenn nach aktiver Gewaltanwendung durch den Täter ein Vorsatzwechsel erfolgt.[251] Hier werden beispielhaft insbesondere die Fesselungs- oder Einsperrungsfälle angeführt, bei denen der Täter das Opfer zunächst ohne Wegnahmevorsatz fesselt oder einsperrt und erst danach den Entschluss fasst, bei fortdauernder Fesselung oder Einsperrung dem Opfer eine Sache wegzunehmen.[252] Nötigungsmittel ist hier nicht die aktive Herbeiführung der Gewaltsituation, sondern ihre pflichtwidrige Nichtbeendigung bei faktischer Beseitigungsmöglichkeit durch den aufgrund eines pflichtwidrigen Vorverhaltens aus Ingerenz garantenpflichtigen Täter.[253]

 

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Gegen die Möglichkeit räuberischer Gewalt durch Unterlassen wird angeführt, Gewalt gegen eine Person setze denklogisch ein aktives Tun, ein Gewaltverhalten, und vom Wortlaut her keinen Erfolg voraus,[254] sodass eine Gewaltanwendung durch (bloßes) Unterlassen bereits begrifflich ausscheide.[255] Der aggressive Eingriff in die Freiheitssphäre des Opfers zur Sacherlangung sei Kennzeichen des Raubunrechts.[256] Gegen ein solches „naturalistisches Begriffsverständnis“ spricht schon, dass Gewalt begrifflich auch eine Erfolgskomponente in Form einer körperlichen Zwangswirkung voraussetzt, die auch bei einer fortdauernden passiven Gewalt gegeben ist.[257] Der Gewaltbegriff ist als Einheit zwischen Gewalthandlung und Gewalterfolg (die körperliche Zwangswirkung) zu verstehen.[258] Das Fehlen einer körperlichen Kraftentfaltung[259] wird durch § 13 Abs. 1 Halbs. 2 StGB kompensiert, der gerade die Entsprechung des Unterlassens im Hinblick auf das aktive Tun verlangt (sog. Modalitätenäquivalenz), um eine Strafbarkeit wegen eines unechten Unterlassungsdelikts bejahen zu können. Maßgeblich ist damit, ob hier das (garantenpflichtige) Unterlassen der Beseitigung der Zwangssituation gemäß § 13 Abs. 1 Halbs. 2 StGB einem positiven Tun entspricht. Der BGH hält eine Gewaltanwendung durch Unterlassen zumindest bei einem engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhang zwischen aktiver Gewaltanwendung und nachfolgendem Wegnahmevorsatz einer aktiven Gewalt für entsprechend.[260] Dies wird bestritten, da die „Zwangswirkung durch entsprechende Passivität“ einer „aktiv-aggressiven Gewalt“, die den Unrechtsgehalt des Raubes kennzeichnen soll, nicht gleichgestellt werden könne.[261] Dem kann entgegengehalten werden, dass Gewalt nach der hier vertretenen Ansicht vor allem durch die Erfolgskomponente, nämlich die körperliche Zwangswirkung zur Überwindung eines Widerstandes und eben nicht durch eine bestimmte Handlungsmodalität, etwa eine erhebliche Kraftentfaltung oder Aggressivität, gekennzeichnet ist, sodass die Gleichwertigkeit des Unterlassens mit dem aktiven Tun schon durch den Eintritt des Gewalterfolgs und das Vorliegen einer Garantenstellung begründet wird.[262]

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Letztlich wird angeführt, dass die „Unterlassungslösung“ zu „ungereimtenErgebnissen führe: Wer das Opfer „nur“ fesselt und dann einen Wegnahmevorsatz fasst, werde gegenüber dem (u.U. brutaleren) Täter benachteiligt, der vis absoluta anwendet, z.B. sein Opfer bewusstlos schlägt, deshalb die von ihm geschaffene Zwangssituation nicht mehr aufheben kann und dann erst den Wegnahmevorsatz fasst.[263] Dies ist aber unabhängig von der Schlüssigkeit dieses Einwands[264] keine Frage des Gewaltbegriffs, sondern eine Frage der Finalität der Personengewalt zur Ermöglichung der Wegnahme. Im Ergebnis ist also anzuerkennen, dass Gewalt gegen eine Person auch durch Unterlassen erfolgen kann, wenn eine faktische Beseitigungsmöglichkeit für den garantenpflichtigen Täter besteht. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass in diesen Fällen auch eine Begehung durch positives Tun in Form der konkludenten Drohung in Betracht kommt (Rn. 64).

b) Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben

aa) Begriffsbestimmung

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Der Gewalt gegen eine Person steht nach dem Gesetz die Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben gleich. Drohung ist dabei das Inaussichtstellen eines künftigen Übels, auf das der Drohende Einfluss hat oder zu haben vorgibt und dessen Verwirklichung er nach dem Inhalt seiner Äußerung für den Fall des Bedingungseintritts will.[265] Die Drohung muss (wie die Gewalt) im Vergleich zu § 240 StGB oder § 253 StGB beim Raub qualifiziert sein. Es genügt insofern nicht die Drohung mit irgendeinem empfindlichen Übel, vielmehr bedarf es des inhaltlichen Bezugs auf eine Gefahr für Leib oder Leben. Der Täter muss also eine Situation ankündigen, bei der die mindestens naheliegende Möglichkeit (Gefahr) einer Körperverletzung oder des Todes besteht.[266]

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Bei der Beurteilung, ob eine Drohung vorliegt, ist bei einer rechtsgutsbezogenen Auslegung die Perspektive des Opfers maßgeblich, dessen Willensbildungs- und Willensbetätigungsfreiheit durch den Raub als Freiheitsdelikt geschützt werden soll (→ BT Bd. 4: Valerius, § 5 Rn. 48). Eine vollendete Drohung setzt damit zunächst voraus, dass die Ankündigung zur Kenntnis des Adressaten gelangt und auch von ihm verstanden worden ist.[267] Auch spielt es keine Rolle, ob der Täter fähig und willens ist, das angekündigte Übel zu verwirklichen, solange er damit den Willen des Opfers beugt.[268] Damit kann die Drohung als „Scheindrohung“ (→ BT Bd. 4: Valerius, § 5 Rn. 48) oder auch „leere Drohung“[269] ein Element der Täuschung (List) enthalten.[270] Dies ist etwa bei der Bedrohung mit einer Scheinwaffe der Fall.[271] Erforderlich ist aber stets, in Abgrenzung zur Warnung (→ BT Bd. 4: Valerius, § 5 Rn. 49), dass der Drohende behauptet, er habe Einfluss auf den Eintritt des Übels, da andernfalls bereits objektiv nicht von einer Drohung die Rede sein kann.[272]

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Da die Opferperspektive entscheidend ist, ist zusätzlich wie bei § 240 StGB (→ BT Bd. 4: Valerius, § 5 Rn. 48) erforderlich – aber auch ausreichend –, dass die Drohung aus der Sicht des Opfers als ernstlich erscheint.[273] Nicht maßgeblich ist, was der Täter will.[274] Dies ist eine Frage des Vorsatzes. Die Ansicht, die es für ausreichend erachtet, dass der Täter davon ausgeht, das Opfer nehme die Drohung ernst, überspannt die ohnehin weitgehende Subjektivierung des Raubes.[275] Zweifel des Opfers an dem Willen des Nötigenden, seine Ankündigung in die Tat umzusetzen, können bleiben, solange das Opfer mit der konkreten Möglichkeit einer Übelszufügung rechnet.[276]

bb) Erscheinungsformen der Drohung

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Die Drohung kann ausdrücklich oder auch konkludent (schlüssig) erfolgen.[277] Sie muss nicht verbal artikuliert werden.[278] Erforderlich ist insoweit, dass der Täter die Gefahr für Leib oder Leben deutlich in Aussicht stellt, sie also durch ein bestimmtes Verhalten genügend erkennbar macht.[279] Es genügt dagegen nicht, wenn das Opfer nur erwartet, der Täter werde es an Leib oder Leben schädigen, wenn objektiv keine Anhaltspunkte für ein entsprechendes Ansinnen erkennbar sind.[280] Das bloße Ausnutzen der Angst eines Opfers vor einer Gewaltanwendung enthält für sich genommen noch keine Drohung.[281] Auch allein das Schaffen einer „diffusen Atmosphäre der Einschüchterung“ genügt nicht.[282] Jedoch kann in der Anwendung von Gewalt auch die konkludente Drohung (die mit einem erst später gefassten Wegnahmevorsatz final verknüpft sein kann) liegen, die (bereits zugefügte) Gewalt werde wiederholt oder fortgesetzt, falls das (weitere) Vorhaben oder Verlangen des Täters auf Widerstand stoßen sollte.[283]

cc) Gegenstand der Drohung

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Gegenstand (Inhalt) der Drohung muss nach dem Wortlaut eine gegenwärtige Gefahr für Leib oder Leben sein. Da „Leib“ und „Leben“ qualitativ nebeneinander stehen, reicht nach h.M. eine Drohung mit einer nur leichten oder unbedeutenden Gefahr für die körperliche Unversehrtheit (z.B. mit einer Ohrfeige) nicht für eine qualifizierte Drohung aus.[284] Erforderlich ist demnach, dass als Schaden der Eintritt einer nicht ganz unerheblichen Körperverletzung oder sogar des Todes droht.[285] Somit ist auch die Drohung mit Sachgefahren selbst für große Vermögenswerte von vornherein nicht erfasst, mögen sie auch noch so willensbeugend sein.[286] Dies ist nur anders, wenn solche Drohungen auf eine Leib- oder Lebensgefahr hinauslaufen.[287]

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Erforderlich ist weiter, dass mit einer gegenwärtigen Gefahr gedroht wird. Gegenwärtig ist eine Gefahr jedenfalls dann, wenn der Eintritt des Schadens nach dem Inhalt der Drohung unmittelbar bevor steht.[288] Da Bezugspunkt der Gegenwärtigkeit nur die Gefahr und nicht die Gefahrrealisierung ist,[289] ist es für die Gegenwärtigkeit ausreichend, wenn die Gefahr jederzeit (alsbald oder auch später) in einen Schaden umschlagen kann („Dauergefahr i.e.S.“).[290] Problematisch und wenig geklärt ist die Gegenwärtigkeit jedoch, wenn der Eintritt des Schadens erst für einen Zeitpunkt in Aussicht gestellt wird, der so weit in der Zukunft liegt, dass ein „unmittelbares Bevorstehen“ ausscheidet („Dauergefahr i.w.S.“).[291] Der BGH hat eine gegenwärtige Gefahr verneint, „wenn ihre Verwirklichung erst in der Ferne liegt“, so bei einer Drohung mit Erschießen, falls das Opfer nicht binnen Monats- oder Jahresfrist zahlt; denn eine zukünftige Gefahr sei keine gegenwärtig drohende.[292] Genaue zeitliche Grenzen dafür, wann eine für die Zukunft angedrohte Gefahr noch gegenwärtig ist, ließen sich nicht allgemein festlegen; maßgebend seien die Umstände des Einzelfalls.[293] Allerdings soll es nach der Rspr. ausreichen, wenn der befürchtete Schaden zwar selbst nicht unmittelbar bevorsteht, aber nur durch sofortiges, gegenwärtiges Handeln abgewendet werden kann.[294] Die Literatur schlägt demgegenüber (zumindest bei § 249 StGB) eine rein zeitliche Bestimmung und Begrenzung der Gegenwärtigkeit vor.[295] Stellt man jedoch im Hinblick auf das Rechtsgut Willensfreiheit zu Recht auf die gegenwärtige Zwangslage beim Opfer ab,[296] sind diese Ansätze abzulehnen.

dd) Drohung in Mehrpersonenverhältnissen

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Drohungsadressat kann sowohl der Gewahrsamsinhaber (gleich, ob er Eigentümer ist oder nicht) als auch eine dritte Person sein, wenn sie als schutzbereiter Dritter gegen den Gewahrsamsbruch einschreiten kann und will.[297] Erfasst sind sowohl aktuell Schutzbereite als auch potentiell Schutzbereite, bei denen der Täter einen erwarteten Widerstand ausschalten will.[298] Zu klären bleibt aber, ob eine Drohung auch dann bejaht werden kann, wenn der Bedrohte nicht schutzbereit ist. Wie auch bei der Gewaltalternative setzt die durch die Drohung verursachte Beeinträchtigung der Willensfreiheit die Schutzbereitschaft des Nötigungsopfers nicht voraus (Rn. 56), sodass es darauf auch für das Vorliegen einer Drohung nicht ankommen kann. Da eine Drohung – anders als Gewalt – keine bestimmte Finalität voraussetzt, ist dafür auch nicht erforderlich, dass der Täter den Dritten (irrig) für schutzbereit hält. Ist dies nicht der Fall, fehlt es aber in der Regel am notwendigen Finalzusammenhang (Rn. 75).[299]

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Der Drohungsadressat muss auch nicht Inhaber der bedrohten Rechtsgüter sein („Dreiecksnötigung“).[300] Die Vorschrift setzt nämlich nicht voraus, dass das von den Tätern angedrohte Übel unmittelbar den treffen soll, auf dessen Willensbestimmung sie einwirken wollen.[301] Es genügt vielmehr, dass der Empfänger der Drohung das einem anderen Angedrohte auch für sich als Übel empfindet.[302] Eine Beschränkung auf nahe stehende Personen lehnt die h.M. zu Recht ab.[303] Dafür spricht, dass aus dem Wortlaut eine solche Unterscheidung nicht hervorgeht, er verlangt lediglich eine Gefahr für Leib oder Leben. Auch der Umkehrschluss zu § 241 StGB, bei dem der Kreis der Bedrohten auf nahestehende Personen begrenzt ist, legt dies nahe.[304]