Handbuch des Strafrechts

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa
III. Das germanische Recht

1. Überblick

10

Von besonderem Interesse gerade aus deutscher Sicht ist die Rechtsentwicklung ab der germanisch-fränkischen Zeit. Erst mit dem 3. Jahrhundert n.Chr., mit der Völkerwanderung, treten die germanischen Stämme nachhaltig in die abendländische Geschichte ein.[33] Erkenntnisse über das Rechtsverständnis der Germanen[34] lassen sich insbesondere aus deren Rechtsaufzeichnungen, den seit dem 6. Jahrhundert aufgezeichneten germanischen Stammesrechten (leges barbarorum), gewinnen.[35]

11

Das germanische Stammesrecht ist hierbei wesentlich durch die Begriffe der Fehde und der Versühnung sowie der Sippe als der grundlegenden rechtlichen sowie sozialen Einheit zu charakterisieren.[36] Verwirklichte ein Germane gegenüber einem anderen freien Germanen ein Delikt, war dies eine Kränkung der gesamten Sippe des Opfers.[37]Auf diese Verletzung der Sippenehre wurde mit der sog. Fehde reagiert,[38] die ihrerseits eine „offene Kampfansage an die Sippe [!] des Täters“[39] darstellte und der Art nach auch Raubhandlungen miteinschließen konnte.[40] Da die Verteidigung der Ehre zumeist einen größeren Personenkreis betraf und den Widerstand der Fehdegegner hervorrief, konnten Fehdehandlungen über eine lange Dauer hinweg fortgeführt werden, was nicht selten in regelrechten Fehdekriegen mündete.[41] Aus diesem Grund bestand ein großes Interesse an der alternativ zur Fehde möglichen Versühnung: Mit einer Vereinbarung von Ausgleichszahlungen konnten bestehende Fehden beendet werden bzw. auf diese verzichtet werden.[42] Hierfür wurde in den germanischen Stammesrechten ein Kompositionensystem (von lat. compositio) festgelegt, welches für Vermögensbeeinträchtigungen, Verletzungen und Tötung Bußsätze vorsah, deren Höhe für die Opferseite einen ehrmäßig akzeptablen Richtwert darstellen sollten.[43] Auch das Delikt des Raubes findet sich in den Bußkatalogen, etwa im Edictum Rothari, einer Gesetzessammlung des Langobardenkönigs Rothari von 643. Hierbei ist etwa für den Straßenraub eine Buße von 20 solidi (1 solidus = 1 Schilling)[44] vorgesehen, im Falle eines Blutraubes bzw. Raubmords ist neben dem Wergeld eine Buße von 80 solidi zu zahlen[45], eine immens hohe Summe, vergleicht man diesen Betrag mit dem Bußsatz der fränkischen Königsbannbuße (60 solidi)[46].

12

Neben den germanischen Rechtsbüchern,[47] sind die seit dem 13. Jahrhundert entstandenen Rechtsbücher[48] eine zentrale Quelle für die Beschäftigung mit dem germanischen bzw. germanisch-deutschen Recht. Durch das Aufkommen der Städte seit dem 12. Jahrhundert entstanden zahlreiche Rechtssammlungen in Form von Stadtrechten, in die auch das örtliche Gewohnheitsrecht einfloss. „Zum Kernbestand der Stadtrechte […] gehören von Anfang an auch strafrechtliche Regelungen, die den Stadtfrieden sichern.“[49] Mit dem Aufkommen dieser neuen Rechtsquellen ging das Bedürfnis nach der Aufzeichnung des Rechts einher. Bei diesen Aufzeichnungen handelt es sich jedoch keineswegs um staatlich angeordnete Kodifikationen, sondern vielmehr um private Rechtssammlungen, sog. „Rechtsbücher“[50] oder „Rechtsspiegel“[51]. Größte Bedeutung kommt hierbei dem sog. Sachsenspiegel, der zwischen 1220 und 1235 von dem sächsischen Adligen Eike von Repgow aufgezeichnet wurde,[52] sowie dem später zusammengestellten Schwabenspiegel (ca. 1275) zu.

2. Die Verklärung des „germanischen Rechts“ im 19. Jahrhundert

13

Wie oben bereits ausgeführt (Rn. 3), stellt sich bei der Beschäftigung mit der geschichtlichen Entwicklung des Raubes insbesondere die Frage nach einer sich nach und nach herausbildenden Eigenständigkeit des Tatbestandes. Eine besondere Relevanz erhielt diese Frage nach einer klaren, von anderen Delikten abgrenzbaren Tatbestandsformulierung zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Im Zuge der zu dieser Zeit aufkommenden Strafzweckdiskussion bemühte man sich um „eine Präzisierung der Tatbestände mit eindeutigen Merkmalen und klaren Abgrenzungen“.[53] Zudem herrschte angesichts des aufkommenden nationalen Bewusstseins ein verstärktes Bestreben nach einer Kodifikation des Strafrechts.[54] Dies erforderte auch die Herausarbeitung eines eigenen nationalen Rechts.[55] Hierzu suchte man insbesondere nach Abgrenzungsmerkmalen zwischen deutschem und römischem Recht, um so eine „typisch germanische“ Tatbestandsformulierung zu entwickeln.

14

Diese Suche nach genuin „deutschem“ bzw. „germanischem“ Recht zeigte sich auch und gerade in der damaligen Auseinandersetzung mit dem Diebstahls- und (in Abgrenzung dazu) dem Raubtatbestand. So stellte man beim Vergleich von römischem und germanischem Recht fest, dass im germanischen Recht für den Diebstahl die Todesstrafe vorgesehen war, der Raub aber entweder nicht oder wesentlich geringer bestraft wurde.[56] Dagegen sei im römischen Recht der Raub gegenüber dem Diebstahl härter geahndet worden.[57] Hieraus folgerte man, dass bei den Germanen eine heimliche Tatbegehung (wie beim Diebstahl) gegenüber der offenen (wie beim Raub) deutlich negativer konnotiert gewesen sei; sie gelte als falsch und verschlagen und somit als besonders verwerflich.[58] So sei bei den Germanen der „Dieb feige und schleichend […], im Räuber […] [sehe man aber] den kühnen und verwegenen Mann und hatte [. . .] Achtung vor seiner Manneskraft.“[59]

15

Diese Vorstellung, dass der Raub als offen und „mannhaft ausgetragenes“ Delikt im germanischen Recht als weniger verwerflich als der Diebstahl als heimliches Delikt galt und sich darin der „Kern des Unrechtsverständnisses“[60] der Germanen zeige, ist bis heute verbreitet. Doch lohnt es sich, diese Ansicht, die von Siems später treffend als „Lehre von der Heimlichkeit des Diebstahls“[61] bezeichnet wurde, kritisch zu hinterfragen. So stellt sich, gerade angesichts des historischen Kontexts, in dem die „Lehre von der Heimlichkeit des Diebstahls“ aufkam, die Frage, inwieweit die Annahme eines spezifisch germanischen Diebstahls- und Raubbegriffs ideologisch geprägt ist. So steht etwa Siems dieser „Lehre von der Heimlichkeit“ aufgrund des Mangels diese Lehre unterstützender Belegstellen höchst kritisch gegenüber.[62] Dieser Quellenknappheit waren sich die damaligen Vertreter der Lehre von der Heimlichkeit durchaus bewusst. Jedoch wurde die fehlende Quellengrundlage etwa von Amira damit abgetan, dass der „Vorwurf fehlender Quellengrundlage […] [ein] unzulässiges Argument e silentio […] sei“.[63] Diese fehlende Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit kritischen Fragen lässt darauf schließen, dass andere Beweggründe hinter der Verfechtung eines spezifisch germanischen Diebstahlsbegriffs gestanden haben müssen. Im Zuge der Bemühungen um die Ausbildung eigenen nationalen Rechts strebte man (wohl gerade angesichts der spärlichen Quellenlage) danach, „den Geist, der darin [in den germanischen Rechtsinstituten] waltet“[64] zu erkennen und machte so als „Charakter des Diebstahls […] die Heimlichkeit fest, die nicht zum Begriff des römischen furtum gehört habe“[65] aus. Für die nachhaltige Etablierung dieser Lehre war nach Siems[66] Wildas Schrift „Strafrecht der Germanen“ von 1842 entscheidend, indem sie ihr die nötige Reputation auch bei anderen Autoren verschaffte.[67] (Scheinbar) unterstützt wurde die Lehre von der Unterscheidung von Mord und Totschlag, die ebenfalls nach dem Merkmal der Heimlichkeit erfolgte, sodass die Unterscheidung nach der Heimlichkeit zu einem allgemeinen Prinzip erhoben wurde.[68] Die später ideologische Aufladung eines dem „germanischen Geist“ entsprechenden Rechts muss bei der Beschäftigung mit dem germanischen Recht somit stets berücksichtigt werden.

IV. Das gemeine Recht – Der Raub in der Constitutio Criminalis Carolina

16

In der Constitutio Criminalis Carolina Kaiser Karls V. von 1532 (CCC) findet sich der Tatbestand des Raubes in Art. 126 CCC – ohne jegliche Festschreibung der tatbestandlichen Merkmale.[69] Schaffstein sieht hierin ein Zeichen dafür, dass deren Kenntnis zu Zeiten der Carolina schlicht vorausgesetzt wurde.[70] In der Carolina heißt es unter der Überschrift „Straff der rauber“: „Item eyn jeder boßhafftiger überwundner rauber, soll nach vermöge vnser vorfarn, vnnd vnserer gemeyner Keyserlichen rechten, mit dem schwerdt oder wie an jedem ort inn disen fellen mit guter gewonheyt herkommen ist, doch am Leben gestrafft werden.“[71] Der Raub wurde in der Carolina in erster Linie als Delikt gegen den öffentlichen Frieden gesehen; Radbruch sieht den Raub in der Carolina denn auch als eine „Art Landfriedensbruch“, der als Rechtsgüter neben Eigentum und Vermögen auch Freiheit, Leib und Leben schützt.[72] Der Raubtatbestand war somit nicht als rein vermögensschädigendes Delikt ausgestaltet.[73]

17

Dem „boßhafftigen, überwundnen Räuber“ drohte nach der Carolina die Todesstrafe durch das Schwert.[74] Jedoch wurde die Folge der Schwertstrafe zunächst noch einschränkend gehandhabt. So sollte sie lediglich demjenigen Räuber angedeihen, der seine Tat(en) auf öffentlicher Straße, bewaffnet oder wiederholt beging.[75] Hingegen war es gleichgültig, ob der Räuber adeliger Herkunft war, was eine klare Absage an das Adelsprivileg des berechtigten Fehderaubes darstellte.[76] Tatsächlich wurde das mittelalterliche Fehderecht bereits 1495 auf dem ersten Reichstag in Worms durch den ewigen Landfrieden abgeschafft.[77] Trotzdem kam es noch bis ins 16. Jahrhundert zu gewaltsamen Fehden und ritterlichen Raubzügen.[78] Das daraus resultierende hohe kriminalpolitische Bedürfnis einer abschreckenden Raubstrafbarkeit in Zeiten, in denen Wegelagerei und bewaffneter Raubüberfall auf Reisende an der Tagesordnung waren, war sicher auch Grund für die aus heutiger Sicht drakonische Strafpraxis der Carolina.[79] Historisch gesehen ist die Schwertstrafe allerdings eine relativ humane Form der Todesstrafe im Vergleich zu dem schmachvollen Hängen, das Dieben angedacht war.[80]

 
V. Entwicklung in der Epoche der Aufklärung

1. Vorbemerkung

18

Im Zuge der Aufklärung rationalisierte sich der Umgang mit dem Recht. Insbesondere unter dem Einfluss des Descartes’schen Rationalismus entstand die Vorstellung, „dass man aus der Vernunft auch ein vollständiges Rechtssystem ableiten könne.“[81] Somit bemühte man sich im Bereich des (Straf-)Rechts um Systematisierung und Rationalisierung,[82] mithin um eine vollständige Aufzählung und möglichst detaillierte Ausgestaltung der einzelnen Tatbestände.[83] Auch hinsichtlich des Raubtatbestandes erstrebte man eine möglichst präzise Formulierung, sodass in der Zeit ab dem 18. Jahrhundert wichtige Entwicklungsstufen hin zur heutigen Fassung des Raubtatbestandes auszumachen sind. Nachvollziehen lässt sich diese Entwicklung des Raubtatbestandes insbesondere anhand der zwei für diese Epoche zentralen Gesetzgebungswerke, dem Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten (ALR), das am 1. Juli 1754 in Kraft trat, sowie am Bayerischen Strafgesetzbuch, das ab dem 1. Oktober 1813 galt.

2. Allgemeines Preußisches Landrecht

19

§ 1187 des ALR[84] formulierte den Raubtatbestand folgendermaßen: „Wer durch Gewalt an Menschen, bewegliche Sachen, wozu er kein Recht hat, seines Gewinns, Vortheils, oder Genusses wegen in Besitz nimmt, macht sich eines Raubes schuldig.“ An diesem Tatbestand zeigt sich zunächst, dass der Raub – auch in Abgrenzung zum Diebstahl – durch das Merkmal der Gewalt an der Person gekennzeichnet war.[85] Dieses Kriterium geht dabei im Wesentlichen auf Böhmers Unterscheidung zwischen Gewalt gegen Personen und Gewalt gegen Sachen zurück, wobei letztere für die Begehung eines Raubes nicht ausreichen sollte.[86] Böhmer hatte sich insbesondere mit seinem Lehrbuch „Elementa jurisprudentiae criminalis“ um die Rechtswissenschaft verdient gemacht, das als erstes Lehrbuch des Strafrechts von wissenschaftlichem Rang gilt.[87] Mit seiner Unterscheidung von Gewalt gegen Personen und Gewalt gegen Sachen leitete Böhmer die Entwicklung der heute bestehenden Fassung des Raubtatbestandes in Abgrenzung zum Diebstahl ein.[88] So sei „durch die Aufstellung des Unterscheidungsmerkmals der Gewalt an Personen [die Abgrenzung von Raub und Diebstahl] auch im Sinne einer grundsätzlichen begrifflichen Trennung beider Delikte“ erfolgt.[89] Überdies diente nun das Tatbestandsmerkmal der Gewalt an Personen zur Begründung der gegenüber dem Diebstahl erhöhten Strafbarkeit.[90] Ursprünglich war der Raub seit der Carolina „ausschließlich der ‚violata securitas publica‘ wegen unter Strafe gestellt“, wurde also primär als Verbrechen gegen das Gemeinwesen und den öffentlichen Frieden verstanden.[91] Als man im Zuge der naturrechtlich geprägten Bestrebungen, den einzelnen Tatbeständen ein angemessenes Strafmaß hinzuzufügen, zwischen Staats- und Privatdelikten unterschied,[92] ermöglichte dies nach Landmesser gerade beim Raub, „wo sich Zweck und Hauptabsicht des Täters ja gegen das Privateigentum richten, […] [dessen] klare Zuordnung zu den Privatverbrechen“[93]. Dementsprechend hatte man nun bei der Strafzumessung „den nötigen Spielraum für eine sorgfältige Abstufung nach dem Grade des der Person zugefügten Schadens“, da das ALR hier vier verschiedene Stufen der Strafbarkeit unterschied.[94]

20

Neben dem Tatbestandsmerkmal der Gewalt stellt sich auch die Frage, „inwieweit auch Drohungen den Tatbestand des Raubes erfüllen“[95] konnten. Diese Frage war schon zu Zeiten der gemeinrechtlichen Autoren problematisch,[96] Böhmer führte die (wohl auf Carpzov zurückgehende) Differenzierung zwischen vis absoluta und vis compulsiva fort.[97] Im ALR findet sich hierzu § 1188 ALR: „Auch schon derjenige, welcher einen Diebstahl ohne wirkliche Gewalt, jedoch unter Androhung gefährlicher Behandlung ausübt, hat als Räuber eine acht- bis zehnjährige Festungsstrafe, nebst Züchtigung am Anfange und Ende der Strafzeit, verwirkt.“

21

Ein für uns interessanter, an dieser Stelle kurz zu nennender, Aspekt ergibt sich aus einem Vergleich von § 1188 ALR mit § 1255 ALR. In § 1255 ALR findet sich der Tatbestand der concussio: „Ist jemand durch Concussion genöthiget worden, Gelder oder Sachen ohne Vergeltung zu geben: so ist eine dergleichen Erpressung, nach Maaßgabe der dazu gebrauchten Mittel, gleich einem Diebstahle oder Raube zu bestrafen.“ Hierbei zeigt sich, dass auch das ALR für den Raub und die räuberische Erpressung verschiedene Tatbestände bereithielt und diese Unterscheidung offensichtlich „nach dem Kriterium ‚Nehmen oder Geben‘“[98] erfolgte.

3. Bayerisches Strafgesetzbuch (1813)

22

In Art. 233 des Bayerischen StGB von 1813 wird der Raubtatbestand folgendermaßen formuliert: „Wer, um eine Entwendung zu vollbringen, einer Person Gewalt anthut, entweder durch thätliche Mißhandlungen oder durch Drohung auf Leib und Leben, der ist des Raubes schuldig, er habe seine habsüchtigen Absichten erreicht oder nicht.“[99] War noch im ALR unklar, wie der Gewaltbegriff beschaffen sein sollte, nahm das Bayerische StGB eine Ausdifferenzierung dergestalt vor, dass hierunter „thätliche Mißhandlungen“ oder „Drohung auf Leib und Leben“ zu verstehen ist. Im Hinblick auf die heutige Fassung des Raubtatbestandes ist dies bereits deshalb bemerkenswert, da ausdrücklich zwischen Gewalt und Drohung unterschieden wird und sich Letztere gerade nicht mehr als Unterfall des Gewaltmerkmals einordnen lässt. Eine weitere entscheidende Veränderung erfuhr der Tatbestand durch den Passus „um eine Entwendung zu vollbringen“. Für Landmesser markiert dieser Zusatz eine wichtige Entwicklungsstufe des Raubtatbestandes, da das Bayerische StGB anders als das ALR nun „den Raub nicht mehr als gewalttätige Entwendung oder Entwendung durch Gewalt an der Person, sondern als Gewalt an der Person zum Zwecke der Entwendung [beschreibt].“[100] Dementsprechend stellte das Bayerische StGB auch andere Anforderungen an die Vollendung des Raubtatbestandes. Maßgeblich für die Verwirklichung des Delikts war danach allein die Zufügung von Gewalt gegen eine Person, die in Entwendungsabsicht verübt werden musste. Folglich galt der Raub unabhängig von einer tatsächlich erfolgten Wegnahme als vollendet.

23

Von besonderem Interesse ist aus heutiger Sicht auch hier die Abgrenzung von Raub und Erpressung. Das Bayerische StGB unterscheidet zwei Erpressungstatbestände, Art. 241 und Art. 242.[101] Während sich Art. 241 auf eine Erpressung im Zusammenhang mit Rechtsgeschäften oder Schulderlass bezieht, schließt Art. 242 auch die Sacherpressung mit ein.[102] Neben den Bezugspunkten der Erpressungstatbestände unterscheiden sich zudem die angewandten Erpressungsmittel.[103] Während Art. 241 sich auf das Raubmittel der Gewalt bezieht („thätliche Mißhandlung“), spricht Art. 242 von der Drohung mit „künftiger Mißhandlung“, wodurch deutlich wird, dass das Bayerische StGB lediglich eine Unterscheidung hinsichtlich der vom Täter angewandten Mitteln kennt, eine Unterscheidung im Hinblick auf das Verhalten des Opfers (Geben oder Nehmen) aber nicht gemacht wird.“[104]

VI. Entwicklung vom preußischen StGB (1851) bis 1945

24

Der heute gültige Tatbestand des Raubes kristallisierte sich erst Mitte des 19. Jahrhunderts heraus, als auch die Drohungsalternative auf Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr gegen Leib oder Leben beschränkt wurde,[105] wobei als ein für die Strafrechtsentwicklung entscheidender Schritt das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten von 1851 angesehen wird. So ist wohl Vogel zu verstehen, wenn er ausführt: „[Der] Durchbruch zum modernen Recht gelang mit dem preuß. StGB 1851 über Raub und Erpressung.“[106] Der Raubtatbestand wurde im preußischen StGB in § 230 wie folgt formuliert: „Einen Raub begeht, wer mit Gewalt gegen eine Person, oder unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben, eine fremde bewegliche Sache einem Anderen in der Absicht wegnimmt, sich dieselbe rechtswidrig zuzueignen.“[107] Als schweren Raub qualifizierte dabei § 232 den Raub mit Waffen, Banden und den Straßenraub, § 233 sah für den Raub mit schwerer Körperverletzung oder Todesfolge lebenslange Freiheitsstrafe vor.[108]

25

Das preußische StGB enthielt damit im Wesentlichen die heutige Fassung des Raubtatbestandes.[109] Gleichzeitig diente es als Vorläufer des Strafgesetzbuches des Norddeutschen Bundes, das als Reichsstrafgesetzbuch[110] vom 1. Januar 1872 an im gesamten Reich galt und mit dem das Deutsche Reich damit ein einheitliches Strafgesetzbuch erhielt.[111] Der Raubtatbestand war in § 249 RStGB dabei im zwanzigsten Abschnitt wie folgt formuliert: „Wer mit Gewalt gegen eine Person oder unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben eine fremde bewegliche Sache einem Anderen in der Absicht wegnimmt, sich dieselbe rechtswidrig zuzueignen, wird wegen Raubes mit Zuchthaus bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnißstrafe nicht unter sechs Monaten ein.“[112] Die in § 250 RStGB geregelten Raubqualifikationen fassten dabei die §§ 232, 233 des prStGB 1851 zusammen und fügte den Raub zur Nachtzeit in einem bewohnten Gebäude hinzu.[113] Nach § 251 RStGB wurde der Räuber mit Zuchthaus nicht unter zehn Jahren oder mit lebenslänglichem Zuchthaus bestraft, wenn beim Raub „ein Mensch gemartert oder durch die gegen ihn verübte Gewalt eine schwere Körperverletzung oder der Tod desselben verursacht worden ist“. Mit „Gewalt“ war die Gewalt zur Überwindung von Widerstand gegen die Wegnahme gemeint.[114] Für den qualifizierenden Erfolg hatte der Täter stets einzustehen („objektive Erfolgshaftung“).[115]

26

Betrachtet man die reformgeschichtliche Entwicklung des Raubtatbestandes seit Einführung des RStGB von 1871, so sind dessen „Grundzüge […] im Großen und Ganzen bis heute beibehalten worden.“[116] So erfuhr der Tatbestand des § 249 RStGB während des Kaiserreichs und der Weimarer Republik keine Änderungen.[117] Zentraler Gegenstand juristischer Diskussionen war vielmehr das Verhältnis von Raub und (räuberischer) Erpressung, im Zuge derer verschiedene Reformvorschläge für das RStGB entwickelt wurden.[118] So wurde etwa vorgeschlagen, Raub und räuberische Besitzerpressung durch den Passus „wegnimmt und abnötigt“ in einem einheitlichen Tatbestand zusammenzufassen.[119]

27

Auch zur Zeit des Nationalsozialismus erfuhr der Raubtatbestand selbst keine Änderungen.[120] Anders der Strafrahmen. Die Verordnung gegen Gewaltverbrecher vom 5. Dezember 1939[121] („Gewaltverbrecherverordnung“) ermöglichte eine „Aufstockung“ von Raubdelikten zur sog. Gewaltverbrechertat, welche die Todesstrafe als Rechtsfolge vorsah. Tatbestandsvoraussetzung des § 1 Gewaltverbrecherverordnung war das Vorliegen bestimmter Ausführungsmodalitäten;[122] daneben bildete die Einordung des Täters als „Gewaltverbrecher“ ein ausschlaggebendes Strafbarkeitskriterium.[123] Hierin zeigt sich beispielhaft die im Nationalsozialismus übliche Anwendung der Tätertypenlehre.[124]

28

Hinzuweisen ist auch auf das Sonderstrafrecht für Polen und Juden im Reichsgebiet[125] und den besetzten Ostgebieten. Die Verordnung über die Strafrechtspflege gegen Polen und Juden in den eingegliederten Ostgebieten vom 4. Dezember 1941[126] („Polenstrafrechtsverordnung“) regelte nicht nur die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts in den eingegliederten Ostgebieten, sondern führte zudem ein Sonderstraf- und Strafprozessrecht[127] für Juden und Polen ein, das in erster Linie durch eine massive Verschärfung der Strafrahmen sowie völlige Missachtung sämtlicher Verfahrensrechte gekennzeichnet war.[128] Dies zeigt sich auch am Raub, der, sofern er gegen einen Deutschen begangen wurde, nunmehr mit der Todesstrafe geahndet wurde.[129]