Der Ausschluss des Gattenwohls als Ehenichtigkeitsgrund

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4.2.4 Sententia coram Turnaturi v. 13.05.2004283

Turnaturi stellt zunächst fest, dass zwischen den beiden in c. 1055 § 1 genannten Zielen der Ehe Gleichrangigkeit herrsche und die ordinatio ad bonum coniugum ein elementum essentiale darstelle.284 Um genauer zu beschreiben, was das Gattenwohl inhaltlich ausmacht, führt er das ius ad vitae communionem an, das im Zusammenhang mit einer Unfähigkeit zur Eheführung häufig in der rotalen Rechtsprechung begegne. Dieses Recht auf eine Lebensgemeinschaft beinhalte – so legen es die von Turnaturi zitierten Urteile nahe – das Recht der Partner auf ein gegenseitiges Verhalten, das dem Wesen der Ehe entspricht. Diese eher vage Definition konkretisiert der Ponens anhand mehrerer Stimmen aus Judikatur und Doktrin dahingehend, dass ein gemeinsames Wachstum sowie eine gegenseitige psychosexuelle Ergänzung und Vervollkommnung der Gatten anzustreben sei.285

Zur Beweisführung erinnert Turnaturi daran, dass eine Partialsimulation in Bezug auf das bonum coniugum auch anhand des Verhaltens der vermeintlich simulierenden Partei aufgezeigt werden könne: Wer sich unverändert von Beginn der Ehe an gegen das Erreichen und Fördern des Gattenwohls stelle, schließe es aus.286 Ein positiver Ausschlusswille liege dann vor, wenn der Wille gegen das gemeinsame Wachstum gerichtet sei.287

Abschließend verweist Turnaturi auf die traditionelle Unterscheidung zwischen einem finis operis und einem finis operantis und deren Bedeutung im Hinblick auf den Ehewillen: Das bonum coniugum sei ein solcher finis operis, ein Ziel, das zum Wesen der Ehe gehöre. Solche Wesensziele müssen zwar nicht ausdrücklich bei der Eheschließung angestrebt, dürfen aber nicht ausgeschlossen werden. Verfolge hingegen jemand ein der Ehe nicht intrinsisches Ziel finis operantis), bspw. eine finanzielle oder soziale Besserstellung, sei das für sich genommen nicht unbedingt ein Konsensmangel. Denn neben den finis operis könnten ein oder mehrere fines operantis treten, solange der finis operis nicht ausgeschlossen werde. Das wäre u. a. dann der Fall, wenn der finis operantis im Widerspruch zum finis operis stünde.288

Diese letztgenannte Unterscheidung zwischen finis operis und finis operantis kam im vorliegenden Fall zum Tragen: Die Partner hatten bereits vor der Eheschließung immer wieder heftigen Streit, der auch nach der Heirat nicht aufhörte. Anlass für die Auseinandersetzungen war insbesondere die Weigerung des Klägers, seine Partnerin als Miteigentümerin einer Einzimmerwohnung eintragen zu lassen. Sie hatte sich das vorehelich von ihm zusichern lassen und forderte es immer wieder nachdrücklich ein, wohingegen er dies zurückwies.289 Die Aussagen der Prozessparteien und der Zeugen, ob die Nichtklägerin das bonum coniugum ausgeschlossen habe, waren widersprüchlich; die Nichtklägerin stritt den Vorwurf ab.290 Dennoch kam das Gericht zur Auffassung, dass die Frau mit der Eheschließung vor allem ökonomische Absichten verbunden hatte, was offenbar auch bei ihren früheren Beziehungen der Fall gewesen war.291 Für sich genommen – das zeigen die Ausführungen zu finis operis bzw. finis operantis in der Rechtslage – beeinträchtigt das den Ehewillen nicht. Entscheidend war für das Gericht, dass es sich beim Streit um die Eigentümerschaft der Wohnung um eine Frage von vergleichsweise geringem finanziellen Wert handelte, die Frau aber dennoch so sehr darauf beharrte, dass die Beziehung schließlich wegen dieser Streitigkeiten scheiterte. Daraus schlossen die Richter, dass sie nicht das Wohl des Mannes intendiert hatte, sondern einen materiellen Vorteil erhalten wollte. Das Recht des Mannes auf die communio vitae, auf gemeinsames Wachstum und gegenseitige Ergänzung, sei von der Frau wegen ihrer finanziellen Interessen nicht berücksichtigt worden; sie habe das bonum coniugum ausgeschlossen.292

Obgleich in der Rechtslage ausdrücklich betont wird, dass zum Beweis einer Simulation ein positiver Willensakt vorliegen müsse und ein dem Wesen der Ehe fremder finis operantis nur dann einen Konsensmangel darstelle, wenn der finis operis durch einen prävalierenden positiven Willensakt ausgeschlossen werde,293 findet sich in den Entscheidungsgründen und der Beweiswürdigung kein Hinweis darauf, inwiefern die Nichtklägerin einen solchen gesetzt hatte. Das Gericht wies nach, dass der Ehewille der Frau nicht darauf gerichtet war, eine Partnerschaft mit dem Mann zu begründen, die auf gegenseitige Vervollkommnung und gemeinsames Wachstum angelegt war. Statt eines positiven Ausschlusswillens wurde das Fehlen eines ausreichenden Ehewillens nachgewiesen.294

4.2.5 Sententia coram McKay v. 19.05.2005295

Dieses Urteil benennt das bonum coniugum und die generatio prolis als Ziele bzw. Zwecke (fines) der Ehe. Es bekräftigt, dass zwischen dem Erreichen dieser Ziele und den ihnen entsprechenden Pflichten zu unterscheiden sei:296 Für die Gültigkeit einer Ehe sei es unerheblich, ob tatsächlich Kinder aus einer Ehe hervorgehen, solange sich die Partner gegenseitig das „ius ad actus per se aptos ad prolis generationem297 übertrügen. Analog dazu sei eine Ehe nicht deswegen ungültig, weil das Gattenwohl nicht erreicht werde.298 McKay sieht die Frage nach einer näheren Beschreibung des bonum coniugum als ungelöst und schwierig an, weil der Gesetzgeber es anstelle der altkodikarischen Sekundärzwecke mutuum adiutorium und remedium concupiscentiae (c. 1013 § 1 CIC/1917) in den Codex aufgenommen habe, diesen jedoch keine rechtliche Relevanz zugesprochen wurde. Vor diesem Hintergrund stellt er infrage, ob das bonum coniugum mehr umfasse als die Sekundärzwecke oder ob es nicht vielmehr bereits in den augustinischen bona enthalten sei.299

Mit Verweisen auf die Enzykliken Arcanum divinae sapientiae Leos XIII. sowie Casti connubii Pius’ XI. über die Ehe sucht McKay zu belegen, dass bereits vor der Promulgation des neuen Codex die Paarbeziehung im Sinne gegenseitiger Unterstützung und innerer Vervollkommnung Teil der kirchlichen Ehelehre war und dass ein Zusammenhang zwischen den traditionellen bona und den Sekundärzwecken bestehe.300 McKay hält fest, dass das bonum coniugum in der Rechtsprechung der Rota noch nicht klar definiert worden sei, man aber sagen könne, es werde dann verwirklicht, wenn für die augustinischen bona Sorge getragen werde bzw. dann, wenn die Gatten einander beistehen und sich so gegenseitig vervollkommnen.301 Die zuvor gestellte Frage, ob das bonum coniugum mehr umfasse als die Sekundärzwecke und die traditionellen bona matrimonii, verneint er. Ob sich aus dem Gattenwohl konkrete Rechte und Pflichten ableiten lassen, zu deren Übernahme jemand im Sinne des c. 1095, n. 3 in der Lage sein müsse, gibt das Urteil nicht an.302 Zu einer incapacitas im zwischenmenschlichen Bereich wird nur festgestellt, dass man in erster Linie die Pflicht zur ehelichen Treue übernehmen können müsse und dass ein Mangel an Zuneigung den Konsens nicht beeinträchtige, weil der amor coniugalis nicht der Herrschaft des Willens unterliege.303

Die Darlegungen zum Ausschluss des Gattenwohls selbst sind kurz gehalten: Nach c. 1101 § 2 sei die Ehe ungültig, wenn die Ehe selbst, eine Wesenseigenschaft oder ein Wesenselement ausgeschlossen werde. Da es sich beim bonum coniugum aber um ein Ziel bzw. einen Zweck der Ehe handle und es somit nicht unter eine der aufgezählten Kategorien falle, komme es als mögliches Objekt einer Partialsimulation überhaupt nicht in Betracht.304 Außerdem sei das bonum coniugum in den augustinischen bona enthalten und da der Nichtkläger diese allesamt bejaht und verfolgt habe, habe er auch das Gattenwohl nicht ausgeschlossen.305

Das Urteil stellt einen Kontrapunkt zu den bisher vorgestellten Entscheidungen dar, weil es an der Hierarchie der Ehezwecke festhält, die nach überwiegender Ansicht durch die Ehelehre des II. Vatikanischen Konzils und den neuen Codex überwunden werden sollte. Das bonum coniugum wird zwar als personales Ziel der Ehe anerkannt, findet jedoch im Vergleich zum als finis primarius306 bezeichneten prokreativen Ziel nur geringes Gewicht: Aufgrund der Gleichsetzung mit den altkodikarischen Sekundärzwecken kommt in der Logik des Urteils dem Gattenwohl keine rechtliche Relevanz zu; die Subsumption unter die augustinischen bona spricht ihm rechtliche Eigenständigkeit ab. Dass die fines matrimonii nicht einfachhin elementa matrimonii essentialia darstellen, ist richtig, doch heißt das nicht selbstverständlich, dass die Sinnziele für das Wesen der Ehe bedeutungslos sind. Die Verbindung zwischen dem Wesen der Ehe und der Elternschaft wird darin gesehen, dass die wechselseitige Übertragung des Rechts auf zeugungsgeeignete Akte als wesentlich für die Ehe gilt. Analog dazu wird aus dem bonum coniugum eine entsprechende ehewesentliche Pflicht jedoch nicht abgeleitet. Ebensowenig wird die Unterscheidung beachtet, die bei der Codexrevision sowie in Doktrin und Judikatur immer wieder getroffen wird: Nicht das bonum coniugum als Ziel der Ehe, sondern die ordinatio ad bonum coniugum wird als Wesenselement betrachtet.

4.2.6 Sententia coram Ferreira Pena v. 09.06.2006307

Ausgehend von c. 1055 § 1 werden in diesem Urteil das bonum coniugum und die Zeugung und Erziehung von Nachkommen als elementa essentialia und als Ziele der Ehe identifiziert.308 Zum Verhältnis dieser beiden fines matrimonii wird festgestellt, dass die Zweckhierarchie, die noch im altkodikarischen Recht vertreten wurde, nicht mehr bestehe.309 Um zu beschreiben, was das bonum coniugum umfasst, wird auf die Sekundärzwecke des c. 1013 § 1 CIC/1917 zurückgegriffen: Dabei ist interessant, dass Ferreira Pena das mutuum adiutorium eher statisch und wörtlich im Sinne einer Pflicht zur Unterstützung und zur Bestreitung des Lebensunterhalts versteht und nicht eine anthropologische Vertiefung vornimmt.310 Das remedium concupiscentiae wird hingegen einer Neuinterpretation unterzogen: Im Vordergrund steht nicht länger die Rechtfertigung sexueller Akte und damit eine pessimistische Sicht darauf, sondern die Berufung der Gatten, den amor concupiscentiae immer mehr zu einem amor benevolentiae zu transformieren und so die Vervollkommnung des Partners anzustreben.311 Da diese Vervollkommnung ausdrücklich als perfectio totius alterius personae bezeichnet wird, wird deutlich, dass sich die Rede von remedium bzw. amor concupiscentiae nicht auf die eheliche Sexualität beschränkt, sondern die Partnerschaft und das Wachsen der Gatten in einem integralen Sinn verstanden werden. Insofern wird hierdurch die eher restriktive Interpretation der gegenseitigen Hilfe ergänzt und ausgeglichen.

 

Ferreira Pena zufolge wird das bonum coniugum ausgeschlossen, wenn bei der Heirat die damit verbundenen Rechte und Pflichten zurückgewiesen werden.312 Welche das im Einzelnen sind, wird nicht ausgeführt. Es lässt sich aber ausgehend von der obigen Beschreibung des Gattenwohls anhand der Sekundärzwecke eine Pflicht zur gegenseitigen Unterstützung und Wahrnehmung der gemeinsamen Berufung zur gegenseitigen Vervollkommnung ausmachen. Dieser Befund wird dadurch verstärkt, dass mehrere Begriffe aus anderen Rota-Urteilen aufgezählt werden, die auf das bonum coniugum hindeuten sollen und die ein spezifisch eheliches Verhalten zwischen den Partnern implizieren.313

Im vorliegenden Fall aus Portugal lernte der 87-jährige Mann die etwa vierzig Jahre jüngere Frau auf einer Pilgerfahrt kennen, bereits nach fünf Monaten Bekanntschaft feierten sie ihre Hochzeit. Er hatte erst einige Jahre zuvor seine zweite Ehefrau verloren und wollte durch die Eheschließung neues Glück finden, während sich nach der Heirat zeigte, dass die Frau vor allem finanzielle Interessen verfolgte. Bereits unmittelbar nach der Hochzeitsfeier verhielt sie sich auffällig und zunehmend distanziert: In der Hochzeitsnacht lag sie zunächst in einem eigenen Schlafzimmer und erklärte dem Mann, dass sie ihm vorab gesagt habe, dass sie nur seine Begleiterin (companheira) sein wolle und Geschlechtsverkehr mit ihm ablehne. Tatsächlich wurde die Ehe nie vollzogen; mehrere Zeugen berichteten von der großen Enttäuschung des Mannes. Die Frau beschränkte die Kommunikation auf das Notwendigste, nahm keine Rücksicht auf die Gefühle ihres Partners und wurde ihm gegenüber gewalttätig. Nach mehreren erfolglosen Versöhnungsversuchen strebte der Mann ein Ehenichtigkeitsverfahren an. Als die Frau davon hörte, bemühte sie sich ihrerseits, die Partnerschaft zu erhalten, offenbar weil sie durch eine affirmative Entscheidung finanzielle Einbußen befürchtete. Der Mann erkannte jedoch ihre Absicht und zog schließlich in ein Seniorenheim.314

Die Rota hatte in diesem Verfahren hinsichtlich dreier Klagegründe jeweils in dritter Instanz zu entscheiden: Ausschluss der Ehe selbst, Ausschluss des bonum prolis und Ausschluss des bonum coniugum; alle drei aufseiten der Nichtklägerin.315 Das Gericht hielt daran fest, dass eine Simulation durch einen positiven Willensakt hervorgebracht werde, der explizit oder implizit vorliegen könne, allerdings von anderen Formen, bspw. einer bloßen Haltung zur Ehe (voluntas habitualis), zu unterscheiden sei.316 Neben einem direkten Beweis durch ein Geständnis des simulierenden Partners sei auch ein indirekter Beweis möglich: Hierzu seien die Gründe für die Eheschließung mit den Gründen für die Simulation unter Berücksichtigung der vorliegenden Umstände zu vergleichen.317 Bei einem Ausschluss des bonum coniugum sei hinsichtlich eines entfernteren Simulationsmotivs (causa simulandi remota) zu überprüfen, ob der Charakter des Simulierenden eher auf den eigenen Nutzen als auf eine schenkende Liebe gerichtet sei; unmittelbares Simulationsmotiv (causa simulandi proxima) könne das Fehlen wirklicher Liebe sein.318

Das Gericht resümierte, zwischen den Partnern habe kein wirkliches Eheleben, keine Kommunikation und keine Intimität bestanden. Auch wenn ein Geständnis der Nichtklägerin fehle und nicht immer ein expliziter Ausschlusswille zu erkennen sei, stehe aufgrund der Partei- und Zeugenaussagen sowie nach Würdigung der Umstände fest, dass die Frau das bonum coniugum und das bonum prolis ausgeschlossen habe.319 Auch bei diesem Urteil wurde der Mangel im Ehewillen präsumiert.320 Worin der Ausschluss jeweils konkret bestanden habe, wird nicht erläutert: Angesichts der vorangehenden Ausführungen liegt nahe, dass der Ausschluss des bonum prolis in der fehlenden Übertragung des ius ad actus coniugales durch die Frau gesehen wurde. Den Ausschluss des bonum coniugum stellte vermutlich die fehlende Absicht dar, ein „wirkliches“ Eheleben führen zu wollen.321 Zum Klagegrund der Totalsimulation werden innerhalb der Beweiswürdigung keine Aussagen getroffen, so dass nicht zu eruieren ist, inwiefern die ausführlich dargelegten finanziellen Interessen der Frau im Sinne eines finis operantis im Zusammenhang mit dem Ausschluss des Gattenwohls stehen.322

4.2.7 Sententia coram Monier v. 27.10.2006323

Auch in diesem Urteil wurde bekräftigt, dass der zum Ausschluss einer Wesenseigenschaft oder eines Wesenselementes erforderliche positive Willensakt nicht immer explizit sein müsse, sondern auch implizit sein könne, weshalb das Verhalten des vermeintlich Simulierenden zu berücksichtigen sei.324 Erneut wurde auch das Prinzip „facta esse verbis eloquentiora“ herangezogen.325 Im vorliegenden Fall war die Beweisführung insofern schwierig, als dass der Mann in den drei Jahren Beziehung vor der Eheschließung hinsichtlich der Partnerschaft ein unauffälliges Verhalten zeigte. Erst nach der Hochzeit verschlechterte es sich: Er war egoistisch, aufbrausend und aggressiv, ließ sich von seiner Frau und deren Mutter versorgen und war – dem Anschein nach aus eigenem Verschulden – immer wieder arbeitslos und sorgte daher nicht für seine Familie.326 Üblicherweise wird eine Übereinstimmung zwischen dem Verhalten des Simulierenden vor und nach der Eheschließung gefordert,327 in diesem Fall rückte jedoch gerade der starke Gegensatz ins Zentrum der Aufmerksamkeit: Um die Ehe zu schließen, habe der Nichtkläger die Beteiligten hinsichtlich seines Charakters irregeführt.328 Die außergewöhnliche Verhaltensänderung stehe außerdem im Zusammenhang mit einer schweren psychoaffektiven Unreife, die ein Gutachter beim Nichtkläger im Hinblick auf den anderen Klagegrund feststellte. Das Gericht führte hierzu aus, der Mann habe aufgrund seiner psychischen Verfassung zwar die drei augustinischen bona übernehmen können, nicht aber das bonum coniugum.329 Weiterhin sei ein gleichzeitiges Vorliegen von Partialsimulation und incapacitas assumendi zwar selten, aber nicht unmöglich. Im vorliegenden Fall sei die Ehe nichtig wegen einer Juxtaposition der beiden Klagegründe, und zwar stehe die incapacitas über dem Ausschluss des bonum coniugum.330 Die Ehenichtigkeit wurde wegen Ausschlusses des bonum coniugum festgestellt. Obschon für das Gericht auch die incapacitas des Mannes als erwiesen galt, erging in diesem Punkt kein Urteil.331

Es fehlen konkrete Angaben zum Zusammenhang von Eheführungsunfähigkeit und Partialsimulation sowie zur Beweiswürdigung im vorliegenden Fall. Am Ende des Urteils wird zwar eine Reihe von als erwiesen geltenden Tatsachen angeführt: Der Mann sei nicht fähig gewesen, eine interpersonale Beziehung einzugehen und habe implizit das bonum prolis ausgeschlossen, weil er allein darüber bestimmte, wann die Partner Geschlechtsverkehr hatten. Er sei unfähig, eine Ehe zu begründen, weil er zusammen mit seinen Eltern die Zeremonie als Komödie betrachtete. Weil er die Klägerin während der Verlobungszeit über seinen wahren Charakter täuschte, stehe außerdem fest, dass er nicht in der Lage sei, das Sakrament der Ehe zu verstehen und zu bewirken.332 In welchem Zusammenhang diese Vielzahl von Sachverhalten zur Einschätzung steht, dass ein Ausschluss des bonum coniugum bzw. eine incapacitas vorliege, wird nicht ausgeführt. Da mehrfach auf die Irreführung der Frau durch den Nichtkläger hinsichtlich seines Charakters eingegangen wurde, ist dies vermutlich der Umstand, aufgrund dessen die Richter den Ausschlusswillen als gegeben ansahen.333 Insgesamt wurde anstelle des Nachweises einer causa nubendi und einer causa simulandi bzw. eines positiven Ausschlusswillens aufzuzeigen versucht, dass der Mann keinen ausreichenden Ehewillen besessen habe, weil er sich seiner Frau nicht schenken und sie nicht als Partnerin annehmen wollte.334 Es sei ihm vielmehr darum gegangen, gut versorgt zu sein.335

4.2.8 Sententia coram Defilippi v. 26.02.2009336

Da die Ehe im vorliegenden Fall 1979 geschlossen wurde, stellt der Ponens zunächst fest, dass der Klagegrund Ausschluss des Gattenwohls auch bei Ehen angeführt werden könne, die unter der Geltung des CIC/1917 geschlossen wurden. Er begründet das damit, dass die partnerschaftliche Dimension zur Natur der Ehe gehöre und als ius ad vitae communionem auch schon vor dem CIC/1983 als Teil des Wesenskerns der Ehe betrachtet wurde.337 Das bonum coniugum wird näherhin als elementum essentiale angesehen und umfasse alles das, was erforderlich sei, damit die Eheleute einander wirklich Partner und Weggefährten sein können.338 Im Rahmen der Ausführungen zu c. 1095, n. 3 kommt das bonum coniugum ebenfalls zur Sprache, das neben den augustinischen bona ebenfalls eine Quelle von ehewesentlichen Rechten und Pflichten darstelle: Die Partner müssen in der Lage sein, eine wenigstens erträgliche Paarbeziehung zu führen, und erfüllen können, was zu ihrer psychosexuellen Ergänzung erforderlich sei.339

Weil das bonum coniugum als Wesenselement der Ehe betrachtet wird, schreibt Defilippi dem Verhalten der Gatten in Bezug auf das partnerschaftliche Miteinander rechtliche Relevanz zu. Zur Beurteilung einer Partialsimulation wird eine Kriteriologie verwendet, in welcher die gegenseitige Übertragung und Annahme von Rechten bzw. Pflichten konstitutiv für die Eheschließung sind. So sei auch in Bezug auf das Gattenwohl die klassische Unterscheidung zwischen der Übertragung des Rechts und der Übertragung des Rechtsgebrauchs zu treffen: Werde nur das exercitium iuris ausgeschlossen, beeinträchtige das den Ehekonsens nicht; werde hingegen das ius selbst nicht übertragen, komme eine gültige Ehe nicht zustande.340

Die Ausführungen zum Erfordernis eines positiven Willensaktes und zu dessen Charakter gehen nicht über die bereits geschilderten Grundsätze der rotalen Rechtsprechung hinaus und bedürfen daher keiner weiteren Erläuterung.341 Der Kläger hatte als Grund für das caput „Ausschluss des bonum coniugum“ das Verhalten seiner Partnerin während der Ehe angegeben.342 Da aber zu diesem Klagegrund keine Beweiselemente erbracht wurden, wird nicht näher darauf eingegangen, worauf sich die Vorwürfe des Mannes in diesem Punkt stützten. Die Nichtklägerin gab an, den Willen gehabt zu haben, sich um den Mann und die Familie zu kümmern, ihn als Vertrauten (confidente) zu gewinnen und eine Lebenseinheit mit ihm zu gründen.343 Das Gericht gelangte nicht zur Auffassung, dass die Frau das Gattenwohl ausgeschlossen hatte; auch hinsichtlich der beiden anderen Klagegründe (c. 1095, n. 3 bzw. Ausschluss der Unauflöslichkeit, beide aufseiten des Mannes) erging kein affirmatives Urteil.344

4.2.9 Sententia coram Heredia Esteban v. 26.02.2013345

Den Ausführungen des Ponens liegt die Einsicht zugrunde, dass die Ehe der Natur des Menschen entspreche und Aussagen über das Wesen der Ehe daher ausgehend von dieser menschlichen Natur getroffen werden müssen. Die Ehe sei folglich nichts den Brautleuten Fremdes, in das sie von außen eintreten müssten, oder das sie selbst aus eigener Kraft hervorbringen oder nach Gutdünken gestalten könnten. Die Partner verwirklichen vielmehr das Potenzial, das in ihrer Natur als Frau und als Mann bereits grundgelegt sei.346 Das Einswerden der Partner, biblisch umschrieben mit ein Fleisch werden347, sei daher nicht auf die sexuelle oder generative Dimension zu beschränken, sondern sei auf die ganze Person gerichtet.348 Wenn sich die Partner durch den Ehekonsens schenken und annehmen, werde der eine dem anderen Ehefrau bzw. Ehemann, die zu einer Lebens- und Liebesgemeinschaft berufen seien. In dieser Gemeinschaft, welche die ganze Person umfasse, seien sie einander „co-participes et co-possidentes349. Ehe wird demnach als dynamische Lebenseinheit verstanden, konstituiert nicht durch die gegenseitige Übernahme von Rechten und Pflichten, sondern durch die Hingabe und Annahme der Partner, um eine Schicksalsgemeinschaft zu gründen.

 

Dieses „pro-iectum vitae“ konkretisiere sich in der Verwirklichung der beiden Eheziele (fines): dem Wohl der Partner und der Elternschaft.350 Diese beiden Ziele seien – so stellt Heredia Esteban mit Verweis auf die Rota-Ansprache Papst Johannes Pauls II. aus dem Jahr 2001 fest – untrennbar miteinander verbunden: In der Geschlechtlichkeit der Eheleute sei die Hinordnung und damit die Offenheit für beide Ziele wesentlich enthalten: Fehle die Offenheit für Nachkommenschaft, finde keine wirkliche Selbst-Schenkung der Gatten statt und es könne kein wirkliches bonum coniugum geben.351 Ebenso könne man das bonum prolis nicht ohne Rücksicht auf die Person und das Wohl des anderen Partners verwirklichen, sonst mache man den anderen zum bloßen Werkzeug für das Erreichen dieses Zieles.352 Zur Frage, wie es sich mit der Untrennbarkeit der fines matrimonii verhalte, wenn die Partner z. B. wegen Unfruchtbarkeit keine Kinder bekommen können, äußert sich der Ponens nicht.

Zum Verhältnis zwischen den beiden Zielen und dem Wesen der Ehe führt das Urteil aus, die Ehe sei von anderen Formen von Partnerschaft dadurch unterschieden, dass sie sowohl auf das Wohl der Gatten als auch auf Nachkommenschaft hingeordnet sei. Eine Über- oder Unterordnung, wie sie im CIC/1917 noch begegnete, werde nicht mehr vorgenommen.353 Weiterhin seien nicht die Ziele selbst bzw. deren Verwirklichung als konstitutiv für die Ehe anzusehen, sondern die jeweilige Hinordnung der Ehe auf diese Ziele. Entsprechend wird die ordinatio auf das jeweilige finis als elementum essentiale und damit als mögliches Objekt einer Partialsimulation nach c. 1101 § 2 betrachtet.354

Hinsichtlich eines Ausschlusses der Hinordnung auf das Gattenwohl weist Heredia Esteban zunächst auf den Zusammenhang zwischen dem bonum coniugum und den drei augustinischen Ehegütern hin: Schließe einer der Partner eines der drei traditionellen bona aus, bringe das stets auch eine Verletzung des Gattenwohls mit sich.355 Doch werde in der kanonistischen Forschung und Rechtsprechung sowie vom kirchlichen Lehramt vertreten, dass der Ausschluss des Gattenwohls unabhängig von den tria bona einen eigenständigen Klagegrund darstelle. Ausgehend von der letzten Rota-Ansprache Papst Benedikts XVI.356 versucht das Urteil eine Annäherung an dieses caput nullitatis: Ein gültiger Ehekonsens komme nur dann zustande, wenn beide Nupturienten sich einander wirklich als Partner schenken und einander annehmen wollen. Voraussetzung dafür sei die Anerkennung der Personenwürde und der gleichen Stellung des anderen. Erkenne ein Partner zum Zeitpunkt der Eheschließung die Grundrechte des anderen nicht an – bspw. das Recht auf Leben oder auf Unversehrtheit – stelle dies einen Ausschluss des bonum coniugum dar.357 Eine Ehe umfasse mehr als das bloße physische Zusammenleben der Partner: Wer den anderen als Gatten zurückweisen – was vermutlich im o. g. Sinne einer gleichberechtigten Teilhaberschaft am Leben des anderen gemeint ist – oder den anderen zur eigenen Befriedigung instrumentalisieren wolle, gehe keine gültige Ehe ein.358 Der von Papst Benedikt genannte Zusammenhang zwischen dem fehlenden Glauben eines Partners und dem Ausschluss des Gattenwohls sei von der Rechtsprechung noch näher zu untersuchen.359

Auch in diesem Verfahren lag weder ein gerichtliches noch ein außergerichtliches Geständnis des Nichtklägers vor, ebenso wenig war anhand der Tatsachen und der Partei- und Zeugenaussagen ein Ausschluss des Gattenwohls zu beweisen.360 Für das Gericht stand nicht im Zweifel, dass der Mann aus Liebe geheiratet hatte; eine causa simulandi konnte nicht ermittelt werden.361 Die zur Sachlage getroffenen Aussagen über das bonum coniugum bzw. über dessen Ausschluss stimmen mit den Grundsätzen aus der Rechtslage überein: Nachzuweisen wäre, dass der Mann seiner Partnerin die gleiche Würde abgesprochen hätte oder sie nicht als Gattin im Sinne einer con-sors, als einer Teilhaberin ihres gemeinsamen Schicksals ansehen wollte.362 Weil sich hierzu kaum Beweiselemente finden ließen, werden diese Anforderungen nur in geringem Ausmaß konkretisiert: U. a. stand zur Prüfung an, ob der Mann seiner Frau gegenüber gewalttätig gewesen war und daran möglicherweise ein Ausschlusswillen hätte erkennbar werden können.363 Doch selbst wenn es – so ruft das Gericht in Erinnerung – zum Ende der sechsjährigen Ehe zu Gewalt zwischen den Partnern gekommen wäre, stelle nur ein Vorbehalt zum Zeitpunkt der Eheschließung einen Konsensmangel dar, der nicht bereits durch ein Scheitern der Partner an der Verwirklichung des bonum coniugum bewiesen werde.364

4.3 Ergebnis

In der Zusammenschau lassen sich in den untersuchten Urteilen gemeinsame Grundlinien und Übereinstimmungen feststellen, aber auch Divergenzen ausmachen.

Was die formale Bestimmung betrifft, also die Frage, in welchem Verhältnis das Wohl der Gatten zum Wesen der Ehe steht bzw. was als elementum essentiale im Sinne des c. 1101 § 2 und damit als Objekt einer Partialsimulation betrachtet werden kann, ist festzuhalten: Bis auf wenige Ausnahmen365 bestimmen alle untersuchten Urteile das bonum coniugum oder die ordinatio ad bonum coniugum als Wesenselement der Ehe.366 Eine entsprechende Tendenz war bereits in der Judikatur bis zum Jahr 2000 auszumachen, obgleich dort insgesamt noch signifikante Unterschiede in der Bestimmung bestanden. Die Beschäftigung mit dem Ausschluss des bonum coniugum führte zu einer gewissen Konsolidierung in diesem Punkt. Die Unterscheidung zwischen dem bonum coniugum als Sinnziel der Ehe und der Hinordnung auf das bonum coniugum wird auch in den Urteilen, welche die Hinordnung auf das Wohl der Gatten als Wesenselement betrachten, nicht aufrecht erhalten. In der Streitformel oder im Urteilstenor ist stets von einer exclusio boni coniugum die Rede und nicht von einer exclusio ordinationis ad bonum coniugum.367 Das kann verschiedene Gründe haben: Möglicherweise ist es der Einsicht geschuldet, dass es aus psychologischer Perspektive für den Ehewillen keinen Unterschied darstellt, ob das Gattenwohl selbst oder die Hinordnung darauf ausgeschlossen wird. Oder aber es hat mit der speziellen Terminologie zu tun, welche die Rota bei jeder Form von Partialsimulation verwendet. So wird auch ein Ausschluss der Wesenseigenschaft der Unauflöslichkeit aus Traditionsgründen wenig präzise als exclusio boni sacramenti bezeichnet.368 Denkbar ist ein analoges Vorgehen im Hinblick auf den Ausschluss des Gattenwohls. Anhand der verfügbaren Quellen lässt sich diese Frage nicht beantworten.

Um zu bestimmen, was das bonum coniugum inhaltlich umfasst, kommen vor allem drei Facetten zur Sprache:

Erstens wird auf die Sekundärzwecke der Ehe aus c. 1013 § 1 CIC/1917 verwiesen, wobei hier meist eine personale Neuinterpretation oder Erweiterung gegenüber der klassischen Lehre von mutuum adiutorium und remedium concupiscentiae vorgenommen wird. Renzo Civili beschränkt die gegenseitige Hilfeleistung nicht auf die materielle Ebene, sondern sieht die Aufgabe der Gatten darin, sich in einem umfassenden Sinn gegenseitig zu ergänzen.369 Für Jair Ferreira Pena besteht zwar das mutuum adiutorium bloß darin, dass die Gatten sich bei der Bestreitung des Lebensunterhaltes unterstützen, er sieht im remedium concupiscentiae jedoch die Berufung der Eheleute zur gegenseitigen Vervollkommnung.370 Im Urteil coram McKay lässt sich eine solche Vertiefung bezüglich des Verständnisses der Sekundärzwecke nicht feststellen.371

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