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Zwei Erzählungen

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Da wies das Greislein mit einer plötzlichen Erleuchtung freudig nach den weit offenen Türen des Wirtssaals an der Seite und drin auf die sehr nahe zusammengeschobenen Tische, die langen dichten Stuhlreihen und das wirklich bereitstehende, einladend hohe Podium, vielleicht für die Musikanten des nächsten Tanzabends vorbereitet, vielleicht von einer gestrigen Versammlung des Gegenkandidaten stehengeblieben. »Ich brauche sie nur zusammenzurufen!« rief er glückstrahlend, »sie werden alle gleich da sein.«

»Rufen!« fuhr der Herr gereizt auf, »er wird sie rufen! Wie sich das Bild der Welt im Kopfe so eines einfachen Mannes malt! Nachmittags habe ich in Klarbach, dann in Alt-Gustiz, spät abends noch in Oberreizendorf, morgen in Kieseck zu reden! Und jetzt will er sie – rufen! Oh, wenn man doch Redner und Hörer, Führer und Geführter, Gott und Welt zugleich sein könnte! Aber so allein, allein mit seiner Pflicht! Und alle Opfer, alle Hingabe, restlose Bereitschaft ungenommen, ungehört, ohne Sinn, wie ungetan verloren.«

Der Alte aber hörte nicht auf ihn, drückte sich demütig, geduckt, voll Vorsicht in der Tür an ihm vorbei und klopfte mit seinem Stock hastig die Straße hinab. Es schien, als versuche er, ob es mit kleineren Schritten vielleicht schneller vorwärts ginge, so sehr war alles an ihm Eifer und Bewegung. »Sie werden schon kommen!«

Der Herr sah ihm verzweifelt nach, griff sich mit den Fäusten in die Haare. Wenn nur einer von diesen Menschen hier ahnte, was auf dem Spiele stand: die Zukunft des Staates! Sie wußten ja gar nicht, was das war! Glück und Freiheit aller, vielleicht die erlösende große Einsicht, die Gerechtigkeit von oben, vom Sitz der Macht! – Da schlich, kroch, schob sich der schlurfende Greis; nun war er schließlich doch um die Ecke verschwunden. Er kam ja niemals auch nur zum ersten Feld! Und während auf irgendeiner Station, auf der nächsten vielleicht, jetzt eben die Jahrzehnte herbeigesehnte Gelegenheit für Beglückung und Befreiung des Volkes einstieg und weiterfuhr, weiter und weiter vor ihm her, vielleicht nicht mehr zu erreichen, – mußte er hier stehen und warten. —

»Ja, aber warum wartete er? Warum setzte er sich nicht auch ein und fuhr davon? Warum kam ihm dieser Gedanke gar nicht? War das die Schuld? Daß Worte in ihm drängten, Dinge, die er den Leuten zu sagen hatte, gerade diesen Leuten, die stumpf und taub waren gegen die Notwendigkeit, daß jeder einzelne mit seinem Willen den Staat belebe! – Daß es wenige waren? Ach, wenn das Wort in ein richtiges Ohr fiel, konnte es oft wichtiger sein als ein Meetinggewimmel, und wann konnte man wissen, wo dieser eine war und wo er nicht war? —

Nur wer die menschliche Natur nicht kennt oder die Vorgänge in seinem Innern nicht nachfühlen will, kann sich wundern, daß der Mann bis ins Innerste vor Ungeduld wund und zitternd schon als er die ersten Landleute von fern kommen sah, verschwitzte Gesichter, Rechen und Sensen über der Schulter, ein paar Weiber und Kinder hinter ihnen, sogleich ins Haus eilte und in den Saal, zur Tribüne emporzusteigen.

Da hob sich hinter ihm draußen aus dem Auto, aus den Falten des zurückgeschlagenen Dachs vielleicht, aus einem Geheimfach, Geheimverschlag der Rückenlehne ein erregter blasser Damenkopf mit ganz unzerdrückter Frisur, – aus solch kleinem Raum! – eine elegante lichtblaue Seidenbluse, wie aus dem Boden emporwachsend ein ganz kurzer lichtgrauer Seidenrock und hohe lichtgraue Tuchschuhe; sie schwebte, reckte sich wie auf einem dritten Trittbrett hinter dem Auto stehend, beugte sich weit vor und blickte ihm nach: wie er dahinschritt! Er, der Berühmte, Gefeierte, der nie solchem verlorenen Nest die Ehre antat. Stundenweit strömten die Leute aus dem Umkreis herbei, wenn irgendwo seine Rede angekündigt war. Und hier hatte er sich selbst angeboten zu kommen und sie fanden es nicht selbstverständlich, am Sonntag! – Und dennoch stieg er nicht ein und fuhr fort: nein, wartete, um zu ihnen zu reden. Also nicht der Premier mußte es sein, nicht große Entscheidungen braucht’s, jedes Wirtshaus voll Bauernohren war ihm wichtiger als Weib und Kind! Noch sah er nicht ein, überfiel ihn nicht die Klarheit, daß sie aus Liebe, aus Güte, aus mehr Weitblick und tieferem Erkennen des Lebens seine Bemühungen um Glück und Freiheit aller haßte und verdammte. Nicht aus Eifersucht, obwohl sie ihn der Familie völlig entzogen, auch nicht, weil er sein großes Geschäft, die Zukunft seiner Kinder dem schläfrigen Direktor und dem gar nicht zuverlässigen Kompagnon überließ, nein, nur weil er selbst dabei zugrunde ging, seinen Kräften viel zu viel zumutete und sich aufrieb. Darüber, daß sie die Bemühungen Ambitionen nannte, dachte er, würde sie nicht hinausgehen. Als sie ihm beim Abschied nachrief: »Auf der Walstatt sehen wir uns wieder!« hatte er herzlich über den Scherz gelacht; so kannte er sie. – Ein anderer, jeder andere hätte diese Agitationsreise, wenn sie so furchtbar gern mit wollte, auch noch ein drittesmal aufgeschoben, als ihr Kleid immer noch nicht fertig war. Nun gut, das konnte ihm unmännlich scheinen. Das war ungeschickt von ihr gewählt. Aber als man ihm, – gleich auf die erste Station, – nachtelegraphierte, daß es eben als er fort war, geliefert worden und sie in derselben Stunde verschwunden sei, niemand wisse wohin, – hätte da nicht ein anderer sich darüber Gedanken gemacht, ob sie nicht an der geringen Zeit, die er nur zu warten gebraucht hätte, messen mußte, wie viel sie ihm war? Und man berichtete ihm, daß gleich nach ihrem Verschwinden das Kind, das liebe süße Würmchen schwer erkrankt sei und sich das Mädchen keinen Rat wisse. Aber er hörte diese Meldungen vielleicht gar nicht, weil man ihm gleichzeitig telegraphierte, daß der Ministerpräsident ihn gesucht habe, kaum er vom Hause fort war, um mit ihm etwas äußerst Wichtiges, Unaufschiebbares geheim, wohl unter vier Augen zu verhandeln. Der Ministerpräsident mit ihm! Ja, das zündete, das hatte sie gut gewählt. Das ließ ihn nicht los. Augenblicklich wollte er da natürlich die Reise unterbrechen, aber als seine Nachricht den Minister nicht mehr erreichte, weil der ihm sogleich nachgefahren war, – so große Eile hatte es, – da dachte er nicht mehr daran umzukehren. Immer dringender telegraphierte das Mädchen: daß der Zustand des Kindes sich verschlimmere, wo denn die Frau sei? Es sei so selten ein Arzt zur Stelle in dieser schrecklichen Zeit. Die Verantwortung sei ihr zu schwer. Sie war viel zu gewissenhaft. Herzlose vielleicht, die hätten das mit ansehen können, aber sie, sie telegraphierte ihm ihre Kündigung. – Er suchte und jagte den Premier von Ort zu Ort des Wahlkreises, immer erregter, weil er sich mit ihm, der vielleicht vor ihm herjagte, nicht verständigen konnte. Sie durften nicht viel telephonisch oder telegraphisch hin- und herfragen; es hätte auffallen können. Die Beamten konnten, vom Parteifieber der Wahltage ergriffen, unzuverlässig sein. Und es durfte auch nicht das geringste Gerücht von einer solchen Zusammenkunft in die Öffentlichkeit dringen. Die höchsten Staatsinteressen waren in Gefahr. Vielleicht waren die Gegensätze im Volke durch die Erregung der Tage und die äußern Vorgänge zu unberechenbarer Maßlosigkeit aufgestachelt. Aber hier dieser armselige Wirtssaal vermochte ihn aufzuhalten. Hier wartete er, um zu ein paar Bauern zu reden. Keine Sorge störte, beirrte ihn. Er wußte nicht, daß er ein Heim, eine Familie hatte, sah nicht fern sein Kind einsam sterben, die Frau umherirren, ihr verlorenes Glück suchen. – Mit dem Ernst und der Entschlossenheit eines Mannes, der seine oberste Pflicht kennt, schreitet er dahin, auf dem die ganze schwere Verantwortung des Vertrauens aller ruht und der sich würdig fühlt, weil die Sache ihm heilig ist, nicht Ruhm, nicht Einfluß, nicht einmal Liebe des Volkes ihn lockt, nichts, nichts an ihm ihm selbst gehört, alles allen, der Zukunft, der Nation. – Und er steigt zwischen den leeren Tischen, den eingeschobenen Stuhlreihen zur Tribüne empor, merkt gar nicht, daß der Saal leer ist, – sie hob sich auf die Fußspitzen, um in die Fenster zu sehen, – steht schon oben und beginnt wirklich seine Rede. Wie bei solchem Manne, solchem Erfülltsein vom Feuer der Ideen nicht anders zu erwarten, bemerkte er nicht, daß die Bauern, die er gesehen hatte, und auch alle Nachfolgenden sich nicht hereinzukommen getrauten, als sie ihn drin schon reden hörten, sondern ehrfürchtig draußen vor der Tür stehen blieben und lauschten. Die stille, immer schwülere Mittagsluft wurde durchschnitten von seinen immer leidenschaftlicher herausgeschleuderten Anklagen, Forderungen, Beschwörungen, Beweisen. Die Luft zitterte, die Fenster klirrten, die Bretter der Bühne bebten von der Erregung seiner Füße.