Fremde in der Nacht

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Fremde in der Nacht
Fremde in der Nacht
Hörbuch
Wird gelesen Andreas Heinemann
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»Nur wenn’s kühler wird.«

Die »Runde« ist Erich Kopelkes, unseres Verkaufsleiters, Steckenpferd. Er liebt es, seine Außendienstler um sich zu scharen und sie mit eitel Optimismus vollzupumpen. Ich gehe gar nicht ungern hin, denn hinterher sitzt man oft bis in die Nacht bei einem Tropfen zusammen und erzählt die ausgefallensten Begebenheiten. Es gibt keinen Versicherungsagenten, der nicht mal auf Tour von einem kokainsüchtigen Yuppie vollgeweint, von einer Alzheimer-Oma zum Erben bestimmt oder von einer honetten Hausfrau auf die Couch gezerrt worden wäre. Manchmal nimmt uns Kopelke mit zu sich nach Hause. Mia, sein Weib, so breit wie hoch und Herz für zwei, macht erstklassiges Käsegebäck.

»Wir brauchen dich, Hahn. Du bist beim Rollenspiel der beste Kunde von der skeptischen Abteilung.«

Ich muss lachen, fahre mir mit dem Zeigefinger in den Kragen, denn ich schwitze immer noch und merke dabei, dass mir die ganze linke Hand wehtut. Da ist Yvonne mit ihrer Rübe draufgeknallt. Ihr Haar hat wie Glaswolle gestochen.

Leo möchte, dass ich bei meiner Versandfirma ein paar Kisten Frankenwein für seine Party ordere. Er hat vorhin die Gästeliste zusammengestellt. Da ist ein Problem aufgetaucht.

»Weißt du, irgendwie ist es absurd, wenn ich Almut nicht einlade. Aber wenn sie kommt, kommst du nicht. Was soll ich machen?«

»Wirf ’ne Münze.«


Ich liebte Almut noch, als ich sie rauswarf, und bin auch jetzt, anderthalb Jahre nach unserer Trennung, nicht mit ihr fertig. Magda weiß das. Sie sagte neulich: »Schade. Ihr wart schönes Paar.« Manchmal denke ich: Hätte Almut nicht diese Augenbrauen gehabt und diesen Blick, wäre da nicht ihre fahrige, aber reizende Art gewesen, mit den Händen zu reden und mit den Fingern Figuren in die Luft zu zeichnen, ich wäre längst von ihr los. Aber natürlich ist das ein dummer Gedanke, denn dann hätte ich mich ja nicht in sie verliebt und sie nicht geheiratet. Sie wollte es nicht wahrhaben, aber sie war es, die unsre Ehe kaputtgemacht hat. Sie hat Ralph Schaufuß in unsere Zweisamkeit eingeschleppt, und mir war’s nun mal nicht gegeben, die Rolle, die sie mir zugedacht hatte, auszufüllen. Ich war guten Willens, ich wollte ihr beweisen, wieviel mir an ihrem Glück gelegen war. Aber was hilft der gute Wille, wenn es kommt, wie’s mit uns kam.

Merkwürdigerweise habe ich den Abend, an dem Ralph Schaufuß dabeisein und alles dann so kommen sollte, wie Almut es sich wünschte, mit einem Gemisch aus Furcht und Spannung erwartet. Wenn er nur, dachte ich, nicht wieder Champagner spendiert. Ich muss das doch als Herablassung empfinden, als eine Geste, die besagen will: Mein armer Hagen, du bist nun mal leider noch ein bisschen spießig, und um dich zu animieren und deine Verkrampfungen zu lockern, habe ich hier ein Tröpfchen mitgebracht, wie es uns allen dreien guttut und wie ihr zwei es euch nicht so oft leisten könnt... Skäl! Ich sprach Almut auf diesen Punkt an und bat sie, Ralph davon abzuhalten, etwas mitzubringen. Sie guckte, als hätte nicht sie, sondern ich eine ausgefallene Vorstellung vom ehelichen Intimleben. Dabei zog sie ihre Brauen zusammen, die so gekräuselt, in ihrer feuchten Teerschwärze, sehr attraktiv wirkten. »Lass ihn doch mitbringen, was er will, Liebling«, sagte sie in völliger Verständnislosigkeit. »Weißt du, zu dritt dauert es eh länger. Und es macht großen Spaß, wenn man zwischendurch eins zwitschert.« Dabei sah sie in offenkundiger Vorfreude erst mich, dann ihre Hände, Knie und Fußspitzen an und kicherte in sich hinein.

Über die Regie des Abends hatten wir gesprochen. Almut und Ralph fanden es fair, mir als dem Dreier-Neuling die Wahl zu lassen: Wollte ich zuerst aktiv oder Zuschauer sein? Es war mir immer als eine Selbstverständlichkeit erschienen, dass ich als Ehemann den Anfang machen müsste. Aber wenn ich mir die Szene vorstellte, wurde ich nicht froh damit. Es konnte doch sein, dass ich versagte. Oder dass ich, mitten im Akt, Ralph zum Teufel wünschte und das herausschrie. Als Zuschauer würde ich mich, so hoffte ich, leichter in der Gewalt behalten. Zur Not konnte ich die Augen schließen. Das schien mir nicht ganz so schmachvoll wie der Zusammenbruch meiner Männlichkeit in Almuts Armen - mit Ralph als verständnissinnigem Beobachter. Sollte das im zweiten Akt passieren, so hatte ich als toleranter Zuschauer schon ein paar Pluspunkte in petto, und die Niederlage wäre nicht so verheerend.

An einem Wintersamstagabend war es dann soweit. Ralph erschien - mit einem Handy in der Brusttasche und mit Champagner! Wir stießen an. Redeten ein bisschen hin und her, ohne den Dreier anzusprechen, zu dem wir ja nun bereit waren. Schließlich nahm Almut mich beiseite - sie schickte mich ins Schlafzimmer; im Sessel vorm Fenster sollte ich warten. Das tat ich. Die beiden legten im Bad ihre Sachen ab und duschten; Ralph telefonierte, während Almut ein Weihnachtslied sang. Als sie eintraten, schwiegen sie immerhin, nur Almut hustete künstlich. Beide trugen Morgenmäntel. Er führte sie an seiner Hand wie eine Braut herein und lächelte dazu. Almut trug noch Schmuck und ihre Armbanduhr, die legte sie jetzt ab. Es gab kein verführerisches Getue ihrerseits, keine Worte oder Gesten, nichts. Ich weiß noch genau, dass die geschäftsmäßig-stille Geste des Uhr-Abnehmens, die sie genauso vollzog, wenn sie nur ins Bett ging, um zu schlafen, mich wirklich rührte. Oha, dachte ich, jetzt geht es los, gleich wird sie nackt und ich werde nicht mit ihr allein sein. Und mein Magen verzog sich erst Richtung Herz, dann Richtung Gedärm und blieb da schmerzend hängen.

Ohne meiner Wenigkeit im Sessel einen Blick zu gönnen, lösten beide ihre Bindegürtel und warfen die Mäntel von sich. Ich roch unser Duschgel und bewunderte verstohlen Ralphs drahtige Figur. Sein Rücken war ziemlich gekrümmt, aber so muskulös, dass die Krümmung nicht störte. Sein Becken war leicht nach hinten gekippt, wie um einer staunenden Welt das gesträubte rostrote Schamhaar vorzuführen, auch den einstweilen noch fromm herabhängenden Schwanz, der aber selbst in diesem Zustand durch seine breite Wurzel bestach. Almut kniete sich augenblicklich auf den Teppich, fing sein Ding mit den Lippen und sog es ein. Ralph legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Er stellte die Füße ein Stück weit auseinander, um einen guten Stand zu haben und gab von gurrendem Lachen untermischte Seufzer von sich. Ich betrachtete seine Schenkel, die einen enormen Umfang hatten. Vor ihm wirkte Almut elfenzart. Sollte ich sie nicht beschützen? In Sicherheit bringen? Es dauerte nicht lange, dann gab ihr Mund einen wundervoll aufragenden Schwanz frei. Er reichte ihr die Hand, um sie emporzuziehen. Dann hob er sie vom Boden hoch und legte sie aufs Bett. Und sich daneben.

Eine Welle von Eifersucht schwappte mir ins Herz. Sie war nicht groß, dafür böse, drängend und ungewohnt. Ich zitterte in meinem Sessel und schwitzte außerdem. Das Paar lag umschlungen da, er deckte sie mit seinem Körper zu. Sie zog seinen Kopf auf ihr Gesicht herab, um mit ihm jene Küsse zu tauschen, die ich seit dem »Crystal« gut kannte. Aber mit seinem Mund an ihrem waren es natürlich andere Küsse. Ralphs Lippen waren üppig, hübsch geschwungen, und einige seiner dickeren Sommersprossen saßen genau auf der Trennlinie von lila Lippenhaut und weißer Gesichtshaut - als hätten sie nicht gewußt, wohin. Ob wohl Almut seine Küsse besser schmeckten als meine, da ja meine Lippen schmal und rosa sind? Und er? Wie dachte er über ihren Mund, über ihre hingebungsvolle Art zu küssen - so als sänke sie dabei in Trance? Was dachte er überhaupt?

Er spricht jetzt zu ihr, flüstert von Lachen und Küssen verzerrte Wörter in ihr Ohr, und als sie darauf dankbar juchzt, wird er lauter. Ich verstehe »dein Mann«, ich verstehe »muss alles sehen«, ich verstehe »Ehemann«, ich verstehe »Angetrauter« und noch einmal »sieht zu« und allerlei obszöne Vokabeln, die beiden einen Heidenspaß machen. Dabei liegt Almut ziemlich regungslos unter dem Muskelmann, und ich weiß wieder nicht, wo ich meine Freude an dieser Szene hemehmen soll. Mein Magen schert noch einmal aus; ich möchte flüchten und richte mich schon auf.

Da haben die beiden genug von ihren Albernheiten und rollen sich ein paarmal umeinander. Ralph richtet sich auf. Er nimmt ihre Hände in seine und breitet ihre zarten Arme über das Laken aus. Dann macht er es mit ihren Beinen ebenso: Er kniet und sieht sich ihre gespreizten Glieder an. Ich gewahre seinen Schwanz, der seine volle Form behalten hat und jetzt auch von ihm, Ralph, der weidlich lächelt, begutachtet wird. Und sie, natürlich, sie starrt auch auf das Wunderding. Er setzt es, noch lächelnd, ohne mit der Hand zu helfen, auf ihren Hügel und tickt und sucht und rutscht. Seine Lippen spitzen sich zu einem »Oooh« und löschen so das Lächeln aus. Sie schließt die Augen, drückt den Hinterkopf ins Kissen Und reckt ihm ihr Kinn entgegen.

Ich sehe mir das an und werde ruhig. Ich denke: So ist das also. Wie normal. Wie unproblematisch. Wie menschlich. Ich lächele sogar vor mich hin. Nein, da ist nichts, wofür man sich schämen muss - weder wenn man zuschaut, noch wenn man es macht. Hat nicht Ralph einen perfekt gerundeten roten Hintern, dessen Backen, wenn er ihn ausholend hebt, ganz leicht auseinanderwogen und dabei verletzlich aussehen, fast kindlich und jedenfalls hübsch. Hat er nicht feine, lange Hände, die liebkosend am Kopf der Frau, an ihrem Ohr, in ihrem Haar zugange sind und die nur Gutes wollen? Warum soll ich dagegen sein, dass so etwas geschieht, dass sie es tun und ich dabei bin? Ich betrachtete Ralphs Rücken, der feucht zu schimmern begann, und stellte erfreut fest, dass ich Lust empfand. Es war eine neue Empfindung. Sie entsprang in den Leisten, floss über den Damm in die Hinterbacken und verteilte sich da. Sie wollte sich nicht sammeln, was mir recht war. Ich genoss sie und legte mir die Hand an den Zwickel. Ich dachte: Almut hat recht gehabt. Auch für mich springt was raus aus dem Dreier. Bin ich der geborene Voyeur und habe es bis heute nicht gewusst? Ich dachte nicht weiter darüber nach, weil ich zu sehr damit beschäftigt war, zu fühlen.

 

Ich zog mir die Schuhe aus und dann auch gleich die Hose.

Ich griff mir, während Almut und Ralph es noch trieben, meinen Morgenmantel. Mit ihm auf den Knien erwartete ich Höhepunkt und Ende des Akts auf meinem Ehebett. Ich weiß noch, dass ich heiter war und voller Sympathie. Zu was für einer Größe das Lustgefühl den Charakter steigern kann! Ich hatte auf einmal für vieles Verständnis. Almut war nun mal, wie sie war. Warum nicht ihre Eigenart mitlieben und das Paar auf dem Bett dort segnen? Wofern ich nur... Das Bild der verschlungenen Körper wurde unscharf vor meinem Blick. Meine Augen suchten Ralphs Kopf, der irgendwo zwischen den Kissen und Almuts Brüsten vergraben war. Ich stellte mir seine Gesichtszüge vor. Es wurde mir nicht gleich klar, dass ich meine schöne Gelassenheit mit einem neuen Verlangen erkauft hatte. Ich freute mich für die beiden, als sie kurz nacheinander, erst sie, dann er, kamen und in große Töne ausbrachen: Sie heulte auf, er stöhnte herzhaft, und ich zog die Flasche aus dem Kühler. Es folgte ein allgemeines Morgenmantel-Überziehen und Haare-aus-der-Stim-Streichen wie in der Sauna. Das gefiel mir nicht schlecht. Ralph lachte sportlich und sah mich - wie mir schien absichtsvoll - mehrfach groß an. Almut lächelte verklärt. Sie bemerkte wohl die Gelöstheit in meiner Miene und deutete sie in ihrem Sinn. Wir gerieten in eine humorige Laune, die an Ausgelassenheit grenzte. Schließlich saßen wir alle drei mit untergeschlagenen Beinen auf dem Zweimalzwei-Meter-Bett, süffelten Himbeergeist aus Sektkelchen und lästerten über das Fernsehprogramm.

Die Dreier-Dramaturgie wollte es, dass nach einer Erholungspause ich mit Almut schlief, während uns Ralph vom Fenstersessel aus zusah und durch seine aufmerksame Anwesenheit sowie durch die eine oder andere schlüpfrige Bemerkung Almut die Freude auch am ehelichen Sex beibringen würde. Mir schien, dass meine Frau sich stärker scheute, es vor dem anderen mit mir zu tun als mit dem Liebhaber vor mir, denn sie zögerte den zweiten Akt hinaus und hantierte immer noch mal mit dem Spannlaken. Sie schämt sich vor Schaufuß, schoss es mir durch den Kopf - ist der Schwanz ihres Ehemanns womöglich weniger formvollendet als der ihres Liebhabers? Er mag einen geringeren Durchmesser haben, räumte ich ein, aber die Länge ist okay und die verdickte Spitze geil. Das hat nicht nur sie mir öfters gesagt; wie sollte er das nicht auch finden? Ich zog mich völlig aus und lächelte in mich hinein. Ich fühlte mich gutaussehend und tolerant und meiner reizenden Ehefrau würdig. Almut brauchte nicht lange zu blasen, bis auch ich auftrumpfen konnte wie ein Affe, den die Äffin lockt, wobei, ach, ich nicht mehr wusste, für wen ich das alles hier tat, dieses seltsame »exhibitionieren«. Ich wusste nur, dass ich es plötzlich selber wollte und eine unklare, aber beglückende Erwartung damit verband.

Almut zog mich aufs Bett, sie streckte sich lachend aus; sie kam auf dem Rücken zu liegen. Ihre Hände fuhren mir entgegen, fassten meine Taille und baten mich, ihren Körper genauso zu bedecken, wie es vorhin Ralph getan hatte. Ich gehorchte. Und schämte mich doch eine Spur, weil ich mir der Wirkung meines Körpers in Bauchlage vollkommen unsicher war. Das Blut stieg mir zu Kopf, wo es nicht hingehörte. Ich fing an zu schwitzen. Stellte mir vor, ich sei ein Schauspieler in einem Pornofilm, was mir auch kurzfristig half. Aber dann drohte ich doch abzurutschen, und Almut musste ein paar Griffe und Kniffe anwenden, damit ich in Form blieb.

Ralph war inzwischen aufgestanden und ging um unser Ehebett herum. Das Geräusch seiner Schritte gefiel mir, es versetzte mich in Spannung. Ich lauschte auf seine Stimme, die mit weichem Timbre Sauereien sagte, wie Almut und er sie wohl schon oft ausgesprochen und angehört hatten, denn seine Worte und ihre Lustlaute erschienen mir wie ein gelernter Dialog. Der Refrain hieß: »Was muss ich sehen...«, ich konnte Almuts Erregung, wenn sie diese Zeile hörte, deutlich körperlich fühlen. So also macht’s der Voyeur, dachte ich, er glotzt nicht einfach nur, er teilt mit, was er sieht. Ralph beschrieb meine Rückenansicht und alles, was ich mit Almut tat, so schmeichelhaft, dass ich mich gänzlich fing. Seine frivolen Komplimente und Almuts Temperament rissen mich mit. Ich befriedigte sie so schnell wie nie zuvor, und sie küsste mich in glücklicher Erschöpfung. Ich selbst konnte oder wollte nicht kommen, was mir aber nachgesehen wurde. Almut nahm es nicht so genau, sie war viel zu vergnügt, und Ralph grunzte nur. Zu meiner Freude schien er zu finden, dass ich mich gut geschlagen hatte. Und ich, ich war nur allzu froh, vor ihm mit aufgerichtetem Schwanz hin und her gehen zu können und so vielleicht seinen Respekt zu erregen. Noch nach einer halben Stunde machten Almut und er schmeichelhafte Bemerkungen über meine Potenz.


Ich wusste damals nicht genau, was mit mir los war, und ganz klar ist mir’s bis heute nicht. Ich hielt mein Interesse an Ralph für die normale Neugier, die dem Rivalen gilt, bloß dass die bei mir durch eine Laune der Natur oder durch meine Liebe zu Almut und mein Bedürfnis, alles mit ihren Augen zu sehen, anstatt mit Eifersucht mit Begehren untermischt war. Wir hielten meinen Einstand für geglückt, und Almut vergalt ihn mir mit Zärtlichkeit und einer S-Bahnfahrt nach Potsdam.

Ralph sollte wiederkommen, der Dreier weitergehen, mit neuen Kombinationen. Almut und ich hätten nächstes Mal den Anfang zu machen, am besten in a-tergo-Position, und Ralph würde hinter der Gardine stehen. Auch dass ich hereinplatze, während er und sie mittendrin sind, hatte Almut vorgesehen, außerdem einen Vollzug zu dritt.

Es wurde ein Fiasko. Ralph kriegte von den Gardinenfusseln einen allergischen Nies-Anfall, ich platzte viel zu spät, als die beiden schon fast fertig waren, herein und ließ auch noch die erbetene gespielte Empörung vermissen. Und als wir endlich zu dritt beieinanderlagen, wurde Ralph von seiner Freundin abberufen. Die arme Frau hatte einen Bandscheibenvorfall und lag praktisch gelähmt auf ihrem Flur. Nachdem Ralph gegangen war, beschlossen Almut und ich, ihn darum zu bitten, bei unseren Rendezvous sein Handy zu Hause zu lassen. Auf meine Frage, ob denn seine Freundin wissen dürfe, dass Ralph zu uns zu Besuch komme, erklärte Almut, die sei eingeweiht. Sie schlafe ihrerseits mit einer Philippina. Ich begann, Ralph und seinen Lebensstil vorbehaltlos zu bewundern.


Wir lebten zu dritt. Zwar brachten es Berufstätigkeit und unterschiedliche Freizeitneigungen - Ralph konnte mit Modellbahnen nichts anfangen, und ich war nicht dazu zu kriegen, Tennis zu lernen - mit sich, dass wir uns nur ein- bis zweimal pro Woche sahen, aber es kam doch so weit, dass Almut und ich keinen Wochenend- und keinen Urlaubsplan schmiedeten, ohne Ralph einzubeziehen. Er und ich unternahmen sogar manches zu zweit. Wir gingen schwimmen, sammelten Pilze und unterhielten uns über Politik. Ich hörte ihm gar zu gern zu, denn er sprach, obzwar schnell, melodiös. Er war FDP-Wähler und polemisierte bei jeder Gelegenheit gegen die Subventionen, die in die Ost-Wirtschaft flossen. Seiner Meinung nach käme das Kapital nur freiwillig nach Leipzig oder Chemnitz, wenn niedrige Löhne lockten. Auf meinen Einwand, dass der Faktor Arbeit massenhaft nach Westen drängen würde, wenn das Lohngefälle sich verstärkte, entgegnete er: »Der Mensch hängt an seiner Heimat.« Auch er werde, sowie er die Frau fürs Leben gefunden habe, nach Bornholm zurückgehen.

Diese Bemerkung gab mir einen Stich. Er wollte also weg. An uns lag ihm nur wenig. Wir waren nicht mehr als eine hübsche Abwechslung für ihn, und selbst seine bisexuelle Freundin, die mit dem Rückenschaden, war nur ein vorläufiges Arrangement. Wie traurig. Ich wurde ein bisschen stiller in seiner Gesellschaft; vermutlich hat er das gar nicht gemerkt. Als wir das nächste Mal zu dritt und nackt im Schlafzimmer versammelt waren und er mir den Rücken zukehrte, während Almut vor ihm kniete, spürte ich ein enormes Verlangen, meine Hände auf seine Hüften zu legen und mein Gesicht in sein Kreuz zu schmiegen. Ich kam von diesem Wunsch nicht los. Ich wusste, dass ich nicht imstande sein würde, mit Almut zu schlafen, und entschuldigte mich unter dem Vorwand, ich hätte eine Kolik. Genaugenommen war es gar kein Vorwand. Was anfangs überraschende Lust gewesen, war bald schon in Verwirrung übergegangen und jetzt in Scham. Und das war nicht weniger schlimm als eine echte Kolik. Wir müssen über alles reden, dachte ich und beruhigte mich damit. Wir taten es sogar. Und hätten es wahrscheinlich lieber lassen sollen.

Auf der Warschauer Brücke

Als meine Schwester heiratete, schrieb ich ein achtzigzeiliges Gedicht mit Endreimen; ich trug es so gekonnt vor, dass selbst Pierre, der Bräutigam, vor Lachen prustete. Sein Deutsch ist unvollkommen, aber er hat einen sechsten Sinn für Dichtung. Als Schwager ist er ein Schatz. Und Gudrun scheint mit ihm glücklich zu sein, obwohl er doppelt so alt ist wie sie. Dafür verdient er mit dem Bau von Karussell-Anlagen ein Vermögen. Auch ich profitiere von seiner Geschäftstüchtigkeit. Er lässt sich in Versicherungsfragen von mir beraten und lädt mich nach Paris ein. Da rolle ich in Metro-Wagen unter der Lichterstadt herum, die ein Fahrgefühl vermitteln wie ’ne Raupe auf’m Rummel. »Gib zu«, habe ich zu Pierre gesagt, »eure U-Bahn-Wagen stammen aus deinem Stall!« Hahaha, Pierre lacht, dass ihm die Tränen aus den Augen springen. Die Pariser Metro hat Gummiräder, das muss man sich mal vorstellen! Wenn sie in die Kurven geht, federt sie wie ein lebendiges Pferd. Genaugenommen ist sie gar kein richtiges Schienenfahrzeug.

Meinen Bürotag beginne ich gerne wie ein regulärer Angestellter um neun Uhr. Ich war gerade in den Wagner-Schadensfall vertieft, als Gudrun anrief. Unsere Mama sei krank, ich solle mich gleich bei ihr melden. Eine Kniegeschichte, nichts Ernstes, aber lästig. Ich schrieb ihr sofort einen Brief, darüber freut sie sich mehr als über einen Besuch. »Was du für Worte findest, Junge«, sagt sie gerne, »wie ein Poet. Von wem hast du das nur?« Dabei habe ich es von ihr.

Als Papa und sie Berlin verließen, habe ich ein dreistrophiges Gedicht mit Kreuzreimen verfasst. Gudrun mäkelte wegen der melancholischen Grundstimmung, aber alle Verwandten fanden es eindrucksvoll. Ich nannte es: »Abschied«, denn darum ging es. Mein Vater stammt aus Sachsen, fand aber rechtzeitig den Weg in die Bundesrepublik. Dort traf er meine Mutter, eine Hamburgerin. Er hatte Glück, auch mit der Laufbahn, er ist Bauingenieur. Westberliner Firmen boten damals gute Positionen, und so kam ich in Tempelhof zur Welt. Jetzt ist Papa auf Rente - und als die Mauer gefallen und es möglich geworden war, ging er in seine Heimat zurück. Zumal er in Leipzig ein schönes Haus mit Garten aufgegeben hatte, das er nach kurzem Streit zurückerhielt. Er und Mama leben jetzt darin und sind nicht ganz zufrieden. Sie mussten überall die Fußböden erneuern, und was die Heizung betrifft, so bildete Papa sich erst ein, er bekäme sie wieder hin, musste aber dann doch die komplette Anlage auswechseln.

Ich bin froh darüber, dass meine Eltern nicht mehr um die Ecke wohnen, denn seit ich auf eigenen Füßen stehe, ist mein Bedürfnis nach Kontakt mit ihnen stark zurückgegangen. Besonders Papas Berichte aus der schönen Welt der Baustellen und - seit kurzem - der Rentner und ihrer heimlichen Freuden waren eine Prüfung für mich. Zwar fehlen mir Mamas Kaffee und ihre Unterhaltung, aber ich werfe es ihr auch ein bisschen vor, dass sie es nie geschafft hat, ihren tyrannischen Mann in die Schranken zu weisen. Ich habe Mama so gerne zugehört, wenn sie von früher erzählte, aber ich hasste es, wenn er dazwischenfuhr und mit dröhnendem Bass eine saudumme Predigt hielt. Gott, Papa! Seit er auf Rente war, nützte es nichts mehr, dass ich mittags kam. Er war immer da.

Und schien es nicht zu verstehen, dass ein Mensch, der am hellichten Tage Besuche macht, und sei’s bei den eigenen Eltern, dennoch ackert und Geld verdient. Ich, der ich stolz bin auf meinen freiberuflichen Status und die zeitliche Unabhängigkeit, die er mit sich bringt, hoch schätze, kam nie ohne Verächtlichkeit weg, wenn ich Papa zu erläutern suchte, dass manche Arbeitsplätze keine Stechuhr brauchen. Mama übernahm es, in Papa eine Idee davon zu wecken, wie ein freier Versicherungsagent arbeitet: dass er seine Termine macht, seine Kunden betreut, seine Kontakte pflegt, Seminare besucht und einmal die Woche einen Bürotag einlegt, und dass die Zeiteinteilung seine Sache ist. Aber Papa, in dessen Vorstellung sich die Arbeitszeit eines jeden Verdieners lebenslang von sieben Uhr morgens bis sechzehn Uhr nachmittags erstreckt, kam nicht los von dem Verdacht, dass sein Sohn ein Bummelant sei, der gar nicht wisse, was Arbeit ist. Er hält meinen Beruf für unseriös. So ein Vater ist nicht gerade der richtige, wenn man erste berufliche Erfolge erzielt und sich nach Bewunderung sehnt. Also war ich dankbar für die deutsche Einheit und die Wiedererreichbarkeit der schönen Stadt Leipzig. Und für Gudruns Bereitschaft, einen ständigen Telefonkontakt mit den Eltern zu halten, obwohl der von Paris aus teuer kommt. Aber Pierre, der hat’s ja.

 

Dienstags wäre Papa zufrieden mit mir. Denn dann sitze ich wie ein normaler Arbeitnehmer von neun bis vier am PC und bringe mein eigenes Büro auf Linie. Es ist heute wieder tropisch heiß und obendrein windstill. Gleich schlägt’s sechzehn Uhr, und ich wechsle das Hemd. Bin entschlossen, jetzt zum Mäuseturm hinauszufahren und diese Karli-Maaßen-Sache abzuschließen. Aber vorher gehe ich bei der Reinigung vorbei, denn dienstags ist meistens die Kleine im Geschäft.

So klein ist sie gar nicht, eher mittelgroß und feingliedrig. Ihre braune Wolle trägt sie im Nacken gebündelt. Sie hat dunkelblaue Augen; die Brauen bilden bei ihr keine Bögen, sondern zwei dünne, waagerechte Linien, die sich knapp über die Lider hinziehen und ihren Blick verschatten. Die Nase ist ein bisschen zu lang, das stört die Proportion, aber dass ihr Mund sehr groß ist, macht nichts, denn er ist ausdrucksvoll. Besonders angetan bin ich von ihrer Stimme, die weich und leise ist, dabei aber immer gut aufgelegt klingt. Valerie heißt das Mädchen. Und sie ist wirklich im Geschäft heute nachmittag. Da es heiß ist und die Menschen schwitzen, ist in der Reinigung nichts los. Ich bin der einzige Kunde.

»Tag, Herr Schäfer, hahaha.«

Ich habe nichts Lustiges gesagt, dennoch lacht sie, so ist sie. Sie mag mich. Aber was ist das? Sie hat einen schlimmen Bluterguß unterm linken Auge.

»Na, Valerie, die Arbeit macht kein’ Spaß bei so ’ner Hitze, was?«

»Ich sag’s Ihnen. Zeigense mal her. Ein Anzug, den Gürtel hier nehmen wir mal raus...«

»Was ist mit Ihnen passiert?«

Sie guckt zu Boden. Meine Anzughose rutscht aus ihrer Hand, sie geht in die Knie und fängt sie auf. Ist rot geworden - oder scheint es nur so, weil die Hitze uns alle in Glutwellen taucht? Valerie, was ist los?

»Alle sprechen mich drauf an«, sagt sie, »und mir ist das peinlich. Hatte gehofft, Sie würden die taktvolle Ausnahme sein ...« Jetzt kommt ein verschmitzter Blick. »War ’n ganz normaler Küchenunfall, wissen Sie. Hab mir die Kurbel von ‚ner Körnermühle in die Backe gerammt.«

Ich nicke. Die Welt ist voller Risiken, wer wüsste das besser als ich. Aber ich weiß manches mehr. Man macht seine Erfahrungen mit der menschlichen Psyche als Versicherungsagent, besonders bei der Schadensregulierung. Nach sieben Jahren Praxis weiß man, ob einer lügt. Und es ist nicht der flackernde Blick, auch nicht die zitternde Stimme, es sind die Verlegenheit des Körpers, seine Unruhe, sein Fluchtimpuls, die alles verraten. Valerie verschwindet mit meinen Sachen Richtung Sammelsack, obwohl sie die beiden Blazer noch nicht notiert hat. Es widerstrebt mir, sie in Verlegenheit zu versetzen. Deshalb wechsle ich das Thema.

»Wie geht es Fiete?« Das ist ihr Dackel.

»Der Ärmste japst ’n ganzen Tag. Wenn der sein Fell ausziehen könnte, wär ihm wohler. - Zwei Blazer noch dabei, richtig?« Sie addiert und verrechnet sich nicht. Als sie mir den Abholzettel reicht und »bis Freitag« sagt, ist ihr Gesicht mit dem Veilchen angespannt und betrübt.


Schon auf den Treppen höre ich ihn, den Klang des Xylophons. Die heisere Klage, zu der dieses Instrument seine Stimme erhebt, wird durch das Gewölbe des Heidelberger Platzes zu einem schaurigen Orgelton veredelt. Otwin spielt »If you go to San Francisco«, zwei Schulmädchen mit nassen Haaren sehen ihm andachtsvoll beim Hämmern, zu. Als er mich kommen sieht, verabschiedet er sich mit einer verschnörkelten Kadenz von San Francisco und intoniert »Strangers in the Night«. Da darf ich nicht kleinlich sein. Obwohl es mir zu üppig vorkommt, werfe ich ihm fünf Mark in den Hut. Er dankt mit einem Entblößen seines zahnlosen Oberkiefers. Mich stört es, wenn Menschen ihr Äußeres vernachlässigen, ich mag da gar nicht hinsehen. Aber ein Straßenmusikant kann sich heute keinen Zahnersatz leisten. Der Eigenanteil ist gestiegen, und wie soll er eine Zusatzversicherung finanzieren?

Der Zug kommt, ich steige in den letzten Wagen und bleibe neben der Tür stehen. Viele Passagiere sind nicht im Abteil, obwohl noch Stoßzeit ist. Halb Berlin macht Urlaub.

Am Gleisdreieck steige ich um. Ich bin stolz auf die renovierte U 2, die jetzt von Ruhleben nach Pankow durchgeht und deren Neueinrichtung ich nach dem Mauerfall Etappe für Etappe verfolgt habe. Man weiß, wie mörderisch die Mauer war, dass sie Familien gespalten und Menschenleben gefordert hat, aber nur die Berliner wissen, dass sie auch das Nahverkehrsnetz zerrissen hat. Linien wurden mittendurchgeschnitten, geteilt und stillgelegt und Bahnhöfe geschlossen. Dennoch setzte sich die Dynamik der Bahn fallweise gegen die Mauer durch. Da die U-Bahn in einem Tunnelsystem verkehrt und die Mauer nicht unterirdisch weiterging, ließ man gewisse Linien quasi unter der Mauer sich durchstehlen, so die U 6 und die U 8, die beide den Süden mit dem Norden verbinden und die Berliner von Tempelhof nach Tegel oder von Neukölln nach Reinickendorf verfrachten. Das war, als die Mauer noch stand, für Westler ohne Umstände und Grenzkontrollen möglich, obwohl die Reise durch den Osten hindurchging. Aus der geschlossenen Untergrundbahn konnte kaum jemand Bomben oder Hetzschriften werfen, und es konnte erst recht keiner aufspringen. Man stieg im Westen ein und wieder aus und unterquerte den Osten - an deren Stationen die Bahn nicht hielt, sondern durch die sie hindurchbrauste wie ein ICE durch einen Kleinstadtbahnhof. Immerhin lernten wir Kinder auf solchen Fahrten die Namen der unerreichbaren Ost-Bahnhöfe kennen: Jannowitzbrücke, Alexanderplatz, Weinmeisterstraße; Stadtmitte, Friedrichstraße, Oranienburger Tor. Unsere Fragen damals: Warum hält die U-Bahn hier nicht an? Warum können wir nicht aussteigen?, eröffneten uns, nach und nach, den Ausblick auf die Geschichte des Jahrhunderts: vom U-Bahn- bis zum Mauerbau.

Auch die S 1, die Nord-Süd-Linie der S-Bahn, die durch die Mitte führt, schließt eine Tunnelstrecke ein, auf der zu Mauerzeiten weiterhin Betrieb herrschte, ein Ein- und Aussteigen aber nicht möglich war - immer abgesehen vom Grenzbahnhof Friedrichstraße. Wer Lust auf eine Gruseltour hatte, stieg im Westen am Anhalter Bahnhof ein und fuhr runter in die Nacht und in den Osten: Potsdamer Platz, Unter den Linden, Friedrichstraße, Oranienburger Straße, Nordbahnhof - bis die Bahn am Humboldthain den Westen und den Tag gewonnen hatte und wieder hielt. Die Stationen im Osten waren kaum beleuchtet, aber man sah die alte Schrift und die verschmutzten Kacheln, sah die Meister, die diese Strecke gebaut hatten, sich im Grabe umdrehen. Manchmal konnte man einen Grenzpolizisten mit geschultertem Gewehr erkennen, der aufpassen musste, dass kein Republikflüchtling auf den Zug sprang und keine Konterbande aus einem vorüberzischenden Waggon fiel. Mir schien oft; dass die Fahrer beschleunigten, sowie eine Ost-Station in Sicht kam. Kurz nach der Wiedervereinigung, als die ehemaligen Geisterbahnhöfe neu aufgemacht wurden, las ich in der Zeitung, dass immer wieder S- und U-Bahnzugführer durch die Stationen in »Mitte« durchrasten, ohne zu halten. Sie waren es nun mal so gewohnt und konnten sich nicht gleich umstellen. Es gab Proteste von Fahrgästen, vor allem von Touristen, die extra in die S-Bahn gestiegen waren, um den Potsdamer Platz zu besichtigen. Obwohl es da ja, vorderhand, nur Sand zu sehen gibt.

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