Vom Königsbett zum Schafott

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Anmerkungen

1 Zit. nach Claudia Märtl, Straubing. Die Hinrichtung der Agnes Bernauer 1435, in: Schauplätze der Geschichte in Bayern. Hrsg. von Alois Schmid und Katharina Weigand, München 2003, S. 149 – 164, hier S. 151f.

2 Zit. nach Ebd., S. 153.

3 Zit. nach Marita A. Panzer, Agnes Bernauer. Die ermordete »Herzogin«, Regensburg 2007, S. 31.

4 Zit. nach Märtl, Straubing, S. 155.

5 Zit. nach Ebd., S. 151.

6 Zit. nach Panzer, Agnes Bernauer, S. 64.

7 Zit. nach Ebd., S. 99.

8 Die Zitate aus der Instruktion sind entnommen aus: Ebd., S. 89 - 97.

9 Zit. nach Ebd., S. 112.

10 Zit. nach Hans Schlosser, Agnes Bernauerin (1410-1435). Der Mythos von Liebe, Mord und Staatsräson, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 122 (2005), S. 263 – 284, hier S. 277.

Zum Wahnsinn verdammt
Johanna I. von Kastilien, »die Wahnsinnige«

Johanna die Wahnsinnige, eine der bis heute bekanntesten Königinnen aus Spanien, kam am 6. November 1479 als drittes Kind von Ferdinand II. von Aragón und Isabella I. von Kastilien, die als die »Katholischen Könige« in die spanische Geschichte eingingen, in Toledo zur Welt. Ferdinand und Isabella begründeten den spanischen Gesamtstaat. Während ihrer Herrschaft begann Spaniens Aufstieg zur ersten kolonialen Weltmacht. Über Kindheit und Jugend Johannas ist nur wenig bekannt. Die übersensible Prinzessin, die als das intelligenteste Kind des Königspaars galt, erhielt eine strenge, asketisch anmutende Erziehung. Sie erlernte, wie dies für Mädchen ihres Standes üblich war, mehrere Sprachen und beherrschte auch einige Musikinstrumente. Der religiösen Unterweisung kam eine wichtige Rolle zu.

Im Alter von sechzehn Jahren wurde Johanna, die schönste der vier Töchter der Katholischen Könige, mit dem einzigen Sohn Kaiser Maximilians I., Philipp dem Schönen, verheiratet. Der ein Jahr ältere Habsburger war der Landesherr in den niederländischen Territorien. Im Gegenzug heiratete Johannas Bruder Johann gleichzeitig die Schwester seines Schwagers, Erzherzogin Margarete. Von dieser Doppelhochzeit versprachen sich sowohl Ferdinand II. als auch die Habsburger Unterstützung im Kampf gegen den beiderseitigen großen Konkurrenten Frankreich, der auf diese Weise geographisch regelrecht umzingelt wurde. Die Gefühle der Brautleute interessierten bei diesem ehrgeizigen politischen Projekt nicht. Im November 1495 fand zunächst in Valladolid eine Trauung per Stellvertreter statt, bevor Johanna im Spätsommer 1496 von einer großen Kriegsflotte über den Seeweg in die Niederlande gebracht wurde. Sie reiste dabei in Begleitung eines beträchtlichen Hofstaats in ihre neue Heimat zu dem ihr bis dahin völlig unbekannten Herzog von Burgund. In Lier an der Nethe trat sie am 18. Oktober 1496 erstmals ihrem Ehemann Philipp persönlich gegenüber. Der junge Habsburger entsprach in seinem Aussehen dem männlichen Idealbild seiner Zeit, was seinen Beinamen »der Schöne« erklärt. Die beiden Brautleute verliebten sich sofort ineinander und bestanden entgegen den protokollarischen Abmachungen auf dem Vollzug der Eheschließung noch am selben Tag. Angesichts der Tatsache, dass der Erzherzog bekannt dafür war, dass er gerne »jeden Tag mit einem anderen jungen Mädchen schlief « 1, überrascht dieses stürmische Verlangen von seiner Seite aus nicht sonderlich, aber bei der verschlossen und scheu wirkenden Prinzessin erstaunt dieses leidenschaftliche Auflodern der Gefühle. Offensichtlich verfiel Johanna ihrem Ehemann, ihrem »Märchenprinzen«, vom ersten Augenblick an völlig. Am 21. Oktober 1496 fanden die Hochzeitsfeierlichkeiten statt.

Die ersten Ehejahre an dem für seinen Luxus und sein aufwändiges Zeremoniell berühmten burgundischen Hof verliefen relativ glücklich, obwohl sich Johanna mit der fröhlichen und genussfreudigen Lebensart der Niederländer nie anfreunden konnte. Herzogin Johanna gebar zwischen 1498 und 1501 drei Kinder. Den ersehnten Thronerben, den späteren Kaiser Karl V., brachte sie am 24. Februar 1500 zur Welt. Bereits zu dieser Zeit sorgten erste Eifersuchtsszenen Johannas für Unruhe. Sie liebte ihren Ehemann so leidenschaftlich und war dermaßen auf ihn fixiert, dass alle anderen Pflichten und Aufgaben dahinter zurücktreten mussten. Die junge Fürstin konnte ihre Gefühle nur schwer beherrschen, weshalb sie sich aus dem öffentlichen Leben zurückzuziehen begann. Johanna bekannte selbst einmal, dass sie, wenn sie sich von der Leidenschaft hinreißen ließ, »in einen Zustand verfiel, der meiner Würde nicht entsprach« 2. Jedes weibliche Wesen aus der Umgebung ihres lebenslustigen Ehemannes, der Liebesabenteuern alles andere als abgeneigt war, erregte ihr Misstrauen. In ihrem eifersüchtigen Verhalten ähnelte sie ihrer Mutter Isabella, die ebenfalls heftig auf die zahlreichen Seitensprünge ihres Gatten reagierte. Anfang Mai 1505 verwies Johanna selbst in einem, allerdings von Philipp dem Schönen veranlassten Brief, auf dieses mütterliche Erbe: »(...) und nicht nur ich trage diese Leidenschaft in mir, auch meine Mutter, der Gott Ruhm verleihen möge, die eine solch vorzügliche und auserwählte Person in dieser Welt war, war eifersüchtig, und auch Ihre Hoheit heilte am Ende die Zeit, wie Gott, wenn es ihm gefällt, mich heilen wird« 3.

Da ihr einziger Bruder Johann im Oktober 1497 jung verstarb, ohne einen Erben zu hinterlassen, ihre ältere Schwester Isabella im darauf folgenden Jahr das Kindbett nicht überlebte und im Juli 1500 auch der einzige Sohn ihrer Schwester Isabella als Kleinkind verschied, wurde die zwanzigjährige Johanna Erbin des spanischen Reichs. Das Königreich umfasste damals bereits neben Kastilien-León, Aragón, Granada und Neapel-Sizilien auch die westindischen Kolonien. Diese Aussicht löste am Hof Philipp des Schönen große Freude aus, wie der Chronist Lorenzo de Padilla zu berichten wusste: »Die Erzherzöge jubelten über die Neuigkeit, wozu sie auch allen Grund hatten« 4. Das junge Fürstenpaar durfte sich nun Prinz und Prinzessin von Asturien nennen. Zur Sicherung von Johannas Anspruch war es notwendig, dass sie gemeinsam mit ihrem Ehemann Philipp nach Spanien reiste, um offiziell als Erbin anerkannt zu werden.

Im Oktober 1501 verließ das Herzogspaar die Niederlande, um in Kastilien den Treueid der Granden persönlich entgegenzunehmen. Der Reisebeginn hatte sich verzögert, da Johanna wieder schwanger war und erst ihre Niederkunft abwarten musste. Am 27. Mai 1502 versammelten sich die Cortes in der Kathedrale von Toledo, um Johanna als Prinzessin von Asturien und Thronerbin der kastilischen Reiche anzuerkennen. Ihr Vater König Ferdinand II. sorgte dafür, dass auch die aragonesischen Stände Johanna als Thronfolgerin bestätigten. Dies hatte großes staatsmännisches Geschick erfordert, da die auf ihren Traditionen, Gesetzen und Vorrechten beharrenden Aragonesen noch nie zuvor eine Frau als Kronprinzessin akzeptiert hatten.

Auf Johannas Gemütslage wirkten sich die Reise und die Rückkehr in die alte Heimat weniger positiv aus. Zu ihren Eifersuchtsattacken gesellten sich noch Wahnvorstellungen und Ohnmachten. Nur Philipp der Schöne konnte seine emotional instabile Frau beruhigen. Als der Herzog im Dezember 1502 zur Rückkehr in die Niederlande aufbrach und ihn die erneut schwangere Johanna nicht begleiten konnte, verschlechterte sich deren Zustand zunehmend. Sie fühlte sich ganz verlassen und verfiel in schwere Depressionen. Ihre Gedanken kreisten nur um ihren abwesenden Gatten. Laut Petrus Martyr von Anglería, einem Mailänder Humanisten im Dienst der Katholischen Könige, ließ sie »Tag und Nacht ihren trübsinnigen Grübeleien hingegeben kein Wort von sich hören« 5. Auch nach der Geburt ihres zweiten Sohnes Ferdinand im März 1503 blieb ihr Gesundheitszustand bedenklich. Petrus Martyr berichtet: »Sie verlangt nach ihrem Mann, ist zutiefst verzweifelt, runzelt die Stirn, grübelt Tag und Nacht, ohne ein Wort von sich zu geben, und wenn sie es, bedrängt von Fragen, dennoch tut, dann voller Verärgerung« 6. Zwischen Johanna und ihrer Mutter kam es im Verlauf des Jahres 1503 zu einem heftigen Zusammenstoß. Johanna fühlte sich ständig überwacht. Anfangs verweigerte Isabella die Katholische ihr die Heimreise zu ihrem Ehemann aus Sicherheitsgründen. Betrübt schilderte Königin Isabella die Auseinandersetzung mit ihrer Tochter: »Sie sprach mit so wenig Respekt und so wenig, wie es einer Tochter geziemt, daß ich, wenn ich mir nicht ihres Geisteszustandes bewußt gewesen wäre, eine solche Sprache niemals geduldet hätte« 7. Als Isabella ihrer Tochter die Abreise endlich Ende Mai 1504 gestattete, blieb Johannas kleiner Sohn Ferdinand bei seinen Großeltern in Spanien zurück.

Nach ihrer Rückkehr nach Brüssel Anfang Juni 1504 trat keine wirkliche Verbesserung in ihrem seelischen Zustand ein. Nach der ersten Wiedersehensfreude verfolgte sie Philipp den Schönen wieder mit heftigen Eifersuchtsszenen. In ihrer Eifersucht griff Johanna sogar Philipps damalige Favoritin an und verletzte diese. Ihr wütender Ehemann sperrte sie daraufhin in ihren Zimmern ein. Petrus Martyr schilderte diese höchst unerfreulichen Szenen einer fürstlichen Ehe folgendermaßen: »Jene Feuerschlange der Eifersucht trieb sie dazu, in wüste Beschimpfungen auszubrechen, es heißt, sie habe mit wutentbranntem Herz Feuer gespuckt, mit den Zähnen gefletscht, auf eine der Damen eingeschlagen, von der sie glaubte, sie sei die Geliebte, und befahl schließlich, das blonde Haar, das Philipp so gefiel, rappelkurz schneiden zu lassen. Als dieser davon erfuhr, geriet er außer sich und wandte sich gegen seine Frau und überzog sie mit Beschimpfungen und Beleidigungen und – zum größten Schmerz der Unglücklichen – schlief ihr nicht mehr bei« 8. Johannas Depressionen nahmen zu, so dass sie sich immer häufiger in dunkle, abgeschiedene Räume zurückzog.

 

Trotz der bedenklichen Vorfälle der letzten Zeit bestimmte Isabella die Katholische ihre Tochter Johanna zu ihrer Nachfolgerin in Kastilien. Mit der Bestimmung, dass, sollte Johanna nicht in der Lage sein, selbst die Herrschaft auszuüben, ihr Vater Ferdinand für sie die Regentschaft bis zur Volljährigkeit von Johannas Sohn Karl übernehmen sollte, war das tragische Schicksal Johannas eigentlich schon vorgezeichnet. Ganz bewusst erwähnte die Königin ihren Schwiegersohn Philipp nicht in ihrem Testament. Offensichtlich sah sie in ihm keinen guten Sachwalter der spanischen Interessen. Nach dem Tod von Königin Isabella am 26. November 1504 entbrannte zwischen Johannas Gatten Philipp dem Schönen und ihrem Vater König Ferdinand II. ein heftiger Machtkampf um die Regentschaft in Kastilien. Da die neue Königin Johanna nie auf den Umgang mit politischer Macht vorbereitet worden war, sollte es ihrem Ehemann ebenso wie ihrem Vater leicht fallen, ihr dieses mütterliche Erbe streitig zu machen. Sowohl Philipp der Schöne wie auch Ferdinand II. gedachten Johannas Eifersuchtswahn für ihre Zwecke zu nutzen und die junge Frau im für sie geeigneten Moment für regierungsunfähig zu erklären und zu einer Königin auf dem Papier zu degradieren.

Wegen einer erneuten Schwangerschaft Johannas verzögerte sich die Reise des jungen Herzogspaares auf die iberische Halbinsel. Erst nach der Geburt des fünften Kindes, der Tochter Maria, konnte das Paar im Januar 1506 die Reise antreten. Zunächst schien sich Philipp der Schöne erfolgreicher als sein Schwiegervater im Machtkampf um Kastilien zu behaupten, denn die Mehrheit der kastilischen Cortes erkannte ihn am 15. Juli 1506 als König-Gemahl neben seiner Frau an. Die kastilischen Magnaten versprachen sich von diesem ausländischen Fürsten eine weniger strikte Reglementierung als unter den Katholischen Königen. Philipp schirmte Johanna jetzt noch mehr von der Außenwelt ab. Zu einer wirklichen Ausübung der Herrschaft durch den Habsburger kam es jedoch nicht mehr, denn am 23. September 1506 verstarb Philipp der Schöne plötzlich im Alter von achtundzwanzig Jahren wohl an einer Infektion in Burgos. Es gab allerdings auch Gerüchte, dass er im Auftrag seines Schwiegervaters vergiftet worden sei.

Über Johannas Verhalten nach Philipps Tod liefern die erhalten gebliebenen Dokumente sehr unterschiedliche, sich oft widersprechende Berichte. Dies deckt sich generell mit der Quellenlage zu Königin Johannas Leben. Die historischen Dokumente erlauben sehr verschiedenartige Interpretationen des Geschehens. Die junge Witwe befand sich in einer schwierigen Position, da ihr zwei feindliche Lager gegenüberstanden. Auf der einen Seite befanden sich die Parteigänger und die niederländischen Gefolgsleute ihres verstorbenen Mannes, auf der anderen versammelten sich die Anhänger ihres Vaters. Das Einzige, was beide Parteien scheinbar einte, war die Überzeugung, dass Johanna mehr oder weniger unzurechnungsfähig sei. Königin Johanna verfügte unglücklicherweise über keine ihr persönlich ergebenen Gefolgsleute oder Berater und war über die politischen Vorgänge nur unzureichend informiert. Dass Gerüchte kursierten, ihr Vater hätte ihren Ehemann vergiften lassen, erschwerte sicherlich für sie die Lage. Statt das entstandene Machtvakuum zu ihren Gunsten zu nutzen, zog sich Johanna, in deren Armen ihr über alles geliebter Mann verstorben war, in ihre tiefe Trauer zurück. Die psychisch labile Johanna war der komplizierten Lage nicht gewachsen. Sie litt erneut unter schweren Depressionen. Als Johanna am 1. November 1506 den Sarg ihres toten Gatten öffnen ließ, was einerseits an Allerheiligen der Tradition des Landes entsprach, andererseits aber der Kontrolle diente, ob nicht etwa burgundische Untertanen versucht hatten, die Leiche in Philipps Heimat zu bringen, wurde dies dahingehend aufgebauscht, dass sie solches mehrmals habe durchführen lassen. Derartige Gerüchte über ihren Geisteszustand, der noch durch die Erzählung untermauert wurde, dass sie des Nachts mit Philipps Sarg ziellos durch Spanien ziehe, brachten Johanna den Beinamen »die Wahnsinnige« ein. Dieses makaber anmutende Schauspiel beflügelte in den kommenden Jahrhunderten immer wieder die Fantasie von Malern, Dichtern und Dramaturgen. Sehr wahrscheinlich steckte ihr Vater König Ferdinand dahinter, der die Regierungsunfähigkeit seiner Tochter so zweifelsfrei »beweisen« wollte. Johanna reiste zwar in Begleitung des Sargs, doch geschah dies gemäß Philipps testamentarischem Willen. Sein Leichnam sollte in Granada in einem dort für ihn zu errichtenden Grabmal beigesetzt werden. Dass meist nur des Nachts gereist wurde, hatte nichts mit Johannas Wahnsinn zu tun, sondern hing mit den kühleren Temperaturen zusammen, die für den Transport der im Prozess der Verwesung befindlichen Leiche günstiger waren. Am 14. Januar 1507 brachte Johanna in Torquemada ihr sechstes und letztes Kind, Katharina, zur Welt.

Im Sommer 1507 kehrte König Ferdinand II. nach Kastilien zurück. Johanna war nicht gut beraten, als sie sich aus Freude über die Begegnung mit ihrem Vater bereit erklärte, ihm die Regierungsgewalt zu übertragen. Aus dieser Zeit mehren sich Berichte über geistesgestörte Verhaltensweisen Johannas. Der Brief des Bischofs von Málaga an König Ferdinand zeichnet ein trostloses Bild: »Ich habe versäumt, Ihnen zu sagen, daß sie seitdem noch kein sauberes Hemd angezogen hat, und ich glaube, daß sie ebensowenig ihr Haar in Ordnung gebracht oder ihr Gesicht gewaschen hat. Man behauptet auch, daß sie stets auf dem Fußboden schläft, wie früher. Man hat mir gesagt, daß sie sehr oft Wasser läßt, so oft, wie man es bei niemand anders bemerkt hat. (...) Ich hoffe, daß Eure Hoheit für alles Vorsorge treffen wird, denn meines Erachtens läuft ihre Gesundheit ernsthaft Gefahr. Es würde nicht richtig sein, ihr die Sorge für ihre Person allein zu überlassen, denn man sieht ja, wie schlecht sie für ihre eigene Gesundheit sorgt. Der Mangel an Reinlichkeit in ihrem Gesicht und, wie man sagt, auch an anderen Stellen ihres Körpers ist sehr groß. Sie ißt mit den Tellern auf dem Fußboden, ohne Tischtuch oder Schüsseln« 9. Auf Anordnung ihres Vaters wurde sie nach Tordesillas gebracht, wo sie seit 1509 in dem dortigen festungsartigen Schloss wie eine Gefangene lebte. Der Palast existiert heute nicht mehr. Er wurde wegen Baufälligkeit Ende des 18. Jahrhunderts abgerissen. Nur ein Turm des Schlosses blieb bis heute stehen.

Ihre Gefangenschaft wirkte sich auf ihren Zustand eher negativ aus. Jegliches königliche oder höfische Gepränge fehlte. Zu Außenstehenden hatte sie keinerlei Kontakt. Man überließ ihr nichts, womit sie sich in ihren wachen Augenblicken hätte beschäftigen können. Ferdinand II. konnte ungestört die Regentschaft von Kastilien übernehmen. Johanna war auf diese Weise vor dem Zugriff ehrgeiziger kastilischer Edelleute geschützt, die sich ihrer Person hätten bemächtigen können, um Einfluss auf die Regierungsbeschlüsse zu gewinnen. Da Johanna formal weiterhin Königin war, wurden in ihrem Namen sämtliche Entscheidungen getroffen, Gesetze erlassen und Urteile gefällt. Bis 1525 blieb ihr noch die Gesellschaft ihrer jüngsten Tochter Katharina. Als die Prinzessin mit dem portugiesischen König Johann III. verheiratet wurde, verlor sie eine wichtige Stütze und vereinsamte noch mehr. Zu ihren anderen Kindern hatte sie nie viel Kontakt gehabt, so dass diese ihrer Mutter fremd waren. 1517 besuchten sie ihre beiden ältesten Kinder Eleonore und Karl, die zwar über die Armseligkeit, in der ihre Mutter leben musste, erschüttert waren, doch keinerlei ernsthafte Versuche unternahmen, daran etwas zu verändern.

Als Ferdinand II. Anfang 1516 verstarb, wurde seine gefangene Tochter auf Anordnung der Regierungsbehörden darüber nicht informiert. Johannas ältester Sohn Karl wurde nun zwar König von Aragón, aber Kardinal Jiménez de Cisneros und der Kronrat wiesen ihn explizit daraufhin, dass er in Kastilien zwar die Macht ausüben konnte, die Führung des Königstitels aber seiner Mutter vorbehalten blieb: »Der Tod Eures Großvaters verleiht Euch in Kastilien kein Recht; jede Änderung könnte im Land Aufruhr verursachen und die Gefühle jener verletzen, die wohl notgedrungen die Unfähigkeit der Königin, zu regieren, eingestehen, sich jedoch weigern, sie ihrer Rechte zu berauben« 10. Als ihm Anfang 1518 die kastilischen Cortes den Huldigungseid unter der Bedingung leisteten, dass er auf die Herrschaft zu verzichten habe, wenn Johanna wieder vernünftig würde, bedeutete dies die endgültige Verdammung der Königin zum Irresein, denn Karl konnte zu Lebzeiten seiner Mutter nur solange regieren, wie Johanna als geistig umnachtet galt. Karl dachte allerdings nicht daran, auf die Herrschaft jemals zu verzichten.

Die unglückliche Königin ließ sich leicht dazu bewegen, Karls Regierungsanspruch für rechtmäßig zu erklären. Als Karl sein Ziel, nicht nur als Regent, sondern auch als Mitkönig in Kastilien anerkannt zu werden, durchgesetzt hatte, kümmerte er sich nur noch wenig um seine Mutter und änderte kaum etwas an den Zuständen ihres Aufenthalts in Tordesillas. Ihren Wunsch, ausgehen zu dürfen, adeliges Gefolge um sich versammeln zu dürfen und auf dem Laufenden gehalten zu werden, lehnte er ab. Ihm lag sehr daran, dass seine Mutter ihr völlig abgeschiedenes Leben fortsetzte, wie aus seiner Anordnung hervorgeht: »Die Königin darf diese Stadt nur in der Not verlassen und nicht, solange dort, wenn Gott es will, Gesundheit herrscht; und da es keinen Ortswechsel geben darf, und sei er noch so unbedeutend, weil dies unseren Interessen zuwiderliefe, soll sie für die ganze Zeit an diesem Ort verweilen, solange sie nicht in Gefahr ist, und daher empfehle und befehle ich, dass diese Stadt bewacht werde; wenn jedoch die Notwendigkeit besteht und kein Mittel mehr fruchtet, dann sollt Ihr die Königin, meine Herrin, in das Kloster San Pablo de la Moraleja bringen« 11.

Johanna nutzte nicht die Gelegenheit, die sich ihr durch den Aufstand der Comuneros von Kastilien 1520 bot, um ihre eigenen Machtansprüche durchzusetzen und ihre Freiheit zurückzuerhalten. Karl V. hielt sich zu diesem Zeitpunkt in Brüssel auf. Die Stadtgemeinden, die sich gegen ihn erhoben, waren mit der Politik des jungen Kaisers unzufrieden, den sie als Fremdling empfanden. Sie forderten, dass er von Spanien aus regiere. Missfallen hatte außerdem erregt, dass zahlreiche Niederländer aus dem Gefolge Karls Schlüsselpositionen in Spanien bekleideten. Die Bereicherung von Karls Günstlingen zu Lasten der vereinigten spanischen Reiche löste ebenfalls Unzufriedenheit aus. Als die Rebellen Ende August 1520 Tordesillas besetzt hatten, empfing Johanna die führenden Offiziere des Heeres der verbündeten Städte. Die Offiziere berichteten darüber an die zivilen Anführer des Aufstandes: »Wir sind in Tordesillas angekommen, und Ihre Hoheit hat uns sehr aufgeweckt empfangen und ausführlicher mit uns gesprochen, als man es jemals in sieben Jahren bei ihr wahrgenommen hat, nach dem zu urteilen, was ihr Personal uns diesbezüglich erzählt hat. Wir haben viele Angelegenheiten mit Ihrer Hoheit besprochen, und sie hat uns freundlich auf alles geantwortet« 12. Johanna lehnte es aber ab, ihr Amt als Königin tatsächlich nach so langer Abkehr vom aktiven Leben wieder anzutreten und den Aufstand wirksam zu unterstützen, wodurch sie die Handlungen und Beschlüsse des Städtebundes legalisiert hätte. Sie scheute eine offene Rebellion. Stets zögerte sie ihre Unterschrift hinaus. Nachdem im Dezember 1520 Regierungstruppen Tordesillas zurückerobert hatten, setzte Johanna ihr Leben als einsame Gefangene fort. Der Aufstand, der sich zu einem Bürgerkrieg ausgeweitet hatte, scheiterte, nachdem die Rebellen am 23. April 1521 in der Schlacht von Villalar besiegt wurden. Hunderte von Anhängern des Städtebundes wurden auf dem Schafott hingerichtet.

 

Nach dieser kurzen Rückkehr auf die politische Bühne verbrachte Johanna die Wahnsinnige ihre ihr noch verbleibenden fünfunddreißig Lebensjahre in einer Art Dämmerzustand. Von ihrem Personal wurde sie dabei oft mit Geringschätzung behandelt und schikaniert. Manchmal kam es sogar zu Misshandlungen an der hilflosen Frau. Am 12. April 1555, an Karfreitag, wurde die Königin in Tordesillas durch den Tod erlöst. Ihre letzten Worte lauteten: »Der Gekreuzigte Jesus Christus stehe mir bei« 13. Sie wurde neben ihrem über alles geliebten Ehemann Philipp im Dom von Granada beigesetzt. Erst mit ihrem Tod wurde Kaiser Karl V. offiziell alleiniger Herrscher von Kastilien.

Königin Johanna die Wahnsinnige, die den habsburgischen Aufstieg zur Weltmacht ermöglicht hatte, zeigte sicher bereits in jungen Jahren Ansätze zur Schizophrenie, aber erst der gnadenlose Machtkampf in ihrem engsten Umfeld sorgte dafür, dass ihre Krankheit voll zum Ausbruch kam. Durch die unwürdige und rücksichtslose Behandlung Johannas verschlechterte sich ihr Gemütszustand dramatisch. Zweifellos war sie durch ihre Großmutter mütterlicherseits, Isabella von Portugal, die an einer geistigen Störung mit Wahnanfällen litt, erblich belastet. Im Grunde konnte es ihrem Ehemann, ihrem Vater und ihrem Sohn nur recht sein, dass man sie mit dem Hinweis, dass sie verrückt und damit nicht regierungsfähig sei, aus dem Weg räumen konnte. Aus politischem Ehrgeiz sorgten sie dafür, dass Johanna als ernstlicher geisteskrank erschien als sie wohl war. Dass ihr dies durchaus bewusst war, dafür spricht jene Szene bei einem Besuch Karls V. in Tordesillas, die von einem Chronisten überliefert ist: »Einmal, als dieser das Geschmeide, kostbare Steine und Perlen, aus ihrem Besitz wegen Geldverlegenheit weggenommen und dafür etwas anderes in die Kästchen gelegt hatte, sagte sie ihm, als er zu Besuch gekommen war: ›Ist es nicht genug, daß ich dich regieren lasse? Mußt du auch noch mein Haus leer stehlen?‹« 14