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Reisen in die Felsengebirge Nordamerikas

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Fünfzehntes Kapitel

Fortsetzung der Erzählung aus meinem Jagdleben in Illinois — Der Häuptling Kairook und seine Frau als Mitreisende — Charakter des Flusses — Bemalen der Eingeborenen — Der 35. Grad nördlicher Breite — Boundary Hill — Black Mountains — Beale’s Crossing — Nördliche Grenze des Mohave-Tals — Wüste Umgebung — Die Felsenschlucht — Obelisk Mountain — Die Stromschnellen — Deren Überwindung mit dem Dampfboot — Jessup’s Halt — Lager daselbst

»Ich befand mich also auf dem Weg nach dem Blockhaus. Ein eigenes Gefühl der Zufriedenheit beschlich mich, als ich durch die Fluren dahinschritt, deren überaus liebliches Grün infolge der eintretenden Dämmerung und des fallenden Taus in einer dunkleren und frischeren Farbe prangte. Anmutige Baumgruppen ragten hin und wieder empor, und nach dem Fluß zu, wo die schöne Susanna weilte, dehnte sich, so weit das Auge reichte, der majestätische Wald mit seinen dunklen Schatten aus. In stiller Bewunderung blickte ich wieder von dem einen zum anderen hinüber. Alles sah so freundlich still, so einladend aus, als wenn die ganze Landschaft nur zur Wohnung des Glücks und der Zufriedenheit geschaffen wäre; und dabei verriet die üppige Vegetation eine solche Zeugungskraft des Bodens, daß ein Blick genügte, um den verborgenen Reichtum des ganzen Landstrichs zu erkennen, der dem arbeitsamen und genügsamen Ackerbauer winkte.

Hier möchte ich leben und sterben, dachte ich, und zum erstenmal seit langer Zeit vergaß ich, wie sehr ich immer für ein freies Wanderleben geschwärmt und welches Ziel ich mir nach manchen fehlgeschlagenen jugendlichen Hoffnungen endlich gesteckt hatte. »Hier möchte ich leben und sterben«, sagte ich laut vor mich hin, als das Blockhaus hinter den Bäumen sichtbar wurde und das liebliche Bild der unschuldigen Susanna mir vor die Seele trat.

Langsam schritt ich auf die Hütte zu, allerlei Gedanken von Ansiedeln, Heiraten und Glücklichsein jagten wie toll an mir vorüber, bis mich plötzlich die Stimme des alten Farmers barsch aus meinen jugendlich-phantastischen Träumen weckte, der mir von seiner Haustür aus laut zurief: »Da seid Ihr ja wieder, Fremder!«

»Ja, da bin ich«, gab ich zur Antwort, »und zwar mit Enten, wobei ich die vier Vögel dem alten Mann entgegenschüttelte. Augenblicklich füllte sich die Tür mit Bewohnern des Hauses, die mir alle freundlich grüßend die Hände entgegenreichten.

»Ihr kommt gerade zur rechten Zeit, um an unserem Mahl teilzunehmen«, sagte die alte Frau und nötigte mich darauf, einzutreten.

»Nein«, erwiderte ich, nicht eher überschreite ich die Schwelle Eures gastfreundlichen Hauses, als bis ich weiß, daß ich wirklich meine Wette gewonnen und daher gerechten Anspruch auf Obdach habe.« Ich wandte mich hierauf zu dem jungen Mädchen mit der Frage: »Susanna, erklärt Ihr die Wette für gewonnen?«

Das Mädchen errötete, weil ihm nicht fremd war, um was es sich eigentlich handelte, und fragte dann schalkhaft zurück: »Womit beweist Ihr, daß diese Enten vom See sind?«

»Mit meinen Gliedern«, antwortete ich, indem ich die Ärmel aufstreifte und die von dem Schilf zurückgelassenen Schnittwunden zeigte; »und mit meinen Kleidern«, fuhr ich fort, »die sich jetzt gewiß in einem anderen Zustand als heute morgen befinden!«

»Ja, ja, die Enten sind vom See«, bekräftigte der alte Mann.

»Und die Wette ist redlich gewonnen«, fügte Susanna hinzu und verschwand im nächsten Augenblick hinter der Tür.

Ich trat in die einfache Wohnung, die ich zu jener Zeit mit keinem Marmorgebäude hätte vertauschen mögen, und schwelgte gewissermaßen in dem Anblick meiner Umgebung, die mir so heimisch und friedlich entgegenlächelte. Die roh behauenen Balken, welche schwer aufeinanderliegend die Wände bildeten, verliehen dem Gemach den Anstrich einer überaus einladenden Gemütlichkeit, welche durch den breiten, von Feldsteinen aufgeführten Kamin noch gehoben wurde. Die Septembertemperatur machte freilich den Gebrauch des Kamins zur Erzeugung von Wärme überflüssig, doch blickte ich wohlgefällig zu der Glut hinüber, bei der verdeckte Gefäße mit zischendem und duftendem Inhalt standen und aufmerksam von der geschäftigen Hausfrau bewacht wurden. Zahlreiche Pflöcke hafteten in den hölzernen Wänden, und beim flatternden Licht der Flamme konnte ich erkennen, daß jeder derselben zu einem besonderen Zweck bestimmt war. Auf einigen ruhten lange Missouribüchsen, an anderen hingen Pulverhorn und Kugeltasche, getrocknete Hirschhäute, Hüte oder Kleidungsstücke, und trotz der Unregelmäßigkeit, mit der alles angebracht war, blickte doch wieder eine gewisse Ordnungsliebe und vor allen Dingen die größte Reinlichkeit durch.

Behaglich dehnte ich mich auf dem knarrenden Stuhl, dessen Sitz, aus roher Ochsenhaut geflochten, gleichsam für die Ewigkeit berechnet war, und begann meine Unterhaltung mit folgenden Worten: »Ich möchte wohl Euer Nachbar sein, und ebensolch Haus, Hof und Garten wie Ihr besitzen!«

»Ist’s weiter nichts?« fragte der alte Farmer, indem er mich wohlwollend ansah. »Der Wunsch kann leicht in Erfüllung gebracht werden!« »Wenn ich Geld hätte«, antwortete ich, »dann würde es natürlich leicht genug sein; doch was soll wohl ein armer Ausländer, der nur über seine gesunden Glieder und seine Büchse zu verfügen hat?«

»Und sind gesunde Glieder nicht genug, um sich eine Heimat zu gründen?« fragte der Alte wieder. »Ich setze den Fall, Ihr wäret entschlossen, mein Nachbar zu werden, so könntet Ihr ganz in unserer Nähe Eure achtzig Morgen Land kaufen, ohne einen Pfennig in der Tasche zu haben, und ich bin überzeugt, daß es Euch bei einiger Ausdauer gelingen würde, innerhalb von fünf Jahren den Kaufpreis vollständig abzuzahlen. Zu einem Blockhaus wollten wir und einige entfernter lebende Nachbarn Euch bald verhelfen, eine Frau sucht Ihr Euch selber, und wenn Ihr dann nur fleißig arbeitet, so werdet Ihr nach kurzer Zeit so schön eingerichtet sein wie ich hier und Euch doppelt über Euer Eigentum freuen, weil Ihr es nächst Gott nur Euren eigenen Anstrengungen zu verdanken habt.«

Ich kann nicht leugnen, daß mir die Ratschläge des ehrlichen Farmers bis auf die schwere Arbeit sehr zusagten, doch auch der Gedanke an das Mühevolle des Farmerlebens nahm eine mildere Färbung an, wenn ich zu der schönen Susanna hinüberblickte, die aus dem einzigen Nebengemach ein weißes Tischtuch hervorgeholt hatte und mit wohlkleidender Geschäftigkeit die Vorbereitungen zu einem frugalen Abendbrot traf. Immer ansprechender malten mir der alte Mann und seine Frau das einsame Leben aus, und immer lieblicher erschien mir das junge Mädchen, das keine Ahnung davon hatte — und auch nie erhielt —, daß es in der Wahl meiner künftigen Lebensweise den Ausschlag geben sollte.

So kam ich denn endlich zu dem festen Entschluß, mich dort anzusiedeln, vorausgesetzt, daß mich die schöne Susanna nicht verschmähen würde, und dadurch, daß sie mir ohne Zaudern den Preis für die Wette zugesagt hatte, glaubte ich mich zu den schönsten Hoffnungen berechtigt.

Wir nahmen endlich um den Tisch Platz, und wie sich von selbst versteht, setzte ich mich zu dem jungen Mädchen. In harmloser, gemütlicher Unterhaltung saßen wir lange beisammen, und die Mitternachtsstunde konnte nicht mehr fern sein, als der Hausvater daran erinnerte, daß es Zeit sei, aufzubrechen und den übrigen Teil der Nacht zur Ruhe zu verwenden. Ehe wir uns trennten, teilte ich meinem freundlichen Wirt mit, daß es meine Absicht sei, noch einige Tage in dortiger Gegend zu jagen und dann gemäß einer Verabredung an einem gewissen Punkt am Fluß mit einem Farmer zusammenzutreffen, der mich mit dem etwa erbeuteten Wild nach der Stadt fahren sollte; ich schloß aber damit, daß ich in nächster Zeit wieder vorsprechen würde, um weitere Erkundigungen, mein Ansiedeln betreffend, einzuziehen.

In herzlicher Weise wünschten wir uns gegenseitig eine gute Nacht, und bald darauf befand ich mich wieder auf dem bekannten Lager und schlief nach wenigen Minuten so fest, daß ich sogar unzugänglich für Träume war.

Am folgenden Morgen verzehrte ich mein Frühstück wieder in der Gesellschaft von Mutter und Tochter. Die übrigen Bewohner der Blockhütte hatten sich schon längst in den Wald begeben und die Nachricht für mich zurückgelassen, daß ich sie bei ihrer Arbeit besuchen und, für den Fall, daß ich gesonnen sei, weiterzureisen, dort von ihnen Abschied nehmen möchte. Ich übereilte mich nicht mit meinem Aufbruch, denn ich wäre ja so gern für immer dageblieben, doch die Aussicht, bald wiederzukehren, erhielt mich bei fröhlicher Laune. Ich dankte endlich der alten Frau für die genossene Gastfreundschaft wie auch für den Imbiß, den sie mir wieder in die Tasche schob, sagte ihr ein herzliches Lebewohl und bat darauf das junge Mädchen, mir den Weg nach dem Arbeitsplatz im Wald zu zeigen.

Bereitwillig trat Susanna an meine Seite, und schweigend durchschritt ich mit ihr den kleinen Garten; der Schall der Äxte drang deutlich herüber und hätte mir bequem als Führer dienen können, doch in jener Zeit hatte ich für weiter nichts mehr Sinn oder Gedanken als für das liebliche, junge Wesen, das, ein Bild der reinsten Unschuld, neben mir herschritt.

Endlich stand Susanna still. »Ich muß jetzt heimkehren«, redete sie mich an, »den Weg zu meinem Vater könnt Ihr nicht mehr fehlen.« Sie reichte mir die Hand zum Abschied, und jetzt erst wagte ich es mit einer gewissen Schüchternheit, sie an die gewonnene Wette zu erinnern.

Tiefe Röte bedeckte für einen Augenblick ihre reizenden Züge, und in ihr gewöhnliches klangvolles Lachen ausbrechend, rief sie mir zu: »Die Wette habt Ihr redlich gewonnen, doch verlangt Ihr wohl nicht, daß ich geben soll, was Ihr Euch höchstens nur nehmen dürft?«

Im nächsten Augenblick hielt ich sie in meinen Armen und drückte einen langen Kuß auf ihre roten, frischen Lippen.

 

»Der gilt für zwei«, sagte Susanna, indem sie sich lachend meinen Armen entwand, denn für einen dauerte er doch zu lange.«

Ich ließ indessen nicht mit mir handeln, sondern raubte ihr den zweiten, dritten und vierten und wollte mir noch einen fünften als Zugabe erbitten, als sie wie ein Aal meinen Händen entglitt und, sich einige Schritte von mir hinstellend, mir auf die mutwilligste Weise auseinandersetzte, daß die Wette redlich gewonnen, aber auch redlich bezahlt worden sei!

»Dann reicht mir wenigstens Eure Hand zum Abschied«, erwiderte ich nähertretend und ihr in die schönen Augen blickend.

Susanna ließ mich gewähren, ich legte meine Hand auf ihre züchtig bedeckte Schulter und war eben im Begriff, weit auszuholen und ihr in der mir damals noch sehr unbequemen englischen Sprache mein ganzes Herz zu eröffnen und einen recht poetischen Heiratsantrag zu machen, als sie plötzlich einen Schritt zurücksprang und sich fast zu gleicher Zeit eine knochige Faust in so unbequemer Nähe vor meiner Nase zeigte, daß ich ebenfalls durch einen kühnen Sprung mich aus der gefährlichen Nachbarschaft zu entfernen trachtete.

Mein erster Gedanke war der alte Farmer, doch wider Erwarten erblickte ich ein ganz fremdes Gesicht, das einem jungen, schlanken Burschen gehörte, der mit der Miene eines beleidigten Wüterichs vor mir stand. »Ich werde Euch lehren, anderer Männer Bräute zu küssen«, rief er mir zu, indem er den Rock auszog und mich dadurch veranlaßte, das Gewehr fallen zu lassen und die Hand ans Messer zu legen.

Ehe der Fremde indessen mit seinen Vorbereitungen zum Kampf fertig wurde, hing die fröhlich lachende Susanna an seinem Hals und rief einmal über das andere Mal: »John, mach doch keinen Narren aus dir, und höre mir nur eine Minute zu.«

Wer hätte solchen Bitten wohl widerstehen können? Sogar der wilde John, der übrigens das Muster eines jungen kräftigen Farmers war, gab nach, und alle Feindseligkeiten für den Augenblick einstellend, horchte er aufmerksam, als das Mädchen ihm von meiner ersten Ankunft im elterlichen Haus, von der Entenjagd und von der Wette erzählte.

Das Gesicht des jungen Menschen erheiterte sich bei jedem Wort mehr und mehr, und als Susanna geendet hatte, reichte er mir treuherzig die Hand, wobei er mit einer gewissen Eitelkeit bemerkte: »Ihr würdet wohl keine Enten von dem See geholt haben, wenn Euch nicht das Mädchen dazu veranlaßt hätte?«

»Nein, gewiß nicht!« bekräftigte ich, und zwar aus vollem Herzen, wobei ich dem jungen Farmer ebenfalls die Hand drückte, obgleich ich ihn wer weiß wohin wünschte.

Meine Lust, mich dort anzusiedeln, war plötzlich verschwunden; Susanna erzählte wohl, daß ich beabsichtige, der Nachbar ihrer Eltern zu werden und daß sie sich um so mehr darüber freue, weil ja in einigen Wochen ihre Hochzeit sei und sie dann die geliebte Blockhütte verlassen müsse, um in einer anderen, weiter oberhalb am Fluß, ihr Regiment als Hausfrau zu beginnen. Der junge Mann sprach sich ebenfalls anerkennend über meinen Entschluß aus, so daß ich glaubte, nicht klüger handeln zu können, als allem beizupflichten und von der Änderung meiner Pläne nichts durchblicken zu lassen.

Als ich Miene machte, meiner Wege zu gehen, ergriff mich der junge Mensch bei der Hand und sagte: »Nein! Jetzt, da wir uns kennengelernt haben, lasse ich Euch nicht fort; ich bin eben zum Besuch hierhergekommen und will einige fröhliche Tage mit dem künftigen Nachbar meiner Schwiegereltern verleben.«

Wenn die beiden Leutchen nicht soviel mit sich selbst zu tun gehabt hätten, so wäre ihnen schwerlich der Ausdruck getäuschter Hoffnung in meinen Zügen entgangen, den ich beim besten Willen nicht unterdrücken konnte. Ich erinnerte mich daher plötzlich, daß die allernotwendigsten Geschäfte meine Gegenwart in der Stadt verlangten; was hätte mich auch nun noch an das Blockhaus fesseln können? Doch versprach ich wiederzukehren und reichte beiden die Hand zum Abschied. »Also auf Wiedersehen«, rief mir Susanna zu; »und jetzt, da mein John hier ist, gebe ich Euch aus freien Stücken die Zugabe, die ich Euch vorhin verweigerte.« Und mit diesen Worten trat sie zu mir heran und drückte ihre Lippen fest auf meinen Schnurrbart. Der junge Mann lachte, das mutwillige Mädchen ebenfalls, und auch ich lachte; mein Lachen aber entsprang aus einem versteckten Wehgefühl.

Wir trennten uns; das junge Paar schritt Arm in Arm dem Blockhaus zu; ich blickte ihnen, solange sie mir sichtbar blieben, nach, aber nicht ein einziges Mal schauten sie sich nach dem einsamen Fremdling um. Ich wischte eine Träne aus meinen Augen, wandte mich dem Wald zu und pfiff ein munteres Liedchen; in meinem Herzen aber war ich traurig und wiederholte mir ständig das einzige Wort: »Heimatlos!«

Als ich bei den fleißigen Holzhauern anlangte, erkundigte ich mich nur nach dem Hochzeitstag des Mädchens, dankte für die freundliche Aufnahme und schied mit den Worten: »Auf Wiedersehen!«

Noch einmal bin ich in jene Gegend zurückgekehrt, doch die schöne Susanna sah ich nie wieder. Drei Wochen später nämlich und gerade einen Tag vor der Hochzeit, in der Mittagsstunde, als alle Bewohner sich in der Blockhütte befanden, hing ich an einen Baum nahe der Gartenpforte, so daß es bald bemerkt werden mußte, den Rücken eines feisten Hirsches und entfernte mich dann unbeobachtet. Auch ein Briefchen ließ ich an jener Stelle zurück, und in demselben stand: »Viel Glück dem jungen Brautpaar! Morgen ziehe ich nach den Rocky Mountains! Auf Wiedersehen.«

Jahre sind nun schon seit jener Zeit verflossen. Susanna ist gewiß eine recht brave Farmersfrau. Auch ich bin schon lange aus einem verwilderten Abenteurer ein gesetzter Familienvater geworden, und zwar so, daß ich mich der drohenden Faust des Farmers John oft recht dankbar erinnere. Wenn ich nun in meiner glücklichen Heimat im trauten Familienkreis sitze, dann erzähle und beschreibe ich gerne — wie auch hier in der Urwildnis — Szenen aus meinem früheren Leben, die sich in meiner Erinnerung wie lauter lächelnde Bilder aneinanderreihen.«

Hier schloß ich meine Erzählung, doch noch lange saßen wir vor unserem Feuer, der Abend war zu einladend, als daß wir ihn hätten zwischen unseren Decken verträumen mögen. Kein Lüftchen regte sich, und deutlich drang aus weiter Ferne, von der anderen Seite des Waldes her, zu uns herüber das Geheul der Indianer, die sich dort zu ihrem Gesangsfest versammelt hatten.

Am 15. Februar bei Tagesanbruch erschien Kairook wieder bei uns im Lager, und ihm folgten Männer, Weiber und Kinder in großer Zahl nach.

Da durch den Tauschhandel mit den Eingeborenen und durch die nötig gewordene Ausbesserung des Ruderbootes mit dem Aufbruch noch einige Stunden gezögert werden mußte, so benutzte ich die Zeit zu einem Ausflug und schlug eine Richtung ein, die bald den Fluß und das belebte Ufer meinen Blicken entzog. Ich befand mich dort zwischen hohem Schilf, das die Einfassung von ausgetrockneten Seen und Lachen bildete, und ich wurde weit abgelockt durch Herden von Kranichen, die sich aber trotz des bergenden Gestrüpps stets meinen Nachstellungen zu entziehen wußten. Ganz leer ging ich indessen nicht aus, denn es gelang mir, meine Sammlung durch kleinere Vögel zu bereichern, und unter diesen waren besonders bemerkenswert eine Bekassine, ein rotgeflügelter großer Specht und ein Neuntöter.

Als ich an den Fluß zurückkehrte, war alles zum Aufbruch bereit. Außer Kairook und Iretéba hatte sich auch noch ein weiblicher Passagier eingefunden, und zwar eine der vier Frauen des Häuptlings, die erste ihres Geschlechts, die den Versuch einer Spazierfahrt auf der »Explorer« wagte. Es war eine Frau von ungefähr achtundzwanzig Jahren, und sie hatte so einnehmende Züge, wie ich sie noch nie unter den Eingeborenen wahrgenommen habe, ja es fehlte ihrem Gesicht vollständig der indianische Typus, so daß man sie hätte für eine braun geschminkte Europäerin halten mögen, wenn man nicht auf ihre übrige Erscheinung achtete. In ihrer Tracht und Haltung unterschied sie sich nicht von den anderen Indianerinnen; das schwarze, starke Haar reichte auf der Stirn nur bis an die Augenbrauen, während es hinten lang auf die Schultern herabhing. Die Unterlippe sowie die unteren Augenlider waren dunkelblau tätowiert, und Streifen und Punkte von derselben Farbe zierten das Kinn zwischen den Mundwinkeln. Der üppige Oberkörper entbehrte der Kleidung sowie auch der Farbe, und von den Hüften fiel bis auf die Knie herab der dicke Rock von Baststreifen, der den dortigen Indianerinnen ein so zierliches, ich möchte sagen malerisches Ansehen verleiht.

Wir nahmen die Häuptlingsfrau zu uns auf die Plattform, und es überraschte uns alle aufs höchste, als wir den ungekünstelten Anstand wahrnahmen, mit dem sich diese wilde Schöne benahm. Vollkommen frei und unbefangen saß sie zwischen uns und bewunderte mit leuchtenden Augen das ihr unbegreifliche Arbeiten der Maschinen, und trotzdem sie mit uns lachte und ihrem Gemahl scherzhafte Bemerkungen zurief, verriet sie in allen ihren Bewegungen ein so züchtiges Wesen, daß es unsere größte Bewunderung erregte. Kairook schien mit besonderer Liebe an dieser Frau zu hängen, denn es war ihm unverkennbar schmeichelhaft, daß seine Ehehälfte von den Weißen mit soviel Achtung behandelt wurde.

So zogen wir also stromaufwärts und erreichten bald die westliche Grenze des Tals, die von der ansteigenden Kiesebene gebildet wurde und an welcher der Fluß auf einer Strecke von fünf Meilen in gerader Richtung von Norden nach Süden hinfloß. Auf unserer rechten Seite hatten wir fortwährend das mit Weiden bewaldete, angeschwemmte Land, das ich früher als eine umfangreiche Insel erwähnte. Dasselbe schien unbewohnt zu sein, denn während der ganzen Reise, die uns ohne Unterbrechung neun Meilen weit brachte, erblickten wir weder auf dem linken noch auf dem rechten Ufer Eingeborene. Erst nach Zurücklegung dieser Strecke, an dem Punkt, wo die Windung des Stroms uns wieder gegen Osten führte und wo wir, um Holz einzunehmen, am Fuß der Kiesebene auf dem rechten Ufer landeten, strömten die Eingeborenen in großer Anzahl zusammen.

Um einen besseren Überblick zu gewinnen, erstieg ich die Hochebene, die sich ungefähr fünfzig Fuß über dem Spiegel des Colorado erhob. Die Aussicht von dort war ähnlich der, die ich während des ganzen Vormittags vom Boot aus genossen hatte; denn sie reichte nur bis an die nackten Gebirge, die im Osten und Westen das Tal begrenzten und gegen Norden in geringer Entfernung — etwa fünfzehn Meilen — dasselbe scheinbar abschlossen. Nur bei genauer Beobachtung vermochte ich an der Richtung der Gebirgszüge sowie an der Senkung der Kiesebenen den mutmaßlichen Lauf des Flusses und seinen Paß durch das Hochland zu erkennen. Die Gebirge trugen in ihren Formen sowie in ihren Außenlinien ganz den Charakter von denen, die ich schon früher beschrieb. Überall zeigten sich die kastellähnlichen Erhebungen, die schlanken, abgesonderten Zacken und Pfeiler, die zusammen mit der vegetationslosen Oberfläche des Gesteins und den angrenzenden dürren Kieswüsten das Wilde, Unwirtliche der Umgebung hervorhoben; das einfach geschmückte Tal mit dem vielfach gewundenen Spiegel des Stroms dagegen erschien durch den grellen Kontrast als ein paradiesischer Garten.

Das nördliche Ende des unteren Tals der Mohaves vermochte ich also zu übersehen; ich lebte nämlich anfangs in der Meinung, daß die Dörfer der Mohave-Indianer nicht weiter hinaufreichten, und wurde darin bestärkt durch die Anwesenheit vieler Pai-Ute-Indianer, die sich zuweilen unter den Mohaves bemerkbar machten. Iretéba überzeugte mich indessen vom Gegenteil, indem er mich davon in Kenntnis setzte, daß nördlich von den Gebirgen ein zweites Tal beginne, das ebenfalls von den Mohaves bewohnt sei, und daß die Pai-Ute-Indianer sich nur zu Besuch unter den Mohaves aufhielten.

Nachdem ein hinreichender Vorrat von Holz an Bord geschafft war, lenkte Kapitän Robinson das Boot nach dem linken Ufer hinüber, wo die Frau unseres Häuptlings zu landen wünschte. Ein großer Haufe junger Mädchen und Weiber nahm die kühne Reisende dort in Empfang, und an den eifrigen Gestikulationen sowie am Erzählen, Fragen und lauten Lachen der Indianerinnen vermochte ich zu erkennen, daß die Reise der Madame Kairook als ein außerordentliches Ereignis betrachtet wurde.

Überhaupt schienen die harmlosen Menschen stolz und hochmütig zu werden, sobald sie nach ihrer Ansicht von uns bevorzugt wurden; ich beziehe dies namentlich auf die jüngere Klasse der dortigen Eingeborenen. So hatten wir z.B. den jungen Burschen in der Dragonerjacke, der uns schon seit Wochen gefolgt war, einst mit an Bord genommen, und da mir während des Haltens auf einer Sandbank gerade eine bessere Beschäftigung fehlte, so schmückte ich ihn aufs prachtvollste, indem ich meine Wasserfarben in Fett auflöste und diese mittels eines feinen Pinsels in den wunderlichsten und buntesten Arabesken seinen braunen Zügen auftrug. Es gewährte einen komischen Anblick, als der eitle Mensch mir regungslos sein Gesicht darhielt und sich von Zeit zu Zeit mit dem Ausdruck der größten Zufriedenheit in einem kleinen Handspiegel betrachtete. Doch komischer noch war die Szene, die sich uns bot, als er landete und keinen der Seinigen mehr kennen wollte. Ohne auf die an ihn gerichteten Fragen zu antworten, schritt er stolz an allen vorüber, stellte sich auf einen erhöhten Punkt hin und drehte dort sein Gesicht steif von der einen nach der anderen Seite, so daß jeder Gelegenheit hatte, ihn nach Herzenslust bewundern zu können.

 

Auch die jungen Mädchen waren eitel genug, sich das Gesicht und den Oberkörper mit bunten Farben anstreichen zu lassen, und rührend war es mir fast, als eine junge Mutter schüchtern zu mir herantrat und mir ihren Säugling zur Bemalung entgegenhielt. Das kleine grelläugige Wesen steckte bis an den Hals in einer steifen Hülle von Bast, so daß mir nur das runde, samtweiche Gesichtchen zur Ausübung meiner Kunst blieb. Ich malte ihm denn auch die Stirn grün, die Augenlider gelb, die Wangen blau, Ohren sowie Nase rot und das Kinn violett und freute mich dabei über den Ausdruck der innigsten Zärtlichkeit, mit dem die Mutter auf das Kind schaute, während ich dasselbe allmählich in ein kleines Chamäleon verwandelte. Als ich die Arbeit beendet hatte, stürzte die eitle Frau zu ihren Gefährtinnen, wo ihr Liebling ein Gegenstand allgemeiner Bewunderung wurde.

Solchen Geschmack nennt die Zivilisation barbarisch, doch sah ich schon vielfach in zivilisierter Gesellschaft Lagen bunter Farbe auf alternder, gelber Haut. Ich nenne solchen Geschmack kindisch und verdamme nicht am Urwilden, was ich an der weißen Rasse gutheißen soll, denn der einzige Unterschied besteht am Ende doch nur darin, daß der eine die Haut als Farbe, der andere die Farbe als Haut möchte erscheinen lassen.

Wir landeten eine kurze Strecke oberhalb der Stelle, wo uns Kairooks Frau verlassen hatte, und zwar nachdem der ganze Nachmittag auf einer Sandbank mit erfolglosem Winden hingegangen war. Es dämmerte schon, als wir zurückgingen und danach auf dem linken Ufer unser Lager aufschlugen. Die Eingeborenen hatten sich nach ihren Wohnungen begeben, und zum erstenmal seit unserer Ankunft im Tal der Mohaves fehlten vor unseren Feuern die wilden, braunen Gestalten, an die wir uns schon gewöhnt hatten.

Wir nahmen am 16. Februar unsere Arbeit da wieder auf, wo diese am vorhergehenden Tag durch die Dunkelheit unterbrochen worden war. Nach langem und angestrengtem Winden gelangten wir endlich in tiefes Wasser und erreichten dann bald die östliche Kiesebene, deren Fuß vom Strom bespült wurde. Das eigentliche Tal, das schon bedeutend an Umfang verloren hatte, befand sich nunmehr auf dem rechten Ufer, und während die gewöhnlichen Weiden- und Cottonwood-Waldungen uns die Aussicht gegen Westen verbargen, vermochte gegen Osten das Auge ungehindert über die ansteigende Wüste hinzustreifen, bis dahin, wo zusammenhängendes Gebirge, das auf einer längeren Strecke den Charakter einer Hochebene trug, das Ende derselben bestimmte.

Die Ebene selbst hatte die ewig graue Farbe, die infolge der Bodenbeschaffenheit kein Frühling in lichtes Grün, kein Sommer in lieblichen Blumenflor zu hüllen vermag. Wie das Bild des Todes dehnte sie sich weithin aus, immer mehr eine unbestimmte Schattierung annehmend, bis sie endlich mit den blauen Gebirgsmassen zusammenfiel. Auf dem schmalen Sandstreifen, der sich zwischen dem Strom und der Wüste hinzog, drängten sich in anmutigen Gruppen zusammen die verschiedenen Arten von Weiden, und über diese ragten hoch hinaus vereinzelte Cottonwood-Bäume mit ihren phantastisch geformten Kronen, die, auf nackten Stämmen ruhend, aus der Ferne fast den Eindruck von künstlich gezogenen und beschnittenen Zierbäumen machten. Der Frühling war hier schon weiter vorgeschritten, denn harzig glänzende Blättchen schmückten dicht die verschlungenen Zweige und halfen die Außenlinien der Strauch- und Baumgruppen vervollständigen, die nunmehr als grünschimmernde, undurchsichtige Masse doppelt gegen das dürre Wüstenland kontrastierten.

Gemäß der Beobachtungen, die Lieutenant Ives am vorhergehenden Abend angestellt hatte, überschritten wir gegen Mittag den 35. Breitengrad und fanden, merkwürdig genug, die Linie gleichsam von der Natur selbst bezeichnet. Östlich von uns und abgesondert von der mauerähnlichen Felsenreihe erhob sich nämlich in der Mitte der Ebene ein runder Felskegel von etwa fünfhundert Fuß Höhe, der, weithin sichtbar, sich vortrefflich zur Landmarke eignete. Weil nun der 35. Grad denselben berühren oder doch ganz in der Nähe an demselben vorbeiführen mußte, so wurde dem Kegel der Name »Boundary Hill« oder »Grenzhügel« beigelegt. Nur auf einige Meilen fuhren wir an der östlichen Talgrenze hin, denn eine neue Biegung des Stroms führte uns wieder nach der entgegengesetzten Seite hinüber, wo abermals die Bevölkerung eines Indianerdorfes, unserer Ankunft entgegensehend, versammelt war. Wir hielten dort nur lange genug, um uns mit einem neuen Holzvorrat zu versehen, und setzten dann unsere Reise in nördlicher Richtung fort. Die Eingeborenen waren übrigens nur aus Neugierde dort zusammengeströmt, und ich bemerkte keinen einzigen unter ihnen, der Tauschartikel bei sich geführt hätte.

Mit einer geringen Abweichung gegen Osten behielten wir für den Rest des Tages fast beständig die nördliche Richtung bei. Die Reise war verhältnismäßig gut zu nennen, denn elf Meilen legten wir noch bis gegen Abend ohne erhebliche Unterbrechung zurück. Auf dieser ganzen Strecke durchschnitt der Strom das baumreiche Tal ziemlich in der Mitte, und wir erfreuten uns auf diese Weise einer lebhafteren Naturumgebung; wir kamen sogar an Punkten vorbei, die wegen der malerischen Verteilung von Wasser, Wald und fernen granitischen Gebirgszügen wahrhaft schön genannt werden konnten.

Die merkwürdigste Aussicht genossen wir kurz vor Abend, als wir schon nach einer passenden Lagerstelle ausschauten. Der breite Spiegel des Stroms dehnte sich nämlich auf einige Meilen vor uns aus und war dann plötzlich durch die quer vorliegende Kiesebene gerade abgeschnitten; von beiden Ufern reichten bewaldete Vorsprünge und Sandbänke tief in den Strom hinein, wodurch es ganz den Anschein gewann, als ob der Fluß sich vor der schiefen Fläche in zwei Arme teile. Die Täuschung war übrigens so groß, daß wir lange nicht zu unterscheiden vermochten, aus welcher Richtung uns der Strom entgegenfließe.

Die Kiesebene, die dem Wasser unmittelbar bis zu einer Höhe von ungefähr dreißig Fuß entstieg, erstreckte sich stark ansteigend etwa zehn Meilen weit gegen Norden, wo dann eine der den Colorado charakterisierenden zackigen Felsketten diese krönte. Obgleich der Boden vom Fuß dieser Berge aus sich auf nächstem Weg zum Fluß hin senkte, so hatte das Wasser der Höhen sich doch seine Bahnen in einer Richtung gewühlt, welche die zuerst bezeichneten kürzeren Linien fast in einem rechten Winkel durchschnitt, und die sich nach Westen zu senkenden Wasserrinnen waren bis an den entferntesten Punkt hin leicht zu unterscheiden. Als wir zum erstenmal eine volle Aussicht auf die merkwürdige Felsenreihe gewannen, ruhte der Schatten einer Wolke auf ihr, während die Strahlen der scheidenden Sonne die dürre Wüste erhellten, und der auf diese Weise erzeugte Farbkontrast gab Veranlassung zu dem Namen »Black Mountains« (Schwarze Berge). An den folgenden Tagen zeichneten diese Berge sich hinsichtlich ihrer Farbe kaum vor allen anderen dort ebenfalls sichtbaren aus.