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Reisen in die Felsengebirge Nordamerikas

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Am 31. Januar war Sonntag, es sollte daher nur eine ganz kurze Reise gemacht werden, um den Leuten den übrigen Teil des Tages zur Ruhe zu überlassen. Das Wetter hätten wir uns nicht besser wünschen können: Der Sturm des vorigen Tages war eingeschlummert, und nur leichte Windstöße kräuselten hin und wieder kleine Flächen auf der spiegelglatten Flut; heller Sonnenschein erwärmte die Atmosphäre, schaffte das schönste Schattenspiel zwischen den Zacken und Klüften der Monumentberge und erweckte bei uns ein Gefühl des Wohlbehagens, als wir stromaufwärts zogen. Vier Meilen waren schnell zurückgelegt, und als wir eine große, zum Teil bewaldete Insel erreichten, wurde das Tagwerk für beendet erklärt. Wir landeten an einer geeigneten Stelle, errichteten die Zelte auf dem erwärmten Sand, die Köche zündeten ihre Feuer an, und jeder im Lager beschäftigte sich auf eine Weise, die seinen Neigungen am meisten entsprach.

Infolge einer Aufforderung, die wir an die Indianer hatten ergehen lassen, nämlich uns mit Fischen zu versorgen, stellte sich an diesem Tag ein kleiner Trupp Eingeborener mit einem Netz bei uns ein, und es gewährte mir eine angenehme Unterhaltung, diese Leute zu begleiten und bei ihrer Beschäftigung zu beobachten. Das Netz war weitmaschig, aus feinen, aber sehr starken Bastfäden geflochten, vier Fuß hoch und ungefähr dreißig Fuß lang. Von vier zu vier Fuß befanden sich lange Stäbe an diesem, mittels derer es im Wasser, zugleich aber auch auf dem Boden und aufrecht gehalten wurde. Dies waren die ganzen Gerätschaften, mit denen unsere Fischer sich versehen hatten. Das Netz aufgespannt haltend, stiegen fünf oder sechs Leute in den Fluß und bewegten sich langsam rückwärts mit der Strömung, bis sie sich einem Einschnitt im Ufer gegenüber befanden, der ihnen für ihre Zwecke geeignet schien. Einen Bogen beschreibend, näherten sich alsdann die beiden Fischer, welche die Enden trugen, vorsichtig der Uferwand und zogen gemeinschaftlich mit den übrigen das Netzt nebst seinem Inhalt aus dem Wasser. Die kleineren Fische entschlüpften leicht durch die weiten Maschen, doch wurden große genug gefangen, um unsere ganze Gesellschaft mit einer tüchtigen Mahlzeit erfreuen zu können, was von um so größerer Wichtigkeit war, als der beständige Genuß des Salzfleisches sowie der gänzliche Mangel an vegetabilischen Nahrungsstoffen den Ausbruch des Skorbuts unter uns befürchten ließ. Unter den gefangenen Fischen bemerkte ich nur zwei verschiedene Arten, nämlich Gila elegans und eine andere noch unbeschriebene pezies, die sich durch einen starken Höcker auf dem Rücken auszeichnete; von beiden steckte ich einige Exemplare in meine Spiritusbehälter. Das kleine Gehölz auf der Insel war belebt von Vögeln, und auch diese lieferten mir Exemplare für meine Sammlung, doch bemühte ich mich vergeblich, einige der größeren Wasservögel, besonders der Gänse, zu erlegen, die scharenweise auf den Sandbänken der Insel von ihren langen Reisen auszuruhen schienen.

Der Abend stellte sich ein, und mit ihm die gewöhnliche Unterhaltung, bei der wir friedlich um unser flackerndes Lagerfeuer saßen und die uns weit fort in andere Regionen führte, wo der Erzähler oder ein Bekannter des Erzählers inmitten einer wilden Umgebung die wildesten Abenteuer und Szenen erlebt hatte. Der Zufall fügte es, daß ich an diesem Abend wieder auf meine Reisen am Nebraska zu sprechen kam; und wie es mir damals eine gewisse Befriedigung gewährte, mich als einen alten erfahrenen Präriewanderer darzustellen, so kann ich mich auch jetzt nicht von einer leicht verzeihlichen Schwäche freisprechen, die ich fühle, indem ich kleine Abschnitte aus meinem früheren, vielbewegten Reiseleben beschreibe.

»Wenige Tage waren erst seit unserem Abenteuer mit den Oglalas verflossen«, begann ich meine Erzählung, »und mißmutig zogen wir angesichts des Nebraska dahin. Es fehlte uns an allem, was uns Erleichterung verschaffen oder zur geringsten Annehmlichkeit hätte dienen können. Unsere armen Pferde litten die schrecklichste Not, denn das Gras war von den Büffeln bis auf die Wurzeln abgenagt worden, und dennoch schienen die Büffelherden plötzlich aus unserem Bereich wie verschwunden, woher uns denn auch sogar der Trost einer nahrhaften Speise versagt blieb. Ja, wir waren oft sehr hungrig, und es stellten sich die gewöhnlichen Folgen des Hungers auch bei uns ein, das heißt, wir wurden einsilbig in unserer Unterhaltung und in dem Maße, als unsere körperlichen Kräfte abnahmen, auch zuweilen recht niedergeschlagener Stimmung. Der Weg, der vor uns lag, schien endlos zu sein und nicht kürzer werden zu wollen, obgleich wir unsere matten Tiere Tag für Tag auf der öden Straße weiterquälten. Immer farbloser wurde unsere Umgebung, winterliche Kälte zerriß die Haut an unseren Gliedern, und immer drohender jagten sich die schweren Schneewolken am Himmel, uns gleichsam das Ende unserer Reise verkündend. Es war eine traurige Zeit, und noch immer begreife ich nicht, wie es uns damals gelang, mit einer so grauenhaften Zukunft vor uns doch mit soviel Ruhe und Überlegung den Stand der Dinge zu betrachten und zu besprechen. Der Herzog war indessen ein zu alter, gediegener Reisender, als daß er den Mut hätte verlieren können, und ich selbst war noch unbekannt mit den Schneestürmen der Prärie, vermochte also nicht die drohende Gefahr vollständig zu übersehen.

Eines Morgens also, nachdem wir kaum erst zwei Meilen zurückgelegt hatten, wurde unsere Aufmerksamkeit durch zwei Punkte gefesselt, die sich anscheinend bewegungslos in weiter Ferne vor uns in der Straße befanden. Die den Prärien eigentümliche Atmosphäre zeigte uns, trotz des bewölkten Himmels, die Gegenstände bei jeder Bewegung in so veränderter Gestalt, daß wir nicht wußten, was wir aus denselben machen sollten. Bald glaubten wir zwei ruhende Büffel, bald zwei Raben, bald Indianer, bald Wölfe vor uns zu haben, und lange stritten wir darüber hin und her, bis wir endlich das erkannten, was wir am wenigsten zu finden wünschten, nämlich Indianer. Als wir uns ihnen näherten, erhoben sie sich von der Erde und schritten uns entgegen. Es waren zwei junge Männer und so wild und unsauber aussehende Gesellen, wie nur je über die Prärie trabten. Ihre Gestalten hatten sie in wollene Decken gehüllt, die ursprünglich weiß gewesen waren, jetzt aber die Farbe des dürren Grases trugen; eine Art Kapuze von demselben Stoff bedeckte teilweise ihr Haupt, ihre Füße und Beine dagegen waren durch die gewöhnlichen hirschledernen Mokassins und Gamaschen geschützt. In den Händen trugen sie lange Dragonersäbel, die sich, nach ihrem Glanz zu schließen, noch nicht lange im Besitz der beiden Wilden befinden konnten und jedenfalls auf einem neueren Raubzug erbeutet waren.

Als sie uns erreichten, begannen sie sogleich auf die unverschämteste Weise zu betteln und nach Whisky zu fragen. Natürlich wiesen wir sie zurück, und da sie Miene machten, die Pferde anzuhalten, drohten wir ihnen mit unseren Waffen, worauf sie sich hinter den Wagen begaben und uns in der Entfernung von ungefähr fünfzig Schritt augenscheinlich nicht in der besten Absicht folgten. Ich kann es nicht leugnen, die Anwesenheit der beiden Räuber — denn anders kann ich diese Art von Eingeborenen nicht bezeichnen — begann mir sehr lästig zu werden, so daß ich den Herzog um seine Zustimmung ersuchte, diese zur Abschreckung vor den Kopf schießen zu dürfen. Meine Absicht entsprang aus einer sehr großen Unerfahrenheit, dann aber auch aus einem tiefen Haß, den ich, auf den Grund hin, daß ich die Indianer für schuldig an unserem ganzen Unglück hielt, vorschnell gegen diese gefaßt hatte, ohne daran zu denken, daß die arme, verfolgte kupferfarbige Rasse auf ihrem eigenen Grund und Boden, den sie frei von ihren freien Vätern übernommen hat, tausendfaches Unrecht von den fremden, bleichen Eindringlingen erduldet hatte. Natürlich erblickt der Indianer in jedem Weißen einen Unterdrücker und betrachtet ihn mit einem schwer zu besiegenden Mißtrauen, und eingedenk der erfahrenen Unbilden sucht er sich zu rächen, wenn die Gelegenheit sich dazu bietet. Wer nun der indianischen Rache flucht, der vergißt der fluchwürdigeren Rache der Weißen, der vielfach für ein gestohlenes Pferd zahlreiche Leben zum Opfer fallen. »Du sollst nicht stehlen!« sagt der zivilisierte Weiße zu dem Menschen im Urzustand, indem er ihm seine Heimat raubt, den Keim zum Guten in seiner Brust erstickt und dafür die bösen Leidenschaften weckt und anstachelt. »Du sollst nicht töten!« ruft er ihm wieder zu, indem er, für einen begangenen Mord strafend, ganze Nationen in den Staub tritt.«

»Nirgends wird der Wert des Menschen mehr verkannt und von seiner Farbe abhängig gemacht als in unserem Land!« unterbrach hier der Doktor meine Erzählung. »Die Leute, die sich in rohen Ausbrüchen gegen die indianische Rasse ergehen, ihr frevelnd jede Bildungsfähigkeit absprechen und gleichsam auf deren Ausrottung beharren, denken nicht daran, daß sie auf die schamloseste Weise ihr eigene Unwissenheit zur Schau tragen und nicht imstande sind, die eigentlichen Ursachen zu erkennen, die zuerst die Übel veranlaßten, die jetzt so tief, ja ich möchte sagen, fast unheilbar eingerissen sind.«

Ich fuhr in meiner Erzählung fort: »Den Plan, die beiden Indianer zu erschießen, wies der Herzog mit Unwillen zurück, indem er mich fragte: »Wer gibt Ihnen das Recht, Menschen zu töten, denen Sie durch Ihre Waffen so weit überlegen sind?«

»Das Recht des Stärkerem, antwortete ich gelassen, »und der Wunsch, uns von der unheimlichen Gesellschaft zu befreien.«

»Selbst in der Wildnis«, fiel der Herzog ein, »wo das Recht des Stärkeren freilich anerkannt wird, soll man doch nur in der Selbstverteidigung Blut vergießen; glauben Sie übrigens, daß diese beiden Wilden die einzigen in unserer Nähe sind? Und glauben Sie, daß wir den Tod derselben, wenn er durch uns veranlaßt wurde, vierundzwanzig Stunden überleben würden?«

Ich schwieg und ritt mürrisch neben dem Wagen her, überlegte zugleich, ob es unter solchen Umständen wirklich ein so großes Unglück wäre, auf anständige Art skalpiert zu werden. Die beiden Indianer folgten uns von ferne.

 

Nicht weit waren wir so fortgezogen, als wir eine Schwellung in der Ebene erreichten, von deren Höhe aus man die nächste Niederung zu übersehen vermochte. Dort nun erblickten wir, zu unserer sehr geringen Freude, einen Trupp von etwa achtzehn Eingeborenen, die sich an der Straße gelagert hatten, bei unserer Annäherung aber aufsprangen und uns entgegeneilten. Sie glichen in ihrem Äußeren vollkommen den beiden zuerst beschriebenen, nur führten sie als Waffen statt der Dragonerschwerter Karabiner und Bogen. Wie bei einer früheren Gelegenheit, so geboten wir ihnen auch jetzt wieder Halt und gestatteten ihnen, nach Auswechslung der Friedenszeichen heranzutreten.

Die Zusammenkunft schien anfangs ein friedliches Ende nehmen zu wollen, als plötzlich einer der uns Folgenden seinen Gefährten einige Worte zurief, worauf diese mit der Schnelligkeit eines Gedankens ihre Decken zurückwarfen, ihre Waffen ergriffen und sich mit wildem Geschrei auf uns stürzten. Der Angriff geschah so plötzlich und von allen Seiten, daß wir von unseren Waffen keinen Gebrauch machen konnten und nur versuchten, mit unseren Pferden durchzubrechen. Kaum bemerkten sie aber unsere Absicht, als einer der wilden Gesellen vor den Wagen sprang und dem Handpferd mit dem Hammer des Tomahawks einen Hieb über dem Auge an den Kopf versetzte, daß es betäubt auf die Knie sank. Es hob sich zwar gleich wieder empor, doch war es für den Augenblick unfähig, weiterzugehen, und es starb auch nach einigen Tagen infolge des furchtbaren Schlages.

Wir befanden uns also vollständig in der Gewalt dieser Wilden, und zwar so, daß wir uns nicht zu rühren vermochten. Vor jedem von uns standen nämlich sechs oder sieben der Räuber, die uns auf äußerst unbequeme Weise ihre gespannten Karabiner vors Gesicht hielten oder die Sehne mit dem befiederten Pfeil ans Ohr zogen und mehr als zu genau nach unserer Brust zielten. Der Herzog hatte seine Doppelflinte ergriffen, doch kaum befand dieselbe sich in seinen Händen, als sie ihm entrissen, aufgezogen und mit der Mündung vor den Kopf gehalten wurde, so daß ich nichts anderes erwarten konnte, als daß das Doppelgewehr sich in den ungeübten Händen entladen und des Herzogs Gehirn zerschmettern würde. Als er dann nach einer Pistole griff, wurde diese ebenfalls seiner Hand entwunden, er selbst halb aus dem Wagen gerissen, die mexikanische Decke, die er um seine Schultern trug, über seinen Kopf gezogen und das Beil gehoben, das seinem Leben ein Ende machen sollte. Ich selbst hatte in meinem Halstuch die Faust eines Indianers, der meine Kehle recht empfindlich zusammenschnürte, und hing nur noch auf dem Pferd, das ebenfalls gehalten wurde, während die Pfeile und die Karabiner, die mich umgaben, keinen Augenblick ihre gefährliche Richtung veränderten.

So standen also die Sachen, ich hatte mit dem Leben abgeschlossen und konnte nichts anderes glauben, als daß mir einige Pfeile, deren Federn recht sorglich mit der Zunge benetzt waren, durch den Leib fahren würden. Diese ganze Szene hatte bei weitem nicht so lang gedauert, als ich Zeit brauche, sie zu schildern, und ebensoschnell waren auch meine Satteltaschen ihres Inhalts entledigt und einige Gegenstände aus dem Wagen gerissen worden. Unter den mir geraubten Sachen befand sich auch mein Tagebuch, das mit Skizzen von Indianern angefüllt war, und ich vermute, daß der Anblick der Zeichnungen einen uns rettenden Einfluß auf die Wilden ausübte. Ich kann es mir nämlich nicht anders erklären, als daß in dem Augenblick, der unser letzter zu sein schien, die Indianer sich gegenseitig etwas zuriefen und nicht nur plötzlich von uns abließen, sondern auch den größten Teil der geraubten Sachen wieder in den Wagen warfen. Nur eine einfache Pistole des Herzogs behielten sie, überreichten ihm aber statt dieser einen sechsläufigen Revolver, den sie natürlich bei einer früheren Gelegenheit geraubt hatten und von dem sie wahrscheinlich keinen Gebrauch zu machen verstanden. Mein Skizzenbuch bekam ich nie wieder zu sehen, ebenso blieb mein Halstuch in der Hand desjenigen zurück, der mich auf so zweideutige Weise liebkost hatte.

»Die dummen Kerls!« rief der Herzog ärgerlich aus, als er sich von den mörderischen Griffen befreit fühlte.

»Tumme Kel! Tumme Kel!« wiederholten die Indianer, welche die Bezeichnung nachzusprechen versuchten und dabei auf die Seite traten. Kaum fühlten wir, daß wir frei und noch im Besitz unserer Waffen waren, als wir unsere Pferde antrieben und, ohne uns weiter um die wilde Bande zu kümmern, ruhig unsere Straße weiterzogen.

»Diesmal hätten wir unseren Skalp noch gerettet«, rief mir der Herzog lachend zu, indem er sich mit der Hand durch die verwirrten Haare strich; auch ich faßte unwillkürlich nach meiner Kopfhaut, die sich ganz gegen mein Erwarten noch auf ihrer alten Stelle befand, und schaute zurück nach der Bande, die sich da, wo wir sie verlassen hatten, niedersetzte und einen Gegenstand aufmerksam zu betrachten schien.

Ich untersuchte meine Satteltasche, und jetzt wurde ich erst gewahr, daß mir mein Tagebuch fehlte. Ich bezweifelte nun nicht mehr, was die Veranlassung zu unserer fast wunderbaren Rettung gegeben hatte. Der Aberglaube dieser Leute hatte sie in den Bildern Zauberei erkennen lassen, und da diese Zauberei von uns ausgegangen war, konnten wir natürlich nur Medizinmänner sein, deren Leben geschont werden mußte. Der Verlust meiner Zeichnungen und Notizen war mir sehr schmerzlich, doch fühlte ich mich getröstet bei dem Gedanken, daß dieselben wenigstens zu unserer Rettung mit beigetragen hatten. Ich glaubte schon, der Herzog würde mich, wie früher nach dem Messer, jetzt nach dem Buch zurücksenden, und ich darf nicht leugnen, daß ich mich diesmal gewiß etwas mehr gegen eine so naive Aufforderung gesträubt haben würde, denn die feindliche Kugel war noch in zu frischem Andenken bei mir. Von meinen Zeichnungen habe ich nie wieder gehört, sie befinden sich jetzt wohl in irgendeinem Zauberbeutel der Kiowas, denn zu diesem Stamm gehörte nach des Herzogs Ansicht die Gesellschaft, die sich bei unserem Zusammentreffen für Cheyenne-Indianer ausgegeben hatte.

Wir befanden uns kaum dreihundert Schritt von den Indianern, als wir nicht weit von der Straße einen toten Büffel erblickten; ich ritt hinüber und überzeugte mich, daß er noch ganz warm war und kaum seit einer Stunde erlegt sein konnte; es hatte sogar den Anschein, als ob die Jäger in der Arbeit des Zerlegens durch unser Eintreffen gestört worden wären. Auf meine Mitteilung bog der Herzog vom Weg ab, fuhr seinen Wagen dicht an den Büffel heran, worauf wir ohne Zögern die unterbrochene Arbeit der Indianer fortsetzten. Wohl selten handhabten zwei Leute Messer und Axt mit einem größeren Eifer als wir, die wir ein Stück nach dem anderen vom zottigen Riesen herunterschnitten und in den Wagen warfen. Glücklicherweise hatten die Indianer die besten Teile noch unberührt gelassen, und so waren wir denn imstande, uns nicht nur einen tüchtigen, sondern auch einen sehr schmackhaften Vorrat von saftigem Fleisch anzulegen.

Die Wilden saßen unterdessen noch immer auf der alten Stelle, wie mit ernsten Dingen beschäftigt. Sie schienen nicht geneigt, uns weiter zu belästigen, und daß wir keine sonderliche Lust verspürten, sie zu inkommodieren, brauche ich wohl nicht weiter zu versichern. Wir entfernten uns, nachdem wir vom Büffel soviel genommen hatten, als wir bequem unterbringen konnten, und würden ganz guter Dinge gewesen sein, wenn das verwundete Pferd nicht deutliche Zeichen seiner gänzlichen Erschlaffung gegeben hätte. Wir reisten bis spät am Abend und vergaßen dann beim duftenden Braten das Hoffnungslose unserer Lage.«

Zwölftes Kapitel

Fortsetzung der Reise der »Explorer« — Schlucht vor dem Bill Williams Fork — Mündung des Bill Williams Fork — Entenjagd — Sandsturm — Unbequemes Lager — Fischfang im Bill Williams Fork — Der Mohave-Bote — Die Sägefelsen — Das Chimehwhuebe-Tal — Die Sandbänke — Langsame Reise — Formation der hohen Kiesebene — Maruatschas Neigung zur Umkehr — Chimehwhuebe-Indianer — Ruhetag auf einer Sandbank — Die Indianer als Naturaliensammler — Die verlassene indianische Hütte — Nördliches Ende des Chimehwhuebe-Tals — Die Nadelfelsen — Einfahrt in die Schlucht — Die Stromschnelle — Übergang der »Explorer« über diese

Zur gewöhnlichen Stunde rief am 1. Februar die Dampfpfeife zum Aufbruch. Wir verließen die anmutige Insel und befanden uns bald wieder zwischen den hohen Ufern, die durch die Kiesebene gebildet wurden und nur ganz spärliche Vegetation am Rand des Wassers duldeten. Ein Felsvorsprung gleich hinter der Insel auf dem linken Ufer, der sich bis zu einer Höhe von ungefähr dreißig Fuß erhob und tief in den Strom hineinreichte, verdient besondere Erwähnung. Der Fluß bildet hier einen Winkel, infolgedessen wir diesem Punkt den Namen Corner Rock (Eckfelsen) beilegten. Der Felsen selbst steht mit der Kiesebene in Verbindung oder scheint vielmehr eine Verlängerung dieser zu sein. Deutlich erkennbar waren, als wir dicht vorbeifuhren, zwei Lagen von Konglomerat, auf welchen Kiesschichten ruhten. Die Decke bestand aus einer starken Lage Basalt, und dieselbe hatte ebenso wie die unteren Schichten eine geringe Senkung von Westen nach Osten. Eine kurze Strecke hinter dem Corner Rock drängten sich die hohen Felsmassen zu beiden Seiten mehr dem Fluß zu, bis sie einen Cañon bildeten, aus dem uns der Colorado entgegenströmte. Wir befanden uns bald in dem Felsentor, dessen Wände anfangs zwar weniger bedeutend waren, aber an Höhe und Ausdehnung in dem Grad zunahmen, als wir uns stromaufwärts bewegten. Die prachtvollsten Formationen umgaben uns endlich von allen Seiten; das Fahrwasser — obgleich reißend und wegen der verborgenen Klippen gefahrvoll — war gut, und nur zu schnell, um den Anblick einer erhabenen Szenerie vollständig genießen zu können. Wir traten, den kurzen Windungen des Stroms folgend, von einem Becken in das andere ein. Zu mächtigen Wällen und Mauern türmten sich die buntfarbigen vulkanischen Massen hoch übereinander oder bildeten mit ihren zusammengeschobenen Basen spitze Winkel, in denen das schnell strömende Wasser sich schäumend brach, während an anderen Stellen die Räume zwischen dem Gestein mit Sand ausgefüllt waren, die in den meisten Fällen siechende Weiden und Cottonwood-Bäume spärlich schmückten.

Wir landeten an einer solchen Stelle, um etwas Holz an Bord zu schaffen, und fanden dort Gelegenheit, die Felsen näher in Augenschein zu nehmen, die eine so große Verschiedenheit der Farbe trugen. Wir entdeckten Kupfer, Eisen, Granit und Quarz; die Basen der Berge dagegen zeigten vielfach roten Sandstein und Konglomerat, auf denen die verworrenen Massen basaltartiger Lava hoch übereinanderlagen.

Nachdem wir den Holzplatz verlassen hatten, steuerte Kapitän Robinson die »Explorer« vorsichtig zwischen den zahlreichen Klippen und durch die wilden Strudel dahin. Bis zu fünfhundert Fuß hoch ragten einzelne senkrechte und zum Teil überhängende Felswände aus dem Wasser empor, und da, wo diese weiter zurücktraten, erblickten wir die wunderlichsten Gebilde, die um so mehr überraschten, als sie aus festem, vulkanischem Gestein bestanden, das, unempfindlich gegen äußere Einflüsse, die unveränderten Formen seiner ersten Entstehung beibehalten hatte. Hier krönte ein Schloß mit regelmäßiger Architektur und terrassenförmig übereinanderliegenden Wällen und Mauern den Gipfel eines verwitternden Berges, dort ragte ein einsamer Wartturm oder eine freistehende, rechtwinkelige Mauer hoch empor, und wenn auch nicht gänzlich zusammenhängend, so waren diese Naturbauwerke doch durch lange Mauern miteinander verbunden, die wiederum Pfeiler und Türmchen reich schmückten. Die verschiedenen Lagen des Basalts und der Lava, die mit einer geringen Senkung gegen Osten bald säulenähnlich, bald schichtweise aufeinander folgten, vermochte man weithin an den parallelen Linien zu erkennen, die an den schroffen Seitenwänden deutlich hervortraten, und eben dadurch erhielten die merkwürdigen Gebilde noch mehr das Aussehen künstlicher Bauwerke. Es lag etwas Wild-Romantisches in unserer ganzen Umgebung, doch fehlte auch nicht der beängstigende öde Charakter, den starre, vegetationslose Gebirgsmassen stets zur Schau tragen; denn die Kakteen, die wie mächtige Kandelaber oder einsame Schildwachen an den Abhängen und auf den Wällen zerstreut umherstanden, hoben eher das Leblose der ganzen Szenerie, als daß sie einige Veränderung in dieselbe hineingebracht hätten.

Mit voller Dampfkraft arbeiteten die Maschinen, als sie die »Explorer« gegen die starke Strömung schoben; schwarze Rauchwolken entstiegen dem eisernen Schlot, weißer Schaum bildete sich vor dem scharfen Bug des Fahrzeugs, und das regelmäßige Ächzen und Stöhnen der entfesselten Dämpfe weckte laut hundertfaches Echo in den dunklen, unheimlichen Klüften. Die Felsen schoben sich gleichsam in drohender Weise aneinander vorbei und neigten sich über uns hin; scheinbar bebten mächtige Blöcke und Kuppen, wir aber saßen in stiller Bewunderung auf unserer Plattform und ließen, geleitet von den verschiedenen Ausrufen des Erstaunens, unsere Blicke bald auf dem rechten, bald auf dem linken Ufer haften.

 

Eine Indianerfamilie begegnete uns mitten in der Schlucht; sie kauerte auf einem aus Binsen zusammengefügten Floß und ließ sich gemächlich stromabwärts treiben. Mit dem Ausdruck furchtsamer Besorgnis schauten die armen Leute auf unser »feuerspeiendes Kanu«; auch wir blickten zu ihnen hinüber und gedachten des eigentümlichen Kontrastes, den der Zufall hier zusammengeführt hatte: auf der einen Seite die Schiffahrt in ihrer allerersten Kindheit und Menschen wie Fahrzeug dem Willen des Elements untertan; auf der anderen Seite die Schiffahrt auf dem höchsten Punkt der Vollkommenheit und die Elemente gehorsame Werkzeuge in der Hand des Sterblichen, um das eine mit dem anderen erfolgreich zu bekämpfen; um beide Teile aber eine großartige, erhabene Natur, die anscheinend leblos ist, doch sich nur leise zu regen braucht, um den Menschen im Urzustand und den eitlen Jünger der Zivilisation mit all seinen Werken und den Erzeugnissen seines Geistes spurlos verschwinden zu lassen.

Vorbei schnaubte der Dampfer an dem gebrechlichen Binsenfloß, das sich willenlos auf den schäumenden Wellen hob und senkte; der nächste Vorsprung entzog es unseren Blicken, und wir befanden uns wieder allein in dem mächtigen Felsenkessel. Nur hoch oben, zwischen den Gipfeln der Berge, schwebte majestätisch ein weißköpfiger Adler; zwei Krähen versuchten es mit lautem Gekrächz, den König der Lüfte anzugreifen, der unbekümmert und gleichgültig gegen seine gehässigen Verfolger nach wie vor seine weiten Kreise beschrieb.

Etwa sechs Meilen reisten wir in dem Cañon, als die Gebirge auf dem linken Ufer, ein Tal bildend, weiter zurücktraten und wir uns der Mündung des Bill Williams Fork näherten. Der niedrige Wasserstand des Colorado, dessen Spiegel bedeutend unter dem seines Nebenflüßchens lag, war Ursache, daß letzteres nur in einem schmalen Strahl hinabstürzte. Da nun bei meiner früheren Anwesenheit an jener Stelle der Bill Williams Fork als ein fünfundzwanzig Fuß breiter Fluß in den Colorado strömte, so vermochten weder Lieutenant Ives, der ebenfalls an der Forschungsexpedition des Captain Whipple teilgenommen hatte, noch ich, diesen Punkt wiederzuerkennen, und nur hervorragende Gebirgsformen, die ich damals behutsam abzeichnete, überzeugten uns endlich vollständig, daß wir auf dem Colorado bis dahin gelangt waren, wo wir diesen vier Jahre früher zum erstenmal erblickt hatten.

Wir landeten eine kurze Strecke oberhalb der Mündung des kleinen Flusses auf dem linken Ufer, ungefähr an demselben Punkt, den Captain Whipple astronomisch bestimmte, also unter 34° 23’ 10” 10’’’ nördlicher Breite und 114° 06’ 24’’ 90’’’ westlicher Länge von Greenwich. Nach einer früheren Berechnung des Captain Whipple liegt Fort Yuma, oder vielmehr der Vereinigungspunkt des Gila und des Colorado, unter 32° 43’ 32’’ 3’’’ n.Br. und 114° 32’ 51’’ 61’’’ w.L. Wir befanden uns also nach einer zwanzigtägigen Reise und nach Zurücklegung von wenigstens 170 Meilen nur 26’ 27’’ östlich von der Länge von Fort Yuma und noch nicht ganz zwei Grad nördlich von dem obengenannten Punkte. Der Abend war noch ziemlich weit entfernt, als die Lagerordnung hergestellt war; ich rüstete mich daher zu einem kleinen Jagdausflug den Bill Williams Fork hinauf, der bei mir wegen des zahlreichen Vogelwildes, das ich einst dort erbeutete, in besonders frischem Andenken stand. Als ich über den festen und lettigen Boden dahinschritt, entdeckte ich die Spuren von Wagenrädern und die deutlichen Abdrücke von Maultier- und Schafhufen; sie waren bereits vier Jahre alt, doch schien es, merkwürdig genug, als ob erst ebenso viele Wochen seit ihrem Entstehen vergangen wären — ein Zeichen, wie wenig die übrige Oberfläche des Bodens im Tale des Colorado, die nicht vom Fluß selbst berührt wird, einer Veränderung unterworfen ist. Die Zeichen, die mich so lebhaft an längst vergangene Tage erinnerten, waren besonders gut erhalten an solchen Stellen, wo dicht wucherndes Gestrüpp, vorzugsweise Talgholz, dieselben vor dem Flugsand geschützt hatte.

Ich erreichte bald das Flüßchen; wie damals scheuchte ich bei meiner Annäherung eine Herde Enten auf, und wie damals schoß ich einige derselben herunter. Ich blickte um mich; blätterlose Bäume und Sträucher hatten dieselben Formen und Farben wie vor Jahren; unverändert standen im Hintergrund die imposanten Felsmassen, deren zackige Linien ich einst mit soviel Genauigkeit auf dem Papier wiederzugeben trachtete; je länger ich auf diese hinblickte, desto bekannter erschienen mir ihre Formen; war es mir doch, als ob ich meiner ganzen Umgebung ebenfalls nicht fremd geworden sei, denn wie grüßend schauten die blauen Berge, die kühn aufstrebenden Felsgipfel und die einsamen Pitahajas zu mir herüber, gleichsam erfreut, einen alten Bekannten aus fernen Landen wiederzusehen. Auch ich freute mich; freilich war es bis auf einen ganz schmalen Strich nur eine Wüste, die mich umgab, aber eine Wüste, in der ich einst hungernd und nur noch mit Lumpen bekleidet stand, von der ich mit dem Gedanken, sie nie wiederzusehen, schied und in die ich mich plötzlich wie durch Zauberschlag versetzt fand. Kaum ein Tag schien mir seit jener Zeit verflossen zu sein, in Gedanken aber stürmten die Ereignisse von Jahren an mir vorüber und erinnerten mich an die Wirklichkeit; ich gedachte meiner schönen Heimat und alles dessen, was ich in derselben zurückgelassen, und — ergriff schnell mein Gewehr, um weiter zu jagen.

Ich folgte dem Flüßchen aufwärts, bis die Dämmerung mich an die Rückkehr ins Lager mahnte. Ich hatte eine gute Jagd gemacht, denn große und kleine Enten beschwerten meinen breiten Ledergürtel, und doppelt willkommen wurde ich daher von meinen fröhlichen Kameraden geheißen, als ich aus der Dunkelheit plötzlich ans flackernde Lagerfeuer trat.

Der mit düsteren Wolken verschleierte Himmel klärte sich zur nächtlichen Stunde allmählich wieder auf, zugleich erhob sich aber auch ein Wind, der mit verstärkter Gewalt an unseren Zelten rüttelte und gegen Morgen in einen förmlichen Sturm ausartete. Trotz des Wunsches von Kapitän Robinson, an jener Stelle günstigeres Wetter oder vielmehr einen glatten Wasserspiegel abzuwarten, bestand Lieutenant Ives auf der Weiterreise. Wir verließen daher am 2. Februar zur gewöhnlichen Stunde das Ufer und gelangten bald in die Mitte des Stroms, wo die »Explorer« so sehr durch Bänke von Geröll, die nur wenige Zoll unter der Oberfläche des Wassers lagen, eingeengt wurde, daß sie zuletzt kaum noch vorwärts oder rückwärts gebracht werden konnte. Wir waren froh, das rechte Ufer ohne Unfall zu erreichen, wo am Fuß schroffer vulkanischer Felsen nun eine kleine, mit Dornen dicht bewachsene Fläche zu unserem Aufenthalt diente. Der Sturm brauste unterdessen mit ununterbrochener Gewalt fort, wild kreiste der Sand in den Winkeln der Felsen, und selbst mit der größten Mühe gelang es uns nicht, eine geschützte Stelle zu schaffen, auf der wir uns hätten unterhalten können, ohne knirschenden Sand zwischen unseren Zähnen zu fühlen. Stundenlang lagen wir zwischen den Felsen und sonnten uns; sich auf vorteilhafte Weise zu beschäftigen war nicht möglich, und so schlich denn die Zeit träge und langsam dahin.