Die Tage, die ich mit Gott verbrachte

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Die Tage, die ich mit Gott verbrachte
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Mit dem Urknall hat alles mal angefangen. Aber was ist daraus geworden? Das fragt sich Gott, und das fragt sich auch Axel Hacke. Eine wunderbare Parabel auf das Leben.

Wenn einer von einem fremden alten Mann von der Parkbank geschubst wird, auf die eine Sekunde später ein schwerer Glasglobus mit Metallfuß kracht, fängt er an sich zu wundern. War das Absicht, dass der Alte ihn gerettet hat? (Andernfalls wäre er ja tot gewesen, erschlagen von der Welt.) Und wer ist der Mann mit dem grauen Mantel, der jetzt dauernd auftaucht und Nähe sucht, ganz allgemein zu den Menschen, zum Erzähler aber im Besonderen? Er zieht in Hauswänden Schubladen auf, die vorher nicht da waren und in denen sich Welten verstecken, von denen auch niemand eine Ahnung hatte. Er lässt die steinernen Löwen vor der Feldherrenhalle durch Reifen springen und dirigiert kleine Regenwolken bei heiterstem Himmel herbei – und das ist alles nur der Anfang einer so großartigen wie versponnenen Geschichte voll seltsamster Ereignisse. Dieser melancholische Alte, der gerne ein Glas Champagner trinkt: Ist das Gott, der die Einsamkeit des Universums satt hat? Ist es möglich, dass einmal nicht die Menschen Trost bei Gott suchen, sondern er bei ihnen? Ausgerechnet in diesen Zeiten? Oder, mehr noch, sogar Verzeihung, Versöhnung angesichts der eigenen unvollkommenen Schöpfung? Gott: ein Spieler, ein Künstler, ein reuiger Mann?

In diesem Fall gibt es einiges zu besprechen. Und zu bestaunen, in den Tagen mit Gott.

Über den Autor

Axel Hacke lebt als Schriftsteller und Kolumnist des Süddeutsche Zeitung Magazins in München. Er gehört zu den bekanntesten Autoren Deutschlands, seine Bücher sind in zahlreiche Sprachen übersetzt. Zuletzt erschien Das kolumnistische Manifest (Kunstmann 2015).

Der Illustrator:

Michael Sowa lebt seit seiner Geburt im Jahre 1945 in Berlin. Nach Abschluss eines Kunstpädagogikstudiums 1975 freier Maler und Zeichner. 1995 wurde er mit dem Olaf-Gulbransson-Preis ausgezeichnet.

Axel Hacke

DIE TAGE,
DIE ICH
MIT GOTT
VERBRACHTE

Mit Bildern von

Michael Sowa

Verlag Antje Kunstmann

© Verlag Antje Kunstmann GmbH, München 2016

Satz: Schuster&Junge, München

eBook-Produktion: HGV Hanseatische Gesellschaft für Verlagsservice mbH

ISBN 978-3-95614-148-5

Für Ursula.

Und für Anne, Max, Marie, David und Josephine.

Diese ganze seltsame Geschichte begann mit einer Reise, die ich unternahm. Ich fuhr mit dem Zug in eine andere Stadt, hatte dort zu tun, und als das erledigt war, saß ich wieder im Zug und fuhr nach Hause. Es war Nacht, es war dunkel, ich sah zum Fenster hinaus …


Nein, das ist nicht richtig!

Ich sah nicht zum Fenster hinaus, denn ich sah im Fenster nur mich selbst. Das kennt jeder, der schon einmal mit dem Zug durch die Nacht gefahren ist: dass man von seinem Spiegelbild begleitet wird. Man schaut es an, und das Bild schaut zurück und man selbst schaut auch wieder zurück; so geht das hin und her, und irgendwann vergisst man, wer man ist, der hier oder der da drüben. Oder ist hier, so fragt man sich nach einer Weile, gar nicht hier, sondern eben – drüben?

Aber was nun kam, ist vielleicht noch niemandem passiert, und das, was danach geschah, schon gar nicht.

Deshalb erzähle ich es hier.

Denn nach einem Moment, in dem das Spiegelbild und ich besonders viel hin und her und her und hin geschaut hatten und ich eben, wie gesagt, schon gar nicht mehr wusste, wer jetzt das Spiegelbild war und wer ich selbst, und in dem ich mich fragte, warum ich mich die ganze Zeit selbst betrachtete und was ich eigentlich zu sehen hoffte, wenn ich mich selbst so ansah, und nachdem (also nach diesem einen Moment) ich wohl ein bisschen eingenickt war und für Sekunden nicht mehr recht wusste, ob ich nun noch schlief oder schon wach war – da fuhr einer von uns beiden allmählich schneller und schneller und dem anderen davon.

Als ich mir selbst entgeistert hinterhersah, wie ich mit dem schnelleren Zug in der Nacht entschwand, und als ich gleichzeitig auch sehr erstaunt bemerkte, dass ich im selben Augenblick hinter mir selbst in dem langsameren Zug zurückblieb – da blieb nichts übrig, als mir selbst noch einmal mit einer kurzen Handbewegung zuzuwinken.

Und in der Fensterscheibe vor mir, wo zuvor noch mein Bild gewesen war, war nur noch schwarze Nacht.

Doch dauerte das nicht lange. Nach einigen Minuten tauchten draußen vor dem Fenster die ersten Lichter der Stadt auf, dann auch die zweiten und die dritten, ich erkannte meine Stadt, ich sah ihre Straßen, ich sah sie nur zu genau, denn der Zug fuhr mitten auf dem Asphalt, er fuhr die Sonnenstraße hinunter, dann die Müllerstraße, und an der Ecke, wo sich der Laden befindet, an dem ich morgens meine Zeitungen kaufe, dort, wo natürlich noch nie ein Zug gefahren war und wohl auch nie wieder einer fahren würde (nein, das ist nicht richtig, einmal wird in dieser Geschichte noch ein Zug dort fahren, so viel kann ich verraten), an dieser Ecke also bog er plötzlich in meine Straße ein, der Zug.

Einige Autos warteten derweil, mehrere Passanten eilten, ohne die Bahn weiter zu beachten, den Bürgersteig entlang, ein Liebespaar küsste sich vor dem Eingang eines Lokals.

Wir fuhren langsamer und hielten genau vor meinem Haus.

Ich nahm meine Aktentasche, ging zur Waggontür und drückte auf den grünen Türöffner. Die Tür öffnete sich, ich stieg aus, nur ich, niemand sonst. Ich schloss die Haustür auf, da schoss mir aus dem Aufzug schon mein lieber Büro-Elefant entgegen. Ich blieb in der Eingangstür des Hauses stehen, strich dem Büro-Elefanten über den Rücken, kraulte ihm die Ohren und hörte, wie sich hinter mir leise zischend die Türen des Zuges schlossen. Ich drehte mich um und sah, wie er die Straße entlangfuhr und um die nächste Ecke bog, dort, wo das Schokoladengeschäft ist.

Merkwürdig, dachte ich noch, es sind wirklich gar keine Schienen zu sehen und auch keine Oberleitung.

Kaum hatte ich dann unsere Wohnung betreten, erzählte ich sofort meiner Frau und den Kindern, die noch wach waren, dass ich soeben mit einem Fernzug direkt in unsere beschauliche Innenstadtstraße gefahren sei – und sie umarmten mich und riefen: Wie schön sie es fänden, dass ich eine so blühende Vorstellungskraft hätte und ihren Alltag mit so detailreich erfundenen Erzählungen bereicherte und verzierte!

»Aber ich habe es nicht erfunden, es ist wirklich geschehen!«, rief ich, doch da waren sie schon dabei, mir zu berichten, was in den Tagen meiner Abwesenheit vorgefallen war, und ich lauschte und lauschte, und dann gingen wir alle schlafen.

Am nächsten Tag geschah Folgendes: Um zu arbeiten, ging ich wie gewöhnlich morgens in mein kleines Büro, das sich nicht weit von unserer Wohnung entfernt befindet. Aber es handelte sich um einen von diesen Tagen, an denen es nicht voranging mit meiner Arbeit. Ich saß an meinem Schreibtisch, dann stand ich wieder auf, setzte mich wieder hin, stand erneut auf und betrachtete die kleine Standuhr, die mein Vater mir vererbt hatte und die nun, so viele Jahre nach seinem Tod, in meinem Regal stand, stumm und still, denn ich zog sie nie auf.


Ich verfiel in jenes ziellose, sich im Kreis drehende Grübeln, das ich von meinem Vater ebenso geerbt habe wie diese Uhr, und als ich nicht mehr weiterwusste, schnappte ich mir meinen Büro-Elefanten und ging mit ihm spazieren. Gleich beim Büro um die Ecke befindet sich ein sehr alter Friedhof, auf dem viele berühmte Menschen begraben sind, solche, die in ihrem Leben etwas getan haben, das sie anderen Menschen unvergesslich macht, so unvergesslich, dass man Straßen, Plätze und Schulen nach ihnen benannt hat. Und dass man ihnen eben einen eigenen Friedhof einrichtete, als Gedächtnisstütze sozusagen. Denn manchmal vergessen die Menschen, dass ihnen etwas unvergesslich ist – und dann helfen ein Friedhof oder auch eine Straße, ein Platz oder eine Schule enorm, sich des Unvergesslichen zu erinnern.

Auf diesem Gottesacker gehe ich gerne mit dem Büro-Elefanten spazieren. Dieser Büro-Elefant ist ein besonderes Tier, ungefähr 25 Zentimeter groß. Er jagt dann den Eichhörnchen und den Ratten nach, und seit ich ihm einmal ein Elefantenbuch vorgelesen habe, in dem es hieß, eine Elefantenherde sei geräuschvoll durch den Dschungel gebrochen, bricht er stets geräuschvoll durch das hohe Gras zwischen den alten Gräbern, um die Hunde zu erschrecken. Sie schleichen feige an den Leinen ihrer Besitzer über die Wege, wie es Vorschrift ist und wie es auf den Schildern steht, auf denen das Anleinen von Büro-Elefanten vorzuschreiben vergessen worden ist.

Vor dem Grab eines berühmten Zoologen verweilt er immer still.

An diesem so zergrübelten Tag nun (bald nach der erwähnten Zugreise, wie gesagt) setzte ich mich, nach einer Weile des Dahingehens, Durchsgrasbrechens und Hundeerschreckens, auf eine Bank. Diese Bank steht vor der Wand eines großen Hauses, das direkt an den Friedhof grenzt. Der Büro-Elefant legte sich unter die Bank, und so saßen und lagen wir da, als sich ans andere Ende der Bank ein Mann setzte, den ich nicht kannte, aber schon oft im Viertel gesehen hatte, ein alter Herr.

Wie selten man das heute sagt, nicht wahr? Ein alter Herr.

 

Liegt es daran, dass es immer weniger alte Herren gibt? Oder dass einfach niemand mehr alt sein will? Oder dass das Wort »Herr« so unbeliebt geworden ist, weil …

Mann, ich weiß es doch auch nicht!

Jedenfalls lag etwas Soigniertes, aber nicht übermäßig Korrektes in seiner Erscheinung: ein schmales, scharf konturiertes Gesicht, die weißen, immer noch vollen Haare vielleicht einen Tick zu lang, ein müder Zug um die (doch wachen) Augen, dazu ein älterer grauer Wollmantel, für den es im Moment fast ein wenig zu warm war hier draußen.

Er sagte nichts, und ich sagte nichts. Aber jemand anders sagte etwas, denn aus einem offenen Fenster hinter und über uns hörten wir plötzlich Stimmen von Menschen, die sich stritten, eine Frau und ein Mann, so ist es ja meistens. Die Stimmen wurden lauter, man verstand trotzdem nicht, was die Leute riefen, obwohl das Fenster offen war. Es rumpelte und krachte – und dann stand der alte Mann mit einem Mal, wie meine Großmutter gesagt hätte, also plötzlich stand er auf, ging rasch auf meine Seite und schubste mich mit einer überraschend kräftigen Bewegung von der Bank ins Gras, um dann selbst zur Seite zu treten, worauf man natürlich, um es vorsichtig auszudrücken, verdutzt reagiert hätte, ich, liegend, aber gar keine Zeit zur Verdutzung hatte. Denn kaum war ich geschubst worden, sauste auf die Stelle, die eben noch mein Sitzplatz gewesen war, ein großer, schwerer Globus nieder, dessen Glas auf dem Holz der Bank krachend zersplitterte und dessen metallener Fuß eine große Delle ins Bankholz schlug.

Oben am Fenster tauchte, wie ich aus dem Augenwinkel sah, kurz ein Frauengesicht auf, dann hörte ich die wohl zu diesem Frauengesicht gehörende Stimme »Verpiss dich, sonst fliegt dein restlicher Scheiß auch noch da runter!« rufen, dann knallte eine Tür, dann schloss sich das Fenster klappernd.


Dann war Ruhe.

Und der alte Herr, ohne den ich das Opfer einer Auseinandersetzung geworden wäre, mit der ich nicht das Geringste zu tun gehabt hatte, und ohne den ich, von einer Weltkugel erschlagen, an diesem Ort gestorben wäre, bevor ich überhaupt nur annähernd so berühmt hätte werden können, wie man berühmt gewesen sein muss, um auf dem Friedhof der Berühmten begraben zu werden: Dieser alte Herr also verschwand durch die einige Meter entfernte, große geschmiedete alte Tür in der Friedhofsmauer, ohne sich um mich zu kümmern und ohne sich noch ein einziges Mal umzudrehen.

Aber dabei blieb es nicht.

Als ich am nächsten Morgen mit meinem Büro-Elefanten über die Straße ging, stellte ich fest, dass der Wind über Nacht einen gelben Staub in die Stadt geweht hatte und immer noch wehte, und dass dieser Staub sich auf alles gelegt hatte und immer noch legte, die Autos, die Fahrräder, die Straße, die Markisen vor den Geschäften, auch die Cafétische, die über Nacht draußen stehen geblieben waren. Dies alles war von einer körnigen, gelben Schicht bedeckt, die, wie feiner Sand, bisweilen auch unter den Augenlidern zu spüren war.

Aber es handelte sich nicht um Sand, wie ich bereits wusste (denn ich hatte es aus der Morgenzeitung erfahren), sondern um Fichtenpollen, Blütenstaub aus den Nadelwäldern am Stadtrand und in den Bergen.

Auf der anderen Straßenseite traf ich den alten Herrn, an dem ich früher immer einfach vorbeigegangen war, weil wir uns ja nicht kannten. Aber nun grüßte er mich, und ich grüßte ihn. Wir blieben beide stehen, aber aus einem Grund, den ich nicht nennen kann, weil ich ihn nicht kenne, kamen wir auf das tags zuvor Geschehene nicht zu sprechen. Wir redeten, als würden wir uns schon lange kennen.

»Ist es nicht seltsam«, sagte ich zu ihm, »dass wir nur so wenige Formen des Niederschlags kennen, und dass deswegen gelber Staub für uns etwas Besonderes ist? Etwas Erwähnenswertes?«

»Wie meinst du das?«, fragte er.

»Es gibt nur Regen, Schnee, bisweilen Hagel«, sagte ich, ohne mich auch nur einen Augenblick zu wundern, dass er mich duzte. »Und es gibt unsere Empfindungen dazu. Dass wir also den Regen oft als etwas Lästiges sehen, den Schnee aber, der doch nichts anderes als Regen bei Minusgraden ist, immer wieder schön finden, obwohl er im Gegensatz zum Regen nicht einmal abfließt, sondern bleibt – das meine ich. Oder finden wir ihn schön, weil er bleibt und die Konturen unserer Umgebung verändert und also für Abwechslung sorgt?«

»Andererseits ist Regen nichts anderes als Schnee bei Plusgraden«, sagte der alte Herr. »Aber Schnee regt die Fantasie an, nicht wahr?«

Ich sagte: »In einem Film habe ich mal gesehen, wie über einer amerikanischen Stadt ein großer Froschregen niederging. Tausende von Fröschen fielen mit einem Mal, wie meine Großmutter gesagt hätte, vom Himmel, die Tiere klatschten auf die Straßen und die Dächer, sie zerplatzten auf Scheiben, das Lurchblut rann die Autokarosserien hinunter. Auf den Straßen glitschten Autos auf der schleimigen Froschschicht herum, und die Fahrer wurden ihrer Fahrzeuge nicht mehr Herr, weil das alles so überraschend kam und kein Autoklub Fahrtrainings auf Amphibienglibber hatte anbieten können. Als ich den Film gesehen hatte, ging mir eine ganze Weile dieses dumpfe Aufplumpsen der Tiere nicht mehr aus dem Gehör.«

»Wie überaus eklig!«, murmelte der alte Mann.

»Aber interessant!«, sagte ich. »Stellen Sie sich doch einfach vor, es gäbe neben den bekannten langweiligen Niederschlagsformen auch mal kleine Überraschungen, mit denen niemand gerechnet hätte, einen Marshmallowschauer vielleicht, ein kleines Geprassel aus seltsamen winzigen roten Sternen, einen Hagel ungarischer Forint-Münzen oder einen Wolkenbruch von Himbeeren. Wenn man also zum Himmel emporschauen würde, wo sich etwas zusammenbraute, und man wüsste nicht, was gleich auf uns niederkommt …«

»Ich werde drüber nachdenken«, sagte er und verabschiedete sich höflich, sodass auch ich weiterging, den Bürgersteig entlang, wo nach etwa hundert Metern urplötzlich etwa zehn kleine graue Regenwolken vom Himmel sausten und sich vor mir zu einem Haufen türmten. Ein mannshoher Stapel aus Regenwolken lag plötzlich da, Wolken, die sich nicht etwa zu einer einzigen Wolke vereinten, sondern sauber konturiert blieben, Wolke lag auf Wolke lag auf Wolke auf …


Ich erschrak. Dann drehte ich mich um und sah den alten Herrn, der mir mit einer Hand so freundlich wie nachdenklich zuwinkte.

Neugierig trat ich auf die Wolken zu. Der Büro-Elefant senkte seinen Rüssel in den Haufen, saugte Wasser heraus und spritzte es sich ins Maul. Ich wollte eine der Wolken vorsichtig in die Hand nehmen und betrachten, aber sie stieg sofort auf und schwebte über meinem Kopf in der Luft. Ich hüpfte, um sie fassen zu können, aber sie wich mir aus, schwebte hierhin und dorthin, blieb jedoch immer über mir. Nach einer Weile begann es, aus ihr zu regnen.

Ich stand auf dem Bürgersteig, am Himmel stand die Sonne – aber über mir war diese kleine regnende Wolke, deren Wasser nun zu meinen Füßen etwas von dem gelben Staub in den Rinnstein spülte.

Über dem Büro-Elefanten: eine zweite.

Langsam segelten, an den Wolken vorbei, zwei schwarze Regenschirme aus dem Zenit. Ich nahm einen, hielt ihn über meinen Kopf, der Büro-Elefant schnappte sich den zweiten mit dem Rüssel, so eilten wir in mein Büro, immer verfolgt von den Wolken, aus denen es nun prasselte und prasselte. Selbst im Flur des Hauses, in dem sich mein Büro befindet, schüttete es, ein kleiner Wasserfall rauschte schon das Treppenhaus hinunter. Ich machte mir Sorgen, was der etwas penible Nachbar aus dem ersten Stock sagen würde, aber Gott sei Dank war niemand zu sehen. Also rannten wir ins Büro hinauf und dort sofort in das kleine Bad. Als ich dessen Tür öffnete, schwebten die Wolken hinein und blieben über der Badewanne stehen, in die sie nun rauschend ihren Inhalt ergossen. Eilig schloss ich die Badezimmertür, stellte die beiden Regenschirme im Hausflur ab, zog meinen Mantel aus, rubbelte mit einem Handtuch den Elefanten trocken, wischte einige Pfützen auf dem Parkett auf und setzte mich an den Schreibtisch. Der Büro-Elefant legte sich zu meinen Füßen hin.

Im Bad rauschte der Regen.

Es klingelte.

»Kleiner Scherz von mir«, hörte ich die Stimme des alten Herrn in der Sprechanlage. »Soll ich mal hochkommen?«

»Bitte!«

Ich drückte den Türöffner. Mein neuer Bekannter musste vier Treppen zu Fuß gehen und schnaufte ganz schön, als er oben war. Der Büro-Elefant schnoberte zutraulich um ihn herum und legte sich dann wieder unter den Schreibtisch.

»Ich wollte mal sehen …«, sagte der Alte.

»Was – sehen?«

»Wie du so lebst. – Wo sind die Wolken?«

»Im Bad.«

Er öffnete die Badezimmertür. Das rauschende Geräusch erstarb. Ich sah ihm über die Schulter. Die Wolken waren weg.

»Wollen Sie mir nicht irgendwann mal irgendwas erklären?«, fragte ich.

»Eigentlich nicht«, sagte er.

Er schaute sich in Ruhe um und nahm dann die kleine Standuhr aus meinem Bücherregal.

»Sie geht falsch«, sagte er.

»Sie geht gar nicht«, sagte ich. »Es ist die Uhr meines Vaters. Sie stand auf dem Sideboard bei uns im Wohnzimmer. Er zog sie jeden Abend auf und stellte sie dabei ein, immer um acht Uhr, bevor die Fernsehnachrichten begannen.«

Er hielt die Uhr ans Ohr.

»Und jetzt steht sie?«

»Ja. Ich habe sie nie aufgezogen. Sie steht, seit mein Vater tot ist.«

»Er starb um 22 Uhr?«

»Sie lief natürlich weiter nach seinem Tod, so lange es noch ging. Aber dann blieb sie stehen, und das war’s.«

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