Der Kronzeuge

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Dieses Mal konnte sich der Polizist ein Schnauben nicht verkneifen.

»Natürlich«, murmelte er.

Aiden hatte gerade überlegt, auf welches Alter er Barone wohl schätzen würde und war bei Mitte bis Ende 30 angelangt, als der Detective ihn ansprach.

»Ich melde mich bei Ihnen, sobald ich neue Informationen habe.«

»Gut. Denken Sie an mein Handy?«

»Sobald ich es einrichten kann.« Der Detective nickte und sah dann noch einmal zu Barone. Ein langer, fester Blick. Dann wandte er sich zum Gehen. Es hinterließ ein ungutes Gefühl bei ihm, den jungen Mann sozusagen in der Höhle des Löwen zurückzulassen, aber welche andere Wahl hatte er? Es gab nur diesen einen Weg. Alles andere hätte den sicheren Tod bedeutet für seinen Kronzeugen. Das hier war der Ausweg. Auch wenn es im Moment wie eine Falle aussah.

Kapitel 2

Wie in einer Falle fühlte sich auch Aiden. Sam Wilkins schloss die Tür hinter sich und mit einem Mal wurde Aiden klar, dass er nun mit diesem Mann, der in seinem Rücken stand, allein war. Barones Blick spürte er deutlich in seinem Nacken und nur schwer schaffte er es, ein Schaudern zu unterdrücken. Sich leise räuspernd drehte sich Aiden auf dem Stuhl zurück und sah zu Barone auf. Der war einen halben Kopf größer als er selbst, vielleicht sogar etwas mehr. Aiden fühlte sich wie eine lebendige Maus in einem Adlerhorst und wusste nicht, was er sagen sollte.

Gabriel Barone sah auf den jungen Mann vor sich. Vielleicht Ende 20. Dunkelbraunes Haar. Blasse, fahle Haut und blasse Lippen, von denen er vermutete, dass sie der Situation geschuldet waren. Helle, braune Augen sahen ängstlich zu ihm auf und warteten offensichtlich auf den nächsten Schritt, den er tun würde. Detective Sam Wilkins hatte ihm eine ganze Menge Informationen geliefert und dieser junge Mann war offensichtlich der Schlüssel dazu, Cortez das Handwerk zu legen. Den Mann aus dem Verkehr zu ziehen, den er bis aufs Blut hasste. Der vor nichts zurückschreckte. Der ein gewissenloser Bastard war und kein Fünkchen Ehre im Leib trug. Gabriel setzte sich wieder und griff nach dem Stift.

»Also gut. Was genau haben Sie beobachtet?«

Aiden seufzte leise. »Wenn ich das noch einmal jemandem erzählen soll, bekomme ich Fusseln am Mund«, murmelte er, aber Barones Blick ließ ihn schlucken. Es war ein kalter Blick, fordernd und fest und er konnte sich durchaus vorstellen, dass es Menschen gab, die diesem Mann sofort alles gaben, was er haben wollte, denn auch Aiden begann wie von selbst weiterzusprechen.

»Ich habe gesehen wie Cortez jemandem die Kehle durchgeschnitten hat.«

»Wann?«

»5 Uhr 40. Etwa.« Müde strich sich Aiden durchs Haar.

»Wo?«

»Ich weiß wirklich nicht, ob ich mit Ihnen darüber reden sollte.«

Gabriel griff nach einem Zettel und notierte sich etwas darauf. Bei dieser Antwort jedoch hob er den Blick und sah den jungen Mann fest an.

Aiden erwiderte den Blick. »Lincoln Road. Wieso fragen Sie denn?« Dieser Blick, der Aiden klarmachte, dass er zu antworten hatte. Wie machte dieser Mann das, nur mit den Augen?

»Hm.« Gabriel notierte sich auch das. »Wie sah der Mann aus, der getötet wurde?«

Sollte Aiden all das Barone erzählen? Sam Wilkins hatte ihm dazu keinerlei Anweisungen gegeben und dieser Mann kannte Cortez offensichtlich und auch seine Kreise. Was, wenn er helfen konnte, Beweise zu liefern? Ein blauer Blick sagte ihm, dass er zu lange mit seiner Antwort brauchte.

»Untersetzt, kleiner als Cortez. Er hatte kurzes Haar, kürzer als Ihres. Ich weiß nicht viel, es war dunkel und es ging alles so schnell.«

»War er weiß?«

Aiden nickte. »Ja. Vielleicht... Vielleicht Latino, ich bin nicht sicher, aber nicht schwarz.«

»Hm«, machte Barone nur erneut und schrieb etwas auf den Zettel, als die Tür aufging. Diesmal ohne ein Klopfen oder eine Ankündigung. Asali Sorkov betrat den Raum.

»Ich habe den Detective gehen sehen und... Oh.« Sie stutzte. »Er hat seinen Welpen vergessen, wie ich sehe.« Sie kam näher. »Was machen wir jetzt damit?«

Gabriel reichte ihr den Zettel und sie griff danach, als sie nah genug war. Forschend sah sie den jungen Mann an, der im Büro ihres Chefs auf einem Stuhl gestrandet war und missmutig zu ihr aufsah.

»Wir behalten ihn«, sagte Gabriel knapp.

Sie schürzte die Lippen. »Behalten?«

Er nickte. »Ja. Such ein Zimmer für ihn. Ruf Pavel an. Und lass ihn bis dahin nicht aus den Augen.«

Während er sprach, scannten ihre Augen den Zettel. »Cortez?«, fragte sie und der Name klang aus ihrem Mund wie eine ansteckende Krankheit.

Gabriel nickte knapp.

»Na schön.« Sie strich sich eine Falte aus dem Rock. Dann nickte sie dem jungen Mann zu. »Dann komm mal mit, Schätzchen.«

Aiden sah zu der Sekretärin auf, die viel mehr zu sein schien als das. Doch er blickte noch einmal zu Barone zurück. »Was für ein Zimmer? Wer ist Pavel?«

Die schwarze Frau schnalzte mit der Zunge. »Na, na.« Sie schüttelte den Kopf. »Aus und bei Fuß, Süßer. Man bedrängt das Herrchen nicht. Und jetzt hoch mit dir.« Sie lief zur Tür, die sie vorhin offen hatte stehen lassen.

Für einen Moment begegnete Aiden dem Blick von Gabriel Barone, der ihm keine Antworten liefern wollte. Mit einem Ruck erhob er sich. Er wurde wütend! Niemand sprach mit ihm, ständig bekam er nur ausweichende Antworten, die ihm überhaupt keine Sicherheit gaben! Aber genau deshalb war er doch hier, oder? Aidens Schritte trafen fester auf den Boden als es normal gewesen wäre, als er der schwarzhäutigen, langbeinigen Schönheit aus dem Büro folgte. Vielleicht trugen auch Schlafentzug und Hunger zu seiner aktuellen Stimmung bei. Im Vorbeigehen fing er den dunklen Blick der Frau auf.

»Vergleichen Sie mich nicht noch einmal mit einem Hündchen, Mrs. Sorkov.«

»Das kann ich nicht versprechen«, meinte sie und schloss die Tür hinter sich, als sie das Büro verlassen hatten. »Aber fürs Erste, verrate mir deinen Namen.« Sie lief langsam den Flur hinunter.

»Aiden Miller«, antwortete er, während er neben Mrs. Sorkov herlief.

»Mein Name ist Asali Sorkov. Aber Asali reicht vollkommen. Wie alt bist du?« Sie bogen um eine Ecke, dann um eine weitere.

»Neunundzwanzig. Und das genügt jetzt an Fragen. Wenn Mr. Barone etwas über mich wissen möchte, dann soll er mich selbst fragen«, beschloss Aiden und verschränkte die Arme vor der Brust.

»Oh, aber das sind Dinge, die mich interessieren.« Sie öffnete die Tür zu einem weiteren Büro. Von der Einrichtung her unterschied es sich zu dem von Gabriel Barone. Viel weiß und schwarz und ein paar Grünpflanzen. Sie deutete auf einen gemütlich aussehenden Sessel. »Setz dich, Schätzchen.«

Aiden seufzte, setzte sich aber. Immer, wenn Mrs. Sorkov ihn Schätzchen nannte, fühlte er sich wie einer der Klienten von Josephine Baxter, seiner Kollegin.

»Trinkst du Alkohol?«, fragte sie jetzt, während sie zu einem Schrank ging und dort eine Tür öffnete.

»Ja. Ich trinke Alkohol, aber solange Sie da drin keinen mindestens 12jährigen Single Malt haben, trinke ich lieber nichts.«

Sie hob nur eine Augenbraue, lächelte geheimnisvoll und griff dann nach einer Flasche, drehte den Verschluss auf und kippte einen guten Daumenbreit in ein Glas. Die Flüssigkeit war bernsteinfarben und hinterließ ölige Tropfen am Glasrand, als sie zu ihm trat und es ihm reichte.

»Macallan 17. Das Hündchen hat Geschmack.«

Aiden nahm das Glas aus schlanken schwarzen Fingern. An einem funkelte ein filigraner Ring.

»Trinken. Jetzt«, meinte Asali und goss dann ein Glas mit Wasser halb voll, in das sie eine Tablette drückte, die daraufhin zu sprudeln begann und sich schäumend auflöste. Leicht schwenkte sie es, um den Vorgang zu beschleunigen.

Ja, dachte Aiden, wie ein Klient von Josephine. Er trank einen Schluck und seufzte innerlich auf, als ihm das rauchige, wenig blumige Aroma im Mund zurückblieb und der Whisky ein angenehmes Brennen in seinem Hals auslöste. Prompt breitete sich Wärme in ihm aus und er nahm noch einen zweiten und einen dritten Schluck, leerte damit das Glas. Der Geschmack würde ihm lange im Mund bleiben, das wusste er - bis Asali auf ihn zutrat, ihm das leere Glas abnahm, durch ein halb gefülltes ersetzte und sagte: »Jetzt das.« Sie stellte das benutzte Glas auf den Servierwagen und trat dann an ihren Schreibtisch.

Aiden sah skeptisch auf die milchige Flüssigkeit in dem Glas.

»Moment. Was ist das?«

»Aspirin.« Sie griff nach ihrem Telefon und wählte eine Kurzwahltaste an.

»Oh.« Aiden runzelte die Stirn, den Blick immer noch auf das Glas gerichtet. Er hatte eigentlich kein Kopfweh. Vielleicht war es Vorbeugung, dachte er sich. Er hob kurz den Blick zu Mrs. Sorkov, die ihm mit einer knappen Handbewegung bedeutete, das Glas zu leeren. Nun, immerhin war es Flüssigkeit, sagte sich Aiden und trank in kleinen Schlucken, bevor er das Glas auf dem Schreibtisch abstellte und sich zurücklehnte. Auf Asalis Gesicht zeigte sich ein lobendes Lächeln, bevor sie zu sprechen begann.

»Pavel, hey! Hier ist Asali. ... Danke, gut. Und dir? ... Na wunderbar. Du kannst dir sicher denken, warum ich anrufe? ... Ganz genau. So schnell wie möglich.« Während sie sprach, trat sie an die Fensterfront, die auch hier einen Teil des Raumes ausmachte und sah auf den Zettel, den sie von Gabriel bekommen hatte, las erneut die Informationen darauf. »24 Stunden. Und du weißt, dass das noch nie eine Rolle gespielt hat.« Sie lachte leise. »Genau. Danke. Bis später.« Sie beendete das Gespräch und sah noch eine Sekunde nach draußen. Dann drehte sie sich zu dem jungen Mann um, der nun unter ihrer Obhut stand.

 

»Was hältst du von einem verspäteten Frühstück?«

»Wer ist dieser Pavel und was ist in 24 Stunden?«, fragte der nur zurück.

»So neugierig«, meinte sie lächelnd und legte das Telefon auf den Schreibtisch, trat dann davor und lehnte sich an die Tischplatte. »Pavel ist Personenschützer.« Sie überlegte kurz. »Ja. Nennen wir es einfach so. Er hat eine kleine Firma und bietet bestimmten Leuten seine Dienste an. Seine Angestellten werden ein Auge auf dich haben, damit dir nichts passiert.« Lächelnd sah sie in das blasse Gesicht, welches jetzt zumindest im Ansatz wieder Farbe bekam. »Und es geht nicht darum, was in 24 Stunden passiert, sondern, dass er dafür sorgt, dass du 24 Stunden am Tag überwacht wirst.«

Aiden schluckte schwer. Nickte dann aber. Er war sich sicher, dass Amy ihm inzwischen geschrieben hatte. Ihre Verabredung heute Abend würde nicht stattfinden und damit würde innerhalb seiner Familie eine Chaoslawine losbrechen, das wusste er. Doch er erreichte sie nicht. Oder vielleicht doch? Er hob den Blick in Asalis Augen.

»Darf ich telefonieren?«

»Nein, Schätzchen. Das geht leider nicht.«

Mit dieser Antwort hatte Aiden gerechnet. Er machte sich nichts vor, er würde das Chaos nicht abwenden können. Genauer gesagt befand er sich schon mittendrin. »Ich weiß nicht, ob ich was runter bekomme«, antwortete er viel zu spät auf die Frage nach einem Frühstück.

»Einen Versuch ist es wert. Was möchtest du haben?« Ihre Stimme klang jetzt sanft, fast so als würde sie fühlen, was in dem jungen Mann vorging und dieser sanfte Unterton ließ Aiden schlucken.

»Ich weiß nicht. Etwas Leichtes.« Er erhob sich mühsam und fühlte seinen Körper streiken, doch er konnte auch nicht länger sitzen bleiben. Aiden trat auf den Servierwagen zu, hob ein Glas nach oben, in das Initialen hinein graviert waren und betrachtete es abwesend.

»Toast? Ein bisschen Rührei? Obst?«

Aiden spürte Asalis Blick auf sich ruhen. »Toast reicht«, murmelte er und stellte das Glas vorsichtig wieder ab. Er musste sich irgendwie davon abhalten, zu viel nachzudenken. Noch war dafür nicht die Zeit und er wollte all seinen Gedanken noch keinen Raum lassen. Nicht vor dieser fremden Frau. Aidens Blick ging aus dem Fenster. Unter ihnen, weit unter ihnen, lag die Stadt, inzwischen geschäftig im Vormittagstrott. Dienstagmorgen.

»Wie spät ist es?«, fragte er Asali und sah dabei über seine Schulter zu ihr.

Sie griff nach dem Telefon und tippte eine Nummer ein. »Kurz vor 11.« Es wurde am anderen Ende beinahe sofort abgehoben und sie bestellte in der Küche ein kleines Frühstück.

»Hm«, machte Aiden so leise, dass er Asali nicht störte und erst jetzt kam er dazu, seine Jacke abzulegen. Er hängte sie über die Stuhllehne, sah sich weiter um. Das Büro wirkte weniger angsteinflößend und klarer, beinahe beruhigte es ihn. Es kam ihm vor als wäre er bereits seit 48 Stunden auf den Beinen, dabei waren es gerade sieben einhalb. Aiden bemerkte gar nicht, dass er einen unsichtbaren Punkt an einer der Bürowände fixierte.

Das Telefon landete wieder auf dem Schreibtisch und Asali richtete den Blick auf den jungen Mann. »Wie fühlst du dich?«, fragte sie.

Aiden schreckte aus seinen Gedanken. »Ging mir schon mal besser.« Er sah über seine Schulter. »Ich will nicht darüber reden.« Asalis Blick folgte ihm, als er auf ein Kunstwerk zutrat und davor stehen blieb. Leicht legte er den Kopf schief.

»Gut.« Sie war der letzte Mensch, der Aiden jetzt drängen würde. Dafür kannte sie ihn nicht gut genug und im Grunde konnte es ihr auch egal sein. Sie setzte sich hinter ihren Schreibtisch und holte den PC aus dem Schlafmodus, rief das E-Mail-Programm auf und sah erneut auf den Zettel. Sie würde ein paar ihrer Kontakte anzapfen müssen, um etwas herauszubekommen.

Noch einmal warf Aiden einen Blick über seine Schulter, doch da war Asali schon in ihre Arbeit vertieft und Aiden würde sie nicht davon abhalten. Je weniger sie ihn fragte, desto besser. Er vertiefte sich wieder in das Kunstwerk an der Wand, es war modern, wenig verspielt, dafür aber klar und bestand nur aus wenigen Farben, dennoch konnte sich Aiden kaum darauf konzentrieren und er war froh, als es an der Tür klopfte und jemand ein Frühstück auf einem silbernen Wagen hereinschob.

Auch an diesem Mitarbeiter konnte Aiden keinen Makel feststellen. Wie schon Sam Wilkins war auch Aiden das perfekte Äußere aller Mitarbeiter hier längst aufgefallen. Auf dem Servierwagen stand eine kleine Frühstücksauswahl. Aiden griff nach einem Toast, der noch warm in einem Brotkorb lag, und schob sich eine Ecke in den Mund. Er fing immer mit einer Ecke an, während seine Schwester immer an einer Kante zuerst abbiss. Früher hatte sie deshalb immer Marmelade oder Nougatcreme in den Mundwinkeln gehabt. Aiden musste lächeln bei diesem Gedanken. Er setzte sich wieder und kaute langsam auf dem Toast herum. Das leise Klackern der Tastatur unter Asalis Fingern klang regelmäßig an seine Ohren. Nach dem Toast pickte Aiden noch etwas im Rührei, doch viel bekam er nicht hinunter.

Es dauerte eine gute Stunde, bis Asalis Telefon klingelte und die Ankunft von zwei Mitarbeitern von Pavel ankündigte. Sie ließ sie heraufschicken und kurz darauf klopfte es an der Tür. »Ja«, rief sie deutlich und zwei Personen traten ein. Ein schlanker, mittelgroßer Mann mit blondem Haar und eine junge Frau mit kurzen, schwarzen Haaren und sehniger Statur.

»Mrs. Sorkov. Wir kommen von Pavel.«

Asali strich sich eine Strähne hinter das Ohr. »Wunderbar. Zuverlässig wie immer.« Sie lehnte sich im Stuhl zurück. »Pavel hat Sie bereits über die Grundlagen informiert?«

Beide nickten knapp.

»Gut. Kein Kontakt. Zu niemandem außer zu mir und Mr. Barone. Es sei denn, er oder ich sagen etwas anderes.«

Wieder nickten beide.

»Es geht um Cortez. Wir wissen noch nichts Genaues, aber ich informiere Sie, sobald ich weitere Informationen habe. Für heute geht es erst einmal hauptsächlich darum, Mr. Miller von allem abzuschirmen. Wir werden dann sehen, was die Zeit bringt.«

»Ja, Ma’am.«

»Gut.« Asali erhob sich und nickte zu Aiden. »Komm Schätzchen. Bringen wir dich dahin, wo du es gemütlicher hast.«

Sie zog eine Schublade ihres Schreibtisches auf und nahm eine Chipkarte heraus. Dann lief sie zur Tür und sah sich nach Aiden um.

Aiden blieb nichts weiter übrig als zu folgen. In seinem Magen rumpelten Toast, Rührei, Whisky und Aspirinlösung durcheinander. Er trug seine Jacke über dem Arm und erinnerte sich an das Beruhigungsmittel, das er in einer Jackentasche verstaut hatte. Die beiden Personenschützer, die ihnen folgten, gehörten jetzt wohl zu ihm. Er sollte sich wichtig fühlen und schützenswert, aber alles, was er wollte, war sein einfaches Leben zurück. Zurück nach Hause. Und das alles hier vergessen.

»Wo bringen Sie mich hin?«, fragte er Asali.

»In ein Zimmer.« Sie drückte den Rufknopf des Fahrstuhls und gemeinsam stiegen sie in die großzügige Kabine. »Da kannst du dich ausruhen, vielleicht etwas schlafen.«

»Hm.« Aidens Blick fiel auf die beiden Personen, die noch mit ihnen im Fahrstuhl waren. Noch mehr Fremde. Ob sie mit ins Zimmer kommen würden? In Filmen und Serien blieben sie immer vor der Tür stehen und dann kam jemand durchs Fenster ins Zimmer und brachte die darin befindliche Person doch um. Aiden wusste nicht, ob es ihm lieber wäre, wenn sie im Zimmer oder davor blieben.

Der Fahrstuhl hielt nur zwei Stationen später wieder an und entließ sie in einen geräumigen Flur. Asali führte die Truppe an, den Flur hinunter, um eine Ecke und dann zu einer Zimmertür. Sie zog die Karte durch das Schloss und ein grünes Licht zeigte an, dass die Tür nun zu öffnen war. Sie betrat das geräumige Zimmer, das eher eine Junior-Suite war als ein normales Hotelzimmer. Die Sicherheitsleute folgten ihr und sahen sich kurz um, während Asali ihren Blick auf den jungen Mann hielt, der unsicher vor ihr stand.

»Mach es dir gemütlich, komm etwas zur Ruhe. Hier kann dir nichts passieren.«

Nur kurz hatte Aiden seinen Blick durch das Zimmer gleiten lassen, das sich in einer erstaunlichen Größe vor ihm ausbreitete, bevor Asalis Stimme seine Aufmerksamkeit auf sich zog.

»Gut«, hörte er sich antworten, »danke.«

»Wir bekommen das schon hin, Schätzchen. Keine Sorge.« Sie lächelte Aiden noch einmal aufmunternd zu und verließ dann das Zimmer, gefolgt von den beiden Personenschützern.

***

Gabriel hob nicht einmal den Blick, als es an der Tür klopfte, welche gleich darauf aufging. Es gab nur eine Person, die sich das erlaubte. Asali. Und sie war wohl auch die einzige, die mit solch einem Verhalten durchkam. Sie schloss die Tür wieder hinter sich, ließ sich elegant auf einen der Sessel vor seinem Schreibtisch sinken und schlug die Beine übereinander.

»Also wenn ich schon Babysitter spielen muss, dann möchte ich jetzt wenigstens die ganze Geschichte hören.«

Nun nahm er doch den Blick vom Computermonitor und sah sie an. Sie hatte eine Augenbraue gehoben und die Arme vor der Brust verschränkt. Sie arbeiteten jetzt schon so lange zusammen, dass er diese Körperhaltung bei ihr als Angriffshaltung deutlich zuordnen konnte. Sie war sauer. Also lehnte er sich zurück und zog es vor, sie kurz über das Gespräch mit dem Detective zu informieren. Alles andere wäre ineffektiv gewesen. Er kannte Asali gut genug, um zu wissen, wann er gar nicht erst kämpfen musste und der Kampf schon von vornherein verloren war.

Sie war auf dem Stuhl nach vorne gerutscht, als er fertig war. Die Hände mit den fein manikürten Nägeln zu Fäusten geballt.

»Gott, ich hasse diesen Typen.«

Er lächelte schmal. »Du kennst meine Meinung dazu«, sagte Gabriel schlicht.

»Hm«, machte sie knapp und zupfte einen Moment an ihrem rechten Ohrring. »Also behalten wir ihn?«, fragte sie dann.

»Woher kommt diese Metapher mit dem Hund?«, fragte er ruhig. Das war ihm schon vorhin aufgefallen.

Asali gluckste. »Ach komm. Wirklich? Sag mir nicht, das wäre dir nicht aufgefallen. Dieser Blick. So große Augen. Und so ängstlich, als hätte er den Schwanz zwischen den Beinen eingeklemmt.« Sie stutzte selbst, als ihr dieser Vergleich auffiel und lachte leise. »Na, du weißt schon, was ich meine. Es hätte doch nicht viel gefehlt und er hätte sich auf den Rücken geworfen und dir den Bauch dargeboten. Der Kleine hat Angst vor dir. Und vor der ganzen Situation. Wie ein Welpe. Wer kann es ihm verdenken?«

»Wäre es klug, ihn zu behalten?«, fragte er schließlich und sah seine Assistentin und Vertraute wieder an. »Du weißt, dass ich Cortez lieber tot als lebendig sehen würde. Er hat keinen Funken Ehre im Leib, er vergiftet diese Stadt und es wird immer schlimmer und jetzt fängt er auch noch an, Leute aus unseren Reihen zu ermorden.«

Asali hob die Augenbrauen und sah ihn groß an. »Du meinst, das Opfer war jemand von uns?«

Er nickte und sah auf den Monitor, auf dem die E-Mail geöffnet war, welche er von einem Kontaktmann bei der Polizei erhalten hatte. Jeff Rogue. 43 Jahre alt. Verheiratet. Zwei Kinder. Er war einer seiner ›Watch-men‹ gewesen. Und auch wenn er Jeff Rogue nicht persönlich kannte, so hatte er dennoch für ihn gearbeitet. Und hatte das laut Personalakte gut gemacht. Hatte einen guten Blick gehabt für die Personen, die in seinen Casinos saßen und die Summen zurückgewannen, die sie waschen wollten. Es war wichtig, Mitarbeiter einzusetzen, die darauf achteten, dass sie auch nur die Summen zurückbekamen, die abgesprochen und vertraglich zugesichert waren. Und nicht mehr. Man konnte niemandem vertrauen. Und dafür hatte er die ›Watch-men‹ eingestellt.

Jetzt war einer von ihnen tot und Gabriel vermutete, dass es nicht der erste seiner Mitarbeiter war, der auf Cortez' Konto ging. Insgesamt sieben seiner Mitarbeiter waren auf unerklärliche Weise verschwunden. Das konnte Zufall sein und bei den meisten von den sieben war es sicherlich auch so. Es passierte häufiger, dass jemand am Morgen nicht zum Dienst erschien.

Aber wenn Jeff Rogue auf die Kappe von Cortez ging, dann konnte oder konnte er auch nicht der Einzige sein.

»Wie schätzt du den Detective ein?«, fragte er Asali, die daraufhin leise lachte.

»Ach bitte. Ich weiß ganz genau, dass du ihn respektierst. Der Mann ist akkurat und hält sich an die Regeln und ist doch wie ein Pittbull. Ihr könnt euch vielleicht beide nicht sehr leiden, aber Respekt füreinander habt ihr. Das sehe ich dir an und das sehe ich ihm an. Er weiß, dass du kein Killer bist. Nicht wie Cortez. Und du weißt, dass er ehrlich ist und pflichtbewusst. Sonst würde der kleine Welpe jetzt nicht alleine im Zimmer sitzen. Atmend.« Sie seufzte und überlegte dann einen Moment, wobei sie wieder am Ohrring zupfte. Eine Nachlässigkeit, die sie nur in Gegenwart von Personen zuließ, die sie kannte und denen sie vertraute. Ein Fallenlassen ihrer Maske.

 

»Es ist riskant ihn zu behalten«, sagte sie dann. Ihr Blick ging unfokussiert aus dem Fenster. »Er schwebt in großer Gefahr und ja, Detective Wilkins hat Recht. Du bist vermutlich der Einzige, der den Kleinen am Leben erhalten kann. Cortez hat trotz allem gehörigen Respekt vor dir. Du bist eine Gefahr für ihn, genauso wie er eine für dich ist. Ich denke, das ist ein klassisches Patt.«

Gabriel verlagerte leicht sein Gewicht. »Jetzt kommst du auch noch mit Schach?«

Sie winkte unwirsch ab, um ihren Gedankengang nicht zu unterbrechen. »Der Detective ist genauso versessen darauf wie du, Cortez das Handwerk zu legen. Er will ihn aus dem Verkehr haben. Also denke ich, wird er sich um den richtigen Richter bemühen. Was ein Problem werden könnte, wäre der Staatsanwalt. Du kennst ihn besser als ich. Denkst du, er wird Anklage erheben gegen Cortez?«

Leicht legte Gabriel den Kopf zur Seite und sah in die dunklen Augen der Frau vor ihm.

»Ich denke, es gibt ein paar wirksame Mittel, dafür zu sorgen, dass der Staatsanwalt ganz versessen darauf wird, Anklage zu erheben. Meinst du nicht?«

»Ich denke schon, ja«, grinste sie und lehnte sich zurück. »Du wirst alleine nie an Cortez ran kommen. Seien wir mal realistisch. Wenn da nicht eine Menge Zufall mitspielt oder Glück oder was weiß ich, was da noch dazu gehört, dann wirst du niemals lebendig aus so einer Nummer herausgehen. Dazu ist er zu gut bewacht. Genau wie du selbst. Der Detective allerdings geht einen weniger aggressiven Weg und der gesamten Justiz kann selbst Cortez sich nicht entziehen. Es sei denn, er verlässt das Land. Und das wird er nicht tun. Dafür ist er zu stolz und sich seiner selbst zu sicher.« Sie sah jetzt wieder aus der Fensterfront.

»Er wird bleiben und darauf vertrauen, dass er alle möglichen Leute schmieren kann und wieder einmal mit einem Freispruch davonkommt und er wird darauf vertrauen, dass er bis zur Hauptverhandlung an den Welpen herankommt, um ihn in einer Regentonne zu ertränken.« Sie sah Gabriel an. »Es ist vielleicht nicht klug, ihn zu behalten, aber es ist das einzig Richtige, um endlich was gegen Cortez ausrichten zu können. Der Typ ist die Pest und es wäre eine Freude, ihn endlich hinter Schloss und Riegel zu sehen.«

»Was seinen Einfluss nicht unbedingt schmälern würde.«

Sie grinste jetzt wieder und er war froh, dass er diese Frau nicht zum Feind hatte. Sie hatte in diesem Moment etwas Raubtierhaftes. »Er hat genug Feinde im Gefängnis. Und du kennst die richtigen Leute.«

»Ich bin geschockt, dass du mir solche Machenschaften unterstellst. Ist das eine Anspielung, dass ich Cortez im Gefängnis umbringen lassen könnte?« Er legte gespielt gekränkt eine Hand auf seine Brust.

Sie strich sich eine Haarsträhne zurück. »Niemals, Gabriel. Dazu wärst du doch gar nicht in der Lage.« Die Ironie in ihrer Stimme war nicht zu überhören.

»Gut. Aber du gehst mit ihm Gassi«, meinte er dann und sie grummelte.

»Das habe ich fast befürchtet. Aber schön, solange er abends mit dir nach Hause geht, übernehme ich das Füttern und die Spaziergänge.« Sie erhob sich und strich den Rock glatt. »Er wird frische Kleidung brauchen.«

Gabriel hatte sich schon wieder dem PC zugewendet. »Dann besorge ihm welche.«

»Na schön.« Sie drehte sich auf den Zehenspitzen um und ging zur Tür. »Aber sei nachher nett zu dem Kleinen. Das muss ein ziemlicher Schock für ihn sein.«

»Ich bin immer nett«, meinte Gabriel ruhig und ignorierte das Lachen von Asali, während sie die Tür schloss.

***

Aiden atmete einmal tief durch. Langsam drehte er sich zurück ins Zimmer. Seine Schritte wurden gedämpft von einem hochflorigen Teppich, der hier im Wohnbereich ausgelegt war. In der Sitzecke standen schwere Möbel hinter einem dunklen Holztisch. Das dunkle Holz war auch im Schlafzimmer verwendet worden, in das Aiden nun durch eine Flügeltür trat. Der dunkle Fußboden, dazu die schweren Stoffe vor dem Fenster und auf dem Bett. Hier und da blitzten - wie schon im Wohnraum - goldene Dekorationen auf. Geschwungenen Beine verliehen den Nachttischen einen antiken Eindruck. Langsam trat Aiden zurück ins Wohnzimmer. Durch die Fenster schien die Sonne hinein und er bemerkte den Kronleuchter, der ihn an das pompöse Foyer erinnerte. Anscheinend war das gesamte Hotel in diesem Stil gehalten, denn auch im Badezimmer glänzten goldene Armaturen am Waschtisch, in der geräumigen Dusche und auch an der freistehenden Badewanne. Aiden drehte den Wasserhahn auf und hielt die Hände unter den kalten Wasserstrahl.

Alles hier wirkte nobel, aber ohne zu aufdringlich zu sein, ohne kitschig zu wirken. Normalerweise gefiel Aiden so eine Einrichtung überhaupt nicht, aber hier schien auf alles geachtet worden zu sein, einschließlich der Kordeln an den Bändern, die die Vorhänge zusammenhielten. Diese Harmonie verlieh dem Zimmer einen Charme, den er bei der Einrichtung nie für möglich gehalten hätte. Aiden spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht und es wunderte ihn nicht, dass das Handtuch so weich in seinen Händen lag, wie er es noch nie gespürt hatte. Es wunderte ihn auch nicht, dass es außerordentlich sauber war. Mr. Barone schien kein Mann, der Fehler seiner Mitarbeiter tolerierte. Schon im Foyer war ihm ja die perfekte Kleidung der Angestellten aufgefallen.

Zurück im Wohnzimmer ließ sich Aiden auf eines der Sofas fallen. Die Polster waren nicht zu weich, aber auch nicht zu hart. Er schlüpfte aus den Schuhen und zog die Füße auf die Sitzfläche, legte beide Arme darum und die Stirn auf seine Knie. Für einen Moment schloss er die Augen. Stille umgab ihn, aber er nahm sie kaum wahr, weil in seinem Kopf ein tosendes Durcheinander herrschte. Kurz dachte er darüber nach, den Fernseher einzuschalten, aber er ertrug gerade keine weiteren Geräusche. Er hatte sein Handy nicht, er durfte mit niemandem Kontakt aufnehmen, so verlockend das auch war mit dem Telefon auf dem Schreibtisch, der hier im Wohnzimmer als Arbeitstisch diente. Jeder Kontakt würde die Personen in seinem Umfeld gefährden und so zerrissen Aiden auch war, dieses Risiko würde er nicht eingehen. Seine Finger krallten sich in seine Jeans und tief sog er ihren Duft in sich auf. Wenigstens etwas, das ihn an sein Leben vor der letzten Nacht erinnerte. Denn das war jetzt erst einmal Geschichte. Für wie lange? Er wusste es nicht. Überhaupt wusste er nicht viel. Hatte er richtig gehandelt, als er Sam Wilkins vertraut hatte? Als er sich hierher begeben hatte? Er hatte kaum eine Wahl gehabt.

Das oder der sichere Tod. Zumindest, wenn er Wilkins’ Worten glauben konnte. Fest kniff Aiden die Augen zusammen, hinter denen es bedrohlich zu brennen begann. Zitternd holte er Luft, besann sich darauf, dass er noch lebte, dass er das Richtige getan hatte und dass es ein Ende haben würde. Irgendwann. Dann wäre sein Leben wieder das alte.

Zur Ruhe kommen. Vielleicht etwas schlafen. Asalis Worte gingen ihm durch den Kopf. Er wusste, es war das einzig Vernünftige, aber an Schlaf konnte er nicht denken. Nicht jetzt. Was war nur passiert, dass er jetzt plötzlich hier saß? Die letzten Stunden schienen vollgestopft von Ereignissen gewesen zu sein, die ihn mit immerwährenden Erinnerungen quälten. Aiden erinnerte sich an das Beruhigungsmittel und hob den Kopf.

Wo hatte er seine Jacke gelassen? Er sah den dunkelblauen Stoff auf der Lehne eines hohen Sessels liegen. Anscheinend hatte er sie selbst dort abgelegt. Aidens Füße glitten über den weichen Stoff des Sofabezugs. Langsam erhob er sich, trat auf den Sessel zu und zog den weißen Streifen aus der Tasche hervor, in dem die einzelnen Tabletten in ihren kleinen Aushöhlungen saßen. Sollte er jetzt eine oder zwei nehmen? Der Arzt hatte ihm auf die Rückseite geschrieben, wie er sie einzunehmen hatte, aber Aiden war sich ganz und gar nicht sicher, ob jetzt der richtige Zeitpunkt war. Alles schien sich im Augenblick um den richtigen Zeitpunkt zu drehen.