Der Kronzeuge

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»Verraten Sie mir seinen Namen?«

»Gabriel Barone.« Der Polizist kam nicht umhin, das Gesicht zu verziehen, als er den Namen aussprach.

Aidens Augenbrauen flogen nach oben. Ein starker Name, so viel stand fest. »Ich werde das Gefühl nicht los, dass Sie Ihren Bekannten nicht sonderlich leiden können.«

Das brachte den Detective zum Lächeln. »Nun. Da liegen Sie gar nicht so falsch.« Es gab sogar eine ganze Menge Menschen, die er mehr mochte als diesen Mann. Und nur sehr wenige, die er weniger mochte.

»Und dennoch bringen Sie mich zu ihm.« Steckte dahinter nur, dass sich die beiden unsympathisch waren oder mehr? Und was war das für ein Mann, der ihn angeblich besser beschützen konnte als die Polizei? Es gab so viele Fragen in Aiden, so viele, die nichts mit Gabriel Barone und mit Sam Wilkins zu tun hatten, die er aber nicht greifen konnte oder für den Moment verdrängte.

»Ja.« Sam fuhr auf eine große Kreuzung zu und reihte sich in die Linksabbiegerspur ein, die ihn auf den Hampshire-Boulevard bringen würde. Der Verkehr hier war zäh und zahlreich. Man nannte diese Straße, die eine beachtliche Länge aufwies, auch die Happy Street. Hier gab es alles, was man brauchte, um sich im Nachtleben zu vergnügen. Bars, Clubs, preiswerte Restaurants mit bunter Neonbeleuchtung, Restaurants ohne Neonbeleuchtung, die man sich nur im Traum leisten konnte, Bordelle und vor allem Hotels und Casinos. Und hier kam Gabriel Barone ins Spiel.

Denn ein Großteil dieser Casinos gehörte ihm. Genau wie das dazugehörige Nachtleben. Und das machte ihn zum Erzfeind von Cortez. Ein Umstand, den Sam Wilkins jetzt ausnutzen würde. Er hoffte, dass sein Plan aufging, denn normalerweise war er eher darauf bedacht, diesen Mann hinter Gitter zu bringen, der seine Casinos dazu nutzte, Geld zu waschen. Nicht sein Geld, sondern das Geld von Steuerhinterziehern, Dieben und Betrügern. Ein ganz besonderer Service, den er sich gut bezahlen ließ und das Schlimmste an dem Mann war, dass er verflucht intelligent war. Beinahe genau wie Cortez. Bisher hatte die Polizei ihm nichts nachweisen können. Es war verrückt, was in dieser Stadt abging. Doch etwas fehlte Barone, was Cortez ausmachte. Gabriel Barone war berechnend und kühl, geldgierig und arrogant. Aber er war nicht grausam.

Cortez hingegen fehlte jede Menschlichkeit. Sofern der Detective Barone jedoch einschätzen konnte, hatte der sich einen Teil seiner Menschlichkeit erhalten können. Er mochte Geld waschen im großen Stil und damit Betrügern das Leben leichter machen und vermutlich ging auch der ein oder andere Mord auf sein Konto aber dennoch war dieser Mann kein Vergleich zu Cortez. Cortez war eine Reinkarnation des Teufels. Er ging sogar so weit, seine Opfer oder Feinde grausam zu foltern. Es gab einen ganzen Ordner voller Fotos von Leichen, die auf das Konto von Cortez gingen und das war etwas, das jeden Horrorfilm übertraf. Aufnahmen aus der Hölle selbst.

Kurz ging sein Blick zu dem jungen Mann neben ihm. Er würde dieses junge Leben auf keinen Fall Cortez überlassen. Dafür würde er sorgen. Er bog in die Happy Street ein und kämpfte sich erneut auf die linke Spur, was alles andere als einfach war. Das Bel Amare war schon zu sehen. Ein großes Hotel, elegant und teuer, mit einem hauseigenen Casino. Ein Etablissement für die oberen Zehntausend aus aller Welt, die hierherkamen, um dem leichten Leben in Tribent zu frönen. Bei Gabriel Barone fanden sie Zerstreuung. In den Restaurants herrschte Anzugpflicht für die Herren und Abendgarderobe für die Damen.

Sam war bereits häufiger hier gewesen. Um zu observieren. Es war das Hotel, in dem Barone seine Büroräumlichkeiten eingerichtet hatte. Und in dem er am Häufigsten anzutreffen war. Sam setzte darauf, dass es so auch jetzt sein würde, trotz der frühen Stunde. Barone war ein Arbeitstier. Aber vermutlich waren das alle Verbrecher.

Aiden war sich nicht sicher, ob die Happy Street das Ende oder nur ein Zwischenstopp auf ihrer Reise war. Er kannte sie - jeder in Tribent City tat das. Und doch war Aiden noch nie hier gewesen. Er gehörte weder zur obersten Gesellschaftsschicht, noch besaß er einen Anzug oder auch nur genug Geld, um sich hier zu vergnügen. Auch nicht in den preiswerteren Etablissements.

Detective Wilkins zog auf die linke Spur, wurde dafür einmal angehupt, aber er ließ sich nicht beirren und bog schließlich auf die Einfahrt zu einem großen, nobel aussehenden Hotel ein. Bel Amare stand auf dem Schild, das nachts durch seine Beleuchtung auch in weiter Entfernung zu sehen sein würde, da war sich Aiden sicher. Er war sich jedoch nicht sicher, wieso sie hier hielten.

»Sind wir da?«

»Ja. Wir sind da.« Sie steigen aus und der alte Dodge wirkte in dieser Einfahrt sehr fehl am Platz. Ein junger Mann kam angerannt und er tauschte seinen Autoschlüssel gegen eine kleine Parkplakette ein. »Machen Sie keinen Kratzer rein«, mahnte Wilkins und er bemerkte den Seitenblick durchaus, mit dem der Parkplatzangestellte seinen Wagen bedachte, dessen Lack schon deutlich bessere Tage gesehen hatte. Normalerweise parkte dieser hier wohl Bentleys, Porsches oder Ferraris. Aber sicher nicht so etwas. Dennoch war er bemüht, seine Professionalität zu wahren.

»Natürlich nicht, Sir.«

Aidens Blicke flogen trotz der angespannten Situation umher. Gepflegte Grünanlagen, in denen sich perfekt arrangierte Gräser und Kiesplätze abwechselten, unter dem überdachten Vorplatz warteten Portiers und ein weiterer Mitarbeiter des Parkservice. Ein Gepäckwagen stand bereit, golden glänzend, selbst in dem morgendlichen Licht, das sie umgab. Aiden fühlte sich völlig deplatziert. Jeans und Langarmshirt hatte er nicht nur gestern, sondern schon vorgestern getragen und ihn überkam das Gefühl, sich dreckig fühlen zu müssen ohne es zu sein. Ganz abgesehen davon, dass der Fleck auf seinem Turnschuh noch immer da war.

Allein seine Kleidung, die zwar nicht aus einem Walmart stammte, aber eben auch nicht maßgeschneidert war, wirkte falsch und unpassend. Aiden rief sich ins Gedächtnis, dass er nicht hier war, um Urlaub zu machen. Hinter Sam Wilkins, dessen Namen er sich immer wieder ins Gedächtnis rief, um ihn nicht zu vergessen, trat er in ein Foyer, das er so noch nie gesehen hatte - nicht einmal im Urlaub.

»Heilige Scheiße...«, entfuhr es ihm, Gott sei Dank leise genug, sodass es nur der Detective zu hören bekam. Seine Blicke flogen umher, völlig überfordert mit all dem, was es zu sehen gab. Prunk und ja, Protz, aber nicht auf eine hässliche Art und Weise. Marmorfußboden, da war er sich ziemlich sicher, schwere Teppiche in den Lounge-Ecken, teure Möbel. Man sah es ihnen an. Ein großer Kronleuchter hing von der Decke, der für stimmungsvolles Licht sorgte. Der Tresen, auf den Wilkins zusteuerte, sah schwer aus und war aus dunklem Holz. Für einen Augenblick vergaß Aiden völlig, weshalb sie eigentlich hier waren.

Sam Wilkins trat an die Rezeption. Sie bot vielen Gästen gleichzeitig Platz, um einzuchecken. Auch die Oberfläche des Tresens bestand aus Marmor. Hier jedoch dunkler als der des Fußbodens. Er konnte verstehen, dass Aiden Miller überrumpelt war. Das hier war etwas, was Normalsterbliche sonst nur im Fernsehen zu Gesicht bekam. Oder wenn man im Lotto oder einem Preisausschreiben gewann. Die junge Dame hinter der Anmeldung lächelte ihn an. Ihre Frisur saß perfekt. Leichte Locken, eine dezente Spange an einer Seite. Ein dunkler Blazer zu einem passenden Rock und eine makellos weiße Bluse darunter. Dazu eine unter dem Kragen gebundene Schleife in einem leichten Ockerton. Dezent. Elegant. Sie war schlank und ihre Fingernägel waren natürlich manikürt.

Gabriel Barone überließ nichts dem Zufall. Er war Perfektionist und das erwartete er auch von seinen Angestellten. Egal in welcher Position sie arbeiteten. Vom Tellerwäscher über den Zimmerservice bis hin zum Concierge. Raum für Fehler gab es kaum.

»Wie kann ich Ihnen helfen, Sir?«, fragte die Brünette jetzt und er lehnte sich mit einem Arm an den Tresen.

»Ich möchte zu Mr. Barone.« Er sah sie überrascht blinzeln. Sie schien nicht zu wissen, wie sie reagieren sollte und er beschloss, es ihr einfach zu machen, indem er in seine Jackett-Innentasche griff und das Ledermäppchen herauszog, welches seine Polizeimarke und seinen Dienstausweis enthielt. Er klappte sie auf und schob sie über die Marmorplatte zu ihr hin.

»Wir sind alte Bekannte. Wenn Sie so freundlich wären und seine Sekretärin Mrs. Sorkov anrufen würden? Sie kennt mich und es wird ihr ganz sicher eine Freude sein, Mr. Barone von unserem Hiersein zu unterrichten.«

Die junge Frau blinzelte. »Also... Da muss ich meine Vorgesetzte fragen, Sir.«

Er nickte lächelnd. »Aber gerne doch.«

»Darf ich das kurz mitnehmen?«

Der Detective lächelte noch immer. »Aber wiederbringen.«

Sie verschwand mit dem Ledermäppchen durch eine Tür. Er sah sich nach Aiden Miller um. Der junge Mann sah sich noch immer um. Sein Blick hing gerade an dem massiven Kronleuchter der Eingangshalle. Es dauerte fünf Minuten, dann ertönte hinter Sam eine andere weibliche Stimme.

»Detective Wilkins.« Er wandte sich zurück und sah sich der Besitzerin der Stimme gegenüber. Etwa Mitte 40 und genauso perfekt hergerichtet. Sie schob ihm seine Marke wieder zu.

»Mrs. Sorkov erwartet sie auf Etage 32 am Fahrstuhl.« Sie deutete auf einen der Fahrstühle. »Ich schalte den Knopf für Sie frei, Sir.«

Ja. Auch dieses Prozedere kannte er schon. Es gab nur einen Fahrstuhl, mit dem man in die oberen Etagen kommen konnte. Entweder mit einem Schlüssel, oder aber jemand an der Anmeldung gab das Bedienbrett frei und man konnte manuell den Knopf betätigen. So wurde gewährleistet, dass sich Gäste nicht auf die Etagen verirren konnten, auf denen sie nichts zu suchen hatten. Sie traten zu dem Fahrstuhl und Wilkins drückte im Inneren auf die 32. Kurz darauf schlossen sich die Türen.

 

Aiden sah sich selbst in der Spiegelfront entgegen, blass, mit Augenringen und dennoch großen Augen. Das ganze Brimborium um Barones Figur kam ihm vor wie aus einem Film, genau wie dieses Hotel. Immer wieder erinnerte er sich daran, dass er nicht träumte, auch wenn es ihm so schien. Sein Magen wurde nach unten gepresst, schien Aiden einen Moment zwischen den Knien zu hängen. Er hatte nicht einmal die Worte gefunden, den Polizeibeamten nach all dem hier zu fragen.

Die Fahrstuhltüren öffneten sich und gaben den Blick auf eine schlanke Frau mit ebenholzfarbener Haut frei. Ihr schwarzes Haar fiel ihr in vollen Wellen über die linke Schulter. Sie trug ein elegantes Businesskleid, mit dem sie jedoch auch ohne Probleme auf eine stilvolle Party hätte gehen können. Das helle Creme ließ ihre Haut beinahe leuchten und ihre Füße steckten in fliederfarbenen High Heels mit einer Schleife an der Seite der Schuhe. Die Hände hatte sie vor dem Körper aneinander gelegt. Sie trug ein dezentes Make-Up und eine Art überirdischer Schönheit aus.

»Detective Wilkins«, sagte sie jetzt und hob eine Augenbraue. »Ich bin überrascht, Sie hier zu sehen. Und dann noch zu so früher Stunde. Das ist doch sonst gar nicht ihre Art.« Ihr linker Mundwinkel zuckte nach oben und verpasste ihr ein keckes Grinsen.

Wilkins nickte knapp. Bei ihrem Anblick musste er sich immer wieder daran erinnern für wen genau diese Frau arbeitete. Und es leuchtete ihm nicht ein, warum sie es tat.

»Mrs. Sorkov. Dieser Besuch ist nicht geplant und... findet wohl auch aus anderen Gründen statt als sonst.«

Jetzt hob sie auch noch die zweite, fein gezupfte Augenbraue. »Detective. Sie machen mich neugierig. Ich habe gehört, sie möchten zu Mr. Barone.«

Er konnte mit Mühe ein Schnauben unterdrücken. »Ja. Und es wäre toll, wenn er zur Abwechslung einmal auf dieses ›Ich-lasse-den-nervigen-Polizisten-vor-meinem-Büro-stundenlang-warten‹ Spielchen verzichten könnte. Es ist dringend.«

»Hm«, machte die Frau und sah zu seiner Begleitung, dann wieder zurück zu dem Detective. Ihre Augen wirkten beinahe schwarz. »Brennt eines unserer Hotels?«

Innerlich seufzte Sam. »Nein.«

»Eines der Casinos?«

Nun seufzte er doch offen. »Nein, Mrs. Sorkov. Bitte. Es ist wirklich dringend. Und es wird Mr. Barone sicherlich interessieren.«

Sie sah ihn einen Moment reglos an und es fiel ihm nicht zum ersten Mal auf, dass sie genauso gerne diese Machtspielchen spielte wie ihr direkter Vorgesetzter.

»Nun, dann folgen Sie mir, Detective.« Sie drehte sich zum Gehen und der Rock des Kleides raschelte leise, während der Stoff um ihre Beine flatterte.

Aiden bemühte sich, sich im Hintergrund zu halten. Er war immerhin der Grund für diesen Besuch und beinahe tat es ihm leid, den Polizeibeamten in so eine Lage zu bringen, obwohl er nicht einmal beschreiben könnte, in welcher Lage sie hier waren. Mr. Barone war offensichtlich ein einflussreicher Mann. Aiden warf einen Blick auf den Rücken von Sam und anschließend auf den weitaus schmaleren von Mrs. Sorkov. Er hatte etwas komplett anderes erwartet, eine blonde Russin vielleicht oder eine brünette Ukrainerin, aber die dunkelhäutige Frau, die sie jetzt einen Flur entlang führte, war alles andere als das. Stünde Aiden nicht so neben sich, würde er ihre Schönheit mehr zu schätzen wissen, doch so... folgte er schlicht dem Klackern ihrer High Heels.

»Nehmen sie hier einen Moment Platz, meine Herren«, meinte die elegante Frau und deutete auf eine kleine Sitzgruppe. »Ich werde sehen, was ich für Sie tun kann, Detective«, meinte sie und verschwand dann um eine Ecke. Einen Moment noch hörte man ihre Schritte. Dann wurde es still. Der Detective warf einen Blick auf seinen Schützling.

»Ist alles in Ordnung, Mr. Miller?«

Aiden schnaubte leise und erwiderte den grauen Blick. »Ist das eine ernst gemeinte Frage?« Er folgte der Bitte von Mrs. Sorkov und setzte sich auf ein Sofa.

Der Detective lächelte schief. »Nun, vielleicht sollte ich anders fragen. Halten Sie noch durch?«

Aiden rieb sich mit beiden Händen fest übers Gesicht und stützte das Gesicht anschließend in seine Hände. »Würden Sie sonst einen Schokoriegel aus ihrer Jackentasche zaubern, Detective?« Aidens Stimme klang gedämpft, weil er gegen seine Handinnenflächen sprach.

Sam legte eine Hand gegen seine Brusttasche. »Im Moment nur einen Müsliriegel.«

Woher es kam, wusste Aiden nicht, aber er lachte kurz auf. Es klang nach Ungläubigkeit, Müdigkeit und Unsicherheit und schließlich zog er die Hände von seinem Gesicht, sah zu dem Beamten auf. »Ich halte durch«, sagte er leise. »Immerhin lebe ich noch.«

»Wenn es nach mir geht, dann bleibt es auch so.« In einiger Entfernung klappte eine Tür und man hörte das Klappern der Absätze von Mrs. Sorkovs Schuhen erneut. Als sie um die Ecke bog, lächelte sie und nickte dem Detective zu.

»Heute ist ihr Glückstag, Detective. Mr. Barone hat ein paar Minuten Zeit für Sie.«

Sam erhob sich und zog sein Jackett glatt.

»Welche Ehre«, murmelte er gerade so laut, dass Aiden es hören konnte. Dann folgte er der schwarzen Schönheit den Gang hinunter. Sie klopfte kurz an eine Tür am Ende des Ganges, wartete jedoch keine Antwort ab und öffnete sie, trat dann ein, um ihnen die Tür offen zu halten. Der Anblick hätte Aiden sprachlos gemacht, wenn er das nicht schon hinter sich gehabt hätte.

Durch die verglaste Front des Büros fiel das Tageslicht hinein und hinter einem schweren, großen Schreibtisch saß Gabriel Barone. Wie ein König. Er hielt es nicht für nötig, sich zu erheben, als die zwei Besucher sein Büro betraten und Wilkins konnte es ihm nicht übelnehmen. Er wäre für diesen Mann auch nicht aufgestanden. An einer Seite des Büros waren zwei Ledersofas vor einem teuren Teppich und einem Glastisch aufgestellt. Eine Minibar enthielt einige Flaschen, deren Wert vermutlich den Betrag von der Hypothek überstieg, die Sam auf sein Haus aufgenommen hatte. Dunkle Regale enthielten Bücher und es hing ein Bild an der Wand, von dem er weder den Künstler kannte, noch die Stilrichtung. Jedoch war er sicher, dass es sich um ein Original handelte.

Barone hatte sich leicht seitlich zu seinem Schreibtisch gedreht, die Beine lässig übereinander geschlagen und drehte einen Stift zwischen seinen Fingern. Ein Mont Blank. In der letzten Sekunde konnte Wilkins das Augenrollen unterdrücken. Dieser Mann war ein Schweinehund. Und dabei auch noch unverschämt wohlhabend. Die Tür fiel hinter ihnen ins Schloss, als Mrs. Sorkov den Raum wieder verließ.

Aiden verkniff sich nur mit Mühe einen erneuten Ausbruch, bei dem das Wort Scheiße enthalten war, aber der Anblick dieses Zimmers ließ ihn noch kleinlauter werden. Er hielt sich strikt hinter dem Polizeibeamten, duckte sich regelrecht zwischen dessen Schultern und fragte sich im selben Augenblick, wann zum Geier er so scheu geworden war. Aber diese Umgebung schüchterte ihn einfach viel zu sehr ein, noch dazu war er momentan nicht so auf der Höhe wie sonst. Verflucht noch mal, er hatte gerade einen Mord mit angesehen und stand jetzt vermutlich auf irgendeiner verdammten Abschussliste!

Dennoch siegte die Neugier und Aiden hob einen Moment den Blick, betrachtete Gabriel Barone. Sein Haar glänzte vollmilchfarben und saß mit jeder Strähne so wie es sollte. Alles an diesem Mann saß perfekt. Vom Haar bis hin zu dem Anzug, der definitiv maßgeschneidert war. Aiden hatte das Bedürfnis, noch einmal zu versuchen, diesen Fleck auf seinem Turnschuh loszuwerden, als sich ein heller, blauer Blick auf ihn legte, der ihm die Luft aus den Lungen presste. Klirrende Kälte und Berechnung.

»Detective Wilkins«, sagte Barone gedehnt, wieder zu Sam Wilkins sehend. »Ich bin überrascht, Sie so zeitig wiederzusehen. Unser letztes Zusammentreffen ist gerade fünf Wochen her, wenn ich mich nicht irre.«

Sam war froh, dass er sich inzwischen an den Blick aus diesen eisblauen Augen gewöhnt hatte. Beim ersten Mal hatte er eine Gänsehaut bekommen. Doch das hatte sich inzwischen gelegt. Dann wanderte der bohrende Blick zu Aiden Miller, der immer noch in seinem Rücken stand.

»Ich wusste nicht, dass Sie neuerdings auch Praktikanten mitbringen, Detective. Ich muss Sie leider enttäuschen, ich habe keine Zeit, Ihnen eine Führung zu geben.«

Beherrscht atmete Sam tief durch. »Mr. Miller ist kein Praktikant. Er ist ein Zeuge.« Sam setzte sich auf einen der Sessel vor dem Schreibtisch und bedeutete dann Aiden, es ihm gleich zu tun ohne auf eine Einladung von Barone zu warten. Dieser sah ihn jetzt wieder abwartend an und hob eine fein geschwungene Augenbraue.

»Ich wüsste nicht, was das mit mir zu tun hat, Detective.«

»Oh, aber das hat es.« Er erwiderte diesen hellen Blick und meinte für den Bruchteil einer Sekunde, so etwas wie Neugier darin zu entdecken. Doch sie war genauso schnell verschwunden wie sie aufgetaucht war. Dennoch erwiderte Barone nichts. Er wartete nur ab. Und verdammt, darin war er ein Meister.

»Sie werden mir einen Gefallen tun, Mr. Barone. Dieser junge Mann hier braucht Schutz. Und Sie werden ihm diesen geben.«

Für einen Moment war das Gesicht des Hotelbesitzers absolut reglos. Dann zuckte es um seine Mundwinkel und er deutete mit dem teuren Stift auf den Detective.

»Entschuldigung, Detective. Ich vermute, ich hatte gerade einen Schlaganfall.«

Es juckte Sam in den Fingern. Wie gerne hätte er diesem blasierten Arschloch die Fresse poliert. Und das war sonst wirklich nicht seine Art.

»Aber falls ich mich nicht verhört haben sollte, dann würde ich Ihnen raten, jetzt zu gehen. Und zwar sofort.« Es mischte sich etwas Eisiges, Schneidendes in die dunkle Stimme.

Aiden ließ dieser Tonfall die Luft anhalten. Er hatte sich gesetzt, hatte versucht, so leise wie möglich zu sein. Er wusste nicht, wieso er sich so benahm als wäre er nicht hier, denn er war hier und Sam Wilkins hatte doch betont, wie wichtig er war. Für Barone schien er nichts weiter zu sein als eine kleine unwichtige Ameise.

Diesen Tonfall hatte Sam schon allzu oft erlebt. Er verfehlte zwar nicht seine Wirkung und ein geringerer Mann als er selbst, mit weniger Berufserfahrung, wäre vermutlich eingeknickt, aber Sam Wilkins war diesem Blick schon häufig begegnet und hielt sich aufrecht, sah Barone noch immer in die Augen.

»Ganz bestimmt nicht. Mr. Miller hat beobachtet, wie ein gemeinsamer Freund von uns beiden einen Mord begangen hat.« Sam lehnte sich leicht in dem Leder zurück. »Und er hat es gefilmt.«

»Also schön Detective. Ich spiele ihr kleines Spielchen mit«, meinte Barone und drehte den Stift zwischen seinen Fingern, nahm den Blick aber noch immer nicht vom Detective.

»Wen?«

Jetzt war es an Sam, für eine Sekunde die Fäden in der Hand zu halten. Zumindest für eine Sekunde und er kostete sie aus. Und dennoch wollte er es sich nicht noch schwerer machen als es ohnehin schon war.

»Enrico Cortez.«

Barone zeigte etwa so viel Regung wie ein Stein.

»Nun, dann bleibt mir wohl nur, Ihnen zu gratulieren, Detective. Vielleicht haben Sie nun endlich eine tagesfüllende Aufgabe mit der Anklage und den Ermittlungen zum Mordfall und können mich in Frieden lassen.«

Sam setzte sich aufrechter hin. »Lassen Sie den Scheiß, Barone. Sie wissen genauso gut wie ich, was das für jemanden bedeutet, der Cortez irgendwie in die Quere kommt.«

Barone schnaubte. »Detective, ich verstehe Ihre Beweggründe. Aber es leuchtet mir nicht ein, wie Sie auf den Trichter kommen, dass ich auch nur im Ansatz ein Interesse daran hätte, ausgerechnet Ihnen zu helfen.« Barone setzte sich jetzt aufrechter hin und es war als würde seine Aura eine andere Farbe annehmen. Dunkel und bedrohlich.

»Sie nutzen jede Chance, mir... nun, ich nenne es mal, mir das Leben schwer zu machen. Sie schicken mir das Gesundheitsamt auf den Hals. In jedes meiner Hotels. In jedes meiner Casinos. Die Glücksspielbehörden. Sogar die Steuerprüfer. Nur weil Sie und Ihr Haufen von Hampelmännern, die sie Polizisten nennen, sich in etwas verrennen, was mich betrifft, wofür Sie nicht den Hauch eines Beweises haben. Und jetzt besitzen Sie auch noch die Unverfrorenheit, hier aufzutauchen. Mit so einem Anliegen.« Kaum merklich schüttelte er den Kopf.

Jeder andere wäre jetzt gerannt. Doch Sam blieb sitzen.

Aiden schluckte schwer, als die Rede auf ihn kam. Er hob den Blick, betrachtete Barone erneut. Ein Mann in dieser Position strahlte wohl unweigerlich Macht aus, aber die erreichte hier eine ganz neue Stufe. Noch nie war Aiden solch einem Mann begegnet. Barone hätte ebenso gut Schauspieler sein können und zwar einer, der bereits 12 Oscars gewonnen hatte oder aber Mafioso. All das hätte zu ihm gepasst wie... Aiden fiel auf, dass er gar nicht wusste, was genau dieser Mann eigentlich machte. Offensichtlich gehörte ihm dieses Hotel und Mrs. Sorkov hatte auch Casinos erwähnt. Sonderlich beeindruckt schien er von Detective Wilkins’ Worten jedenfalls nicht.

 

Barone hatte ein kräftiges Gesicht, das Haar fiel ihm in die Stirn. Über den hellen, kalten und stechenden Augen standen fein geschwungene Augenbrauen, darunter eine ausgeprägte Wangenknochenpartie. Die Nase war gerade und stolz und zusammen mit dem Kinn und den feinen Lippen, die keinerlei Verletzungen aufwiesen, vermittelte er den Eindruck eines Griechen. Aiden erinnerte er an eine dieser Skulpturen, die er in der Kunstgalerie schon gesehen hatte.

Ein kräftiger Hals schloss sich an, der Rest von Barone war gehüllt in einen Dreiteiler, der das V seiner Figur selbst im Sitzen betonte. Für Aiden hatte der Mann vor ihnen keinen Blick mehr übrig und er hoffte, dass es genau so blieb. Er war bereit zum Sprung. Bereit, dieses Zimmer und das Hotel zu verlassen. Doch Wilkins machte keine Anstalten aufzustehen und so riss sich auch Aiden zusammen, blieb sitzen, jeden seiner Muskeln angespannt.

»Ich schlage Ihnen einen Deal vor«, sagte Sam Wilkins. Jetzt zeigte der Mann in dem teuren Anzug doch eine Regung. Er hob beide Augenbrauen.

»Einen Deal ? Detective.. Seit wann macht die Polizei denn einen Deal

Das war eine gute Frage, aber wenn man sich die Entwicklungen so ansah, dann schon verdammt lange und vorrangig mit den falschen Leuten.

»Aber schön. Amüsieren Sie mich. Das möchte ich hören.« Barone lehnte sich jetzt wieder in seinem Stuhl zurück.

»Sie nehmen Mr. Miller bei sich auf. Garantieren für seinen Schutz. Egal was dafür nötig ist. Es ist mir in dem Fall egal und ich möchte es gar nicht wissen. Sie wissen genauso gut wie ich, wie Cortez arbeitet. Vermutlich sogar noch besser. Sie sorgen dafür, dass er die Zeit bis zur Hauptverhandlung unbeschadet übersteht. Dass er aussagen kann.«

»Und die Gegenleistung, Detective? Vergessen Sie eines nicht, ich bin Geschäftsmann.«

Sam ballte die Faust. Sicher, Geschäftsmann .

»Nun, zum einen, Cortez wandert hinter Gitter. Lebenslang. Und tun Sie nicht so, als würde Sie das nicht interessieren, Barone. Ich weiß sehr genau, dass er ihr schärfster Konkurrent ist und noch dazu in der Lage, Ihnen ihr ganzes Geschäft zu ruinieren.«

Barone rührte sich nicht, hörte nur weiter zu.

»Enrico Cortez experimentiert seit einigen Monaten mit einer neuen Modedroge. Und seine Experimente verlaufen nicht sehr gut, um es einmal milde auszudrücken. Ich weiß nicht, woher ihre Abneigung gerade gegen diese illegalen Machenschaften kommt, wo Ihnen doch sonst nichts heilig ist, aber sehen Sie es doch so. Kein Cortez mehr, keine Drogen, die dafür sorgen, dass die Käufer nach einer verdammt kurzen Konsumdauer in einem Pflegeheim landen, da alles, was sie noch selbstständig tun können, atmen ist. Und ich muss Ihnen wohl nicht sagen, dass die meisten Betroffenen noch zur Schule gehen. Ich bin mir sicher, viele Ihrer Kunden in den Casinos springen bald auf den Zug auf. Das könnte Ihnen die Umsätze kaputt machen.«

Diese neue Droge war ein Teufelszeug. Er hatte wirklich keine Ahnung, warum Barone sich gerade aus dem Drogenhandel heraushielt. Er wusste nur, dass er es tat und dass es dafür persönliche Gründe gab. Es gab Gerüchte in der Szene, aber keines davon konnte man ernst nehmen. Fest stand nur, Barone hatte etwas gegen Drogen. Massiv. Diese Karte würde er nun spielen. Und seinen Einsatz auch gleich erhöhen.

»Cortez wandert also hinter Gitter. Sein Drogenvertriebssystem wird zusammenbrechen. Dafür sorge ich.«

»Sie werden seine Vertriebswege niemals ganz lahmlegen können, Detective. Das ist Ihnen hoffentlich klar. Es wird einen Nachfolger geben. Ein solch lukratives Geschäft bricht nicht einfach zusammen.«

Sam beugte sich vor. Jetzt waren sie beinahe auf Augenhöhe. »Nun, nein. Das wird es nicht. Aber es wird Schaden nehmen. Und diese Chance werde ich nicht ungenutzt verstreichen lassen. Dafür sollten Sie mich inzwischen gut genug kennen, Mr. Barone.«

Es zeigte sich beinahe die Andeutung eines Lächelns auf dem ebenmäßigen Gesicht Barones.

»Und ich werde dafür sorgen, dass man Ihre Geschäfte für das nächste Jahr unter dem Radar laufen lassen wird.« Sam Wilkins wusste nicht, woran er es festmachte, aber er ahnte, dass er Barone soeben an den Haken genommen hatte. Die Waage kippte zu seinen Gunsten. Der kühle, selbstsichere Blick lag auf ihm.

»Zwei«, meinte der Mann dann nur knapp. »Zwei Jahre, Detective. Und Sie persönlich werden nie wieder auch nur in die Nähe von mir oder einem meiner Häuser kommen. Sie geben mir hier und heute die Hand darauf, dass Sie sich mit keinem Fall mehr beschäftigen werden, der mich betrifft.«

Da ging sie hin, Sams Kontrolle. Für einen Moment hatte er sie gehabt. Das war eine harte Bedingung.

Er war nicht mehr der Jüngste. Er wusste nicht, wie seine Zukunft aussah. Mit Rebecca oder seinem Sohn. Aber er wusste auch, dass es ihm schwerfallen würde, wegzusehen. Sich nicht mehr an Barone festzubeißen. Ihn ziehen zu lassen. Auf der anderen Seite gab es da Enrico Cortez. Den Drogenbaron, der seine Stadt mit diesem Gift überschwemmte und gesunde Jugendliche zugrunde richtete. Und es würde andere Detectives geben, die an seiner statt gegen Barone ermitteln konnten. Lange sahen sie sich schweigend an. Dann erhob sich Sam und streckte Barone die Hand entgegen.

»Deal.«

Der erhob sich nun ebenfalls. Und schlug ein. Ein fester und solider Handschlag.

»Eine Frage noch, Detective. Ich schätze, ich kann ihn nicht einfach in ein Zimmer sperren?«

Sam schüttelte den Kopf. »Wir bewegen uns im Rahmen der Genfer Konventionen und der Menschenrechte, Mr. Barone. Das versteht sich hoffentlich von selbst. Ihm wird kein Haar gekrümmt. Weder von Ihnen, noch von sonst jemandem. Ich habe jederzeit Zugang zu ihm und sollte ich auch nur einen Punkt finden, der Grund zur Beanstandung bietet, dann ist dieser Deal hinfällig.«

Barone sah jetzt zu Aiden, musterte ihn von oben bis unten. »Dann wäre es wohl besser, eine Vorher-Nachher-Aufnahme zu machen. Sie liefern ihn nicht gerade in gutem Zustand ab, Detective.«

»Ich betrachte es als Ausdruck ihres guten Willens, dass Sie ihn besser zurückgeben als Sie ihn bekommen haben.«

Barone hob erneut eine Augenbraue. »Guter Wille? Detective... Sie sollten wissen, dass ich so etwas nicht besitze.«

Aiden blinzelte. Inzwischen hatte er die Stirn gerunzelt und an dieser Stelle konnte er sich nicht mehr zurückhalten. »Ich bin übrigens nicht taub und kann Sie beide hören«, sagte er. Seine Stimme klang weniger fest als er es sich wünschte. Die Männer standen vor ihm, sahen auf ihn herab und sprachen über ihn wie über einen mit Blut getränkten Stofffetzen, der als Beweismittel galt, das nicht zu Schaden kommen durfte, aber er war ein Mensch!

»Oh. Er kann sprechen«, stellte Barone mit dieser überheblichen Stimmlage fest, die Sam erneut die Hand zur Faust ballen ließ. Sie standen sich gegenüber wie zwei Ringkämpfer und nur der Schreibtisch trennte sie voneinander. Hinderte sie vermutlich daran, aufeinander loszugehen.

»Unbeschadet, Mr. Barone. Oder der Deal ist hinfällig.«

Ein überhebliches Lächeln legte sich auf das Gesicht des einflussreichen Mannes. »Natürlich, Detective Wilkins. Ich bin ein Mann von Ehre. Mein Wort zählt.«