Maritime E-Bibliothek: Sammelband Abenteuer und Segeln

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VIERTES KAPITEL
VON DER WÜSTE IN DEN REGENWALD

Port Etienne lag hinter mir. Kap Blanc mit seinem Leuchtturm verschwand im orangefarbenen Horizont, den die Sahara bildete. Man könnte direkten Kurs von Kap Blanc nach Dakar nehmen, wenn es nicht die berüchtigte Bank von Arguin geben würde, die weit ins Meer hineinragt. Diese Bank müssen die Dampfer noch mehr meiden als ich es mußte. Meine LIBERIA hielt sich zwischen Bank und Dampferstraße.

Seit hier Schiffe segeln, seit also die Portugiesen unter dem Patronat Heinrich des Seefahrers diese Küste erobert haben, ist die Bank ein Seemannsgrab gewesen. In den letzten fünf Jahren haben zwei deutsche Yachten mit ihr unangenehme Bekanntschaft gemacht: die eine war nachts in die Brecher hineingeraten, konnte sich aber im letzten Augenblick wieder retten. Die andere wurde von den Franzosen aus Port Etienne wieder flott gemacht.

Es ist ein verlassenes Stück Erde hier. Sand, Sand und nochmals Sand! Die Untiefen wechseln von Woche zu Woche, reißende Priele bilden die einzigen Bootswege, die nur wenigen maurischen Lotsen bekannt sind. Aber diese Gegend ist reich: eine Unmenge von Fischen und Vögeln kommt hier zusammen, um zu laichen, beziehungsweise zu nisten.

Ich befand mich mit meinem Boot etwa fünf Meilen von den westlichsten Bänken. Mehrere Dampfer waren mir auf der Ozeanseite schon begegnet. Ich hatte die beiden Focks ausgebaumt, so daß mein Boot für Minuten allein lief, ohne daß ich mich an die Pinne klammern mußte. Jedoch die Angst, in die Dampferstraße oder auf die Bänke zu geraten, ließ mich alle Augenblicke den Kurs überprüfen. Hier gerät die hohe Atlantikdünung, die einen ganzen Ozean überquert hat, auf die flachen Sandbänke und bricht sich mit riesigem Getöse. Wehe den Schiffen, die auf diese Bänke geraten!

Endlich lag die Gefahr hinter mir. Die See jedoch wurde so grob, daß ich mich nicht mehr von der Pinne rühren konnte. Einmal stieg Rasmus1 so unerhört gemein in meine Kabine und in das Cockpit ein, daß ich später glaubte, ich hätte mindestens eine Tonne Wasser aus dem Boot herausgepumpt.

Ein Tümmler klagt mich an

Bald beruhigte sich die See wieder, wie sie es immer zu tun pflegt nach einer Reihe von Sturmtagen. Ich geriet in eine große Schule von Delphinen, die mich längere Zeit durch ihr munteres Spiel erfreuten. Ich wollte schon immer einmal einen Delphin erlegen, um seinen Magen zu untersuchen, die Organe, vor allem das windungsreiche Großhirn, zu betrachten und etwas Fleisch zu gewinnen. Zu diesem Zweck hatte ich mir in Las Palmas einen Dreizack schmieden lassen, obwohl die Niña mich in jedem zweiten Brief flehentlich gebeten hatte, dieses Mordinstrument ja nicht an Tieren zu versuchen, die „länger als ein halber Meter seien“.

Die Delphine tummelten sich längsseits, ich nahm Maß, und schon flog die Harpune durch die Luft. Vielleicht schwamm das Tier, nachdem ich gezielt hatte, zu tief im Wasser, vielleicht hatte ich schlecht gezielt, jedenfalls glitt die Harpune aus, und mein Studienobjekt entwischte. Ich holte meinen Dreizack ein; einer seiner Zinken war verbogen.

Dann geschah etwas ganz Außergewöhnliches: der Delphin tauchte mit blutender rechter Brustflosse noch einmal neben dem Boot aus dem Wasser auf, viel höher als gewöhnlich, und drehte seinen Kopf nach mir, als wolle er sehen, wer der Schandkerl war, der ihn da so rücksichtslos angekratzt hatte. Der Blick des Tieres ging mir durch Mark und Bein; noch bevor der Delphin wieder ins Wasser schoß, hatte ich ihn schon um Verzeihung gebeten. Und wenn ich sage, daß ich vor Schuldbewußtsein einen roten Kopf kriegte, so ist das nicht übertrieben.

Die unglaublich klingenden Geschichten von Schweinsfischen, wie die Delphine und ihre Brüder, die Tümmler, bereits von den Römern genannt wurden, sind so alt wie die Tierfabeln überhaupt. Doch erst seitdem man die Möglichkeit hat, das Leben der Tiere hinter den Glaswänden der Seeaquarien in Florida und Kalifornien genauer zu studieren, ist man geneigt, in den Geschichten einen wahren Kern zu vermuten.

Aus Nordflorida stammt die Geschichte von dem Neger, der jedesmal, wenn er zum Fischen hinausfuhr, schon nach verblüffend kurzer Zeit mit gefüllten Netzen wieder zurückkam. Jemand fragte ihn erstaunt, wie er das anstelle. Das verdanke er alles einem Tümmler, war die mysteriöse Antwort. Der Fragende glaubte, der Fischer wolle ihn zum besten halten und lachte: „Können Sie mich Ihrem Tümmlerfreund nicht einmal vorstellen?“ „O.K. – kommen Sie morgen früh mit!“

Dies stellte sich heraus: sobald der Fischer zu einer bestimmten Zeit in seinem Fangrevier erschien, tauchte tatsächlich ein Tümmler auf und trieb, wie ein Schäferhund die Schafe, die Fische der Umgebung ins Netz.

Erinnert das nicht an die Fabel, in der die Delphine des Altertums die Meerbarben auf diese Weise in die Netze der Fischer jagten und dadurch belohnt wurden, daß man ihnen zum Dank ein Stück in Wein getränktes Brot schenkte?

Delphine als Lebensretter und Zirkustiere

Auch der folgende Fall wird aus Florida berichtet: Ein Schwimmer hatte sich zu weit ins Meer hinausgewagt. Plötzlich tauchte ein Tümmler neben ihm auf und drängte ihn wiederholt mit der Schnauze in Richtung Küste zurück. Warum nur? Später hieß es, in der Nähe habe ein Hai gelauert, dem schon der Speichel im Maul zusammengeflossen sei!

Ähnliche Fälle, in denen Seeleute durch Schweinsfische vor Haiangriffen bewahrt wurden, spielen in unzähligen Seemannsgeschichten eine große Rolle. Schon Herodot berichtet vom Sänger-Dichter Arion, der von Piraten gezwungen worden war, ins Meer zu springen, jedoch von einem Tümmler nach Taenarium zurückgebracht wurde.

Bekannt ist auch ein Fall, in dem Delphine im Aquarium einen ohnmächtigen Artgenossen, der nicht mehr an die Oberfläche kommen konnte, um Luft zu holen, mit ihren Schnauzen an die frische Luft stießen. Im offenen Meer haben Tümmler sogar ein durch eine Explosion bewußtlos gewordenes Tier systematisch über Wasser gehalten, damit sein Atemloch – Tümmler haben es auf der Stirn – an die Luft gelangte.

Delphine und Tümmler sind Wale und somit keine Fische, sondern Säugetiere, die einst vom Land ins Meer stiegen. Sie besitzen Lungen, die sie alle drei bis fünf Minuten mit frischer Luft füllen müssen, und wenn sie das nicht tun können, ertrinken sie so jämmerlich wie wir. Aus diesem Grunde verläuft der Geburtsakt bei diesen Tieren zuweilen höchst dramatisch. Sobald der Kopf des Kalbes – es wird mit dem Schwanz zuerst geboren – frei ist, zerreißt die Mutter mit einer kräftigen Schwimmbewegung die Nabelschnur und drückt mit ihrer Schnauze das Baby an die Luft. Einige andere Tümmlerfrauen stehen in der Nähe bereit, um nötigenfalls als „Hebammen“ fungieren zu können!

Auch ein langwieriger Saugakt würde durch das dauernde Luftschnappen gestört werden, daher hat es die Natur so eingerichtet, daß dem Baby ein Milchstrahl – wie mit einem Syphon geschossen – in den Schlund saust, sobald es an der mütterlichen Zitze zieht.

Wird das Kalb nach rund einem Jahr abgesetzt, kann die Umstellung von Milch auf Fischnahrung Verdauungsschwierigkeiten mit sich bringen. Die Mutterkühe beobachten während dieser Zeit ihre Kälber besonders aufmerksam und massieren nötigenfalls deren Magengegend ein bißchen mit der Schnauze, um den natürlichen Vorgängen nachzuhelfen.

Seitdem ich die Tümmler in mehreren Seeaquarien Floridas beobachtet habe, halte ich sie für die intelligentesten Seetiere, die ich kenne; sie sind komischer als ein Zirkusclown, neugieriger als eine Concierge und spielsüchtiger als ein Kätzchen. Der Dauphin, der französische Kronprinz, wußte wohl, warum er eines dieser klugen Tiere im Wappen führte.

In den Seeaquarien hat man die Tümmler zu Haustieren, besser gesagt: zu Zirkustieren dressiert; sie springen bis zu sechs Metern in die Höhe und schnappen aus dem Mund eines Wärters einen Fisch, ohne Mund und Nase des Mannes zu berühren; sie springen durch Reifen, tanzen und pfeifen, ziehen – angeschirrt – Boote, erbetteln Liebkosungen, spielen Wasserkorbball und werfen den Zuschauern ins Wasser gefallene Gegenstände wieder zu. Ihr Kopf allein schon sieht lustig aus.

Wale sind Leckerbissen; deswegen übersieht man in katholischen Gegenden gern, daß ein Delphin ein Säugetier ist und an Fastentagen eigentlich nicht gegessen werden darf; und selbst ein Zoologe hat meistens nichts dagegen, wenn man den Wal an solchen Tagen zum „Walfisch“ degradiert.

Die Rache des „Pelorus Jack“

In Neuseeland machte jahrzehntelang ein weißer Delphin, ein Albino also, von sich reden, der beinahe ebenso berühmt war wie „Moby Dick“.

„Jackie“, wie die Neuseeländer ihn nannten, lenkte zum ersten Mal 1871 die Aufmerksamkeit auf sich, als er vor der „Brindle“, die durch die gefährlichen und gefürchteten Riffe im Norden von Neuseeland navigierte, einherschwamm und ihr den Weg durch die richtige Fahrrinne wies. Das Schiff folgte dem Tier und erreichte sicher den nächsten Hafen, und der Kapitän riet allen Seeleuten: „Haltet euch nur an den Delphin im Pelorus Sound, der wird seine Sache schon richtig machen.“

Tatsächlich ist seitdem kaum ein Schiff durch diese gefahrvolle Enge gefahren, ohne daß nicht der „Pelorus Jack“ seine Dienste als Lotse angeboten hatte und in kurzem Abstand vor den hölzernen und eisernen Bugs einhergeschwommen wäre. Selbst kleine Yachten geleitete er sicher durch die schwierigen Gewässer.

„Jackie“ tat seinen Dienst wie jeder andere Lotse auch. Im Gegensatz zu ihnen jedoch kannte er keinen Urlaub, keine Gehaltserhöhung und keine Gewerkschaft; trotzdem erfreute er sich stets bester Gesundheit. Während seiner Dienstzeit gab es keinen Seeunfall im Pelorus Sound. Jackie wurde zu einer Symbolgestalt, und man plante sogar, ihn im neuseeländischen Staatswappen an Stelle eines der Boote auftreten zu lassen.

 

Als Jackie im 33. Jahr seines merkwürdigen Lotsendienstes die „Penguin“ durch die Riffe führte, schoß ein betrunkener Passagier mit dem Revolver nach ihm. Jackie wurde anscheinend in den Kopf getroffen und verschwand auf der Stelle. Die empörten Matrosen versuchten, den Trunkenbold kurzerhand über Bord zu werfen, und der Kapitän konnte sie nur mit Mühe daran hindern.

Alle Welt glaubte, Pelorus Jack sei diesem heimtückischen Anschlag erlegen. Jedes Boot, das die Enge passierte, stellte einen Ausguck ab, um nach dem Delphin zu fahnden. Doch rund ein Jahr lang war jegliche Suche vergeblich.

Dann aber flitzte der alte Jackie unerwartet mit elegantem Sprung vor dem Bug der „Pacific Dawn“ aus dem Wasser und geleitete das Schiff wieder durch die Enge. Sofort erließ die Regierung Neuseelands ein Gesetz, um das Tier in Zukunft zu schützen.

Eines Tages dann fuhr die „Penguin“ wieder durch den gefährlichen Sund. Jackie war zwar zur Stelle, doch plötzlich verschwand er – als habe er das Schiff erkannt, von dem ihm seinerzeit der böse Streich gespielt worden war. Dichter Nebel kam auf, jede Navigation wurde unmöglich, die „Penguin“ lief auf ein verborgenes Riff und sank. Die beiden Rettungsboote, die man zu Wasser lassen konnte, kenterten. Nur drei Seeleute wurden gerettet.

„Der Pelorus Jack“, tuschelte man.

Bis 1912 versah Jackie seinen Dienst. 40 Jahre lang half er den Seeleuten, dann verschwand er für immer. Das erste Schiff, das von Jackie nicht mehr gelotst wurde, war eine schwimmende Schlachterei, ein Walfangschiff.

Omar und die Afrikaner

Nach gut vier Tagen meist heftiger achterlicher Winde traf ich spät in der Nacht vor dem Kap Verde ein und wartete bis zum Morgengrauen mit der Einfahrt in den Hafen von Dakar.

Jeden Tag hatte ich rund 100 Seemeilen geschafft, vier Tage war ich bei achterlichen Winden gerollt, als ob ich auf einem Baumstamm und nicht auf einer Yacht segelte. Aber ich war zufrieden wie einer, dem das Leben erneut geschenkt wurde; ich hatte meinen Hafen erreicht, und das löste etwas von der Genugtuung aus, die nur der kennt, der je zur See gefahren ist.

Der moderne Hafen von Dakar ist so weiträumig, daß es geraume Zeit dauerte, bis ich einen günstigen Ankerplatz gefunden hatte. Im allgemeinen ziehen Seeleute die ehemals französischen Häfen den britischen vor, und das nicht etwa des Weines und der Frauen wegen: die Erledigung der nötigen Formalitäten wird von den Eingeborenen früherer französischer Gebiete großzügiger gehandhabt; die Hafenanlagen sind oft moderner.

Man kann einem gebildeten Afrikaner – südlich der Sahara nennt man die Schwarzen und Farbigen „Afrikaner“ – auf den ersten Blick ansehen, ob er unter englischer, französischer, spanischer oder portugiesischer Herrschaft aufgewachsen ist.

Afrikaner sind genauso intelligent wie Europäer, allein ihr Bildungsniveau ist meist erschreckend niedrig. Nachdem ich drei Jahre lang als Arzt Afrikaner behandelt habe, glaube ich nicht daran, daß sie bestimmte rassisch gebundene Talente besitzen oder nicht besitzen, also etwa musikalischer sind als wir oder technisch weniger begabt. Unterschiede dieser Art – und das gilt meiner Meinung nach für alle Völker und Rassen – lassen sich meist durch Umwelteinflüsse und Erziehung erklären. Daß gesunde Afrikaner nicht faul sind, hat sich inzwischen auch bei uns herumgesprochen. Daß ihre Gewissenhaftigkeit und Zuverlässigkeit häufig zu wünschen übrig lassen, erklärt sich daraus, daß diese Begriffe für sie neu sind und sie sich erst langsam mit ihnen vertraut machen müssen.

Beim Anlegen an der Mole half mir ein junger Afrikaner die Leinen belegen2. Dann ließ er sich häuslich an Bord nieder und zeigte mit dem Finger auf das Deck: „Ich hier, ich Ihnen helfen.“

“Aber Monsieur, ich brauche Sie nicht!“

„Dann ich bleibe, bis Sie mich brauchen!“

Tatsächlich blieb Omar mehrere Wochen lang an Bord sitzen und behütete mein Boot und meinen Schlaf. Er war aus dem Innern des Senegal in die große Stadt Dakar gewandert, um einen Job zu finden. Da er jedoch keine Arbeitsgenehmigung erhielt, war er auf Schwarzarbeit im Hafen angewiesen.

„Warum arbeiten Sie denn nicht für Ihre afrikanischen Brüder?“ fragte ich ihn eines Tages. Er erklärte mir, daß seine Landsleute ihn stets betrogen und seine Arbeit nicht bezahlt hätten; auch meinte er, daß die Franzosen, wären sie noch am Ruder, ihn gewiß legal in Dakar hätten arbeiten lassen.

Als eine örtliche Zeitung später ein Foto brachte, das Omar und mich auf der LIBERIA zeigte, war er so stolz, daß er das Bild tagelang immer wieder betrachtete und es allen Passanten unter die Nase hielt. Da er nicht lesen konnte, mußte ich ihm immer wieder die Bildunterschrift vorlesen, in der sein Name erwähnt war.

Kaum waren die Formalitäten im Hafen erledigt, als man mir auch schon von allen Seiten Hilfe anbot. Im Gegensatz zu der sonstigen Schwerfälligkeit deutscher Amtsstellen im Ausland stand es auch, daß der diensttuende junge deutsche Konsul sofort an Bord kam, sich erkundigte, ob er mir behilflich sein könnte und mich zu einem Trip in den Busch einlud. Die Hochschule, die Marine und die Segelclubs baten mich, Vorträge zu halten. Kurz, es regnete von allen Seiten Einladungen.

Dakar ist eine afrikanische Weltstadt, Knotenpunkt vieler Schiffahrts- und Fluglinien, und Dakar ist die reiche Hauptstadt des armen Senegal, das sich kümmerlich von Erdnüssen und Palmkernen ernährt, indem es sie ins Ausland verkauft.

Dakar ist gut 100 Jahre alt und hat die beiden älteren Kolonien Goree und St. Louis weit überflügelt, vor allem, weil es auf Grund seiner strategisch günstigen Lage am Atlantik zum Flotten- und Luftstützpunkt ausgebaut worden ist. Es liegt näher bei New York als Paris. Und nach Südamerika ist es nur ein Katzensprung, nicht weiter als nach Nigeria!

Als die Portugiesen das westlichste Kap Afrikas, auf dem heute Dakar steht, umsegelten, nannten sie es Kap Verde, das grüne Kap, weil seine Hügel im Gegensatz zur nördlichen Küstenlandschaft in schönstem Grün prangten. Südlich von Dakar weicht tatsächlich die Savannenlandschaft immer mehr dem Regenwaldgebiet.

Dakar, eine Großstadt von 500.000 Einwohnern, ist reich an modernsten luftgekühlten Wolkenkratzern. Und an elenden Slums. Prächtig gewachsene Menschen halten im Schatten häßlicher, knorriger Affenbrotbäume Siesta, feilschen um eine rotbraune Kolanuß oder bieten dem Besucher „garantiert“ echte „Kunstwerke altafrikanischer Kulturen“ an.

Mit der Echtheit dieser Kunstwerke ist es nicht so weit her; sie werden auf schmutzigen, sandigen Hinterhöfen von gerissenen maurischen Händlern im Akkord hergestellt. Dennoch – ich konnte es nicht lassen, nach längerem Feilschen ein paar Masken zu einem Viertel des ursprünglich geforderten Preises zu erwerben.

Durch nordafrikanisch anmutende Straßenzüge gelangte ich unvermittelt auf den Eingeborenenmarkt. Eine dichte Wolke von Fliegen und schwerem, widerlichem Kloakengestank schwebte über den offenen und ungeschützten Auslagen von Fleisch, saurer Milch, Palmwein, Klippfischen, Gewürzen, Gemüsen und Früchten. Fette Marktweiber stillten ungeniert ihre Säuglinge, weigerten sich aber, fotografiert zu werden. Stolze muselmanische Frauen schritten gemessen durch die Menge; über dem Rand ihrer Schleier glühten dunkle, scheue Augen. Junge Senegalesinnen in farbenprächtigen, weiten, über einer Schulter gerafften Gewändern, ließen ihre Hüften wippen.

Alle zehn Meter mußte man übelriechenden Abfallhaufen ausweichen – die Straßenkehrer hatten gerade Streik. Keiner schien an dem Kehricht Anstoß zu nehmen, am allerwenigsten die fliegenden Gesundheitspolizisten, die Milane. Sie hockten auf dem Dach der Markthalle und beobachteten mit scharfen, flinken Augen, wo ein Happen für sie abfallen könnte.

Am häufigsten traf ich diese Bussard-großen Schmarotzer in der Nähe von Fischersiedlungen wieder, wo sie sich um die winzigsten Abfälle noch stritten. Kein Mensch ließ sich durch sie aus der Ruhe bringen; jeder weiß, daß sie für die Hygiene wichtig sind und die Aasgeier anderer Länder ersetzen.

Als ich an einem Brunnen vorbeikam, an dem Kinder und Frauen mit Krügen auf dem Kopf Schlange standen, erzählte mir der Franzose, der mich begleitete, daß die Frauen von Dakar nicht die sorgfältig behüteten Haussklavinnen seien, die man in Nordafrika antrifft, sie gingen an die Wahlurnen mit einem Eifer, den man schon als organisiert bezeichnen müsse. Dabei kümmerten sie sich, im Gegensatz zu den Europäerinnen, nicht im geringsten um die Wahlsympathien ihrer Männer, sondern wählten den, der ihnen am geeignetsten erscheine. So habe ein Kandidat ein Plakat drucken lassen, mit dem er sich speziell an die Frauen wandte: „Geben Sie mir Ihre Stimme, und Ihre Männer müssen Wasser schleppen!“

Der Mann sei tatsächlich gewählt worden, jedoch die Frauen schleppten, wie ich sähe, leider noch immer Wasser …

Die Abenteuer der „Nike“

Als ich schon einige Tage in Dakar war, lag plötzlich neben der LIBERIA IV die kleine weiße Yacht des Hamburgers Detlef Peiser. Ich hatte die „Nike“ bereits bei der Ausfahrt auf der Elbe getroffen, war ihr wieder in Vigo und Las Palmas begegnet, glaubte sie jetzt aber schon in Monrovia oder gar in Lagos.

Die Zeitungen hatten sich mit Detlef mehr als ihm lieb war beschäftigt, als sich bei ihm an Bord mit Sack und Pack eine hübsche Engländerin einfand, die unbedingt die romantische Seefahrt kennenlernen wollte. Peisers einsames Herz fing Feuer. Jedoch dann kam die Biskaya, und mit der Romantik war es vorbei. Peiser mußte sein Boot und die junge Dame versorgen – in dieser Reihenfolge. Im nächsten Hafen, La Coruña, ging jeder wieder seines Weges – sie nach England zurück, wo Scotland Yard schon vergeblich nach ihr gefahndet hatte, er nach Dakar, um nach Südafrika zu segeln.

Peiser ist ein erfahrener Hochseesegler und hat eine der besten seglerischen Leistungen nach dem Kriege erzielt – denn eine Einhandfahrt ist sehr viel schwieriger als eine Fahrt zu zweit oder gar zu dritt. Außerdem finanzierte er gleich mir seine Fahrten aus eigener Tasche. Was wollte er jetzt wieder in Dakar, von dem er sich doch vor Wochen schon verabschiedet hatte?

„Zum Teufel mit der Seefahrt!“ empfing er mich. „Ich kehre um oder verkaufe das Boot.“

Ja, das ist das alte Seglerleid. Ist man gerade in einem Hafen eingelaufen nach einer Fahrt, auf der es nicht so klappte, wie man es sich vorgestellt hatte, dann nennt man sich einen Dummkopf und ärgert sich, daß man je auf die Idee kam, aufs Meer zu gehen. Das bleibt wohl keinem erspart.

„Portugiesisch-Guinea ist ja eine tolle Gegend“, schimpfte Peiser. „Flauten, Tornados, Sandbänke bis zu 60 Seemeilen ins Meer reichend, starke Strömungen, hohe Tidenunterschiede, dann der Wassertank geplatzt, der Fuß verstaucht, die Brille zertreten – nee, wenn Sie da durch wollen, ich beneide Sie nicht, Doktor! Und dann, stellen Sie sich vor: 16 Tage war ich in diesem Mist, da kommt doch ein Dampfer und fragt mich, ob ich irgend etwas benötige! Wind brauche ich, schrie ich den an. Dann aber erkundigte ich mich, ob er mich nicht nach Dakar zurückschleppen könnte.“

„Aber Sie waren doch 100 Seemeilen von Dakar entfernt?“

„Ja, ich hab’ das auch nur so im Spaß gesagt, aber der machte Ernst und hat mich 13 Stunden lang geschleppt! Es war ein russischer Fischdampfer mit allem Drum und Dran: Fabrik, Kino und Ärztin. Gute Zeit gehabt!“

„Und was wollen Sie jetzt machen?“

„Das Boot verkaufen oder nach Hamburg zurückbringen lassen.“

Wir zogen beide zum Cerle de La Voile, dem schön gelegenen Yachtclub von Dakar-Hann, ließen uns nachts von Moskitos plagen, nahmen Bekannte zu den benachbarten Inseln mit und bereiteten jeder seine Abfahrt vor, er nordwärts und ohne sein Boot, ich südwärts.

Doch vorher besuchte ich noch auf eigenem Kiel die kleine Insel Gorée, deren Geschichte eine reiche Auswahl an Gewalttaten wie Mord und Totschlag bietet. Gorée war einst ein berüchtigter Sklavenmarkt, von dem die Briten, Franzosen und auch die Niederländer ihre „Ware“, das „schwarze Elfenbein“, bezogen. noch heute kündet ein düsterer Bau, das feuchte und dunkle Sklavenhaus, maison des esclaves, von Zeiten, die ewig das Verhältnis zwischen Afrikanern und Weißen trüben werden.

 

Sonst ist Gorée heute ein kleines, verschlafenes, überraschend grünes Eiland, obwohl es einmal viel bedeutender war als Dakar. Im klaren Wasser des kleinen Hafenbeckens konnte ich ungestört ein Bad nehmen und auf Unterwasserjagd gehen.

Im benachbarten Rufisque wurde ich zu einem Pirogenrennen eingeladen, das die umliegenden Dörfer unter sich austragen. Pirogen sind Einbäume mit Plankenaufsatz. Auch an ihnen erkennt man, daß Afrika sich in jeder Beziehung modernisiert hat: selbst in den entlegensten Fischerdörfern werden die größeren Boote von Außenbordmotoren, die jedoch meist eingebaut sind, angetrieben.

Einbäume sind in allen Gebieten Afrikas verschieden; manchmal werden sie, wie in Dakar oder Gambia, erst als Pirogen seetüchtig. Es gibt jedoch auch außerordentlich seetüchtige Einbäume, wie die der Fanti aus Ghana, während in den recht gebrechlichen und primitiven Fahrzeugen der Insel Fernando Pbo jeder Ausflug aufs Meer eine artistische Leistung darstellt.