Maritime E-Bibliothek: Sammelband Abenteuer und Segeln

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Dem Schiffbruch nahe

Noch in der Nacht nahmen wir Abschied von Dominica, dem Aschenbrödel Westindiens, um mit dem ersten Morgengrauen Les Saintes zu besuchen, eine kleine Inselgruppe im Süden von Guadelope. Im Gegensatz zu Dominica sind die Saintes kahl und arm. Aber sie sind von Interesse, weil auf ihnen eine Gruppe von Franzosen gesiedelt hat, die das geruhsame Leben ihrer Ahnen aus dem 17. Jahrhundert weiterführen.

Als wir durch die schmale Einfahrt in die Bucht von Bourg segelten, griff die Sonne mit ihren goldenen Strahlenfingern gerade nach dem wuchtigen Fort Napoleon über uns. Direkt vor der Mole ankerten wir. Das Städtchen Bourg des Saintes unterscheidet sich von allen anderen Orten Westindiens, die wir bisher kennengelernt hatten, dadurch, daß in ihm mehr Weiße als Schwarze wohnen und daß es blitzsauber gefegt ist. Kleine, in prächtigen Farben gehaltene Häuser waren von Wein umrankt – es war wohl das erste Mal, daß wir in den Tropen Wein entdeckten. Kokospalmen und gut gepflegte Ziergärten umsäumten die Anwesen. Am Ufer lagen Boote über Boote; die Bevölkerung ernährt sich vorwiegend von Fischfang.

Mehrfach hatten wir in den Berichten früherer Besucher gelesen, die Bretonen der Antillen seien „degeneriert“, Lepra und vererbte Syphilis an der Tagesordnung. Von alle dem war an diesem Tage nichts zu sehen. Die Weißen – sie werden häufig „Weiße Neger“ genannt – waren groß, schlank, muskulös; einige zeigten lediglich Hautverbrennungen durch Sonneneinwirkung; sie als „degeneriert“ zu bezeichnen, fanden wir kühn. Wir fühlten uns zeitweilig an die französische Rivieraküste versetzt, vor allem, als wir mittags Rotwein zum Essen serviert bekamen.

Auf der Mole lernten wir einen Franzosen kennen, der vorgab, Dieselfachmann zu sein. Er wollte gerade nach Guadeloupe und erbot sich, den Motor und die Umsteueranlage zu überprüfen. Drüben könnte ich ihn dann wieder an Land setzen.

Wir segelten also nach dem nur wenige Kilometer entfernten Guadeloupe, während der Fachmann mit Kennermiene bald herausfand, daß er uns nicht helfen konnte. So wollte ich ihn in seinem Hafen Trois Rivieres absetzen. Wir steuerten durch die enge Einfahrt und waren gezwungen, direkt hinter einer Brandungslinie Anker zu werfen. Hinter uns ragten drohend Felsen auf. Wenn der Anker nicht hielt, mußten wir zerschellen!

Mir gefiel das gar nicht, aber schließlich blieb mir nichts anderes übrig, als den Fachmann an Land zu bringen. Das Boot tanzte zwischen Brandungswellen und Felsen auf und ab, ich hatte den Eindruck, daß es den Felsbrocken mit jeder Welle näher rückte. Niña war nicht weniger aufgeregt als ich, weil wir uns beide über die Gefahr im Klaren waren. Unser Spezialist aber lächelte nur, er war kein Segler und hatte keine Ahnung, was er uns da eingebrockt hatte. Schließlich faßte ich mir ein Herz und pullte ihn zu einem nahen Ruderboot, mit dem er vollends an Land kommen konnte.

Als ich zum Boot zurückenterte, sah ich Niña schon von weitem winken, als könnte sie mich so schneller herbeiholen. Die LIBERIA hatte sich wirklich mehr und mehr der Felswand genähert. In höchster Eile strebte ich zu ihr, sprang an Bord und hievte unseren Anker aus dem Grund. Nur wenig mehr, und die LIBERIA hätte Bekanntschaft mit dem Felsen gemacht …

Durch solche dummen Zufälle kann man ein Boot verlieren! Schwitzend und wie zerschlagen saßen wir anschließend im Cockpit und schauten auf die vielen Lichter von Basseterre, die in der beginnenden Dunkelheit zu uns herüberglitzerten. An Nachtruhe war nicht zu denken; die Aufregung steckte uns noch immer zu tief in den Knochen.

Dorf im Vulkankrater

Nach einer Fahrt von emem Tag und zwei Nächten standen wir frühmorgens vor Saba, einer kleinen holländischen Insel, die nur aus einem gewaltigen, erloschenen Vulkan besteht. Wie schon in Lome konnten wir hier nicht mit unserem eigenen Beiboot an Land gehen, die Brandung war zu stark. Nach den Zollbeamten kam ein Brandungsboot und brachte uns wohlbehalten, wenn auch naß, auf den „Felsen“, The Rock, wie man Saba nennt.

Auf Serpentinenwegen marschierten wir den Berg hinauf, mühsam, Schritt für Schritt. Als wir vom Kraterrand das Dorf Bottom sehen konnten, glaubten wir in Walt Disneys Kinderland zu schauen, so puppenähnlich sah die Anordnung der kleinen sauberen Häuser aus. Auch hier schien man vollkommen abgeschlossen zu leben; Ausblicke haben die Dorfbewohner praktisch meist nur nach oben; sie wohnen im Grunde und an den Rändern des Kraters.

Holländer leben auf Saba; doch sprechen sie meist kein Holländisch, sondern Englisch. Viele der Männer fahren auf den Weltmeeren als Kapitäne oder als Seeleute auf den Küstenbooten im Karibischen Meer. Wenn sie pensionsreif sind, kehren die meisten wieder zurück und führen ein beschauliches Leben, indem sie ihren winzigen Garten bestellen oder vor der Tür sitzen und paffen. Die Frauen fertigen ebenso schöne Stickereien an wie die Bewohnerinnen von Madeira.

Auf der Ostseite der Insel gibt es noch ein weiteres Dorf, das jedoch an den Steilhängen klebt, vom Passat wird es kostenlos auf Temperaturen ventiliert, die nicht mehr tropisch sind.

Mit dem Gouverneur fuhren wir in einem Jeep wieder zum Landeplatz. Wir sprachen über Hurrikane, die Geißel der Karibischen See. Selbst sein Dorf inmitten des Inselvulkans hielt der Gouverneur nicht für hurrikansicher. Daß er mit seiner Meinung recht hatte, beweist die Vergangenheit der Insel.

Vor allem im Sommer und Herbst entwickeln sich Hurrikane; zwar schrieben wir noch Mai, jedoch wollten wir auf alle Fälle noch im Juni in Miami eintreffen. Jeden Tag hörten wir zweimal den Wetterbericht, um uns auf einen eventuellen Orkan einrichten zu können. Wie die tropischen Zyklone im einzelnen heißen, bleibt sich gleich; ob Hurrikan, Taifun (in Ostasien) Baguio (auf den Philippinen) oder Willy-Willy (in Australien) – ihre Winde bewegen sich immer kreisförmig und können Geschwindigkeiten von über 400 km in der Stunde erreichen. Im Gegensatz zu örtlich scharf begrenzten Tornados erreichen Hurrikane oft Durchmesser von vielen hundert Kilometern.

Von der Stärke eines tropischen Zyklons kann man sich am besten einen Begriff machen, wenn man sich diese bei den Unfälle vor Augen führt: einem schweren amerikanischen Kreuzer, der gerade erst ein Jahr im Dienste stand, wurden bei Okinawa in einem schweren Taifun 35 Meter seines Vorschiffes einfach weggerissen. Während des letzten Krieges sind in einem anderen Taifun drei amerikanische Zerstörer bei den Philippinen gesunken, über 750 Menschen kamen dabei ums Leben.

Auf den Jungferninseln

Die Bugwelle wie einen weißen Knochen im Maul, jagte die LIBERIA IV bei steifem Passat nach Westen, nach St. Croix, der südlichsten amerikanischen Jungferninsel, auf der ich 1955 nach 65 tägiger Einbaumfahrt zum ersten Male an Land gegangen war. Nichts hatte sich seither hier verändert. Wir trafen den alten Hafenkapitän wieder, die Zollbeamten und meine Bekannten, als wir am frühen Morgen des nächsten Tages in den blauen, glasklaren Wassern der Lagune ankerten.

Auf unserem ersten Postgang stießen wir auf das Ehepaar Lawaetz, Westinder dänischer Abstammung, bei denen ich früher gewohnt hatte und die mich schon in Deutschland besucht hatten. Mit einem anderen alten Bekannten, Fritz Henle, dem berühmten Fotografen, plauderten wir später in dem eleganten Hotel „St. Croix-by-the-Sea“, das den Lawaetzens gehört. Als eine Kellnerin einem kranken Gast Essen aufs Zimmer bringen wollte, hielt Frau Lawaetz sie an, schaute aufs Tablett und legte noch ein paar Blumen hinzu: „Es ist kein Spaß, krank zu sein“. Wir freuten uns, daß in diesem Hotel Gäste noch als Individuen und nicht als Nummern behandelt wurden.

Noch ist auf St. Croix der Fremdenverkehr nicht zur Industrie geworden, aber überall schießen neue Hotels aus dem Boden, und die Grundstückspreise schnellen in die Höhe, so daß die friedliche Insel bald einen hektischen Charakter erhalten und mit ihrem internationalen Nachbarn im Norden, St. Thomas, wetteifern dürfte.

Als wir von einem unserer Ausflüge auf St. Croix zu unserer LIBERIA zurückkamen, saß auf der Reling ein brauner Pelikan. Er war so tief in Gedanken versunken, daß er erst verstört aufflog, als wir unmittelbar neben ihm waren. Im Flug glich er einer Witzblattfigur: vorne nichts, in der Mitte ein plumper Körper, auf dem der Hals mit einem langen Schnabel ruht, und achtern auch nichts, es sei denn ein Stummelschwanz.

Überall in den Kariben haben wir Pelikane gesehen. Manchmal gehen sie gemeinsam auf Jagd, indem sie in „Schlachtordnung“ Schulen von Fischen ins seichte Wasser treiben und dann plötzlich mit ihrem gewaltigen Kehlsack, der als Kescher dient, zufassen. Da sie in ihrem Fangsack bis zu 15 Liter Wasser halten können, wird sich wohl so mancher Fisch hineinverirren.

Wir haben sie indes nur aus der Luft jagen sehen. Sie flogen flach über dem Wasser und ließen sich, sobald sie einen fetten Brocken entdeckt hatten, mit geöffnetem Schnabel auf das ahnungslose Opfer fallen. Es gab einen Aufprall, als hätte ein Turmspringer einen Bauchklatscher gemacht, das Wasser spritzte nach allen Seiten, und dann sah man den Schwanz des Vogels wieder aus dem Wasser kommen, gefolgt vom Kopf.

Im Vergleich zum gewandten Tölpel, der die Kunst des Stoßtauchens beherrscht, ist der Pelikan ein tolpatschiger Anfänger. Seine Jungen sind noch häßlicher als die Alten, und sie schreien in ihrer Jugend so viel, daß sie im Alter noch die Ohren voll haben und meist schweigen.

Wieder rüsteten wir zur Weiterfahrt. Ganz entgegen unserer bisherigen Gewohnheit segelten wir dieses Mal bei Tage los und kamen am Abend in dem mir so vertrauten Charlotte Amalie an, dem Hafen von St. Thomas. Kaum war der Anker in die Tiefe gesunken, als auch schon Bekannte an Bord gestiegen kamen.

 

St. Thomas hat sich in den letzten Jahren immer mehr auf den Fremdenverkehr eingestellt, neue Piers sind errichtet, unzählige Häuser und Hotels aus dem Boden gestampft und sogar neue Straßen angelegt worden. Im Yachtclub wimmelt es von schnittigen Yachten, die den Touristen zur Verfügung stehen.

Deutsche luden uns zu einer Inselrundfahrt ein. Unser erstes Ziel war French-Town im Westen der Bucht. Hier hatten sich vor Jahrhunderten bretonische Fischer von der Insel St. Barts angesiedelt und eine kleine Ortschaft um eine Kirche herum errichtet; sie nannten ihre Siedlung schlicht Carénage, weil sie hier ihre Boote bauten und kielholten. Die Englisch sprechenden Eingeborenen verstanden jedoch nicht, was die braungebrannten Fischer redeten und nannten diesen Ort deswegen „Cha-Cha-Town“, ähnlich ihrem „Cha-Cha-Baum“, der Samenkapseln trägt, die im Winde das lautmalerische Cha-Cha erzeugen.

Auch diese Nachkommen der Bretonen haben sich wie die auf Les Saintes erstaunlich reinrassig gehalten, obwohl ihre Haut manchmal von der Sonne so braun gegerbt ist, daß man Mulatten in ihnen vermuten könnte. Die Alten unter ihnen sprechen noch heute kein Englisch, die Frauen flechten seit altersher Hüte, Körbe und Reusen, während die Jugend heute überall in den Geschäften der Stadt arbeitet und den bunten Kistenhäusern ihrer Eltern einen moderneren Anstrich geben möchte.

Auf der Nordseite der Insel suchten wir nach seltenen Muscheln und badeten in einer geschützten Bucht. Zum erstenmal hatte Niña Zeit und Lust, sich mit dem Unterwasserleben zu beschäftigen, und wenn sie auch nur mit Maske und Schnorchel an kleinen Riffs ihre Tauchversuche unternahm, so war sie doch voller Begeisterung, wie alle, die jemals in den Tropen den Kopf unter Wasser gesteckt haben.

Über das „Mountain-Top-Hotel“ fuhren wir in die herrliche Magens Bay, suchten nach Scherben aus der Zeit der Kariben, schlenderten durch Mangrovenwälder, in denen riesige Landkrabben Vertiefungen in der Größe von Kaninchenlöchern ausgebuddelt hatten und gingen in den Botanischen Garten, in dem afrikanische Affenbrotbäume neben indischen Feigenbäumen standen. – St. Thomas ist ein Paradies für den reichen Touristen. Es bietet ein ideales Klima, tief eingeschnittene, von Palmen umsäumte Buchten, mondäne wie entlegene Strandplätze mit weißem Korallensand und türkisfarbenem Wasser; und von nahezu allen Hotels genießt man eine majestätische Aussicht auf die Nachbarinseln und das Meer. Wer sich die Inselwelt genauer ansehen will, mietet sich eine der vielen Hochseeyachten, die an der neuen Pier des Yachtclubs von St. Thomas in unübersehbarer Zahl darauf warten, die Besucher der Insel an jeden erwünschten Punkt der Antillen oder sogar der Welt zu bringen.

1 Altes Längenmaß der Seeschiffahrt: der zehnte Teil einer Seemeile, also 185,2 m.

ZEHNTES KAPITEL
ES GEHT UM KOPF UND KRAGEN

Kurz vor Mitternacht starteten wir nach San Juan, der Hauptstadt von Puerto Rico. In der engen Virgin Passage stießen wir nachts auf ein seltsames Lichtergewirr, das sich bei näherem Hinschauen als ein Schlepper mit zwei Dampfern erwies, die gerade von einem anderen Dampfer überholt wurden. Zum dritten Male passierte es uns, daß wir auf dieser Fahrt Hochseeschleppern begegneten, ein Beweis dafür, wie wichtig es ist, die Lichterführung genau zu kennen.

Tangwiesen im Ozean

In den Morgenstunden des nächsten Tages holte ich mit dem Kescher Sargassokraut aus dem Meer, schüttete die Krautbüschel über der Plicht aus und ließ Niña von den vielen Garnelen kosten, die aus dem Tang herausfielen. Nach anfänglichem Widerstreben überwand sie sich und probierte die Tierchen. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als ihren Wohlgeschmack zu loben.

Als ich auf den letzten 500 Seemeilen meiner Faltbootfahrt keine Lebensmittel mehr hatte (bei der ersten Kenterung waren die Konserven aus dem Boot gefallen), waren mir vor allem die köstlich schmeckenden Garnelen von größtem Nutzen gewesen. Aber in diesem gelbbraunen Sargassokraut halten sich nicht nur Garnelen auf, sondern noch viele andere Tiere: Krebse, Schnecken, Fische und wenn auch seltener, Seepferdchen.

Von dem Sargassum-Tang berichtete schon Kolumbus auf seiner ersten Fahrt; seine Matrosen befürchteten nämlich, die Tangwiesen, durch die sie am Ende ihrer Reise segelten, deuteten auf verborgene Klippen, an denen sie zerschellen könnten. Kolumbus ließ daraufhin loten, fand aber keinen Grund.

Das Gebiet in dem das Sargassokraut vorwiegend treibt, das Sargasso-Meer, erstreckt sich als ovales Gebilde zwischen den Jungferninseln im Süden und den Bermudas und Azoren im Norden. Es ist eingekeilt zwischen Golfstrom und Passatgebiet, vergessen von den Strömungen, vernachlässigt von den Winden. Und welche Schauermärchen sind nicht von diesem Sargasso-Meer in Seemannskreisen erzählt worden! Wracks sammelten sich dort, hieß es, Schiffe hätten sich in den Tangwiesen festgefahren! Nun, ich bin einmal mit einem Dampfer durch das ganze Sargasso-Meer gefahren; es ist eine Fahrt wie durch andere Meere auch, mit dem einen Unterschied, daß man überall auf die gelben Tangbüschel stößt. Aber nicht einmal ein Faltboot würde sich in diesen Tanghaufen festfahren können!

Über die Herkunft des Tangs sind sich die Gelehrten nicht einig. Die einen meinen, es stamme von den Küsten, die anderen glauben, es vermehre sich vegetativ im Meer und bekäme keinen Zuwachs durch abgerissenes Küstenkraut. Dann wäre das Sargasso-Kraut also wie eine Amöbe unsterblich; schon Kolumbus’ oder Drakes Schiffe könnten das Kraut gestreift haben, das ich gerade aus dem Wasser geholt hatte.

Seepferdmännchen in Wehen

Obwohl ich etwa zehn Netze voller Sargassokraut aus dem Wasser fischte, förderte ich kein Seepferdchen darin zu Tage. Dafür hatten wir aber schon auf mehreren Inseln kleine Seepferdchen als Andenken erworben. Man findet sie vor allem in ruhigen Gewässern, im Gras und im Tang. Es gibt an die 50 Gattungen, so groß wie ein kleiner Finger und länger als ein ausgewachsener Fuß.

Der Kopf des Seepferdchens sieht tatsächlich wie ein Pferdekopf aus, sein Körper wie der eines mittelalterlichen Panzerpferdes, denn er ist von etwa 50 knochenartigen Ringen umgeben. Im Sargassokraut nimmt das Tierchen eine gelbe Farbe an, im Seegras eine grüne und in der Nähe von bestimmten Korallensträuchern eine flammend rote.

Aufregend verläuft die Brautwerbung, die Tage dauern kann. Das Weibchen verfolgt dabei das Männchen! Auf dem Höhepunkt des Brunsttanzes „umarmen“ sich die beiden; das Weibchen legt in die Bruttasche des Männchens ihre Eier und macht sich dann aus dem Staube, es verschwindet auf Nimmerwiedersehen und überläßt dem Männchen das weitere Brutgeschäft. In seiner Bauchtasche werden die Eier befruchtet, und nach etwa zehn Tagen schlüpfen unter krampfartigen Wehen des Männchens kleine Seepferdchen aus.

Berühmt ist die hoheitsvolle Haltung des Seepferdchens, die es selbst im Schlafe beibehält – im Gegensatz zu anderen Hoheiten. Ihren Schwanz benützen die Tiere wie südamerikanische Affen zum Festhalten an Tang oder Gras. Dennoch ist das Seepferdchen ein Fisch; wenn man es gewaltsam in die Länge zieht, sieht es aus wie sein nächster Verwandter, die Seenadel, deren Männchen ebenfalls die Nachkommenschaft ausbrütet; das Seepferdchen ist also eine buckelige Seenadel.

Getrocknete Seepferdchen sind zuweilen sogar von „medizinischem“ Interesse; sie werden gemahlen und in den Chinesenvierteln großer Städte verkauft – als Aphrodisiakum. Natürlich nur an Leute, die auch daran glauben, sonst bleibt der Erfolg aus.

Von Flaschen und Flaschenpost

In der schwach bewegten See entdeckten wir eine Flasche, die wir nach kurzem Manövrieren hoffnungsvoll an Bord holten. Aber es war eine „blinde“ Flasche, es steckte keine Nachricht darin. Auf meiner Faltbootfahrt über den Ozean habe ich vier Flaschen gefunden – in keiner war irgendeine Nachricht verborgen.

Das französische Forschungsinstitut für Seefahrt und Meereskunde besitzt ein eigenes Flaschenpost-Museum. Einzigartige Schicksale verzeichnen diese Zettel. Die Papierfetzen, Leder- und Holzstücke, die dort zur Schau gestellt sind, geben meist tragische Nachricht vom Kampf und von den Hoffnungen verunglückter Seeleute.

Ausgerechnet aus dem Magen eines vor den Azoren gefangenen Hais holte man die letzte Nachricht der bei den französischen Flieger Coli und Nungesser, die auf ihrem Ost-West-Flug über den Atlantik verunglückten und ihr letztes Lebenszeichen einer Flasche anvertrauten.

Von den seltsamen Wegen der Flaschenpost berichtet auch ein Vorfall aus Japan: 1784 fuhr ein japanisches Schiff auf Schatz- und Perlensuche in den Pazifik. Bevor es sein Ziel, eine kleine Insel, erreichen konnte, geriet es in einen Taifun, der es leck schlug. Die 45 Mann der Besatzung retteten sich auf ein ödes und kahles Koralleneiland, doch einer nach dem anderen starb den Dursttod. Ehe das Schicksal aber nach Matsuyama aus Honshui griff, hatte er das tragische Los seines Bootes auf ein Stück Holz geritzt, das er in eine Flasche steckte, sie wasserdicht verschloß und unter Aufbietung seiner letzten Kraft ins Meer beförderte. 150 Jahre später wurde eine verschlossene Flasche am Strande von Honshui aufgelesen und geöffnet; sie enthielt die unversehrt gebliebene Nachricht Matsuyamas …

Nicht immer haben Flaschenpostschicksale ein schlimmes Ende. 1950 fand ein russischer Fischer in der Arktis eine Flaschenpost, deren Botschaft in Murmansk entziffert wurde: „Fünf Ponys und 150 Hunde leben noch. Erbitte Heu, Fische und 30 Schlitten. Muß frühzeitig im August Heimweg antreten. Baldwin.“

Der Polarforscher Evelyn Baldwin hatte 1902 für verschollen gegolten, er konnte sich jedoch mit seinen Männern durchschlagen. Als der Fischer 48 Jahre später seinen Hilferuf fand, war Baldwin längst gestorben – im Bett.

Noch heute werden Flaschenpostnachrichten dem Meer übergeben, und zwar systematisch vom Hydrographischen Institut in Washington. Obschon man modernere Meßmethoden für Strömungen kennt, will man auf die Flaschenpost nicht ganz verzichten. Die Flaschen werden an bestimmten Stellen ins Meer geworfen; sie enthalten in mehreren Sprachen die Bitte, der Finder möge den in ihnen steckenden Zettel mit genauer Angabe des Fundortes und Datums an eine angegebene Adresse zurücksenden.

Flaschenpostbriefe haben riesige Strecken zurückgelegt, nicht selten von einem Kontinent zum andern. Eine Flaschenpost hat sogar in südlichen Breiten die Welt umsegelt, in knapp sieben Jahren. Doch immer seltener werden Segler, Fischer und Strandbummler eine Flaschenpost finden, denn im Zeitalter der Technik verläßt man sich mehr auf Funk, Radio und Radar als auf eine Flasche, die vielleicht einmal von den Enkelkindern des Absenders gefunden wird.