Maritime E-Bibliothek: Sammelband Abenteuer und Segeln

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Auf der „Brotfruchtinsel“

Bereits am Morgen des folgenden Tages standen wir vor St. Vincent, dessen grüne Hänge uns mit ihren Rindern und Farmhäusern von weitem an eine Almlandschaft in den Alpen erinnerte. Der Hafen von Kingstown ist wunderhübsch von den Hängen einer riesigen Bucht eingerahmt. Wie bevorzugt von der Natur sind doch alle diese Naturhäfen im Vergleich zu den westafrikanischen offenen Reeden!

Mit einem Einheimischen machten wir einen Ausflug durch die „Brotfruchtinsel“, wie man St. Vincent nennt, seit der berüchtigte Kapitän William Bligh Brotfruchtbäume und auch andere Pflanzen von den Pazifikinseln hierher brachte, von wo aus sie sich auf die Nachbarinseln verbreiteten. Noch heute findet man im Botanischen Garten von Kingstown einen Baum, dem man ansieht, daß er schwere Zeiten durchgemacht hat – wahrscheinlich auf der „Bounty“ – und der von den Schößlingen des Kapitäns abstammen soll.

St. Vincent ist als Hauptlieferant der Pfeilwurzelstärke berühmt, die sehr leicht verdaulich ist und deshalb zur Herstellung von Kindernahrung gebraucht wird. Das Pfeilwurzelmehl wird mit Wasser aus den zerkleinerten Knollen und Wurzeln der Pflanze ausgeschlämmt; zu seiner Gewinnung hat man auf der Insel teilweise sogar alte Zuckerrohrmühlen umgebaut.

Zur Abwechslung nahm ich mal wieder einen eingeborenen Mechaniker an Bord, der versuchen sollte, die Umsteueranlage zum Laufen zu bringen. Er interessierte sich für alles, für die Lichtbatterie, für die Brennstoffpumpe, nur nicht für die Umsteueranlage. Als wir abfuhren, lief denn auch nichts mehr, selbst das elektrische Licht an Bord hatte er durch Kurzschlüsse und Fehlanschlüsse – einige Drähte ließ er einfach ins Leere baumeln, andere verband er falsch – zum Stillstand gebracht. Darin unterschied sich das tropische Amerika in nichts von Afrika.

Da wir möglichst viele Inseln sehen wollten, sich aber die Hurrikanzeit näherte und zur Eile gebot, segelten wir nur nachts und besichtigten tags die Inseln. Das war besonders für Niña sehr hart, weil sie jede Nacht ihre Wache stehen mußte; aber solche Leistungen werden weniger durch Muskelkraft als durch Einsicht und guten Willen erzielt, und an bei den mangelte es ihr nicht.

In den Morgenstunden erreichten wir St. Lucia.

Deutsches U-Boot vor St. Lucia

Von den vielen schönen Karibischen Inseln ist St. Lucia ohne Frage eine der schönsten. Die Einfahrt zum Hafen Port Castries erinnert an einen Fjord. Auf den Bergen der Nordseite wachen Befestigungen, moderne Villen liegen auf der Südseite, etwa zwanzig größere Yachten ankerten in einem Arm der tiefeingeschnittenen Bucht, an deren Ende Port Castries auftaucht.

Siebenmal haben die Franzosen die Insel besetzt, siebenmal die Engländer; heute gehört sie der westindischen Föderation an. Die Ortsnamen auf St. Lucia sind vorwiegend französisch, selbst in Kultur und Sprache schienen die Einwohner uns mehr französisch zu sein als britisch, obwohl die Insel jetzt schon seit rund 150 Jahren in ununterbrochenem Besitz der Briten war.

Als 1942 zwei britische Frachter ein deutsches U-Boot, das vor dem Hafen auf ihr Herauskommen lauerte, über Gebühr lange warten ließen, tauchte das U-Boot kurz entschlossen in den engen Hafen und versenkte die beiden Dampfer an Ort und Stelle. Dann kam es an die Oberfläche und suchte das Weite. Sofort setzte eine Verfolgungsjagd ein – das U-Boot jedoch blieb verschwunden; man nimmt an, es habe in einer kleinen Bucht einige Meilen südlich von Port Castries solange auf dem Meeresgrund gewartet, bis die Jagd abgeblasen wurde.

Wir lagen inmitten von Yachten aus aller Welt. Die meisten waren Amerikaner, einige ßriten, andere Kanadier, Belgier und Südafrikaner. Den einen diente ihre Yacht lediglich als schwimmendes Haus, sie wagten sich alle Jahre nur einmal aus dem Schutz der Insel heraus; die anderen segelten auch, und zu ihnen gehörte Bob Elliot, das Baby unter den Einhandseglern: er hatte als Neunzehnjähriger den Atlantik allein überquert. Ich hatte ihn bereits in Las Palmas kennengelernt. Er wollte nun auf St. Lucia sein Boot überholen und wieder nach Europa zurücksegeln, allerdings mit einem Mitsegler. Das Einhandsegeln hatte er sich leichter vorgestellt.

Wir wurden zu einer Party auf einem großen kanadischen Boot eingeladen. Eine lustige Gruppe von Seglern gab sich alle Mühe, im Schatten eines Sonnensegels das dauernde Flüssigkeitsdefizit der Tropen durch genügende Mengen von Alkohol wieder auszugleichen. Man tanzte an Bord, man flirtete und benahm sich ungeniert. Eine Seglerin empfing mich mit den Worten: „Ah, da kommt der bestgehaßte aller Hochseesegler!“

„Wie meinen Sie das?“ fragte ich sie verwundert.

„In früheren Zeiten wurden die Hochseesegler als Helden betrachtet, seitdem Sie aber in einem Einbaum und in einem Faltboot über den Ozean segelten, sind wir blamiert, erniedrigt und infolgedessen beleidigt. Das einzige, was uns zu unserer Ehrenrettung übrig bleibt, ist, Sie für verrückt zu erklären!“

Da die Dame offensichtlich ein ganz schönes Flüssigkeitsdefizit ausgeglichen hatte, tröstete ich sie mit dem Versprechen, sie bestimmt mitzunehmen, wenn ich je wieder in einem Einbaum über den Atlantik segeln wollte.

Anderntags lernten wir einen Kollegen kennen, der früher in Amerika eine blendende Praxis besessen, sich dann aber plötzlich hierher zurückgezogen hatte. Er hängte den Arztkittel an den Nagel, kaufte sich einen kleinen Berg am Rande des Hafens und züchtet jetzt Hühner und Obstbäume und lebt mit einer hübschen Schwarzen zusammen.

Der Exkollege schrieb uns einige Zeilen in unser Bordbuch und unterzeichnete mit „TTT“. Als wir ihn fragten, was für ein akademischer Grad das sei, schrieb er die drei Buchstaben aus: „Typischer tropischer Tramp“.

Menschen wie ihn findet man in fast jedem Tropenroman, tatsächlich aber auch auf fast jeder Tropeninsel. Der Geschäftsführer des Hotels, in dem wir aßen, war aus Europa zur überprüfung der Bücher nach St. Lucia geschickt worden und für immer hier geblieben. Ein kanadischer Arzt hatte seinen Urlaub hier verlebt und war nicht mehr nach Kanada zurückgekehrt. Auf den amerikanischen Jungferninseln lernten wir diese harmlosen „Tramps“ später in noch größerer Anzahl kennen; diese Inseln schienen ein Hort für Tropentramps aus den Vereinigten Staaten zu sein.

Nachdem sich halb St. Lucia bemüht hatte, die Umsteueranlage der LIBERIA IV zur Arbeit zu bewegen – für kurze Zeit klappte es sogar –, segelten wir schließlich nach Pigeon Island, das ein bis zwei Kabellängen1 im Nordwesten von St. Lucia liegt.

Ein weiblicher Robinson

Miss Josset Legh, die einzige Dauerbewohnerin der Insel, hatte uns kommen sehen. Sie empfing uns in ihrer geräumigen, zum Meer hin geöffneten, afrikanischen Palaverhütte. Ehe wir das aufgebaute Fernrohr, mit dem sie ihre Gäste schon von weitem beobachtet, sowie die vielen Fischernetze, Kanonen, Korallen, vor allem aber ihre Bambusbar betrachten konnten, über der Fotografien von Yachten aus aller Welt hingen, hatte sie uns schon einen Drink serviert und prostete uns ein Willkommen zu.

Wir kamen schnell ins Gespräch. Niña wollte wissen, ob Josset sich so allein auf dieser Insel nicht fürchte, sich nicht einsam fühle?

Die alte Dame beugte sich über die Theke und flüsterte uns zu: „Wissen Sie, ich bin niemals allein hier. Mein Kind ist bei mir und leistet mir Gesellschaft. Obwohl es schon lange tot ist, haben wir stets Kontakt miteinander. Und dann höre ich immer Musik in der Luft; die Wellen des Kosmos tragen mir Melodien zu, Orchestermusik, wie sie kein Mensch besser empfangen kann.“

„Wie hat es Sie denn hierher verschlagen?“ erkundigten wir uns.

„Ich war früher Schauspielerin in London. Mein ganzes Leben lang habe ich von einer Tropeninsel geträumt und bin glücklich, daß mein Traum in Erfüllung gegangen ist. Diese Insel ist mein Werk, alle diese Hütten habe ich mit meinen eigenen Händen gebaut.“

Unwillkürlich schauten wir auf ihre kräftigen, muskulösen Hände. Mir schien sie überhaupt mehr einem englischen Richter mit weißer Perücke als einer Frau zu gleichen. Weiblich war jedoch ihr kurzes Strandkostüm, das an Nacken, Armen und Beinen ihre feste braun gegerbte Haut frei ließ. Immer noch sah man Josset an, daß sie vor 40 Jahren oder so eine blendende Schönheit gewesen sein muß.

Sie fuhr fort: „Früher half mir meine Mutter, vor kurzem aber fiel sie vom Dach, als sie es mit Zitronellagras ausbessern wollte. Sie brach sich ein Bein und starb.“

„Und wie alt war Ihre Mutter, als sie vom Dach fiel?“

„93 Jahre. Ich habe sie hier beerdigt.“

Spökenkieker unter Palmen

Mich interessierten Jossets merkwürdige Anschauungen aus dem Bereich des Mystizismus, und um das Gespräch in diese Richtung zu lenken, erzählte ich ihr ein eigenes Erlebnis parapsychologischer Art.

„Dies ist eine Insel, auf der vieles passiert, das sich nicht mit dem Verstand erklären läßt“, sagte Josset. „Geister gehen hier umher und treiben ihr Unwesen. Manchmal brennt nachts auf den Hügeln ein Licht, und wenn ich dann den Berg hinaufklettere, ist kein Licht mehr da. Manchmal finde ich morgens abgeschlagene Bäume vor. Ich frage Sie: wer hat Interesse daran, hier mit dem Haumesser Bäume zu fällen!?“

Niña und ich schauten uns fragend an, wir wußten es nicht.

„Nur die Seelen der Toten; sie wollen nicht vergessen sein. Die Insel wimmelt von Toten; unter jeder Krume Erde liegen Gebeine –, von den Indianern, die ihre Toten von St. Lucia hierherbrachten, von den Briten, die hier eine Garnison errichteten und deren Soldaten wie die Fliegen an Malaria, Dysenterie, Gelbfieber und anderen Krankheiten starben.“

 

Josset war ganz in ihrem Element, eine Geistergeschichte folgte der andern. Ich hörte gespannt zu, Niña jedoch zog die Brauen hoch. Später lachte sie mich aus: „Typisch Mann! Du hast nicht einmal gemerkt, daß sie uns Theater vorspielte – sie ist eine gute Schauspielerin.“

Am Nachmittag tollten wir auf der Insel umher. Während Niña auf Rodneys Fort ein Sonnenbad nahm, kletterte ich in einsame Buchten, um nach dem Schatz zu suchen, den französische Seeräuber – wie Josset uns anvertraut hatte – hier deponiert haben sollen …

Nach dem Abendessen bei Josset wollte Niña gern in einem der verwunschenen Häuser schlafen. Warum auch nicht? Ich mußte jedoch auf mein Boot zurück, weil der Ankergrund bei starken Winden nicht sicher genug war. Als ich Niña am nächsten Morgen in ihrem Wunschhaus mit dem Palmendach abholen wollte, fand ich sie noch schlafend im Bett. Sie sah erschöpft aus, und ihre Finger umklammerten krampfhaft eine Parfümflasche. Plötzlich flog eine Taube gegen die Tür, und Niña fuhr hoch, als wollte ihr jemand an die Kehle.

„Gottseidank – du bist’s!“ rief sie, als sie mich sah. „Ich habe eine furchtbare Nacht gehabt! Stell’ dir vor, kaum war ich ins Bett gegangen, da rüttelte es an den Türen, polterte es gegen die Fensterläden und plumpste es aufs Dach, daß mir angst und bange wurde. Ich rief nach Josset, aber sie antwortete nicht. Dann habe ich dir mit der Lampe Blinkzeichen gegeben, aber du hast wohl schon geschlafen, und ich hätte den Weg zu dir durch den Dschungel nicht mehr gefunden. Der Spuk ging immer weiter; der Wind heulte, das Meer donnerte zu Füßen dieser verflixten Hütte, und schließlich sprang mit lautem Knarren die Tür am Kopfende des Bettes auf. Da hatte ich endgültig genug. Ich wanderte ruhelos durch das Haus. Der einzige Raum, den man abschließen konnte, war der Duschraum. Dort habe ich mich schließlich auf den Boden gelegt und den Riegel vorgeschoben. Erst als es dämmerte, bin ich wieder ins Bett zurückgeschlichen. Mein Gott, kann eine Nacht lang sein! Da, schau mal hier ins Bett: da wimmelt und krabbelt es nur so von winzigen roten Insekten. Und auch das Bettzeug riecht noch muffiger als bei uns an Bord. Scheußlich, sag’ ich dir!“

Arme, kleine Niña, die sonst so tapfer ist! Und skeptisch. Und nicht an Geister glaubt …

Josset verabschiedete uns: „Sie sahen das Beste und das Schlechteste von Pigeon Island“. Mit dem Schlechtesten meinte sie aber nicht etwa Niñas Erlebnisse, sondern die vielen Touristen, die am Sonntag von Martinique und von Port Cast ries in Yachten angesegelt kamen.

Am Nachmittag segelten wir weiter, den Schatz hatte ich nicht entdecken können, und das war gut so, sonst hätte Pigeon Island doch eine seiner vielen Attraktionen verloren.

Die letzten Indianer

In der Nacht segelten wir an Martinique vorbei, das einer der großen Knotenpunkte des Karibischen Touristenverkehrs ist. Doch Niña kannte es schon. Wir hatten uns als nächstes Ziel das urwüchsige, regenreiche Dominica ausgesucht; nachmittags liefen wir am Nordwestende dieser Insel in die riesige Prinz Rupert-Bay ein und warfen vor dem halb verfallenen Dorf Portsmouth Anker.

Als wir uns der Mole näherten, rief eine Schar von Kindern, schon bevor wir aussteigen konnten, mit ausgestreckter Hand nach „Pennies“. Das erstaunte uns, weil Dominica die fruchtbarste der Westindischen Inseln ist und dazu noch, im Gegensatz zu den anderen Inseln, unterbevölkert. Alles wächst in Dominica, ob man düngt oder nicht, ob man den Boden pflegt oder sich selbst überläßt – man braucht nur wenig zu arbeiten, um ernten zu können.

Portsmouth ist ein sauberer Ort, dessen Häuser jedoch an Skorbut zu leiden scheinen, denn überall fehlen Ziegel, Bretter oder Fensterscheiben. Wir waren nach Portsmouth gekommen, um von hier aus zu dem berühmten Indianerreservat zu gelangen, das auf der Ostseite der Insel liegt und nur sehr mühselig zu erreichen ist. Nach langem Suchen fanden wir schließlich den Sohn des Drogisten, der gegen hohe Entlohnung bereit war, uns bis in die Nähe eines neu erbauten Flugplatzes zu fahren, von wo aus wir laufen wollten. Unser Führer war ein Schwarzer, dessen Wurzeln nach Afrika wiesen. In der Neuen Welt leben rund 50 Millionen Menschen afrikanischer Abstammung.

Wissenschaftler haben auf den Antillen die verschiedensten afrikanischen Kulturkreise abgrenzen können: Einflüsse der Fanti-Aschanti-Kultur aus der Goldküste, dem heutigen Ghana, lassen sich auf den ehemals britischen Antillen nachweisen; auf den französischen Inseln dominieren Kultureinflüsse aus Dahome, und auf den spanischsprechenden findet man vorwiegend Sitten und Gebräuche, deren Ursprungsland Nigeria ist.

Ohne die Sklavenimporte nach der Neuen Welt wäre der wirtschaftliche Aufschwung in Amerika nicht denkbar gewesen; das Wohlergehen ganzer Länder basierte auf der billigen Arbeitskraft der Afrikaner, Industriezweige blühten auf, die neue Naturprodukte verarbeiteten: Zuckerrohr und Baumwolle, in kleinem Maße auch Tabak und Indigo.

Bereits ein Menschenalter nach der Entdeckung Amerikas waren die Indianer auf einigen Karibischen Inseln nahezu ausgestorben, geflohen oder gefangen und in die Bergwerke und Plantagen der Spanier abtransportiert. Da wollte der spanische Bischof Las Casas der zum Aussterben verurteilten Rasse helfen und empfahl, Afrikaner zur Arbeit heranzuziehen. Er hat diese gutgemeinte Empfehlung später bitter bereut.

In unserer heutigen Zeit kann man den Sklavenhandel mit seinen schändlichen Auswüchsen nicht mehr so recht verstehen, zieht man nicht in Betracht, daß in Europa noch Feudalsysteme herrschten und die meisten Menschen der ländlichen Bevölkerung Leibeigene waren, als sich die Portugiesen dem afrikanischen Sklavenhandel zu verschreiben begannen. Später stiegen die Spanier und vor allem die Briten ganz groß in das Sklavengeschäft ein.

Nicht sehr bekannt ist auch, daß es im 17. Jahrhundert oft mehr Todesfälle auf den Auswanderschiffen als auf den Sklavenschiffen gab. Die Kapitäne der einen Schiffe erhielten für jeden heil herübergebrachten Afrikaner ein Handgeld, die der anderen sparten das Verpflegungsgeld der an Bord gestorbenen Emigranten! Was haben die königlich privilegierten Pfeffersäcke aus England, aber auch aus Neuengland, nicht für Geld mit dem schwarzen Elfenbein verdient! Erst als sich damit keine rechten Geschäfte mehr machen ließen, schafften sie den Sklavenhandel ab – und ernteten sogar noch Applaus dafür, weil die Spanier und Portugiesen in kleinem Rahmen weitermachten.

Die letzten Ureinwohner der Antillen-Inseln, die Kariben-Indianer, deren Nachkommen wir nun aufsuchen wollten, hatten sich auf einigen der Inseln verzweifelt gegen die europäischen Eindringlinge gewehrt. Wer von ihnen nicht im Kampfe fiel oder Selbstmord beging, erlag meist den Krankheiten, die von der Alten Welt in die Neue eingeschleppt wurden. Tuberkulose, Pocken und Malaria forderten viel mehr Opfer als die Feindseligkeiten. Heute findet man nur noch selten auf den Karibischen Inseln ein Gesicht, in dem sich indianische Züge entdecken lassen. Auf Dominica jedoch gibt es ein Reservat, ein „Naturschutzgebiet“ für Indianer.

Da wir erst am späten Morgen eine Transportmöglichkeit gefunden hatten, mußten wir uns beeilen, wollten wir noch vor Einbruch der Dunkelheit wieder zurück sein. Auf einem primitiven Weg ging es bergauf und bergab, bald durch Morast, bald über vulkanisches Gestein, mal unter Mangobäumen hindurch, dann wieder in der grellen Mittagssonne. Wir dampften, die Hemden klebten an der Haut. Fragten wir in einer Hütte, ob das Dorf der Kariben nicht endlich bald käme, hieß es stets: „Hinter dem nächsten Berg!“

Dann stießen wir auf eine Gruppe von Indianern, die aus einem Gummibaum einen Einbaum geschlagen hatten und ihn nun durch Aufsetzen einer Planke zu einer echten indianischen Piroge umbauen wollten. Gedichtet wurde mit Asphalt, die Breite des Bootes etwas erweitert, indem man Wasser hineinschüttete und die Bordwände mit Hilfe von Querstäben dehnte.

Keiner dieser Indianer war reinblütig, alle hatten sie einen Schuß afrikanischen Blutes in ihren Adern. In ihrer Nähe wuschen und badeten Frauen und Kinder, die vorwiegend indianisch aussahen, aber trotzdem von fremden Blutbeimengungen nicht frei waren. Erst als wir in dem Dorf Salybia auf den neugewählten König stießen, hatten wir einen reinrassigen Indianer vor uns.

Bretterbude als Königspalast

Der König des Reservates war gerade erst vor wenigen Wochen gewählt worden und wartete noch auf die Bestätigung seiner Würde durch die Engländer. Von königlicher Haltung war bei ihm nichts zu sehen, er war ein junger, schüchterner und verlegener Mann, der außer seiner Reinblütigkeit nichts Königliches an sich hatte. Seiner Hütte gegenüber lag der kleine Krämerladen seines Onkels, in den wir ihn zu einem Drink einluden.

Mehrere hundert Indianer, meist Mischlinge, leben in dem Reservat und verdienen sich durch Landwirtschaft und Ackerbau ihren Unterhalt. Die Königshütte – sie wurde durch große Balken gestützt – bestand aus zwei Räumen: einem Schlafzimmer mit einem Doppelbett, einem Schrank und einem Stuhl, und einem Wohnzimmer, in dem ein Tisch und zwei Stühle standen. Alle Wände waren mit Bildern, zum Teil aus Zeitungen ausgeschnitten, beklebt. Eine junge Frau mit einem Baby auf dem Arm und einem halben Dutzend Kinder am Rockzipfel stellte uns der König später als seine Schwester vor. Wie ihr Bruder war auch sie ein weicher, pastöser, blasser Typ, den man geographisch in den koreanischen Raum einordnen möchte. Eine andere Schwester des Königs arbeitete als Hausmädchen in Guadeloupe.

Die Indianer sprachen leise in schlechtem, mit dem Patois der Afrikaner vermischten Englisch; das Indianisch ihrer Vorfahren haben sie vergessen. Mit ungelenker Hand schrieb uns der König ein paar Zeilen für unser Bordbuch auf einen Zettel.

Auf dem Rückweg trafen wir einen englischen Farmer, der wie ein Eingeborener lebte. Er lud uns zu einer Aguti-Mess ein. Das Aguti ist ein „Kaninchenferkel“, ähnlich dem Meerschweinchen, ein Nagetier, dem man auf den Inseln häufig begegnet. Wir hatten zu wenig Zeit, um das gutgemeinte Angebot des Farmers annehmen zu können. Ob wir dann nicht wenigstens „Berghühner“ mit ihm essen wollten? Mountain chicken sind große, eßbare Frösche, auf die wir leider auch verzichten mußten. Aber einen selbstfabrizierten Zuckerrohrschnaps konnten wir ihm nicht abschlagen.