Maritime E-Bibliothek: Sammelband Abenteuer und Segeln

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Wie mein Boot entstanden war

Der Wind sauste in der Takelage und füllte die Segel, der Mast arbeitete, und ich hörte ihn stöhnen; jedes wohlvertraute Geräusch erweckte ein Hochgefühl in mir. Ich fuhr zum dritten Mal auf eigenem Kiel nach Amerika. In einem soliden, starken Kutter, auf den ich mich verlassen konnte.

Monatelang hatte ich an der Ost- und Nordseeküste nach einem geeigneten Boot für diese Fahrt Ausschau gehalten, aber immer gab es zu viele Kompromisse zu schließen: mal war das Boot zu groß, dann wieder zu klein, mal zu schwach gebaut, dann wieder zu alt oder gar unverkäuflich.


Segelriß 1:140 (hier ohne den später hinzugekommenen Klüverbaum).


Länge über Alles 8,98 m, Breite 3,15 m, Tiefgang 1,50 m, gr. Freibord 0,65 m, Verdrängung 7,5 t. Motor 18 PS Güldner-Diesel. Großsegel 21,56 m2, Fock I 8,50 m2, Klüver 7,31 m2, Ballon 22,46 m2, Fock II 5,57 m2.


Einrichtungsplan, Linienriß und Decksplan 1:90.


Die „LIBERIA IV“ wurde auf der Yacht- und Bootswerft H. Hatecke in Freiburg/Elbe für die Atlantiküberquerung gebaut. Der Entwurf des Bootes stammt von der Yacht- und Bootswerft Matthießen & Paulsen in Arnis an der Schlei, die das Boot 1947 als „Fischerei-Forschungsfahrzeug“ entwarf und baute. Das Boot mit seinen sehr starken eichenen Verbänden und seinen 32-mm-Planken ist eigentlich mehr als „Gebrauchsfahrzeug“ denn als Sportyacht anzusehen. Die „LIBERIA IV“ hat mit ihren rund 9 m über Alles die nach den Erfahrungen günstigste Länge für einen Weltumsegler mit ganz kleiner oder auch nur einköpfiger Besatzung. Der lang durchgehende Kiel sorgt dafür, daß das Boot mit festgesetztem Ruder allein seinen Kurs hält. Form, Bauart und Einhängung des Ruders sind so, daß es hier kaum eine Havarie geben kann. Der Ballastkiel besteht aus Gußeisen.

Ein neues Boot? Ich war skeptisch gewesen, denn ich hatte alle meine Fahrten selbst finanziert, und der Rest des Geldes, das ich in vielen Auslandsjahren verdient hatte, reichte nicht weit – glaubte ich. Dann jedoch machte ich einen „Minimumanschlag“ und suchte mit einem Freund nach einer Werft, deren Preise noch nicht dem deutschen Wirtschaftswunder angepaßt worden waren. Auf dieser Suche kamen wir nach Freiburg an der Niederelbe, und ich beschloß, mein Boot auf der Werft Heinrich Hatecke bauen zu lassen.

Soweit es ging, schaute ich selbst nach dem Bau; ich war dabei, als die Werft den gußeisernen Kiel legte, die Eichenspanten – teils „gewachsene“, teils im Dampf gebogene – setzte und die Außenhaut – 3 cm dicke Gebirgslärchenplanken – an die Spanten vernietete. Das Deck wurde aus Teakholz, die Aufbauten und die Inneneinrichtung aus afrikanischem Mahagoni hergestellt: auf der Steuerbordseite der Kartentisch, eine Eckbank, über der drei größere Borde eingebaut wurden, im Vorderschiff eine Koje, zwischen Mast und Koje ein Kleiderschrank, ein Schrank für Ersatzteile und Bücher.

Auf der Backbordseite befanden sich: die Kombüse, eine Koje, davor eine Bank, im Vorschiff ein Bücherschrank, ein Fotoschrank, eine Bank und ein Schrank für Werkzeuge. Ganz vorn im Schiff lag die Vorpiek mit Raum für Segel, Ankerkette und Ankertrosse. An den Motorenraum schlossen sich achtern die Plicht an, zwei Tanks für Treibstoff und ein Wassertank im Achterpiek.

Die Arbeit der Werft, die solide Bauweise, sowie die praktische Inneneinrichtung, waren überall gelobt worden. Auch die navigatorische Einrichtung entsprach meinen Erwartungen. Außer den Instrumenten und Fachbüchern, die ich schon im Faltboot mit an Bord gehabt, aber bei der Kenterung verloren hatte, (zwei Fluidkompasse, ein Chronometer, ein Sextant, der Nautische Almanach und Seekarten), führte ich einen Peilkompaß, nautische Tafeln, Küstenhandbücher, Leuchtfeuerverzeichnisse, ein Echolot und ein Transistorradio mit, das mir selbst in Gabon noch die Zeitzeichen Washingtons übermittelte.

Täglich 150 Beobachtungen

Vom Seewetteramt hatte ich Präzisionsgeräte zur Verfügung gestellt bekommen, um im Rahmen des Geophysikalischen Jahres meteorologische Beobachtungen durchführen zu können. Dreimal täglich mußte ich 50 bestimmte Fragen beantworten! Einhundertfünfzig Antworten! Es war das erste Mal, daß sich ein Einhandsegler dieser Prozedur unterwarf.

Diese Beobachtungen sollten Aufschluß geben über Wind, Sicht und Wetter, Luftdruck und Luftdruckänderungen, Lufttemperatur und Feuchte, untere, mittlere und hohe Wolken, Periode, Höhe und Richtung von Wellen etc. etc. Es fiel mir manchmal nicht ganz leicht, die Beobachtungen regelmäßig durchzuführen. Interessant sind sie nicht, die Temperaturmessungen ausgenommen. Als höchste Wassertemperatur maß ich einmal vor der Guineaküste bei Flaute 30,5 Grad Celsius.

Eine der Fragen, die immer wieder von Laien an Segler gestellt werden, ist die nach der Höhe der Wellen im Ozean. Daß es Dünungswellen gibt, die zum Beispiel durch einen Sturm in der Gegend von Neufundland entstehen und sich als gewaltige Brandung, die sogenannte Kalema, an der südafrikanischen Küste bemerkbar machen können, ist nur wenigen bekannt. Eine solche Dünung hat also unabhängig von der Windrichtung den ganzen Atlantik überquert. Einer der bekanntesten amerikanischen Sportsegler wunderte sich darüber, wie mein Faltboot diese „30 Meter hohen Dünungsberge“ heil überstehen konnte. Nun, Windwellen können bis zu dreißig Meter Höhe erreichen, als Ausnahmeerscheinung in einem langanhaltenden Sturm; die Dünung wird aber nicht einmal halb so hoch und ist auch für kleine Boote auf hoher See ungefährlich, weil sie sich im allgemeinen nicht mehr bricht.

Alle Wellen sind verschieden hoch. Die Ansicht, daß jede siebte bis neunte Welle höher sei als die vorhergehenden, ist falsch, wird aber dadurch unterstützt, daß es tatsächlich einen Rhythmus der Wellen gibt, jedoch einen unregelmäßigen.

Für Seeleute ist es entscheidend zu wissen, daß sie alle paar Stunden eine Welle erwarten können, die mehrfach so hoch sein kann wie die Durchschnittswellen. Große Dampfer, vor allem schwer beladene Erzschiffe, die im Sturm nicht rechtzeitig beidrehen, werden von einer solchen Welle zuweilen mit Mann und Maus verschluckt. In jedem Jahr hört man von Schiffsunfällen, bei denen die Katastrophe so schnell hereinbrach, daß selbst die modernsten Funkgeräte nicht mehr bedient werden konnten. Kleine Yachten hingegen schwimmen wie Korken auf dem Meer, sie drehen meist rechtzeitig bei, und die Riesenwellen können nicht auf sie einstürzen.

Als ich mit dem Faltboot über den Atlantik segelte, traten in den letzten drei Wochen steife und stürmische Passatwinde auf, die Wellen von einer durchschnittlichen Höhe von fünf bis sieben Metern erzeugten. Die Seen waren deshalb so hoch, weil der starke Wind schon seit längerer Zeit blies und weil sie auf den weiten Strecken, die sie zurückgelegt hatten, entsprechend anwachsen konnten. Aus dieser wildbewegten Meeresfläche ragten zusätzlich hin und wieder riesige, turmhohe Wellenkämme heraus, die mit lautem Getöst. in sich zusammenbrachen – ein Anblick, der mir Schauer den Rücken hinunterjagte. übrigens kann der „gezackte“ Horizont, der bei stürmismem Wetter auftritt und den jeder Seemann kennt und fürmtet, eine Vorstufe zu den haushohen Seen sein.

Kommodore Hayes von der S.S. Majestic geriet 1923 in einen Orkan, der die Seen bis zu 28 Meter hoch peitschte. Die Rekordhöhe aber wurde im Februar 1933 auf dem amerikanismen Marinetanker „Ramapo“ im Stillen Ozean verzeimnet … Auf seiner Fahrt von Manila nach Südkalifomien geriet das Schiff in eine Tiefdruckstörung, die sich über den ganzen Pazifik ausdehnte und in deren Gefolge die Winde von Sturm- auf Orkanstärke anschwollen. Als der Sturm seinen Höhepunkt erreichte, beobachtete der wamhabende Offizier, wie im hellen Mondschein eine von amtem aufkommende See zu solcher Höhe emporschnellte, daß sie über dem Krähennest des Hauptmastes zu sehen war. Da die „Ramapo“ in einem Wellental, dazu eben, lag, war es für ihren Kapitän R. P. Whitemarsh einfach, durch eine geometrisme Zeimnung die Höhe dieser Welle zu bestimmen: 34 Meter!

Trotz ihrer unglaublimen Höhen sind Windwellen weniger gefürmtet als die weitaus gefährlimeren Brandungswellen vor den Küsten, in denen die meisten Schiffe zerschellen, die unglücklimerweise hineingeraten. Am schlimmsten sind diese Wellen, wenn sie durm Erdbeben entstehen.

Als 1883 die zwischen Sumatra und Java gelegene Insel Krakatau explodierte, brauste eine etwa 30 Meter hohe Welle über die anliegenden Küsten der Sunda-Straße hinweg, zerstörte Dörfer, warf Dampfer weit ins Innere der Inseln und riß Zehntausende von Menschen mit sich ins Meer.

Es gibt noch höhere Wellen, die hömsten aller Meereswellen. Sie erreichen rund 100 Meter Höhe – und doch kann man sie nicht sehen, denn sie entstehen tief unten im Meer, wo Wasserrnassen versmiedener Temperaturen aufeinandertreffen. Forschungsschiffe sind diesen Wellen, die von den Ozeanographen „innere Wellen“ genannt werden, durm Temperaturmessungen, bei denen die Thermometer tief ins Meer gelassen wurden, auf die Spur gekommen.

 

In allen Weltmeeren fließen tiefe Strömungen, die noch kaum erforscht sind.

Wüste und Oase im Südatlantik

Die Fahrt nach Ascension verlief so ereignislos, wie man es erwarten konnte. Am zwölften Tage morgens erschien die dunkle Linie der Insel am Horizont, doch erst am Abend konnte ich in der Südwestbai ankern, und am nächsten Morgen verholte ich die LIBERIA nach dem kleinen Ort Georgetown.

Ascension ist eine Bergspitze, die aus dem mächtigsten Gebirgsmassiv unserer Erde, der Atlantischen Schwelle, herausragt. Diese Bergkette zieht sich 15.000 Kilometer von Island über die Azoren und Ascension zum Südatlantik, fast bis zur Antarktis hin; meist sind ihre Gipfel von vielen hundert Metern Wasser bedeckt.

Ganz Ascension scheint auf den ersten Blick aus rostbrauner Asche zu bestehen; einige 40 junge Vulkankrater haben ihr Innerstes nach außen gestülpt und einen Effekt erzielt, der der Insel die Bezeichnungen „Des Teufels Aschengrube“ und „Des Teufels Tintenfaß“ eingebracht hat. Bereits im Jahre 1501, als der portugiesische Admiral Joao da Nova Gallega die Insel durch Zufall entdeckte, sah er nichts als kahle braune Berge und Krater. Kein Baum, kein Strauch, kein Gras, kein Lebewesen war in Sicht, nur ein paar Schildkröten umschwammen die wenigen Sandufer.

Der berühmte Kapitän William Dampier machte 1699 auf Ascension Schiffbruch und hatte so selbst Gelegenheit, Robinson Crusoe zu spielen. Er war es ja, der das Robinson-Modell Alexander Selkirk auf den Fernandez-Inseln zurückgelassen hatte und der den freiwilligen Eremiten später auch wieder abholte und mit nach England nahm. Dampier wurde bald aus seiner mißlichen Lage befreit; zurückgeblieben ist sein Goldschatz – munkelt man auf Ascension.

Auf die öde Insel besann man sich erst wieder, als Europa St. Helena zur kostenlosen Erholungsstätte für Napoleon gemacht hatte. Die Briten fürchteten, Napoleon könnte von Ascension aus befreit werden und nahmen die Insel deshalb in Besitz. Der große Korse aber starb schon wenige Jahre später – die Briten indessen sind auf Ascension geblieben.

Zu allen Zeiten des Jahres weht der Südostpassat über die Insel, so daß man die Hitze selten als lästig empfindet. Außerdem ist die Luftfeuchtigkeit sehr gering. So hat man die Insel früher als „keimfrei“ und ihr Klima als besonders gesund betrachtet und dort die Boote Station machen lassen, deren Besatzungen sich in Westafrika im Kampf gegen die Sklavenhändler Malaria und Gelbfieber zugezogen hatten.

Heute spielt Ascension eine große Rolle als Kabelverbindungsstation und als Beobachtungspunkt für die amerikanischen Raketenversuche.

So kahl, so wüstenartig, so abstoßend Ascension auf den ersten Blick aussah, so unerwartet angenehm wurde mein Aufenthalt dort – dank der britischen „Cable and Wireless Ltd.“, die die Insel regiert und deren Gast ich war.

Mit dem Direktor der Kabelstation, Mr. Harrison, der auch für alle Verwaltungsfragen verantwortlich ist, fuhr ich zum höchsten Berg der Insel, zum Green Mountain, einer köstlichen Oase inmitten einer kahlen Umgebung. Die Engländer haben den Berg systematisch bebaut und zu einer glüddichen Kombination von Naturschutzpark und Farmland gemacht. Aus aller Herren Länder führten sie Pflanzen und Tiere ein. Auf den Weiden grast das Vieh, das zur Farm gehörte, welche die rund 200 Angestellten und Arbeiter der Kabelstation mit Lebensmitteln versorgt.

Der Gipfel des Green Mountain ist 850 Meter hoch und trägt einen dichten Bambuswald, in dessen Innern sich ein kleiner Teich mit märchenhaften lilafarbenen Seerosen verstemt. Aber nicht nur (importierter) Bambus wächst auf dem Berg, sondern auch aus Australien stammende Akazien und Eukalyptusbäume, Zedern von den Bermudas, Eiben aus Südafrika und das berühmte australische Gras Paspalum dilatatum, das sich so außerordentlich gut zur Verwandlung öder Sandflächen in üppige Weiden eignet.

Im letzten Krieg vollbrachte dieses Gras in Libyen wahre Wunder: einzelne Samen körnchen hatten sich in die Uniformen und Wagen australischer Soldaten verirrt, ließen sich nun in den afrikanischen Sand fallen und begannen sogleich zu keimen, Wurzeln zu schlagen und Halme zu treiben. Im Nu wurde das ödland hier und da grün. Paspalum Rasen und -Weiden habe ich auch schon in Marokko, Dakar und in Port Gentil gesehen.

Auf dem Farmland von Ascension wachsen Ananas, Kartoffeln, Advokado-Birnen, Dattelpalmen, Ingwer-Stauden und Salbeisträucher. Bienenstöcke für die Befruchtung der Pflanzen hatten erst eingeführt werden müssen. Zu den vielen Seevögeln gesellten sich St. Helena-Kanarienvögel und Kardinäle.

Am Fuße des Green Mountain durchwanderten wir einen Hain, auf dessen Bestand früher jene Segelschiffe zurückgreifen konnten, deren Mast gebrochen war. Es ist die berühmte Norfolk Island-Kiefer, die an der Osts ei te der Insel diesen kleinen Reservewald bildet.

Auf der sonst öden Insel fällt nicht einmal ein Zehntel so viel Regen wie auf dem Grünen Berg, aus dessen Hängen tropfenweise Drips, spärliche Quellen, sickern. Die berühmteste von ihnen ist nach Dampier benannt worden, weil sie ihm und seiner Besatzung das Leben rettete. Ansonsten dienen Zisternen, in denen Regenwasser aufgefangen wird, der Wasserversorgung.

Wasser ist auf der Insel knapp – um so mehr wußte ich die Einladung des Managers zu einem täglichen Bad zu schätzen. Regnet es wirklich einmal, dann gleich in tropischen Wolkenbrüchen, die binnen Stunden die rote Insel grün werden lassen. Aber die Kehrseite dieser Verwandlung ist weniger erfreulich: Moskitos, Grillen, Heuschrecken und Kakerlaken vermehren sich so rasend schnell, daß sie den Algen Konkurrenz machen könnten. Sie werden zu einer wahren Plage, gegen die man sich nicht wehren kann.

Auch die Ratten sind keine angenehmen Inselbewohner. Als treueste Begleiter der Menschen kamen sie mit den gestrandeten Segelschiffen auf die Insel und richteten sich dort häuslich ein. Sie haben zusammen mit wildernden Katzen auf Ascension ungeheuren Schaden in den Brutkolonien der Seevögel angerichtet. Groteske Schauspiele, wie sie sich die Natur nicht besser hätte ausdenken können, sind die erbitterten Zweikämpfe zwischen Ratten und riesigen Landkrabben – beide scheinen des anderen Fleisch als Delikatesse zu schätzen. Da sie beide gleiche Gewinnchancen haben, geht keiner dem anderen aus dem Weg, sondern greift an, sobald er hungrig ist und setzt nach dem Siege zum Festschmaus an – oder aber bezahlt seinen Appetit mit dem Leben.

Ascension und die Riesenschildkröten

Die Insel Ascension und ihre Schildkröten sind ein Begriff. Diese Tiere mußten einst ihr kaltblütiges Leben lassen, damit die Stadtoberhäupter von London oder die Lords der Admiralität eine heiße Suppe auf den Mittagstisch bekommen konnten. Zum Glück besitzen die grüne und die Lederschildkröte von Ascension kein Schild platt, sonst wären sie sicher schon ausgerottet.

Vorwiegend von Februar bis April kommen die Weibchen schwerfällig durch die Brandung gekrochen, um an Land jenseits der Brandungszone ihre Eier zu vergraben. Manchmal werden sie auch bei ihrem Landgang recht unsanft gegen Riffs geworfen, wie entsprechende Schönheitsfehler auf ihren Panzern beweisen.

Auf dem Fußballplatz der Insel – er liegt direkt am Strand – sah ich mehrere Bahnen von Schildkröten. Sie sehen wie die Spuren einraupiger Tanks aus. Gerade in Höhe des Elfmeterpunktes hatte ein Weibchen aus lauter Bosheit ein Loch gescharrt. üb es später seine Eier dort ablegte, kann man nicht sagen, da die Tiere meist mehrere Löcher kratzen, bevor sie legen. Sie tun das mit allen Vieren und bilden dann über dem auserwählten Loch mit ihren Hinterfüßen eine Art Rollbahn, auf der die Ping-Pong-Eier aus dem Panzerschrank in ihr Geburtsbett rollen.

Nach etwa acht Wochen schlüpfen die Jungen aus und müssen sich ohne Anleitung erst einmal durch den Sand nach oben buddeln, um auf dem schnellsten Weg ins Wasser zu gelangen, denn überall lauern Gefahren auf die Kleinen: Fregattvögel kreisen in der Luft, Ratten und Katzen streichen umher, und sollte gerade ein Tölpel vorbeifliegen, wird er sich diesen zarten Braten auch nicht entgehen lassen. Manchmal gibt es auch unvorhergesehene Zwischenfälle. In Georgetown lief einmal in einem Haus am Strand ein Motor. Eines Morgens zogen sämtliche, soeben ausgeschlüpfte Schildkröten in gelockertem Gänsemarsch in dieses Haus – die Vibration hatte offensichtlich ihren Instinkt aus dem Gleichgewicht gebracht.

Nur zwei Prozent der ausgeschlüpften Jungen bleiben am Leben, denn im Wasser setzen Haie, Barrakudas und Seevögel die Verfolgungsjagd fort. Als Nahrung dienen den Seeschildkröten Seegras und Quallen, an denen sie sich keineswegs den Kopf verbrennen: er ist zu hart.

Die Schildkröte vermag sich, liegt sie einmal auf dem Rücken, aus eigener Kraft nicht wieder aufzurichten. Daher bezeichnen die Engländer einen Menschen, der sich in einer hilflosen Lage befindet, als turned turtle, umgedrehte Schildkröte.

Mir wollte der Manager der Insel eine Riesenschildkröte schenken; seine Boys hatten zu diesem Zwecke ein solches Reptil am Strand auf den Rücken gedreht, um es am nächsten Morgen zu schlachten (Schildkrötenfleisch schmeckt wie trockenes Rindfleisch) und mir den Panzer zu überlassen. Gegen Mitternacht jedoch machte ein romantisch veranlagtes Paar im Mondschein einen nicht einkalkulierten Spaziergang und stieß auf die „verunglückte“ Schildkröte. Es drehte das Tier wieder auf die Füße, und sicher schwimmt es noch heute im Ozean herum.

Besuch auf einer Vogelinsel

Schon seit acht Monaten hielten sich auf Ascension vier britische Ornithologen zu Studienzwecken auf. Sie erzählten mir, sie hätten alle Segler, die in jener Zeit die Insel anliefen, eingehend interviewt, in der Hoffnung, interessante Beobachtungen aus der Vogel welt zu hören zu bekommen – jedoch zu ihrem Leidwesen niemals Antworten erhalten, die für sie verwendbar gewesen wären.

Da ich auf meinen Reisen alle Seevögel, die mir über den Weg flogen, sorgfältig beobachtet hatte, steckten wir bald in Fachgesprächen. Die Wissenschaftler waren überrascht, als ich ihnen sagte, daß ich auf meinen Atlantiküberquerungen eine ungefähre Ortsbestimmung nach dem Auftreten von bestimmten Vogelarten vornehmen konnte.

Auf Ascension nisten unzählige Vögel, vor allem Tausende von Rußseeschwalben, die die amerikanischen Flieger im letzten Krieg vor schwierige Aufgaben gestellt haben. Die Amerikaner hatten auf der Insel einen bedeutenden Luftstützpunkt errichtet, der direkt an die Brutkolonie der Rußseeschwalben grenzte, jedoch die Vögel dachten nicht daran, ihren Brutplatz aufzugeben – schließlich besaßen sie ältere Rechte. So mußten die Amerikaner ein besonderes Kommando einsetzen, das die Vogeleier, etwa 40.000 an der Zahl, zerstörte, worauf sich die empfindlicheren unter den Rußseeschwalben, höchst empört über diese Barbarei, ein anderes Nistquartier suchten. Doch nicht genug der Schwierigkeiten an Land: in der Luft kam es sogar zu Zusammenstößen zwischen den Vögeln und den Flugzeugen, und mehrere Maschinen stürzten ab.

Unfälle dieser Art sind nicht selten: im Pazifik erlitten während des letzten Krieges einige Luftstützpunkte der Amerikaner mehr Verluste durch Seevögel als durch Feindeinwirkung. Am schlimmsten hatten und haben noch immer die Marineflieger auf der Insel Midway im Pazifik zu leiden. Albatrosse verursachten fünfhundert Zusammenstöße mit Flugzeugen. Wenn sie in Scharen auftraten, störten sie überdies die Radarbeobachtungen der Station, so daß die Redartechniker sich langsam die Haare zu raufen begannen.

Was tun? Es blieb den Marinern gar nichts anderes übrig: sie erklärten den Vögeln den Kampf. Mit Knüppeln droschen sie auf die zutraulichen Tiere ein und schlugen Tausende von ihnen tot. Dann aber warfen sie die Knüppel stöhnend weg und weigerten sich, ihr blutiges Werk fortzusetzen, denn die Vögel hatten sich arglos an ihre Mörder gedrängt, als wäre es eine besondere Gnade, vom Homo sapiens totgeschlagen zu werden. Das machte sogar die hartgesottensten Männer weich.

Also versuchten sie es auf weniger blutige Art und Weise: sie wollten sie ausräuchern. Doch die Albatrosse ließen sich nicht so schnell ins Bockshorn jagen. Als sich der Rauch verzogen hatte, kamen sie zurückgeflogen. Die unglücklichen Marineflieger ersannen eine neue Methode: sie raubten den Vögeln die Eier; aber die schwingengewaltigen Albatrosse flogen so lange schimpfend und kreischend und bittend über den Eierräubern umher, daß denen der Kopf smwirrte und sie die Eier wieder zurückbrachten.

 

Nun begannen sie, die Vögel auf entlegene Inseln zu deportieren – vergebens! Schon nach wenigen Tagen kehrten die hartnäckigen Tiere zurück und wurden von ihren daheimgebliebenen Brüdern freudig begrüßt. Da gaben die Soldaten es auf. Es scheint, daß sie den Albatrossen den „totalen Krieg“ er klären müssen, wenn sie ihren Stützpunkt behaupten wollen.

Bei Ascension gibt es eine Insel, die ausschließlich von Vögeln bewohnt und beherrscht wird; sie heißt „Boatswain-Island“. Diese Vogel insel war natürlich ein idealer Studienort für die Ornithologen. Mit der LIBERIA fuhren wir hinüber; es sind von Georgetown nur knappe zehn Seemeilen. Die Insel ist durch einen rund 200 Meter breiten Kanal von dem steilen Vulkanufer Ascension getrennt und wird dadurch zum Paradies für die Seevögel, die auf ihr nisten: hier werden sie nicht durch Ratten, wilde Katzen und Menschen in ihren Brutgeschäften gestört!

Vom Meere her gesehen ist die Vogel insel wenig attraktiv: ein kahler, grauer Felsen, mit einer schmutzig-weißen Haube aus Guano bedeckt – dem Mist der Seevögel, der sich in Jahrtausenden angehäuft hat. Vom Guano ist einst ein ganzer Staat reich geworden: Peru. Obwohl im Guano keine noch so widerstandsfähige Pflanze leben kann – sie wird sofort verbrannt –, dient er, in homöopathischen Dosen verabreicht, wegen seines Stickstoff- und Phosphatgehaltes als Düngemittel.

Wir ankerten an der Nordwestseite der Insel und setzten mit dem Schlauchboot über. Mit einem Bootshaken holten die Ornithologen eine Strickleiter von der steilen Felswand herunter, und dann konnten wir auf eine Plattform klettern, auf der sich die Wissenschaftler eine Hütte gebaut hatten. Früher hatte hier einmal eine Guanofirma „geschürft“; von ihr stammen die Plattform und die bereits durchgerosteten Reste der Gleisanlagen. Wohin der Blick auch ging, man sah nichts als Seevögel: große und kleine, weiße und schwarze, scheue und freche, neugierige und desinteressierte, zierliche und plumpe. Jeder baut seinen Nistplatz so, daß auch der längste Hals und der spitzeste Schnabel des Nachbarn ihn nicht erreichen kann. Dringen fremde Vögel in diesen Tabu-Bereich ein, werden sie unbarmherzig attackiert und weggejagt. Da es Vögel gibt, die keinerlei Hemmungen haben, die Jungen ihres Nachbarn mit Wohlbehagen zu verspeisen, bleibt ein Elternteil stets beim Nest oder in unmittelbarer Nähe, um Eindringlinge zu vertreiben.

Die Ornithologen hatten jedem Nest eine Hausnummer aufgepinselt; sie versahen die Vögel mit einem „Paß“, indem sie sie beringten, und zum Teil färbten sie sogar ihr Gefieder. In unendlich mühevoller und langwieriger Arbeit katalogisierten und fotografierten sie den Bestand der Insel, in Hunderten von Arbeitsstunden errechneten sie, wieviele Vertreter einer jeden Vogelart es dort gab. Bestandsaufnahmen dieser Art werden in den entlegensten Winkeln der Erde durchgeführt.

Unmittelbar neben der Hütte saß ein Maskentölpel, der uns so lange gleichgültig betrachtete, wie wir uns außer Reichweite seines langen spitzen Schnabels hielten. Rückten wir ihm jedoch näher, flog er nicht etwa davon, sondern schimpfte laut und hieb nach unseren Beinen. Angst kennen die Tölpel nicht. Sie lassen sich deshalb trotz der Schnabelhiebe, die sie nach allen Seiten austeilen, leicht fangen, weshalb sie von den Seeleuten auch ihren Namen erhalten haben, der im Grunde wenig zu ihnen paßt, denn sie sind gewandte Stoßtaucher und hervorragende Flieger. Wie die Kormorane opfern sie nur wenig Zeit für Dinge, die nicht unmittelbar mit ihrem Nahrungserwerb oder ihrer Erholung an Land zusammenhängen.

Männchen und Weibchen kann man an ihrem verschieden gefärbten Federkleid erkennen, aber auch an ihren unterschiedlichen Pfeiftönen. Wir beobachteten blaugesichtige Maskentölpel, Rotfußtölpel, die ein ganz ähnliches Aussehen haben, und Weißbauch- oder braune Tölpel, die man in den Tropen am häufigsten antrifft. Tölpel gibt es auch bei uns im Norden, zum Beispiel den Baßtölpel.

Inzwischen waren wir sehr vorsichtig an den Felshängen herumgeklettert, weil deren obere Schichten sich im Laufe der Jahrtausende durch die Einwirkung des Guanos gelod{ert und zum Teil zersetzt haben, so daß sie unter unseren Händen und Füßen zu bröckeln begannen. Es fehlte nicht viel, und wir wären im Meer gelandet!

An den Steilwänden hatten Seeschwalben ihre Gehege. Da brüteten Rußseeschwalben, die von den Engländern ihres Tag und Nacht dauernden Schreiens wegen Wideawake (hellwach) genannt werden. Da gab es ferner die zierliche weiße Feenseeschwalbe, die ich später auf der Weiterfahrt nach Trinidad fortwährend wiedersah. Auch eine Bekannte aus Westafrika traf ich auf der Insel in riesigen Scharen wieder: die Noddiseeschwalbe und nicht weit davon entfernt die Baumnoddiseeschwalbe, die ihr ganz ähnlich sieht.

Aus einem künstlich angelegten Nistkasten holte einer der Ornithologen ein fettes Junges in grauem Dunenkleid hervor. „Erkennen Sie ihn? Die ausgewachsenen Vögel dieser Art haben Sie bestimmt tausendfach auf dem Meer gesehen.“

Es handelte sich um eine Sturmschwalbenart, das war mir klar, aber um welche, konnte ich beim besten Willen nicht sagen. Der Ornithologe erklärte es mir: „Ein Madeira-Wellenläuferl“

Wirklich – das hätte ich nicht erraten! Zwar waren mir die Madeira-Wellenläufer auf meinen Fahrten von allen Vögeln am häufigsten begegnet, nicht nur in Küstennähe, sondern auch mitten auf dem Atlantik. Wenn sie auch von meinem Boot keine Notiz nahmen, so hatten mich doch oft ihre spielerischen Versuche erfreut, möglichst elegant über den Wellen einherzuspazieren, und ich hatte sie selbst in Stürmen bewundert, wenn sie unbekümmert ihr tänzerisches Spiel trieben. Ich kannte sie also recht gut. Aber dieses Junge war beträchtlich größer als die erwachsenen Tiere, die starengroß, die kleinsten Seevögel sind. Und wie bei allen Jungen hatte sein flaumiges Federkleid eine andere Färbung als das Gefieder, das es bekommt, wenn es erwachsen ist. Es war übrigens seinem Dunenkleid schon fast entwachsen und so groß, daß die Eltern es bald verlassen konnten. Allein gelassen würde es bis zum Wachsen der richtigen Federn hungern müssen und wieder normale Größe annehmen.

Auch andere Seevögel verlassen ihre Jungen, wenn sie glauben, daß sie groß genug sind, um sich selbst ernähren zu können; sie kümmern sich dann nicht mehr um die Futterbettelei ihrer Brut; ihre ganze Liebe zu ihren Sprößlingen scheint erloschen. Das geht so weit, daß die Eltern die Jungen in diesem Stadium zuweilen sogar angreifen und töten.

„Schauen Sie sich diesen Vogel an!“ forderten mich meine Begleiter auf und zeigten mir ein unauffälliges Tier mit dunkler Oberseite und schwarzem Schnabel, das in den Felsenklippen auf der Spitze der Insel nistete. Diesmal erkannte ich es gleich, denn ich war ihm früher schon auf dem Nordatlantik begegnet: Audubon – Sturm taucher. „Wir sind die ersten, die ihn hier entdeckt haben, bisher wußte man noch nicht, daß er auf dieser Insel brütet“, erzählte mir einer der Ornithologen.

Mitten unter allen diesen friedlichen Vögeln, die eifrig ihrem Brutgeschäft nachgehen, haust erstaunlicherweise ein Marodeur übelster Sorte, der Adlerfregattvogel. Wie in früheren Tagen Fregatten die Kauffahrteischiffe überfielen und zur Herausgabe ihrer Fracht zwangen, so zwingt dieser Vogel mit wenig Sinn für Ästhetik Tölpel, Seeschwalben und Tropikvögel dazu, ihre Beute zu erbrechen, schnappt sich noch in der Luft den herausgewürgten Leckerbissen und frißt ihn selbst auf. Und wehe dem Vogel, der nicht rechtzeitig spurt! Wir sahen mehrere verletzte Tölpel und Seeschwalben, die offensichtlich der Krummschnabel eines Fregattvogels gelehrt hatte, das nächste Mal schneller zu gehorchen.

Warum dieser große Räuber sich nicht auf die Eier und Jungen seiner Tölpel-Nachbarn stürzt, ist mir ein Rätsel, denn er ist der größte und kräftigste Vogel der Insel und bräuchte sich vor den Schnabelhieben der Tölpel nicht zu fürchten.