Maritime E-Bibliothek: Sammelband Abenteuer und Segeln

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Le grand docteur

Schweitzers Bücher und Appelle sind in viele, viele Sprachen übersetzt worden. Seinen Ruf vernahm man überall, nur die intellektuellen Afrikaner hörten ihn nicht. überraschend wenige Afrikaner außerhalb von Gabon kennen sein Werk. Die wenigen, mit denen man darüber sprechen kann, bemängeln, daß Albert Schweitzer den Schwarzen „nur“ hilft, anstatt sie zu erziehen, zu belehren oder zu schulen.

Aber der einsamen Pioniertat dieses großen Mannes kann Afrika nur gerecht werden, wenn es nicht vergißt, daß Schweitzer als Arzt zu ihm kam, nicht als Missionar. Im Gegensatz zu den Missionen hatte er sich nicht die Erziehung und Ausbildung der Afrikaner zur Aufgabe gesetzt, sondern lediglich die Heilung ihrer Kranken.

Lediglich? Man darf heute nicht verkennen, wie groß und schwer allein diese Aufgabe in den Anfängen war, in einer Zeit, da Afrika noch der unerforschte, von Krankheiten verseuchte Kontinent war, der dringend medizinischer Hilfe bedurfte und opferbereiter, selbstloser Menschen.

Am nächsten Morgen machte ich eine staunenswerte Beobachtung. Albert Schweitzer beaufsichtigte eine Arbeit, die kaum in den medizinischen Bereich gehört: er ließ einen seiner Einbäume aus dem Wasser ziehen und an Land schleppen. Auf Holzrollen und unter viel Lärm und Geschrei der Schwarzen zogen und schoben Afrikaner wie Europäer das Boot umständlich und unter großem Zeitaufwand aufs Trockene. Schweitzer gab nicht nur Anweisungen – er faßte auch tüchtig selbst mit an.

Als eine Entenmutter mit ihren drei Tage alten Jungen vorbeiwatschelte, schrie er warnend auf französisch: „Achtung, stop, alle Mann aufpassen!“ und breitete schützend seine Hände über den Tieren aus.

Den Schwarzen machte das Ganze einen Heidenspaß, sie kicherten in allen Tönen, alberten und schrien herum, so daß Schweitzer schließlich eine Arbeitsschürze nehmen und sie mit leichtem Klaps wieder anspornen mußte.

Ich war enttäuscht! In ganz Afrika würde kaum ein Weißer für eine solche Arbeit auch nur eine Minute verschwenden, geschweige denn eine Stunde. Albert Schweitzer aber, eine der berühmtesten Persönlichkeiten unserer Zeit, überwacht mit Argusaugen eine Arbeit, die weder schwierig noch wichtig ist. Drei Weiße helfen ihm eine Piroge aus dem Wasser ziehen. Und eine ganze Schar Schwarzer spielt mit – eines jener Dinge (es gibt deren mehrere in Lambarene), bei denen man sich entscheiden muß, ob man verstehen kann oder ablehnt.

Später erklärte mir Schweitzer, er vertrete auf Grund seiner jahrelangen Erfahrung die Ansicht, es sei am ökonomischsten, wenn er sämtliche Arbeiten selbst kontrolliere und überwache. Und das tut er auch heute noch, trotz seiner bald 90 Jahre. Tatsächlich werden nahezu sämtliche Arbeiten im Spitaldorf von Schweitzer selbst angeordnet, beaufsichtigt und zum Teil selbst ausgeführt. Er ist Tropenarzt, Tierarzt, Zahnarzt, Apotheker, ja, Architekt – entwarf er doch selbst die Pläne für sein Haus in Günsbach, das er vom Goethepreis, den er 1928 erhielt, finanzierte. Er ist Bootsbauer, Maurer, Tischler, Dachdecker, Farmer und Gärtner. Alle handwerklichen Fertigkeiten hat er autodidaktisch erlernt, durch übung und Erfahrung. Arbeit ist Schweitzers Lebenselement. Man spürt, daß bei ihm weder Geist noch Körper jemals Zeit hatten, einzurosten. Nur seinem stets wachen, alles ordnenden und überschauenden Intellekt hat er es zu verdanken, daß sein Arbeitspensum nicht zur Last wird, die ihn erdrückt.

Bei Tisch saß ich dem „Großen Doktor“ gegenüber. „Sagen’s ruhig Herr Schweitzer zu mir, das tut hier jeder!“ bot er mir an. Wir sprachen über Segler und Expeditionen, über Philosophie – Schweitzers Ansicht nach haben die Stoiker und Hegel sein Denken am meisten beeinflußt – und Psychologie: „Ich bin niemals ein guter Psychologe gewesen und habe mir auch niemals Mühe gegeben, einer zu werden. Das liegt mir nicht“, sagte er.

Das Essen war für meine Begriffe reichhaltig und gesund. Es gab Gemüse aus dem eigenen Garten, sowie Obst von der eigenen großen Plantage, darunter ein Mus aus dem Zytheraapfel, das sich in seinem Geschmack kaum von unserem Apfelmus unterschied.

Am zweiten Abend hielt ich einen Lichtbildervortrag über meine beiden ersten Fahrten. Zu diesem Zweck ließ Schweitzer extra die Lichtmaschine anstellen – sonst arbeitet alles bei Petroleumlampen. Schweitzer schien jedem Wort zu lauschen, mehrmals gab er Erläuterungen, die sein umfassendes Wissen verrieten. Zum Schluß drückte er mir die Hand: „Sie müssen unbedingt wiederkommen und dann mehr Zeit mitbringen!“

Diese Einladung des Mannes, den ich als eine der größten Persönlichkeiten unserer Zeit verehre, freute und ehrte mich vor allem deshalb besonders, weil ich weiß, daß Schweitzer jegliche Publizität verabscheut und darum auch den steten Strom von Besuchern, Gästen und Touristen in sein Reich nicht sonderlich liebt.

Einige Male nahm Schweitzer mich mit in sein Arbeitszimmer. Es ist überladen mit Büchern, Zeitschriften, Artikeln – alles deutet darauf hin, daß hier rastlos gearbeitet wird. Spartanische Einfachheit überall! Aus dem Nachbarraum kam Schwester Mathilde Kottmann, Schweitzers engste und vertrauteste Mitarbeiterin, und verband ihm ein Tropengeschwür am Bein, das er schon jahrelang mit sich herumschleppt, ohne sich dadurch jemals von der Arbeit abhalten zu lassen. Wenn es ihm so zu schaffen macht, daß er nicht mehr laufen kann, läßt er sich zu seinen Patienten tragen.

Inzwischen hatte Schweitzer in einer Zeitung die neuesten Nachrichten überflogen, und wir kamen ins Gespräch über die politische Weltlage. Freimütig und impulsiv sagte er seine Meinung. Distanz und ein überlegener, scharfer Blick lassen ihn große Zusammenhänge klar erkennen.

Die Zukunft Afrikas? „Afrikaner sind nur in persönlichen Dingen – einzelnen gegenüber – dankbar, Nationen gegenüber hingegen niemals. Frankreich wird keinen Dank ernten. Deutschland kann von Glück sagen, daß es keine Kolonien mehr hat. Es wird zu Spannungen zwischen den afrikanischen Ländern kommen, da nahezu alle Grenzen in Afrika künstlich angelegt und nicht natürlich gewachsen sind.“

Während Schwester Mathilde das Bein verband und Schweitzer in die neuesten Berichte schaute, warf ich einen Blick aus dem Fenster. Zwei schlichte Kreuze stehen im hohen Gras vor Schweitzers Arbeitszimmer: sie sind dem Gedenken seiner Frau und seiner treuen Mitarbeiterin Emma Haußknecht gewidmet. Schweift der Blick weiter, so stößt er schließlich auf den Ogowefluß, der im Schatten hoher Mangobäume seine gelben Gewässer träge vor sich her schiebt.

Schweitzer schenkte mir Schriften, alte Karten und Fotografien, die er alle in sorgsamer, sauberer Schrift mit Widmungen versah. Dann schrieb er mir ein paar Zeilen ins Bordbuch; als er feststellte, daß für jeden Eintrag eine ganze Seite zur Verfügung stand, mahnte er: „Mein Lieber, das ist Verschwendung! Ich könnte mir das nicht leisten!“

Von Schweitzers vielen Mitarbeitern aller Nationalitäten und Rassen lernte ich zwei näher kennen: Professor Dr. Mai, den Leiter der Universitätskinderklinik in Münster und Dekan der medizinischen Fakultät, der nach Lambarene gekommen war, um während der Semesterferien seine Zeit und Kraft in den Dienst einer guten Sache zu stellen. Und dann Olga Deterding, die Tochter des Shellkönigs. Olga hat trotz ihrer Bildung, ihrer Erziehung und ihres Reichtums etwas von der Schlichtheit eines holländischen Landmädchens an sich. Als der alte Sir Henri Deterding starb, hinterließ er Olga zwar einige Millionen Dollar, aber kein Heim, in dem sie Ruhe und Glück fand. Sie reiste unstet von einem Ort zum andern, tauchte bald in Hongkong, bald in Honolulu auf; in New York kannte sie sich ebenso gut aus wie in Monte Carlo. Wohin sie kam, hefteten sich Verehrer an ihre Fersen.

Enttäuscht flog sie mit einer Freundin nach Ostafrika; in Nairobi erlitt sie einen Zusammenbruch. In der Klinik fiel ihr – so heißt es – ein Buch über Albert Schweitzer in die Hände, das sie in Begeisterung versetzte.

Eines Tages tauchte sie in Lambarene auf; sie hoffte, endlich eine Aufgabe zu finden. Da sie den Schwesternberuf nicht erlernt hatte, arbeitete sie als einfache Hausangestellte und fügte sich, allen stillen Bedenken ihrer Umgebung zum Trotz, ausgezeichnet in die große Gemeinschaft der Helfenden in Lambarene ein.

Obwohl Olga noch einmal für ein Jahr nach Paris zurückging – wohl um sich zu vergewissern, daß sie dem Großstadtleben keinen Geschmack mehr abgewinnen konnte –, kehrte sie später wieder in das Urwaldhospital zurück. Zeitweise hat sie dem englischen Quäkerarzt Francis Catchpool assistiert, der während meines Besuches in Lambarene gerade in Europa weilte und von dem man sagt, er sei der einzige, der einmal Schweitzers Nachfolge antreten könnte. Es ist aber nicht anzunehmen, daß Olga in Lambarene eine Lebensaufgabe finden wird, wie die Schwestern Mathilde Kottmann, Ali Silver, Maria Lagendijk oder Tony van der Leer – dafür ist sie zu selbständig.

Schweitzers weiße Mitarbeiter sind vorwiegend Frauen, Krankenschwestern aus Holland, Elsaß-Lothringen, der Schweiz und aus Deutschland. Lambarene wird dominiert von der Persönlichkeit Albert Schweitzers – dann aber kommen die Frauen. Man hat den Eindruck, daß sie dort regieren. Das ist ein Eindruck, der weder Positives noch Negatives aussagt. Auch bei Schweitzers großem Schriftverkehr sind ihm Schwestern behilflich. Mathilde Kottmanns Schrift ist Schweitzers Handschrift auffallend ähnlich. Hat sie sie unwillkürlich der seinen angepaßt, oder schrieb sie schon vorher so?

Die männlichen Mitarbeiter wechseln häufiger. Als ich Lambarene besuchte, traf ich dort einen österreichischen, einen israelischen, einen japanischen und einen koreanischen Arzt. Dann Hilfskräfte, die auf der Durchfahrt waren und einige Monate bleiben wollten: Holländer, Schweizer, Deutsche, Amerikaner.

 

Meine Stunden in Lambarene waren gezählt, in Port Gentil wartete ein Boot. So schwer es mir fiel, ich mußte weiter. Während der Lotse mein Gepäck in den Einbaum brachte, kreisten meine Gedanken um die Frage: was wird aus Lambarene, wenn …? Schweitzer hat noch keinen Nachfolger bestimmt. Wer auch immer einmal seinen Platz ausfüllen wird, er vermag es nur als Mediziner – den Menschen Smweitzer, den Philosophen, den Theologen, den Bachforscher und Organisten kann keiner jemals ersetzen.

Lambarene war nichts ohne Albert Smweitzer, und es wird vielleimt nichts als eine historische Gedenkstätte sein, wenn der große Alte einmal nicht mehr ist.

Luxuspreise und Krokodile

In nur zwölf Stunden fuhren wir auf dem Ogowe von Lambarene nach Port Gentil zurück; das war die Hälfte der Zeit, die wir für die Fahrt flußaufwärts gebraucht hatten, als wir gegen die starke Strömung ankämpfen mußten.

Völlig durchnäßt von den Sturzbächen eines Tornados langten wir bei der LIBERIA IV an; sie lag zwar immer noch an ihrer Boje, hatte aber während meiner Abwesenheit auch ein paar Tornados über sich ergehen lassen müssen. Ihr Schanzkleid war aus den Fugen gerissen, und die Außenhaut hatte einige Kratzer abbekommen, aber das kann man nicht vermeiden, wenn die Strömung aus einer anderen Rimtung als der Wind kommt, das Boot gegen die Boje gesetzt wird und niemand an Bord ist, der es schützt. Auf alle Fälle war die LIBERIA nicht abgetrieben worden und an Land zersmellt – das war die Hauptsache!

Ich blieb noch ein paar Tage in Gabon, um mich auf meine dritte Atlantiküberquerung vorzubereiten. Aber ich litt – nicht etwa unter den Tornados, die weiterhin über mein Boot und mich hinwegbrausten, sondern unter den sündhaft hohen Preisen, die in Port Gentil verlangt wurden. Dieser Ort smien den zweifelhaften Ruhm zu genießen, das teuerste Pflaster Afrikas zu sein, allein das Haarschneiden kostete umgerechnet 8,50 DM! Trotz dieser Preise wächst die langweilige, brütend heiße kleine Stadt zusehends; sie schwimmt auf Öl, erzählten meine Bekannten, und dadurm entstehen natürlich ständig neue Arbeitsplätze.

Gabon ist eines der wenigen Gebiete Afrikas, in denen es noch von Großwild wimmelt: von Schimpansen, Gorillas, Elefanten, Flußpferden und Krokodilen. Albert Schweitzer erzählte mir, seine Obstplantagen seien früher häufig von Schimpansen geplündert oder von Elefanten niedergetrampelt worden.

Nicht selten hört man auch von überfällen durch Krokodile. So wurde ein 25 jähriger Europäer vor kurzem plötzlich von einer solchen Bestie erfaßt als er im Ogowe an seinem Boot arbeitete und bis zum Gürtel im Wasser stand. Er versuchte mit aller Kraft, dem Tier die Gurgel zuzudrücken – und tatsächlich: nach einer Weile ließ das Krokodil von ihm ab. Ein paar Stunden später konnte man den Schwerverletzten mit dem Privatflugzeug eines europäischen Holzfällers – diese Flugzeuge sind kein Luxus, sondern absolute Notwendigkeit in diesem unwegsamen Gelände – in ein Hospital bringen, wo es den Ärzten nach langen Bemühungen gelang, ihn zu retten.

Schlimmer erging es einem Seemann, der bei Außenbordarbeiten im Hafen von Port Gentil die Füße ins Wasser hängen ließ. Er wurde von einem Krokodil ins Wasser gerissen, und niemand konnte ihm mehr helfen.

Natürlich hielt ich stets Ausschau nach Krokodilen, wenn ich an Land paddelte, aber es ließ sich kein einziges blicken.

ACHTES KAPITEL
ZUM DRITTEN MAL ALLEIN ÜBER DEN ATLANTIK

Bevor ich Port Gentil verließ, verholte ich die LIBERIA IV noch einmal an die Mole, verstaute Proviant, tankte Wasser und Dieselöl und erhielt von André einen – Graupapagei.

Dieses Abschiedsgeschenk kam vollkommen überraschend. Zwar habe ich Tiere, besonders Vögel, sehr gern, aber an Bord hatte ich sie bisher noch nie genommen, das hielt ich für Tierquälerei.

Das einzige Tier, das mich vorher je eine Strecke auf hoher See begleitet hatte, war „Jim“, eine Heuschrecke, gewesen. Am siebten Tag meiner Überquerung im Faltboot saß „Jim“ plötzlich im Besanmast; wahrscheinlich hatte ihn der Passat von Afrika aufs Meer getrieben. Er blieb zwei Tage Gast an Bord, dann war er auf ebenso geheimnisvolle Weise wieder verschwunden – vielleicht vom Winde verweht, vielleicht entkräftet ins Wasser gefallen.

Unter großem Hallo der Segelfreunde vom „Yachtclub Ogowe“ legte ich mittags ab. Der Papagei war in einem Pappkarton recht notdürftig untergebracht, darin konnte er unmöglich über den Atlantik segeln. Also baute ich ihm zunächst einmal ein Vogelbauer aus einer Kiste, und da saß er nun, vollkommen verstört.

Inzwischen zerbrach ich mir den Kopf nach einem Namen. Schließlich taufte ich das Tier „Amigo“, denn um seine Freundschaft mußte ich jetzt werben: es war voller Angst, gab keinen Ton von sich und biß wütend in alles, was ich ihm vorsetzte. Verständlich! Wer wird schon gerne „zwangsverschleppt“? Jedoch am Abend schien Amigo es sich anders überlegt zu haben. Seine größte Wut war verflogen, er fing zu pfeifen an und fügte sich als geborener Philosoph und Optimist in das Unvermeidliche. Nur störte mich ein wenig, daß er ausgesprochen großzügig aß: das halbe Essen ließ er fallen.

Am zweiten Tag war Amigo wie umgewandelt, er pfiff mir freundlich zu, verriet mir seinen früheren Namen „Jacko“ und versuchte nicht mehr, in meine Finger zu beißen. Sobald ich mit ihm sprach, hielt er seinen Kopf hin, um gestreichelt zu werden. Ich hatte Hoffnung, daß wir beide ein gutes Team werden würden.

In den frühen Morgenstunden des zweiten Tages stand ich vor der winzigen spanischen Insel Annobón, die von Fernando Póo aus verwaltet wird. Nur alle acht Wochen einmal läßt sich ein Dampfer auf der Insel sehen – außer dem Funk die einzige Verbindung mit der Außenwelt. überraschend war es daher, daß ausgerechnet zur gleichen Zeit wie ich ein Flugzeugträger unbekannter Nationalität auftauchte. Er war übrigens genau so erstaunt wie ich und kam neugierig zur Nordseite der Insel, wo ich gerade vor dem Eingeborenendorf Anker warf.

Genau wie die anderen drei vulkanischen Inseln im Golf von Guinea, Fernando Póo, Principe und São Tomé erweckt auch Annobón den Eindruck einer Südseeinsel: aus einer Fülle tropischen Grüns, das ins kobaltblaue Meer eingebettet ist, ragen prächtige graublaue Felssilhouetten hervor. Vor den Strohhütten des Dorfes San Antonio erstreckt sich der grellgelbe Strand, an dem sich türkisfarbene Wellen zu weißem Schaum schlagen. Die grauen Dächer des idyllischen Dorfes werden von einer weißen Kirche und den Verwaltungsgebäuden überragt.

Während ich versunken dieses paradiesische Bild betrachtete, war ein großer Einbaum mit etwa zehn Afrikanern und zwei Spaniern längsseits gekommen, die ihre Dienstmiene aufgesetzt hatten. Als ich sie spanisch ansprach, verschwand die Dienstmiene auf der Stelle, und sie luden mich ein, an Land zu kommen und solange zu bleiben, wie ich nur wollte.

Muy bien – blieb nur das eine Problem, was ich mit Amigo machen sollte. Mitnehmen? Nein, ich würde ihn ja zur Nacht wiedersehen. Also stellte ich ihn in die Plicht; in der Kajüte hätte er sich allzu sehr geängstigt.

Die beiden Spanier hießen Rudolfo und Ricardo. Rudolfo war schwer bewaffnet, vielleicht wollte er einer eventuellen feindlichen Invasion seitens des Flugzeugträgers Widerstand leisten; „man kann ja nie wissen“, verteidigte er sich. Er war der „Gouverneur“ der Insel und vereinigte außerdem in seiner Person die Ämter eines Kantinenwirtes, Postmeisters, Polizeihauptmanns, Schiedsrichters bei Eingeborenenpalavern, Lotsen und Lagerverwalters. Ricardo dagegen war nur Krankenpfleger, Doktor und Hebamme; er richtete gerade ein neues Revier ein; wie ich war er nur Gast auf der Insel.

Lediglich alle zwei Monate – wenn der Dampfer kam – wurde den beiden etwas auf die Finger geschaut. Ansonsten war Rudolfo für zwei Jahre ungekrönter König in diesem Inselparadies; etwa 1500 Krausköpfe erwiesen ihm alleruntertänigste Ehre.

Allem Anschein nach war ich sein erster Gast. Grund genug, ein kleines Fest zu feiern. Rudolfo ließ ein Schwein schlachten, ein Huhn und eine Ziege. Während wir stundenlang speisten und mehrere Weinsorten probierten, heulte plötzlich der Wind durch die Fenster, begann es zu blitzen und zu donnern und in Strömen zu gießen. Man konnte keine 20 Meter weit sehen.

Nach einer Stunde schien wie üblich wieder die Sonne – man hätte nie geglaubt, daß in der Zwischenzeit ein Tornado über die Insel gebraust war. Mich beunruhigte das Schicksal Amigos. Mit meinem Schlauchboot pullte ich zur LIBERIA. Schon von weitem rief ich seinen Namen, aber kein Freund antwortete. Als ich in die Plicht kletterte, sah ich sogleich die aufgebrochenen Gitterstäbe. Amigo war durch den Tornado in Panik geraten, hatte in seiner Verzweiflung das Gitter auseinandergedrückt und war entflohen – in den Tod. Ich trauerte um ihn, von nun an wollte ich meinem Grundsatz treu bleiben und nie wieder ein Tier auf meinem Boot mitnehmen.

Wenn ich die Wahl hätte, würde ich von allen westafrikanischen Inseln Annobón den Schönheitspreis geben, so lieblich, friedlich und idyllisch ist es. Ich machte Ausflüge: zum Pico del Fuego, der wie ein erhobener Zeigefinger über die tropische Landschaft auf vulkanischem Grund ragt, zum Kratersee Lago Mazafin im Innern der Insel. In seinem flachen Uferwasser eilen Tausende und Abertausende von Gambusien umher, kleine Fische, die mit besonderem Genuß die Larven der Malaria übertragenden Mücken verzehren. Diese Fische wurden in fast allen tropischen Ländern aus Amerika eingeführt, damit sie den Menschen in seinem Kampf gegen die Malaria unterstützen.

Im Archiv der Insel ist ein Fall von „Tropenkoller“ verzeichnet: als der Gouverneur aller spanischen Guineagebiete Annobón einen Besuch abstattete, wurde der Inselfürst plötzlich verrückt. Was in seinem Hirn vorging, ob ihn die Konkurrenz wurmte, oder ob er einfach zu tief ins Glas geschaut hatte, ist nicht bekannt. Jedenfalls stürzte er sich bei einem Fest, das man zu Ehren des hohen Gastes veranstaltete, auf den Gouverneur und schnitt ihm mit den Worten „Hier bin ich Gouverneur!“ den Hals ab – nicht mehr und nicht weniger.

Die Zeit auf Annobón verging durch die Gastfreundschaft der beiden Spanier nur allzu schnell. Ein letztes Mal tischten sie auf: ein Schaf, Tortillas, Paella, Membrilla-Gelee, dazu Jerez-Wein, Turron, Champagner … wer weiß, wann sie jemals wieder Besuch bekämen, meinten sie. „Vaya con Dios!“ – alle winkten sie, als ich abfuhr: die Padres, die Afrikaner und nicht zuletzt Ricardo und Rudolfo …

Annobón wurde bald ein blasser Streifen am Horizont und verschwand. Afrikas Küsten lagen jetzt weit hinter mir, für eine ganze Weile würde ich sie nicht wiedersehen.

Vor mir lag, 1400 Seemeilen entfernt und mitten im Südatlantik, die britische Insel Ascension. Zehn bis vierzehn Tage rechnete ich für die Fahrt. Ursprünglich hatte ich den Atlantik ohne Zwischenlandung in Höhe des Äquators überqueren wollen, aber als ich meinen Segelfahrplan betrachtete, stellte ich fest, daß ich noch genügend Zeit für einen Abstecher nach dieser einsamen Insel übrig hatte. Ein Hochseesegler kann also durchaus einen Fahrplan einhalten, vorausgesetzt, er kennt sein Boot und die örtlichen Verhältnisse.

Sechstausend Meilen Küstenfahrt lagen hinter mir, sechstausend Seemeilen, in denen ich auf Riffe auf der einen und Dampfer auf der anderen Seite achten mußte. Jetzt endlich konnte ich auf dieser dritten Atlantiküberquerung fern der Dampferstraßen nachts wieder schlafen. Und jetzt endlich würde ich dazu kommen, in meine Bordbibliothek zu schauen. Vierhundert Bücher befanden sich an Bord. Dabei hatte ich einige bereits von Las Palmas aus nach Hause gesandt, weil in jedem Hafen neue hinzukamen. Als mein Boot in Freiburg an der Niedereibe etwas unkonventionell von Stapel lief, hatte es einen Tiefgang von 1,50 m, als ich von Freiburg zu dieser Großfahrt startete, lag die LIBERIA IV 1,80 m tief im Wasser, und weniger wurde es auf der ganzen Fahrt nie.