Maritime E-Bibliothek: Sammelband Abenteuer und Segeln

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FÜNFTES KAPITEL
LIBERIA: KÖNNEN AFRIKANER KOLONISIEREN?

Die Navigation an Bord der LIBERIA IV stimmte genau; ich lief die Boje am Rande der gefährlichen Sandbänke weit draußen im Meer an und konnte beruhigt Kurs auf die liberianische Küste nehmen.

Wie es beinahe schon zur Regel auf meiner Fahrt geworden war, traf ich erst nachts im Hafen von Monrovia, der Hauptstadt von Liberia, ein. Von der Pier her leuchteten die Lichter mehrerer Dampfer, außerdem lagen noch einige Schiffe draußen auf Reede – ein Zeichen, daß die älteste Negerrepublik Afrikas regen Handel treibt.

Mit raumem Wind1 war ich bald vor dem Kai. Am Steuerbord machte ich eine Ketsch aus. Ich hielt auf sie zu und warf neben ihr Anker. Kaum lag das Boot still, als sein Rumpf von allen Seiten überfallen wurde, es knackte und knirschte, knisterte und krispelte, daß man glauben konnte, eine Armee von Bohrwürmern hätte zum Großangriff geblasen. Aber Bohrwürmer, die gefürchteten Teredos, arbeiten lautlos und in aller Heimlichkeit. Was sich hier an meinem Boot zu schaffen machte und sich ungebeten an seinem Rumpf festsetzte, war harmloseres, „krebsiges“ Getier.

Der historische Einbaum verbrennt

Als ich morgens mit meinem Schlauchboot an Land pullte, traf ich wenig später den obersten Richter des Landes, dessen Frau ich früher häufiger behandelt hatte. Meine erste Frage galt meinem Einbaum, mit dem ich nach Haïti, der Schwesterrepublik Liberias, gesegelt war und den Präsident Tubman für das neue Museum in Monrovia erworben hatte.

„Ja, das ist so eine Sache – den haben wir gerade vor zwei Tagen verbrennen müssen!“

Mir stockte der Atem. „Verbrennen? Um Himmelswillen, warum denn das?“

„Er war zu schwer für den Transport ins Museum; da fragte man im ‚Mansion‘, dem Sitz des Präsidenten, an, was man tun sollte und erhielt die Order, das Boot zu verbrennen.“

Ich war entsetzt. Als ich Liberia vor einigen Jahren verlassen hatte, war es dem Krankenpfleger unseres Hospitals ein leichtes gewesen, meinen Einbaum zu transportieren. Wie einfach hätten die Liberianer ihn jetzt mit dem Kran zu Wasser bringen und direkt zum Museum paddeln können! Doch regte ich mich nicht weiter über diese Angelegenheit auf, denn ich kannte Afrika zu gut, um nicht zu wissen, daß man mit solchen Kurzschlüssen immer wieder rechnen muß.

Malaria schwingt ihre Geißel

Liberia ist eines der umstrittensten Länder der Welt. Hier hatten die Afrikaner die Gelegenheit zu zeigen, was in ihnen steckte. Und was schufen sie? Ein „verratenes Negerparaches“? Einen „Schandfleck Afrikas“, wie man es genannt hat?

Bevor man diese Fragen beantwortet, muß man die weitere Frage stellen, wie es kam, daß Liberia bis zum Zweiten Weltkrieg das zurückgebliebenste Land Afrikas war. Lag es an den Eingeborenen? An den eingewanderten „Americo-Liberianern“? Oder an dem „schlechten Klima“?

Nicht nur, weil ich Arzt bin, möchte ich sagen, daß Westafrika und insbesondere Liberia hauptsächlich durch die vielen dort herrschenden Krankheiten afrikanisch oder unterentwickelt geblieben ist. Nur wer diesen Jammer selbst beobachtet hat, kann sich vorstellen, wie tief durchseucht von Krankheiten die letzte Hütte war und zum Teil heute noch ist.

Westafrika galt Jahrhunderte hindurch als das „Grab des Weißen Mannes“, aber man vergaß, daß es auch das Grab des Afrikaners war; schon die Säuglinge wurden von Mückenschwärmen überfallen, Krankheitserreger drangen in ihr Blut, in ihre Organe ein, und am Ende stand eine traurige Statistik: über die Hälfte aller Säuglinge starben, bevor sie das erste Lebensjahr erreicht hatten. Die am Leben blieben, waren für den Rest ihres Lebens infiziert; eine Art Waffenstillstand bildete sich aus: der Mensch mußte die Krankheitserreger mit sich herumschleppen, sie forderten einen täglichen Zoll von seiner Lebenskraft und Energie. Sobald jedoch ein Afrikaner von einer Krankheit erfaßt wurde, wie sie auch in unseren Breiten auftritt, – einer Erkältung, einer Lungenentzündung, einer Diarrhöe oder auch dem Alkoholrausch –, erwachten plötzlich die Krankheitserreger und versuchten, ihren Wirt heimtückisch umzubringen.

So schwingt die Malaria ihre Geißel! Seit Jahrzehnten. Seit Jahrhunderten. Der ausgemergelte Säugling wie die fette Mammie werden vom Sumpffieber befallen – die einen akut, die andern latent. Noch heute leiden Millionen von Menschen auf der Welt an Malaria, und noch heute ist der Ausgang der Krankheit bei mehr als einer Million jährlich tödlich.

Krankheiten haben die Geschichte von Kontinenten diktiert – besonders die Malaria. Aber zu diesen Krankheiten gehören auch viele andere von Mücken und Fliegen übertragene Leiden; man denke nur an das Gelbfieber, an die verschiedenen Filarienkrankheiten und an die Schlafkrankheit! Einige Filarienkrankheiten werden in der Nacht von tropischen Hausmücken übertragen, die Malaria in der Dämmerung von der Anopheles-Mücke und die Schlafkrankheit, deren Überträger die Tsetsefliege ist, vorwiegend am Tage.

Bis in die jüngste Zeit wurde das tropische Afrika von Insekten beherrscht wie das Meer vom Wind. Wer in Afrika auf dem Feld arbeitet oder auf Jagd geht, setzt sich den Moskitos besonders aus: hier werden Fleiß und Aktivität von der Natur bestraft!

Weiße wie neu eingewanderte Schwarze, Europäer wie die befreiten Sklaven, die aus den USA gekommen waren, um Liberia, das „freie Land“, begründen zu helfen, wurden von den Krankheiten hingerafft. Wie ungeheuer hoch die Zahl der Todesfälle war, zeigt ein erschütterndes Beispiel aus den Gründerjahren der jungen Republik: Von der Besatzung des britischen Raddampfers „Albert“ starben vor der Küste Westafrikas 42 von insgesamt 145 Mann. Und dieses Massensterben auf der „Albert“ war beileibe kein Ausnahmefall!

Bei diesen Krankheiten allein aber bleibt es nicht einmal – es gibt in Westafrika noch genügend andere Leiden, die jedes für sich besondere Probleme schaffen: die Frambösie, Schistosomiasis, Darmerkrankungen, Lepra, Tuberkulose, Hautflechten und Wurmverseuchungen. Ich habe Patienten gesehen, die vier oder fünf verschiedene solcher Leiden hatten und dennoch nur wegen eines Leistenbruches zu mir kamen.

Wer sich gegen die Krankheiten behaupten konnte, hatte immer noch gegen die Tücken des Wetters und der Natur zu kämpfen. Schlangen raubten den Eingeborenen die Hühner, Leoparden rissen ihre Schafe, Elefanten zertrampelten die kleinen Plantagen, Tornados knickten die Bananenstauden und Papayastämme, ja, ganze Armeen zogen gegen sie zu Felde: furchtlose, gehorsame, blinde Treiberameisen, die gleich automatischen Heersäulen durch das Land streifen und vor nichts haltmachen.

Weiter: wie sollten die Eingeborenen ihre Lebensmittel aufbewahren? Nach zwei Tagen schon sind sie verschimmelt, ranzig und verfault. Und wenn den Afrikanern auch Kokosnüsse oder Bananen quasi in den Mund wachsen, so müssen sie schon für ihren Bedarf an Reis doppelt soviel arbeiten wie bei uns die Bauern für den Weizen. Jeglicher Fortschritt, jede persönliche Initiative, wurde zudem bereits im Keim durch Urwaldreligion, den Animismus, erstickt, den die Alten sorgsam hüteten. Wer gegen ihn verstieß, mußte nicht selten mit dem Leben dafür bezahlen.

Erst mit dem Chinin und später mit der Entwicklung anderer wirksamer Präparate gegen die Tropenkrankheiten begann die eigentliche Durchdringung des schwarzen Afrikas durch Weiße und Schwarze – das gilt auch für Liberia. „Die Medizin ist die einzige Entschuldigung für den Kolonialismus“, hat Frankreichs Kolonialpionier, Marschall Lyautey, einmal gesagt.

Nun zum feuchtheißen Klima, das oft als weiterer Grund für die Rückständigkeit des Landes genannt wird. Es setzt gesunden Menschen weit weniger zu, als man allgemein annimmt. Zu Kaisers Zeiten waren die Tropen mit Recht als gefährlich verschrien, aber eben wegen der Krankheiten, die man dort bekommen konnte – und wegen des vielen Whiskys, mit dem man den Durst löschen und die Krankheiten ausbrennen wollte. Heute ist das anders. Gegen die Krankheiten kann man sich mit Hilfe vieler vorbeugender und heilender Mittel schützen, das Klima selbst ist nach wie vor weder gesund noch ungesund. Auf alle Fälle lebt es sich in zivilisierten Gegenden gefährlicher als im Regenwald.

Viele Europäer sind auch der Meinung, daß man des Klimas wegen in den Tropen weniger arbeiten könne als bei uns. Ich habe das nie einsehen können. Wenn die Europäer allerdings, wie es leider meist geschieht, in ihren für gemäßigte Klimagegenden, nicht aber für die Tropen geeigneten Kleidern arbeiten, dann kann man schon verstehen, warum sie schnell ermüden. Zwischen Haut und Kleidung sammelt sich Schweiß an, der nicht verdunsten und den Körper abkühlen kann. Die Folge ist schnelle Ermüdung.

Als ich während meines früheren Aufenthaltes in Liberia nach den Dienststunden im Krankenhaus bis spät in die Nacht hinein noch an meinem Einbaum arbeitete, hatte ich nur kurze Hosen an, kein Hemd – also ganz wie die Afrikaner. Wenn sich jetzt aber die jungen Staaten Afrikas nach der europäischen Mode kleiden, dann brauchen sie täglich mehrere Stunden, um sich vom Tragen dieser unzweckmäßigen Kleidung zu erholen.

In Liberia hatte ich damals an mehreren Gesellschaften teilgenommen, auf denen es vorgeschrieben war, einen Frack zu tragen. Was für eine Qual in diesem feuchten Treibhausklima! Wie häufig haben sich die Gäste die Stirn trocknen müssen! Und wie häufig sind Schweißtropfen ins Essen gefallen! Noch schlimmer wurde es, wenn der Tanz begann! Und Liberianer tanzen ebenso leidenschaftlich wie sie „palavern“, allen voran der Präsident, den ich nicht nur einmal Arme und Beine durcheinanderwirbeln sah. Bei seinem Anblick hätte ein Fremder meinen können, die Exzellenz sei früher Boogy-Woogy-Lehrer gewesen und nicht Rechtsanwalt.

 

Zwischen Medizin und Magie

Der angesehenste Missionar und Arzt Liberias ist zweifellos der Amerikaner Dr. George W. Harley, der zusammen mit seiner Frau seit den zwanziger Jahren im Hinterland, in Ganta, nahe der Grenze zur Republik Guinea, ein großes Hospital unterhält. Dort operiert er, versorgt seine Leprastation und bildet Afrikaner zu Krankenpflegern aus.

Viele seiner Forschungsarbeiten gelten den Stämmen seiner Umgebung. Dr. Harley glaubt, daß die ungeheure Luftfeuchtigkeit sich nicht gerade fördernd auf die Zivilisierung auswirke; er betrachtet auch die Abgeschlossenheit, in der die afrikanischen Stämme bis vor kurzem noch lebten, als einen entscheidenden Grund für die Verzögerung des Fortschritts.

In Liberia gibt es 30 verschiedene Sprachen, selbst Nachbarstämme können sich gegenseitig nicht verstehen und keine Ideen austauschen. Zudem wurden die Stämme bis vor kurzem von Zauberern und Geheimbünden beherrscht, die jeden erbarmungslos entfernten, der neue Auffassungen und Vorstellungen in die Gemeinschaft zu bringen suchte.

Auf den Eingeborenen stürzt heute mit einem Mal eine neue Welt ein, die Welt der Weißen. Innerhalb von wenigen Jahren soll er sich mit dieser Welt auseinandersetzen, soll er verstehen und nachahmen können, was ihm unverständlich ist. Normalerweise sind für einen solchen Entwicklungsprozeß Generationen nötig. Wer will es da dem Schwarzen übelnehmen, wenn er zwischen seinem Animismus und der christlichen Religion, zwischen Zauberer und Arzt unentschlossen und verwirrt hin- und herschwankt.

Wie häufig haben wir Eingeborene in unser Hospital aufgenommen, die von den Medizinmännern halb zu Tode traktiert worden waren, bevor sie in letzter Stunde zu uns europäischen Ärzten kamen. Ich habe noch eine junge Frau in Erinnerung, die mit Hilfe von Hebammen aus dem Hinterland hatte gebären sollen. Eine Hebamme hatte auf der Brust der Armen gesessen und gepreßt, eine andere ihr ins Gesicht geschlagen. Als ihre Angehörigen sie endlich zu uns brachten, waren ihre Kinnladen und Augen geschwollen, ihre Lippen aufgesprungen und blutig, an ihren Handgelenken zeigten sich Hautabschürfungen, als ob sie gefesselt gewesen war.

Gegen diese barbarischen Methoden hatte sich auch schon eine mir bekannte Liberianerin gewandt. Ellen Moore war erst durch besondere Fürsprache eines Bischofs von einer New-Yorker Hebammenausbildungsstätte aufgenommen worden – ihre Schulbildung schien gar zu kümmerlich. Aber nach kurzer Zeit schon war sie die Beste ihrer Klasse und bestand die Abschlußprüfung mit Auszeichnung. Heute arbeitet sie in einem von ihr gegründeten Entbindungsheim in Kakata und versucht, ihren Landsleuten zu helfen.

Ein Erlebnis, das typisch für die Unwissenheit und Hilflosigkeit der Afrikaner in medizinischen Fragen ist, hatte ich an einem Weihnachtsabend im Süden Liberias. Als ich von unserem Club nach dem Hospital fuhr, zeichnete sich plötzlich mitten auf der Straße, die von Pleebo zu unserer Plantage führte, eine dunkle Gruppe von Menschen ab.

Ich stieg aus dem Wagen; die Schatten wichen ehrerbietig zur Seite und gaben eine dunkle Gestalt frei, die sich auf dem Boden wand und leise stöhnte. Bei ihr lag ein Knäuel, das sich nicht rührte. Erst jetzt erkannte ich, daß es sich um eine Sturzgeburt handelte; die Frau war auf dem Wege zu unserem Spital gewesen.

Das Neugeborene fühlte sich schon kalt an. Und keiner der Umstehenden kam auf den Gedanken, ihm und der Frau zu helfen! Untätig, gaffend standen die Afrikaner da. Ich unterband und zerriß die Nabelschnur, gab dem Baby ein paar Klapse und versuchte es mit künstlicher Atmung. Tatsächlich ließen sich nach einer Weile die ersten schwachen Laute vernehmen; unter ständiger Anwendung von künstlicher Atmung brachten wir Mutter und Kind in unser Krankenhaus, wo das Kleine sich nach einigen Minuten Sauerstoffatmung endgültig fürs Leben entschied. Die Mutter wurde schon nach zwei Tagen glückstrahlend entlassen.

Nie wieder habe ich eine Krankengeschichte so gern geschrieben wie an diesem Weihnachtsabend 1954.

Über das Können von Medizinmännern etwas auszusagen, ist nicht leicht, da sie vorwiegend mit Suggestivmethoden arbeiten. Überraschend tüchtig waren im allgemeinen die „Knochenärzte“ (Bone doctors); ich habe nie einen Patienten gesehen, der nach einem Unfall von ihnen behandelt worden war und irgendwelche Deformierungen davongetragen hatte.

Afrikaner sind für ihre Heilung von einer Krankheit ebenso dankbar wie Europäer. Als ich einmal einen Häuptling von seinem Leistenbruch befreite, kam er anschließend zu meinem Bungalow und wollte mir seinen Sohn „schenken“. Es dauerte geraume Zeit, bis ich ihn davon überzeugen konnte, daß mich sein „Geschenk“ zwar außerordentlich ehrte, daß ich es aber nicht annehmen konnte, weil ich unmittelbar vor der Abfahrt nach Europa stand.

Das Verschenken von Kindern war zu meiner Zeit nicht ungewöhnlich; es bedeutete eine Ehre für den Beschenkten, aber auch eine Pflicht: man mußte für die Ausbildung des „Geschenkes“ sorgen.

Liberia – ein Land im Werden

Bis zum letzten Krieg haben die Liberianer in ihrer fast hundertjährigen Geschichte auf Grund der vielen Hindernisse, von denen ich sprach, nichts Positives geleistet, es sei denn, man rechnet es ihnen als Verdienst an, daß sie überhaupt überlebten und daß der Name ihres Landes erhalten blieb. Vielleicht wäre dieser Name trotzdem vergessen worden, wenn man ihn nicht dauernd auf den vielen bunten, immer neu auf den Markt geworfenen Briefmarken gelesen hätte, die in fast jedem Briefmarkenladen der Welt auslagen.

Während des Zweiten Weltkrieges strömten Scharen von Amerikanern ins Land, ein moderner Flugplatz wurde angelegt, eine Straße durch den Busch geschlagen. Nach der Wahl William Vacanarat Shadrach Tubmans zum achtzehnten Präsidenten nahm Liberia einen unglaublichen Aufschwung – auf alle Fälle in den Augen der Liberianer.

Die Amerikaner bauten den Hafen von Monrovia und begannen mit der Erschließung der Eisenerzlager. Heute exportiert eine amerikanische Erzfirma jährlich mehr als zwei Millionen Tonnen Eisenerz; im Norden des Landes haben Deutsche ein Riesenobjekt zur Erschließung eines größeren Eisenerzlagers in Angriff genommen, und eine schwedisch-amerikanische Firma will die Deutschen mit einem Projekt im Nimba-Gebiet übertreffen. Italienische Firmen bauen Straßen und Häuser, Israeliten konstruieren Regierungsgebäude, eine große amerikanische Gesellschaft legt neue Gummibaumplantagen an – es geht endlich voran in Liberia!

Als ich vor wenigen Jahren in Liberia arbeitete, gab es in seiner Hauptstadt nicht einmal ein Taxi, heute scheint dort jedes zweite Auto eines zu sein. Die meistbefahrene Straße des Landes, die von Monrovia zur großen Firestone-Plantage führt, ist großzügiger angelegt als viele Hauptstraßen bei uns.

In Monrovia selbst ist eine ganze Reihe neuer Gebäude entstanden, darunter ein von einem deutschen Architekten gebautes Regierungsgebäude, das „Kapitol“, das einem weißgestrichenen Gasbehälter gleicht und so scheußlich aussieht, daß man es am liebsten auch zum Gasbehälter degradieren würde.

Liberia ist nur wenig größer als Island, seine Einwohnerzahl läßt sich nur reichlich ungenau schätzen: sie liegt zwischen einer und zwei Millionen. Monrovia selbst mag heute etwa 40.000 Einwohner haben. Die Beschaffung von Arbeitskräften ist für alle großen ausländischen Firmen das größte Problem, obschon die Regierung versucht, ihnen bei der Lösung zu helfen.

„Dr. Lindemann“ – mein Namensvetter

Nachdem ich bei Bekannten, die einen entzückenden Bungalow in Monrovias bester Gegend auf dem Kap Mesurado bewohnen, ein echt deutsches Weihnachtsfest mit Tannenbaum und Lichterglanz gefeiert hatte, lud mich der Chefarzt der Firestone-Spitäler, Dr. Karl Franz, zu sich ein, mein Freund aus der Zeit meiner Tätigkeit in Liberia. Karl hat schon im letzten Kriege in Liberia gearbeitet und berät heute den Präsidenten in allen Fragen, die das Gesundheitswesen und damit das Wohlergehen und die Leistungsfähigkeit des Landes betreffen.

Stolz zeigte er mir seine und meine frühere Wirkungsstätte, die sich erstaunlich verändert hatte: aus dem „afrikanischen“ Hospital war inzwischen ein riesiges, modernst eingerichtetes „amerikanisches“ Hospital geworden, das allen Ansprüchen gerecht wird und in Liberia nicht seinesgleichen hat. Auch sonst war bei der Firestone Rubber and Tire Company, der größten zusammenhängenden Gummiplantage der Welt, vieles anders geworden: die Gummibäume, die man 1926 und kurz danach gepflanzt hatte, waren inzwischen gefällt und durch neue ersetzt worden, die Straßen hatten sich modernisiert, die Eingeborenenhütten waren durch Häuser abgelöst – und die Gehälter der mehr als 25.000 Liberianer erhöht worden.

Die Firestone-Gesellschaft hat in Liberia schon immer als Schrittmacher gegolten; in ihren Anfangsjahren war sie dort der einzige Steuerzahler von Bedeutung, und noch zu meiner Zeit gab sie für die Gesundheitspflege ihrer Mitarbeiter mehr Gelder aus als die Regierung, deren Musikkapelle noch nach dem Ersten Weltkrieg mehr kostete als ihr Gesundheitsdienst für die gesamte liberianische Bevölkerung!

Überall stieß ich auf Bekannte, auf alte Mitarbeiter und Freunde. In der Küche suchte ich nach dem Koch, der damals sein Neugeborenes „Dr. Lindemann“ getauft hatte.

Die Namensgebung war in Liberia früher ein großes Problem gewesen. Eingeborenen-Namen wie Momo, Flomo oder Panagofe galten als rückständig und unmodern. So hießen denn die Arbeiter unserer Plantage bald Sunday, Monday usw., die ganze Woche hindurch, oder sie trugen stolz den Namen einer Zahl: „Forty-five“. Andere hatten phantasiereiche Namen wie „Poor No Friend“, oder sie nannten sich nach ihrem Arbeitgeber „Firestone“ und nach dem früheren Manager „Wilson“. Und so war der Koch auf die Idee gekommen, seinen Sohn nach mir zu benennen. Ob der Doktortitel als Vorname gelten sollte, weiß ich nicht. Jedenfalls beruhigte es mich zu erfahren, daß der Junge „Dr. Lindemann“ prächtig gedieh.