Von Bessarabien nach Belzig

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Abendliches Treffen der Familien und Freunde

Weil es nicht nur in Klöstitz, sondern Landesweit üblich war die langen Winterabende gemeinsam mit Nachbarn und Freunden zu verbringen, luden meine Eltern diese in den Wochen nach dem Fest zu Sanges- und Bibelstunden ein. Diese Begegnungen festigten die Zusammengehörigkeit, bei Spielen, Nadelarbeit, Stickarbeiten und Schafwolle spinnen. Ganz wichtig war der Austausch von Neuigkeiten, weil es Medien, wie wir sie heute kennen, nicht gab. Auf diese Weise vergingen die Wintermonate, bis die wärmende Sonne den meterhohen Schnee schmelzen ließ und die Vogelschar mit ihrem Gesang den Frühling einläutete.


Junge bessarabische Familie

Das veranlasste meinen Vater gewisse Pläne für die Frühjahrsbestellung der Ländereien und Weinberge zu machen, welche das Erbe meiner Mutter waren, welche sie in Zukunft gemeinsam bewirtschaften würden. Daher kündigte Vater seine Arbeit im Bauunternehmen und nahm eine Stelle im Gutshof Gerstenberger an, um sich als Landwirt und Weinbauer zu profilieren. Ein Teil seines Lohnes war die Nutzung von Pferdegespannen sowie Landtechnik, um seine Ländereien zu bearbeiten, wobei ihn meine Mutter tatkräftig unterstützte. Die Hauptarbeit von Mutter war die Bestellung des Gartens (Krautgarten) in dem Obst, Gemüse und auch Paprika (Pfeffer) angebaut wurde. Das Heranziehen von Federvieh war auch ihre Aufgabe. Meine Eltern wussten aus Erfahrung, dass sie als Selbstversorger nur das haben würden, was sie sich selbst erarbeiten. Im Laufe des Frühjahrs und des Sommers wuchs eine zufriedenstellende Ernte heran, die Vater und Mutter im Schweiße ihres Angesichtes einbrachten. Auch die Fleischversorgung in Form von Schwein, Schaf und Federvieh war gesichert. Als Letztes wurde der Mais im Spätherbst geerntet, der ein wichtiges Nahrungsmittel darstellte. Auch Raps und Sonnenblumen, aus denen Speiseöle gepresst wurden, wurden eingebracht. Der wie bisher beschriebene Arbeitsablauf auf dem Bauernhof meiner Eltern war wie ein Programm, welches sich Jahr für Jahr wiederholen würde, wobei erwirtschaftete Überschüsse vermarktet wurden. Bislang kannten meine Eltern nur Arbeit, konnten sich dadurch verschiedene Anschaffungen machen, die in ihrem jungen Haushalt wichtig waren, sodass man sagen konnte, sie hatten es geschafft. Die Zeit blieb nicht stehen, dies merkten sie auch an ihrem Sohn Artur, der schon lägst durch die Lehmbude krabbelte und Mama und Papa (Date) sagen konnte. Wie im Fluge vergingen die letzten Wochen des Jahres 1932, es wurde wie üblich Weihnachten gefeiert bei hohem Schnee und klirrender Kälte. Der Januar 1933 wurde zu einem wichtigen Monat des Jahres, weil am 25. Januar meine Schwester Irma geboren wurde, somit kam noch mehr Leben ins Haus. So vergingen die nächsten Jahre bei gewohnter Arbeit, bei abendlichem Gesang und Bibelstunden, mit nun schon liebgewonnenen Nachbarn und Freunden.

Ab dem Frühjahr 1935 verbrachte ich die meiste Zeit bei meiner Großmutter, denn sie war krank. Ich machte ihr dann als vierjähriger Handreichungen. Wenn am Morgen mein Großvater mit seinen erwachsenen Kindern und Tagelöhnern auf die Steppe fuhr, um seine Ländereien zu bestellen, war Großmutter mit mir allein im Haus. Tagsüber wurde ich nach Erledigung der üblichen Hilfeleistungen von ihr verwöhnt. Sie las mir aus der Bibel vor und erzählte mir Märchen oder Geschichten, bis ich neben ihr einschlief. Mittlerweile war der Tagesablauf für mich Normalität geworden, auch das allabendliche Essen mit der Großfamilie.


Hier in der Wohnküche fanden Spinn- und Stickstunden statt


Großmutter mit KleinArtur auf dem Arm

Mein Großvater bemerkte, dass es seiner Frau immer schlechter ging, worauf er eine Betreuerin einstellte, die für sie sorgte und ihre Wunden an den Beinen (offene Beine) fachgerecht behandelte. Es war im Herbst 1935, die Maisernte hatte gerade begonnen, als ich wie so oft neben meiner Großmutter schlief. Ich wurde von der Betreuerin aus dem Schlaf geholt, weil meine Großmutter gestorben war. Es dauerte eine gewisse Zeit bis ich als Vierjähriger begreifen konnte, was geschehen war. Großvater versuchte mich zu beruhigen, was ihm aber nicht gelang, bis mich meine Eltern auf den Arm nahmen und mich trösteten. In den späten Abendstunden des gleichen Tages sind meine Eltern mit Irma und mir nach Hause gegangen, wobei mich der Verlust meiner Großmutter noch lange quälte. Ich hatte doch eine innige Beziehung zu ihr. In unserer Familie, insbesondere bei meinem Großvater und seinen noch im Hause lebenden Kindern, machte sich eine tiefe Trauer breit, hatte er doch nun die zweite Frau und die Kinder ihre Mutter verloren. Bei allem Respekt und aller Trauer, das waren die Worte meines Vaters, die er an meine Mutter richtete, muss die Maisernte weitergehen, zumal das Wetter nicht besser sein kann. Das bejahte Mutter mit einem Kopfnicken. Nun sollte eine neue Aufgabe auf mich zukommen, in dem ich als Babysitter für meine Schwester im Hause blieb, wenn Vater mit Muttern und Erntehelfern in die Steppe fuhr, um den Mais zu ernten, den sie auf dem Dreschplatz auf den Hof abluden. Die bergeweise angefahrenen Maiskolben wurden allabendlich auf dem Dreschplatz mit Nachbarfamilien sowie Helfern abgeblattet. Dabei wurde gesungen, Neuigkeiten ausgetauscht und der Weinkrug machte des Öfteren die Runde. Wir Kinder hielten uns an Melonen (Arbusen) und Weintrauben, die auf dem Tisch standen, bis wir übermüdet in dem Maisblätterhaufen einschliefen und wir morgens verwundert in unseren Betten aufwachten.

In unserer gefestigten und gläubigen Familie wuchsen wir beide heran. Es gehörte zum normalen täglichen Ablauf, dass zu jeder Mahlzeit ein Tischgebet gesprochen wurde. Der sonntägliche Kirchgang war ein Bedürfnis unserer Eltern, die uns beide danach in die Kinderkirche schickten, wo sie uns nachschauten, wie wir Hand in Hand hineingingen.


Beim Meisabblatten auf dem Dreschplatz, waren Jung und Alt dabei


Die Großeltern durften sich auf dem Bänkle ausruhen

Inzwischen bereitete Mutter das gute Mittagessen vor, worauf wir uns beide schon freuten, weil es sonntags immer etwas Besonderes gab. Wenn auch meine Eltern tagein, tagaus Schwerstarbeit leisten mussten, reichte es oft nur zum Notwendigsten. Weil manchmal nicht genug zu essen da war, wenn durch Dürre die Ernte schlecht ausfiel. Es kam nicht selten vor, dass ich des Nachts aufwachte und großen Hunger verspürte, weil ich beim Abendbrot nicht satt wurde. Der Rat meiner Mutter war dann: Trinke Wasser, dann bist du satt. Schon als Fünfjähriger verspürte ich die allgegenwärtige Armut unserer Familie, was mir meine Eltern so erklärten, dass man diese in Demut ertragen müsse, weil das die einzige Möglichkeit ist. Was meinen Eltern anerzogen wurde, haben sie an uns Kindern weitergegeben, das war: Ehrlichkeit, Gehorsam und Fleiß. Mir wurde es zur Aufgabe gemacht, Gänse, Enten und Puten zu hüten, solange sie noch Küken waren. Wenn wir Kinder unsere Aufgaben sorgsam erledigt hatten, gab es ein Lob und zum Abendessen einen Leckerbissen. Natürlich kam es vor, dass wir beim Spielen unsere Aufgaben vergaßen, was von Vater streng geahndet wurde und ich als Ältester zu spüren bekam.

Abschluss der Ernte

Die Bauern von Klöstitz, somit auch meine Eltern, hatten ihre Ernte unter Dach und Fach gebracht, was Anlass zur Freude gab, weil die Ernährung für Mensch und Vieh für den kommenden Winter gesichert war. Es war auch gut so, weil es wieder einmal Dezember wurde und der Winter wieder mit viel Schnee seinen Einzug hielt, was den Dorfbewohnern oft große Schwierigkeiten bereitete, den Kindern aber Freude. Mit ganz viel Freude bauten wir einen Schneemann, wobei uns Vater half, meistens endete es mit einer Schneeballschlacht. Meinen fünften Geburtstag haben wir am 11. Dezember 1936 hinter uns gebracht. Wie üblich begannen auch wieder die abendlichen Zusammenkünfte, wo bekannte Kirchenlieder gesungen wurden und die Spinnräder wieder surrten. In der Woche des 3. Advents brachte Mutter uns Kinder früher als sonst ins Bett, weil sie mit Vater zur Bibelstunde gehen wollte. Sie gingen mit den Worten: „Seid schön artig, wir kommen in zwei Stunden wieder.“ Mutter löschte die Petroleumlampe im Zimmer und verließ dann mit einer Stalllaterne die Hütte. Im stockdunklen Zimmer schliefen wir dann bald ein, bis ich durch ein Geräusch aufschreckte. Das Geräusch war wie ein Kratzen an der Außentür und dann am Fenster, unter dem unser Bett stand. Wir krochen unter die Decke, waren vor Angstschweiß gebadet, abwechselnd wiederholte sich das kratzende Geräusch, bis es dann still wurde. Am Morgen erzählte ich den Eltern, was sich während ihrer Abwesenheit zugetragen hatte. Vater überprüfte dieses und stellte Kratzer an Tür und Fenster fest, auch waren Wolfspuren zu sehen.

Erschrocken rief Mutter: „Um Gotteswillen Alfred, nicht auszudenken, wenn den Kindern etwas passiert wäre.“ Durch den Kälteeinbruch Ende des Jahres 1936 waren die Grenzflüsse Dnjester und Pruth zugefroren. Wenn das geschah, kamen die Wölfe von der Ukraine über den Dnjester und aus den Karpaten über den Pruth nach Bessarabien. Die Wolfsrudel richteten großen Schaden unter den Schafsherden an, sodass der Jagdverein eine Treibjagd anberaumte, woran auch Vater teilnahm. In den drei Tagen der Jagd, wurden zahlreiche Wölfe erlegt, das beruhigte die Klöstitzer.

 

Bauern bereiten ihre Pflüge für die Getreideernte vor – die Frauen waren immer mit dabei.


Nach Erinnerung nachgestelltes Bild: Das Anfertigen einer Gabel aus einem Weidenstämmchen

Vorsichtshalber verhängte der Dorfschulze eine nächtliche Ausgangssperre. Kurzfristig war das pulsierende Leben der Dorfbewohner gestört, kam aber zum Neujahrsbeginn 1937 wieder voll in Schwung. Der Winter 1937 hatte Bessarabien, somit auch Klöstitz fest im Griff, durch meterhohen Schnee sowie Verwehungen kam die Versorgung der Einwohner ins stocken, was bis Ende März andauerte. Durch Schneeverwehungen war unsere Lehmbude bis zum Dach zugeweht, sodass Vater alle Mühe hatte, die Tür nach draußen frei zu bekommen, um in den Stall zu den Haustieren zu gelangen. Die vergangenen Jahre bei den härtesten Wintern in der Lehmbude zu wohnen, war eine Zumutung für die Familie geworden. Da war es für Vater zu einer Dringlichkeit geworden, dies abzuändern, zumal seine Familie immer größer wurde. Es gehörte schon im Winter zur Normalität, dass trotz Ofenheizung Minusgrade in der Wohnküche waren und das Trinkwasser in den Eimer gefror. An einem Winterabend, als die ganze Familie um den warmen Ofen saß, hörte ich, dass meine Eltern das jahrelang Ersparte zum Bau eines Massivhauses verstärkt einsetzen wollten.

Den Winter 1937 nutzte Vater mittels einer Arbeit in einer Dachsteinfabrik. Der Lohn dafür waren die Steine für sein geplantes Haus, was von nun an sein Hauptziel war. So vergingen die Wochen und es wurde März, er brachte Tauwetter mit sich, das die Schneemassen schmelzen ließ. Die Bauern bereiteten sich zur Frühjahrsbestellung vor.

Zu einem besonderen Tag wurde der 14. Juli 1937, mein Bruder Helmuth wurde geboren. Nun hatte ich in Zukunft eine Aufgabe mehr - auf ihn aufpassen zu müssen. Außergewöhnliches geschah in diesem Jahr nicht mehr, nur das Übliche wie in den Jahren zuvor. So endete es auch mit meinem sechsten Geburtstag und dem Weihnachtsfest. Der Winter zur Jahreswende 1937/38 zeigte sich von einer besseren Seite, wodurch die Klöstitzer spürbar entlastet wurden.

Meine Einschulung in Klöstitz

Für meine Eltern und mich sollte das Jahr 1938 zu einem besonderen werden, weil ich als ihr ältester Sohn eingeschult wurde, womit für mich ein neuer Lebensabschnitt begann. In der Osterzeit des gleichen Jahres gingen die Eltern mit ihren Schulanfängern unter Glockengeläut in die Kirche, wo Pastor Baumann uns allen seinen Segen gab. Danach ging es über den Ringplatz in die Klöstitzer Schule, wo wir 108 Schulanfänger auf die Klassenzimmer verteilt wurden.

Zu dieser Zeit gehörte Bessarabien zum rumänischen Staatsgebiet, somit hatte ich einen rumänischen Lehrer, der uns in seiner Sprache unterrichtete, wobei wir zweimal wöchentlich Deutschunterricht hatten. Das Territorium Bessarabien ist ja rechtmäßig ukrainisches und teils moldawisches Staatsgebiet, wurde aber immer schon von Rumänien beansprucht. In einer Blitzaktion nutzte Rumänien 1918 den Zustand des geschwächten Russlands und besetzte überraschend Bessarabien, was von Russland zunächst geduldet wurde. Rumänien dementierte die meisten vom Zar seinerzeit zugestandenen Rechte der Schwabendeutschen in Bessarabien, zeitweilig war auch die deutsche Sprache in der Öffentlichkeit bei Strafe verboten. Rumänien war aus dem 1. Weltkrieg als Großrumänien hervorgegangen, dem Königreich wurde demzufolge die Bukawina, Siebenbürgen, das Südliche Banat, die ganze Dobrudscha und andere Gebiete zugestanden. Den Deutschen in Bessarabien wurden 1930 durch König Karl den 2. ihre Identität und ihre Rechte wieder eingeräumt. In den Schulen wurden weiterhin strenge Maßregeln angelegt, die das rumänische Bewusstsein immer in den Vordergrund stellten. Es war an der Tagesordnung, dass Ungehorsam mit Stockhieben geahndet wurde.

Es war normal, dass wir Jungs mit kahlgeschorenen Köpfen zur Schule gingen. Wenn dem nicht so war, sorgte der Lehrer durch ziehen an den Haaren dafür, dass wir zum Friseur gingen. Der allmorgendliche Apell sowie das Singen der damaligen rumänischen Nationalhymne, Strammstehen mit zum Gruß erhobener rechter Hand, war der Schultagsbeginn in der Klöstitzer Schule. Die damalige Hymne, die mit den Worten: Drä Jaskaretschele begann, sollte sich für immer in meinem Gedächtnis festsetzen. Von Hause aus wurden wir Kinder streng erzogen, in den Schulen wurde es jedoch durch die rumänischen Lehrer von Fall zu Fall weit überzogen. Unsere Schulausrüstung bis zur zweiten Klasse war eine Schiefertafel, auf welcher das Schreiben gelehrt wurde, dazu eine rumänische Fibel. Außer der Hymne wurden uns beim Gesangsunterricht auch rumänische Kinderlieder gelehrt. Wenn ich in den Sommermonaten barfuß zur Schule ging, führte mich der Weg an der schönen weißen Klöstitzer Kirche vorbei. Sie zeigte sich wie immer majestätisch, wenn sie von den ersten Sonnenstrahlen erfasst wurde, denn sie war nicht nur das Prunkstück, sondern der Stolz des Dorfes. Wenn dann auf dem Ringplatz vor der Kirche die Schulglocke erklang, strömten die Schüler in ihre Klassenzimmer. Beim Betreten des Klassenraumes durch den Lehrer rief der Klassenälteste auf Rumänisch Strebs (Achtung! ) Das hieß, aus der Schulbank rauszutreten und Haltung anzunehmen. In der Haltung verharrend, grüßte der Lehrer die Schüler mit den Worten, Sena Datte, was wir mit erhobener rechter Hand erwiderten. Die Schule sowie alles drum herum wurden allmählich zum Alltag. Das Neue war, dass ich jeden Tag mit vielen Klöstitzer Kindern zusammen kam. Täglich fielen mir Unterschiede auf bei Jungs und auch bei Mädchen, das war in erster Linie die Kleidung und es gingen nur einige barfuß, wofür ich des Öfteren gehänselt wurde, was mich veranlasste meinen Eltern davon zu erzählen. Sie erklärten mir, dass Armut keine Sünde sei, anders ist es, wenn Reiche die Armen brüskieren oder gar beschimpfen, weil ihnen die Voraussetzung fehlt, dies nachzuvollziehen.

Mittlerweile ist Erntezeit geworden, wo alle Hände voll zu tun hatten. Dies bedeutete für mich, nach Erledigung der Schulaufgaben bei der Erntearbeit zu helfen oder mit Vater auf die Steppe zu fahren.

Mit meinen Schulkameraden spielen zu gehen kam nur selten vor, vielmehr bekam ich immer wieder zu hören, „ ... du bist der Älteste und musst deinen Geschwistern und uns Eltern helfen... .“ An mich wurde das weitergegeben, was meinen Eltern von zu Hause aus anerzogen worden war. An dieser Grundeinstellung kam ich nicht vorbei, sie blieb mein ständiger Wegbegleiter.

Wochenendbesuch bei meinem Großvater

Die Freude war immer ganz auf meiner Seite, wenn ich nach dem Schulschluss an einem Wochenende zu meinem Großvater gehen durfte, der auf seinem ehemaligen Hof, den er seinem jüngsten Sohn Benjamin übergeben hatte, seinen Lebensabend verbrachte.

Mein Großvater war wie alle Bauern ein Pferdenarr. Diese wurden von ihnen selbst gezüchtet, dafür hatten sie ein bis zwei Zuchtstuten, denn Pferde waren ja in der Landwirtschaft nicht wegzudenken. Voller Stolz zeigte er mir immer wieder seine Fohlen (Hutsch), die auf dem Hof rauf und runter galoppierten, so hatten wir viel Spaß an ihnen. Wenn dann am Samstagabend Onkel Benjamin mit seinen Erntehelfern oder auch Tagelöhnern von der Steppe mit seinem Pferdegespann auf den Hof fuhr, begann ein hektisches Treiben, mussten doch alle Tiere versorgt werden.

Die Frauen sorgten in der Zwischenzeit für das leibliche Wohl der Erntearbeiter, die nach ihrer Arbeit an dem langen Tisch, der mit Brot, gebratenem Paprika, Schafskäse, Fleischgerichten und mit Wein gedeckt war, ihren Platz einnahmen. Dieser allabendliche Ernteschmaus dehnte sich oftmals über Stunden aus, wo so mancher ein Glas Wein zu viel zu sich nahm, es dann nicht mehr bis zu seinem Bett schaffte und dann im Strohschober landete. Auf dem Gut Gerstenberger, wo mein Vater als Erntehelfer arbeitete, war es Tradition, dass sogenannte Ernteessen abgehalten wurden, nur in einem größeren Umfang, wo bis zu vierzig Personen beteiligt waren.

Wenn das Getreide (Weizen, Gerste und Hafer) gemäht war, wurde es auf Haufen gebracht, auch Kabitzen genannt, dann auf Pferdewagen verladen und zum Dreschplatz gebracht. Dort wurde das Getreide ausgebreitet und dann mit einer von Pferden gezogenen Steinwalze (Dreschstein) ausgedroschen.

Hinter dem Dreschstein wurde ein Schleppschlitten, der an der Unterseite mit Messerklingen versehen war, mitgezogen, welcher das Stroh zu Häcksel zerschnitt. Zur Beschwerung dieses Schleppschlittens durften wir als Kinder immer rundherum mitfahren. So wurde Lage für Lage Getreide aufgebracht und niedergewalzt, bis dann am Abend der Drusch zusammengeschoben und mittels einer Putzmühle die Spreu vom Korn getrennt wurde.

Diese Art zu dreschen war aufwendig und nur mit Muskelkraft von Mensch und Tier zu bewältigen. Alle Familienmitglieder, ob groß oder klein, mussten hierbei mit anpacken.

Gutsbesitzer und Großbauern hatten es diesbezüglich leichter, weil sie Dreschmaschinen die mit Traktoren angetrieben wurden besaßen, wo das Getreide gereinigt die Maschine verließ. Wenn auch die Klöstitzer Bauern immer Schwerstarbeit leisten mussten, so waren sie doch mit dem was sie hatten glücklich und zufrieden. Auch waren sie mehr oder weniger stolz mit dem Erreichten.

All diese Abläufe prägten mich schon als Sechsjähriger dahingehend, dass ich als Tagelöhner bei anderen Bauern bei der Ernte half, um so mein Taschengeld zu verdienen. Mein erster Ernteeinsatz endete am Abend mit blutigen Händen, weil sie den rauen Sojapflanzen nicht gewachsen waren.

Kuh- und Schafhirten

Es gab auch lustige Dinge an die ich mich gerne erinnere: Wenn am frühen Morgen der Kuhhirte mit seiner langen Peitsche knallend durch die Straße ging, war es das Zeichen, die Kühe (Vieh) auf die Straße zu treiben. Übermütig sprangen wir dann aus unseren Betten, denn es war wie ein Schauspiel, zuzusehen, wie von allen Seiten das Vieh von den Höfen wie dressiert zu einer Herde anwuchs, die von dem Hirten in die Steppe hinausgetrieben wurde.

Ebenso war es, wenn im zeitigen Frühjahr, der von einigen Bauern gedungene Schäfer, auch peitschenknallend, die Schafe abholte und sie wie der Kuhhirte in die Steppe trieb. Wir Jungen neckten den Schäfer mit dem Spruch:

Schäferle, Schäferle hiet die Schof

Schmeiß dem Hund dei Schlappa noch

Der Schlappa isch varrissa

der Schäfer isch verschissa

Er reagierte peitschenknallend, indem er auf uns zukam, wir aber lachend und schadenfroh davonliefen. Die Schafherde blieb bis zum Spätherbst in der Obhut und Pflege des Schäfers. Sie wurden täglich vom Schäfer gemolken, sodass jeder Bauer einmal im Wechsel die ganze Milch bekam. Davon wurde der wohlschmeckende bessarabische Schafkäse hergestellt.

Jeder Tag des Jahres 1939 brachte seine Ereignisse, so auch der 24. April, wo mein Bruder Herbert das Licht der Welt erblickte. Nun war er das vierte Kind in unserer Familie, der in die Enge hinein geboren wurde und Aufmerksamkeit aber auch gewisse Versorgung beanspruchte.

Noch amüsanter ging es im Spätherbst beim traditionellen Schlachtfest zu, wo nicht nur Schweine sondern auch das Federvieh geschlachtet wurden. Diese Arbeiten verrichteten die Hausfrauen mit ihren Helfern, die auch die Gänse rupften. Alle Federn wurden in Säcken aufbewahrt und im Winter beim gemütlichen Zusammensein gerissen. Mit diesen gerissenen Federn wurden Kopfkissen und Zudecken gefüllt. Der Metzger und Vater verarbeiteten das geschlachtete Schwein, und wir Kinder halfen fleißig mit, denn da gab es leckeres Wellfleisch. Lustig war immer das Wurstanmessen, da bekam man unverhofft vom Metzger ein Stück Darm um die Ohren gehauen. Dafür rächten wir uns, indem der Schweineschwanz dem Metzger hinten an die Schürze gehängt wurde. Das durch die Schlachtung angefallene Fleisch wurde nach althergebrachter Methode haltbar gemacht. Das war pökeln, räuchern und braten und danach wurde alles in der Vorratskammer eingelagert. Die zuverlässige Kühlung brachte der Winter, welcher sich mittlerweile mit den ersten Nachtfrösten angemeldet hat. Die Ernte war eingebracht, alle Vorratskammern waren gefüllt, so konnte es ohne Sorge Winter werden, um wieder die abendlichen Zusammenkünfte zu feiern und die wohlverdiente Ruhe zu genießen. Eine der abendlichen Beschäftigungen war das Federnreißen, was eine mühevolle Pusselarbeit war, aber bei Klatsch und Gesang wurde auch das geschafft. Bei einer Bibelstunde Ende November 1939, die bei uns im Hause stattfand, dankten die zahlreich versammelten Bauern ihrem Herren und Lebensbegleiter für die üppig ausgefallene Ernte. Bei dieser Predigt, die mein Vater hielt, lobte er die Frömmigkeit sowie den Zusammenhalt der Nachbarn und aller Klöstitzer Bauern, denn Zufriedenheit ist Balsam für die menschliche Seele und Gemüt.