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Bergrichters Erdenwallen

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XV

Die ersehnte Ruhe im Amt sollte dem Richter nach den Aufregungen der letzten Tage nicht werden; der tägliche Posteinlauf sorgte dafür, daß der Chef Arbeit genug bekam. Und was enthält der Einlauf für Sonderbarkeiten. Aus langer Praxis kennt Ehrenstraßer die Protokolle von Gemeindevorstehern und niederen Polizeiorganen, gelassen öffnet er Brief um Brief.10 Gelesen, wenigstens durchflogen muß werden, ehe die Verteilung an Adjunkt und Kanzlist erfolgen kann.

Diesmal ist ein verlangtes Leumundszeugnis dabei, das auffällig kurz gehalten, den Leumund eines Mannes wie folgt schildert. „Der Angefragte besitzt außer seiner Frau und drei Kindern nichts Bewegliches und seine Eltern sind hoffentlich schon gestorben.“

Mit einem müden Lächeln legt der Richter das Schreiben weg und durchflog den nächsten Bericht über eine Pfändung mit folgendem Inhalt: „Post Nr. 13. Im hohen Auftrag löblichen k. k. Bezirksgerichtes wurden dem N. N. gepfändet 4 schwarze Schafe, 2 davon sind aber weiß. Die Pfändung ging soweit anstandslos vor sich, doch ist der Betroffene des Gehorsams nicht besonders bedacht, weshalb die Exekution in gänzlicher Abwesenheit des Schuldners vorgenommen wurde. Sonst ist der Betreffende noch nie zu Gerichtshanden gekommen. Indem dieser Bericht unterthänigst übersändet wird, sei gemeldet, daß die Vertilgung der Mayen-Kefer von Erfolg war. Aus diesem Grunde bittet der gehorsamst Unterzeichnete um Bewilligung der Hypothekeintragung nebst Sammlung für die Armen-Schulschwestern.“

Ein drittes Amtsschreiben trägt den Vermerk „Cito“ und unwillkürlich widmet Ehrenstraßer diesem Stück größere Aufmerksamkeit. Klipp und klapp besagt das Schreiben: „Der neuen Kronenwährung muß die gehorsamst unterzeichnete Gemeindevorstehung große Bedenken entgegenstellen, dieweilen der Senner auf der Kreuzalm verdächtig ist, falsches Geld zu machen. Wir bitten daher, es möge eine Gerichtsdeputirung der Sache nachgehen. Bis jetzt sind an zwanzig falsche Geldstücke eingefangen, die der gehorsamst Unterzeichnete in Verwahr hat. Gleichzeitig wird geneigte Auskunft erbeten, wie es infolge der Geldneuerung mit Maß und Gewicht gehalten werden soll. Meines Wissens muß jetzund auch hölzernes Glas, das der heilige Benedikt in unserer Kirche als Kelch in der Hand trägt, frisch geaicht werden, allwo ich sonst keine Verantwortung übernehmen könnte.“ —

Die Folge der Lektüre dieses Berichtes war eine Depesche mit dem Auftrage, die angeblichen Falsifikate sofort an das Bezirksgericht einzusenden.

Sodann wollte Ehrenstraßer nach dem Paket greifen, auf dessen Adresse als Absender ein benachbartes Bezirksgericht genannt ist, da verlangte im Vorzimmer ein Bauer erregt nach dem Herrn Bezirksrichter, und Perathoner meldete, daß der Bauer Tobias Haid in dringlicher Angelegenheit den Herrn Gerichtsvorstand zu sprechen wünsche.

„Soll eintreten!“

Angesichts der großen Aufregung dieses Mannes hieß Ehrenstraßer selben sich setzen. Widerwillig gehorchte Haid, erhob sich aber schon beim nächsten Satze wieder.

„Sitzen bleiben!“ gebot der Richter.

Schwerfällig ließ sich der erregte Bauer in den Sessel zurückfallen und fuchtelte dabei mit den Armen wie verrückt in der Luft herum.

Das erprobte Mittel zur Beruhigung aufgeregter Leute verfängt bei diesem Menschen nicht, sitzend schweigt der Bauer.

„So bleib' halt stehen und erzähle!“

Der weitschweifigen Darstellung entnahm Ehrenstraßer, daß der Bauer Haid in verwichener Nacht auf der Straße zum Amtsstädtchen im finsteren Walde von einem Unbekannten angefallen und mißhandelt worden sei, und daß sich Haid nur durch schnelle Flucht habe retten können.

Der Richter notierte sich die Meldung, obgleich sie ihm unwahrscheinlich deucht. Eine Personalbeschreibung vermochte Haid nicht zu geben, es sei zu finster und der Schrecken zu groß gewesen.

Nachdem der Bauer entlassen war, öffnete Ehrenstraßer das Paket, welches eine mehrbogige Thatschrift und in sorgfältiger Umwickelung eine Mütze enthielt, wie solche in der Gegend häufig getragen werden.

Und die Zuschrift des benachbarten Amtsgerichts besagt, daß vor einiger Zeit ein Mann in finsterer Nacht von einem Unbekannten angefallen und schwer verletzt worden sei. Vom Thäter habe man nicht die geringste Personbeschreibung, jedoch dürfte ihm die beiliegende, auf der Straße vorgefundene Mütze gehören.

Unwillkürlich brachte Ehrenstraßer die eben erfolgte Anzeige des Haid mit der Meldung des Nachbargerichtes in Verbindung und aufmerksam las er das Schriftstück nochmals durch, wobei er das Postskriptum fand, in welchem der Adjunkt anfragt, ob nicht eine mikroskopische Untersuchung der Mütze durch den dortigen Gerichtsarzt angezeigt sein würde.

Eigentlich ärgerte den alten Richter diese Bemerkung eines jungen Adjunkten; doch war Ehrenstraßer in langer Praxis zu sehr gewohnt, auf die geringste Kleinigkeit zu achten, und aus diesem Grunde wollte er auch über diese, etwas naseweise Meinung nicht achtlos hinweggehen. So griff Ehrenstraßer denn zur Mütze und betrachtete sie aufmerksam. Zu sehen ist gar nichts, eine Mütze wie jede andere, im Stirnleder etwas durchgeschwitzt, also seit längerer Zeit im Gebrauch.

Würde vom Nachbargericht nicht eine schwere Körperverletzung gemeldet, man könnte die Anzeigen als ziemlich wertlos betrachten. Im übrigen kann es dem wenig beschäftigten Gerichtsarzt Dr. von Bauerntanz nicht schaden, wenn er Arbeit bekommt. Ehrenstraßer schrieb daher einige Zeilen, worin er um mikroskopische Untersuchung der beiliegenden Mütze und um baldigen Bericht bat.

In vorsichtiger Verpackung mußte Perathoner die Mütze zum Gerichtsarzt tragen.

Zwei Tage vergingen im ruhiger gewordenen Dienst. Als am Morgen des dritten Tages Ehrenstraßer in gewohnter Weise amtierte, wurde ihm die sorglich verpackte Mütze nebst Brief eingehändigt. Etwas spöttisch wog der Richter den Brief in der Hand, als wollte er das Gewicht des Resultats einer mikroskopischen Untersuchung prüfen. Das Lächeln erstarb bei der Brieflektüre, Dr. von Bauerntanz lieferte ein geradezu verblüffendes, wahrhaftiges Signalement, das Ehrenstraßer dem Arzt nicht zugetraut hätte. Klar und bestimmt heißt es im Bericht. „Der Besitzer der Mütze ist ein kräftiger, zur Korpulenz geneigter Mann in mittleren Jahren, mit schwarzem und graumelierten, neuerdings kurz verschnittenen Haaren und beginnender Glatze.“

Überrascht starrt Ehrenstraßer auf diesen kurzen und doch vielsagenden Bericht. Dieses Signalement paßt auf das Schärfste auf den „Rosenwirt“ im Städtchen. Aber es ist undenkbar, daß dieser allgemein geachtete Mann eine schwere Körperverletzung sich hätte zu schulden kommen lassen. Eines solchen Verbrechens ist dieser Mann gar nicht fähig, eine Verhaftung auf Grund dieses Signalements unmöglich, sie würde eine unerhörte Blamage bringen.

Wie der Doktor nur dazu gelangt sein kann, ein solches Signalement zu geben? Das grenzt an Hexerei oder Frivolität! Sollte Bauerntanz sich einen Scherz mit dem Richter erlaubt haben? Dann wehe ihm; dienstlich giebt es keine Späße; die Sache ist zu wichtig, es gilt ein Verbrechen aufzudecken, den Thäter ausfindig zu machen, die Untersuchung kennt keine Scherze.

Den Gedankengang Ehrenstraßers unterbrach der Besuch des Gerichtsarztes. Dr. von Bauerntanz grüßte und ging sofort zum Zweck seines Erscheinens über, indem er sagte. „Ich glaube, es wird Ihnen ein Kommentar zum kurzen Signalement erwünscht sein und solche Erörterung giebt man am besten mündlich!“

„Sie sehen mich thatsächlich überrascht, Herr Doktor! Ich bitte, nehmen Sie Platz! Wie sind Sie nur auf den Gedanken gekommen, den „Rosenwirt“, der allgemein als Ehrenmann bekannt ist, durch solches Signalement gewissermaßen zu porträtieren?“

„Porträtiert habe ich niemanden! Wer der Thäter ischt, hat den Gerichtsarzt gar nicht zu kümmern! Die von mir bethätigte Untersuchung mittels Mikroskop entwickelte sich in folgender Weise: „In der Mütze am Innenleder klebten zwei Haare, die unter dem Vergrößerungsglase eine graue Farbe zeigten, in ihrer Marksubstanz aber noch zahlreiche pechschwarze Pigmentzellen hatten. Daraus ergiebt sich, daß sie auf einem Schwarzkopf saßen, der jedoch bereits die ersten grauen Haare hat. Die Schnittfläche der vorgefundenen zwei Haare war scharf, der Mann hat sich vor kurzer Zeit das Kopfhaar scheren lassen. Die Haarwurzeln waren beträchtlich atrophiert, gestatten also die Schlußfolgerung, daß diese Haare, die in ihrer Epithelialschicht mehrere von Schweiß herrührende warzenförmige Hervorragungen zeigten, wahrscheinlich am Rande einer beginnenden Glatze gewachsen waren.

Der Mann schwitzt stark am Kopfe, also ischt der Mann zur Korpulenz geneigt, das ischt eine Regel, die fast immer zutrifft. Aus diesen Resultaten ergab sich das eingeschickte Signalement, das, wie ich glaube annehmen zu dürfen, zutreffend ischt!“

Ehrenstraßer schritt erregt im Zimmer auf und ab; heiseren Tones erwiderte er: „Alle Achtung vor Ihrer Wissenschaft! Aber das Signalement paßt haarscharf auf den „Rosenwirt“ und dem ischt eine Körperverletzung nicht zuzutrauen!“

„Ja, was das Gericht auf Grund dieser mikroskopischen Untersuchung thut, das hat den Arzt nichts zu kümmern! Das Signalement ischt richtig, dafür stehe ich ein! Das Weitere ischt Sache des Untersuchungsrichters!“

Dr. von Bauerntanz mochte etwas mehr Anerkennung erwartet haben, doch Ehrenstraßer schien geradezu traumverloren zu sein. So entfernte sich der Gerichtsarzt, kühl grüßend, und der Richter blieb in tiefen Gedanken in der Kanzlei zurück. Das Signalement bereitet ihm wirkliche Sorge in betreff der einzuleitenden Maßnahmen. Nur keine Mißgriffe, keine Übereilung! Aber eine Probe soll angestellt werden dahin, ob auch andere Menschen aus dem ärztlichen Signalement den „Rosenwirt“, herausfinden. Ehrenstraßer ließ sich den Gendarmenwachtmeister kommen, der zufällig zu Hause war und daher sogleich erscheinen konnte. Ihm las der Richter das Signalement vor und der Wachtmeister platzte in größter Überraschung heraus. „Das ischt ja der ‚Rosenwirt‘! Was hat denn selles Mandl angestellt?“

 

„Das kann ich noch nicht sagen! Bringen Sie mir den Mann, achten Sie aber bei Übermittelung des Vorführungsbefehles auf dessen Benehmen und etwaige Anzeichen von Schrecken &c. Finden Sie ihn nicht zu Hause, so warten Sie auf ihn irgendwo. Es soll alles möglichst ohne Aufsehen geschehen! Eine eigentliche Verhaftung soll es nicht sein! Haben Sie mich verstanden?“

„Zu Befehl, Herr Bezirksrichter!“

Der Wachtmeister ging und schon nach einer Stunde brachte er den heillos erregten „Rosenwirt“ in die Gerichtskanzlei.

Indes der Gendarm sich entfernte, übernahm der Aktuar den Dienst der Niederschrift des Verhörs.

Ehrenstraßer richtete in mühsam erkämpfter Ruhe die Frage an den aufgeregten Wirt: „Wo haben Sie die Nacht vor drei Tagen verbracht?“

Wie weggeblasen schien die Aufregung des Vorgeführten, und mit einer geradezu verblüffenden Ruhe erwiderte der Wirt: „In seller Nacht war ich daheim!“

Alle weiteren Fragen in Kreuz und Quer beantwortete der Wirt mit unerschütterlicher Ruhe und nannte Zeugen für sein Alibi. Die Situation verschob sich, diesmal ist der Richter aufgeregt, der Vorgeführte gelassen. Ehrenstraßer fühlte das Unangenehme dieser Situation, welche schlimm für einen Untersuchungsrichter ist. Sein Blick fiel auf den eifrig kritzelnden Aktuar, mit welchem Ehrenstraßer schon vor Jahren vereinbart hatte, bei Verhören etwaige Wahrnehmungen zur unmerklichen Meldung dadurch zu bringen, daß der Aktuar seine Beobachtung oder eine Vergeßlichkeit des Richters in der Fragestellung auf die Unterlage des Protokollbogens niederschreibt.

Ehrenstraßer bemerkte dieses für dritte Personen ganz unverfängliche Kritzeln, hielt mit dem Diktieren inne, trat zum Schreiber und las das Gekritzel, während er scheinbar den Faden zum Weiterdiktieren suchte.

Das Gekritzel besagte. „Der Mann starrt auffällig auf den Tisch, ist die Mütze ihm gehörig?“

Da die Mütze mit einem Bogen Papier verdeckt war, konnte sie der Wirt doch nicht sehen. Sollte er sie aber doch gesehen haben, so würde sein auffälliges Hinstarren allerdings sehr verdächtig sein.

Ehrenstraßer fand jetzt die Ruhe wieder und gelassen nahm er die Mütze in die Hand, wobei er den Wirt scharf im Auge behielt. Dieser zwang sich ersichtlich zum Ruhigbleiben, doch das Flackern im Auge vermochte er nicht ganz zu unterdrücken.

„Kennen Sie diese Mütze?“

„Nein!“

„Ich meinte nur? Sie gehört wahrscheinlich dem Tobias Haid!“

„Das glaub' ich auch!“

„Kennt Ihr den Haid?“

„Nein!“

„Wie könnt Ihr dann glauben, daß die Mütze dem Haid gehört?“

Der Wirt schwieg und senkte die Augenlider.

„Ihr könnt gehen, Rosenwirt!“

Unwillkürlich stieß dieser einen Seufzer der Erleichterung aus, den sowohl Ehrenstraßer wie der Aktuar hörten, und trollte mit auffallender Hast hinaus.

Ein verzwickter Fall: Verdächtige Anzeichen sind vorhanden, doch scheint eine Verhaftung doch verfrüht. Zum mindesten möchte Ehrenstraßer den Fall mit Haid vorher geklärt wissen.

Und diese Klärung brachte der nächste Morgen mit einem Schreiben des Nachbargerichts inhaltlich der Anzeige, daß vor jenem Gericht ein Bürger von dort angegeben habe, in fraglicher Nacht im Walde auf der Bergstraße gegen Mitternacht einem höchst verdächtigen Manne begegnet zu sein. In der Voraussetzung, daß in jener entlegenen Berggegend um Mitternacht der Unbekannte nichts anderes als räuberische Absichten haben konnte, sei jener Bürger auf den Räuber losgesprungen, habe ihm mehrere Hiebe verabreicht, worauf der Unbekannte die Flucht ergriffen habe.

„Wenn da nicht Haid und jener Bürger sich gegenseitig als Räuber betrachtet und geprügelt haben, will ich mein Geschäft aufgeben!“ rief Ehrenstraßer und lud beide Männer vor.

Das Ergebnis dieser Citation war wenige Tage später ein alle Teile belustigendes: Beide Männer hatten sich bei der Begegnung im Bergwald um Mitternacht vor einander gefürchtet, waren aus Angst aufeinander losgesprungen, und jeder hieb los, um dann eiligst die Flucht zu ergreifen. Von räuberischer Absicht konnte bei Haid wie beim Bürger keine Rede sein. Soweit war dieser Fall zur allgemeinen Befriedigung erledigt.

Blieb nur noch die Geschichte mit dem mikroskopischen Signalement, und in dieser Sache sollte Ehrenstraßer wieder einmal den Wert einer gutgeschulten Gendarmerie erproben. Wiewohl ohne speziellen Auftrag, lediglich durch den damaligen Vorführungsbefehl aufmerksam gemacht, beobachtete der Wachtmeister den „Rosenwirt“ unauffällig und schritt in dem Augenblick zur Kontrollierung, als der Wirt die Flucht ergreifen wollte. Die heftige Gegenwehr veranlaßte den Wachtmeister, den rabiat gewordenen Wirt vor den Richter zu bringen, der eben den Verhaftungsbefehl niederschrieb. Unter dem Eindrucke seiner Verhaftung und des entdeckten Fluchtversuches gab der Wirt das Leugnen auf, anerkannte die Mütze als sein Eigentum und gestand die schwere Körperverletzung zu.

Somit war diesmal ein Verbrecher mit Hilfe des Mikroskopes entdeckt worden, und Ehrenstraßer hielt fürder den klugen, jungen Adjunkten hoch in Achtung.

Das Frohgefühl einer befriedigenden Erledigung dieser Fälle wich am nächsten Tage einer beispiellosen Überraschung, die den alten Richter hüpfen machte. Unter dem Briefeinlauf für das k. k. Bezirksgericht befand sich eine Geldanweisung auf 18 Gulden, aufgegeben von jener Gemeindevorstehung, welche den Umlauf falschen Geldes gemeldet hatte. Der findige Bauernbürgermeister hatte die Depesche des Gerichts inhaltlich der Anforderung zur Einsendung der Falsifikate dahin aufgefaßt, daß er die falschen Gulden- und Kronenstücke auf dem Postamt seines Wohnortes mittels – Postanweisung einzahlte, und das gutgläubige Postfräulein hatte die Falsifikate ruhig entgegengenommen und wieder hinausgegeben. Ehrenstraßer vollführte einen Indianertanz in seiner Kanzlei, dann aber ordnete er sogleich eine Kommission in dieser Sache an und noch am Nachmittag reiste er selbst in Begleitung seines Aktuars und des Wachtmeisters nach jener Gemeinde ab.

XVI

Während die Kommissionsmitglieder vor dem Gemeindehause warteten, nahm in der Gemeindekanzlei der Bezirksrichter den genialen Bauernbürgermeister vor, wie es sich angesichts des verübten Geniestreiches gebührt. Ehrenstraßer rüffelte den Mann im breiteten Dialekt, damit der Vorsteher sicher jedes Wort verstehe, doch hatte es Schwierigkeiten, dem Manne die begangene Dummheit begreiflich zu machen.

„Ischt denn die Anweisung falsch ankemma (angekommen)?“ fragte der Vorsteher immer wieder.

„Deine haarsträubende Dummheit besteht ja darin, daß du das angesammelte falsche Geld wieder ausgegeben hascht!“

„Sell hun (habe) i ja müssen!“ beteuerte der Vorsteher.

„Warum denn?“

„I hun ja decht gutes, echtes Geld für das falsche hergegeben!“

„Wieso?“

„Na ja! Der Kerschenwirschth (Wirt) hat g'sagt, i als Vorsteher müßt' das falsche Geld konfiskalieren von Polizei wegen —“

„Und da hast du dem Wirschth für die Falsifikate echtes Geld gegeben?“

„Freilich! Sunst hätt' 's mir ja der Wirschth nöt eing'händigt! Er, hat er g'sagt, kunnt den Schaden nit allein tragen! Er hat ja an' Wein und sonstiges ausg'folgt und das falsche Geld dafür in Zahlung nehmen müssen!“

Ehrenstraßer hustete ob dieser Darstellung.

„I möcht' glei' nur bitten um a milde Straf'!“

Was wollte der Richter angesichts solcher Dummheit machen! Er begann das Verhör in praktischer Weise zu erweitern und fragte, weshalb auf dem Senner der Kreuzalpe der Verdacht einer Münzfälschung liege.

„Weil er in der letzten Zeit viel ‚schwarzes Mehl‘ eingekauft hat!“

„Hat der Senn das schwarze Mehl selber gekauft?“

„Der Krämer sagt nein!“

„Wer hat dann gekauft?“

„Dem Senn sein G'spusi (Geliebte)!“

„Und hat selles Dirndl mit Falschgeld bezahlt?“

„Das wissen wir nit!“

Ehrenstraßer erkannte, daß von diesem Prachtexemplar eines Dorfhäuptlings nichts weiter zu erforschen ist und die Erhebungen in anderer Richtung angestellt werden müssen.

Verdächtig bleibt die Existenz eines weiblichen Wesens in der Sache, denn bei Münzfälschungen wird immer ein Weib hauptsächlich die Verbreiterin der Falsifikate sein, das ist eine alte Gerichtserfahrung. Ehrenstraßer ließ sich sagen, wo die Dirne zu finden ist, und beendete das Verhör mit dem Auftrage, es solle der Vorsteher so weit als möglich die Falsifikate konfiszieren und zwar ohne dafür Entschädigung zu zahlen und die gesammelten Münzen in einem verschlossenen Sacke an das Gericht schicken.

Beim Dorfkrämer erfuhr der Richter lediglich, daß Ursula, des Kreuzalpsenners Geliebte, in letzter Zeit häufig Pulver holte und bezahlte. Daß die Silberstücke falsch waren, kam erst hinterdrein auf, als der Krämer seine Weinschuld beim Wirt bezahlen wollte, und verschiedene Kronenstücke als falsch beanstandet wurden.

Ehrenstraßer warf ein: „Weißt du denn, Krämer, ob gerade das von der Ursula gezahlte Geld falsch war?“

„Das ischt decht leicht zu erraten! Das Pulver braucht der Senn decht nur zum Wildschießen und die Urschi ischt sein Schatz! Also ischt au' das Geld nicht in Ordnung!“

Daß die Untersuchung nun bei der Ursula beginnen muß, war klar, doch wenig angenehm, denn es wird der Richter gezwungen sein, einen beschwerlichen Aufstieg zur Urfahrnalm, wo die Ursula als Sennin thätig ist, zu machen. Dazu ist es aber für den heutigen Tag zu spät, man muß daher im Dörflein übernachten.

Die Freuden des kommissarischen Landaufenthaltes konnte Ehrenstraßer am Abend vollauf genießen; zum Imbiß fettes, gesottenes Schaffleisch und saueren Rötel, zur Nachtruhe ein schweres Hühnerfedernbett, dessen Gestell um schier einen halben Meter zu kurz ist. Doch kostete dieses Übernachten nur zehn Kreuzer pro Mann.

Der Feldzugsplan war verabredet, es marschieren der Aktuar und der Wachtmeister zur Kreuzalpe, bleiben aber unterwegs versteckt und warten, bis von der Alm aus der Richter mit dem Taschentuch das Zeichen zum raschen Anmarsch giebt.

Die Besuche und ersten Erhebungen will Ehrenstraßer selbst vollführen.

Würde der Aufstieg dem Vergnügen gelten, der Ausflugstag könnte nicht schöner sein, ein prachtvoller Morgen im schönsten Sonnenglanz, die tiroler Wunderwelt zeigt sich in allen Zaubern, im Bergwald jubilieren die Finken und Grasmücken, die geschäftigen Meisen piepsen ihr allerliebstes „Zizibeh – Zizibeh“ und gucken dann dem einsamen Bergwanderer neugierig nach.

Für die Reize der Umgebung hatte Ehrenstraßer, so sehr er sonst ein begeisterter Naturfreund ist, diesmal wenig Sinn; ihn beschäftigt zu sehr die Frage, auf welche Weise dem Paare beizukommen sein könnte, wenn wirklich just bei diesen Leutchen etwas an der Sache sein sollte. Besonders wahrscheinlich ist das nicht, wiewohl die Praxis ja solche Fälle kennt und Falschmünzerei auf der Alp vorgekommen ist.

Höher stieg die Sonne, es ward heiß, bis Ehrenstraßer endlich die Urfahrnalm zu Sicht bekam. Nach einem halben Stündchen war die düstere, Kühlung verheißende Hütte erreicht, und aufatmend ließ sich der Richter auf der Bank vor der verwitterten Hütte nieder. Niemand zu Hause, doch steht die Thüre offen; Ehrenstraßer suchte die Umgebung ab, und erblickte denn auch bald die Sennerin, die mit schwerem Grasbündel auf dem Kopf von der Bergmahd zurückkam.

Entgegen sonstigem Almbrauch fiel die Begrüßung des Bergsteigers seitens der derbknochigen Sennin Ursula frostig aus, und die Frage nach dem Begehr klang eher abwehrend denn einladend.

„Ein Schaalerl Humorsuppe (Kaffee) könntest mir decht geben für mein Geld und gute Worte!“ meinte lächelnd der Beamte.

„Ich hun koanen!“

„Na, so gieb mir halt einen Weidling Milch für einen Sechser!“

Ein forschender Blick streifte den Besucher, dann holte Urschi die verlangte Milch aus dem Kellerchen und stellte sie nebst einem Blechlöffel auf den Tisch in der Hütte, wo inzwischen Ehrenstraßer Platz genommen hatte.

Die Geldmünze, welche der Richter sogleich auf den Tisch legte, ignorierte Urschi, weshalb Ehrenstraßer möglichst harmlos sagte. „Brauchst keine Angst zu haben, mein Geld ischt echt!“

Jäh wendete sich die Sennin nach dem Sprecher um und warf ihm einen stahlharten Blick zu.

 

„Bischt vielleicht schon ausgeschmiert worden mit falschem Geld, weil du so grimmig schaust?“

„Wer seid 's Ös denn, Herr?“

„Ich? O mein', ich bin gleich nur so ein Schulmeisterle aus Innsbruck und mach' eine Spritztour!“

„So? Na, dann behalt' nur den Sechser, die Milch kostet nix!“

„Auch recht! Ich dank' halt recht schön! Unser einer muß die Kreuzer zusammenhalten, auf daß ein Gulden d'raus wird!“

Die Sennin schien sich zu beruhigen, das anfängliche Mißtrauen wich, das Schulmeisterle ist nicht verdächtig.

„Bischt zum erstenmal bei uns herinnen im Birg?“

„Ja! Ischt prächtig schön bei Enk! Sag' Sennin, habt Ihr viel Gamselen im Birg?“

„Bischt du 'leicht a Jaager?“

„'s Gamselen schießen, sell wär' halt mein Leben! Aber ein alter Schulfuchs kommt halt nicht dazu! Ein einzigesmal auf 'm Rumer Joch hab' ich ein Gamsele g'schossen und gut ischt's 'gangen, war weit und breit kein Jäger und kein Gendarm!“

Die Zutraulichkeit wuchs infolge dieses Geständnisses eines Wilddiebstahles, Ursula lachte. „Hascht den Bock gut versilbern können?“

„Laß mich aus mit dem Versilbern! Weiß man denn heutzutage, welches Geld echt ischt!“

Wieder ein forschender Blick.

„Mit dem neuen Geld ischt es ein Kreuz, die guten Silbergulden wollen sie einziehen und die neuen Kronen kennt kein Mensch voneinander. Gleich gestern hab' ich ein solches Stückl erwischt und hinterdrein war es falsch.“

„Wo denn? Decht net in unserem Dörfl unten?“

„Na, na! Ischt merkwürdig: überall heißt es, das neue Geld ischt falsch und grad daherinnen hört man davon nix!“

Ein spöttischer Zug huschte über die scharfgeschnittenen Lippen der starkknochigen Sennin. „Kennst du 'leicht selles Geld gut auseinander?“

„Wie sollt' denn grad' ich dazukommen?!“

„Ischt es war, daß die Silbergulden ein'zogen werden sollen?“

„Die nächsten Jahr' noch nicht!“

„Da bin ich aber froh!“

„Warum?“

„Ja, wißt Herr! Bald hun' ich den zweiten Strumpf voll mit Silbergulden und aftn kann ich heiraten!“

„Ah, da gratulier' ich!“

„Ja, ich halt' 'was drauf, lauter gutes, altes Geld, nöt so das neumodische G'lump! Hat mir erscht vor etlichen Tägen ein Herr zwei Kronen oder wie man's nennt, g'schenkt für 's Übernachtbehalten und selles neumodische G'lump möcht' gern los sein!“

„Möchst wohl einen Silbergulden dafür haben?“

„Wenscht so gut sein willscht, Schulmoaster!“

„Gern!“ erwiderte der Richter und zog sein Portemonnaie hervor, um einen Silbergulden herauszunehmen.

Daß die Sennin ihre Kronen in der Tischlade ohne besondere Verwahrung liegen hatte, erschien verdächtig. Ehrenstraßer beobachtete die Person sehr scharf, als sie vermied, die Geldstücke irgendwie auf dem Ahorntisch klingen zu lassen, und selbe ihm in die Hand geben wollte.

Der Richter spürte augenblicklich, daß sich die Kronen etwas fettig angriffen und sah den matten Schimmer; es sind also wirklich Falsifikate. In größter Harmlosigkeit vollzog Ehrenstraßer das Tauschgeschäft, bei welchem die Sennin eine Sicherheit bekundete, die darauf schließen läßt, daß Urschi das Verbreiten von Falsifikaten schon längere Zeit hindurch übte. Sonderbar bleibt nur, daß sie es bei einem wildfremden Menschen sogar auf der Alm probiert. Vielleicht aber hält sie den angeblichen Schulmeister für harmlos genug, den Schwindel zu verüben.

Zufrieden mit der Durchführung seiner Rolle und den erwischten Falsifikaten wollte Ehrenstraßer nun das Gespräch auf den Senn überleiten, doch wich Ursula geschickt aus mit der Beteuerung, daß sie seit Jahren nicht auf die Kreuzalm gekommen sei und den dortigen Senn kaum einmal gesprochen hätte.

„Ischt die Fernsicht besonders schön auf der Kreuzalm oben?“

„Ich glaub' nit?“

„Na, probieren möcht' ich's decht! Jetzt bin ich schon so weit heroben, da kommt es auf das Stünderl nimmer an!“

„Was? Ein Stünderl? Gut drei Stunden rechnet man auffi! Und sehen thuscht nixen! Der Senn ischt a wildes Mannsbild und zum Essen kriegst au' nixen! Ich rat' dir gut. Bleib' bei mir! Ich koch' dir an Retzel (Schmarren, Mehlspeise) grad nobel und auf a Tupfele Schnaps kommt's mir au' nit an!“

Diese Haltung der Urschi veranlaßte Ehrenstraßer, unverweilt aufzubrechen, doch übte er die Vorsicht, vorzugeben, daß er noch einen Spaziergang über den Almgrund machen und zum Essen zurückkehren wolle.

Damit durfte der Richter hoffen, Ursula auf ihre Alm zu bannen und einer rechtzeitigen Warnung des Sennen vorzubeugen.

Eine Schwierigkeit bot freilich die Unkenntnis des zur Kreuzalp führenden Steiges, doch wird hoffentlich die mitgeführte Generalstabskarte Aufschluß erteilen.

„Kimm fein g'wiß wieder in einer Stund'!“ rief Urschi dem fortgehenden vermeintlichen Schullehrer nach. Ehrenstraßer stapfte gelassen dem Walde zu und studierte scharf das anzeigende Terrain. Ein steiniger Kuhweg verliert sich oben am Rhododendrongestrüpp. Auf der Karte ist dieser Weg eingezeichnet, der Richter findet auch die Höhendifferenz mit etwa 120 m angegeben, also kann die Kreuzalm in spätestens einer Stunde erreicht werden. Es gilt nun, den Wald schräg zu durchqueren und unterhalb der eingesprengten Felswandeln an den Steig zu gelangen, der aufwärts führt. Das ist nun leichter gesagt als gethan, zumal in der Mittagshitze, und Ehrenstraßer ist kein Junger mehr. Aber ein Sohn der Berge bewahrt sich eine gewisse Steigfähigkeit bis in späte Tage. Mag der Schweiß von der Stirne rinnen, der Atem pfeifen, der Steiger ist im Dienst, es muß sein.

Der Wald will kein Ende nehmen; sollte sich Ehrenstraßer vergangen, im Kreise bewegt haben? Der Zeit nach scheint dem so zu sein, die Uhr zeigt den Umfluß von bald zwei Stunden. Eine Orientierung im Bergwald ist nicht möglich, die Fichten verwehren jeden Ausblick. Ein Glück, daß der allzeit vorsichtige Beamte den kleinen Kompaß in der Westentasche stecken hat, mit dessen Hilfe und der Karte die Richtung einigermaßen festgestellt werden kann. Richtig war es ein Abweichen nach links, statt streng nach rechts. Schon nach weiterem halbstündigen Steigen versperrten die Wandeln das Aufwärtsstreben, Ehrenstraßer bog daher nach rechts vollends aus und kam an die Waldlisiere, bald darauf waren Spuren eines verfallenen Steiges zu entdecken. Noch eine Viertelstunde scharfen Ansteigens, da erwartete den keuchenden Richter eine Überraschung. Der Aktuar und der Wachtmeister hielten im Schatten einer Felsnase Rast und bei ihnen saß schimpfend – — Ursula.

Ehrenstraßer guckte, reden konnte er nicht, er mußte erst seine Lunge in Ordnung bringen.

Die Situation wurde von den aufspringenden Kommissionsmitgliedern sogleich aufgeklärt; der Wachtmeister glaubte die in größter Eile heraufspringende Sennerin bis zur Ankunft des Richters unter allen Umständen festhalten zu müssen.

„Brav gemacht, Wachtmeister! Die wackere Ursula ischt verhaftet!“

Im selben Augenblicke hatte ihr der Gendarm auch schon die Kettenfessel um die Handgelenke gebunden. Auf die Flut von Schimpfworten achteten die Herren weiter nicht.

Ehrenstraßer wiederholte nun die Ordre, daß die Kommission samt der verhafteten Sennerin sehr langsam so weit vordringen sollte, bis das optische Signal mit dem Taschentuch gesehen werden könne, und stapfte sodann zur Kreuzalpe hinauf.

Das Herannahen eines Herrn hatte der Senn alsbald bemerkt und sein Mißtrauen wachgerufen, doch ergriff er keineswegs die Flucht. Ehrenstraßer that, als bewundere er die Fernsicht, er blieb absichtlich an einer Stelle, welche einen prächtigen Fernblick gestattete, stehen. Erst nach einer Weile trat er zur Hütte und rief hinein.

Mürrisch fragte der stämmige Bursche, was der Herr wolle, erklärte aber rundweg, nichts verabreichen zu können, weil er nichts besitze.

Auf ein Gespräch ließ sich der verschlossene Senn nicht ein, so blieb dem Richter nichts weiter übrig, als auf das Nahen des Gendarmen zu warten. Die Situation war nicht eben erfreulich; will der Verdächtige fliehen, so kann ihm die Flucht nicht verwehrt werden, es giebt noch andere Pfade als den von der Kommission besetzten. Die Ankündigung einer Verhaftung ist zwecklos, vielleicht verfrüht, wenn nicht gefährlich.

Auf der Bank vor der Hütte ausruhend, blickte Ehrenstraßer mit gewisser Sehnsucht den Steig hinunter und hielt das Taschentuch zum Signalisieren bereit. Doch ehe von seinen Leuten noch etwas zu sehen war, ertönte ein schriller Käuzchenruf11 aus der Tiefe herauf, der den Sennen augenblicklich veranlaßte, herauszuspringen und Umschau zu halten.

10Nach den Originalen wörtlich kopiert. D.V.
11Der Ruf des Baumkauzes gilt als Warnung und lautet, in Noten gesetzt, ungefähr: [Zum Abspielen von Midi Grafik anklicken.]