Dummes Mädchen, schlaues Mädchen - Ein Fall für Harald Steiner

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Die Nuss, die ihr gegenübersaß, erschien Helga einige Spuren zu hart. Natürlich war es nahezu unvorstellbar, dass sie über Jahre hinweg das System Nille nicht irgendwie in seinen Ansätzen durchschaut haben sollte. Und da war ja noch etwas, das einer näheren Überprüfung nicht standhalten würde. Sie hatte Geld von Heiko bezogen, von ihm erpresstes Geld. Sollte der Kerl eines Tages selber den Prüfungen nicht mehr standhalten, würde er das unweigerlich auch ausplaudern. Wegen des Taschengeldes, das sie von ihm erpresst hatte, hatte sie keine Angst. Das nachträglich zu versteuern, war das Geringfügigste. Aber dann würde automatisch die Frage hochkommen, wieso er ihr überhaupt eine monatliche Dotation zukommen ließ. Ihr musste etwas einfallen, alle Fragen hierzu vorwegzunehmen. Und ihr fiel dazu etwas ganz Gescheites ein.

„Hören Sie, Herr Hauptkommissar, natürlich habe ich einiges gewusst, einiges geahnt und mir einiges zusammengereimt. Wenn jemand ihn anrief und siebzig Sets Winterreifen einer bestimmten Marke und Sorte auf Alufelgen für eine ebenso bestimmte Automarke haben wollte, dauerte es mal gerade zwanzig Minuten und zwei, bestenfalls drei Telefonate, und schon rief er den Kunden zurück und konnte ihm Preise nennen und Liefertermine zusagen. Selbstverständlich konnte ich daraus nicht ableiten, was da genau lief, wohl aber, dass es etwas zu rasch lief. Als wir uns dann trennten, kam mir die Idee, für mein Wissen ein wenig abzusahnen. Das war zwar hoch gepokert, weil ich im Grunde wenig wusste, schon gar nichts Konkretes, aber es verfehlte nicht seine Wirkung. Für die nächsten zehn Jahre hat sich Heiko verpflichtet, meinem kleinen Unternehmen einen monatlichen Zuschuss zu gewähren. Ich war in meinen Forderungen nicht sehr aufdringlich. Es war eher so etwas wie Rache und Genugtuung für die verpatzte Beziehung.“

„Also hat er effektiv Dreck am Stecken,“ folgerte Steiner daraus.

Erneut lächelte die Bode, und diesmal wirkte es im Gegensatz zu ihrer Aussage unschuldig. „Es gibt nirgendwo einen astreinen Handel. Meine Aktion basierte pur auf Vermutungen. Ich hatte eben Glück und meine kleine Rache. Was wirklich bei Heiko abläuft…da muss ich leider passen.“

„Kommen wir zur berühmten Alibifrage. Wo waren Sie von vorgestern Abend auf gestern Morgen?“

„Seltsame Frage,“ meinte die Bode. „Wenn ich mich nicht irre, war die Jahn vorgestern im späten Nachmittag erstochen worden. Außerdem steht doch einwandfrei fest, dass der Täter ein junger Mann war.“

„Letzteres entspricht den Tatsachen, allerdings ist dieser junge Mann selber hinterher ermordet worden,“ klärte Harald sie auf.

Sie musste wieder lachen, und ihr Lachen klang nicht gekünstelt. „Das ist ja ’n Ding. Wenn Sie es unbedingt wissen müssen, Herr Hauptkommissar, ich war am Mittwochabend bei einem Kunden, verließ diesen etwa gegen 23 Uhr und verbrachte den Rest der Nacht alleine in meinem Bett.“

Jenny Mombach geriet bei Monika Steiners Nachforschungen zu einer weitaus interessanteren Person, als es sich die Ermittler bisher vorgestellt hatten. Eines der Fahrzeuge, dessen Kennzeichen die Renners aufgeschrieben hatten, war auf die Mombach zugelassen gewesen. Sie wohnte demnach auch nicht mehr im Raum Kassel, sondern in Bonn, also nur mal gerade 40 Kilometer von Köln entfernt. Wenn ihr Nissan Micra in Sichtweite des Hauses in der Lindenallee gestanden hatte, hatten die Jahn oder Nille keine Besucher laut den Niederschriften der Rentner. Jedoch war auch nicht spezifisch die Rede davon, die Fahrerin oder der Fahrer des Wagens habe stundenlang in diesem gesessen, ebenso wenig, ob Angela oder Heiko überhaupt daheim waren. Jedenfalls war das der Auslöser dafür, sich tiefer gehend mit Jenny Mombach zu befassen. Monika rief in Kassel bei dem Frisörmeister an, bei dem sowohl die Mombach, wie auch die Jahn ihre Lehre gemacht hatten. Auch die Auskunft des Frisörs warf ein merkwürdiges Licht auf Jenny Mombach. Jenny habe, als das Urteil gegen Angela wegen der Scherenattacke gesprochen worden war und der Meister sich nicht bereit zeigte, von sich aus den Lehrvertrag mit Angela Jahn aufzukündigen, selber ihre Lehre hingeschmissen. Danach sei es dann zu einer Reihe von Unannehmlichkeiten für Angela gekommen, deren Urheberschaft allgemein Jenny zugeschrieben wurde, was aber nie bewiesen werden konnte. Dazu zählten dann auch jene gegen Angela erhobenen Vorwürfe, sie sei auch gegen andere Personen gewalttätig geworden. Dass diese Vorwürfe sich als haltlos erwiesen oder, besser gesagt, als aufgesetzt erscheinen mussten, lag daran, dass alle Anzeigen dieser Art von Leuten gemacht wurden, die eng mit Jenny befreundet gewesen waren. Eines, so glaubte der Coiffeur, habe die Mombach dann doch damit erreicht, nämlich dass Angela von sich aus bei ihm gekündigt und Kassel verlassen hatte. Also nahm sich Monika Jenny Mombachs Strafregister vor, und tatsächlich dürfte die junge Frau auch mit anderen Leuten ähnliche Mobbingspielchen betrieben haben, die sich mehr zur Wehr gesetzt und sie ihrer Machenschaften wegen angezeigt hatten. Verurteilt worden ist Jenny allerdings nie.

Als Monika dem aus Longerich zurückgekehrten Hauptkommissar darüber berichtete, beschloss dieser, zusammen mit ihr zunächst die Renners aufzusuchen und anschließend nach Bonn zu fahren.

Robert und Karmen Renner erinnerten sich an den Nissan Micra, als sie danach gefragt wurden. Nein, den Fahrer oder die Fahrerin des Wagens hatten sie leider immer verpasst, aber sicherlich war diese Person nicht über längere Zeit im Wagen sitzen geblieben, denn sonst hätten sie das gewiss schriftlich festgehalten. Steiner bat darum, sich rund ums Haus umsehen zu dürfen. In Begleitung des Hausherrn wurde eine Besichtigung der Außenanlagen vorgenommen. Haralds Interesse galt den Stellen, welche für eine Observation des Hauses und insbesondere des Geschosses, in dem Nille wohnte, geeignet waren. Ecken, wo man sich verstecken konnte, um selber ungesehen das Haus zu beobachten, gab es genug. Und es war nicht einmal unmöglich, solche zu erreichen, ohne befürchten zu müssen, vom Haus aus dabei entdeckt zu werden. Außerdem brauchte das Betreten des Grundstücks durch Fremde am helllichten Tag nicht als suspekt aufgenommen werden, da hier wohl häufiger den Nachbarn fremde Personen bei Nille oder den Renners verkehrten, und der Eingangsbereich des Hauses war so schön für Außenstehende der Sicht entzogen, dass jeder, der es darauf anlegte, auch unbemerkt daran vorbeispazieren konnte. Nur eines war an keinem der in Betracht kommenden Beobachtungspunkten möglich: Es gab keine Stelle, von wo aus man in Nilles Wohnbereich hätte blicken können. Dazu fehlte das Höhenniveau.

Steiner fragte die Renners, ob Heiko zuhause sei. „Na, ohne seinen Porsche verlässt er nie das Anwesen. Und der steht ja wohl vor seiner Garagenbox,“ bekamen die Kripoleute zur Antwort.

Heiko Nille zeigte sich wenig über die Besucher erfreut. Ziemlich barsch fragte er: „Gibt es was Neues? Oder was kann ich sonst für Sie tun?“

Er hatte absolut nicht vor, die beiden Kriminaler hereinzubitten, und Harald hatte diesmal nicht vor, sich selber hineinzuzwängen.

„Unsere Fragen sind schnell beantwortet,“ sagte er. „Kennen Sie eine Jenny Mombach? Oder sagt Ihnen zumindest der Name etwas?“

„Nicht die Bohne,“ entgegnete Heiko.

„Diese Frau Mombach scheint die Ursache dafür zu sein, dass Frau Jahn von Kassel nach Köln gezogen ist. Sie war es auch gewesen, die Angela mit einer Schere angegriffen hatte. Sie erinnern sich, was ich Ihnen aus Frau Jahns Akte zitiert habe,“ erläuterte Harald. „Das Auto dieser Frau Mombach ist in den letzten Monaten häufiger hier in der Straße abgestellt worden. Dennoch soll diese Frau niemals hier oben bei Ihnen in der Wohnung gewesen sein.“

„Haben das mal wieder die Renners behauptet?“ wollte Nille wissen.

„Ist doch egal, woher wir das wissen,“ zeigte sich nun Steiner von seiner unfreundlicheren Seite. „Ich will nur klipp und klar von Ihnen wissen, ob diese Mombach jemals in Ihrer Wohnung gewesen ist.“

„Jedenfalls nicht, wenn ich da war,“ konterte Heiko ebenfalls wenig freundlich. „Es soll ja manchmal Zufälle geben, die es eigentlich nach aller Wahrscheinlichkeit gar nicht geben dürfte. Wer ist denn diese Person konkret?“

„Das sagte ich Ihnen doch soeben. Die Frau, die Angela Jahn aus Kassel weggeekelt hat.“

„Weggeekelt?“ wiederholte Nille erstaunt. „Angela hat mir gegenüber niemals behauptet, aus Kassel weggeekelt worden zu sein. Mir erzählte sie, in Köln habe sie die besseren Aufstiegschancen vorzufinden geglaubt.“

Nun mischte sich Monika ein. „Könnte es sein, dass die Angela Nachteile für Ihre gemeinsame Beziehung befürchtete, wenn sie zugegeben hätte, warum sie in Wirklichkeit Kassel verlassen hatte?“

Heiko seufzte. „Angela sprach nie gerne über ihre Vergangenheit. Sie ertrug auch keine Niederlagen, jedenfalls keine blamablen. Hätte ich von solchen Kenntnis gehabt, hätte mir das wenig ausgemacht. Unsere Beziehung hätte das, was mich angeht, bestimmt nicht belastet. Aber ja, Sie könnten Recht haben, dass sie mir solche Vorfälle verschwiegen hat. Na und?“

„Danke, Herr Nille, das war es schon, was wir Sie zur Mombach fragen wollten,“ erklärte Harald, um nun doch noch eine andere Sache zur Sprache zu bringen. „Sagt Ihnen denn der Name Tarek Khan mehr?“

Heikos anfängliche Unfreundlichkeit schlug nun in Resignation um. „Wer soll das sein? Vielleicht ein Schuhputzer, der Angela irgendwann mal über den Weg gelaufen ist und bei der Gelegenheit ihre Treter entstellt hat?“

Steiner gab einen Lachlaut von sich. Monika begriff sofort, dass ihm der Begriff Schuhputzer im Zusammenhang mit einem Orientalen gut gefiel. „Nun, Herr Nille, wir fanden die Leiche eines Mannes in einem Container, der im Hinterhof eines Restaurants in Nippes stand. Der Tote weist gewisse Ähnlichkeiten mit dem Mörder Ihrer Freundin auf. Möglicherweise war sein Name eben Tarek Khan. Glauben Sie mir, wenn ich erfahre, ein Mörder wird selber ermordet, kommen mir die diffusesten Gedanken. Ich habe heute auch mit Helga Bode gesprochen, die mir relativ schnell eingestand, von Ihnen nach der Trennung regelmäßig Geld kassiert zu haben. Angeblich wegen Ihrer Geschäfte. Dann taucht da bei unseren Recherchen diese Mombach auf, die hier in der Straße herumlungerte. Mal ganz direkt gefragt, Nille: Werden Sie erpresst?“

 

Heiko musste schlucken, fand aber rasch eine passende Erklärung. „Helga bekommt jeden Monat Geld von mir. Das stimmt. Es ist nicht sonderlich viel Geld. Nach der Beendigung unserer Beziehung hat sie mir zu verstehen gegeben, einiges über meine früheren Geschäfte zu wissen, was mir bei einer Steuerprüfung eventuell an die hunderttausend Euro kosten könnte. Ich habe mich bereit erklärt, ihr für die Dauer einiger Jahre ein wenig finanziell unter die Arme zu greifen. Ich hätte es auch sein lassen und einfach die Steuernachzahlung verrichten können. Die hätte mir unter dem Strich auch nicht mehr gekostet. Jetzt, wo es raus ist, werde ich Letzteres wohl tun und meine Zahlungen an Helga einstellen.“

Zurück in Haralds Dienstwagen, sagte dieser zu seiner Frau: „Die Bode hatte behauptet, sie habe Nille nur auf Verdacht hin zu einem Aderlass genötigt. Frei nach der Devise, jeder habe Dreck am Stecken. Nille redete aber über einen konkreten Betrag, den er den Finanzbehörden vorenthalten hat. Er zeigte sich wenig beeindruckt von der Vorstellung, das Geld nachzuversteuern. Doch im ersten Moment hatte ich den Eindruck, einen ganz wunden Punkt angesprochen zu haben. Vielleicht wird er ja wirklich im großen Stil erpresst. Vielleicht von der Bode, vielleicht von der Mombach.

Heinz Schmidt hatte sehr lange rund um den Fundort der Leiche Tarek Khans zusammen mit Leuten der Streife und von Boombergs Truppe zugebracht. Irgendwie war es unvorstellbar, dass niemand in der Nachbarschaft etwas Verdächtiges in der Nacht zum Donnerstag wahrgenommen haben könnte. Aber in der Tat hatte niemand etwas gesehen oder gehört, was mit der Tötung Khans zu tun haben könnte. Dabei hatten die Leute der Spusi eine Ecke im Hinterhof lokalisiert, in der eine angetrocknete Blutlache zu sehen war. Doch von dem Tatwerkzeug, das vermutlich ein länglicher, stumpfer Gegenstand gewesen sein musste, war keine Spur zu finden. Ebenso wenig hatte man bei der Leiche das Mordwerkzeug gefunden, mit dem Khan die Jahn umgebracht hatte. Inzwischen hatte Lambrecht die Todeszeit zwischen Mitternacht und ein Uhr einschränken können. Das Restaurant war um 23 Uhr geschlossen und vom Personal verlassen worden. Schmidts vorrangigste Aufgabe war es, herauszubekommen, wie Mörder und Opfer in diesen von Häusern hermetisch umgebenen Innenhof hatten gelangen, aber vor allem, wie der Täter es wieder hatte verlassen können. Die Angestellten des Restaurants versicherten ihm, dass jemand, der das Restaurant von der Straßenseite her betreten hätte, es nicht von ihnen unbemerkt hätte durchqueren können. Nach 23 Uhr sei das Durchqueren der Räumlichkeiten ohne Schlüssel vollends unmöglich gewesen.

Ganz ähnlich sah es mit den Mehrfamilienhäusern und Läden rings herum aus. Die rückwärtigen Türen der meisten Häuser waren konstant von innen verschlossen gewesen, die eines der Häuser wurde von ihrem Hausmeister immer exakt eine halbe Stunde vor Mitternacht abgeschlossen. Dann gab es noch ein Tor in der Fassade eines dieser Häuser, welches den Zugang zur Straße ermöglichte und fast ausschließlich für Warenanlieferungen genutzt wurde oder eben für die Durchfuhr von Müllcontainern, das aber immer vor Einbruch der Dunkelheit abgeschlossen wurde, - hauptsächlich der Penner und jugendlicher Fixer wegen. Auf gewöhnliche Weise waren Opfer und Mörder hier folglich nicht hineingelangt. So lag der Verdacht nicht fern, einer von beiden oder beide könnten aus einem bestimmten logischen Grund Zugang zu einem der Gebäude gehabt haben. Vielleicht wohnte der Mörder ja sogar hier. Dass das Opfer hier gänzlich unbekannt war, also nicht hier gewohnt hatte und auch nicht hier bei jemand zu Besuch gewesen war, stand schnell fest. Heinz sah schon einen gewaltigen Berg Arbeit auf sich zukommen. Alle Bewohner und Benutzer der umliegenden Räumlichkeiten mussten auf ihre Vergangenheit und vor allem ihren möglichen Beziehungen zu Angela Jahn oder Heiko Nille hin überprüft werden.

Jenny Mombachs Wohnadresse befand sich im Rheinweg. Während Harald den Mercedes einparkte, sagte er zu seiner Frau: „Ich gehe alleine rein. Siehst du den Opel da vorne?“ Monika sah den blauen Opel, der an ihnen vorbeigefahren war und jetzt selber eine Parklücke suchte, und bestätigte Haralds Frage, woraufhin dieser fortfuhr: „Der ist mir schon, seitdem wir auf der A555 fuhren, aufgefallen. Beschleunigte ich, beschleunigte er auch. Fuhr ich langsamer, fuhr er auch langsamer. Halt du mal ein wachsames Auge auf den Fahrer.“

Laut der Anordnung der Namensschildchen auf der Klingelanlage musste die Mombach im vierten Stock wohnen. Natürlich war nicht sicher, ob sie zuhause war. Steiner betätigte auf gut Glück ihre Klingeltaste. Über die Sprechanlage meldete sich eine dünne Frauenstimme mit einem „Ja?“

„Mein Name ist Harald Steiner von der Kripo Köln. Bin ich hier richtig bei Jenny Mombach?“

Die kühle Antwort lautete: „Was wollen Sie von mir?“

„Mit Ihnen über den Tod Angela Jahns reden. Würden Sie mich bitte reinlassen?“

Erst einige Sekunden Schweigen, dann das Surren des Türöffners. Nach einem Marathontreppenaufstieg stand der Hauptkommissar im Flur der vierten Etage. Jenny Mombach stand in der Öffnung ihrer Wohnungstür. Sie trug weiße Schuhe, eine weiße Hose und eine weiße Jacke, unverkennbar die Arbeitskleidung einer im pflegerischen oder medizinischen Sektor Beschäftigten. Sie hatte mittellange, brünette Haare und sah gut aus. Sie winkte ihm zu und rief: „Kommen Sie schon. Ich habe wenig Zeit.“

Beim Betreten der Wohnung erfasste Harald sofort, dass diese für eine Einzelperson oder bestenfalls ein junges Paar ausgelegt war. Kein Korridor, sondern ein Wohnzimmer, von dem aus drei Türen abgingen. Vermutlich befanden sich dahinter ein Schlafzimmer, ein Badezimmer und eine Küche. Das Wohnzimmer selber beherbergte neben einer Garnitur mit einem niedrigen Salontisch eine Couch und zwei Sessel. Entlang einer Wand stand ein großer Schrank, entlang einer anderen ein Bücherregal mit wenigen Büchern, vielen CDs und einer Stereoanlage. Auf einem Tischchen standen ein Fernseher und ein DVD-Player. Ein Schreibtisch hatte seinen Platz in einer Ecke zwischen Tür und Regal gefunden. Auf diesem Tisch ein Monitor, darunter der Rechner und ein Drucker. Davor ein Drehstuhl. Nichts von alledem wirkte besonders teuer.

Jenny bot dem Kripomann Platz in einem der Sessel an und ließ sich selber auf das Sofa nieder. „Was sagten Sie? Angela Jahn hat das Zeitliche gesegnet?“ Sie machte nicht den Eindruck, überrascht, erschüttert oder betrübt zu sein.

„Ganz recht. Man darf sogar davon ausgehen, dass sie ermordet wurde.“

„Ermordet?“ Jennys Augenbrauen schnellten hoch. „Wer soll sie denn ermordet haben?“

„Wer sie ermordet haben dürfte, wissen wir mit größter Sicherheit. Allerdings war der nur das ausführende Organ eines oder einer anderen. Der Mörder wurde wenige Stunden nach der Tat selber umgebracht. Momentan sind wir damit beschäftigt, uns ein Bild eventueller Motivlagen zu machen, was uns zwingt, Frau Jahns Werdegang nachzuvollziehen, in dem Sie zeitweise eine Rolle gespielt haben.“

„Das sind aber sehr alte Kamellen, Herr Kommissar,“ äußerte sich die Mombach.

„Sehr alte Kamellen, würde ich es mal nicht nennen,“ meinte Harald. „Laut allem, was wir über jene Vorfälle zwischen Ihnen und Angela Jahn in Kassel erfahren haben, müssen Sie ihr ja böse zugesetzt haben.“

„Ich glaube, es war wohl andersherum,“ protestierte Jenny. „Sie hatte mich mit einer Schere angegriffen und ist deswegen auch verurteilt worden.“

„Der Scherenangriff ist uns als solcher bestätigt worden. Man sollte aber der Richtigkeit halber hinzufügen, dass Sie diesen provoziert haben.“

„Wer behauptet das?“ fragte Jenny empört.

„Ihr früherer Meister, und es geht auch aus den Akten des Jugendgerichts hervor. Des Weiteren sollen Sie Angela laufend gemobbt haben, vor und nach diesem Vorfall. Sie sollen mehrfach vergeblich versucht haben, ihr etwas anzuhängen.“

Jenny bekam einen hysterischen Anflug. „Das sind alles Lügen, und der Meister, der ist doch auch nur ein Lügner. Der hat sogar meinen Lehrvertrag gekündigt, aber den der Angela, - dieses schleimerische Luder -, nicht.“

„Lassen wir einmal Ihre Version gelten, Frau Mombach, dann könnten Sie sich ja auch so in Rage geschaukelt haben, jemanden zu engagieren, der die Jahn umbringen sollte,“ trumpfte Steiner nun listig auf.

„Wie? Was?“ Jennys Hysterieanfall schlug in Angst um. „Das können Sie doch nicht wirklich meinen. Mord! Mord ist doch…“ Sie überlegte und fing sich wieder ganz. „Was kostet denn so ‚n Auftragskiller?“

„In der Regel Geld,“ kam es trocken von Steiner. „Aber selten unter tausend Euro, meistens das Vielfache dessen.“ Er wusste, was nun ihrerseits kommen würde. Und genau das kam jetzt auch. Sie lachte auf und warf kurz ihren Kopf in den Nacken.

„Haben Sie eine Ahnung, was ich in meinem Job verdiene?“

„Nein, tut mir leid. Ich habe nicht einmal eine Ahnung, was Ihr Job ist.“

„Ich bin Altenpflegerin im ambulanten Dienst geworden, nachdem mich diese blöde Jahn rausgeekelt hatte. Wenn ich nach Abzug meiner Miete und den Nebenkosten noch 500 Euro im Monat zum Leben habe, kann ich mich glücklich schätzen. Da kann ich mir nicht auch noch einen Killer leisten.“

„Gut, diesen Aspekt muss ich wohl gelten lassen. Aber es gibt ja auch Mörder, die sich anderswie zum Mord anstiften lassen,“ gab Harald zu bedenken. „Schenke ich den mir vorliegenden Berichten aus Kassel Glauben, sind Sie durchaus in der Lage, Ihnen nahe stehende Personen zu unlauteren Taten und Aussagen anzustiften.“

Sie grinste überheblich. „Und wie soll ich das nun wieder angestellt haben?“

„Schauen Sie einfach mal in den Spiegel.“ Mehr brauchte er hierzu nicht zu sagen und nahm sich einen weiteren Aspekt vor. „Da wäre aber noch etwas, was nicht ohne Brisanz sein dürfte. Ausgerechnet in der Straße und unweit des Hauses, in dem Angela Jahn zuletzt gewohnt hat, ist Ihr Nissan Micra mehrfach abgestellt worden und das erst, seitdem Frau Jahn dort eingezogen war. Was haben Sie dazu zu sagen?“

Jenny wusste, die Schlinge um ihren Hals begann sich zuzuziehen, und sie erdachte sich dennoch eine Ausrede. „Ich gehe hin und wieder in der Bonner Straße shoppen. Da ist es schon mal sinnvoller, zum Parken in eine Nebenstraße zu fahren.“

„Woher wollen Sie denn wissen, dass Frau Jahn in der Nähe der Bonner Straße gewohnt hat? In den Zeitungen hat das nicht gestanden.“

„Doch, doch. Irgendwo habe ich es gelesen oder gehört,“ verwehrte sich Jenny.

Steiner war sich nicht sicher, ob das im Bereich des Möglichen lag. Die Artikel über den Mord, die er gelesen hatte, hatten lediglich über eine junge Frau aus Köln gesprochen, aber ob es Artikel oder Rundfunkausstrahlungen gegeben hatte, die das konkreter gebracht hätten, vermochte er nicht objektiv zu beurteilen. Trotzdem: „Als ich Ihnen eingangs den Grund meines Besuchs kund tat, verhielten Sie sich so, als sei Angelas Ermordung eine Neuigkeit für Sie. Jetzt geben Sie zu, sogar zu wissen, wo sie zuletzt wohnte. Das sind mir einige der Zufälle zu viele.“ Die Mombach wollte etwas einwenden, aber Harald hatte nicht vor, sie zu Wort kommen zu lassen, sondern ihr jetzt komplett einzuheizen. „Aber bleiben wir ruhig bei Ihrem Shoppen in der Bonner Straße in Marienburg. Wenn dem so ist, wird es ja auch gewisse Geschäfte geben, die Sie mehrfach aufgesucht haben. Es wird Ihnen gewiss nicht schwerfallen, mir einige davon zu nennen. Andernfalls werden wir selber sämtliche Läden abklappern und deren Personal nach Ihnen befragen. Oh weh Ihnen, keiner kann sich an Sie erinnern. Wie die Sache dann aussieht, kann ich Ihnen jetzt schon sagen. Wir werden annehmen, Sie haben über Wochen hinweg das Tun und Lassen Ihrer Exkollegin studiert, um ihr eine Falle stellen zu können. Dann haben Sie einen Mörder angeheuert oder sonst wie mobilisiert. Und als Triebfeder Ihrer Mordlust werden wir von Ihren Rachegelüsten gegen Angela Jahn ausgehen, weil diese nach Ihrem subjektiven Dafürhalten die Ursache Ihrer verpatzten Karriere gewesen ist. Käme noch hinzu, dass der Mörder selbst zum Mordopfer wurde. Wo waren Sie denn überhaupt in der Nacht vom Mittwoch auf den Donnerstag, der Zeit als Jahns Mörder ermordet wurde? Allein zuhause? Dann haben Sie ja noch schlechtere Karten. Wenn Sie die Angela behelligten, geben Sie es jetzt besser zu. Mit jedem weiteren Detail, das wir zu Ihren Lasten ausfindig machen werden, reiten Sie sich nur tiefer in die Sache hinein.“

 

Jenny Mombach war ob Steiners Heftigkeit entsetzt. Ihr wurde klar, wie nahe sie am Rande einer Mordanklage wandelte. Dann offenbarte sie: „Also gut, ich gebe es zu. Ich habe Angela gehasst. Aber ich habe sie nicht getötet und nicht töten lassen. Ich wollte nur, dass sie genauso tief fällt, wie ich gefallen bin. Damals, als ich in Kassel meine Lehrstelle aufgab, fand ich keine neue mehr als Frisöse. Nur im Pflegebereich war noch was zu bekommen. Als ich dann hörte, die Angela sei nach Köln gezogen, bemühte ich mich darum, ebenfalls nach Köln zu kommen. Ich nahm eine Stelle bei einem Pflegedienst in Köln an, fand aber nur hier in Bonn eine bezahlbare Wohnung. Ich habe einen großen Teil meiner Freizeit damit verbracht, Angelas Gewohnheiten zu studieren. Was glauben Sie, wie stinkig ich war, als ich herausbekam, mit welch tollem Typen sie da zusammengezogen war? Dann fuhr sie ihre Arbeitszeit bei ihrem Chef zurück und ging fast täglich nach der Arbeit einige hunderte Meter weiter in einem verwaisten Ladenlokal ein und aus. Mir war schnell klar, dass sie darin ein eigenes Geschäft einrichten wollte. Ich rief bei der Maklerin an, die ihr den Laden vermittelt hatte, und erfuhr, sie habe die Absicht, dort einen luxuriösen Frisiersalon einzurichten, den sie im März eröffnen wollte. Da dachte ich mir, das könnte ihren Boss interessieren, und habe ihm das gesteckt.“

„Was erwarteten Sie sich davon?“

„Natürlich dass er ihr das Leben sauer machen würde.“

Harald ließ sich zu einer persönlichen Bemerkung hinreißen. „Frau Mombach, Sie sind eine böse Jenny. Statt an Ihrer eigenen Karriere zu arbeiten, machen Sie anderen das Leben unnötig schwer.“

Als Harald wieder unten auf dem Bürgersteig stand, galt sein erster Blick dem Opel, der etwas weiter an der anderen Straßenseite geparkt stand. Sein Fahrer saß am Steuer. Harald überquerte die Straße und öffnete die Fahrertür seines Mercedes. „Was hat der Kerl gemacht, während ich bei der Mombach war?“

„Zwei Minuten, nachdem du reingegangen warst, ist er ausgestiegen, ist hinüber gegangen und hat die Klingelanlage andächtig studiert und sich etwas aufgeschrieben,“ klärte ihn Monika auf.

„Na, dann werde ich mir den Burschen mal zur Brust nehmen.“ Der Hauptkommissar ging schnurstracks auf die Fahrerseite des Opels zu, der sogleich plötzlich gestartet wurde. Steiner konnte sich vorstellen, dass sein Kommen vom Fahrer des Wagens im Außenspiegel bemerkt worden war und dieser sich denken konnte, von ihm jetzt zur Rede gestellt zu werden. Aber das Unterfangen des Fahrers schlug fehl, da Steiner die letzten Meter im Laufschritt zurücklegte. Der Hauptkommissar klopfte ans Seitenfenster der Fahrertür. Dem Mann am Steuer blieb angesichts der schmalen Parklücke nichts anderes übrig, als das Fenster runterzulassen. „Ja bitte?“

Harald hielt ihm seinen Dienstausweis entgegen. „Steiner, Kripo Köln. Machen Sie den Wagen aus, und steigen Sie aus!“ Der etwa fünfzigjährige Mann befolgte artig die Vorgaben. Als er nun neben Steiner stand, fuhr dieser ihn unwirsch an. „Sie sind uns von Köln bis hierher gefolgt, mein Herr. Sind Sie Reporter, Privatdetektiv oder Beamter einer polizeilichen Behörde?“

„Äh… Nein. Mein Name ist Peter Jahn. Ich bin der Vater von Angela Jahn und…“

„…und glauben mit der Nase dabei sein zu müssen, wenn wir ermitteln, wie? So, Herr Jahn, damit das ein für allemal klar ist, wir wünschen keine Schatten anderer während unseren Recherchen. Was versprechen Sie sich eigentlich davon, uns auf die Finger zu schauen? Wollen Sie daraus resultierend selber Angelas Mörder vor uns ausfindig machen und vielleicht sogar eigenhändig richten?“

„Ich weiß selbst nicht, was ich mir davon verspreche, Herr Hauptkommissar. Aber es war doch meine Tochter, die da…“ Steiner unterbrach ihn erneut. Er konnte sich gut in Jahns Gefühlslage hineindenken. Er blickte um sich und erspähte eine Kneipe.

„Hören Sie, Herr Jahn, wir sollten uns mal in aller Ruhe aussprechen. Ich lade Sie zu einem Bierchen dort in dem Lokal ein.“

Jahns Blick folgte der Richtung, in die Haralds Zeigefinger wies, und er nickte. Dann gab Steiner seiner Frau ein Zeichen, sie solle ihnen folgen.

In dem Lokal setzten sich die drei an einen der ruhigeren Plätze. Steiner bestellte je ein Pils für Jahn und sich und eine Cola für Monika, die er dem Vater Angelas beiläufig vorgestellt hatte. Telefonisch hatten beide ja bereits miteinander gesprochen. Dann brachte er das Gespräch von sich aus in die Gänge.

„Herr Jahn, ich bin selber Vater und kann daher annähernd nachempfinden, was Sie empfinden müssen. Nicht ausgeschlossen, dass ich ganz ähnlich wie Sie reagieren würde, wenn es eines meiner Kinder beträfe, obwohl ich weiß, dass es nichts nutzt. Nun gut, jetzt sind Sie einmal hier. Da will ich Ihnen auch nicht vorenthalten, was wir bislang in Erfahrung gebracht haben. Also, der Mann, der Ihre Tochter umgebracht hat, ist selbst ermordet worden. Er hatte keine Personalpapiere bei sich, wohl aber ein Flugticket nach Pakistan, das auf den Namen Tarek Khan ausgestellt wurde. Sagt Ihnen der Name etwas?“

„Tut mir leid,“ antwortete Jahn und zuckte kurz mit seinen Schultern.

„Kennen Sie vielleicht Pakistanis, mit denen Angela Umgang hatte?“ fragte Harald.

„Keine Ahnung. Jedenfalls ist mir davon nichts bekannt.“

„Uns auch nicht,“ ließ ihn Steiner wissen. „Wir nehmen daher, und weil dieser Mann selber nur wenige Stunden nach der Tat umgebracht wurde, an, dass hinter dem Mord an Ihrer Tochter ein anderer steckt, dem Khans Mitwisserschaft zu lästig erschien, oder der ihn nicht bezahlen wollte. Da Sie sich ja schon notiert haben, wem ich gerade einen Besuch abstattete, können Sie sich wohl denken, wie tiefgehend unsere diesbezüglichen Überlegungen sind. Die Anzahl möglicher Hintermänner ist ziemlich groß, die möglichen Motive sind sehr vage. Ihre Tochter wollte einen eigenen Frisiersalon eröffnen. Könnte das einem Konkurrenten nicht gepasst haben? Wir wissen es nicht. Frau Mombach hasste Ihre Tochter. Hätte sie deshalb einen Mord in Auftrag gegeben? Wir glauben es nicht. Herr Nille betreibt einen schwunghaften Handel mit Fahrzeugen und Ersatzteilen, der vielleicht nicht ganz astrein ist. Ist dort die Ursache zu suchen? Möglich, aber wir sehen den Zusammenhang nicht. Herr Nille hatte vor seiner Liaison mit Angela auch schon Verhältnisse mit Frauen gehabt. Könnte der Wind von daher wehen? Nicht auszuschließen. Oder steht am Ende der Mord an Khan gar nicht mit dem an Ihrer Tochter in Zusammenhang? War Khan ein Psychopath, der Angela ohne Grund aus einer Laune heraus umgebracht hat und dann selber das Opfer eines Verrückten wurde? Unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich. Verstehen Sie nun, weshalb ich Sie nicht bei meinen Ermittlungen gebrauchen kann und Sie auch nicht früher schlauer sein werden als ich?“

Peter Jahn trendelte mit seiner Antwort, brachte dann doch so etwas wie eine verbitterte Entschuldigung vor. „Angela war ein kluges, fleißiges und höfliches Mädchen. Sie hätte auch eine akademische Laufbahn einschlagen können, aber sie bevorzugte etwas Kreatives. Egal, was sie anpackte, sie war einfach gut in dem, was sie sich vornahm, und blieb trotzdem immer natürlich und bescheiden. Niemand hat einen solchen Tod verdient. Doch wenn sie ihn verdient hätte, hätten ihn andere viel eher verdient. Weil ich nicht verstehen kann, dass das passiert ist, finde ich einfach keine Ruhe mehr und suche nach den Ursachen. Als ich sie heute in der Pathologie sah…“