Dummes Mädchen, schlaues Mädchen - Ein Fall für Harald Steiner

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Dummes Mädchen, schlaues Mädchen – Ein Fall für Harald Steiner

Ansgar Morwood

Copyright: © 2013 Ansgar Morwood

published by: epubli GmbH, Berlin

www.epubli.de

ISBN 978-3-8442-6278-0

Personenregister

Harald Steiner: Hauptkommissar des K2 Köln

Kurt Remich: Hauptkommissar des K3 Köln

Patricia Unkel: Leiterin des Morddezernats Köln

Monika Steiner-Mink: Kriminalassistentin und Ehefrau Harald Steiners

Ralf Frisch: Kommissar des K2 Köln

Heinz Schmidt: Kommissar des K2 Köln

Hubert Lang: Oberkommissar des K3 Köln

Gerd Lämmle: Kommissar des K3 Köln

Friedhelm Zinnen: Kommissar des K3 Köln

Alfred Boomberg: Leiter der Spurensicherung

Ernst Lambrecht: Rechtsmediziner

Angela Jahn: Frisöse und erstes Mordopfer

Heiko Nille: Autohändler und Lebenspartner Angela Jahns

Arnold Bente: Inhaber einer Versicherungsagentur

Maike Gröbe: Exfreundin Heiko Nilles

Aischa Bente-Gül: Ehefrau Arnold Bentes und Exfreundin Heiko Nilles

Helga Bode: Exfreundin Heiko Nilles

Tarek Khan: Pakistani und zweites Mordopfer

Jenny Mombach: Bekannte Angela Jahns seit frühester Kindheit

Peter Jahn: Vater Angela Jahns

Simon Jahn: Bruder Angela Jahns

Karl Engel: Wirt des „LUGANO“

„Ernesto“: Handlanger Arnold Bentes

„Julio“: Handlanger Arnold Bentes

Mehmet Gül: Vater von Aischa Gül-Bente

das Ehepaar Zeisler: Arbeitgeber von Angela Jahn

Klaus Schulze: Freund Heiko Nilles

Werner Hohenberger: Freund Heiko Nilles

Orte der Handlungen

Überwiegend Köln. Ansonsten Düsseldorf, Bonn, Solingen, Kassel

1. Angerempelt

Haben wir alle so etwas nicht schon einmal erlebt? Da wird man von jemandem angerempelt, und dieser jemand regt sich lauthals darüber auf, wir seien es gewesen, die ihn angerempelt hätten. Meistens handelt es sich dabei um Typen, die entweder Streit suchen, oder die irgendwie zumindest vorübergehend aus ganz anderen Gründen als des Anrempelns wegen auf jede unerwartete Unregelmäßigkeit gereizt reagieren. Wie dem auch sei, man ärgert sich über solche Menschen und hat automatisch die Neigung, den Vorgang ins rechte Licht rücken zu wollen oder zu müssen, weil man sich als zu Unrecht verdächtigt empfindet. Letzteres ist ein ganz normaler, den Menschen angeborener Reflex, der allerdings oft zur weiteren Eskalation beiträgt und nur in den seltensten Fällen zu einer Klärung der Ursachen. Doch es gibt auch Situationen beabsichtigten Anrempelns, die von ihren Verursachern aus ganz anderen Gründen herbeigeführt werden und die nicht in ein sich anbahnendes, unfruchtbares Wortgefecht münden sollen. Nicht selten geht es dabei mehr um das Anbahnen einer Beziehung, zumeist einer Beziehung der gesellschaftlichen oder der geschäftlichen Art. Die ersten Folgen werden in solchen Situationen Entschuldigungsbekundungen des Verursachers dieses Ungemachs sein, gefolgt von weiteren Versuchen der Annäherung.

Nebst dem Anrempeln aus Unachtsamkeit ohne weitere Folgen gibt es also noch mindestens drei Varianten wohl oder nicht beabsichtigten Anrempelns mit wohl oder nicht beabsichtigten Folgen, die da wären: Streit suchen, Gereiztheiten austoben oder Beziehungen anbahnen.

In Angela Jahns Leben sollten zwei Spielarten dieser Rempeleien eine besondere Wendung für sie nehmen. Genauer gesagt, zumindest eine davon, wenn nicht sogar beide, sollten zu ihrer Ermordung führen.

Angela Jahn (23) war seit zwei Jahren Frisöse in einem Kölner Haarstudio und bewohnte seit ihrer Einstellung eine Zweizimmerwohnung im Stadtteil Niehl. Das Blondchen war hübsch und von zierlicher Gestalt, hätte gewiss keine Probleme gehabt, Männer in ihr Bett zu bekommen, und war eigentlich kein Rührmichnichtan, eher nur etwas misstrauisch gegenüber ihr zu nahe kommenden Personen. Man könnte es als eine Art von Schüchternheit bewerten. Wahrscheinlich fürchtete sie sich vor allem Fremden, weil sie selber als Fremde in die Großstadt gekommen war. Wie die meisten jungen Leute strebte sie innerlich danach, sich ein Leben nach einer eigen erdachten Idealkonstellation aufzubauen. Angela malte sich aus, eines Tages eine berühmte oder zumindest allgemein als erfolgreich wahrgenommene Hairstylistin mit einem eigenen, gut gehenden Frisiersalon in zentraler Lage zu sein, mit einem netten, erfolgreichen, liebevollen Ehemann an ihrer Seite, der in einer anderer Branche gutes Geld verdient, mit einer tollen Villa vor den Toren der Stadt, - ihr war es ziemlich egal, welche Stadt das sein würde -, in deren gepflegten Garten ihre Kinder unbeschwert spielen würden und sie zum Feierabend am Swimmingpool ihren Gatten verwöhnen und sie sich von ihm verwöhnen lassen wollte. Aber der Weg bis dort, so wusste sie, war weit, vielleicht sogar zu weit. Aus eigener Kraft und Anstrengung war dieser Weg eher nicht zu bewältigen.

Die Eltern besaßen ein Häuschen in einem Kasseler Vorort und waren, wie man so schön zu sagen pflegt, finanziell abgesichert, aber keinesfalls reich. Vater und Mutter hatten ihren Kindern immer wieder nahegelegt, ihnen über das Studium oder die Lehre hinaus keine weiteren finanziellen Unterstützungen angedeihen lassen zu können oder zu wollen. Zudem war es aus zweierlei Gründen recht witzlos, von dieser Seite her eine große Erbschaft zu erhoffen. Die Eltern waren beide noch keine sechzig und noch recht vital. An Erben war also vorerst gar nicht zu denken. Und betrachtete man nüchtern, was Haus und Inventar faktisch an Wert hergaben, zählte man die Guthaben hinzu, teilte man das Ganze durch die vier erbberechtigten Kinder, wäre ohnehin nie mehr als eine Viertelmillion pro Kind dabei herausgekommen. Natürlich wären eine Viertelmillion Euro jetzt für die junge Frau eine gute Starthilfe in die Selbständigkeit gewesen, jedoch nicht mehr als das und noch weit weg vom anvisierten Ziel. Überhaupt hätte sich Angela äußerst unwohl gefühlt, - sollten ihre Eltern denn doch unverhofft früh fast gleichzeitig das Zeitliche segnen -, ihren Anteil des Erbes in ein Projekt zu stecken, das vielleicht gar nicht vom Boden kommen würde. Und den Tod wünschte sie ihren Eltern, die sie und ihre Geschwister so liebevoll umhegt und erzogen hatten, bestimmt nicht.

Als Frau, die sich dessen bewusst war, kaum Chancen zu haben, als ausschließlich durch eigenen Fleiß ans Ziel zu kommen, und die sich auch keinen sonstigen unerwarteten Geldsegen erhoffen darf, sah Angela ihr Fortkommen nur in der Förderung durch einen Mäzen. Ihr momentaner Chef, ein Frisörmeister, der entgegen der landläufigen Meinung, alle männlichen Coiffeure seien schwul, nicht homosexuell war, schätzte ihre beruflichen Fähigkeiten sehr, hätte ihr aber bestimmt keine Starthilfe gegeben, um sich seine eigene Konkurrenz aufzubauen. Es war ihm klar, dass eine Neustarterin aus dem Bestand des Personals des eigenen Salons sich immer auch den ersten Kundenstamm aus eben diesem Salon rekrutieren wird. Ohnehin gab es Salons dieser Art bereits mehr, als es dafür Bedarf gab, da so ungefähr jeder Haarschneider und jede Haarschneiderin, wenn nicht ein eigenes Geschäft aufmachte, doch so nebenher noch schwarz tätig war.

Aus der Perspektive heraus, überhaupt jemandem eine Investition in dieser Branche schmackhaft machen zu wollen, grenzte ans Kämpfen gegen Windmühlen. Was die Kreditvergabe der Banken anging, sah es diesbezüglich nicht besser aus. Jeglicher einem Kreditbearbeiter vorgelegter Geschäftsplan wäre ob des Überangebots im Metier gescheitert. Was blieb, war ein reicher Gönner aus Sympathie oder überschwänglicher Überzeugung vom Können seines Schützlings. Aus der Sicht der Jahn also ein Mann mit Geld, der sich wohl nur ehelich an sie binden lassen würde. Ein solcher Mann sollte ihr doch tatsächlich unerwartet über den Weg laufen, womit wir bereits bei der ersten Rempelei angelangt wären, die Angelas Leben so dramatisch ändern sollte.

Heiko Nille (28) war nach außen hin der Urtyp aller Playboys. Braungebrannt, immer leger, aber teuer eingekleidet, im Besitz eines Porsche Cabrio, athletisch gebaut, groß gewachsen und privat ziemlich leichtsinnig im Umgang mit Worten. Auf Anhieb und ohne weiteres Hintergrundwissen gefragt, hätte man seinen Beruf mit „Sohn“ zu benennen gewagt. Sohn war er natürlich sehr wohl, allerdings nicht von betuchten Eltern. Sein Vater bezog eine bescheidene Invalidenrente, und seine Mutter jobbte als Schreibkraft für eine Personalverleihfirma mal hier, mal dort, war aber zumeist zur Hausarbeit im eigenen Heim verdammt.

Der zweite Gedanke, den man haben würde, wäre der, Heiko habe sein großes Geld mit Börsenspekulationen gemacht. Immerhin war es schon recht auffallend, wie oft er zu Tageszeiten, an denen andere in der Regel ihrer Arbeit nachgingen, in snobistischen Etablissements herumlungerte. Doch Heiko hatte gar wenig Ahnung von den Mechanismen, die in der Welt der Börsen, Banken und Investmentfonds herrschten.

Die Herkunft seines Geldsegens war von weitaus obskurerer Art. Sein Startkapital waren geklaute Autos gewesen. Kaum hatte er mit 18 seinen Führerschein gemacht, waren Autos sein ein und alles geworden. In dieser Hinsicht unterschied er sich kaum von gleichaltrigen Jungs, und er hatte natürlich in seinem gleichaltrigen Bekanntenkreis genug Ansprechpartner zu diesem Thema gefunden. Mit einigen von ihnen hatte er dann auch das erste Auto geknackt. Es war ein Mercedes Sportcoupé gewesen, das sein Eigentümer erst am selben Tag erworben hatte. Es war Heiko und seinen beiden damaligen Kumpanen nur darum gegangen, einen tollen fahrbaren Untersatz für eine Spritztour nach Gelsenkirchen zur Verfügung zu haben. Dort fand regelmäßig ein Gebrauchtwagenmarkt statt. Sie hatten ihr Geld zusammengelegt, mit der Absicht, irgendeinen alten amerikanischen Schlitten billig zu erwerben, den sie dann aufmotzen wollten, um an den Wochenenden bessere Chancen zu haben, Girls „aufreißen“ zu können. Den Mercedes hatten sie sich für diese Fahrt ausgewählt, um bei potenziellen Verkäufern einen besseren Eindruck zu schinden. Das gestohlene Gefährt war nicht mehr ganz neu gewesen, durfte es auch nicht sein, weil die Jungs sonst nicht in der Lage gewesen wären, die Wegfahrsperre und die Alarmanlage zu überlisten. Aber die Kiste sah verdammt gut aus. Wäre alles nach Plan gelaufen, hätten sie den Mercedes in Gelsenkirchen stehen gelassen und wären mit der Amischleuder und roten Schildern, die sich einer der drei bei einem Bekannten geborgt hatte, wieder nachhause gefahren. Sie waren dann nicht mehr dazu gekommen, ihr Wunschauto zu erwerben.

 

Kaum waren sie an dem Platz, wo die Autos angeboten wurden, ausgestiegen, wurden sie von drei Männern in schwarzen Lederjacken angesprochen. Sie hatten im ersten Moment die panische Befürchtung gehabt, die Polizei sei doch fixer als vermutet gewesen, aber diese drei Typen sprachen ein solch gebrochenes Deutsch, dass man sie bei aller Fantasie nicht für deutsche Bullen halten konnte. Tatsächlich wollten die drei Osteuropäer den Mercedes kaufen. Nur so zum Scherz waren die kleinen Autodiebe darauf eingegangen, und die drei Polen konnten nicht merken, dass dieses Auto geklaut war, denn nach dem Aufbruch hatten die Jungs doch prompt ein vom Besitzer aus Unachtsamkeit zurückgelassenes Mäppchen mit einem Set Ersatzschlüsseln und sämtlichen Fahrzeugpapieren im Handschuhfach vorgefunden. Und plötzlich war der Deal perfekt. Aus Angst, die Polen könnten alsbald auf die Unrechtmäßigkeit des Handels stoßen, hatten es Heiko und seine Freunde vorgezogen, Gelsenkirchen umgehend per Bahn wieder zu verlassen. Allerdings war damals insbesondere die Grundidee seines späteren Geschäftsbereiches geboren worden: Der Handel mit gestohlenen Autos. Diese Idee hatte er im Laufe der Jahre immer weiter zu verfeinern verstanden. Er hatte seine Beziehungen auf- und ausgebaut, eine für die Steuern kaum durchsichtige Fassade aufgebaut und auch seinen gesamten Bekanntenkreis über seine echten Geschäfte zu täuschen vermocht. Bevor er Angela begegnete, war er schon lange über die Phase hinaus, selber noch Autos knacken und gegebenenfalls in Einzelteile zerlegen zu müssen. Er managte inzwischen seine Transaktionen und Aktionen per Telefon, Handy oder Internet, ohne sich noch die Finger direkt schmutzig machen zu müssen.

Die Begegnung Nilles mit der Jahn durch Anrempeln war von Heiko durchaus gewollt herbeigeführt worden. Nille bewohnte die ganze erste Etage einer feudalen Villa in der Lindenallee im Stadtteil Marienburg. In der nahe gelegenen Bonner Straße befand sich der Frisiersalon, in dem Angela arbeitete. Gleich neben dem Salon gab es eine Bar, die in den guten Jahreszeiten auch im Außenbereich Tische und Stühle aufgestellt hatte.

Heiko verkehrte des Öfteren hier, und ihm war das hübsche Blondchen im Salon schon mehrfach aufgefallen, wenn auch nur im Vorübergehen. Ganz am Anfang hatte er einen guten Grund, ihr nicht näher zu kommen, denn seine damalige Lebenspartnerin Helga Bode (26) duldete keine Seitensprünge, und er wollte Helga nicht verlieren. Doch Ende April hatte er tüchtig Zoff wegen der Planungen zu einer Urlaubsreise mit ihr gehabt, der unsinnigerweise eskalierte, und sie war ausgezogen. Vorübergehend, nahm er an. Aber als sich der Zwist Mitte Mai immer noch nicht wieder eingerenkt hatte, betrachtete Heiko die Beziehung für beendet und sich selber wieder als frei.

An einem sonnigen Nachmittag im Spätmai ergab es sich, dass Angela früher Feierabend machte als sonst, weil sie noch einige Einkäufe erledigen wollte. Heiko saß auf der Terrasse vor der Bar und trank einen der teuren hauseigenen Shakes, als sie aus dem Salon trat. Jetzt oder nie, dachte Heiko. Er stand auf und ging, offenbar ohne Acht auf die seinen Weg zu seinem am Straßenrand geparkten Porsche kreuzenden Fußgänger zu geben, über den Bürgersteig und stieß mit Angela Jahn zusammen. Dabei fiel Angela, die selber nicht besonders achtsam gewesen war, weil sie telefonierte, das Handy zu Boden. Besser hätte es für Heiko nicht passieren können, denn nun hatte er nicht nur einen Grund, sich ausgiebig zu entschuldigen, sondern er war verpflichtet, den entstandenen Schaden wieder gutzumachen.

„Oh! Entschuldigen Sie gnädige Frau,“ reagierte er, bevor Angela eine erste Äußerung der Entrüstung von sich geben konnte. „Das war jetzt aber nur meine Schuld.“ Er bückte sich und hob das Handy auf, das er sodann an sein Ohr hielt.

„Ist es kaputt?“ fragte Angela, immer noch über den Zusammenstoß leicht benommen.

„Kann ich so nicht sagen,“ gab sich Heiko besorgt. „Aber selbst wenn man damit noch telefonieren kann, können andere Funktionen in Mitleidenschaft gezogen worden sein.

Ich werde Ihnen das Gerät natürlich umgehend ersetzen. Wichtiger ist, dass Ihnen nichts geschehen ist.“

„Sie sind zwar eine Spur größer als ich,“ konterte die junge Frau nun schon etwas keck, „aber umgehauen haben Sie mich nicht.“

Was nicht ist, kann noch werden, dachte Nille und eröffnete die zweite Phase seiner Offensive. „Ich saß gerade hier auf der Terrasse und wollte mir nur eben meine Zigaretten aus meinem Auto holen.“ Sein Finger schnellte in die Richtung des Cabrios mit geöffnetem Verdeck, - ein unmissverständlicher Hinweis darauf, wo man in etwa seine gesellschaftliche Position einzuordnen hatte, und für die meisten jüngeren Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts hatte das etwas Unwiderstehliches an sich.

„Wenn Sie etwas Zeit haben, würde ich Sie gerne zu einem Drink einladen und Sie dann zu einem Elektrofachgeschäft fahren, wo Sie sich ein neues Handy nach Ihrer Wahl auf meine Kosten aussuchen dürfen.“

„Na, Sie scheinen sich eine Anmache aber einiges kosten zu lassen,“ erwiderte sie, konnte sich aber gedanklich nicht der Hoffnung erwehren, soeben ihrem Mäzen über den Weg gelaufen zu sein oder umgekehrt er ihr. „Aber Sie haben Recht. Auf den Schreck würde ich gerne einen Martini trinken, und wenn ich es mir recht überlege, ist es doch angenehmer, mit einem Cabrio in die Stadt chauffiert zu werden, statt den Bus zu nehmen.“

Wohl überflüssig zu erläutern, dass sich in den nächsten Stunden beide alle Mühe des sich näher Kennenlernens gaben. Die eine suchte ihren Gönner an sich zu binden, der andere den Ersatz für seine Verflossene. Weil das auf Anhieb miteinander kompatible Einstellungen waren, bahnte sich das Verhältnis besonders schnell an. Schon zwei Wochen später zog Angela bei Heiko ein. Im Sommer flogen sie gemeinsam in die Karibik in Urlaub, und schon im Herbst gingen sie auf die Suche nach einem geeigneten Geschäftslokal für Angelas eigenen Coiffeursalon. Was er beruflich so trieb, verheimlichte er ihr. Nach seinem Geschmack, hatte er seinerzeit Helga zu viele Einsichten gewährt. Angela wusste nicht mehr über seine Geschäfte, als dass er Autos en gros vermarktete, und sie wollte auch nicht mehr darüber wissen. Es gefiel ihr, dass er viel Geld nur mit Telefonaten und Computerklimpereien verdiente. Manchmal bekam sie mit, dass es dabei auch schon mal gereizt herging, aber das tangierte ihre Beziehung nicht weiter. Sie schwelgte in der für sie neuen Atmosphäre des Jetsets. Sie hielt diesen Lebensstandard jedenfalls schon für das höchst Erreichbare. Hier ein Cocktailabend, dort ein Dinner und so weiter. So ließ es sich leben. Sie ahnte nicht, wie nahe sie schon dem Tode war.

Im November hatte sie endlich ein ihr genehmes Geschäftslokal in Bayenthal gefunden und angemietet. Sie hatte beschlossen, erst im März, pünktlich zum Beginn des Frühjahrs, zu eröffnen. Für sie brach eine hektische Zeit an, in der sie alles bis aufs I-Tüpfelchen vorbereitet wissen wollte. Die Formalitäten waren noch die unwesentlichsten Dinge, der sie sich zu widmen hatte. Da sie bereits den Meisterbrief besaß, bildete das Genehmigungsverfahren wenig Mühe. Wichtigere Eckpunkte waren die Einrichtungsgegenstände, die Gestaltung, das Geschäftskonzept, die Kontrakte mit exklusiven Zulieferern, die richtige Strategie zur Einführung auf dem Markt und natürlich die Anwerbung des geeigneten Personals. Ihre bisherige Stelle hatte sie auf Halbtags heruntergefahren und bereits ihre definitive Kündigung zum Letzten des Februars ihrem Chef mitgeteilt. Der bedauerte zwar, eine seiner fähigsten Angestellten zu verlieren, schöpfte aber nicht den geringsten Verdacht, sie könnte sich selbständig machen und das zudem nur mal gerade einige hunderte Meter weiter dieselbe Straße aufwärts, gleich hinter dem Kreisverkehr.

Heiko war seiner neuen Freundin organisatorisch nur beim Ausspähen der richtigen Räumlichkeiten an der richtigen Stelle behilflich gewesen. Finanziell sicherte er ihre Planungen durch Bankbürgschaften und einem kleinen Privatkredit ab. Alles Weitere überließ er ihr. Er meinte, sie würde schon genauestens wissen, was von Nöten sei, und sie war ihm für sein Vertrauen sehr dankbar. Es war wohl einer der seltenen Fälle, in denen ein Günstling seinen Gönner auch wirklich zu lieben lernte. Sie witterte nicht das Unheil, das sich über seinem Kopf zusammenbraute, das sie als erstes Opfer in den Abgrund reißen sollte. Oder hatte ihre Ermordung am Ende doch nichts mit seinen dunklen Geschäften zu tun?

Jedenfalls hatte Heiko seit dem Sommer mit immer mehr Ungemach zu kämpfen. Es gab Leute, die Geld von ihm haben wollten, aber er wusste nicht, wer diese Leute waren und woher sie ihre Informationen bezogen. Nicht einmal die Steuerprüfer hatten bei ihm Unregelmäßigkeiten entdecken können. Wie also sollten ihm andere auf die Schliche gekommen sein? Polizeifahndern hätte er das vielleicht noch am ehesten zugetraut. Aber bei ihm war nie Polizei auf der Matte gewesen. Folglich kamen auch keine korrupten Bullen in Betracht. Was seine Geschäftspartner anging, war für diese eine Transparenz seiner Methoden ebenfalls nicht nachvollziehbar. Wer die Autos besorgte, wusste nicht, wer sie übernahm, wer sie weitertransportierte, wusste nicht, wer sie bekam. Insbesondere wusste aber niemand außer ihm selber, wie die gesamte Kette funktionierte. Sogar seine beiden Freunde, mit denen er damals das Mercedes Coupé gestohlen hatte, die auch heute noch in seinem System mitmischten, kannten nicht alle Details, die relevant gewesen wären, ihm seine unlauteren Geschäfte nachweisen zu können. Auf eine umsichtige Weise hatte Heiko seiner Freundin niemals den Eindruck vermittelt, mit diesen neuen Ärgernissen konfrontiert zu werden. In der Beziehung war Helga weitaus intuitiver veranlagt gewesen. Sie hätte sofort gemerkt, dass etwas im Argen lag, und wahrscheinlich hätte sie sogar rausbekommen, was es war. Das brachte Heiko zeitweilig auf den Gedanken, die Erpressung könnte auf Helgas Mist gewachsen sein. Dieser Verdacht war nicht vollends aus der Luft gegriffen, denn Helga hatte ein BWL-Studium absolviert, betrieb eine eigene Unternehmensberatungsfirma und hatte fast drei Jahre mit ihm zusammengelebt. Sie hatte immer Zugang zu seinen Unterlagen gehabt und verfügte über die Begabung, Dinge zu durchschauen, die andere nicht zu durchschauen vermochten. Er hatte sie zwar nie komplett über seine Deals eingeweiht, aber immerhin über einige ihrer Facetten. Diese Facetten reichten nicht aus, alles durchblicken zu können, hatte Helga nach ihrer Flucht aber genügt, so etwas wie Unterhaltszahlungen von 2.000 Euro pro Monat bei ihm einzufordern. Mit ein wenig Fantasie könnte sie mit der Zeit eine Spur dreister geworden sein, vielleicht sogar dreister, als er es ihr zugetraut hätte. Dem sprach aber der Umstand entgegen, dass die Erpresser über Einzelheiten Bescheid wussten, in die Helga bestimmt nie Einblick gehabt hatte. Ihr Poker beruhte bislang im Wesentlichen nur auf der Differenz zwischen seinem Lebensstandard und seinem offiziellen Einkommen, weniger auf den Hintergründen. Wie dem auch sei, die Apanage für Helga war ein Flohschiss gegenüber der Forderung dieser Erpresser. Die lautete, jeden Monat 50.000 Ocken abzudrücken. Sogar diese Summe schien gut errechnet zu sein. Heikos Gewinne aus Schwarzverkäufen liefen laut seinen eigenen statistischen Erhebungen auf etwa gemittelt 65.000 aus. Die Raffinesse, die sich hinter dem geforderten Betrag verbarg, lag wohl darin, dass 15.000 nebenher zu kassieren, noch immer besser ist, als in den Knast zu wandern. Allerdings würde ein Einlenken seinerseits bedeuten, seine gesamte Lebensplanung auf den Kopf zu stellen.

Er war jetzt achtundzwanzig. Spätestens mit vierzig wollte er sich endgültig zur Ruhe setzen. Laut seinen Berechnungen seines offiziellen Einkommensbildes, hätte ihm das dann jedes Finanzamt als realistisch abgekauft, wenn er seine Firma auch noch auf Papier günstig verscherbeln würde, und er hätte real noch über etwa 15 Mio. Euro weiteres Kapital an unehrlich erworbenem Geld verfügt, also in Saus und Braus leben können, noch viele Jahre, bevor er am Stock gehen müsste. Und wer konnte schon wissen, wie lange diese Ganoven diese Erpressung durchführen wollten? Das war nach Adam Riese solange möglich, wie er seine Nebengeschäfte betrieb und darüber hinaus die fünf oder gar zehn Jahre potenzieller gesetzlich fiskaler Verfolgung. Unter dem Strich konnten diese Schmarotzer ihm alles, was er nebenher angespart hatte, wegnehmen, bevor er selber davon zu genießen beabsichtigte. Keine schönen Aussichten, allerdings auch nichts, was er vielleicht noch verhindern oder teilweise umgehen konnte. Ihm schwebte eine Alternative vor, die schlichtweg auf der geographischen Verlagerung seines Tätigkeitsfeldes bei gleichzeitigem Zurückfahren seiner Tätigkeiten im Großraum Köln-Düsseldorf-Dortmund fußte. Eventuell würden die Erpresser ihren Aktionismus dann auch allmählich zurückfahren, er, Heiko, aber weiter agieren können, ohne dass diese Lumpen ihm ins Handwerk pfuschen konnten.

 

Doch alles kam anders.

Mittwoch, der Todestag von Angela Jahn

„Sonderbar! Sehr sonderbar!“ sprach Hauptkommissar Harald Steiner. Er, seine Assistenten Ralf Frisch und Heinz Schmidt, sowie der Leiter der Spusi, Alfred Boomberg, standen in einer von der Polizei abgesperrten Zeile der Schildergasse vor der am Boden liegenden Leiche einer jungen Frau. Neben ihr kniete der Gerichtsmediziner Ernst Lambrecht und schüttelte den Kopf. „Ins Herz hat er ihr nicht gestochen. Sie ist aber trotzdem an Herzversagen gestorben,“ erklärte er. „Das dürfte eine Schockreaktion ihres Körpers gewesen sein. Die drei Stiche wären initial nicht tödlich gewesen, wenn man die Blutungen rechtzeitig gestoppt hätte. Obwohl, dazu hätte es eines gut geschulten Chirurgen gleich nach dem Attentat bedurft. Mehr als drei bis fünf Minuten ohne Versorgung nach dem Angriff hätte sie ohnedies nicht überlebt. Dafür wäre der Blutverlust zu groß gewesen. Meines Erachtens waren die Stiche deutlich auf das Herz gemünzt, aber hätten auch beim Verfehlen dessen immer zum Tode führen müssen, wenn nicht sofort jemand zur Stelle war, der die Blutungen zu unterbinden wusste.“

„Ein Profi also?“ wollte es Steiner genau wissen.

Lambrecht hob die Arme, während er sich aufrichtete, und ließ sie wieder sinken. „Nicht unbedingt. Aber gewiss wusste der Kerl, was er tat, und zumindest theoretisch, wie er es zu tun hatte.“

Harald wandte sich Kommissar Frisch zu. „Und diese Chose ist allen Ernstes gefilmt worden?“

Frisch musste leicht beschämt grinsen. „Sie kennen doch diese Touristen. Wo sie stehen, wo sie gehen, alles muss für die Daheimgebliebenen auf Film gebannt werden. Sehen Sie selber, was das ältere Ehepaar da aufgenommen hat.“ Ralf hielt seinem Chef die kleine Videokamera hin und ließ die entsprechende Sequenz abspielen, deren wichtigster Teil noch keine acht Sekunden in Beschlag nahm. Offenbar hatte der holländische Tourist nur vorgehabt, seine Frau zu filmen, doch im Hintergrund lief das bedeutsamere und dramatischere Geschehnis ab. Da die Schildergasse Bestandteil der Fußgängerzone der Kölner Altstadt war, reichte der Lärm, sich unterhaltender Passanten vollends aus, die Wiedergabe der Mordtat ausschließlich auf der visuellen Ebene festzuhalten. Das Opfer schien gemächlich der Straße von östlicher Richtung her zum Neumarkt hin dahergeschlendert zu kommen, als ein offenbar junger Mann auf sie zueilte, sie anrempelte, sie anbrüllte, ihr eine Ohrfeige verpasste und sodann mit einem Messer dreimal heftig auf ihren Oberkörper einstach. Sie sank zu Boden, und der Mörder verschwand in die angrenzende Antonsgasse. Wo der Mord geschah, war es wegen diverser Beleuchtungsquellen relativ hell und die Straße recht belebt gewesen. Demzufolge glaubte Steiner: „Dann werden wir ja jetzt Zeugen ohne Ende haben.“

„Zeugen, ja,“ bekundete Frisch. „Ich befürchte nur, dass die wenig vom Geschehen mitbekommen haben. Der Kerl hat die Frau beschimpft. Einige wollen gehört haben, wie er ihr lauthals vorgeworfen habe, ihn angerempelt zu haben, ihr dann aber auch gleich ins Gesicht schlug und das Messer zückte. Dunkler Vollbart, schwarze Lederjacke, Käppi, Bluejeans und weiße Turnschuhe. Nicht gerade sehr individuell. Für das Ausmachen eines spezifischen Akzentes des Täters hatte die Länge seiner Mitteilungen niemandem gereicht. Er hat dem Opfer auch nichts weggenommen, so weit man uns zu berichten wusste. Handtasche, Geld, Schlüssel, Kreditkarten, alles scheint noch vorhanden. Sie heißt übrigens Angela Jahn, 23, stammt aus Kassel und wohnt in Marienburg. Sie wird nicht gerade am Hungertuch genagt haben, wenn ich mich so ausdrücken darf.“

„Sind auch alle Zeugen der Tat erfasst worden?“ wollte Harald wissen.

„Garantiert nicht,“ erwiderte Heinz Schmidt. „Einige, die das ganze Spektakel fast hautnah verfolgt haben dürften, sind weitergelatscht, als wären sie an einer uninteressanten Schaufensterauslage vorbeispaziert.“

„Typisch!“ knurrte der Hauptkommissar. „Die Polizei für jeden Firlefanz herbeirufen, aber wenn es brenzlig wird, weg sehen. Und Sie, Boomberg, was haben Sie mir zu berichten?“

„Nichts Gutes,“ antwortete der Spurensicherer. „Sie haben ja das Video gesehen. Das Opfer kam gar nicht mehr dazu, seinen Angreifer irgendwie anzufassen. Rechnen Sie also bitte nicht damit, den Kerl anhand von Haut- oder Stoffpartikeln unter den Fingernägeln der Toten dingfest machen zu können. Es sieht auch nicht danach aus, er könnte hier irgendwo eine Zigarettenkippe runterfallen oder seinen Schuhabdruck hinterlassen haben. So zynisch es klingen mag, aber dieser Unhold hat doch prompt eine der belebtesten Ecken unserer Stadt auserkoren, um nach seiner Bluttat wieder ungehindert unterzutauchen. Wenn die KTU hierzu überhaupt etwas Sinniges zu sagen haben wird, Steiner, dann bestenfalls die Eingrenzung der Art der Stichwaffe. Und glauben Sie mir, sogar das Ergebnis wird Sie ob seiner Mehrdeutigkeit wenig zu erfreuen vermögen.“

Steiner hatte sich nicht weiter am Tatort aufhalten wollen. Zeugen, die wie verschreckte Hühner oder wie sich aufplusternde Gockel viel, aber effektiv nichts auszusagen hatten, konnten ihn wenig begeistern. Da hielt er es doch für sinnvoller, in das Milieu einzutauchen, in dem das Opfer verkehrt hatte. Der erste Anhaltspunkt war ihre Wohnadresse in Marienburg. Dort traf er um 19 Uhr abends Heiko Nille an, der sich offenbar gerade ein Fertiggericht in den Backofen geschoben hatte, wie es der Geruch im Flur dem Kriminaler zu vermitteln schien, als ihm die Tür geöffnet wurde.

Steiner zückte seinen Dienstausweis. „Kripo Köln, Steiner mein Name. Bin ich hier richtig bei Frau Jahn?“

Heiko wusste nicht recht, wie er diesen Überfall zu bewerten hatte, zögerte kurz, meinte dann aber, wenn es um Angela ginge, konnte es ja nicht seine Geschäfte betreffen, obschon er sich kaum vorstellen konnte, dass Angela ins Visier der Kripo geraten sein könnte. Er trat zwei Schritte von der Tür zurück. „Ja, ja, hier wohnt Angela Jahn. Sie wohnt mit mir zusammen, ist aber jetzt nicht da. Ist etwas geschehen?“

„Sind Sie mit ihr verwandt?“ Steiner stellte diese Frage, um sich vorzeitig ein Bild davon zu machen, wie niederschmetternd seine Mitteilung auf seinen Gegenüber wirken musste.

„Verwandt nicht, aber wir leben zusammen. Aber…“

„Ihr Name ist?“ wollte Steiner wissen.

„Nille. Heiko Nille. Steht ja auch an der Tür gleich neben Angelas Namen.“

„Herr Nille, es tut mir außerordentlich leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Frau Angela Jahn heute Nachmittag verstorben ist.“ Harald benutzte bei solchen Gelegenheiten lieber das Wort „verstorben“ aus zwei bestimmten Gründen. „Verstorben“ kam im ersten Augenblick milder an als „ermordet,“ und aus der darauf folgenden Reaktion konnte man meistens heraushören, ob der Adressat nicht doch zufällig so etwas wie eine Ahnung dessen haben könnte, was denn die Ursache des Versterbens gewesen war.