Rückkehr der Gerechtigkeit

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Es war noch Nacht in Neu Delhi, aber die Straßenlaternen sorgten für ein wenig Beleuchtung. Etwas orientierungslos zogen die Elf durch die Straßen. Irgendwann reichte es ihnen und sie setzten sich auf eine Straße. „Und was jetzt?“ wollte Parwez wissen. „Keine Ahnung“, murmelte Sardar. „Leute, was ist los mit Euch? Freut Euch, wir haben es geschafft. Wir sind in Neu Delhi, der Hauptstadt Indiens“, vermeldete Nathu. „Na und? Trotzdem wissen wir nicht, wie es weitergeht“, entgegnete Hirabai. „Es stimmt also doch, daß wir die Generation ohne Zukunft sind. Na und? Dann machen wir uns halt unsere eigene Zukunft“, entschied Nathu, der sich seine gute Laune von nichts und niemandem nehmen ließ. „Nathu hat die richtige Einstellung. Wir sollten jubeln und frohlocken ohne Ende, daß wir endlich aus den Fängen dieser Sklavenhalter entkommen sind“, behauptete Sonia. „Mach die Augen auf! Wir sitzen auf der Straße, haben kein Geld, keine Unterkunft, einfach gar nichts“, jammerte Tejbin. „Aber wenigstens haben wir uns“, erwiderte Daya. „Davon werden wir auch nicht satt“, widersprach Sardar. „Oh, ich glaube, da irrst Du Dich. So eine Portion Menschenfleisch kann schon für einige Tage den Hunger stillen. Ich schlage vor, wir losen jetzt aus, wer als Erstes geschlachtet wird“, ließ Nathu mit ernster Stimme von sich hören. Alle lachten. Nathu gelang es immer wieder, sie aufzubauen und ihnen zu zeigen, daß man auch ohne Hab und Gut ein lustiger und glücklicher Mensch sein konnte. Für jene Gabe bewunderten ihn die Anderen, aber seine Sprüche allein konnten halt nicht alle ihre Probleme lösen. „Wir sollten erstmal schlafen und dann sehen wir weiter“, schlug Bharat vor. „Ein kluger Junge. Denn so schnell sehen wir eh nicht weiter, so dunkel wie es hier ist“, bemerkte Nathu zur allgemeinen Erheiterung. Sie fühlten sich sicher in der Stadt und da man ihnen eh nichts stehlen konnte, entschieden sie sich, keine Wachposten zu bestimmen. So schlummerten sie eine Weile vor sich hin, bis sie unsanft geweckt wurden. „Aufwachen, elendes Pack! Ihr könnt doch hier nicht übernachten“, schnarrte ein Polizist, der mit drei seiner Kollegen hergekommen war. „Aber sie sehen doch, daß wir das können. Also, gute Nacht“, murmelte Nathu schlaftrunken. Auf einmal traf ihn das Schlagholz eines Polizisten, der dazu noch Folgendes fragte: „Wie redest Du denn mit einem Polizisten? Könnt Ihr Euch überhaupt ausweisen?“ Natürlich konnten sie das nicht, weil ihre Ausweise noch in der Kinderfabrik lagen. „Wir können uns zwar nicht ausweisen, aber wir können Euch ins Haus scheißen“, antwortete Nathu, weshalb er wieder einen Schlag abbekam. Da riß er plötzlich einem der Polizisten den Schlagstock aus der Hand. Der wich entsetzt zurück. „So, jetzt drehen wir den Spieß mal um. Wenn Du unbedingt jemanden schlagen mußt, dann werde Domino, oder sowas!“ rief Nathu, der Einiges vom Wortschatz der Aufseher übernommen hatte. „Ja, jetzt werden wir mal ernst. Wo sind wir denn hier? Wir liegen friedlich schlafend am Boden und Ihr kommt hierher und macht Ärger. Was soll denn das?“ fragte Nathu die erstaunten Polizisten. „Moment, Junge! Du bringst da was durcheinander. Ihr habt kein Recht hier zu schlafen und darum müssen wir Euch wegschaffen“, stellte einer der Polizisten klar. Es war keineswegs so, daß die Jugendlichen in der Kinderfabrik nur gearbeitet hatten. Man hatte sie ab und zu auch noch unterrichtet, so daß sie doch ein kleines, aber wertvolles Wissen besaßen. „Bist Du der neue Hitler, oder was? Diese Stadt gehört allen und darum können wir schlafen wo wir wollen. Es sei denn, Du stellst uns Deine Villa zur Verfügung“, stieß Nathu energisch hervor. „Du bist ganz schön frech. Ihr kommt jetzt mit und damit basta!“ „Ihr verschwindet jetzt und damit basta!“ Mit solchen Worten hatten die Polizisten nicht gerechnet. Fragend schauten sie sich an. „Das ist Widerstand gegen die Staatsgewalt“, stammelte einer. „Was soll die ganze Scheiße, die Ihr da labert? Ich sehe weit und breit keine Staatsgewalt. Ihr habt uns angegriffen, also ist es unser Recht, uns zu wehren. Laßt uns jetzt endlich in Ruhe!“ forderte Shankar. Die Polizisten wußten nicht so recht, was sie tun sollten. „Ihr glaubt wohl, nur weil Ihr in einer Uniform herum rennt seid Ihr was Besseres als wir und dürft Euch alles erlauben? Aber da irrt Ihr Euch gewaltig“, garantierte Bharat, der seine Freunde unterstützen wollte. „Wir geben Euch zehn Minuten Zeit, um zu verschwinden. Wenn Ihr bis dahin nicht fort seid, dann, äh, dann, dann werden wir Verstärkung rufen“, sagte ein Polizist. „Kleines Stotterproblem, was? Seid froh, daß wir friedlich sind, weil wir Euch auch auseinandernehmen könnten. Wir verschwinden, aber eines garantiere ich Euch: Wenn Ihr wieder bei uns auftaucht, oder Eure Kollegen, dann gibt’s Ärger. Wir lassen uns nämlich nicht von einem Ort zum nächsten schicken“, bekräftigte Shankar. Danach setzten sich die Elf in Bewegung. „Einen Augenblick! So war das nicht gedacht. Ins Gefängnis müßt Ihr schon“, beharrte einer der Polizisten. Da ging Bharat seelenruhig auf ihn zu, stellte sich vor ihn hin und fragte: „Hast Du was gesagt?“ Der Polizist war gut 20 Zentimeter kleiner als Bharat und darum zögerte er mit der Antwort. Erst nach einigen Sekunden ließ er ein „Schönen Tag noch“ von sich hören. So zogen die Flüchtlinge von dannen und wunderten sich. „Was ist denn das für ein Sauhaufen? Da schläft man in aller Ruhe und dann tauchen auf einmal solche Idioten in Uniform auf, die nichts Besseres zu tun haben als junge Leute zu schikanieren“, ärgerte sich Raja. „Solange wir im Freien schlafen müssen, werden uns die noch einigen Ärger bereiten“, glaubte Daya. „Kein Problem. Bauen wir uns halt ein Haus“, schlug Tejbin vor, obwohl er genau wußte, daß das unmöglich war. Langsam wurde es hell und die ersten Kurzschläfer erwachten. Aus den Fenstern schauten die ersten Gesichter, doch als man die elf Flüchtigen sah, wurden die Fenster schnell wieder geschlossen. Natürlich sah man ihnen an, daß sie nicht zur besseren Gesellschaft gehörten, sondern daß sie wohl einige Tage in der Wildnis verbracht hatten. Im Gegensatz zu den Leuten störte die elf Jugendlichen das wenig. Sie waren froh, daß ihnen ihre Flucht geglückt war und alles Andere würde schon nach und nach auf sie zukommen. „Wohin gehen wir?“ forschte Hirabai. „Immer der Nase nach“, antwortete Parwez. „Prima Antwort.“ „Das soll heißen, daß Parwez mal wieder keinen blassen Schimmer hat“, erklärte Sardar. „Das ist egal. Mir würde es schon reichen, wenn er etwas zu essen dabei hätte“, warf Nathu ein und so langsam spürten sie alle ein sehr großes Hungergefühl. Aber wo würden sie um die Zeit Nahrung her bekommen? Und überhaupt hatten sie keine einzige Rupie. Das Geld, für das sie in der Kinderfabrik gearbeitet hatten, hatten sie nämlich nie gesehen. Man hatte ihnen gesagt, es würde direkt von der Schuld ihrer Eltern abgezogen, so daß sie nie etwas bekommen hatten. Sie hatten praktisch nie für sich selbst, sondern nur für Andere gearbeitet. Das stellten sie jetzt ernüchtert fest und das belastete sie doch gewaltig. Sie waren auf diese Art und Weise arbeits-, wohnungs- und mittellos. Das bedeutete, daß es fast nur noch besser werden konnte.

Der Tag brach an und so langsam kam Leben in die Straßen Neu Delhis. Viele Menschen machten sich auf den Weg zu ihrer Arbeitsstätte, um dort das Geld zum Leben zu verdienen. Andere hatten keine Arbeit und versuchten, irgendeine Beschäftigung zu finden, um die Stunden zu füllen. Nachdem es immer lauter wurde, erhoben sich auch die elf ehemaligen Fabrikarbeiter, um einen Zeitvertreib zu suchen. Doch zunächst gingen sie in ein Friseurgeschäft, um dort nach Haarfarbe zu fragen. „Ihr wollt, daß ich Euch Haarfarbe schenke?“ fragte der Friseur ein wenig schockiert, weil er nicht glauben wollte, was er da gehört hatte. „Na ja, wir haben kein Geld und darum können wir sie nicht bezahlen“, gestand Tejbin etwas verlegen. „Tut mir leid. Kein Geld, keine Ware. Wo kämen wir denn dahin, wenn ich meine Sachen verschenken würde? Ich muß ja auch von etwas leben.“ „Wo haben sie denn die Waren, bei denen das Haltbarkeitsdatum schon abgelaufen ist?“ wollte Nathu wissen. „Die liegen da vorne. Das sind die zu den Sonderpreisen.“ „Haben sie wirklich nichts für uns übrig?“ fragte Indira mit einem unschuldigen Lächeln. „Doch und zwar einen guten Ratschlag: Sucht Euch eine Arbeit und dann könnt Ihr wiederkommen und Euch etwas kaufen“, sprach der Friseur und schickte sie dann fort. „Der redet sich leicht. Der hat einen Job“, moserte Bharat enttäuscht. So machten sie sich auf den Weg in die Innenstadt, um dort vielleicht Arbeit zu finden. Da sahen sie Männer, die schwere Kisten schleppten. „Das können wir auch“, fand Shankar, weshalb er die Arbeiter fragte: „Können wir Euch helfen?“ „Verschwindet! Elendes Pack, will uns unsere Arbeitsplätze klauen!“ rief einer der Männer. Da auch dort nichts zu holen war, gingen sie zu einer Art Arbeitsamt. „Wir suchen Arbeit“, erzählte Shankar dem Mann, der sich über den Aufmarsch ein wenig wunderte. „Das tun Viele. Glaubt ja nicht, daß Ihr da die Einzigen seid. Aber es gibt keine Arbeit. Ihr müßt schon selber sehen, wie Ihr über die Runden kommt“, stellte er fest. Shankar wollte das nicht wahrhaben. „Was soll denn das heißen? Sollen wir stehlen, oder was?“ „Das ist Eure Sache. Verschwindet wieder! Ich habe genug zu tun.“ „Ich dachte, das hier wäre die Arbeitsvermittlung.“ „Das ist sie auch. Aber da es keine Arbeit gibt, kann ich auch keine vermitteln. Bist Du schwer von Begriff, oder was?“ „Das darf doch wohl nicht wahr sein. Sollen wir verhungern?“ „Da wärt Ihr nicht die Ersten. Ihr müßt wissen was Ihr tut, das ist nicht mein Problem. Aber stört mich jetzt nicht länger.“ „Gibt es denn gar keine Möglichkeit, irgendwo Arbeit zu finden?“ „Natürlich. Ihr braucht nur gute Beziehungen, dann findet sich immer ein Job. Sonst seid Ihr die Verlierer. Aber wenn Ihr Glück habt und wir bald einen Krieg gegen Pakistan beginnen, dann gibt es sehr schnell wieder genug Arbeit“, versprach der Mann. „Das ist doch krank. Wir sollen auf einen Krieg hoffen, um Arbeit zu bekommen. Ihr seid doch hier alle nicht ganz richtig im Kopf“, erwähnte Bharat, bevor sie das Büro verließen. „Das ist also die Freiheit. Lange werden wir sie nicht mehr erleben“, vermutete Sonia ein wenig bedrückt. „Halt! Ganz so einfach geben wir uns nicht geschlagen. Wir müssen halt unsere Ansprüche ein wenig herunterschrauben“, behauptete Sardar. „Unsere Ansprüche sind ganz unten, tiefer geht es gar nicht mehr. Sollen wir Scheiße fressen, oder was?“ wunderte sich Parwez. „Nein, da gibt es andere Möglichkeiten. Viele Leute schmeißen achtlos Nahrungsmittel weg“, deutete Sardar an und hob eine alte Fischsemmel auf. „Ist doch besser als gar nichts“, hörte man ihn sagen, während er kaute. So machten sie sich also auf den Weg zu den Müllcontainern der Gaststätten, um dort nach Eßbarem zu suchen. Doch als sie bei der ersten Tonne ankamen, erschraken sie gewaltig. Vor ihnen drängten sich gut 15 Menschen auf der Suche nach Essensresten. „Nein Leute, man kann es auch übertreiben. Ich finde nicht, daß es gut ist, mit alten Bettlern um eine angewieselte Kartoffel zu streiten“, glaubte Shankar und zog sich angewidert zurück. „Du kannst wohl von der Luft leben“, meinte Tejbin, der sich einen Knochen mit etwas Fleisch geschnappt hatte. „Da sieht man einmal wieder wie ungerecht das Leben ist. Wir haben die ganze Zeit gearbeitet und trotzdem stehen wir nun mit leeren Händen da“, erkannte Indira, die sich zu Shankar setzte. „Wir müssen ganz anders vorgehen. Bisher sind die meisten Menschen noch nicht mit dem Elend konfrontiert worden oder sie haben einfach weg geschaut. Kommt mit!“ forderte Nathu seine Genossen auf. Wenig später standen sie zu elft in einem Lokal. Sofort kamen zwei Männer auf sie zu. „Verschwindet! Ihr habt hier nichts zu suchen!“ rief der Eine. „Was können wir dafür, daß wir kein Geld haben? Gebt uns was zu essen und wir gehen wieder“, versprach Bharat. „Einen Dreck könnt Ihr haben! Raus hier!“ brüllte der Wirt, der sich dazu gesellt hatte. „Jetzt geben sie den Kindern doch was zu essen. Die sehen ja ganz ausgehungert aus“, konstatierte einer der Gäste, der noch einen Anflug von Menschlichkeit zu besitzen schien. „Und wer bezahlt mir das?“ fragte der Wirt mit grimmiger Miene. „Jetzt tu mal nicht so, als ob Du am Bettelstab gehen würdest. Das Fleisch von eben, das war auch eher ein Batura“, erinnerte sich der Gast. Da beeilte sich der Wirt, damit niemand aufmerksam wurde. „Kommt mit!“ bat er die Elf und brachte sie in einen Nebenraum. „Seid froh, daß es der Mann dort drin gut mit Euch meint. Aber glaubt ja nicht, daß Ihr noch einmal hier auftauchen könnt. Ihr bekommt jetzt was zu essen und dann haut Ihr ab!“ verlangte er mit dunkler Stimme. „Aber gib uns bitte kein falsches Fleisch“, ermahnte ihn Nathu grinsend. Wenig später bekamen sie ein paar von den Sachen aufgetischt, für die sich einige der Gäste zu schade gewesen waren und so kam es, daß sie zum ersten Mal seit langer Zeit satt wurden. Auf einmal kam der Gast herein, der dafür gesorgt hatte. „Danke“, schmatzte Raja glücklich. „Nichts zu danken. Das war das Mindeste, was ich für Euch tun konnte. Wo kommt Ihr her?“ Shankar zögerte. Meinte es der Mann wirklich gut mit ihnen oder wollte er sie nur ausnutzen? „Wir sind alle aus Kinderfabriken geflohen“, erzählte er. „Was! Das ist ja super. Ich hätte nie gedacht, daß es Leute gibt, die das schaffen.“ „Aber jetzt haben wir wieder Probleme. Kein Zuhause, kein Geld und auch keine Arbeit.“ „Paßt auf! Ich kenne da ein paar Leute, an die Ihr Euch wenden könnt. Das sind gute Menschen, die sich um die kümmern, die nichts zum Leben haben. Wenn Ihr wollt, kann ich Euch zu denen hinbringen, nachdem Ihr satt seid.“ „Aber das sind keine Kinderhändler, oder?“ Der Mann lachte. „Was denkt Ihr von mir? So etwas würde ich nie tun. Nein, es sind Frauen und Männer, für die Geld nicht so wichtig ist. Sie kümmern sich um die Armen, um denen das Überleben zu ermöglichen.“ „Na dann ist e ja gut.“ Wenige Minuten später brachen sie auf. Es dauerte eine Weile, bis sie dort ankamen, wohin sie der Mann hatte bringen wollen. „So, da sind wir. Hallo Lucia. Ich habe Euch ein paar junge Menschen mitgebracht, die Eure Hilfe dringend benötigen“, berichtete er und ging dann. Lucia war eine kleine Frau, deren Lachen den Flüchtigen Vertrauen schenkte. „Seid willkommen. Hier seid Ihr absolut richtig. Hier habt Ihr einen Platz zum Übernachten, bekommt etwas zu essen und findet vielleicht auch eine Arbeit“, erzählte sie. Danach führte sie die Elf zu ihrem Zimmer. „Wenn Ihr wollt, dann könnt Ihr zusammen bleiben. Seht Euch erst einmal genau um. Wenn Ihr Fragen habt, dann stellt sie ruhig“, ermunterte sie die Frau. „Warum sind sie so gut zu uns?“ wollte Sonia wissen, die ein wenig Angst hatte. „Weil auch Ihr die Chance haben sollt zu überleben“, antwortete die Frau lächelnd. „Aber das bringt ihnen doch nichts“, entfuhr es Parwez. „Oh doch. Es macht uns sehr glücklich, wenn wir sehen, daß wir anderen Menschen helfen können.“ „Sie sind ein Engel“, bemerkte Shankar beeindruckt. „Was redet Ihr denn da? Normalerweise müßten alle Menschen das tun, was wir hier machen. Ach, was rede ich. Eigentlich dürfte es gar nicht soweit kommen, daß es Menschen gibt, die Hunger leiden müssen“, erörterte die Frau. „Wenn Ihr mir Eure Geschichte erzählen wollt, dann tut das“, fügte sie hinzu. Sie setzten sich an einen großen Tisch. Erst erzählte Bharat, dann erzählte Shankar und danach erzählte Nathu alles, was sich zugetragen hatte, seit sie sich zusammengeschlossen hatten. Aufmerksam hörte ihnen Lucia zu und immer wieder mußte sie dazwischen schlucken oder weinen, weil ihr das, was sie da hörte, sehr nahe ging. „Ihr habt viele schlimme Sachen durchmachen müssen. Aber damit wird es jetzt endgültig vorbei sein. Das verspreche ich Euch“, garantierte sie schluchzend. „Warum weinst Du?“ wunderte sich Raja. „Warum ich weine, Junge? Ich weine darüber, daß man Euch so schrecklich behandelt hat.“ „Aber das hilft doch nichts. Außerdem sind noch genug Kinder in den Fabriken, die so behandelt werden“, fiel Sardar dazu ein. „Ich weiß und das stimmt mich so traurig. Seit über 20 Jahren versuche ich gegen die Kinderarbeit zu kämpfen, aber wir haben nichts erreicht. Rein gar nichts“, murmelte Lucia traurig. „Sei nicht traurig. Allein hat man gegen diese Leute keine Chance“, stellte Shankar klar. „Wenn Ihr wollt, könnt Ihr jetzt ein wenig raus gehen. Wir haben ein paar Spielplätze, auf denen Ihr Euch austoben könnt“, teilte ihnen die Frau mit und ging dann. „Daß es solche Menschen gibt“, freute sich Parwez ein wenig erstaunt. Doch lange dachten sie darüber nicht nach. Sie waren unglaublich glücklich, endlich eine Heimat gefunden zu haben, wo sie gute Aussichten auf ein Überleben hatten. Sie fühlten sich erleichtert, denn nun waren sie erst einmal sicher und geborgen. Zwar hatten sie nach wie vor keine Arbeit und damit kein Geld, aber das war nun wirklich nicht das Entscheidende. Hauptsache, sie hatten alle ein Dach über dem Kopf und etwas zu essen. Darum begaben sie sich nach draußen, wo sie auf viele andere Jugendliche in ihrem Alter trafen. Mißtrauisch musterte man sie, da sie ja Neue waren. Sofort spürten sie, daß sie nicht willkommen waren. „Was wollt Ihr hier?“ rief ihnen einer zu. „Wir leben hier“, antwortete Sardar. Das sorgte für erhebliche Unruhe. „Bildet Euch ja nichts ein! Wir haben hier das Sagen“, tönte ein Junge entschlossen und seine Kumpanen stimmten ihm zu. „Hey Leute, was ist Euer Problem. Ihr seid Menschen, wir sind Menschen. Wieso können wir nicht normal miteinander umgehen?“ fragte Nathu. „Ihr seid keine Menschen. Ihr seid Dreck“, erwiderte ein stärkerer Jugendlicher. „Hast Du schon einmal von einem Dreck einen Schlag ins Gesicht bekommen?“ fragte ihn Nathu und schritt unerschrocken auf ihn zu. Da lachte der Angesprochene höhnisch und holte zum Schlag aus. Nathu duckte sich und schon landete seine Hand mit schneller Geschwindigkeit auf der Backe seines Gegenübers. Platsch! Es war laut und deutlich zu hören. Nathu drehte sich um und ging zu seinen Leuten zurück. Rufe der Überraschung und des Erstaunens gingen durch die Menge. Da kam Lucia vorbei. „Was ist denn los? Wieso spielt Ihr nicht?“ wunderte sie sich. „Stimmt das, daß die auch hier wohnen?“ wurde sie von einem Jungen gefragt. „Das ist richtig. Und ich möchte, daß Ihr sie genauso in Eure Gemeinschaft aufnehmt, wie man Euch aufgenommen hat.“ „Niemals!“ riefen da einige Jugendliche. Da wurde die Frau laut. „Was bildet Ihr Euch denn ein? Man hat Euch immer gut behandelt hier und den Neuen soll es auch nicht schlechter gehen“, fügte sie hinzu. „Aber die sind Abfall. Die sind voller Dreck, die sind Dreck“, behauptete ein Junge. „Schweig! Kein Mensch ist besser als ein anderer! Das habe ich Euch schon so oft gesagt. Es kommt nicht auf das Äußerliche, sondern auf das Innere an! Sie haben Euch nichts getan. Sie haben das gleiche Recht hier zu leben wie Ihr auch. Und damit hat es sich“, machte Lucia deutlich und ging. „Laßt Euch nicht unterkriegen!“ flüsterte sie den Neuankömmlingen zu. „Das geht gar nicht. Wir sind schon ganz unten“, spottete Nathu, der nicht glauben konnte, daß die Gleichaltrigen so viel Ärger machten. Jene zogen ab und ließen die elf Flüchtigen etwas ratlos zurück. „Toller Empfang. Da hätten wir gleich in der Fabrik bleiben können“, urteilte Tejbin. „Quatsch! Das ist am Anfang immer so. Die müssen sich erst daran gewöhnen, daß wir jetzt auch hier sind. Dann wird das schon besser“, versprach Shankar. „Deinen Optimismus möchte ich haben“, murmelte Sardar. „Kein Problem. Der reicht locker für zwei“, ließ Shankar von sich hören. Man hatte sie nicht jubelnd empfangen, doch das hatte auch niemand erwartet. Trotzdem hatten sie sich mehr erhofft gehabt.

 

Doch es gab auch Jugendliche, die nichts gegen die Neuankömmlinge hatten. Vier von denen kamen auf sie zu. „Nehmt das nicht so ernst, was die Anderen gesagt haben. Die haben halt Angst, daß sie jetzt etwas kürzer treten müssen. Übrigens, ich bin Rahul und das sind Brahma, Gautam und Brijesh“, stellte Rahul sich und seine drei Freunde vor. Shankar zählte die Namen seiner Leute auf, bevor er mit Rahul ins Gespräch kam. „Wie lange seid Ihr schon hier?“ wollte er wissen. „Seit zwei Jahren. Es ist schön hier. Wir helfen alle zusammen und können überleben.“ „Habt Ihr auch in einer Fabrik gearbeitet?“ „Ja, aber nicht so lange. Höchstens fünf Jahre. Aber das hat gereicht.“ „Und wie seid Ihr rausgekommen?“ „Man hat uns rausgeschmissen, weil wir eine bessere Behandlung gefordert haben.“ „Komisch. Wenn wir das gemacht hätten, dann hätte man uns verprügelt.“ „Na ja, das haben sie sich nicht getraut, weil sie sonst Ärger bekommen hätten. Außerdem hatten sie schon Ersatz gefunden, so daß sie uns nicht mehr brauchten.“ „Und was macht Ihr hier den ganzen Tag?“ „Das was wir wollen. Könnt Ihr Fußball spielen?“ „Na ja, ein bißchen.“ „Kommt mit! Wir haben hier einen schönen Platz“, sagte Rahul und führte seine neuen Bekannten zum Fußballplatz. Dort wich dann jegliche Zurückhaltung von den „Flüchtlingen“. Als sie einen richtigen Fußball sahen, gab es kein Halten mehr. Sie stürzten sich auf das runde Leder und wollten es am liebsten nie mehr hergeben. Wenig später spielten sie in zwei Mannschaften zu je fünf Leuten. Nathu ging ins Tor und die vier Mädchen schauten zu. „Wie kleine Kinder“, meinte Indira, die das Treiben interessiert beobachtete. „Hauptsache es macht ihnen Spaß“, fand Daya, die immer noch ein wenig traurig war. Stundenlang tobten sich die Jugendlichen auf dem Bolzplatz aus, doch auf einmal war der Ball weg. Sardar hatte ihn über das Tor geschossen und war losgelaufen, um ihn zu holen. Jedoch war einer derer, die sie nicht leiden konnten, schneller am Ball und hatte ihn zu seinen Leuten gebracht. „Was soll denn das? Gebt uns den Ball!“ forderte Bharat. „Vergeßt es! Das ist unser Ball. Und jetzt verschwindet, weil jetzt richtige Fußballer auf den Platz kommen“, tönte der Andere. „Der Ball gehört uns allen. Also her damit!“ befahl Shankar. „Spiel Dich hier nicht auf! Seid froh, daß wir Euch hier wohnen lassen“, entgegnete einer der „Feinde“. Raja wollte die Situation entschärfen. „Wir haben doch jetzt lange genug gespielt. Lassen wir die aufs Feld. Aber nur, wenn sie uns versprechen, daß wir den Ball wiederbekommen, wenn sie fertig sind“, schlug er vor. Damit waren alle einverstanden und so beobachteten die elf Jungen ihre Konkurrenten. „Also viel besser wie wir sind die auch nicht“, kommentierte Tejbin. „Umso besser. Aber das bringt uns auch nicht viel“, glaubte Bharat. Nach einer Weile hatten sie genug gesehen und gingen mit den vier Mädchen zu Lucia. „Na, habt Ihr genug von der Sonne?“ fragte die freundlich. „Können wir Dir irgendwie helfen?“ wollte Shankar wissen. „Gerne. Wenn Ihr wollt, könnt Ihr das Abendessen herrichten.“ Da waren sie alle sofort Feuer und Flamme und so machten sie sich an die Arbeit. Doch als sie dann alle zu Tisch saßen, herrschte eisiges Schweigen. Feindselig blickten sich die Mitglieder der Gruppen an. „Was ist denn mit Euch? Ihr könnt doch miteinander reden“, fand Lucia, die merkte, daß es nicht leicht werden würde, für Frieden und Ordnung zu sorgen. „Was sollen wir denn mit denen reden? Die können ja nicht mal unsere Sprache“, lästerte einer der Anderen. „Das liegt an Deinen Ohren. Wahrscheinlich hast Du die auf Englisch eingestellt“, scherzte Nathu. Während seine Freunde lachten, machten die Anderen finstere Gesichter. Lucia beschloß, nach dem Essen dafür zu sorgen, daß sich die Gruppen etwas näher kamen. Darum ließ sie alle in einem großen Raum zusammenkommen und sprach: „Damit Ihr Euch jetzt kennenlernt, bitte ich Euch, daß Ihr Euch gegenseitig vorstellt und Euch die Hand gebt.“ Aber jene Worte fruchteten nicht. Während Shankar und seine Freunde dazu bereit waren, verweigerten die Anderen ihnen den Händedruck. So blieb es bei der eisigen Stimmung und es hatte nicht den Anschein, als ob sich das ändern sollte.

 

Zum ersten Mal seit langen Jahren konnten die Flüchtlinge in richtigen Betten schlafen und das freute sie sichtlich. Zu elft lagen sie im Zimmer, als auf einmal Lucia hereinkam. „Ich habe fast vergessen, daß Ihr Euch noch duschen könnt, wenn Ihr wollt“, teilte sie mit. Sofort sprangen sie alle auf. Kurze Zeit später genossen sie das kühle Naß und wuschen sich den Dreck vom Körper. Zum ersten Mal seit Langem fühlten sie sich richtig sauber und waren darum bestens gelaunt, als sie wieder in ihre Betten stiegen. „Jetzt haben wir es also geschafft“, begann Tejbin die Unterhaltung im Dunkeln. „Was?“ erkundigte sich Sonia. „Na ja, wir sind frei und haben ein Zuhause. Wir können machen was wir wollen und haben was zu essen“, antwortete er. „Freiheit ist relativ. Wenn Du es genau nimmst, sind wir hier gefangen, auch wenn es uns nicht schlecht geht. Denn sobald wir hier weg gehen würden, hätten wir die alten Probleme“, befürchtete Bharat. „So ist es. Aber so schnell werden wir hier nicht fort gehen. Ich zumindest nicht“, tönte Raja. „Wir müssen bloß auf die Anderen aufpassen. Denen traue ich alles zu. Nicht, daß die hier mitten in der Nacht auftauchen und uns zusammenschlagen“, befürchtete Sardar. „Ach was! Die werden sich schon noch an uns gewöhnen“, glaubte Hirabai. „Du Shankar, hol doch mal den Sanka“, bat Nathu. Alle lachten. „Wozu das denn?“ wollte der wissen. „Ich habe heute zum ersten Mal etwas Richtiges gegessen. Nicht diesen Fabrikfraß. Ich glaube, mein Magen ist so viele gute Sachen nicht gewöhnt. Der arbeitet, aber er schafft es nicht. Ich glaube, ich brauche einen neuen“, kalauerte Nathu. „Du bist und bleibst ein Quatschkopf.“ „Das ist auch gut so. Sonst hättet Ihr ja überhaupt nichts vom Leben.“ „Gute Nacht, Du Komiker.“ „Gute Nacht, Ihr Trantüten!“ Da sie alle in einem Zimmer lagen, war es für Daya nicht schwer, zu Nathu zu gelangen. Sie ging an sein Bett und flüsterte: „Nathu, magst Du mich etwa nicht?“ „Doch natürlich. Aber zwischen Sympathie und Liebe gibt es einen Unterschied.“ „Und der wäre?“ „Wenn ich jemanden sympathisch finde, dann unterhalte ich mich mit dem oder der, mache blöde Witze und so. Aber wenn ich jemanden liebe, dann, das kann man nicht beschreiben.“ „Also liebst Du mich nicht?“ „Ja, nein, ach komm, mach es uns doch nicht so schwer! Laß uns einfach gute Freunde sein.“ „Das genügt mir aber nicht.“ „Dafür kann ich nichts. Gute Nacht“, murmelte Nathu und drehte sich zur Seite. Sekunden später lag Daya wieder in ihrem Bett und weinte. „Mensch Nathu, alter Herzensbrecher! Muß es denn sein, daß Du die Frauen zum Weinen bringst?“ fragte Shankar, der alles mitgehört hatte. „Ich würde sie auch lieber zum Lachen bringen, aber das geht halt mal nicht immer. Manchmal muß ich die Wahrheit sagen, auch wenn sie weh tut“, gab Nathu von sich, um dann endgültig zu schlafen. Am nächsten Morgen beim Frühstück trafen sie wieder auf die selben finsteren Gesichter wie am Tag zuvor. „Heute spielen nur wir Fußball. Daß das klar ist“, stieß einer der „Griesgrämigen“ hervor. „Ihr habt wohl Angst, daß wir Euch fertig machen“, entgegnete Raja. „Pah! Gegen Euch Flaschen gewinnen sogar Säuglinge“, erwiderte sein Gegenüber. Die Anderen lachten und danach herrschte eisiges Schweigen. Nach dem Frühstück sprach Shankar noch mit Lucia. „Du, es gibt da noch ein Problem. Du kennst ja unsere Geschichte und es kann durchaus sein, daß man uns immer noch sucht. Darum wollten wir eigentlich unser Aussehen verändern, um nicht erkannt zu werden“, erzählte er. „Das braucht Ihr nicht. Ich verspreche Euch, daß Euch von hier niemand wegholen wird. Wenn es jemand versucht, dann werde ich es verhindern. Ich habe gute Freunde, die Euch beschützen werden“, versicherte ihm die Frau und so gelang es ihr, Shankar und seine Freunde zu beruhigen. Sie fühlten sich wohl in ihrem neuen Zuhause, auch wenn es noch einige Probleme mit den Mitbewohnern gab. Aber das war ganz sicher nicht ihre Schuld und darum kümmerten sie sich auch nicht weiter darum.

Doch kurze Zeit später tauchte ein Mann auf und ließ alle Jugendlichen zu sich kommen. Als alle da waren, begann er zu erzählen: „Ab nächster Woche finden die Fußballstadtmeisterschaften für alle Jugendlichen aus Neu Delhi statt. Auch Euer Heim darf mit einer Mannschaft daran teilnehmen. Es spielen wie im richtigen Fußball elf Spieler, darunter ein Torwart. Ihr könnt auch Auswechselspieler mitnehmen, aber das ist kein Zwang. So, wer von Euch will denn gerne dabei mitmachen?“ fragte er und zog einen Stift und einen Zettel hervor. „Da brauchen wir erst gar nicht lang diskutieren. Wir haben bereits eine Mannschaft“, meldete sich ein Junge zu Wort und zeigte auf sich und zwölf weitere Jugendliche. „Moment mal! Das lassen wir uns nicht gefallen. Wir wollen auch bei den Stadtmeisterschaften mitmachen“, entschied Nathu. „Ihr haltet die Klappe! Ihr habt hier nichts zu sagen!“ rief sein Gegenüber. „Einen Augenblick. Alle haben grundsätzlich das Recht, dabei mitzumachen. Da ich sehe, daß Ihr fast zwei Mannschaften hättet, schlage ich vor, daß wir ein Ausscheidungsspiel machen. Der Gewinner nimmt an den Stadtmeisterschaften teil, der Verlierer nicht“, erläuterte der Mann und erntete für seinen Vorschlag bei Shankar und seinen Freunden Zustimmung, im anderen Lager Ablehnung. „Was soll die Scheiße? Wir leben hier schon seit Jahren und die sind erst gestern gekommen. Da steht doch fest, wer spielt“, maulte einer der Jugendlichen. „Ihr habt doch nur Angst, daß Ihr gegen uns verliert“, konterte Rahul. „Reißt nur nicht Eure Klappe so weit auf! Gegen uns habt Ihr eh keine Chance“, erwiderte ein Anderer. „Also, paßt auf! Wir machen das Spiel heute Abend um sechs Uhr. Ich mache den Schiedsrichter und Ihr könnt Euch sicher sein, daß ich absolut neutral sein werde. Wir spielen zwei mal 30 Minuten und wenn es dann unentschieden steht, dann gibt es ein Elfmeterschießen“ verkündete der Mann. „Haben sie einen Fußball für uns? Ich bin mir nämlich ziemlich sicher, daß uns die keinen geben werden“, vermutete Shankar. „Fragt Lucia. Ich glaube, die hat noch einen“, antwortete der Mann und ging daraufhin. „Leute, hört mir mal zu. Wenn wir heute abend wirklich eine Chance haben wollen, dann brauchen wir eine gute Taktik“, begann Rahul. „Was ist eine Taktik?“ wunderte sich Raja. „Ich weiß, daß Ihr ziemlich gut Fußball spielen könnt, aber da gehört noch mehr dazu. Ihr müßt beim Spielen auch mitdenken. Vor allem muß jeder genau wissen, was er zu tun hat. Darum werden wir erst einmal die Positionen festlegen“, argumentierte Rahul, der zweifellos am meisten von jenem Sport verstand. Er hatte schon ein paar Fußballspiele gesehen und so wußte er doch ein wenig, wovon er sprach. Es dauerte eine Weile, bis sich jeder eine Position ausgesucht hatte. Erst danach fuhr Rahul fort: „Also paßt auf! Die Abwehrspieler haben vor dem Tor des Gegners nichts verloren.“ „Warum nicht?“ fragte Parwez. „Weil sie dann in der Deckung fehlen und es dem Gegner leichter machen, ein Tor zu schießen“, antwortete Rahul. „Es gibt beim Fußball ein paar Regeln. Der Ball darf außer vom Torwart nicht mit der Hand berührt werden.“ „Klar, sonst hieße es ja Handball“, meinte Nathu grinsend. Gelächter kam auf. „Richtig. Außerdem darf man dem Gegner den Ball nur mit fairen Mitteln abnehmen, ihn also am besten nicht berühren, weil es sonst Freistoß für den Gegner gibt. Wenn der Ball im Toraus ist, gibt es entweder Eckball oder Abstoß. Wenn er im Seitenaus ist, dann gibt es Einwurf. Alles klar?“ wollte Rahul wissen. Um ihn zu beruhigen nickten alle. Kurz darauf holten sie sich von Lucia einen alten Ball. Außerdem zog sich jeder ein Paar Schuhe an, weil man damit doch besser spielte als mit den Sandalen. Nun gab es auf dem Fußballplatz des Heimes ein seltenes Bild zu sehen. Auf der einen Seite des Platzes trainierten die Einen, auf der anderen Seite trainierten Rahul und seine Leute. Man vermied es, zum Gegner zu schauen, sondern konzentrierte sich auf das eigene Spiel. Alle warteten gespannt auf den Abend. Es würde für Shankar und die Anderen das erste richtig ernsthafte Spiel werden und deshalb waren sie doch ein wenig aufgeregt. Denn sollten sie verlieren, dann wäre sofort alles vorbei.