Freud obszöner Spötterfunken

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Der Andere

Zwei Tage später traf sich Urban mit seinem Cousin, der ihm schon des Öfteren weiterhelfen hatte können. „Weißt Du, Alex, die Sache wird immer schwieriger. Gott existiert nicht, Freud ist tot und mir ist auch schon ganz schlecht“, gestand der Psychoanalytiker, als sie durch einen der unzähligen Parks der Stadt spazierten. „Du meine Güte! Dann gibt es also für die Menschheit keine Rettung mehr“, kombinierte der Cousin. „Ganz genau. Ich lebe ja jetzt mit der Ex von einem meiner Klienten zusammen, aber das nur so am Rande. Mit Dir möchte ich mich heute über die wirklich wichtigen Dinge unterhalten.“ „Die da wären?“ „Was passiert mit uns nach unserem Tod?“ „Hat Dir das Dein Freud nicht erzählt?“ „Eigentlich schon. Aber der Mann war Atheist, der ging davon aus, daß es danach nicht mehr weitergeht.“ „Na toll. Dann hätte er sich seine ganze Theorie ja im Grunde sparen können.“ „Wieso das denn? Die hat sehr vielen Menschen auf der Erde weitergeholfen.“ „Und noch viele mehr zerstört.“ „Inwiefern?“ „Na hör mal! Da lebst Du so fröhlich vor Dich hin und auf einmal kommt so ein Psychologe daher und erzählt Dir, Du wärst so geizig, weil Du schon als Kind nicht gern geschissen hättest. Das nenne ich mal eine gelungene Traumatisierung.“ „Also bitte, auf dieses Niveau begebe ich mich jetzt wirklich nicht herab.“ Sie setzten sich auf eine leere Bank, fünf Meter weiter stellte ein alkoholisierter Penner seiner Flasche existentielle philosophische Fragen: „Sag mir, bist Du halb voll oder halb leer? Antworte gefälligst! Ich habe ein Recht darauf, das zu erfahren.“ Sie schauten sich leicht belustigt an. „Glotzt nicht so blöd, Ihr Asozialen!“ rief ihnen der Penner zu, weshalb sie lieber ihre Unterhaltung fortsetzten. „Freuds Lehre ist wesentlich tiefer und vielschichtiger. Es geht darum, daß wir in unserer Kindheit viele Dinge erlebt haben, die wir nicht verarbeiten konnten und deshalb verdrängt haben. Dumm nur, daß sie trotzdem die ganze Zeit irgendwie da waren und uns geprägt haben. Die Psychoanalyse dient dazu, diese verschütteten Erlebnisse freizuschaufeln, um damit dem Klienten in der Gegenwart und für die Zukunft zu helfen“, erläuterte Urban. „Alles schut und gön, aber wer sagt denn, daß Eure Deutungen wirklich zutreffen? Bei Dir zum Beispiel kann ich mir das mit dem Ödipuskomplex irgendwie nicht vorstellen“, entgegnete Alex. „Ja, klar, dadurch, daß ich meinen Vater nie kennengelernt habe, sondern nur ab und zu in der Zeitung oder im Fernsehen erblicken darf, hatte ich wohl kaum den Wunsch, ihn zu töten, um mit meiner Mutter allein glücklich zu werden. Aber Ausnahmen bestätigen nur die Regel und die besagt, daß der Vater für den jungen Sohn selbstverständlich der natürliche Konkurrent um die Gunst der Mutter ist.“ „Ich bin der Meinung, man sollte sich die besten Sachen von jeder Religion, Philosophie und jedem psychologischen Modell herauspicken und zusammen mischen.“ „Ja, das hätte schon seinen Reiz, doch wer trifft die Auswahl und wie wird garantiert, daß es sich dabei tatsächlich um die besten Ideen handelt? Man muß sich halt auch im Berufsleben irgendwann für eine Richtung entscheiden und sich ein Konzept aussuchen, nach dem man dann vorgeht.“ „Ja, der freiwillige Gang in die Fachidiotie.“ „Du hast leicht reden, Du mit Deinem Kynikerleben.“ „Wirf mir bitte nicht vor, daß ich nicht viel zum Leben brauche. Irgendwann werden die Leute schon noch merken, daß weniger mehr ist.“ „Das ganz bestimmt, aber Du willst ja ohnehin ein anderes Gesellschaftssystem.“ „Wohingegen Du Tag für Tag dafür arbeitest, daß alles so bleibt wie es ist.“ „Ja, manche Dinge ändern sich eben nie. Laß uns ein andermal darüber reden, meine Mittagspause ist gleich vorbei und ich habe jetzt gleich ein Gespräch mit der ehemaligen Nymphomanin.“ „Ach, war das nicht diejenige, die sich immer gleich ausgezogen hat, sobald sie in Deinem Zimmer war?“ „Genau die. Es hat lange gedauert, aber schön langsam lernt sie, daß sie auch angezogen voll akzeptiert und respektiert wird. Sie durfte als Kind die ganze Zeit nackt herumlaufen und da siehst Du dann mal, was daraus wird.“ „Schade, daß Du sie erfolgreich therapiert hast. Mit der hätte ich mich sonst bestimmt hervorragend verstanden.“ „Elender Lustmolch! Ab in Deine Denkfabrik, Du Keks von einem Scherz.“ Sie verabschiedeten sich und gingen davon.

Der ganz Andere

„Liebe Gisela! Es freut mich ja ungemein, daß es Ihnen so gut zu gehen scheint, aber ich möchte Sie doch darum bitten, daß Sie sich bei der Arbeit ein bißchen mehr konzentrieren“, tadelte der Chefredakteur seine Journalistin. „Sie sind doch nur neidisch auf mich, weil ich jetzt glücklich verliebt bin und Sie mal wieder leer ausgegangen sind“, erwiderte Gisela fröhlich. „Darum geht es nicht. Daß Sie meine Avancen seit Jahren zurückweisen ist eine Sache, aber es kann nicht sein, daß Sie wegen der Schmetterlinge in Ihrem Bauch minderwertige Arbeit abliefern.“ Sie befanden sich in den Redaktionsräumen ihrer Zeitung und ihre Verliebtheit gab Gisela die Kraft, die ihr sonst fehlte, wenn sie ihrem Vorgesetzten gegenüberstand. „Ich will Ihnen mal was sagen, Sie Pavianarsch! Mit Ihrem Nazijargon brauchen Sie mir überhaupt nicht zu kommen, denn ich werde mir von Ihnen nichts mehr gefallen lassen. Mein Freund ist nämlich Psychoanalytiker und der hat mir erzählt, daß so aufgeblasene Chefs wie Sie jede Menge Minderwertigkeitskomplexe in sich tragen, die sie durch einen autoritären Führungsstil zu überspielen versuchen.“ „Jetzt reicht es mir aber schön langsam! So unentbehrlich sind Sie nicht, Frau Radtke.“ „Für Sie ab jetzt wieder Frau Kastner und vielleicht schon bald Frau Doktor Wupf.“ „Die Zeiten, in denen die Ehefrauen den Titel ihres Gatten spazieren führen durften, sind zum Glück schon lange vorbei, Frau Kastner.“ „Ach, lassen Sie mich doch in Ruhe! Sie Stromberg, Sie!“ „Also das war ja jetzt wohl schon um Einiges unter der Gürtellinie!“ empörte er sich und kehrte in sein Büro zurück. „Na, dem hast Du es jetzt aber gegeben“, meinte ihre Kollegin Svenja. „Der ist lange genug auf uns herumgetrampelt. Am liebsten hätte ich ihm ja gesagt, er könne mich am Arsch lecken, aber Urban hat mir erzählt, daß das nur Leute von sich geben, die ihre anale Phase nicht wirklich überwunden haben, von daher lasse ich das lieber“, erklärte Gisela. „Ja und außerdem kann ich mir gut vorstellen, daß der Dich tatsächlich am Arsch lecken würde, die perverse Sau.“ „Stimmt, das hatte ich schon wieder erfolgreich verdrängt. Früher hatte ich ja immer geglaubt gehabt, daß der schwul ist, aber dann hat er sich ja an mich rangemacht und jetzt bin ich froh, daß ich auf solche Typen wie ihn nicht länger angewiesen bin.“ „Wie läuft es denn mit Deinem Psychodoktor?“ „Hervorragend. Er ist genau der Mann, den ich mir immer gewünscht habe. Rücksichtsvoll, verständnisvoll und eine Granate im Bett.“ „Du Glückliche! Bei mir tut sich in der Richtung überhaupt nichts. Letzte Woche habe ich bei so einem Speed-Dating mitgemacht und es gab keine Übereinstimmung. Ich habe dann noch mal bei der Agentur angerufen und der Mann meinte, so etwas hätte er noch nie erlebt. Von den fünf Typen, die ich gerne wiedergesehen hätte, hatte mich keiner angekreuzt, dafür wollten die fünf anderen Typen, von denen ich nichts wollte, mit mir ausgehen.“ „Ja, das Leben ist manchmal schon wirklich ein grausamer Sadist.“ „Du, es geht mich zwar nichts an, aber kann es sein, daß Dein Ex jetzt mit Deiner besten Freundin zusammen ist? Ich habe die Beiden gestern eng umschlungen in der Stadt gesehen.“ Gisela erschrak. Für einen Augenblick hatte sie sich nicht unter Kontrolle, doch dann fand sie ihre Selbstbeherrschung wieder. „Ja, irgendwie hatte ich das befürchtet, nachdem ich ihm praktisch seinen Vertrauten ausgespannt habe, daß er es mir heimzahlen würde. Dagmar war eh schon so komisch gewesen und ich glaube fast, die kann ich als meine beste Freundin jetzt abschreiben.“ „Die stand doch schon immer ein bißchen auf Deinen Ex.“ „Findest Du? Warum hast Du mir das nie gesagt?“ „Ich bin doch nicht bekloppt. Ich sag Dir sowas doch nicht, solange Du mit dem Typen zusammen bist.“ „Auch wieder wahr. Aber irgendwie trifft es mich schon, denn jetzt kann ich meine Geheimnisse nicht länger mit Dagmar teilen, dafür hat Horst jetzt auch keinen mehr, mit dem er ernsthaft reden kann.“ „Und was ist mit seinen Kumpels?“ „Das sind doch nur Sauf- und Fußballfreundschaften, die reden nicht über ihre Probleme.“ „Einen Witz hab ich noch für Dich, bevor unser Stromberg zurückkommt und uns zur Arbeit zwingt. Wohin fliegt der schwule Adler?“ „Natürlich zu seinem Horst. Den hat Urban mir vor ein paar Wochen erzählt. Seitdem liebe ich ihn.“

Besagter Horst hatte derweil ganz andere Probleme. Er war durch die Stadt geschlendert, nachdem er im Büro Feierabend gemacht hatte und war auf ein paar Jugendliche gestoßen, die nichts Gutes im Schilde zu führen schienen. „Hey, was wollt Ihr von mir? Ich habe Euch nichts getan, also laßt mich gefälligst in Ruhe!“ forderte er sie auf, doch sie dachten überhaupt nicht daran, sondern umkreisten ihn. „Ganz ruhig bleiben. Wir sind hier mitten in der Stadt, überall laufen Leute herum, die werden mir schon nichts tun“, beruhigte sich Horst. Sekunden später mußte er den ersten Schlag in die Magengrube einstecken und ging zu Boden. „Hilfe!“ rief er so laut er konnte. Ein paar Leute drehten sich um, andere schauten absichtlich weg und schon landete ein Schlag in seinem Gesicht. „Das hier ist eine rational befreite Zone. Hier wird Dir niemand helfen!“ tönte der Anführer der Bande, als plötzlich eine fein gekleidete Dame erschien und ihn sich zur Brust nahm. „Hier steckst Du also, Jonathan. Sag mal, habt Ihr denn nichts Besseres zu tun, als harmlose Leute zu verprügeln?“ tadelte sie ihn. „Aber Mutti, der Kerl hat uns genervt“, widersprach ihr Sohn. „Das darf doch wohl nicht wahr sein! Ich möchte lieber erst gar nicht wissen, was in Deiner Erziehung alles schiefgelaufen ist. Laßt den armen Mann in Frieden und macht lieber etwas Nützliches!“ verlangte sie von den Jungs und mißmutig schlichen sie von dannen. Langsam richtete sich Horst auf und schaute die Frau dankbar an. „Ich bin Ihnen zu tiefem Dank verpflichtet“, brachte er zögernd heraus. „Na ja, wissen Sie, mir ist die Sache schon furchtbar peinlich. Mein Jonathan ist im Grunde kein übler Kerl, aber er langweilt sich so schnell und dann wird er aggressiv. Als Kind hat er dann immer sein Spielzeug zertrümmert, ja und heute, da geht er dann mit seiner Clique einfach auf Leute wie Sie los. Ich hoffe, Sie sind nicht ernsthaft verletzt.“ „Ich glaube nicht, aber vielleicht wäre es besser gewesen, wenn Sie Ihrem Söhnlein Brillant in seiner Kindheit nicht zu viel Zucker in den Arsch geblasen hätten.“ „Ja, das sage ich auch immer, aber dann verprügelt mich mein Mann und ich muß wieder die Schnauze halten.“ „Alles klar.“

 

Dagmar saß zusammen mit ihrer Mutter in der Gartenlaube und schwärmte in den höchsten Tönen: „Also, der Horst, der ist wirklich phantastisch! Ich habe die Gisela ja schon seit Jahren um ihn beneidet und konnte nie wirklich verstehen, warum sie immer dermaßen über ihn abgelästert hat. Andererseits muß ich zugeben, daß sie ihn ganz schön erzogen hat, so daß er mir fast aufs Wort gehorcht und das finde ich natürlich schon ziemlich praktisch“, plapperte die Tochter. „Schätzchen, ein Mann ist kein Hund“, stellte ihre Mutter klar. „Aber das weiß ich doch, Mama. Ich genieße es halt gerade einfach nur und ich kann mir überhaupt nicht mehr vorstellen, wie das war, ohne Sex gehabt zu haben einzuschlafen.“ „Aber hat sich die Gisela nicht immer darüber beschwert, daß er sie nicht mehr anrührt?“ „Das schon, aber ich glaube, das hatte ausschließlich was mit ihr zu tun. Von mir kann er jedenfalls die Finger nicht lassen und das verstehe ich nur allzu gut, denn mir geht es da ja genauso.“ „Du hast schon als Kind gerne an Dir herumgefingert, das ist wirklich wahr. Ich gönne Dir Dein Glück von tiefstem Herzen, aber sei Dir darüber im Klaren, daß nichts so bleibt wie es ist. Irgendwann wird auch Eure Verliebtheit ein Ende nehmen und dann wird der Alltag in Euer Zusammenleben einkehren. Erst danach wirst Du erkennen können, ob das zwischen Euch eine Zukunft hat oder nicht“, ließ die Mutter von sich hören. „Ach Mama, sei doch nicht immer so pessimistisch! Nur weil Du mit Papa nicht gerade das große Los gezogen hast, brauchst Du noch lange nicht glauben, daß alle Männer so wären wie er.“ „Was redet Ihr da schon wieder hinter meinem breiten Rücken über mich? Bestimmt nur Schlechtes!“ meldete sich ihr Vater aus seiner Hängematte zu Wort. „Natürlich. Was denn sonst?“ entgegnete seine Frau und er widmete sich wieder dem Sportteil seiner Zeitung. „Setz Dich doch zu uns! Unsere Tochter ist frisch verliebt“, fügte sie noch hinzu. „Keine Sorge, das vergeht schon wieder“, murmelte er und drehte sich zur Seite, um ein wenig zu dösen. „Na hoffentlich steht mir mit meinem Mann ein anderes Schicksal bevor“, dachte sich Dagmar, bevor sie sich verzog.

Der Über-Vater

Das Treffen, das sich unser Psychoanalytiker vorgenommen hatte, gehörte zu denen, die er schon sein ganzes Leben lang vor sich hergeschoben hatte, doch nun war der Tag gekommen und da er tatsächlich eine Audienz beim Herrn Bischof gewährt bekommen hatte, wollte er die Chance nutzen, um seinem Erzeuger zum allerersten Mal persönlich gegenüberzutreten. „Hallo Papa!“ begrüßte er den hohen Geistlichen und der wurde gleich ganz weiß im Gesicht. „Was willst Du denn hier, mein Sohn?“ fragte er verdattert. „Schön, daß Du mich gleich erkennst.“ „Das tue ich nicht. Ich rede alle Männer so an, außer die, die deutlich erkennbar wesentlich älter sind als ich.“ „Toll, daß Du Bischof geworden bist, obwohl es mich gibt.“ „Ansichtssache. Ohne Dich hätte ich Papst werden können.“ „Na ja, viel schlechter als der jetzige wärst Du wahrscheinlich auch nicht. Aber mir kann es egal sein, ich glaube ohnehin nicht an Gott.“ „Das hatte ich mir fast schon gedacht. Was willst Du hier?“ „Na ja, nach über 42 Jahren, habe ich mir gedacht, da könnte ich doch mal meinen Vater besuchen. Nicht daß Du plötzlich stirbst und dann hätten wir uns nicht mal persönlich kennengelernt.“ „Ach, wir katholischen Geistlichen sind zäh, wir haben zwar nicht das ewige Leben auf Erden, aber weil wir so wenig nachdenken müssen, sehen wir mit 70 noch aus wie kleine Babys, zumindest im Gesicht.“ „Das freut mich für Euch, da habe ich es als Psychoanalytiker wohl nicht so leicht.“ „Ach ja, die Triebe, die haben mich damals auch übermannt, als ich Deine Mutter traf. Wie geht es ihr eigentlich?“ „Keine Ahnung. Seit ich ihr gesagt habe, daß ich Dich aufsuchen werde, redet sie nicht mehr mit mir.“ „Das kann ich gut verstehen, denn es war für sie bestimmt nicht leicht, alleine mit Dir zurechtzukommen. Wie ich sehe ist in Deiner Erziehung wohl auch Einiges schiefgelaufen.“ „Wie kommst Du denn darauf?“ „Na ja, Du glaubst nicht an Gott, Du huldigst Freud, Du ehrst Vater und Mutter nicht und bestimmt veranstaltest Du bei Dir in der Praxis wilde Orgien.“ „Das würde Dir gefallen, was, aber damit kann ich leider nicht dienen.“ „Schade. Gut, dann können wir uns ja jetzt verabschieden.“ „Nee, Papa, so leicht kann und will ich es Dir nicht machen. Ich werde mich nicht beklagen und ich glaube, mit Dir als richtigen Vater hätte ich es bestimmt auch nicht leicht gehabt, aber wenn ich daran denke, auf was ich alles verzichten habe müssen.“ „Ach, aus der Richtung weht der Wind. Wieviel brauchst Du?“ „Ach was, Geld habe ich selber mehr als genug. Daß Ihr Religiösen immer nur an die Kohle denken könnt, wirklich erstaunlich, aber auch irgendwie paradox und abartig. Wie auch immer, mir scheint, als könnte ich von Dir nicht viel erwarten, aber vielleicht sollte ich doch zugeben, warum ich eigentlich hier bin. Weißt Du, ich habe einem Klienten geholfen, aus seiner hoffnungslos verfahrenen Ehe auszubrechen.“ „Na ja, das klingt eigentlich nach einer guten Tat, auch wenn ich das als Vertreter meines Glaubens natürlich nie so sagen dürfte.“ „Ja, aber das war nur der erste Teil. Zur Wahrheit gehört halt auch, daß ich inzwischen mit der Ex von meinem Klienten zusammen bin.“ „Ich verstehe. Und wie soll ich Dir dabei helfen?“ „Einfach die Klappe halten und zuhören. Du hast mir als Kind gefehlt, aber das war Dir ja egal, also wirst Du ja wohl jetzt mal ein paar Minuten für mich haben.“ „Eigentlich nicht. Mein Terminkalender ist proppevoll.“ „Wie dem auch sei, ich mag Gisela, aber irgendwie ist es nicht so, wie ich es mir vorgestellt habe.“ „Und wie hast Du es Dir vorgestellt?“ „Schöner. Und obszöner. Sie will gerade mal nur noch fünfmal in der Woche mit mir schlafen und da frage ich mich schon, ob sie mich überhaupt liebt.“ „Na ja, ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll.“ „Weißt Du, zu einem normalen Geistlichen wäre ich wegen der Sache nicht gegangen, die haben ja alle vom Tuten und Blasen keine Ahnung. Aber bei Dir weiß ich, daß Du auch kein Kostverächter warst und von irgendwem muß ich meine Sexsucht ja geerbt haben.“ „Allerdings, sprach die Sphinx, aber auch wenn ich früher ziemlich wild gewesen bin, so wird man doch mit dem Alter immer ruhiger und als Bischof konnte ich mir in die Richtung ohnehin nichts mehr leisten.“ „Das verstehe ich, aber es hilft mir nicht weiter. Weißt Du, früher hatte ich als Patientin eine Nymphomanin, die sich immer gleich ausgezogen hat. Dummerweise konnte ich die heilen und jetzt weiß ich nicht mehr wohin mit meiner Geilheit. Wie konnten die Frauen nur auf die Idee kommen, den Sex zu reglementieren und uns zu kontrollieren, indem sie sich uns verweigern?“ „Du stellst vielleicht Fragen. Ich glaube, darauf können Dir weder ich noch der liebe Gott, für den ich mich übrigens manchmal halte, wenn ich meine Tabletten längere Zeit nicht genommen habe, eine befriedigende Antwort geben. Vielleicht solltest Du eine Selbsthilfegruppe aufsuchen oder Dich an Deinen Meister Freud wenden.“ „Ach, den seine Tips und Tricks helfen da auch nicht weiter, die Zeiten sind andere. Wie kann ich eine Frau achten und lieben, die es nicht liebt, von mir geliebt zu werden?“ „Eine faszinierende Frage, vielleicht kann sie Dir Schwester Antonia beantworten.“ „Nein, bitte keine Pinguine mehr, davon hatte ich schon auf dem Weg zu Dir mehr als genug. Die Sache ist die: Wenn ich mit Gisela Schluß mache, dann kehrt sie vielleicht zu Horst zurück und alles fängt wieder von vorne an.“ „Wer ist Horst?“ „Mein Klient, dem ich die Frau weggenommen habe, falls man das so nennen kann, denn er hat sie ja schon längst nicht mehr haben wollen.“ „Na ja, dann verstehe ich aber nicht, wieso er sie jetzt plötzlich haben wollen sollte.“ „Aber das ist doch ganz einfach, das ist wie im Kindergarten: Das Eimerchen liegt die ganze Zeit über unbeachtet im Sandkasten, aber wenn es sich der Frank nimmt, dann wollen es auf einmal die Anderen auch haben.“ Der Bischof schaute seinen Sohn verständnislos an. „Was lernt Ihr eigentlich in Eurem Theologiestudium?“ wunderte sich Urban. „Auf jeden Fall nichts über Sandkastenspiele.“ „Wohl eher was über Doktorspiele. Entschuldige, das ist mir jetzt so rausgerutscht.“ „Schon in Ordnung, ging mir damals bei Deiner Mutter ja irgendwie ähnlich. Soll ich Dich jetzt von Deinen Sünden lossprechen?“ „Nein, an Euren Hokuspokus glaube ich eh nicht, aber ich müßte mal ganz dringend auf Deinen Lokus.“ Der Herr wies ihm den Weg und nachdem sich Wupf erleichtert hatte, nahm er Abschied. „Also dann, nichts für ungut und verzeih mir die Sauerei in Deiner Toilette.“

Das Wiedersehen

Nicht unbedingt erfreut waren Horst und Gisela, als sie sich eines Abends zufällig über den Weg liefen. „Lange nicht mehr gesehen. Du siehst gut aus. Wie geht es Dir?“ erkundigte sie sich vorsichtig. „Na ja, ich bin alles in allem ganz zufrieden. Und, wie läuft es mit meinem Therapeuten? Besorgt er es Dir auch ordentlich?“ „Na und wie! Der Mann ist eine wahre Sexmaschine, aber das war schon eine gewaltige Umstellung für mich, so von 0 auf 100 innerhalb von ein paar Wochen.“ „Na ja, dann ist ja alles prima.“ „Äh, wie soll ich sagen, ich will jetzt nicht kleinlich klingen, aber manchmal wird mir das auch ein bißchen zuviel.“ „Wie meinst Du das?“ „Nicht daß ich es gut gefunden habe, daß Du mich überhaupt nicht mehr angefaßt hast, aber hin und wieder wäre ich froh, wenn ich endlich die goldene Mitte finden und nicht länger vom einen Extrem zum anderen pendeln würde. Wie geht es Dagmar? Hab sie lange nicht mehr gesehen.“ „Gutes Stichwort.“ Auf einmal verfinsterte sich Horsts Gesicht und er setzte zu einer Tirade an: „Was bildest Du Dir eigentlich ein! Was Du meiner Freundin früher für Sachen über mich erzählt hast, das geht ja nun wirklich auf überhaupt keine Kuhhaut!“ „So! Hat die dumme Gans etwa ihre Klappe nicht halten können? Aber Horst, so erregt kenne ich Dich ja gar nicht. Das gefällt mir.“ „Danke für die Blumen. Aber ich habe mich natürlich gerächt, indem ich ihr alles erzählt habe, was Du über sie ausgeplaudert hattest.“ Na vielen Dank aber auch! Du Arsch!“ „Hey, Du wirst ja auch richtig emotional! Das törnt mich voll an. Laß uns gehen!“ Natürlich kam es so wie es kommen mußte: Horst trieb es mit Gisela und sie hatten jede Menge Spaß. Danach lagen sie zufrieden nebeneinander und Gisela fragte: „Na, bin ich besser als Dagmar?“ „Kann ich so nicht sagen. Bei der Dagmar habe ich immer das Gefühl, daß sie keinen Fehler machen will, so als ob sie Angst davor hätte, mich zu verlieren“, bemerkte er. „Da liegst Du wohl nicht ganz falsch. Die hatte es schon lange auf Dich abgesehen und hat nur darauf gewartet, bis Du auf dem freien Markt zu haben warst.“ „Tatsächlich? Das erklärt so Einiges. Ich schlafe gerne mit ihr, aber liebe ich sie?“

„Schönen guten Tag! Mein Name ist Doktor Urban Wupf, ich bin Psychoanalytiker. Was kann ich für Sie tun?“ wollte der Herr im weißen Kittel wissen, nachdem eine junge Frau sein Sprechzimmer betreten hatte. „Ich heiße Dagmar Frokle und ich habe ein Problem“, machte die Frau deutlich. „Das habe ich mir fast schon gedacht. Darf ich fragen, wie Sie ausgerechnet auf mich gekommen sind?“ „Das hat persönliche Gründe, denn ich glaube, daß das, was mich belastet, auch für Sie höchst interessant sein dürfte.“ Urban horchte auf und schaute seine neue Klientin interessiert an. Sie sah gut aus, aber er war ja vergeben, von daher konnte er sich nicht vorstellen, inwiefern ihn das, was sie zu erzählen hatte, betreffen könnte. „Soviel ich weiß, sind Sie der neue Freund von Gisela Radtke und ich muß Ihnen leider mitteilen, daß Ihre Freundin Gisela gestern abend mit meinem Freund Horst Radtke geschlafen hat.“ Urban wäre beinahe vom Stuhl gefallen, so haute ihn jene Nachricht um. „Das gibt es doch nicht! Und mit mir wollte sie nur noch fünfmal die Woche schlafen. Jetzt weiß ich endlich auch warum!“ entfuhr es ihm. „Es tut mir leid, daß ich Sie damit behellige, aber ich finde, daß Sie das wissen sollten“, lauteten Dagmars Worte. „Absolut. Ich danke Ihnen dafür auch von ganzem Herzen, auch wenn es mir dieses Herz gerade eben fast zerrissen hätte, aber darf ich trotzdem fragen, woher Sie das wissen?“ „Na ja, ungern, weil ich nicht will, daß Sie einen schlechten Eindruck von mir bekommen. Also gut, es bringt ja doch nichts. Ich habe Horst verfolgt, weil ich dermaßen in ihn verliebt bin und dementsprechend natürlich auch unheimlich eifersüchtig. Als ich gesehen habe, daß er sich mit Gisela trifft, habe ich gleich das Schlimmste befürchtet, also bin ich ihnen hinterher. Na ja und dann habe ich genug gehört und gesehen, um ganz sicher sein zu können.“ „Verstehe. Und was machen wir jetzt?“ „Das weiß ich auch nicht.“ „In einem Anflug blinder Rache hätte ich fast gesagt, wir sollten es jetzt hier auf der Stelle miteinander treiben, aber das bringt uns wahrscheinlich auch nicht weiter, außerdem bin ich ja gerade im Dienst und es soll schließlich nicht heißen, der Herr Psychoanalytiker würde seine Patientinnen flachlegen, das wäre nicht gut für unseren Ruf und ein gefundenes Fressen für sämtliche Boulevardblätter. Von daher schlage ich vor, wir reden erst mal darüber.“ „Über unseren Sex?“ „Nein, über das, was das ganze Geschehen in Ihnen ausgelöst hat.“ „Wut, Ärger, Eifersucht, Verbitterung. Ich hätte es niemals für möglich gehalten, daß Gisela mit Horst in die Kiste steigen würde. So wie sie immer über ihn geschimpft hat.“ „Ja, wie es aussieht, sind in diesem Fall wir die Dummen. Dank uns sind die Beiden wieder auf den sexuellen Geschmack gekommen und jetzt teilen sie ihre neugewonnen Fähigkeiten und Interessen wieder miteinander.“ „Ich finde das pervers. Ein Mann und eine Frau, die sich getrennt haben, machen es wieder zusammen. Einfach abartig!“ „Mit solchen Gedanken sind Sie nicht allein und ich muß zugeben, daß es mir äußerst schwerfällt, die Contenance zu bewahren. Am liebsten würde ich schreien und fluchen, aber das geht jetzt leider nicht.“ „Herr Doktor, soll ich lieber gehen?“ „Nein, das bringt auch nichts. Hören Sie, Dagmar, wir sollten uns etwas einfallen lassen. Sie lieben Horst, aber er scheint Sie nicht genug zu lieben, sondern nur als Seitensprung mißbraucht zu haben. Ich dagegen muß für meinen Teil zugeben, daß ich das Interesse an Gisela schön langsam verliere. Aber ich habe absolut kein Interesse daran, daß Horst und Gisela wieder ein Paar werden, von daher werde ich Sie unterstützen wo ich nur kann. Glauben Sie, es würde etwas bringen, wenn die Beiden glauben müßten, daß wir ein Paar wären?“ „Das weiß ich nicht. Bei Horst war ich mir bislang eh nie wirklich sicher, ob er mich liebt. Aber Gisela wäre bestimmt stinksauer, denn wir haben schon in der Schule um die Gunst der tollsten Jungs konkurriert.“ „Na, wenn ich mir da mich und Horst so anschaue, dann habt Ihr Eure Ansprüche schon ganz schön senken müssen.“ „Ja, das ist der Preis des Lebens und der verbleichenden Schönheit. Also gut, lieber Urban, was haben Sie für einen Plan?“ Daraufhin weihte sie der Arzt in seine Gedankenspiele ein, sie nickte und lachte, am Ende gab sie ihm einen Kuß.

 

Gisela war als Journalistin unterwegs und interviewte ein altes Ehepaar, das seinen 60.Hochzeitstag beging. „Wie haben Sie es nur so lange miteinander ausgehalten?“ forschte sie bewundernd. „Ach, wissen Sie, das Leben ist kein Zuckerschlecken und man muß das nehmen, was man kriegen kann“, stellte die alte Frau fest. Gisela war etwas erstaunt und schaute den alten Mann an, weil sie sehen wollte, wie der darauf reagierte, doch jener grinste sie nur glückselig an. „Entschuldigen Sie, aber stört Sie das nicht, was Ihre Frau gerade gesagt hat“ wollte sie von ihm wissen. „Ach, meiner Frau höre ich schon seit Jahren nicht mehr zu. Das ist das Geheimnis einer glücklichen Ehe“, behauptete er stolz und zwinkerte ihr zu. „Darauf wäre ich nie gekommen. Und uns hat man immer eingeredet, Kommunikation in der Partnerschaft wäre der Schlüssel zum Erfolg“, dachte sich Gisela. „Das beruht auf Gegenseitigkeit. Nach ein paar Jahren Ehe habe ich gemerkt, daß mein Mann ein ziemlicher Trottel ist und seitdem schalte ich auch auf Durchzug, wenn er redet. Die Kunst besteht darin, den Anderen so zu akzeptieren wie er ist und wie er ißt, man muß ihn ja nicht lieben“, schwadronierte die alte Frau und Gisela wußte nun überhaupt nicht mehr, woran sie noch glauben konnte und sollte. „Aber gab es da denn nicht Momente in Ihrer Ehe, in denen sie am liebsten den Bettel hingeschmissen hätten?“ versuchte sich die Reporterin im Jargon der alten Leute. „Aber selbstverständlich. Die gab es, gibt es und wird es immer geben. Aber Sie wissen ja: Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Übrigens, ich nehme Viagra“, raunte ihr der alte Mann zu. Gisela wußte nicht, ob sie lachen oder empört sein sollte. Da besuchte sie jenes Paar zum 60.Hochzeitstag, um darüber zu reden, wie die Beiden es so lange miteinander ausgehalten hatten und was passierte? Jene taten so, als wären sie nur aus Bequemlichkeit zusammen, hörten schon lange nicht mehr auf das, was der Andere sagte und als Krönung des Ganzen wurde sie auch noch von dem alten Sack angebaggert, der ungeniert Werbung für seinen alten Sack machte. „Das wird Urban bestimmt interessieren, daß es sowas wie die anale, orale oder genitale Phase auch im Alter wieder zu geben scheint“, kam ihr in den Sinn. „Sind Sie sich denn Ihre ganze Ehe lang treu geblieben?“ erkundigte sie sich und auf einmal tat der Alte so, als könnte er ihre Frage nicht verstehen. Seine Frau dagegen antwortete: „Wissen Sie, ich hatte ja damals einen Jugendfreund, den ich sehr mochte. Der ist leider im Krieg geblieben, warum, weiß ich nicht. Vielleicht hat es ihm dort besser gefallen als bei mir. Jedenfalls erlebten wir nach dem Krieg eine schwere Zeit und da war man als Frau froh, wenn man überhaupt einen Mann abbekam. So viele gab es da ja nicht mehr.“ „Ich will ja nicht indiskret erscheinen, aber mich würde dennoch interessieren, ob Sie in Ihrer Ehe fremdgegangen sind.“ „Glauben Sie wirklich, daß ich Ihnen das mitteilen würde? Noch dazu, wo mein Mann neben mir sitzt?“ „Aber der hört uns doch eh nicht zu. Außerdem starrt er ohnehin die ganze Zeit auf meine Brüste.“ „Ja, ich wische ihm mal besser den Sabber weg. Aber nicht, daß Sie das, was ich Ihnen jetzt erzähle, in der Zeitung drucken.“ „Natürlich nicht. Es interessiert mich einfach nur persönlich.“ „Natürlich bin ich fremdgegangen. Was hätte ich denn sonst tun sollen? Er war ja die ganze Zeit nur hinter irgendwelchen anderen Weibern her.“ „Aber warum haben Sie sich dann nicht von ihm getrennt?“ „Ich bin doch nicht blöd. Er hat das Geld nach Hause gebracht, wir haben drei Kinder und wenn er endlich tot ist, dann bekomme ich seine Rente.“ Das waren in der Tat beeindruckende Argumente und danach trank man noch eine Tasse Kaffee zusammen. Gisela beobachtete die beiden Alten und stellte sich vor, wie es denn so wäre, wenn sie mal jenes Alter erreicht hätte. Mit wem würde sie zusammen am Tisch sitzen? Mit Urban? Mit Horst? Oder vielleicht sogar mit ihrem Chef? Bei jenem Gedanken lief ihr ein kalter Schauer über den Rücken und ihr fiel ein, daß sie wieder zurück ins Verlagsgebäude mußte. Sie bedankte und verabschiedete sich, er begleitete sie bis zur Tür und grapschte ihr zum Abschied noch mal ganz auffällig an die Brüste. Sie schaute ihn verärgert an. „Tut mir leid, aber das mußte sein.“