Könige zum Anfassen

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Erstaunliche Affinität

Der menschliche Zeigefinger dient zum Zeigen, das sagt bereits der Name. Zeigen kann man auf viele Dinge, auch auf Welpen. Das ist zunächst einmal ungefährlich. Ungefährlich ist es auch, den Zeigefinger zu Kommunikationszwecken mit dem neuen Familienmitglied als moralischen zu erheben. Anders sieht die Sache aus, wenn man mit besagtem Zeigefinger eine Welpenannäherung vornimmt.

Will ein Hundekundiger einen ersten Kontakt zu einem ausgewachsenen Lebewesen der Gattung Canis lupus familiaris aufnehmen, hält er ihm die Hand hin, um dem Vierbeiner Gelegenheit zu geben, ihn auf Hundeart kennenzulernen. Hundewelpen erzeugen auch beim Menschen durch das Kindchenschema das unbedingte Bedürfnis, sie zu streicheln, zu verhätscheln und zu beschützen. Welpen sind natürlich noch klein und das ist wohl der Grund dafür, dass zum Kennenlernen nicht die ganze, im Verhältnis zum Welpen überdimensional große Hand hingehalten wird, sondern nur ein Zeigefinger und zu diesem entwickelt mein King schon am Tag des Kennenlernens meiner engsten Freunde eine erstaunliche Affinität.

Sein erster Besucher ist unser Nachbar Wolfgang, genauso airedale-verliebt wie ich, und so gerät er bei dem Anblick des neuen Familienmitglieds sofort in Verzückung. Das muntere Fellknäuel liefert im Moment eine bühnenreife Vorstellung mit Buddelarbeiten und Phantom-Hetzjagden in meinem Garten, Kings heißgeliebtem Abenteuerspielplatz. Noch ist der Neuankömmling für den Kleinen uninteressant. Irgendwann haben sich Wolfgangs Augen aber sattgesehen und sein Wunsch nach näherem Kontakt in Form von Streicheleinheiten wird übermäßig. Also hockt er sich auf die Terrasse und lockt King. »Ja, du bist ja niedlich! Komm doch einmal her! Ja, King, komm schnell, komm zu Wolfgang!«, säuselt er in den höchsten Tönen und hat Erfolg. King unterbricht das Totschütteln seines Plüschesels und wackelt auf seinen Bewunderer zu.

Und jetzt kommt er ins Spiel, der bereits erwähnte Zeigefinger. Wolfgang streckt ihn aus und King, der sich nicht mit Beschnüffeln aufhält, locht ihn umgehend mit einem nadelspitzen Fangzähnchen. Wolfgang starrt fassungslos die blutende Bisswunde an und verlangt nach sofortiger Desinfektion. Jod & Co. habe ich nicht im Hause, aber den guten 80-prozentigen, aus Österreich importierten Strohrum. Der tötet mit Sicherheit alle Krankheitserreger, hat allerdings eine schmerzhafte Nebenwirkung bei Wundkontakt. Ich verzichte trotzdem darauf, Wolfgang wie im Wilden Westen als schmerztherapeutische Hilfe ein Stück Kaminholz zum Hineinbeißen anzubieten, und träufele vorsichtig den Rum auf den lädierten Zeigefinger. Wolfgang zieht geräuschvoll die Luft zwischen den Zähnen und zeitgleich blitzschnell den Finger ein. Natürlich schütte ich dadurch den Rum ins Leere. Mein Airedale-Baby, das zu Wolfgangs Füßen sitzt und interessiert die Prozedur verfolgt, öffnet das kleine Mäulchen, streckt die winzige Zunge hervor, fängt geschickt ein paar Tröpfchen Rum auf und findet sie offensichtlich so sehr schmackhaft, dass die Terrassenplatten nach dem Geschmackstest akribisch rumfrei geleckt werden.

An diesem Tag sind noch drei weitere medizinische Rum-Desinfektionen bei Besuchern nötig und dadurch hat sich jetzt unverbrüchlich etwas in dem kleinen Hunde-Hirn verknüpft: ein ausgestreckter Zeigefinger ==> Aufforderung zum Anbeißen ==> Rumkur ==> zungenunterstützter Putzeinsatz mit Partyflair. Ich überlege ernsthaft, ob ich nicht spätestens morgen an der Haustür ein Schild anbringe, das ein Ausstrecken des Zeigefingers Richtung King kategorisch untersagt. Man stelle sich nur vor, die nächsten Zeigefinger-Opfer bestehen auch noch auf innerer Anwendung des Hochprozentigen. Der dann regelmäßig notwendige Import von österreichischem Strohrum würde für mich in Anbetracht der langen Wegstrecke und stets steigender Benzinpreise unerschwinglich.

Kleiner Ausbrecherkönig

»Du musst mir helfen und den Kleinen ein paar Tage übernehmen«, lautet der morgendliche Hilferuf. So wenig ich meiner Bekannten ihren verstauchten Fuß gönne, so sehr freue ich mich darauf, ihren 10 Wochen alten Baby-Airedale Justus für ein paar Tage in Vollzeit-Pflege zu nehmen. Ausgestattet mit einer Vielzahl guter Ratschläge und einem Laufstall als »Notfall-Gefängnis«, treffen wir zu Hause ein. Die sonst so freudige Begrüßung durch King fällt erheblich kürzer und weniger intensiv aus, denn jetzt muss der kleine Gast vordringlich ausgiebig beschnüffelt werden. Beide Hunde kommen sich sofort näher, der Kleine in Rückenlage und ein begeistert wedelnder King, dem diese respektvolle Demutsgeste natürlich schmeichelt. Justus beherrscht das Welpen-Einmaleins, leckt King die Schnauze und fordert ihn anschließend zu einem wilden Spiel auf. Für einen Moment schaue ich dem munteren Treiben lächelnd zu, bevor ich ächzend und stöhnend den sperrigen Laufstall in den Keller schleppe. Gefängnis für Welpen, so ein Quatsch, das brauche ich nicht, das grenzt ja schon an Tierquälerei!


Diese Ansicht gerät ins Wanken, als ich nach dem Kellergang mein Wohnzimmer anschaue. Binnen der wenigen Minuten meiner Abwesenheit war Justus raumgestalterisch tätig. Verstreut liegende Sofakissen mit Lochmuster, lustig durch die Luft wirbelnde Daunen, eine völlig zerfetzte Zeitung und akribisch zerlegte Blumengestecke deuten auf seine fragwürdige innenarchitektonische Begabung hin. Justus hat damit wahrlich gut für das Hundegefängnis argumentiert, also revidiere ich meine Meinung zur Sicherungsverwahrung und hole es wieder hervor. Die Funktionalität des Laufstalls teste ich sofort und setze den kleinen Tunichtgut hinter die Gitter, damit ich in Ruhe mein Wohnzimmer restaurieren kann. Da hockt er nun mit dem unschuldigsten Gesicht auf Beobachtungsposten, während ich jeder einzelnen Daune hinterherjammere.

Nach der Aufräumaktion kann ich dann endlich den kleinen Gast in Ruhe genießen. Dem Charme eines Airedale-Welpen erliege ich immer und so hocke ich mit Justus auf dem Boden, lasse ihn an Kings Plüschesel zerren und muss immer wieder über das helle Knurren und die lustigen Sprünge lachen, wenn er ihn mir nicht entreißen kann. Lasse ich ihn gewinnen, trägt er seine Beute stolz mit erhobenem Köpfchen durch das Wohnzimmer, aber nicht, ohne sie King mehrfach zu präsentieren. Mein Großer nimmt das gelassen und gönnerhaft hin. Hundebabys haben bei ihm weitgehend Narrenfreiheit.

Welpen brauchen Ruhephasen und auf mich wartet noch eine ungeliebte Hausfrauenpflicht. Justus wird für ein Schläfchen wieder in den Laufstall befördert und ich widme mich im Keller den frisch gewaschenen Wäschebergen.

Als fast alle Wäschestücke ihren Platz an der Leine gefunden haben, höre ich lautes Poltern im Erdgeschoss. »King? King, was machst du?« Und während ich zwei Stufen auf einmal nehme, taucht mein Terrierkönig an der Treppe auf und freut sich über meine Rückkehr aus den tieferen Gefilden des Hauses. Und noch jemand freut sich und hüpft und springt ausgelassen um mich herum. »Justus!« schreien und ins Wohnzimmer stürmen dauert nur Bruchteile von Sekunden. Tischdecke und -deko sind ihm diesmal zum Opfer gefallen. Für heute lasse ich ihn nicht mehr aus den Augen, den kleinen Ausbrecherkönig, das steht fest. Aber eines muss ich bewundernd feststellen: Meine Bekannte hat einen sehr begabten Kletterkünstler. Er muss den Weg aus dem Laufstall mit einem beachtlichen Klimmzug bewältigt haben.

Die Welpenüberwachung ist gar kein Problem, wenn ich das Wohnzimmer nicht verlasse. Deshalb bleibt die Arbeit für heute endgültig liegen und ich ziehe mich mit einem Buch auf die Couch zurück. Gänzlich versöhnt bin ich, als meine Jungs lebende Wärmflasche spielen. King schnarcht auf meinen Füßen und Justus macht es sich auf meinem Schoß gemütlich. Er liegt im Tiefschlaf auf dem Rücken, alle Viere von sich gestreckt, und lässt seine Mausezähnchen sehen. Auch kleine Airedales beherrschen bereits dieses unwiderstehliche Lachen, wenn sie in Rückenlage schlafen.

Ein schrilles Klingeln kann sehr störend sein, wenn man gemütlich auf der Couch liegt und dem Mörder dicht auf den Fersen ist. Genervtes Brummen aus zwei Airedale-Kehlen ertönt, als ich die Heizquellen zur Seite schiebe und mich zum Telefon bequeme.

»Klar, mach ich doch gerne. Nein, nein, mach dir keine Gedanken wegen so einer kleinen Gefälligkeit. Ich bin dann in einer halben Stunde da!« Die alte Dame von gegenüber hat einen Termin zu später Stunde und keine Fahrgelegenheit. Normalerweise ist solch kleiner Freundschaftsdienst überhaupt kein Problem. Heute allerdings war Normalität bisher Mangelware und deshalb grübele ich darüber nach, wie ich Justus wirklich ausbruchssicher festsetzen kann. Aber klar doch, »Deckel drauf« heißt die Lösung! Die Suche im Keller ist erfolgreich und ich wuchte eine beachtlich große Holzplatte die enge Treppe hinauf. Justus verfrachte ich mit Kauknochen und Spielzeug in den Laufstall und setze den Deckel auf! »Tut mir leid, mein Kleiner! Ich bliebe jetzt auch lieber auf dem Sofa liegen und würde dich nicht schon wieder einsperren. Aber eine neue Wohnzimmereinrichtung übersteigt mein Budget! Seid schön brav, Jungs, ich bin gleich zurück!« In der beruhigenden Gewissheit, mein Wohnzimmer nach meiner Rückkehr wohlgeordnet vorzufinden, gehe ich aus dem Haus.

Ich hätte es besser wissen müssen. Airedales sind immer für Überraschungen gut. Diesmal sind Justus die CDs samt Hüllen unter die Zähnchen gekommen, ein Häufchen ziert meinen Fußboden und einer der granulierten Dekoäpfel, die in einer Schale auf dem Couchtisch lagen, bleibt trotz intensiver Nachsuche verschwunden. King sitzt mit nach hinten gelegten Ohren in seinem Körbchen und scheint ein schlechtes Gewissen zu haben, obwohl ich jede Wette eingehen würde, dass er garantiert keinen Anteil an den Schandtaten hat. Nur seine Schwanzspitze signalisiert: »Schön, dass du wieder da bist!«

 

Die Holzplattenabdeckung des Laufstalls ist verschoben, sodass ein erneuter Ausbruch für Justus eine Kleinigkeit war. Ob King dem Kleinen geholfen hat, die Platte wegzurücken, oder ob der es selbst geschafft hat, weiß ich bis heute nicht. Wohin der Zierapfel geraten ist, bleibt als einziges Problem nicht rätselhaft. Nachdem ich alle Schäden beseitigt habe, fängt Justus plötzlich heftig an zu würgen und fördert Unmengen von Zellstoff mit Granulat zutage.

»Der erste Gedanke ist immer der richtige«, das wusste zu meiner Schulzeit mein Mathematiklehrer stets anzubringen, wenn ich vor einer Aufgabe saß und vergeblich nach zunächst richtigem Ansatz x falsche Lösungsversuche unternahm. Daran hätte ich besser von Anfang an gedacht. Wie war das noch? »Gefängnis für Welpen, so ein Quatsch!« Absolut korrekt! Bei einem kleinen Ausbrecherkönig hilft das sowieso nicht.

Markierkünstler

Das Beinchenheben des Rüden dient der Kennzeichnung des Reviers und der Verbreitung seiner speziellen Urin-Nachrichten. Rüden markieren gerne vertikale Oberflächen, da die Höhe ihrer Markierung Aussagen über ihre Größe macht, die ja bekanntlich Einfluss auf die Stellung in der Rangordnung nimmt. Daher bemüht sich jeder Rüde, das Hinterbein so hoch wie möglich zu heben. Je höher er seine Duftmarken-Botschaft platziert, umso schwerer haben es andere Hunde, sie durch ihre eigene zu überdecken. Es gilt also in der Hundegesellschaft der Grundsatz: je höher, desto besser!

Aber nicht für King! Er bevorzugt schon seit fast acht Monaten horizontale Flächen, hockt sich hin und erledigt, was es zu erledigen gibt, ohne Wert darauf zu legen, Nachrichten an exponierten Stellen zu hinterlassen. Dabei hätte er eine ganze Menge zu erzählen: »58 cm bin ich jetzt schon groß, kerngesund, hatte heute Hühnchen mit Gemüse und Leinöl zum Frühstück und stehe als Trainingspartner für spielintensiven Wiesenschnelllauf in meinem Revier jederzeit zur Verfügung.« Die Nachrichten anderer Vierbeiner jedoch lassen ihn keineswegs kalt, er liest sie zunehmend interessierter, sodass ich die berechtigte Hoffnung hege, bald statt eines Riesenbabys einen gestandenen Rüden an meiner Seite zu haben.

Heute schnüffelt King ausgiebig an dem dicken Baumstamm der schönsten Linde in unserem Revier. Er umrundet ihn im Schneckentempo, einmal, zweimal und ich schleiche fast auf Zehenspitzen hinter ihm her, um ihn ja nicht aus seiner Konzentration zu bringen. Jetzt rückt er an den Stamm, dreht sich in Markierposition und hebt – das rechte Vorderbein. Nun ja, der Anfang ist gemacht und der Tag noch lang!

Beim nächsten Versuch geht King schon routinierter vor. Eine Buche ist Ziel der Markier-Übung. King macht mit geschickten Drehungen jedem Walzerkönig Konkurrenz, rückt dem Baum ganz dicht zu Leibe, hebt den linken Hinterlauf einige Zentimeter hoch, gerät ins Wanken und fällt um. Verdutzt rappelt er sich wieder auf, schaut erst die Buche, dann mich an, schüttelt sich und hüpft gut gelaunt um mich herum. Wie immer, wenn er mich dazu bringt, laut zu lachen, ist er mit seiner Leistung überaus zufrieden. Stolz beschnüffelt er sein Werk, das immerhin die beachtliche Höhe von 10 Zentimetern aufweist und sich auf einer der Baumwurzeln befindet.

Inzwischen haben wir das Dorf hinter uns gelassen und King bekommt Freilauf. Er liebt es, alle Wege x-mal zu machen, saust ein ganzes Stück voraus, kommt im Tiefflug zu mir zurück, um sofort wieder durchzustarten. Auf einer Bank am Waldrand sitzt ein älterer Herr und genießt mit geschlossenen Augen die Sonne. Kings Interesse gilt aber nicht dem Mann, sondern dem Fuß der Bank. Er wird doch nicht … Doch, er wird! Ich sehe, wie der Hinterlauf angehoben wird, und brülle: »Hier!« Stolz müsste ich sein auf mein Riesenbaby! Wäre ich auch, wenn es nicht vor dem zügigen Zurückkommen noch ein paar Spritzerchen in Richtung menschliches Hosenbein losgelassen hätte. Es gibt wirklich nette Menschen, tolerant und hundefreundlich. Der Herr schmunzelt, besichtigt seine Jeans und stellt lakonisch fest: »Dir fehlt aber noch ein bisschen Übung, mein Kleiner! Keine Sorge, junge Frau, nichts passiert!«

Für den Abend dieses Tages gilt das allerdings nicht mehr. Wir besuchen wie so oft Ares, einen 5 Jahre alten Welshterrier-Rüden und sein Frauchen. King liebt sein kleines Ebenbild sehr, und während wir uns angeregt im Wohnzimmer unterhalten, spielen die Hunde Esszimmertisch-Rundlauf mit Quietsche-Ente und Ringen mit Ganzkörpereinsatz. Kurz bevor ich mich verabschiede, fällt meiner Bekannten eine beachtliche Pfütze auf. »Unglaublich, hat Ares doch tatsächlich meinen Esszimmerschrank markiert. Ich glaube, dein King wird erwachsen und mein Lümmel hält es für notwendig, ihm zu zeigen, wer hier das Sagen hat. Sei froh, dass ich dich dabei nicht erwischt habe, Ares!«

Als ich die leidige Angelegenheit noch einmal genau in Augenschein nehme, fällt mir auf, dass es zwei Markierspuren gibt, die eine Ares-kompatibel, die andere ein ganzes Stück höher. King wird also nicht erst erwachsen, er ist es schon!

Alles meins


Metamorphose

Eine verschwenderische Fülle von Farben und Düften, die Wiesenteppiche voller Miniatursonnen, die sich zu filigranen Fallschirmsternen wandeln, um Millionen neuer Sonnen hervorzubringen, Äste, überschäumt mit weiß-rosa Blüten: ein Frühlingserwachen, das berauscht!

King drängt es dann hinaus in sein Revier, mehr noch als sonst, als wolle er alles auf einmal in sich aufnehmen, was er in den kalten Monaten entbehren musste. Stundenlang streift er mit mir durch die frisch belebte Natur, erkundet sein Revier so, als müsse er es neu kennenlernen. Jede Information nimmt er mit allen Sinnen auf, jeder Bewegung spürt er nach, jede Wandlung überprüft er und beäugt sie kritisch. Selbst die frisch gestrichene, fröhlich lachende Erdbeere, die seit gestern den Wegrand bevölkert und auf die bald nahende Erntezeit aufmerksam macht, wird nach beeindruckenden Drohgebärden beschnüffelt und schließlich beinahe verächtlich auf Hundeart als sein Eigentum gekennzeichnet. Er nimmt es sichtlich übel, wenn jemand sein Reich verändert.

Während unserer Wanderung durch offene Wiesenlandschaften und dichte Wälder wechselt er stets die Gangart zwischen kraftvoll-dynamischem, raumgreifendem Dahinfliegen und locker-elegantem, fast schwerelosem Trab und mit Freude betrachte ich das Spiel der Muskeln in der kräftigen Hinterhand. Immer wieder zwischendurch tanzt er ausgelassen um mich herum, fordert mich zum Spielen auf und dann wirbelt er begeistert mit glänzenden Augen und flatternden Ohren unermüdlich hinter seinem Spielzeug her über das frische Grün.

Von Zeit zu Zeit aber erstarrt King in Sekundenbruchteilen mit erhobener Pfote am Waldrand. Dann ist jede Faser seines Körpers gespannt und sein Blick konzentriert auf die Stelle, an der er etwas wahrgenommen hat, eine Bewegung vielleicht, einen Geruch oder ein Geräusch und ich weiß, dass jetzt der Jäger in ihm erwacht. Das ist der Moment, in dem ich mit einem scharfen »Hier« sein wölfisches Erbe stoppen muss und ich bin jedes Mal erleichtert, wenn er meinem Ruf Folge leistet. Die Jagdbeute aus meiner Jackentasche ist ihm dann sicher, das weiß er.

Haben wir den Höhenrücken erreicht, ist es nicht mehr weit bis zu unserer Bank, die einen traumhaften Blick über die Landschaft ermöglicht, und wir beide genießen die Sonne und die Stille abseits der Wanderwege. King sitzt vor mir am Wegrand, die Nase, im Wind, und lässt den Blick über sein Revier schweifen, wandelt sich vom spielbegeisterten Wirbelwind zu einem territorialen König, der sein Reich von diesem erhöhten Aussichtsplatz überwacht. Jederzeit ist er bereit, es mit Menschen, Hündinnen und ehrerbietigen Rüden zu teilen. »Alles meins!« gilt bei ihm ausschließlich bei unverschämt dominanten Lümmeln, die wohlmöglich auch noch größer sind als er! Die treffen wir in seinem Revier glücklicherweise nur selten, in sehr geringer Anzahl und sie spazieren immer gut leinengesichert! King allerdings dann auch!

Der große Zapfenstreich

»Im Gleichschritt, marsch! Links, zwo, drei, vier! Links, zwo, drei, vier! Links, …, links, …, links, zwo, drei, vier!« Ein Heer von Nilgänsen bevölkert unsere Wiese und macht aus ihr einen Exerzierplatz. Unfassbar, aus Kings Wiese, die bis zum Himmel geht und die jetzt statt der Sonnen-Sterne ein bescheiden grünes Gewand trägt. Wie gebannt stehen wir beide am Wegrand und beobachten den Drill einer Formalausbildung. Der Major wirft sich in die Brust und befiehlt militärisch korrekt: »Kompanie, halt! Rührt euch! In Linie antreten! Richt euch! Augen geradeaus! Schnabel ab! Fett anfuttern!«

Was muss jetzt in Kings Kopf vorgehen, der ja am liebsten unumschränkt in seinem Reich herrscht und jeden Eindringling zähnefletschend vertreibt? Daran hindert ihn im Moment wohl nur die Leine, die ich sicherheitshalber auf Spannung halte. King kennt durchaus etliche Gefiederte, hat auch Spaß daran, ihre Flugfähigkeiten zu schulen, aber solche Gänse in ihrer schmucken Paradeuniform hat er noch nie gesehen. Kein Wunder, ist doch das von unserem Zuhause entfernteste Gebiet, in dem er sich ab und zu aufhält, das nördliche Italien und von da bis nach Ägypten die Entfernung noch recht beträchtlich!

Plötzlich besinnt sich mein Terrier auf seine territorialen Ansprüche, springt auf, wirft sich ohne Rücksicht auf meine Standfestigkeit in die Leine, knurrt, bellt, geifert und fletscht das Heer der Gänse an, sodass es dem befehlenden Offizier zu ungemütlich wird. »Zum Abflug, marsch!« Hunderte von Flügeln schlagen hektisch, die Wiesenstartbahn wird zur Geschwindigkeitssteigerung genutzt und nach dem zunächst schwerfälligen Start fliegt der Trupp in einer geordneten Formation gen Süden. Ich kann es zwar nicht mehr erkennen, aber ich könnte wetten, der Major fliegt an der Spitze und führt seinen Drill fort. Seine Kommandostimme kann ich nämlich noch gut hören! Es ist natürlich auch möglich, dass er King eine Strafpredigt hält, weil mein Airedale das Essenfassen seiner Truppe abrupt gestoppt hat und die Schuld daran trägt, dass jeder Nilgans mindestens ein Fettpölsterchen fehlt. Jetzt fällt ein ganzer Chor von Stimmen in das Geschrei ein. Das Schimpfen muss also wirklich King gelten! Brave, gut gedrillte Truppenmitglieder geben ihrem Kommandanten keine Widerworte.

King sitzt noch immer angespannt am Wegrand und überwacht den Abzug des Heeres. Beschimpfen lässt er sich natürlich auch von Gänsen nicht kommentarlos und schickt ihnen noch ein paar wütende Beller nach. Ich zupfe an der Leine: »Komm jetzt, sie sind weg!« King bleibt auf Beobachtungsposten. »King!« Er sitzt wie angewurzelt. Wieder rucke ich an der Leine. »King, sofort!« Ganz langsam erhebt er sich, schaut mich vorwurfsvoll an und schleicht wenig begeistert neben mir her. Immer wieder dreht er sich um und kontrolliert mit einem kurzen Blick, ob Wiese und Himmel noch gänsefrei sind. Ja, gehorsam ist er, mein King, aber eben nicht immer bedingungslos! Ein »bei Fuß« würde seinem Treiben ein sofortiges Ende setzen. Das verkneife ich mir aber und löse stattdessen die Leine. So kann ich wieder einmal den Einfallsreichtum meines Hundes genießen, der jetzt beinahe jeden Grashalm, nur tröpfchenweise, aber immer mit Wiesenblick markiert. Nein, die Aufregung ist ihm nicht auf Nieren und Blase geschlagen. Was King jetzt zeigt, ist typisch »airedale-ige« Strategie.

Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?