Praxishandbuch Medien-, IT- und Urheberrecht

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3. Prozessuale Fragen

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Wenn der Rundfunkrat eine Programmentscheidung gegen den Intendanten durchsetzen will oder umgekehrt, der Intendant sich gegen die Beanstandung einer Programmentscheidung durch den Rundfunkrat wehren möchte, liegt eine Organstreitigkeit mit anstaltsinterner Kontrolle vor. Statthafte Klageart ist für die Organe der Anstalt die allgemeine Leistungsklage. Die Rechte des Intendanten ergeben sich aus dessen Verantwortung für die Programmgestaltung,[57] die er als Träger eigener Rechte wahrnimmt.[58] Der Rundfunk- bzw. Fernsehrat hat demgegenüber eigenverantwortlich[59] das Recht, die Einhaltung der Programmgrundsätze zu überwachen.[60]

III. Programmauftrag

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Der Programm- und Versorgungsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist in den §§ 11 und 19 RStV einfachgesetzlich konkretisiert.[61] Jedenfalls seit Gründung des privaten Rundfunks ist er Anlass für Meinungsverschiedenheiten über seinen Umfang.[62]

1. Klassischer Programmauftrag

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Nach § 11 Abs. 1 S. 1 RStV haben die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten „durch die Herstellung und Verbreitung ihrer Angebote als Medium und Faktor des Prozesses freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung zu wirken und dadurch die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft zu erfüllen.“[63] Im dualen System tritt die in § 11 Abs. 1 S. 2–6 und Abs. 2 RStV niedergelegte und dynamisch interpretierte Aufgabe der Grundversorgung[64] hinzu. Hier besteht für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk die Pflicht, im Interesse von Informationsfreiheit und Demokratie, ein vielfältiges, umfassendes und ausgewogenes mediales Angebot zu sichern.[65] Um dieser Aufgabe nachkommen zu können, sieht § 12 RStV einen Finanzgewährleistungsanspruch des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vor. Die frühere Gebühren- und nunmehrige Beitragsfinanzierung verpflichtet ihn, ein umfassendes Programm anzubieten, das die Bereiche Information, Bildung, Beratung und Unterhaltung zu beinhalten hat (§ 11 Abs. 1 S. 4 RStV). Es muss die gesamte Bandbreite des gesellschaftlichen Lebens und der kulturellen Vielfalt[66] widerspiegeln, sich an jeden richten und technisch für jeden erreichbar sein.

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Im dualen System bedingen Funktionsfähigkeit und Aufgabenerfüllung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten die Freiräume der privaten Veranstalter. Der umfassende Programmauftrag der öffentlich-rechtlichen Anstalten rechtfertigt die geringeren Programmanforderungen an nicht beitragsfinanzierte private Veranstalter, die lediglich ein Mindestmaß an inhaltlicher Ausgewogenheit, Sachlichkeit und gegenseitiger Achtung bieten müssen. Grund hierfür ist, dass sie aufgrund ihrer Werbefinanzierung zielgerichtet besonders kapitalkräftige Zielgruppen bedienen müssen und dabei nur bedingt auf Breite, Ausgewogenheit und Vielfalt achten können.[67] Diese geringeren Anforderungen können aber wiederum nur akzeptiert werden, wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk die Maßgaben des Rundfunkstaatsvertrages für seinen Programmauftrag erfüllt.[68] Betrachtet man indes die Anforderungen in den Bundesländern[69] an Programmauftrag und -grundsätze im Hinblick auf private Vollprogramme, so dürfte jedenfalls in der Praxis die Abweichung weit weniger deutlich sein.

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Durch den 12. RÄStV wurde § 19 RStV neu gestaltet. Danach steht es den in der ARD zusammengeschlossenen Landesrundfunkanstalten, dem ZDF und dem Deutschlandradio frei, zur Erfüllung ihres Auftrags nach § 11 RStV geeignete Übertragungswege zu nutzen. Erfasst werden von der Vorschrift alle Angebote, die im Rahmen des gesetzlichen Auftrags erbracht werden.[70] Zu den Übertragungswegen zählen analoge und digitale Satellitenverbreitung, analoge und digitale Kabelverbreitung sowie die analoge und digitale Terrestrik. Außerdem fällt die Verbreitung von Rundfunkprogrammen über das Internet in den Anwendungsbereich von § 19 S. 1 RStV.[71]

Die Regelung trägt also einerseits den durch die Digitalisierung sowohl der Fernseh- (DVB-T bzw. seit 2017 DVB-T2[72]) als auch der Hörfunksignalübertragung (DAB) bewirkten Veränderungen Rechnung, indem sie den Normadressaten hinsichtlich der Auswahl der zur Verbreitung genutzten Übertragungswege Ermessen einräumt. Andererseits begrenzt sie das Ermessen durch eine Bindung an die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit (§ 19 S. 2 RStV). Das heißt, es wird nicht ein Übertragungsweg (z.B. digitale Terrestrik) bevorzugt, sondern an erster Stelle stehen wirtschaftliche Erwägungen. Um einen Rückschritt hin zur analogen terrestrischen Verbreitung aus Kostengründen zu vermeiden, bestimmt § 19 S. 3 RStV, dass bereits in digitaler Form verbreitete Programme nicht mehr analog verbreitet werden dürfen. Das Ermessen erstreckt sich folglich darauf nicht.

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Unter Bezugnahme auf die in § 19 RStV normierte Wahlfreiheit waren mehrere unterinstanzliche Klagen verschiedener Kabelnetzbetreiber gegen die ARD auf Entgeltzahlung für die Einspeisung von öffentlich-rechtlichen Programmen abgewiesen worden.[73] Der Funktionsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks schreibt den Veranstaltern keine Signalweiterleitung speziell durch die Einspeisung in Kabelnetze vor, sondern weist ihnen im Gegenteil ein Auswahlermessen hinsichtlich der Übertragungswege zu.[74] Dies hat im Juni 2015 und im April 2016 auch der BGH entschieden.[75]

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Die in Deutschland geltenden Bestimmungen über die Belegung analoger und digitaler Kabelnetze beruhen auf der Richtlinie 2002/22/EG (Universaldienstrichtlinie (UDRL). Die Bestimmung des § 31 Abs. 2 UDRL sieht insoweit keine grundsätzliche Entgeltpflicht für Rundfunkveranstalter vor, sondern ermöglicht es den Mitgliedstaaten lediglich, unter bestimmten Voraussetzungen ein Entgelt zugunsten der übertragungspflichtigen Netzbetreiber festzulegen. Im Rahmen der nationalen Gesetze bzw. Staatsverträge besteht indes keine Vorschrift i.S.d. Art. 31 Abs. 2 UDRL, die ein angemessenes Entgelt als Äquivalent für die Übertragungspflicht der Netzbetreiber vorschreibt. Aus den unterschiedlichen landesrechtlichen Regelungen ergibt sich nur, dass die für das jeweilige Bundesland gesetzlich bestimmten Rundfunkprogramme vorrangig in die Kabelanlagen eingespeist werden müssen. Zwar erklärt etwa § 18 Abs. 10 LMG NRW im Hinblick auf Tarife und Entgelte die Vorschriften des RStV in der jeweils geltenden Fassung für entsprechend anwendbar.[76] Allerdings beschäftigt sich § 52d RStV lediglich mit der diskriminierungsfreien Ausgestaltung von zivilrechtlich vereinbarten Entgelten und Tarifen, ohne jedoch einen rundfunkrechtlichen Kontrahierungszwang zugunsten der Netzbetreiber zu statuieren.[77] Da ein Anspruch auf Zahlung eines Einspeiseentgelts somit weder aus dem Rundfunk- oder Telekommunikationsrecht, noch aus dem allgemeinen kartellrechtlichen Missbrauchsverbot abzuleiten ist, können die öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter die Einspeiseleistung auf Grundlage der Must-carry-Pflicht[78] unentgeltlich in Anspruch nehmen.[79] Die den Kabelnetzbetreibern insoweit entstehenden Kosten können diese an ihre Endkunden weitergeben. Anders als bei Anbietern von Satelliten- und Terrestrikübertragung, welche lediglich eine technische Dienstleistung gegenüber den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten erbringen, nutzt ein Kabelbetreiber die öffentlich-rechtlichen Programme zugleich als Vorprodukte zu seinem Kabelangebot an die Endkunden.[80] Dies hat der BGH 2015[81] und erneut 2016[82] unter Zurückverweisung an die Vorinstanzen[83] bestätigt. Der klagenden Kabelnetzbetreiberin steht demnach gegenüber der beklagten Rundfunkanstalt kein Anspruch auf Fortsetzung des Einspeisevertrages bzw. auf Neuabschluss eines solchen Vertrages zu unveränderten Bedingungen zu. Eine solche Kontrahierungspflicht lasse sich weder den Regelungen des Rundfunkrechts noch Art. 14 GG und Art. 12 GG entnehmen. Aus der bestehenden Pflicht der beklagten Rundfunkanstalt, die Programmsignale zur Verfügung zu stellen und der Pflicht der klagenden Kabelnetzbetreiberin zur Einspeisung dieser Signale aus § 52b RStV folge nicht eine Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung eines bestimmten Entgelts als Gegenleistung für die Einspeisung der Programmsignale. Auch ein Rückgriff auf kartellrechtliche Bestimmungen komme nicht in Betracht, da zwar von einer marktbeherrschenden Stellung der Beklagten auszugehen sei, nicht jedoch von einem missbräuchlichen Verhalten i.S.d. § 19 Abs. 2 GWB. [84] Der BGH hat die Sache 2015 zurückverwiesen weil eine ausreichende Feststellung dazu fehlte, ob die Beklagten zusammen mit den anderen beteiligten Rundfunkveranstaltern unter Verstoß gegen § 1 GWB die Beendigung dieses Vertrages vereinbart und die Kündigung Folge einer solchen Absprache war.[85]

2. Programmauftrag und Neue Medien

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Durch das Internet verlagert sich das Konkurrenzverhältnis über die Grenzen des dualen Rundfunksystems hinweg.[86] Es entsteht angesichts von Internet-Aktivitäten der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zunehmend ein Nebeneinander von öffentlich-rechtlichen Online- Angeboten und solchen privater Anbieter, die nicht notwendig Rundfunkveranstalter sein müssen.[87] In diesem Zusammenhang wird die Auslegung des Programmauftrags durch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und namentlich die Digitalisierungsstrategie der ARD[88] heftig kritisiert.[89] Strategisch geht es dabei um die Funktion und Position des öffentlich-rechtlichen Rundfunks beim Übergang der dualen Rundfunk- in eine duale und digitale Medienordnung.[90]

 

2.1 Online-Aktivitäten

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Weil die Verbreitungswege für den Rundfunk durch das Nebeneinander der herkömmlichen Verbreitung und des Internets sich künftig zu einem Netz entwickeln werden, betreiben die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten eine Reihe von Aktivitäten im Online-Bereich. ARD, ZDF und Deutschlandradio hatten sich im Jahre 2004 im Rahmen einer Selbstbindungserklärung auf Grundlage von § 3 Abs. 3 S. 3 RFinStV (§ 3 Abs. 1 S. 4 RFinStV a.F.) dazu verpflichtet, ihre Ausgaben für das Online-Angebot auf 0,75 % ihres Gesamtaufwandes zu beschränken.[91] Eine Überprüfung der KEF für den nachfolgenden Bericht ergab indes Überschreitungen dieser Selbstbindung. Daraufhin erklärten die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, dass sie ihre Selbstbindungserklärungen über das Jahr 2008 nicht erneuern werden. Sie waren ferner der Ansicht, dass eine Überschreitung der Selbstbindungserklärung nicht vorliege, da bestimmte Aufwandsbereiche bei der Überprüfung außen vor bleiben müssten.[92] Auch in jüngerer Zeit ist eine offensive Digitalisierungsstrategie der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zu beobachten.

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Das Dachportal ARD.de steht für ein Online-Angebot mit den Webseiten ARD.de/home, tagesschau.de, sportschau.de, boerse.ARD.de, ratgeber.ARD.de, wissen.ARD.de, kultur.ARD.de, kinder.ARD.de und intern.ARD.de, das durch eine gemeinsame Navigationsleiste verbunden ist. Die Kategorien Fernsehen und Hörfunk sind unter dasErste.de bzw. radio.ARD.de verfügbar, daneben gibt es die ARD-Mediathek. Das ARD Online-Angebot wird von Redaktionen mit abgegrenzten Themenbereichen betreut. Die Intendanten der ARD einigten sich bereits 2007 auf ein Strategiepapier („Digitalisierungsstrategie“)[93] für verschiedene digitale Vertriebswege.[94] Die Inhalte betrafen etwa HDTV, Handy-TV, Audio- und Videoportale sowie digitale Zusatzangebote im Hörfunk. Bei der Verbreitung von Inhalten über die neuen Verbreitungskanäle spielt die „Tagesschau“ eine besondere Rolle. 2010 begann der Einstieg in HDTV-Übertragungen.[95]

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Die Anstalten stellen in Übereinstimmung mit den gesetzlichen Anforderungen gem. § 11d RStV im Internet Angebote zu Bildung, Information, Beratung und Unterhaltung zur Verfügung.[96] Die Gremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks überprüfen seit 2009 sämtliche Online-Angebote von ARD und ZDF auf ihre Übereinstimmung mit dem öffentlich-rechtlichen Auftrag. Die Regelung verlangt insbesondere vor dem Hintergrund der beitragsfinanzierten Konkurrenz für private Telemedien, dass nur Angebote mit publizistischem Mehrwert in das öffentlich-rechtliche Onlineangebot aufgenommen werden. Dazu ist das sog. Dreistufentestverfahren nach § 11 f Abs. 4 RStV zu durchlaufen. Das mit dem 12. RÄStV eingeführte Genehmigungsverfahren[97] stellt in drei Stufen fest, ob bestimmte Online-Angebote der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten von deren Auftrag erfasst sind. Andernfalls dürfen die Rundfunkanstalten ihre Inhalte in der Regel nicht länger als sieben Tage nach der Sendung zum Abruf bereithalten.

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Die Debatte um das Bestehen eines Grundversorgungsauftrages außerhalb des klassischen Rundfunks erstreckt sich neben dem Internetzugang mittels Desktopgeräten vor allem auf mobile Endgeräte. In den Fokus geraten ist dabei die kostenlose „Tagesschau-App“[98], eine Applikation für die verschiedenen Betriebssysteme von Smartphones und Tablet-PCs, welche seit Dezember 2010 als zusätzliches Angebot bereitgestellt wird und seither über 10 Millionen mal heruntergeladen wurde.[99]. Dabei werden die Inhalte des Internet-Portals „tagesschau.de“ in Form einer Applikation auf die mobilen Endgeräte übertragen, um eine schnellere Abrufbarkeit des Angebots und eine Anpassung an die kleineren Formate der Smartphones zu gewährleisten. Während der NDR-Rundfunkrat[100] die wichtigste Informationsmarke der ARD auch auf mobilen Plattformen vertreten wissen will, ist die kostenlose App von Verbänden und Verlegern scharf kritisiert worden, weil sie die Geschäftsmodelle der ebenfalls auf diesem Markt aktiven Verlagshäuser bedrohe.[101] Mehrere Zeitungsverlage, deren redaktionelles Angebot auch elektronisch, teilweise über Apps, abrufbar ist, haben daher im Juni 2011 die ARD sowie den für die Produktion zuständigen NDR auf Unterlassung hinsichtlich der Verbreitung der „Tagesschau-App“ verklagt. Nachdem zunächst ein generelles Verbreitungsverbot begehrt worden war, mussten die Verleger aus prozessualen Gründen eine Konkretisierung ihres Unterlassungsantrags auf einen konkreten Tag vornehmen. Damit hatte das LG Köln als erstes Gericht ein Urteil auf Basis des in §§ 11d ff. RStV normierten Online-Auftrags des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu fällen.[102] Im September 2012 gab es der Klage insoweit statt, als die Verbreitung der „Tagesschau-App“ in Form des auf einen bestimmten Tag (15.6.2011) bezogenen Angebots zu unterlassen sei. Zwar sei die streitgegenständliche App als Telemedium anzusehen, welches den Drei-Stufen-Test nach § 11f RStV durchlaufen habe und genehmigt worden sei. Dies ergebe sich aus der Einheitlichkeit der Angebote „tagesschau.de“ und „Tagesschau-App“, die sich lediglich im Rahmen ihrer technischen Aufbereitung unterschieden und daher keiner getrennten Prüfung und Genehmigung bedürften.[103] Allerdings sei die „Tagesschau-App“ in ihrer konkreten zur Überprüfung gestellten Form v. 15.6.2011 ein unzulässiges nichtsendebezogenes presseähnliches Angebot i.S.v. § 11d Abs. 2 Nr. 3 letzter HS RStV[104], welcher eine Marktverhaltensregel gem. § 4 Nr. 11 UWG darstelle.[105] Als presseähnlich könne ein Angebot dann bezeichnet werden, wenn es aus Nutzersicht geeignet sei, als „Ersatz“ für die Lektüre von Presse i.S.d. herkömmlichen Printmedien (Zeitungen oder Zeitschriften) zu dienen, wobei insoweit nicht auf einzelne Beiträge, sondern vielmehr auf das Gesamtangebot abgestellt werden müsse.[106] Presseähnlichkeit sei daher bei einer optischen Dominanz zeitungsähnlicher Textbeiträge ohne ausgewiesenen oder erkennbaren Sendebezug anzunehmen.[107] Weiterführende Verknüpfungen zu audiovisuellen Medien am Ende der Textbeiträge seien insoweit irrelevant, da der Nutzer primär die Informationen wahrnehme, die ihm unmittelbar zugänglich seien.[108] Während die Bedeutung des Urteils in Rundfunk und Presse durchaus unterschiedlich und teils konträr bewertet worden ist,[109] betonte das LG Köln selbst die begrenzte Reichweite seiner Entscheidung, welche die aus der Presseähnlichkeit resultierende Unzulässigkeit der „Tagesschau-App“ ausschließlich für den streitgegenständlichen Tag im Juni 2011 festlege.[110] Dass der vielschichtige Problemkreis rund um das telemediale Betätigungsfeld der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ohnedies noch lange nicht abschließend gelöst ist, zeigt schon die durchwachsene Resonanz auf das Urteil in Wissenschaft und Praxis. Keine Einwände bestehen – jedenfalls im Ergebnis – gegen die Annahme, die „Tagesschau-App“ sei von der rechtsaufsichtlichen Bestätigung des Telemedienkonzepts zu dem Angebot „tagesschau.de“ umfasst.[111] Zwar könnte es sich aufgrund der mit Kosten verbundenen, erforderlichen technischen Veränderung um ein neues oder jedenfalls verändertes Angebot handeln, das einem eigenen Drei-Stufen-Test-Verfahren unterzogen werden müsste. Sofern man – mit den Klägerinnen – ebenfalls von inhaltlichen Änderungen ausgeht,[112] könnte auch I. a) Nr. 4 des ARD-Genehmigungsverfahrens für ein neues oder verändertes Angebot sprechen. Auch würde es sich dann nicht um ein technikneutrales Online-Angebot i.S.v. I. b) Nr. 3 des ARD-Genehmigungsverfahrens handeln, da die betroffenen Inhalte – sofern man im Rahmen der App eine inhaltliche Veränderung annimmt – nicht lediglich auf einem neuen Verbreitungsweg angeboten würden. Für die Einheitlichkeit von „tagesschau.de“ und „Tagesschau-App“ und der damit verbundenen Erstreckung der einmal erteilten Genehmigung auf beide Angebote spricht jedoch die Tatsache, dass bereits im Rahmen des Telemedienkonzepts zu „tagesschau.de“ die Nutzung von Applikationen zur leichteren Zugänglichmachung telemedialer Inhalte auf diversen Endgeräten Erwähnung findet.[113] Kritisiert wurde das Urteil des LG Köln insbesondere im Hinblick auf die Einordnung der „Tagesschau-App“ in die wettbewerbsrechtlich geprägte Kategorie „presseersetzend“, welche der in § 2 Abs. 2 Nr. 20 RStV definierten Presseähnlichkeit als Bestandteil des öffentlichen Medienrechts nicht gerecht werde.[114] Weiterer zentraler Kritikpunkt war die „zweifelsfreie“ Annahme des LG Köln, dass § 11d Abs. 2 Nr. 3 letzter HS RStV eine Marktverhaltensregel und kein Marktzutrittsverbot darstelle, welches vor den ordentlichen Gerichten nicht hätte beanstandet werden können.[115] Einer gesonderten Klärung bedarf die vorgelagerte grundsätzliche Frage, ob digitale Medienangebote wie die „Tagesschau-App“ den Einsatz nicht unerheblicher Rundfunkbeiträge rechtfertigen können. Dies ist nur dann der Fall, wenn das jeweilige Angebot vom öffentlich-rechtlichen Rundfunkauftrag umfasst ist. Bejaht man dies für die „Tagesschau-App“ und vergleichbare Angebote, besteht indes eine nicht zu unterschätzende Verdrängungsgefahr im Hinblick auf die Presse, welche ihre Print- und Internetangebote aus Zeitungsverkäufen und Werbeeinnahmen finanzieren muss.[116]

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Ob im Falle der „Tagesschau-App“ die Auftragsschranke des § 11d Abs. 2 Nr. 3 letzter HS RStV tatsächlich einschlägig ist und damit einem Eingriff in die Pressefreiheit durch die telemediale Expansion der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten entgegengewirkt werden kann, hat das OLG Köln im Rahmen seines Berufungsurteils[117] im Dezember 2013 offen gelassen. Aufgrund der Freigabe des vom NDR-Rundfunkrat beschlossenen Telemedienkonzepts durch die Niedersächsische Staatskanzlei als Rechtsaufsichtsbehörde sah sich das OLG Köln an deren rechtliche Bewertung gebunden.[118] Die Konformität des Telemedienangebots „tagesschau.de“ mit den Vorgaben des RStV sei im Rahmen des Drei-Stufen-Tests umfassend, insbesondere unter Berücksichtigung der Presseähnlichkeit gem. § 11d Abs. 2 Nr. 3 letzter HS RStV,[119] geprüft und festgestellt worden.[120] Die hiervon ausgehende Legalisierungswirkung erfasse nicht nur das Konzept als solches, sondern auch darauf basierende konkrete Angebote wie die „Tagesschau-App“.[121] Aufgrund der über den konkreten Fall hinausgehenden Bedeutung ließ das OLG Köln die Revision zum BGH zu. Dieser hob die Entscheidung des OLG Köln auf und verwies diese an das Oberlandesgericht zurück. Der BGH verneinte eine Bindungswirkung an die Entscheidung des Rundfunkrates.[122]

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Am 30.9.2016 erklärte das OLG Köln nach eigener Überprüfung die „Tagesschau App“ in ihrer Version vom 15.6.2011 aufgrund von Presseähnlichkeit für unzulässig.[123] Hierfür griff das OLG Köln auf die zuvor vom BGH entwickelten Maßstäbe zurück. Die App sei unzulässig, sofern diese als „presseähnlich“ qualifiziert werden könne. Der Gestaltungsschwerpunkt müsse aus Nutzersicht rundfunk- oder fernsehähnlich sein. Die App dürfe also nicht durch stehende Texte und Bilder geprägt sein.[124]

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Dafür wurde die Gesamtheit der nichtsendungsbezogenen Inhalte bewertet, die dem Gericht vorlagen. Bereits die Start- und Übersichtsseiten der App bestanden nach der Wertung des Gerichts ausschließlich aus Text und Standbildern.[125] Bei vielen der Beiträge handele es sich darüber hinaus um geschlossene Nachrichtentexte. Auch argumentiert das OLG Köln, dass hauptsächlich Texte und Standbilder bei einer Großzahl der Beiträge im Vordergrund stünden. Insgesamt sei eine Presseähnlichkeit somit zu bejahen.[126]

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Das ZDF stellt seit Februar 2013 mit der ebenfalls kostenlosen „heute-App“ ein vergleichbares Telemedienangebot zur Verfügung. Allerdings ist auch diese Nachrichten-App vom Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) als zu textlastig und damit presseähnlich kritisiert worden.[127] Ferner betreibt das ZDF – ebenso wie die ARD mit der ARDmediathek – die ZDFmediathek[128] und sieht hierin großes Zukunftspotential. Über das Angebot können Videos in TV-Qualität, auf Abruf oder live, nach der Sendung im Hauptprogramm oder schon vor der linearen Verbreitung gezeigt werden. Es gibt insbesondere einen Sieben-Tage-Rückblick für zahlreiche Sendungen, Live-Streams und interaktive Anwendungen.[129] Im Gegensatz zur „heute-App“ ist die ebenfalls vom ZDF bereitgestellte „Mediathek-App“[130] aufgrund ihres hohen Anteils an Bewegtbildbeiträgen unter Verzicht auf längere Texte bei den Zeitungsverlegern durchweg auf positive Resonanz gestoßen.[131]

 

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Neben eigenen Angeboten haben sich ARD und ZDF auch bereits in gemeinsamen Online-Aktivitäten versucht. So hatten sie im April 2012 zusammen mit weiteren Produktions- und Rechtehandelsunternehmen die Video-On-Demand Online-Plattform „Germany‚s Gold“ gegründet. Hiergegen bestanden indes von Anfang an wettbewerbsrechtliche Bedenken des Bundeskartellamtes. Insbesondere die zu erwartende Absprache im Hinblick auf Preise und Auswahl der Videos bereiteten Probleme. Überdies war nach Auffassung des Bundeskartellamtes durch die Beitragsfinanzierung von ARD und ZDF eine erhebliche Wettbewerbsverfälschung auf dem Video-On-Demand-Markt zu befürchten. Nachdem das Bundeskartellamt – bestätigt durch das OLG Düsseldorf[132] – bereits im März 2011 ein vergleichbares Vorhaben der privaten Rundfunkveranstalter RTL und ProSiebenSat1 aufgrund der drohenden Verstärkung des marktbeherrschenden Duopols beider Sendergruppen untersagt hatte,[133] war dies auch für die entsprechende öffentlich-rechtliche Plattform zu erwarten. Daher haben ARD und ZDF die Fortführung des gemeinsamen Projekts nun aufgegeben.

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Mehr und mehr sollen eigens für das Internet produzierte Inhalte verbreitet werden. Es handelt sich dabei etwa um Informations- und Ratgeberangebote für jüngere Internet-Nutzer, auf die im laufenden Programm hingewiesen wird. Hiermit soll der Tatsache Rechnung getragen werden, dass klassische Rundfunkprogramme an Akzeptanz verlieren, während die des Internet spiegelbildlich wächst.[134] Der Blick auf die Netzauftritte der Rundfunkanstalten zeigt dementsprechend ein facettenreiches Bild. Neben Informationen über den zeitlichen Ablauf der Fernseh- und Hörfunkprogramme und die Organisations- und Personalstruktur der Rundfunkanstalten finden sich zahlreiche ergänzende und vertiefende Hintergrundinformationen zu bereits gesendeten Beiträgen sowie Live-Streamings und Podcasts von Beiträgen. Allerdings geht das Angebot auch über programmbegleitendes und -wiederholendes hinaus. Das ZDF bietet unter „heute-Nachrichten“ eine Reihe redaktionell gestalteter Beiträge an, die im Hauptprogramm nicht gesendet werden und von Online-Redakteuren erstellt werden. Es wird die Möglichkeit zum „Chat“ mit Prominenten oder zu „Onlinespielen“ geboten.[135] Ebenfalls in Planung ist die sog. „ZDF-ProgrammApp“, in der neben dem Liveprogramm zahlreiche Mitmachmöglichkeiten im Rahmen herkömmlicher Formate wie Unterhaltungsshows oder „ZDF-Sportstudio“ angeboten werden sollen.[136] Über „Shops“, etwa bei der ARD den WDR-Shop[137] oder den SWR-Shop,[138] wird eine breite Produktpalette vertrieben.[139] Neben Waren, bei denen ein Programmbezug erkennbar ist (z.B. Merchandising-Artikel zur Sendung mit der Maus), finden sich auch solche – etwa Tonträger oder Bücher – deren Bezug zur öffentlich-rechtlichen Sendetätigkeit nicht ersichtlich ist. Diese „Shops“ werden zwar – wie sich aus dem Impressum der jeweiligen Seite entnehmen lässt – nicht unmittelbar von den Anstalten betrieben.[140] Sie sind aber von den Seiten der Anstalten verlinkt und werden von den Rezipienten bei nicht näherem Hinsehen als Angebot der Sender wahrgenommen. Bisweilen wurde der Programmbezug umgekehrt, indem im Fernsehen für ein Internetformat geworben wurde.[141]