Im Sinne der Gerechtigkeit

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«Ich fahre dich.»

Zwanzig Minuten später hielt Ferraris Lebensgefährtin vor einem schönen kleinen Haus in der Maulbeerstrasse.

«Soll ich auf dich warten?»

«Du kommst nicht mit rein?»

«Wenn Phil etwas mit dem Verschwinden von Cloe zu tun hat, erfährst du es eher in einem Gespräch unter Männern. Francesco, ich muss dir noch etwas beichten. Vor drei Wochen bat mich Cloe um ein Darlehen.»

«Wie viel?»

«Zwanzigtausend.»

«Erwähnte sie, wofür sie das Geld braucht?»

«Nein, und ich fragte nicht danach. Sie wollte es mir in zwei Monaten zurückzahlen.»

«Was verdient Cloe als Werberin im Monat?»

«So genau weiss ich es nicht. Wir gehören alle sieben zu den sehr gut verdienenden. Ich vermute, um die zehntausend im Monat.»

«Ich habe den falschen Beruf. Du musst nicht auf mich warten, ich komme dann mit dem Taxi nach Hause.»

Monika küsste den Kommissär zärtlich.

«Danke, der ist von uns allen. Hoffentlich ist ihr nichts passiert.»

Philipp öffnete sofort. Seine Augen waren gerötet, offenbar hatte er geweint. Sie setzten sich im Garten an einen Tisch.

«Sie meldet sich nicht. Ich schicke ihr alle fünf Minuten eine Whatsapp. Es ist etwas Schreckliches passiert, Francesco. Ich spüre es.»

«Jetzt mal ganz ruhig. Wann hast du zum letzten Mal mit ihr gesprochen?»

«Gestern Nachmittag. Kurz, bevor ich abflog. Sie wollte mich am EuroAirport abholen.» Philipp reichte ihm sein Handy. «Es war genau um halb vier. Wir unterhielten uns zehn Minuten.»

«Wann warst du zu Hause?»

«Kurz nach acht. Ich dachte, Cloe ist bei einer Freundin. Als sie um zehn nicht da war, rief ich alle Freundinnen an, die ich kenne. Monika nahm nicht ab.»

«Sie war an einem Konzert.»

«Ich konnte kaum ein Auge zu tun und ging heute Morgen sofort zur Polizei. Die vertrösteten mich. Ich solle wiederkommen, falls Cloe bis am Abend nicht nach Hause kommt. Ich habe den ganzen Tag rumtelefoniert, bei allen Leuten, die wir gemeinsam kennen, und in allen Spitälern nachgefragt. Nichts. Ich ging in ihr Geschäft und unterhielt mich lange mit den Arbeitskollegen. Seit ich im Ausland war, also seit Donnerstag erschien sie nicht zur Arbeit.»

«Meldete sie sich krank?»

«Nein. Das ist auch komisch. Cloe ist ein pflichtbewusster Mensch und hat sich bisher immer abgemeldet. Sie ärgert sich grün und blau, wenn sich eine Arbeitskollegin oder ein Arbeitskollege nicht abmeldet oder zu spät zu einem Termin kommt. Francesco, es ist ihr etwas passiert. Ich bin ganz sicher.»

«Wie war euer Verhältnis?»

«In den letzten Monaten sehr angespannt. Das hängt mit meiner neuen Sprechstundenhilfe zusammen. Cloe ist extrem eifersüchtig und ich Idiot habe eine äusserst attraktive Frau eingestellt. Ich dachte mir nichts dabei, ehrlich nicht. Ein Kollege fragte, ob ich für seine Frau eine freie Stelle hätte, nur für ein halbes Jahr. Und das traf sich optimal, denn meine Assistentin wollte ihre Babypause verlängern. Natürlich wusste Cloe, dass ich Linda einstelle, aber seit der ersten Begegnung war der Teufel los … Sie würde genau in mein Beuteschema passen … Zuerst hielt ich dagegen, doch je mehr ich insistierte, desto mehr fühlte sie sich in ihrer Meinung bestätigt. Die letzten Monate waren ein einziger Horror. In zwei Monaten wechselt Linda in die Praxis ihres Mannes, das war von Anfang an so geplant. Ich schwöre dir, die nächste Sprechstundenhilfe ist mindestens sechzig und absolut hässlich.»

«Steckt Cloe in finanziellen Schwierigkeiten?»

«Ich bitte dich. Wir verdienen zusammen etwa dreissigtausend Franken im Monat und Cloe erbte insgesamt drei Häuser von ihren Eltern. Wenn eines in unserer Beziehung stimmt, dann die Finanzen. Wir führen ein sorgenfreies Leben.»

«Wo könnte sie sein?»

«Für mich gibt es nur zwei Möglichkeiten: Es ist etwas Schreckliches passiert oder … sie hat mich verlassen.»

«Fehlt irgendetwas? Kleider, Schuhe, Taschen?»

«Wie? … Ich weiss es nicht.»

Philipp ging zum begehbaren Wandschrank und öffnete auf Cloes Seite eine Schublade nach der anderen.

«Der grösste Teil ihrer Garderobe ist noch hier, es fehlen zwei Paar Schuhe. Aber welche, kann ich dir nicht mit Bestimmtheit sagen.»

«Und Koffer?»

«Sind vollzählig da. Francesco, was soll ich tun? Du musst sie finden, bitte!»

«Schick mir ein Foto von Cloe per Whatsapp.»

Mit zittrigen Händen führte Philipp Ferraris Anweisung aus.

«Gut, danke. Ich gebe eine Vermisstenanzeige auf. Wir werden alles tun, um sie dir heil zurückzubringen.»

Philipp liess sich aufs Sofa fallen und begann hemmungslos zu weinen. Unbeholfen versuchte ihn der Kommissär zu beruhigen. Das ist eigentlich Nadines Stärke. Nach zehn Minuten, Philipp hatte sich einigermassen gefangen, informierte Ferrari seine Kollegen und liess sich kurz darauf von einem Dienstfahrzeug nach Hause fahren, wo er bereits ungeduldig erwartet wurde.

«Philipp ist vollkommen von der Rolle, Cloe und er hatten in den letzten Monaten grosse Auseinandersetzungen. Ich habe bei den Kollegen nun eine Vermisstenanzeige aufgegeben.»

«Wegen diesem Marilyn-Monroe-Verschnitt. Blond, grosser Busen und Beine wie eine Gazelle.»

«Woher weisst du das, Sandra?»

«Ich war zur Kontrolle bei Phil. Die sog ihn mit den Augen förmlich auf.»

«Er wollte nichts von ihr. Sie ist die Frau eines Kollegen.»

«Dein Mann ist süss, Monika. Ein wenig naiv.»

«Das bin ich nicht, Li. Aber ich sehe das Gute im Menschen und stelle keine Vermutungen an.»

«Wenn du wütend wirst, bist du noch süsser. Leihst du ihn mir für eine Nacht, Moni?»

«Also wenn ihr noch etwas Konstruktives zu Cloes Verschwinden beitragen könnt, dann bitte jetzt. Ich bin nämlich müde … Niemand? Gut, dann hätte ich noch eine letzte Frage: Wie viel hat jede von euch Cloe geliehen?»

«Francesco!»

«Raus damit. Du beginnst, Sandra.»

«Fünfzigtausend.»

«Li?»

«Dreissigtausend.»

«Stefanie?»

«Hunderttausend.»

«Mit den zwanzig von Monika ergibt das zweihunderttausend Franken. Kann sich jemand vorstellen, was Cloe mit dem Geld wollte?»

Es herrschte betretenes Schweigen.

«Woher weisst du, dass wir Cloe Geld liehen?»

«Du vergisst, ich bin Kommissär. Vor mir gibt es keine Geheimnisse, Sandra. So, jetzt gehe ich schlafen, ihr werdet sicher auch ohne mich auskommen.»

«Francesco, wir lieben Cloe und wir bitten dich inständig, alles zu unternehmen, um sie zu finden. Selbstverständlich unterstützen wir dich, du musst uns nur aufbieten.»

Ferrari küsste Stefanie auf die Wangen.

«Ich kann euch nicht versprechen, dass wir erfolgreich sind. Aber wir werden ganz Basel umkrempeln. Wenn Cloe in der Stadt ist, werden wir sie finden. Gute Nacht.»

Ferrari wälzte sich unruhig im Bett hin und her. Im Halbschlaf dachte er an das Gespräch mit Philipp. Verlor Cloe wegen den ewigen Streitereien die Nerven und zog sich an einen unbekannten Ort zurück, um sich über die Beziehung zu Philipp klarzuwerden? Wofür benötigte sie das viele Geld auf die Schnelle? Wurde sie erpresst? Möglich. Fragen, Fragen, nichts als Fragen und keine Antworten. Oder will ich es mir nicht eingestehen? Denn keine Frau verlässt freiwillig das Haus, ohne die wichtigsten persönlichen Sachen einzupacken. Daraus lässt sich nur eines schliessen: Cloe verliess nicht freiwillig das Haus, sondern wurde entführt, ermordet oder setzte ihrem Leben ein Ende!

Ferrari sass mürrisch vor dem Computer und trank einen Kaffee. In der Nacht sieht die Welt schlimmer aus, als sie in Wirklichkeit ist. Manchmal steigert man sich im Dunkeln in etwas hinein, übertreibt masslos und kann dieser düsteren Spirale nicht mehr entrinnen. Ein Glück, kehrt am Morgen bei Tageslicht die Realität zurück. Im Falle von Cloe bedeutet das, sie wurde weder entführt oder ermordet, noch beging sie Selbstmord. Sie ist eine junge, erfolgreiche Frau. Gut, ihre Beziehung mit Philipp steckt in einer Krise, aber das ist noch lange kein Grund, an ein Verbrechen oder an Suizid zu denken. Statt die Sachlage mit logischem Verstand zu betrachten, wälze ich die halbe Nacht unsinnige Gedanken und bin nun total gerädert. Die Online-News mit ihren stumpfsinnigen Kommentaren tragen auch nicht gerade zu meiner Laune bei.

«Guten Morgen, wieder einmal beim Wetten?»

«Ich informiere mich über das Weltgeschehen und frage mich, wer die Spalten füllen soll, wenn Trump aus dem Rampenlicht verschwindet.»

«Darüber mache ich mir keine Gedanken. Es gibt genügend Wahnsinnige auf der Welt.»

«Langsam, aber sicher spüren sich unsere Grünen nicht mehr.»

«Interessante Aussage von einem Sozi.»

«Die wollen die ganze Welt umkrempeln, nur ja nicht selbst anpacken. Ich mag keine Menschen, die immer nur fordern und nie Lösungen anbieten.»

«Was unternehmen wir in Sachen Cloe?»

«Das weisst du schon?»

«Hallo?! Ich bin Mitglied im Hexenclub und somit bestens informiert. Gestern Abend konnte ich leider nicht.»

«Wieso hast du mich nicht vorgewarnt?»

«Monika fand es nicht notwendig. Zudem, hätte ich es getan, wärst du vermutlich erst um Mitternacht nach Hause gekommen.»

«Hm! Im Augenblick läuft die Suche nach Cloe. Ihre Ehe scheint in einer ziemlichen Krise zu stecken. Wie viel schuldet sie dir?»

«Fünfzigtausend.»

 

«Unglaublich. Cloe sammelt innert kürzester Zeit zweihundertfünfzigtausend ein.»

«Freunde sind dazu da, zu helfen.»

«Wenden wir uns vorerst unserer anderen Baustelle zu. Noch bleibt Zeit, bevor wir diese Dossiers beackern müssen.»

Ferrari tippte eine Akte an und der gesamte Stapel fiel im Zeitlupentempo zu Boden.

«So ein Mist. Du könntest mir ruhig helfen, das Ganze einzusammeln anstatt so blöd zu grinsen.»

«Hat der Herr schlecht geschlafen?»

«Ja, ja. Mach dich nur lustig über mich. Ich schlage vor, wir nutzen die vierundzwanzig Stunden, die uns bleiben, und unterhalten uns zuerst mit Jake Förster, dann mit der Zeugin, die Schoch fand. Haben wir überhaupt deren Adresse?»

«Aber sicher, Chef. St. Alban-Anlage, eine Zufahrtsstrasse zum Aeschenplatz, gegenüber vom Hammering Man.»

«Und Förster?»

«Den finden wir in der Rheingasse, in Marks Zentrale. Und tu was gegen deine schlechte Laune, sonst kannst du allein durch Basel watscheln.»

«Hm.»

Marks Büro befand sich über einem seiner Nightclubs. Viel hatte sich in der Rheingasse seit ihrem letzten Besuch nicht verändert. Einzig das Lokal war renoviert worden, aber die Gäste sahen noch genau gleich aus. Vermutlich verkehrten auch noch immer dieselben Typen hier. Jake Förster führte sie in die erste Etage, wo acht Angestellte in einem Grossraumbüro arbeiteten, und öffnete die Tür zu einem kleinen Sitzungszimmer. Offenbar wurden die Nachtclubs nicht mehr hemdsärmlig von Mark geführt.

«Mark ist noch zu Hause. Er bittet euch, zu warten, bis er hier ist. Es dauert bestimmt nicht mehr lang. Wie gehts Fabian?», erkundigte sich Jake.

«Wenn jemand das erste Mal eine Nacht in einer Zelle verbringen muss, geht es ihm nie gut. Führen Sie jetzt die Geschäfte von Mark?»

«Ja, seit er mit Chris fusioniert hat, Herr Ferrari. Sorry, wollen Sie etwas trinken?»

«Nein, danke. Ist es nun eine Firma?»

«Sie gehört den beiden je zur Hälfte. Die Fusion macht durchaus Sinn. Wir haben den Einkauf zentralisiert, können Personal untereinander austauschen und die Lokale nach den Bedürfnissen unserer Kunden ausrichten. Marks Lokale sind eher für die normalen Gäste, die von Chris haben wir zu Luxusschuppen umgebaut, weil sie besser positioniert sind.»

«Wie viele Lokale gehören inzwischen zum Unternehmen?»

«Achtundzwanzig in der Deutschschweiz, dazu einige Immobilien und Beteiligungen an anderen Firmen. Hier in der Rheingasse verwalten wir die Lokale, der Hauptsitz der Holding befindet sich am Nadelberg. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir alles zusammenlegen.»

«Sind Sie für alles verantwortlich?»

«Nein. Am Nadelberg waltet und schaltet meine Stellvertreterin. Sie ist Immobilienspezialistin, eine Kapazität auf ihrem Gebiet. Ursprünglich kommt sie von einer Bank.»

«Ich bin beeindruckt. Hier ist ein richtiger kleiner Konzern entstanden.»

«Der ist gar nicht so klein», lachte Jake. «Wie stehen die Chancen, dass Fabian rauskommt?»

«Gut. Wir tauschen ihn gegen Sie aus.»

Jake Förster schaute amüsiert zu Nadine.

«Und wieso?»

«Wo waren Sie am Montagabend zwischen zehn und Mitternacht?»

«Unten im Lokal. Das werden alle bestätigen.»

«Wussten Sie von Naders Termin mit Damian Schoch?»

«Ja. Er orientierte mich gegen Abend. Ich fragte ihn, ob er Hilfe benötige, doch er lehnte ab. Leider behielt er den Treffpunkt und die genaue Zeit für sich. Darf ich jetzt auch einmal eine Frage stellen? Warum verdächtigen Sie ausgerechnet mich, Frau Kupfer?»

«Weil Fabian Nader nicht der Mörder sein kann und weil er nur Sie über das Treffen informierte.»

«Jetzt bin ich verwirrt.»

«Naders Schuss war nicht tödlich. Jemand streckte ihn beim Hammering Man mit einem zweiten Schuss nieder und an dieser Verletzung starb er im Spital.»

«Und jetzt glauben Sie, dass ich es war?»

«Waren Sies?»

«Nein. Obwohl Schoch ganz oben auf meiner Liste stand. Was ich Ihnen jetzt sage, bleibt unter uns. Ist das klar?»

«Das können wir Ihnen nicht versprechen. Ich befürchte, Sie müssen das Risiko eingehen.»

«Ist auch egal. Wir suchten das verdammte Schwein seit zwei Monaten. Irgendwie besitzt er einen siebten Sinn für Gefahren. Er ist immer untergetaucht, wenn wir kurz davor waren, ihn zu erwischen. Fabian wusste das und wollte verhindern, dass ich ihn kaltmache. Deshalb verschwieg er mir Ort und Zeit.»

«Warum wollten Sie ihn töten?»

«Michele ist in einer Entzugsklinik in Davos. Die Drecksau fand das heraus, fuhr zu ihr und bettelte um Geld. Sie gab es ihm und was tat er? Er besorgte ihr dafür Koks.»

«Woher wissen Sie das?»

«Ich kontrolliere Micheles Konto, weil … weil ich mit einem Rückfall rechne. Als sie fünftausend an einem Tag abhob, bin ich nach Davos gefahren. Ich musste sie nur anschauen. Diese verdammte Sucht. Ich … Ich bin vollkommen ausgerastet und hab ihr eine geknallt. Sie muss endlich damit aufhören. Anschliessend nahm ich mir den Chef der Klinik vor und wurde ziemlich deutlich. Wenn er nicht besser auf Michele aufpasse, würde ich ihn nochmals besuchen. Die Message kam an. Er stammelte etwas von Micheles Bruder, da war mir alles klar. Michele gab auch sofort zu, dass das Koks von Schoch stammte. Seit diesem Tag suche ich ihn. Glauben Sie mir, Frau Kupfer, ich hätte ihn nicht auf der Strasse liegen lassen. Den hätte niemand mehr gefunden.»

«Weiss Mark davon?»

«Nein, und das ist gut so, Herr Ferrari. Er wäre mit meiner Methode nicht einverstanden. Vermutlich würde er mich rauswerfen und Michele keine Minute mehr aus den Augen lassen.»

«Wer wusste noch vom Treffen zwischen Schoch und Nader?»

«Von mir hat niemand davon erfahren. Wem es Fabian noch erzählte, weiss ich nicht. Chris und Mark bestimmt nicht. Die waren total überrascht, als sie davon hörten.»

«Was können Sie uns über Schoch erzählen?»

«Ziemlich die übelste Kreatur, die in Basel rumlief. Hatte praktisch in allen Lokalen Hausverbot, bei uns kam er nirgends mehr rein. Ein Kokser und Zocker. Ich war einmal an einer privaten Pokerpartie in einer Villa im Gundeli. Michele rief mich an, sie brauche sofort zehn Riesen. Clara und ich sind sofort hingefahren und holten sie dort raus.»

«Wer ist Clara?»

«Clara Nobs, das ist meine Stellvertreterin. Ich wusste gar nicht, dass es in Basel so etwas gibt. Clara fuhr mit Michele nach Hause und ich schaute mir die Pokerpartie an. Innert dreissig Minuten verlor Schoch fünfzig Riesen. Das Geld stammt bestimmt von Michele. Auf der Gasse heisst es, dass Schoch alle abzockt. Er soll Millionen kassiert haben.»

«Für das Areal in Allschwil.»

«Genau. Von dem Geld wird nichts mehr übrig sein. Wahrscheinlich steckt er bei Ganz noch tief in der Scheisse.»

«Wer ist Ganz?»

«Paul Ganz. Der organisiert diese privaten Pokerpartys. Alles vom Feinsten. Da wird um unglaubliche Summen gespielt.»

«Ich kenne einen Paul Ganz, aber dem gehört ein Herrenmodegeschäft mit einer Schneiderwerkstatt in der Klybeckstrasse.»

«Genau der ist es, Herr Ferrari.»

«Unglaublich. Ich fragte mich schon mehrmals, wie solch ein Geschäft existieren kann. Sieh mal einer an.»

Jake Förster blickte auf die Uhr.

«Mark wird jeden Moment da sein. Wollen Sie mich jetzt als Mörder von Schoch verhaften?»

«Wir denken darüber nach.»

«Werden Sie mich bei Mark verraten?»

«Das hängt von der Beantwortung meiner nächsten Frage ab.»

«Und die wäre?»

«Lieben Sie Michele?»

«Ja. Deshalb bin ich Schochs Mörder auch unendlich dankbar. Jetzt ist keiner mehr da, der Michele mit Koks beliefert. Ich weiss nicht, wie es zwischen uns weitergeht, aber ich werde um sie kämpfen.»

«Habe ich etwas verpasst?»

«Gar nichts, Mark. Wir wissen jetzt, dass du heimlich Basel aufkaufst.»

«Masslos übertrieben, doch ich kann nicht klagen. Das Geschäft läuft gut, auch dank Jake und Clara, die ihre Sache hervorragend machen. Die Zeiten von uns alten Säcken sind vorbei, Francesco. Jetzt sind die Jungen gefragt. Wir sind nur noch da, um abzucashen.»

«Du schon.»

«Tja, das kommt davon, wenn man sein Talent verschwendet. Was gibts Neues? He, ihr habt ja nicht einmal etwas zu trinken. Jake, du bist ein miserabler Gastgeber.»

«Sie wollten nichts.»

«Das stimmt. Jetzt nehme ich gern ein stilles Mineralwasser und mein Chef einen Kaffee dazu.»

«Ich hols.»

«Jake ist ein guter Mann. Ich bin froh, dass er da ist. Wie gehts meinem Schwiegersohn?»

«Er hält sich tapfer.»

«Ihr kriegt ihn nicht raus, oder?»

«Wir sind dran.»

Nadine erzählte Mark von dem unbekannten Dritten.

«Und wer ist dieser Unbekannte?»

«Das müssen wir herausfinden.»

«Selbst, wenn ihr ihn nicht findet, mit diesen neuen Erkenntnissen stehen Fabians Chancen gut, einigermassen heil aus der Sache rauszukommen.»

«Das reicht Francesco nicht.»

«Mir schon. Darauf sollten wir anstossen.»

«Vergiss es. Kein Alkohol mehr während der Dienstzeit.»

«Die hat dich vollkommen unter Kontrolle, Francesco.»

«Benötigt ihr mich noch? Clara sucht mich.»

«Wir wissen, was wir wissen müssen.» Der Kommissär reichte Jake lächelnd die Hand. «Und Ihre Antworten waren sehr hilfreich.»

«Danke, Herr Ferrari, natürlich auch Ihnen, Frau Kupfer.»

«Ihr seid noch immer per Sie? Das ändern wir bei eurem nächsten Besuch, aber nicht mit Mineral, meine Schöne. Mann, bin ich froh. Mit etwas Glück kommt Fabian mit einer geringen Strafe davon. Leonie wird überglücklich sein. Übrigens, ich soll euch von Maria grüssen … Meine Mädchen halten mich ganz gewaltig auf Trab.»

«Vor allem dein Sorgenkind.»

«Jetzt schöpfe ich ein wenig Hoffnung.»

«Weil Schoch tot ist?»

«Ja, ein wahrer Segen. War es Jake?»

«Wie kommst du auf ihn?»

«Für wie naiv haltet ihr mich? Wenn es nicht Fabian gewesen ist, kommt nur noch Jake infrage.»

«Und warum?»

«Weil er meine Michele liebt und genau weiss, dass sie nicht zur Ruhe kommen konnte, so lange dieses Arschloch Kontakt zu ihr hielt. Falls Jake der Mörder ist, vergesst das Ganze einfach. Durch eure super Arbeit kriegen wir Fabian raus und um den Sauhund trauert niemand … Ja, ja, ich weiss. Du wirst bis zum Ende ermitteln. Es war nur ein frommer Wunsch.»

«Traust du es ihm zu?»

«Sicher, Nadine. Chris hatte ja ein Kopfgeld auf Schoch ausgesetzt. Doch er war seit einiger Zeit abgetaucht und niemand wusste, wo. Wohin gehst du, Francesco?»

«Danke für den Kaffee. Komm, Nadine, wir müssen los.»

«Wart noch einen Moment. Mark, was weisst du über Schoch?»

«Nicht viel. Er war ein ganz mieser Typ. Einer der wenigen, die mich über den Tisch gezogen haben. Das können nicht viele von sich behaupten. Er wirkte echt überzeugend.»

«Vielleicht war ich eine Spur zu gierig.»

«Nicht nur eine Spur. Ich hätte nie erwartet, dass er uns linkt. Er kannte die Konsequenzen.»

«Wer kann uns Auskunft über Schoch geben?»

«Am ehesten sein Kumpel Richi. Die waren wie eineiige Zwillinge. Ich glaube, er hat eine Nutte gekillt. Eine von den Russen. Wenn er aus dem Bässlergut rauskommt, lebt er vielleicht noch ein paar Stunden. Die Russen sind da ziemlich heikel.»

«Kennst du Paul Ganz?»

«Ich kaufe meine Klamotten bei ihm, alles Massanzüge. Aber zu seiner Pokerrunde gehe ich nicht. Weitere Fragen?»

«Nein, das ist vorerst alles. Dass du den Jungen das Feld überlässt, ist eine masslose Übertreibung.»

«Wenn du meinst, meine Schöne. Und immer sauber bleiben, Francesco.»

«Weiss Mark auch, dass Jake seine Tochter heimlich in Davos besuchte?»

«Das eher weniger. Dann wüsste er auch, dass sie wieder kokst. Ist Jake unser Mörder?»

«Möglich wärs, aber sicher bin ich nicht. Lassen wir es auf sich beruhen.»

«Ernsthaft?»

«Schoch ist tot, daran können wir nichts mehr ändern und mit unseren bisherigen Ermittlungen kommt Nader glimpflich davon. Stürzen wir uns also auf die vier anderen Morde.»

«Bist du krank?», fragte Nadine verwundert. «Du bist doch derjenige, der mit dem Ergebnis unzufrieden ist, und das zu Recht. Wir kennen den wirklichen Mörder nach wie vor nicht.»

«Angenommen, Chris ist der Mörder oder sogar Mark. Was ist dann?»

 

«Jetzt begreife ich … Der Herr Kommissär will seine Freunde schützen.»

«Quatsch. Tatsache ist, Schoch war ein drogensüchtiges, widerwärtiges Schwein. Das bestätigt jeder, mit dem wir reden. Irgendwann wäre er sowieso ermordet worden.»

«Na und? Was hat das mit unseren Ermittlungen zu tun? Ich bin total verwirrt … Aber vermutlich läuft uns eh die Zeit davon und der Fall ist für uns wohl oder übel bald abgeschlossen.»

«Genau, doch vorher reden wir noch mit der Frau, die Damian Schoch fand und die Polizei alarmierte. Wer weiss, vielleicht bringt uns das auf eine ganz neue Spur.»

«So viel zum Thema, den Fall auf sich beruhen zu lassen. Los, renn! Das Tram kommt.»

Neun Minuten später erreichten sie den Aeschenplatz. Sie hatten Glück, Irene Koller war zu Hause und versuchte gerade, einen enormen Wäscheberg zu bewältigen. Ferrari schaute fasziniert zu, wie in Windeseile kleine und grosse Häufchen dreckiger Wäsche entstanden. Nach einer Viertelstunde liess sie drei Maschinen miteinander laufen.

«Geschafft. Jetzt habe ich Zeit für Sie. Sie sind doch dieser Fernsehkommissär.»

«Schön wärs. Dann würden wir die Fälle in anderthalb Stunden lösen und erst noch eine riesige Gage kassieren.»

«Nein, so meine ich es nicht. Sie stehen bei den Pressekonferenzen immer neben dem aufgeblasenen Luftheuler.»

«Staatsanwalt Jakob Borer.»

«So ein eingebildeter Trottel. Mein erster Mann war auch so einer. Meine Schwester sagt immer, das hängt mit der Grösse zusammen. Je kleiner sie sind, desto mehr müssen sie sich in den Vordergrund drängen.»

«Sie haben eine Menge Wäsche», versuchte Nadine das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken.

«Oh ja. Ich kann nur alle zwei Wochen waschen und da sammelt sich ganz schön viel von meinen vier Jungs an. Die wohnen nicht mehr zu Hause, doch die Wäsche bringen sie immer zu mir.»

«Wie wissen Sie, wem was gehört?»

«Ich wasche und meine Schwester hilft mir beim Bügeln, dann holen die Jungs ihre Wäsche ab. Bis jetzt gab es kein Durcheinander. Ist der Mann tot?»

Irene Koller wischte sich eine Haarsträhne aus der Stirn.

«Ja, leider. Er überlebte die Operation nicht.»

«Schauen Sie sich den Toten im Leichenschauhaus immer an? Wie in den Fernsehkrimis?»

«Meistens.»

«Und das macht Ihnen nichts aus, Frau Kupfer?»

«Man gewöhnt sich daran.»

«Wirklich? Ich falle schon um, wenn sich jemand in den Finger schneidet.»

«Können Sie uns schildern, wie Sie den Toten fanden?»

«Klar. Ich war bei meinem Freund, der wohnt in der Gartenstrasse. Er will schon lange bei mir einziehen, bloss ein fünftes Mal brauch ich das nun wirklich nicht mehr.»

«Sie waren vier Mal verheiratet?»

«Zwei Mal. Danach wurde ich vorsichtiger. Das einzig Positive aus meinen vier Beziehungen sind meine vier Söhne. Sie sind das Beste in meinem Leben.»

«Von jedem Mann einen?»

«Was ist daran so schrecklich? Sind Sie so ein Stündeler, der es nur bei einer Frau bringt?»

«Entschuldigen Sie. Ich war bloss erstaunt.»

«Ich hatte mit jedem Mann gute und schlechte Zeiten und eines dabei gelernt: Wenn es kriselt, musst du Schluss machen, deine Sachen packen und das Weite suchen. Sie sind wohl Ihr Leben lang an einer Frau hängengeblieben. Solche Typen kenne ich gut. Die jammern ihren Kollegen die Hucke voll und leiden lieber vor sich hin, anstatt etwas in ihrem Leben zu ändern. Alles Schlappschwänze.»

«Ich lebe seit vielen Jahren glücklich mit meiner Partnerin zusammen.»

«Bla, bla, bla. Das sind die Richtigen, gehen bei jeder Gelegenheit fremd und heucheln mit ihrem Dackelblick ewige Treue vor. Wo waren wir, Frau Kupfer?»

«Ich wollte wissen, was an dem Abend geschah?»

«Genau. Wir führten wieder so eine unsägliche Diskussion über das Zusammenziehen. Gerhard zählte einmal mehr die Wahnsinnsvorteile auf. Klar, der Herr kann dann an den gedeckten Tisch sitzen und ich wasche noch für einen mehr. Nein danke, nicht mit mir. Ich bin total wütend nach Hause gelaufen und sah plötzlich einen Mann beim Hammering Man liegen. Zuerst dachte ich, er sei betrunken. Dann erst bemerkte ich das Blut auf dem Trottoir. Aus den Krimis weiss ich, dass man sofort die Polizei anrufen muss. Ich war erstaunt, wie schnell die kamen.»

«War der Mann bewusstlos?»

«Nein. Er stöhnte vor Schmerzen und flehte mich an, ihm zu helfen. Ich sagte ihm, er müsse durchhalten, in wenigen Minuten käme die Polizei.»

«Sie hätten auch die Notrufnummer wählen können.»

«Auch noch ein Klugscheisser. In solch einer Situation denkt man doch nicht an sowas. Der Notfallwagen kam praktisch gleichzeitig mit der Polizei. Im Krankenwagen legten sie ihm eine Infusion an. Das war echt spannend.»

«Danach wurden Sie von den Beamten befragt, richtig?»

«Oh ja.» Irene Koller strahlte. «Von einem Sechzigjährigen mit dichten grauen Locken. Nicht so wie bei Ihrem Partner, der hat ja schon eine Mönchsglatze. Vor lauter Aufregung konnte ich mir leider seinen Namen nicht merken. He, können Sie ihn für mich ausfindig machen? Der sieht noch verdammt gut aus für sein Alter und auf Grauhaarige fahre ich total ab.» Sie drückte Nadine einen Zettel in die Hand. «Hier. Geben Sie ihm meine Handynummer.»

«Ich schaue, was ich tun kann. Wie gings weiter?»

«Was? Moment, diese Maschine spinnt wieder.» Sie traktierte sie mit den Füssen. «Der Vermieter soll sie endlich ersetzen.»

«Drei Maschinen sind recht viel.»

«Das brauchts für die Überbauung. Wie war die Frage?»

«Gingen Sie nach der Befragung direkt nach Hause?»

«Nein. Ich machte noch einen Abstecher zu meinem Palast und liess mich von meinen zwei Dienern massieren. Was stellen Sie für dumme Fragen?»

«Ist Ihnen etwas aufgefallen? Irgendeine Person?»

«An der Bushaltestelle standen ein paar Leute. Die gafften, als die Polizei und der Krankenwagen vorfuhren.»

«Und davor?»

«War niemand da … Nein, stimmt nicht. Ein Wagen fuhr langsam an mir vorbei. Er hielt kurz an. Ich winkte dem Fahrer und rief ihm zu, dass er mir helfen soll. Doch er gab einfach Gas und raste davon.»

«Aber Sie konnten natürlich nicht erkennen, ob ein Mann oder eine Frau den Wagen fuhr und was für ein Auto es war», brummte Ferrari missmutig.

«Ein Alfa Romeo Stelvio 2.0. Ein Q4 in Metallicgrau, vermutlich tiefergelegt, mit Spezialreifen und Basler Kennzeichen. Die genaue Autonummer konnte ich mir nicht merken. Am Steuer sass ein Mann mit Krawatte, das Gesicht war nicht zu erkennen.»

«Woher wissen Sie das? Es war doch stockdunkel und Sie standen einige Meter davon entfernt.»

«Mann, das ist eine Hauptverkehrsstrasse, hier ist es nie dunkel. Und bei Autos macht mir keiner etwas vor. Da bin ich auf dem Laufenden. Mit meiner Schwester fahre ich an Formel-1-Rennen. Wenn das Geld reicht, fliegen wir hin. Andere liegen am Meer und verbrennen sich den Bauch, wir lieben Autorennen. Wars das?»

«Voll und ganz», lachte Nadine.

«Jetzt weiss ich auch, warum immer der Zwerg im Fernsehen spricht und nicht er», Irene Koller zeigte auf den Kommissär. «Die lassen ihn bewusst nicht reden. Gut so, der ist nun wirklich nicht die hellste Kerze auf der Torte.»

«Gute Freunde werdet ihr vermutlich in diesem Leben nicht mehr. Die grauen Schmalzlocken fehlen dir. Das war garantiert Reto.»

«Du willst ihn nicht wirklich auf diesen Vamp loslassen?»

«Wieso nicht? Er ist Single und alt genug, um zu wissen, ob er das verkraftet.»

«Du solltest ihn wenigstens vorwarnen.»

«Gute Idee. Das war ein aufschlussreiches Gespräch.»

«Bei Mark im Hof stand ein metallicgrauer Alfa.»

«Stimmt. Bin gespannt, wem er gehört. Fahren wir zurück zu Mark?»

«Das kriegen wir auch so raus.»

«Dann ab ins Büro. Folge mir, du fremdgehender Schlappschwanz.»

«Hm!»

Nadine liess sich von der Motorfahrzeugkontrolle die Namen aller Besitzer eines Alfa Romeo Stelvio 2.0 in Basel-Stadt mailen, während sich Ferrari das erste Dossier der vier Morde vornahm: Matz Kämpfer. Ein sonderbarer Vorname, noch nie gehört. Er wurde angeklagt, den Liebhaber seiner Frau ermordet zu haben. Es kam jedoch zu keiner Verurteilung, denn die Verteidigung konnte glaubhaft nachweisen, dass die ermittelnden Beamten dem psychisch angeschlagenen Angeklagten mittels Einschüchterungen ein Geständnis abgrungen hatten. Die Ehefrau sah ihren Mann aus der Wohnung ihres Liebhabers kommen. Offenbar reichte dem Kommissär diese Zeugenaussage, weitere Ermittlungen gab es nicht. Als Kämpfer sein Geständnis vor Gericht widerrief, blieb der Richterin nichts anderes übrig, als ihn mangels Beweisen freizusprechen. Kämpfer wurde als erstes der vier Opfer vor über einem Jahr mit einem Kopfschuss in der Nähe des Rheinbads St. Johann aufgefunden. Vom Täter fehlte jede Spur.

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