Mindful2Work unterrichten

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»Ich hatte immer zu allem sofort eine Meinung, alles berührte direkt mein Innerstes, ich reagierte auf alles, auch auf meine Arbeit. Aber inzwischen brauche ich das nicht mehr, und das habe ich aus dem Mindful2Work-Training mitgenommen, dass ich nicht mehr auf alles sofort reagiere, dass ich nicht mehr sofort ausflippe, nicht mehr über alles informiert sein und nicht mehr zu allem eine Meinung haben muss.«

Darüber hinaus kann ein möglicher Wirkmechanismus von Achtsamkeit in der Fähigkeit bestehen, Gedanken und Gefühle mit Abstand zu betrachten, sie als vorübergehende Geschehnisse im Geist und nicht als feststehende Fakten zu betrachten, in denen man vollständig aufgehen müsste. Dieser Prozess ist auch bekannt als metakognitives Bewusstsein oder Dezentrierung. Und obwohl uns keine Studien bekannt sind, in denen Dezentrierung als Mediator getestet wird, zeigen Korrelationsstudien und Regressionsanalysen, dass Dezentrierung mit MBCT-Behandlungsergebnissen assoziiert ist oder diese prognostiziert. So lässt sich zum Beispiel bei Patienten, die an einem MBCT-Training sowie einer regulären Behandlung teilnahmen, bei einem Anstieg des metakognitiven Bewusstseins eine Reduzierung des Risikos für eine rezidivierende Depression prognostizieren, während dies bei Patienten, die nur an einer regulären Behandlung teilnahmen nicht der Fall ist (Bieling u. a., 2012; Teasdale, Moore, Hayhurst, Pope, Williams, Segal, 2002).

»Seit ich am Mindful2Work-Training teilgenommen habe, bin ich in der Lage, ein wenig Abstand zu gewinnen, wenn ich Stress habe, sodass ich ein wenig ruhiger werde. Zumindest aber vereinnahmt mich der Stress dann nicht so sehr. Es bildet sich eine Art Kokon um mich herum, ohne dass ich apathisch oder distanziert bin. Es ist nicht ganz einfach zu beschreiben, aber es hat einen großen Effekt.«

Schließlich wird auch die Rolle des Selbstmitgefühls immer häufiger untersucht, allerdings liefert zurzeit nur ein RCT von hoher Qualität (Kuyken u. a., 2010) Belege für den Anstieg des Selbstmitgefühls als mediierendem Mechanismus. Zwei weitere Studien weisen zwar Effekte von MBSR auf das Selbstmitgefühl nach, aber das gesteigerte Selbstmitgefühl mediiert in der Folge nicht die Effekte mit Blick auf die primären Endpunkte Wut und Angst in diesen RCTs (Bergen-Cico, Cheon, 2013; Keng, Smoski, Robins, Ekblad, Brantley, 2012). Selbstmitgefühl ist im Übrigen ein entscheidendes Element im Mindful2Work-Programm.

Als wir drei Autorinnen die Selbstmitgefühl-Meditation für uns »entdeckten«, mussten wir uns erst daran gewöhnen. Warum sollten wir freundlich zu uns selbst sein? Warum uns selbst nur das Beste wünschen? Wieso die Hand aufs Herz legen? Das waren wir als unsere eigenen Sklaventreiberinnen nicht gewöhnt. Wir hatten sogar Angst davor, dass wir, wenn wir freundlich zu uns selbst wären, bei der Arbeit nicht mehr so viel leisten würden, und wir fragten uns, ob wir überhaupt Selbstmitgefühl verdienten. Aber gleichzeitig reizte es uns auch, wir waren neugierig, wollten selbst erleben und später wissenschaftlich untersuchen, was der Begriff »Selbstmitgefühl« eigentlich genau beinhaltet.

Es ist schon sehr interessant festzustellen, dass es etwas ganz Natürliches, ja Alltägliches, für uns ist, anderen Mitgefühl entgegenzubringen – in Freundschaften, in Beziehungen und auch am Arbeitsplatz. Wenn uns aber etwas Blödes passiert, an dem wir selbst schuld sind, wenn wir zum Beispiel unseren Koffer im Bus stehen lassen und so unser Flugzeug verpassen, unsere Rechnungen nicht bezahlen und ein Bußgeld kassieren und im schlimmsten Fall der Gerichtsvollzieher vor der Tür steht oder wenn wir unser Auto falsch parken und es abgeschleppt wird, dann neigen wir dazu, uns selbst zu beschimpfen, »wie blöd von mir«, »selbst schuld«, »dass du das immer noch nicht kapiert hast«. Wenn jedoch unseren Freunden so etwas passiert, dann sagen wir nicht »wie blöd von dir«, sondern »wie blöd für dich«, und auch eher: »was für ein Mist« und »kann ich dir helfen?«. Wenn wir bei unseren Freunden so reagieren würden wie bei uns selbst, dann hätten wir bald kaum noch Freunde!

»Selbstmitgefühl stellt sich bei mir inzwischen – seit ich Achtsamkeit praktiziere – ganz von alleine ein. Weil ich (während und außerhalb der Meditationen) Ereignisse, Gefühle und Gedanken einfach mit Abstand betrachte, nicht sofort reagiere oder urteile, entsteht beinahe von selbst eine größere Nachsicht, sowohl mir als auch anderen gegenüber. Es ist eine Vertiefung, ein Teil oder eine selbstverständliche Folge davon, dass ich mich in Achtsamkeit übe.«

Auch in der neuesten systematischen Übersichtsarbeit auf diesem Gebiet zeigt sich die größte Evidenz für achtsames Bewusstsein als Weg, der zu anderen positiven Befunden führt (zum Beispiel Reduzierung von Stress, Depressionen oder Angst). Alsubaie und Kollegen (2017) erwähnen zwar, dass es eine vielversprechende Evidenz für andere Mechanismen gibt, wie Grübeln, Dezentrierung oder Selbstmitgefühl so wie oben beschrieben, dass aber viele Studien methodisch zu schwach sind, um diese Wirkmechanismen zuverlässig testen zu können. Sie stützen sich dabei auf Kazdin (2007, 2009), der Leitlinien entwickelte, anhand derer sich besser verstehen und untersuchen lässt, auf welche Weise eine psychotherapeutische Behandlung zu Veränderungen führt und welche Mechanismen hierbei zugrunde liegen. Es geht also genau um die Fragen, mit denen sich auch die genannten Untersuchungen zu MBPs beschäftigen.

Um solch komplexe und manchmal schwer greifbare Begriffe wie Selbstmitgefühl oder Achtsamkeit zu untersuchen, scheint es beinahe unabdingbar, selbst über einige Meditationserfahrung zu verfügen. So hörte ich (Esther de Bruin), wie Ferris Urbanowski auf einem amerikanischen Retreat, das sie leitete, erzählte, wie sie Mark Williams, John Teasdale und Zindel Segal, junge ehrgeizige Forscher – sie nannte sie die drei Musketiere –, kennenlernte, die die Erfolge von MBSR mit ihrem Wissen und ihren Forschungen zur kognitiven Verhaltenstherapie bei Depressionen verbinden wollten. »Eine wunderbare Idee, wir erwarten Sie dann in einem Jahr wieder zurück«, sagte Ferris. »Setzen Sie sich in dieser Zeit erst mal selbst täglich auf das Kissen, dann werden wir ja sehen, wie Sie darüber denken.« Also taten die drei Musketiere das und kehrten ein Jahr später zurück – und sehen Sie sich an, zu welcher Explosion von MBPs und zugehöriger Forschung das geführt hat!

In der buddhistischen Tradition gibt es den Begriff des Mitgefühls schon seit Tausenden von Jahren, in der Sprache der sozialen Berufe der westlichen Welt und auch in der wissenschaftlichen Forschung rund um unsere psychische Gesundheit ist dieser Begriff dagegen relativ »neu« und beginnt erst in den letzten Jahrzehnten eine größere Rolle zu spielen. Es gibt verschiedene Definitionen von (Selbst)mitgefühl, die aber alle nah beieinander liegen. Gilbert (2009) betrachtet Mitgefühl als eine biologische, evolutionär bedingte Fähigkeit, die einen Teil unseres Fürsorgesystems ausmacht und die Fähigkeit, für unsere Nachkommen zu sorgen, verbessert. Seine weit gefasste Definition beinhaltet Aspekte wie Fürsorge, Sympathie, Empathie, aber auch Urteilsfreiheit. Feldman und Kuyken (2011) entscheiden sich für eine stärker psychologische Definition. Sie betrachten (Selbst)mitgefühl als eine Qualität unseres Geistes, die uns dazu befähigt, Schmerz und Leiden zu erkennen und anzuerkennen, ihre Universalität zu begreifen und Schmerz bei anderen und uns selbst mit Freundlichkeit, Ruhe, Empathie und Geduld zu begegnen. Auch die Definition von Neff (2009) ist eher psychologischer Natur. Sie beschreibt Selbstmitgefühl als die Fähigkeit, in schwierigen Zeiten, in Zeiten, in denen wir versagen oder nicht genügen, freundlich und nicht zu hart zu uns selbst zu sein. Hierzu gehört auch, dass wir anerkennen, dass Leiden, Versagen und Unzulänglichkeit nun einmal zum menschlichen Leben gehören. Neff beschreibt drei Komponenten des Selbstmitgefühls: 1. Freundlichkeit, Verständnis und Mitgefühl uns selbst gegenüber, wenn die Zeiten schwierig sind (anstelle von Kritik und Urteil); 2. Gemeinsame Menschlichkeit. Wir erkennen an, dass wir als Menschen qua Definition alle unvollkommen sind, Fehler machen und Schwächen haben, in dieser Hinsicht sind wir nicht alleine, das gibt uns ein Gefühl der Verbundenheit; 3. Achtsamkeit bezieht sich auf unser Bewusstsein von Erfahrungen im gegenwärtigen Moment, in einer ausgewogenen Art und Weise, sodass wir unsere Schwächen oder diejenigen Aspekte an uns, die wir nicht so sehr schätzen, nicht verdrängen, aber uns auch nicht davon mitreißen lassen (Neff, 2003a).* Den engen Zusammenhang zwischen Selbstmitgefühl und Wohlbefinden bestätigen Zessin, Dickhäuser und Garbade (2015) in ihrer Metaanalyse von 79 Studien. Wohlbefinden wird dabei in vier Formen unterteilt: psychologisches Wohlbefinden (r = 0.62 mit Selbstmitgefühl), negativer Affekt (r = 0.47 mit Selbstmitgefühl), kognitives Wohlbefinden (r = 0.47 mit Selbstmitgefühl) und positiver Affekt (r = 0.39 mit Selbstmitgefühl). Diese Korrelationen zeigen eine mittlere bis große Effektstärke. Der andere Teil dieser Metaanalyse betrachtet den Zusammenhang zwischen Selbstfürsorge und Psychopathologie (als Gegensatz zu Wohlbefinden) und zeigt vergleichbare Effektgrößen. Psychopathologie drückt sich in dieser Metaanalyse über 20 Studien in depressiven Symptomen aus (r = 0.52 mit Selbstmitgefühl), in Angst (r = 0.51 mit Selbstmitgefühl) und Stress (r = 0.54 mit Selbstmitgefühl) (MacBeth, Gumley, 2012). Schließlich existieren auch Theorien über beispielsweise Aufmerksamkeitskontrolle, Aufmerksamkeitsregulation und Körperbewusstsein als mögliche Wirkmechanismen, die den Ergebnissen von MBPs zugrunde liegen, allerdings sind diese Faktoren bis heute noch unzureichend durch methodisch zufriedenstellende Studien erforscht (Hölzel, Lazar, Gard, Schuman-Olivier, Vago, Ott, 2011).

 

4.2. Achtsamkeit in der Arbeitswelt

In den letzten Jahren werden immer mehr achtsamkeitsbasierte Programme speziell für die Arbeitswelt entwickelt, besonders mit Blick auf die Reduzierung von (arbeitsbedingten) Stresssymptomen bei Arbeitnehmenden. MBPs, die speziell für den Einsatz in bestimmten Organisationen oder für spezielle Gruppen von Arbeitnehmenden entwickelt wurden, sind oft anders konzipiert als klassische MBPs für klinische Populationen (zum Beispiel kürzere Sitzungen, weniger Sitzungen). Ihre Effektivität muss daher gesondert bewertet werden. Vor allem die Effekte von MBPs bei Arbeitnehmern im Gesundheitswesen sind gut untersucht. Irving, Dobkin und Park (2009) veröffentlichten eine Übersichtsarbeit über zehn Studien, in denen MBSR zur Stressreduzierung bei Arbeitnehmern im Gesundheitswesen (Ärzte, Pfleger, Medizinstudenten, Physiotherapeuten, Psychologen) eingesetzt wurde. Die Autoren stellen fest, dass die Teilnahme an einem MBSR-Training positive physische und mentale Auswirkungen in der Zielgruppe hatte (Effektstärken nicht angegeben). Eine aktuelle Metaanalyse über neun Studien (nur zwei RCTs) ergibt ein vergleichbares Bild: Verschiedene Arten von MBPs (nicht nur MBSR wie in der oben genannten Untersuchung) für Mitarbeiter im Gesundheitswesen führten zu einer signifikanten Stressreduktion (Effektstärke = 0.73) (Burton, Burgess, Dean, Koutsopoulou, Hugh-Jones, 2017). Eine weitere Metaanalyse umfasst 19 Studien (davon neun RCTs) zu Arbeitnehmerinnen aus verschiedenen Berufsgruppen (zum Beispiel Lehrerinnen, Sozialarbeiterinnen, Universitätsangestellte). Hier wird ein mittlerer Effekt von MBPs auf (arbeitsbedingten) Stress festgestellt (Effektstärke = 0.68) und diese Effekte bleiben bis zu einigen Monaten nach dem Training erhalten (Effektstärke = 0.60). Wenn MBPs mit Wartelistenkontrollgruppen (in fünf RCTs) verglichen werden, ergibt sich ebenso ein mittlerer Effekt (Effektstärke = 0.68). MBPs erweisen sich als genauso effektiv wie andere Interventionen zum Stressmanagement in der Arbeitswelt, wobei die Effekte der kürzeren MBPs und der längeren klassischen Versionen vergleichbar sind und identisch bei verschiedenen Berufsgruppen (Virgili, 2015). Nicht alle Studien bestätigen diese positiven Effekte von MBPs in der Arbeitswelt. In einer niederländischen Studie wurden Arbeitnehmer (n = 257) randomisiert entweder einem achtwöchigen MBP (mit anschließendem achtwöchigen E-Coaching) oder einer Kontroll-Intervention zugeteilt. Die Mitarbeiterinnen in der Kontrollgruppe erhielten eine einzige E-Mail mit einer Übersicht über alle gesundheitsfördernden Maßnahmen, die der Betrieb anbot (ohne das Achtsamkeitstraining). Nach sechs und zwölf Monaten konnten keine Effekte auf die Arbeitszufriedenheit, das achtsame Bewusstsein oder die mentale Gesundheit festgestellt werden (Van Berkel, Boot, Proper, Bongers, Van der Beek, 2014). Eine mögliche Erklärung für diesen Null-Befund ist die relativ »gesunde« Zielgruppe (die Teilnehmenden wurden nicht nach ihrer Stressbelastung ausgewählt, das Training war eher präventiv). Obwohl die Anwesenheit während der Trainingseinheiten recht hoch war, führten nur acht Prozent der Teilnehmenden die täglichen Meditationen, die Bestandteil von MBPs sind, zu Hause durch. Die übrigen Mitarbeiter hielten das nicht für notwendig. Möglicherweise spiegelt dies den geringen Leidensdruck in der Gruppe und damit die eingeschränkten Möglichkeiten für eine Verbesserung. Eine andere Erklärung für den ausbleibenden Effekt hängt mit dem Zeitpunkt der Messungen zusammen. Die Effekte direkt nach dem Training wurden nicht untersucht, die Messzeitpunkte lagen bei sechs und zwölf Monaten nach dem Training, weil sich an das Training ein E-Coaching anschloss, mit dessen Hilfe die Achtsamkeitsübungen fortgesetzt werden sollten. Aber nur 6,3 Prozent der Teilnehmenden nahmen überhaupt an diesem E-Coaching teil und die Messungen fanden direkt nach diesem Teil der Intervention statt (Van Berkel, Boot, Proper, Bongers, Van der Beek, 2013). Wir wissen also nicht, ob es direkt nach dem Training Effekte gab, Langzeiteffekte gab es jedenfalls nicht. So verwundert es nicht, dass dieses MBP auch auf längere Sicht nicht kosteneffizient war und dem Arbeitgeber keine Kostenersparnis einbrachte (Van Dongen, Van Berkel, Boot, Bosmans, Proper, Bongers u. a., 2016).

Schließlich werden MBPs heute auch immer häufiger in großen Betrieben und multinationalen Firmen wie Google, General Mills, Apple und McKinsey eingesetzt (Hansen, 2012). Für Google wurde sogar ein eigenes Programm entwickelt (Tan, 2012). Dieses zunehmende Interesse der Wirtschaft hängt womöglich mit den dort herrschenden herausfordernden und kompetitiven Arbeitsbedingungen zusammen, also langen Arbeitstagen, frei gestaltbaren Arbeitszeiten, Multitasking, unklaren Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit und einer ständigen Erreichbarkeit, sodass Arbeitnehmer ein höheres Risiko für Burn-out und Erschöpfung tragen. Reb und Choi (2014) referenzieren im Kapitel »Mindfulness in Organizations« ihres Buches auf verschiedene Studien, die zeigen, dass MBPs im Arbeitsleben zu einer Verbesserung des psychologischen Wohlbefindens, der Arbeitsleistung, interpersoneller Beziehungen und der Führungsstärke bei den Arbeitnehmern führen. Auch die zuvor erwähnte Studie von Wolever und Kollegen (2012) gehört in diese Reihe, und auch von uns wurden in einer neueren Studie zum Einsatz des Programms »Mindfulness: a practical path to finding peace in a frantic world« (Williams, Penman, Cullen, 2011, dt. Titel: Das Achtsamkeitstraining, 2015) bei Arbeitnehmern des multinationalen Konzerns Unilever (n = 150) vergleichbare Effekte gefunden. In der Wartezeit traten keine Veränderungen auf, aber direkt nach dem achtwöchigen MBP sowie zwei und sechs Monate später wurden in folgenden Bereichen signifikante Verbesserungen festgestellt: persönliche Ziele, psychologisches Wohlbefinden (Stress, Depression, Angst, allgemeine Zufriedenheit, positiver und negativer Affekt), arbeitsbezogene Kriterien (Arbeitsausfall, physischer und geistiger Arbeitseinsatz, Identifikation mit der Arbeit und Funktionieren im Betrieb) (De Bruin, Van der Meulen, De Wandeler, Zijlstra, Formsma, Bögels, 2018).

Als Wissenschaftlerinnen haben wir ein Interesse daran, die genauen Details der Effektstärken und Populationsgrößen in den oben genannten systematischen Übersichtsarbeiten und Metaanalysen zu betrachten, aber welche Kernaussage lässt sich für uns als Kliniker und für die Arbeit in der Praxis daraus ableiten, wenn wir nach dem Nutzen von achtsamkeitsbasierten Programmen fragen?

Es gibt eine deutliche Evidenz für die positiven Effekte von MBPs auf die Reduktion von Stress. Vor allem für die Behandlung von (rezidivierenden) Depressionen gibt es hinreichende, methodisch gut untermauerte Belege (daher auch die Aufnahme von MBPs in nationale und internationale Behandlungsleitlinien). Obwohl nicht alle Studien dies zeigen, gibt es im Allgemeinen auch hinreichende Belege für die angstreduzierende Wirkung von MBPs, die zurzeit in der Arbeitswelt gerne und mit überwiegend positiven Resultaten eingesetzt werden.

5 Mindful2Work – das Grundprinzip: die Synergie

Das Trainingsprogramm Mindful2Work umfasst sechs zweistündige wöchentliche Sitzungen und ein Abschlusstreffen sechs Wochen nach dem Training. Während sämtlicher Sitzungen wird mit einer Kombination aus bewusster aktiver Bewegung im Freien (am besten in einem Park, Garten oder auf einer begrünten Dachterrasse), Yoga und Achtsamkeitsmeditationen gearbeitet. Außerdem werden die Teilnehmenden gebeten, täglich zu Hause zu üben, sodass sie von Anfang an dazu angehalten werden, das Gelernte auch in die Praxis zu übertragen. Gerade dadurch, dass (auch) zu Hause geübt wird, entsteht ein Gefühl des Empowerments. Die Teilnehmenden können so alle Effekte sich selbst zuschreiben und sind nicht von externen Einflüssen abhängig, wie zum Beispiel von einer Medikation oder von der Trainingsleitung. Auch die Untersuchungen zu den Effekten von MBPs zeigen, dass diese Effekte größer sind, wenn zu Hause geübt wird (Crane, Crane, Eames, Fennell, Silverton, Williams u. a., 2014; Hawley, Schwartz, Bieling, Irving, Corcoran, Farb u. a., 2014). Synergie ist ein Grundprinzip des Mindful2Work-Programms. Die oben angeführten Studien haben den stressreduzierenden und das Wohlbefinden steigernden Effekt von physischer Aktivität, Yoga sowie Achtsamkeitsmeditationen gezeigt. Im Programm Mindful2Work werden diese drei effektiven Elemente aus der Überlegung heraus kombiniert, dass Stresssymptome sich sowohl mental als auch körperlich äußern. Ein Training, das auf beiden Ebenen ansetzt, und drei effektive Elemente kombiniert, wird aller Wahrscheinlichkeit nach deutlichere und länger anhaltende Effekte zeigen, als jedes der Elemente für sich genommen. Auf der körperlichen Ebene wird die Muskelspannung verringert, Entspannung und Erholung werden gefördert. Dabei ist es entscheidend, dass die Übungen achtsam ausgeführt und den Signalen des Körpers volle Aufmerksamkeit geschenkt wird, auch wenn sich während der Bewegungsübungen der Herzschlag erhöhen darf. Die Teilnehmenden werden daher aufgefordert, lediglich 70 Prozent ihrer Kraft auf die Übungen zu verwenden und nicht 100 oder sogar mehr als 100 Prozent. Gerade Personen mit einem erhöhten Risiko für Burn-out(-Symptome) überschreiten oft ihre eigenen Grenzen und stellen hohe Anforderungen an sich selbst, sodass sie körperlich und seelisch ausbrennen. Um dieser Bitte noch stärkeren Nachdruck zu verleihen, werden die Übungen auch in einem ruhigeren Tempo gezeigt. Wir betonen in diesem Zusammenhang, dass bei der Durchführung der Übungen eine Verlagerung vom Denken und der Willensstärke (»Was will ich?«) hin zum Fühlen (»Wie geht es mir?« »Was brauche ich gerade?«) stattfinden sollte. Indem die Teilnehmenden ihr Gefühl stärker einsetzen, stellen sie den Kontakt zu ihrem Körper wieder her, sodass die intuitive Weisheit und die Signalfunktion des Körpers wieder zum Tragen kommen können. Körperliche Signale sagen uns, wie es uns geht, wo unsere Grenzen liegen und was wir im Moment brauchen. Wenn wir wirklich auf unseren Körper hören und für ihn sorgen, reduziert sich die Tendenz, die eigenen Grenzen zu überschreiten. Diese Haltung gilt auch bei der Ausführung der Yoga-Übungen im Mindful2Work-Programm. Daher haben wir uns bewusst für eine Kombination aus Yin-Yoga und Hatha restorative-Yoga entschieden. Dabei handelt es sich um ruhige Formen des Yoga, bei denen man längere Zeit in bestimmten Positionen verweilt. Sie zielen vor allem auf die Beweglichkeit des Körpers ab, auf Stressreduzierung und Entspannung, sodass die psychische und körperliche Regenerierung unterstützt wird (Hanson, 2011). Bei diesen Übungen geht es im Wesentlichen darum, (körperlich) zur Ruhe zu kommen, bewusst zu entspannen, das Loslassen zu üben und sich den Positionen hinzugeben. Yin-Yoga bietet genau hierfür genügend Raum und Zeit. Doch auch wenn die Entspannung während der Positionen im Zentrum steht, können die Übungen sehr anstrengend sein, zum Beispiel wegen des intensiven Stretchings (körperliche Erfahrung) oder weil wir es nicht gewohnt sind, längere Zeit in einer Haltung zu verweilen (mentale Erfahrung). Damit die einzelnen Positionen körperlich nicht zu viel von unserer Zielgruppe fordern, die häufig mit einem Mangel an Energie oder körperlichen Beeinträchtigungen zu kämpfen hat, werden Alternativen angeboten, sodass die Übungen für jeden gut durchführbar sind. So werden zum Beispiel Kissen zur Unterstützung eingesetzt, sodass die Positionen weniger fordernd sind und eher zu einer restorative pose (aus dem Hatha restorative-Yoga) werden, die für jeden geeignet sind, ungeachtet eventueller körperlicher Einschränkungen. Der sanfte Umgang mit dem Körper zieht sich durch das gesamte Yoga-Programm von Mindful2Work. So lernen die Teilnehmenden, ihre körperlichen Grenzen während der Yoga-Positionen zu spüren, auf sie zu hören und sie zu respektieren. Denn es geht darum, (wieder) zu lernen, wo sich die Bremse befindet und zur Ruhe zu kommen, anstatt aufs Gaspedal zu treten und weiterzurasen.

Im Mindful2Work-Programm wird nicht nur geübt, Stresssignale des Körpers wahrzunehmen, sondern auch zu beobachten, wie unser Geist funktioniert. Die Achtsamkeitsübungen des Programms basieren sowohl auf dem Mutterprogramm MBSR (Kabat-Zinn, 1982), MBCT (Segal, Williams, Teasdale, 2012) als auch auf dem Achtsamkeitstraining von Mark Williams und Dan Penman (Williams, Penman, 2015), sind aber etwas mehr auf die spezielle Zielgruppe von Personen mit (arbeitsbedingtem) Stress und Burn-out-bedingten Symptomen und die entsprechende Arbeitsumgebung zugeschnitten. In einem anschaulichen Artikel (Crane u. a., 2016) zu der Frage, was nun eigentlich der gemeinsame Nenner der vielen verschiedenen MBPs ist, wird auf das Bild von »Kette und Faden« verwiesen. Die Metapher vom Weben eines Stoffes verdeutlicht, dass jedes MBP eine Anzahl wesentlicher, fester Variablen hat (ansonsten ist es kein MBP), zum Beispiel die Entwicklung einer neuen Beziehung zu unseren Erfahrungen, die sich u. a. durch die Aufmerksamkeit für den gegenwärtigen Moment ausdrückt, und die Fähigkeit, Dinge mit Abstand betrachten zu können (Dezentrierung), durch Erfahrungslernen in Kombination mit dem Prozess des »Inquiry« (der vertiefenden Befragung in Dialogform am Ende der Meditation, mit deren Hilfe es den Teilnehmenden ermöglicht wird, selbst zu erkennen, wie unser Geist auf Erfahrung reagiert) und »Verkörperung« in der Person des Trainers oder der Trainerin. Dies ist sozusagen die Kette, die bereits auf dem Webrahmen vorhanden ist. Ansonsten kann jedes MBP an einen spezifischen Kontext angepasst werden oder an eine spezielle Population, was bestimmte variable Elemente voraussetzt (im Mindful2Work-Programm zum Beispiel die Integration von aktiven Bewegungsübungen im Freien, die Anwendung mancher Übungen während der Arbeit, relativ viel Aufmerksamkeit für Selbstfürsorge und ein sechs- statt eines achtwöchigen Programms). Dies sind dann sozusagen die Fäden, die durch die bereits vorhandenen Kettfäden gewoben werden, ein Prozess, der jeden Stoff letztendlich einzigartig macht. Auch die Gruppe spielt im Mindful2Work-Programm eine besondere Rolle. Wir versuchen bewusst, die Gruppen relativ klein zu halten, sodass ein individueller Kontakt mit allen Teilnehmenden möglich ist (idealerweise sind dies sechs bis maximal zwölf Teilnehmende). Obwohl jeder seine eigenen Gründe hat, am Programm teilzunehmen, und dies nicht im Plenum offengelegt werden muss, haben wir die Erfahrung gemacht, dass nicht nur die Wahrnehmung und die Anerkennung des jeweiligen »Leidens« und das »Mitgefühl« mit dem anderen, sondern auch das gemeinsame Üben und das gemeinsame »Leiden« verbindend wirkt – Neff nennt dies die »Erfahrung unserer gemeinsamen Menschlichkeit« in der Selbstfürsorge (Neff, 2003a).

 

»Die Gruppe hat wirklich viel dazu beigetragen, da ich ähnliche Menschen getroffen habe, Menschen, die ungefähr dasselbe Problem hatten wie ich.«

»Am meisten hat mir geholfen, dass ich gesehen habe, womit die anderen Teilnehmer zu kämpfen hatten, so trivial manche Beobachtungen auch gewesen sein mögen, es war eine wichtige Erkenntnis und hat einen großen Einfluss auf mich gehabt.«

Außerdem ist es denkbar, dass der achtsame Aufenthalt in der Natur (die Bewegung im Grünen) an sich einen positiven Effekt hat, welcher dann auch in die bewussten aktiven Bewegungsübungen, das Yoga und die Meditationen einfließt. Die Übungen werden bewusst im Freien gemacht, da die positiven Effekte von aktiver Bewegung und Sport größer sind, wenn er in der Natur stattfindet (Van Cuijck, Holterman, Hettinga, 2013). Metastudien im Zusammenhang mit Nature Assisted Therapies (NAT) belegen, dass der Kontakt zur Natur und die frische Luft einen positiven Effekt auf verschiedenste Symptome haben, zu denen auch stressbedingte Symptome gehören (Annerstedt, Währborg, 2011). Eine Studie aus Schweden hat sogar ergeben, dass Personen mit schwerwiegenden stress- und depressionsbedingten Symptomen, die an einem zwölfwöchigen Rehabilitationsprogramm in der Natur teilnahmen, bis zu einem Jahr nach dem Programm deutlich weniger ärztliche oder psychologische Hilfe in Anspruch nahmen (Währborg, Petersson, Grahn, 2014).

»Besonders positiv war die Tatsache, dass ich während des Mindful2Work-Trainings morgens um 10.00 Uhr, wenn ich sonst arbeitete, durch den Park laufen durfte. Das war ein echtes Geschenk. Beim ersten Mal war die Erkenntnis, wie schön es ist, draußen zu sein, am intensivsten, danach nahm dies ein wenig ab. Aber auch heute, während des Abschlusstreffens und nachdem ich eine Zeit lang nicht hier gewesen bin, fiel mir genau das wieder unglaublich positiv auf.«

»Dass wir uns zuerst draußen bewusst aktiv bewegt haben, war sehr erfrischend.«

Während der ersten drei Sitzungen werden Basis-Achtsamkeits-Fähigkeiten geübt, wie das Ausrichten und Aufrechterhalten der Aufmerksamkeit und die bewusste Wahrnehmung von Körper und Atem. In der zweiten Hälfte des Kurses wird darauf aufbauend der achtsame Umgang mit inneren und äußeren (auf die Arbeit bezogenen) Ereignissen verfeinert. Dabei geht es um den Umgang mit Stress und schwierigen Situationen sowie um Selbstmitgefühl und Selbstfürsorge. Wenn die Aufmerksamkeit stärker im Hier und Jetzt verweilt und weniger in die Vergangenheit und die Zukunft abschweift, beruhigt sich auch der Geist. Die Meditation und der anschließende Prozess des »Inquiry« können die Einsicht fördern, dass wir unser Leiden selbst verstärken. So üben wir zum Beispiel, Abstand zu inneren (Gedanken, Gefühlen, körperlichen Empfindungen, Handlungsimpulsen) und äußeren Ereignissen zu gewinnen und lernen so, dass wir selbst entscheiden können, wie wir auf unsere Erfahrungen reagieren. Und das schafft Raum und ein befreiendes Gefühl. So erleben die Teilnehmenden, dass Gedanken vorübergehen, dass sie keine unverrückbaren Fakten sind. Sie werden auf diese Weise nicht mehr so schnell in eine negative Gedankenspirale hineingezogen. Und da unser Körper und unser Geist in Wechselwirkung stehen, ist es wahrscheinlich, dass die Arbeit auf diesen beiden Ebenen zu synergetischen Effekten führt: Die Summe ist größer als jedes Element für sich genommen.

»Ich habe besonders die Kombination aus Bewegung an der frischen Luft, Yoga und Achtsamkeit genossen. Gerade die Kombination dieser drei Elemente hat mir sehr geholfen, zu mir selbst und zu einem besseren Leben zu finden.«

* www.nature.com/news/power-of-positive-thinking-skews-mindfulness-studies-1.19776

* In einem YouTube-Video erklärt Neff die genannten Aspekte von (Selbst)mitgefühl sehr anschaulich: www.youtube.com/watch?v=11U0h0DPu7k.

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