Geschichte der USA

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Kapitel 2: Revolution, Verfassungsgebung und Anfänge des Bundesstaates, 1763–1814
1 Die imperiale Debatte, 1763–1774

Am Ende des Siebenjährigen KriegesFrankreichSiebenjähriger KriegSiebenjähriger Krieg (French and Indian War) verstanden sich die meisten Siedler durchaus noch als treue Untertanen der KroneGroßbritannien und betrachteten ihre Kolonien als feste Bestandteile des britischenGroßbritannien Empire. Allerdings hatte die Erkenntnis zugenommen, dass „Amerika“ in diesem Weltreich einen besonderen, hervorgehobenen Platz einnahm und dass die „Amerikaner“ eine Reihe von Belangen und Überzeugungen teilten, die von denen der Engländer abwichen. Handfeste Interessen gerieten zuerst im WestenWesten in Gefahr, wo sich die IndianerNative AmericansKolonialzeit als die eigentlichen Leidtragenden der französischen Niederlage – sie machte die Fortsetzung ihrer bisherigen Neutralitäts- und „Schaukelpolitik“ zwischen den Kolonialmächten unmöglich – nun dem weiteren Vordringen weißer Siedler gewaltsam widersetzten. 1763 schlossen sich im OhioOhio-Tal und im Gebiet der Großen Seen mehrere Stämme unter dem OttawaOttawa Indianer-Häuptling PontiacPontiac zusammen und begannen einen Aufstand, der bis 1766 andauerte. Um den Konflikt einzudämmen, entschloss sich die KroneGroßbritannien, der weiteren Ausdehnung des Siedlungsgebiets und der Landspekulation einen Riegel vorzuschieben. Durch königliche Proklamation wurde im Oktober 1763 die Wasserscheide des AppalachenAppalachen-Gebirges als temporäre Grenze festgesetzt und den weißen Untertanen Seiner Majestät verboten, westlich dieser Linie zu siedeln. Die permanente Stationierung von ca. 10.000 britischenGroßbritannien Soldaten in Nordamerika konnte unter diesen Umständen ohne weiteres auch als eine Vorsichtsmaßnahme gegen koloniale Expansions- und Unabhängigkeitsbestrebungen verstanden werden.

Die Reformen, mit denen die Regierung Grenville die Politik des salutary neglect beendete, um die Empire-Verwaltung zu straffen und die StaatsfinanzenFinanzwesen zu verbessern, fielen ungünstigerweise in eine Rezessionsphase, die den Kriegsboom in den Kolonien abgelöst hatte. Als erste Maßnahme im Rahmen der neuen Strategie traten 1764 der Sugar ActSugar Act (1764) und der Currency ActCurrency Act (1764) in Kraft, die dazu gedacht waren, wenigstens 50 Prozent des schon seit langem offiziell erhobenen Importzolls für Zucker von den französischenFrankreichKolonien KaribikinselnKaribik auch tatsächlich einzutreiben und die unkontrollierte, inflationsfördernde Papiergeldausgabe einzelner Kolonialparlamente zu unterbinden. Bereits zu diesem Zeitpunkt zeichnete sich aber ab, dass in den Kolonien nicht so sehr die zusätzliche finanzielle Belastung als die den Gesetzen innewohnende generelle Tendenz zur verstärkten imperialen Kontrolle den Stein des Anstoßes bildete. So behaupteten die Kritiker, das englische Parlament dürfe zwar im Sinne der Navigation ActsNavigation Acts den kolonialen Handel regulieren, nicht jedoch, wie mit dem Sugar ActSugar Act (1764) geschehen, Zollgesetze zur Steigerung der Staatseinkünfte verabschieden. Der Bostoner Anwalt James OtisOtis, James vertrat in einer Flugschrift sogar die Auffassung, das Parlament sei überhaupt nicht befugt, die Kolonien ohne deren Zustimmung zu besteuern. Damit wandte er sich gegen Grenvilles Theorie der „virtuellen Repräsentationvirtuelle Repräsentation“, derzufolge das Parlament (verstanden als Gesamtheit von King, Lords und Commons) sämtliche englischenGroßbritannien Untertanen, also auch die Kolonisten, vertrat und deren Zustimmung zu Parlamentsbeschlüssen einfach voraussetzen konnte. Hier offenbarte sich eine folgenreiche Auseinanderentwicklung der englischenGroßbritannien und der kolonialen Repräsentationspraxis: Während man in EnglandGroßbritannien inzwischen davon ausging, dass der Parlamentsabgeordnete nicht seinen Wählern, sondern der Gesamtheit gegenüber verantwortlich war, also ein „freies Mandat“ besaß, tendierten die Kolonien zum „imperativen Mandat“: Die Abgeordneten in den Assemblies vertraten unmittelbar ihre Wähler bzw. die Gemeinden, von denen sie entsandt und gelegentlich sogar mit bindenden Instruktionen ausgestattet wurden. Die Siedler wollten sich deshalb weder mit einer virtuellen Repräsentation noch mit einer Scheinrepräsentation in Form einiger Alibi-Delegierter abfinden, die – wie Benjamin FranklinFranklin, Benjamin – das Westminster-Parlament in kolonialen Angelegenheiten berieten. Da sie kaum Hoffnung hatten, jemals „tatsächlich“ und gerecht in LondonLondon vertreten sein zu können, lief ihr Argument „no taxation without representation“ nicht auf eine Reform des Parlaments, sondern auf die Rückkehr zum Status quo der Vorkriegszeit hinaus.

Die Stamp Act-KriseStamp Act-Krise

Vor diesem Hintergrund traf das 1765 verabschiedete Steuermarken-Gesetz (Stamp Act) den Nerv der Beziehungen zwischen Kolonien und Mutterland und trieb den Konflikt auf einen ersten Höhepunkt. Von dieser Steuer, die nicht nur für alle Schriftstücke mit rechtlicher Bedeutung, sondern auch für Kalender, Zeitungen, Druckschriften und sogar für Karten- und Würfelspiele erhoben wurde, erhoffte sich die englische Regierung Einkünfte in Höhe von 60.000 Pfund Sterling (umgerechnet auf heutige Preise 5 Millionen Dollar). Es handelte sich um die erste direkte Steuer, die LondonLondon den Kolonien auferlegte, und sie diente noch dazu explizit der Verbesserung der Haushaltslage. Ominös aus amerikanischer Sicht war auch der Umstand, dass zur Eintreibung der Steuer in den Kolonien eine eigene königliche BürokratieRegierungssystemBürokratie aufgebaut werden sollte, dass die Vizeadmirals-Gerichte, die ohne Geschworene urteilten, Verstöße gegen das Gesetz ahnden sollten und dass – gewissermaßen als „flankierende Maßnahme“ – ein Quartering ActQuartering Act (1765) erlassen wurde, der die Assemblies verpflichtete, für die Unterbringung der britischenGroßbritannien Truppen Sorge zu tragen. Die Regierung Grenville suchte also bewusst die Kraftprobe mit den Kolonien, um sie zur Anerkennung der Autorität und Souveränität des Parlaments zu zwingen.

Nach kurzem Zögern nahmen die Siedler den hingeworfenen Fehdehandschuh auf, wobei ihre Führer – die sich WhigsWhig-Partei oder patriots nannten – aber eine Kompromissformel suchten, die es den Kolonien erlaubte, ihre inneren Angelegenheiten selbst zu regeln, ohne aus dem Verbund des Empire ausscheiden zu müssen. Die Opposition manifestierte sich in dreifacher Weise: Auf der politischen Ebene erhoben die Assemblies, allen voran das Unterhaus von VirginiaVirginia, Protest gegen das „verfassungswidrige“ Steuermarkengesetz und betonten den Grundsatz, dass nur sie selbst befugt seien, in den Kolonien Steuern zu erheben. Das MassachusettsMassachusetts-Parlament ergriff überdies die Initiative zu einem interkolonialen Stamp Act CongressStamp Act Congress (1765), an dem im Oktober 1765 in New York CityNew York City 28 Delegierte aus neun Kolonien teilnahmen. Sie verabschiedeten Resolutionen, die den kolonialen Rechtsstandpunkt bekräftigten und Angriffe auf ihre „Rechte und Freiheiten“ zurückwiesen, und sie baten das Westminster-Parlament in einer ausgesucht höflichen Petition um die Annullierung des Stamp Act. Im Unterschied zu diesem maßvollen Vorgehen machte sich der Unmut der Bevölkerung in einer Welle von Protesten Luft, die teils auf symbolische Weise Widerstand ankündigten, etwa durch die Errichtung von Freiheitsbäumen (liberty poles) und die Verbrennung von Puppen, die Steuerbeamte oder englische Politiker darstellten (burning in effigy), teils aber auch schon gewaltsame Formen annahmen und von handgreiflichen Attacken gegen Steuerbeamte bis hin zur Zerstörung ihrer Häuser und zur Praxis des „Teerens und Federns“ reichten. Zumeist wurden diese Massendemonstrationen gut vorbereitet und gelenkt von „patriotischen“ Organisationen, insbesondere den Sons of Liberty, die sich aus Kreisen der Handwerkerschaft in allen bedeutenden Orten entlang der Küste bildeten. Es kam aber auch vor, dass ihnen die Kontrolle der „mobs“ entglitt, die dann zu einer Gefahr für die gesamte öffentliche Ordnung werden konnten. Angeheizt und begleitet wurden alle diese Aktionen von einer heftigen Pressekampagne, für die hauptsächlich die Drucker der etwa 30 kolonialen Zeitungen verantwortlich zeichneten, die sich von der Stempelsteuer besonders hart betroffen fühlten. In wirtschaftlicher Hinsicht schließlich erwiesen sich die hauptsächlich von Kaufleuten initiierten Boykotte englischer Waren als äußerst wirksam. Sie steigerten nicht nur die Solidarität der Bevölkerung, die ihren „Patriotismus“ durch demonstrativen Verzicht auf Einfuhrgüter und das Bemühen um Selbstversorgung, speziell bei Tuchen, beweisen konnte; sie übte auch spürbaren Druck auf die englischenGroßbritannien Kaufleute und indirekt – durch deren Klagen und Proteste – auf die englische Öffentlichkeit und Regierung aus. Die Stamp Act-KriseStamp Act-Krise brachte also schon fast alle wesentlichen Widerstandsformen hervor, die koloniale Elite und Volk, Küste und Hinterland miteinander verbanden und die in ihrer Kombination die Aufstandsbewegung gegen das Mutterland kennzeichneten.

Die Reaktionen in EnglandGroßbritannien offenbarten ebenfalls ein Muster, das sich bis 1774 mehrfach wiederholen sollte. Aus den wachsenden inneren Spannungen, die sich gegen Ende der 1760er Jahre in den Unruhen um den radikalen Parlamentsabgeordneten John WilkesWilkes, John entluden, resultierte eine politische Instabilität, die häufige Regierungswechsel zur Folge hatte und zum Schwanken zwischen Konzessionen und Härte verleitete. Sowohl in der Bevölkerung als auch im Parlament gab es Kräfte, die Mäßigung und Ausgleich mit den Kolonien befürworteten; die Vertreter einer harten Linie, zu denen mehr und mehr auch der König selbst gehörte, kamen ihnen aus taktischen Gründen zeitweise entgegen, behielten in entscheidenden Momenten aber doch stets die Oberhand. So setzte das Parlament zwar 1766 – mit Rücksicht auf die englischenGroßbritannien Kaufleute und angesichts der Tatsache, dass die Steuerbeamten in den Kolonien längst resigniert hatten – den Stamp Act offiziell außer Kraft; gleichzeitig bekräftigten die Abgeordneten aber auf Veranlassung des neuen Premierministers Lord RockinghamRockingham, Charles Watson-Wentworth, Marquis de in einem Declaratory ActDeclaratory Act (1766) das Recht des Parlaments, „to make laws binding the colonies in all cases whatsoever“. Durch dieses Beharren auf der Doktrin der unteilbaren Souveränität wurde aus dem Steuerkonflikt endgültig ein Prinzipienstreit, bei dem die Autorität der englischenGroßbritannien Regierung und des Parlaments auf dem Spiel stand. Wenn die Empire-Reformer auch in einem konkreten Punkt nachgegeben hatten, so hielten sie doch an ihrer prinzipiellen Absicht fest, die Kolonien untrennbar in ein besser organisiertes, machtvolles englisches Staatswesen einzubinden.

 

Townshend-ZölleTownshend-Zölle (1767), „Boston MassacreBoston Massacre (1770)“ und Bostoner „Tea Party“Boston Tea Party

Bereits ein Jahr später, 1767, unternahm das Parlament einen neuen Vorstoß, indem es eine ganze Reihe von Gütern, die englische Kaufleute nach Amerika einführten, darunter Tee, mit Zöllen belegte. Diese nach dem verantwortlichen Schatzkanzler Townshend duties genannten Abgaben waren wiederum nur Teil der geplanten umfassenden Verwaltungsreform in den Kolonien, die auf eine Stärkung der königlichen Gouverneure und deren Beamtenschaft zu Lasten der schwer kontrollierbaren Assemblies abzielte. Als Antwort darauf ließen die PatriotenPatrioten die Unterscheidung zwischen internal taxes (Steuern) und external taxes (Zöllen) fallen, die es bislang ermöglicht hatte, dem Parlament noch gewisse Befugnisse in der Handelsregulierung zuzugestehen. Dies war die Botschaft der populären Essay-Serie, die John DickinsonDickinson, John ab November 1767 als Letters from a Farmer in PennsylvaniaLetters from a Farmer in Pennsylvania (1767–1768) veröffentlichte und die in der Warnung vor einer „Tragödie der amerikanischen Freiheit“ gipfelte. Obwohl die Proteste und Boykotte wieder weite Teile des Landes erfassten, verlagerte sich der Brennpunkt des Geschehens nun zunehmend nach MassachusettsMassachusetts, dessen Parlament 1768 nach einem besonders heftigen Einspruch gegen die „Verletzung der natürlichen und verfassungsmäßigen Rechte der Kolonisten“ auf Geheiß Londons von Gouverneur Francis BernardBernard, Francis aufgelöst wurde. In BostonBoston kam im Kreis um den radikalen Agitator Samuel AdamsAdams, Samuel, einen ehemaligen Steuereinzieher, auch erstmals die Forderung nach Unabhängigkeit von EnglandGroßbritannien auf, vor der gemäßigte Patrioten zu dieser Zeit noch zurückschreckten und die konservative Anhänger von Recht und Ordnung erschauern ließ. Verschärft wurde die Lage in Boston noch durch die Stationierung britischer Soldaten, die immer wieder mit Zivilisten aneinander gerieten. Eine dieser Konfrontationen endete im März 1770 im so genannten Boston MassacreBoston Massacre (1770), dem fünf Demonstranten zum Opfer fielen. Obwohl die Soldaten eher aus Verwirrung und nicht, wie die Patrioten umgehend behaupteten, vorsätzlich und auf Befehl ihrer Offiziere geschossen hatten, gab der Vorfall Anlass zu einem Märtyrerkult, der den Hass auf die Engländer schürte. Vor Gericht wurden die britischenGroßbritannien Offiziere und Todesschützen allerdings erfolgreich von Samuel AdamsAdams, Samuel’ Cousin John AdamsAdams, John verteidigt, der in dieser Phase noch zu den moderaten Patrioten zählte.

Einen Monat nach dem „Massaker“ traf allerdings die Nachricht ein, der neue Premierminister Lord NorthNorth, Frederick Lord habe unter dem Eindruck der erfolgreichen amerikanischen Boykottbewegung die Rücknahme der Townshend-ZölleTownshend-Zölle (1767) durchgesetzt. Bestehen blieb einzig der Teezoll, als Wink an die Kolonisten, dass sich der britischeGroßbritannien Rechtsstandpunkt nicht geändert hatte. Der Boykott bröckelte daraufhin ab, und die Abgabe auf Tee wurde durch illegale Einfuhr niederländischen Tees weitgehend umgangen. In der Phase der relativen Ruhe, die nun eintrat, beauftragte das Bostoner Town Meeting Ende 1772 ein Korrespondenzkomitee unter Vorsitz von Samuel AdamsAdams, Samuel, Verbindung mit den Gemeinden im Hinterland von MassachusettsMassachusetts aufzunehmen. Das Unterhaus von VirginiaVirginia folgte dieser Praxis und dehnte sie auf die interkoloniale Ebene aus, so dass rasch ein alle Kolonien übergreifendes Kommunikationsnetz entstand. Davon profitierten die PatriotenPatrioten, als die englische Regierung im Mai 1773 mit dem Tea ActTea Act (1773) erneut Öl in die schon fast erloschenen Flammen goss. Das Gesetz war in erster Linie dazu gedacht, die East India Company vor dem Bankrott zu bewahren, indem es ihr verbilligte Teeimporte nach Amerika gestattete. Aus Sicht der Patrioten stand zu befürchten, dass die Gesellschaft selbst bei Berücksichtigung des Einfuhrzolls den Preis für niederländischen Tee unterbieten und ein Monopol erlangen würde. Als Ende 1773 drei Teeschiffe in den Bostoner Hafen einliefen, verweigerte das Town Meeting die Zollabgabe und die Entladung. In der Nacht zum 17. Dezember enterten etwa 60 als Indianer verkleidete Sons of Liberty die Schiffe und warfen die Teeballen im Wert von 10.000 Pfund Sterling in das Hafenwasser. Diese Provokation konnte die Londoner Regierung nicht hinnehmen, ohne vollends das Gesicht zu verlieren. Der König hielt denn auch die Zeit für gekommen, Härte zu demonstrieren, und das Parlament beschloss im Frühjahr 1774 ein ganzes Bündel von Zwangsmaßnahmen, die Massachusetts praktisch unter ökonomische Quarantäne stellten und politisch entmündigten. Hinzu kam im Juni noch der Quebec Act, der ursprünglich nicht als Strafe gedacht war, der aber wegen der Gewährung religiöser Freiheiten an die katholischen Siedler in KanadaKanadaFranzösische Besiedlung und vor allem wegen der Gebietserweiterung der Kolonie Quebec bis in das OhioOhio-Gebiet hinein als zusätzlicher Schlag gegen Massachusetts und die Amerikaner insgesamt verstanden wurde. Die Korrespondenzkomitees trugen sehr dazu bei, dass diese von den Patrioten als Intolerable ActsIntolerable Acts (1774) gebrandmarkten Gesetze überall in den Kolonien eine Welle von Solidarität mit Massachusetts auslösten. Anstatt das vom Bostoner Komitee vorgeschlagene umfassende Handelsembargo gegen EnglandGroßbritannien zu verhängen, beriefen die Kolonien aber zunächst nur einen allgemeinen Kongress für September 1774 nach PhiladelphiaPhiladelphia ein. Mit Blick auf die inzwischen wieder günstige Wirtschaftslage konnten sich die Kaufleute in den Mittelkolonien nicht recht für Boykottmaßnahmen erwärmen, und die gemäßigten Patrioten wollten die Hoffnung auf Ausgleich noch nicht fahren lassen. Die unvereinbaren Rechtsstandpunkte und die in der Bevölkerung geweckten Emotionen drängten aber in Richtung einer weiteren Eskalation des Konflikts.

Der Erste Kontinentalkongress

Am Kontinentalkongress, der im September/Oktober 1774 in PhiladelphiaPhiladelphia tagte, nahmen 55 Delegierte aus zwölf Festlandskolonien teil, darunter 30 Anwälte und Richter sowie neun Kaufleute, immerhin aber auch vier Handwerker. Nicht vertreten waren GeorgiaGeorgia, die kanadischen Besitzungen NeuschottlandNeuschottland, NeufundlandNeufundland und QuebecQuebec und das seit 1763 englische FloridaFlorida. Da die königlichen Gouverneure bereits mehrere Parlamente aufgelöst hatten, waren die meisten Delegierten von extra-legalen und illegalen Komitees und Konventen gewählt worden, die in weiten Teilen des Landes die faktische Regierungsgewalt übernommen hatten (und nicht selten Gesinnungsterror gegen Andersdenkende ausübten). Im Kongress setzte sich die radikale Fraktion, vertreten durch die Neuengländer Samuel AdamsAdams, Samuel und John AdamsAdams, John und die Virginier Patrick HenryHenry, Patrick und Richard Henry LeeLee, Richard Henry, gegen die gemäßigten Kräfte aus den Mittelkolonien um John DickinsonDickinson, John und Joseph GallowayGalloway, Joseph durch, die politischen Umsturz und „Mobherrschaft“, wirtschaftliches Chaos und eine Niederlage gegen die BritenGroßbritannien vorhersagten. Die Radikalen vermieden das Wort „independence“, machten sich aber den Druck der öffentlichen Meinung geschickt zu Nutze, um die Kongressmehrheit auf einen kämpferischen Kurs festzulegen. In einer Grundsatzerklärung (Declaration of Colonial Rights and Grievances) beschwor der Kongress an vorderster Stelle die „unveränderlichen Gesetze der Natur“ und danach erst die englischenGroßbritannien Verfassungsgarantien und die Charter-Rechte der Kolonien. Abgelehnt wurde der Vorschlag Joseph GallowaysGalloway, Joseph, als Alternative zum Wirtschaftskrieg Gespräche mit den BritenGroßbritannien über eine grundlegende Verfassungsreform zu suchen, die den Kolonien Gleichberechtigung im Empire garantierte. Stattdessen beschlossen die Delegierten, den bedrängten Neuengländern mit einer Continental Association zur Hilfe zu kommen, die alle Kolonien zur schrittweisen Verschärfung der Boykottmaßnahmen gegen EnglandGroßbritannien bis hin zum völligen Abbruch des Handels (einschließlich des Sklavenimports) verpflichtete. Bevor sich der Kongress auf Mai 1775 vertagte, richtete er noch eine eindringliche Petition an den König und ermahnte die Bevölkerung von Großbritannien, Amerika und Quebec zu Wachsamkeit und zur Besinnung auf die Bürgertugenden.

Die ideologischen Ursprünge der Revolution

Der Gesinnungswandel, der aus treuen Untertanen der KroneGroßbritannien PatriotenPatrioten und Rebellen machte, hatte sich erstaunlich rasch vollzogen. John AdamsAdams, John bezeichnete diesen intellektuellen Prozess rückblickend als den eigentlichen Kern des Geschehens. Die Revolution, so schrieb er 1815 an Thomas JeffersonJefferson, Thomas, habe in den Köpfen der Menschen stattgefunden, und sie sei schon abgeschlossen gewesen, bevor 1775 bei Lexington und ConcordLexington und Concord (Schlacht bei) Blut vergossen wurde. Diese Beobachtung trifft insofern zu, als die Ursprünge des britisch-amerikanischen Disputs, wie der Historiker Bernard BailynBailyn, Bernard nachgewiesen hat, in erster Linie geistig-ideologischer Natur waren. Das beharrliche Pochen auf die „alten englischenGroßbritannien Rechte“ diente nicht der Verschleierung materieller Interessen, wenngleich diese sicher auch eine Rolle spielten. Den unerlässlichen Nährboden für die Widerstandshaltung bildete vielmehr ein Geflecht von Denkgewohnheiten, Verhaltensweisen und Wertvorstellungen, das in tiefere Bewusstseinsebenen hineinreichte und breite soziale Schichten beeinflusste. Die gebildeten Kolonisten schöpften ihre Argumente und Konzepte aus vielen Quellen: aus den Werken englischer Juristen wie Sir Edward CokeCoke, Sir Edward und William BlackstoneBlackstone, Sir William; aus der liberalen Natur- und Vertragsrechtslehre John LockesLocke, John; aus der Literatur der AufklärungAufklärung, speziell in der Variante des schottischen Utilitarismus. Ganz besonders empfänglich waren sie selbst und ihr Publikum aber für die Maximen der englischenGroßbritannien Oppositionsliteratur, deren beide Elemente – das radikale aus John TrenchardsTrenchard, John und Thomas GordonsGordon, Thomas Cato’s LettersCato’s Letters und das konservativ-nostalgische des Patriot King von Lord BolingbrokeBolingbroke, Henry St. John, Viscount – in ihrem Bewusstsein zu einer verhältnismäßig geschlossenen Weltanschauung, zu einer spezifisch amerikanischen Country-IdeologieCountry-Ideologie verschmolzen. Sie diente als Rahmen, in den sich alle anderen, oft widersprüchlichen Denkmuster und geistigen Strömungen einfügen ließen, und der die Orientierung erleichterte, wenn nicht erst ermöglichte. Im Lichte dieser Ideologie mit ihrem extremen Machtmisstrauen, ihrer Hochschätzung der klassisch-römischen Bürgertugend (virtuevirtue) und ihren Warnungen vor einem unmerklichen, schleichenden Verlust der Freiheit reimten sich die Ereignisse seit 1763 zu einem logischen Ganzen, zu einer von langer Hand geplanten, weit verzweigten und systematisch vorangetriebenen Verschwörung gegen die Kolonien zusammen. Die neuen Steuern, das Insistieren der BritenGroßbritannien auf der absoluten ParlamentssouveränitätParlamentssouveränität, der Ausbau der Kolonialverwaltung, die Verlegung von Truppen in die Städte und schließlich die harte Bestrafung von MassachusettsMassachusetts – all das waren keine Reformen, sondern Anhaltspunkte für einen generellen Anschlag auf das Selbstbestimmungsrecht der Kolonisten, auf einen „deliberate, systematic plan of reducing us to slavery“, wie es der junge virginische Pflanzer Thomas JeffersonJefferson, Thomas 1774 in seinem Pamphlet A Summary View of the Rights of British AmericaA Summary View of the Rights of British America (1774) ausdrückte. Solche Vorstellungen trugen irrationale Züge, aber sie besaßen einen wahren Kern, weil die englische Regierung in der Tat eine fundamentale Veränderung der imperialen Beziehungen anstrebte. Die calvinistischenCalvinisten Geistlichen der NeuenglandNeuengland (s.a. Nordosten, Regionen)-Kolonien steigerten die Verschwörungsängste noch durch ihre eigene manichäisch-apokalyptische Sicht der Dinge: Waren ihnen während des Siebenjährigen KriegesFrankreichSiebenjähriger KriegSiebenjähriger Krieg (French and Indian War) noch die Franzosen als Werkzeuge des Antichrist erschienen, so deuteten sie nun die „Privilegierung“ der katholischen Siedler in QuebecQuebec und die Bestrafung von Massachusetts durch LondonLondon als ein neues Kapitel im eschatologischen Kampf zwischen Gut und Böse, der gemäß der Offenbarung des Johannes die Wiederkehr Christi und den Beginn des Millenniums, des tausendjährigen Friedensreiches, einleitete. Damit ging auch die religiöse Klammer verloren, die englische und amerikanische Protestanten über den Atlantik hinweg zusammengehalten hatte.

 

In den Kolonien wirkten die Ängste nicht lähmend, sondern setzten zusätzliche Energien frei. Die „Aufdeckung“ der englischenGroßbritannien Machenschaften steigerte offenkundig das Selbstbewusstsein und das Machtgefühl der PatriotenPatrioten. Hatten sie zunächst nur die Befugnis des Parlaments angezweifelt, „interne“, die Selbstverwaltung der Kolonien berührende Abgaben zu erheben, so stellten sie wenig später die Geltungskraft des imperialen Steuerrechts insgesamt in Frage, um dann schließlich dem King in Parliament jegliche Gesetzgebungskompetenz abzusprechen. Die Berufung auf die Ancient Constitution und die historischen Rechte der Engländer wurde im Laufe der Debatte durch die Konzepte des Gesellschaftsvertrags und der „natürlichen Rechte“ aller Menschen ergänzt und überwölbt. Auf diese Weise gelang es, die städtischen Mittel- und Unterschichten zu mobilisieren und die Autorität von englischer Regierung und Westminster-Parlament sowie mehr und mehr auch die Zuneigung zur KroneGroßbritannien zu untergraben. Die Propaganda der Patrioten und die inkonsequente Haltung der verantwortlichen Politiker in LondonLondon entzogen überdies den Gegnern der Unabhängigkeit, den Loyalists oder – im Sprachgebrauch der Patrioten – ToriesTories, die das monarchische System und die gesellschaftliche Hierarchie als gottgegeben verteidigten, allmählich den Boden und stempelten sie zu Feinden des Volkes. Eine wachsende Zahl von Amerikanern, die den patriotischen Führern folgten, empfanden sich demgegenüber nicht mehr als Untertanen, sondern als freie Bürger, die ihr Schicksal selbst in die Hand nahmen.