Grund und Grenzen eines Marktwirtschaftsstrafrechts

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2. „Vorstrafrechtliche“ Funktion des Rechtsguts

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Die „vorstrafrechtliche“ dogmatische und systembildende Funktion des Rechtsgutsbegriffs wurde im Wirtschaftsstrafrecht bisher kaum hinterfragt. Eine protostrafrechtliche Anknüpfung des Wirtschaftsstrafrechts kann aber nur dann gelingen und zu einem schlüssigen System zusammengeführt werden, wenn die dazu notwendigen Voraussetzungen im Rahmen eines abstrakten Gedankengerüsts und Denkmodells geschaffen werden. Auffällig ist, dass die strafrechtliche Dogmatik trotz einer sich stetig schneller wandelnden „realen“ Wirtschaftswelt ihren inneren Gehalt kaum verändert oder neuen Gegebenheiten anpasst.[253] Ein solches Stagnieren der dogmatischen Grundlagen kann zur Befriedigung der realen Forderungen an das Strafrecht jedoch zusehends schlechter beitragen. In der Gesamtschau sind die Bedürfnisse, denen das Strafrecht auch in dogmatischer Hinsicht im Wirtschaftsstrafrecht nachkommen muss, unter protostrafrechtlichen Aspekten nicht hinreichend berücksichtigt worden. Zwar wurde vielfach die Forderung geäußert, das Wirtschaftsstrafrecht müsse den gewandelten gesellschaftlichen Voraussetzungen und Notwendigkeiten besser nachkommen, doch kam es auf dogmatischer Ebene vor allem bei Überlegungen zum materiellen Gehalt des Verbrechens kaum zu einer solchen Reflektion des veränderten sozialen Rahmens. Außer Frage steht dabei, dass diese Diskussion keineswegs überstürzt umfassend nachgeholt werden kann, doch ist es möglich, in einem Teilbereich damit zu beginnen.

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Als ein Ansatzpunkt soll die Befassung mit der vorstrafrechtlichen Funktion des Rechtsguts dienen. Die Funktionen des Rechtsguts werden herkömmlich nach inner- und außersystemischen Aufgaben kategorisiert, wobei diese überwiegend in „rechtlicher“ Hinsicht verstanden werden. Obwohl das Rechtsgut außersystemisch vor allem von der Kriminalpolitik als Kriterium zur Auswahl und Bestimmung strafrechtlich schutzwürdiger Güter dient und damit systemkritisch wirkt,[254] ist seine protostrafrechtliche Funktion davon zu unterscheiden. Zwar weist die vorstrafrechtliche Anbindung überwiegend außersystemische Bezüge auf, ist aber konzeptionell „vor“ der Ebene dieser beiden Funktionen zu suchen. Denn noch bevor Überlegungen über kriminalpolitische Ziele und Vorgehensweisen angestrengt und noch ehe das (straf-)rechtliche System kritisiert werden kann, gilt es zu klären, welche Ziele und Ansprüche das Strafrecht an die eigene Legitimation überhaupt haben soll. So übernimmt das Rechtsgut innersystemisch überwiegend Aufgaben, die als formell- und materiell-rechtlich bezeichnet werden können, indem es der Kategorisierung und Auslegung dient. Außersystemisch enthält es zwar durchaus Elemente, die auch auf protostrafrechtlicher Ebene zu diskutieren sind, gleichwohl wird das Rechtsgut kaum zum Gegenstand eines rein abstrakten Denkmodells gemacht, sondern vielmehr mit „rechtlichem“ und nicht selten exemplarischem Bezug im Rahmen der Kriminalpolitik diskutiert. Dabei geht unter, dass das Rechtsgut noch bevor es um die Auswahl von Gütern, die strafrechtlichen Schutz erhalten, geht und noch bevor das Rechtsgut Teil kriminalpolitischer Maßnahmen, also der Vermeidung von Rechtsgutsverletzungen wird, protostrafrechtlich dem modellartigen Hinterfragen der Strafwürdigkeit eines Verhaltens dient.

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Als allein gültiger Maßstab zur Bestimmung der Strafwürdigkeit hat sich im Zuge der Rechtsgutslehre die Gefährdung oder Verletzung eines Rechtsguts durchgesetzt. Sozialethisch zu missbilligen, also strafwürdig, ist danach nur eine gravierende Rechtsgutsverletzung, also ein Verhalten, das geeignet ist, die sozialen Beziehungen innerhalb der Rechtsgesellschaft erheblich zu gefährden oder zu schädigen.[255] Für das Vorliegen einer solch gravierenden Verletzung eines Rechtsguts genügen dabei aber nicht bloß lästige oder unerwünschte Verhaltensweisen[256], vielmehr muss das Rechtsgut Schaden nehmen. Insbesondere bei einer Verknüpfung der Wirtschaft mit dem Strafrecht ist aber zu beachten, dass der tatbestandsmäßige Erfolg nicht mit der Beeinträchtigung des geschützten Rechtsguts identisch ist[257]. Während der Erfolg „die von der Handlung raum-zeitlich getrennte Verletzung oder Gefährdung des Handlungsobjekts“ beschreibt, erfasst die „Rechtsgutsverletzung die Beziehung der tatbestandsmäßigen Handlung zu dem Achtungsanspruch des durch die Strafvorschrift geschützten Werts“[258]. Die Beurteilung eines Verhaltens nach dem auf einer konkreten Rechtsgutsschädigung beruhenden Muster hat dem Strafrecht lange Zeit gute Dienste geleistet, stößt heute aber im überwiegend regeldominierten Bereich des Wirtschaftsstrafrechts an seine Grenzen. Dort zeigt wirtschaftliches Fehlverhalten einerseits zwar noch immer Bezüge zum Rechtsgut auf, lässt einen greifbaren Schaden aber kaum feststellen, andererseits kommt es immer häufiger zu augenfälligen, ethisch aber nahezu unscheinbaren Regelverletzungen.[259] Beides lässt den durch wirtschaftliches Fehlverhalten verwirklichten Unrechtsgehalt nur schwer erkennen, weshalb die Strafwürdigkeit der Taten äußerst fraglich erscheint.[260] Da es aber nach jahrhundertelang eingeübter Dogmatik erst die Rechtsgutsverletzung ist, welche die Strafe legitimiert, hätte das Strafrecht nach dem zuvor beschriebenen Muster kein Instrument, um die Strafwürdigkeit derartiger Handlungen auszumachen, weshalb es konsequenterweise von einer Bestrafung Abstand nehmen müsste.

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In der Diskussion der Strafwürdigkeit zeigen sich zwar deutlich Tendenzen, die Anwendung des Strafrechts auf gemeinschädliches Verhalten zu beschränken, doch bestehen ebenso starke Forderungen, neu auftretenden sozialen Interessen wie beispielsweise der Funktionsfähigkeit der Wirtschaft gleichfalls strafrechtlichen Schutz zukommen zu lassen.[261] Für keine dieser Fragen lässt sich aus dem Begriff des Rechtsguts eine Antwort ableiten.[262] Vielmehr scheint es, als ob der Rechtsgutslehre bloß noch bliebe, der Realität der Strafrechtsentwicklung hinterherzulaufen.[263] Gleichwohl zeigt die Strafrechtsdogmatik nicht die geringste Ablösung von ihrer Überzeugung der Unantastbarkeit des Rechtsgutsbegriffs, sondern versucht alle Werte auf Rechtsgüter „zu trimmen“ und alle Angriffe zu Rechtsgutsgefährdungen bzw. -verletzungen zu erklären. Obwohl die Gesellschaft der Moderne ihren Mitgliedern sich ständig erweiternde und institutionalisierte Handlungsoptionen bietet und dadurch gleichzeitig anfälliger für deren mögliche Verletzungen wird,[264] verkennt die überwiegende Ansicht, dass allein der unscharfe Begriff des Rechtsguts und die Lehre von seiner Verletzung keine Legitimation für unsachgemäße strafrechtliche Reaktionen auf Fehlverhalten sein können und dürfen. Dies gilt umso mehr, als der Versuch, der Rechtsgutstheorie die Würde des Verfassungsrechts zu verleihen, als gescheitert zu betrachten ist, weshalb sie auch nicht einen vergleichbar ewiglichen Geltungsanspruch erheben kann.[265]

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Verletzungen wirtschaftlicher Strukturen führen auch zu Problemen sozialer Art, mit denen das Strafrecht umgehen muss, wobei es aber langfristig keine Erfolge erzielt, wenn es versucht, eine traditionelle Theorie nur um ihrer selbst willen zu bewahren.[266] Das Strafrecht erschöpft sich eben nicht in einem rein theoretischen Gedankenkonstrukt, sondern tritt in Fortführung dessen sehr wohl in die Realität, wo es für alle Beteiligten mit intensiven Beeinträchtigungen verbunden sein kann. Es genügt nicht, das real ausgeübte Strafrecht allein auf eine überzeugende Dogmatik aufzubauen, vielmehr muss sich diese auch immer wieder selbst dahingehend überprüfen, ob sie das Strafrecht noch seine aktuellen Verpflichtungen erfüllen lässt. Die Aufgaben des Strafrechts wachsen und verändern sich mit den sozialen Rahmenbedingungen, seine Dogmatik dagegen muss im Hintergrund vor allem Klarheit, Stabilität und Kontinuität bieten. Daher darf an dogmatischen Grundlagen nicht allein aus reiner Tradition festgehalten werden, vielmehr sind auch diese, wenn sie den gewandelten sozialen Anforderungen nicht mehr entsprechen, zu überdenken. Zuerst muss dazu erkannt werden, dass die Rechtsgutslehre die Strafrechtsdogmatik so stark beherrscht, dass alternative Strafwürdigkeitsmodelle zumindest skeptisch beobachtet werden und eine kritische Diskussion ihres Potentials nur schwerlich herzustellen ist.[267]

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Um den gegenwärtigen Entwicklungen der Gesellschaft mit ihrer steigenden sozialen Verdichtung und der Schaffung neuer, höchst komplexer Institutionen gerecht zu werden, bleibt dem Strafrecht nur, Alternativen zu den Elementen zu finden, die es lange Zeit prägten. Um wirtschaftliche Vorgänge, mithin also die Formen von fairer Kooperation, welche die Soziale Marktwirtschaft gerade ausmachen, zu erfassen und von diesen widersprechenden Verhaltensweisen zu unterscheiden, fehlt der Rechtsgutslehre jedoch die passende systematische Anknüpfungsfähigkeit.[268] Im Wirtschaftsstrafrecht muss deshalb hinterfragt werden, ob das Rechtsgut allein sinnvoller Anknüpfungspunkt zur Bestimmung der Strafwürdigkeit ist.

Teil 2 Begriff des Marktwirtschaftsstrafrechts › II › 3. Regel als Strafwürdigkeitskriterium

3. Regel als Strafwürdigkeitskriterium

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Eine für das Wirtschaftsstrafrecht praktikable Alternative zum Rechtsgut ist bei der Bestimmung der Strafwürdigkeit die Bezugnahme auf Regeln. Da das Rechtsgutsprinzip nicht in der Lage ist, alle Fragestellungen des materiellen Verbrechensbegriffs zu klären, muss seine Rolle bei der Bestimmung der Strafwürdigkeit überdacht werden.[269] So ist die Gefährdung oder Verletzung eines Rechtsguts – gegebenenfalls unter Hinzutreten bestimmter tatbestandsspezifischer Bedingungen[270] – (meist) eine hinreichende, nicht aber eine notwendige Bedingung der Pönalisierung eines Verhaltens.[271] Die Erfassung des Unrechtsgehalts wirtschaftlichen Fehlverhaltens gelingt angesichts des strafrechtlichen Verharrens zwischen oftmals eindeutigen Regelverletzungen, „die jedoch ethisch eher blass sind“, und feststellbaren Rechtsgutsbezügen, welche keinen Schaden aufweisen, nur zu zweifelhaften Bedingungen.[272] Viel zu oft bleibt unberücksichtigt, dass der Verletzung eines Rechtsguts in verschiedenen Lebensbereichen Regelsysteme gegenüberstehen, die einheitliche Wert- und Verhaltensvorstellungen enthalten. Deren Homogenität und Verwurzelung in der Gesellschaft zeigt, dass auch sie die schützenswerten sozialen Beziehungen in der Gesellschaft zum Gegenstand haben und ihre Verletzung sozialethisch zu missbilligen sein kann.

 

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Zur Bestimmung der Strafwürdigkeit stehen im Wirtschaftsstrafrecht die Regeln der jeweiligen Wirtschaftsordnung zur Verfügung. So gibt auch die Soziale Marktwirtschaft für wirtschaftliches Verhalten ein hochkomplexes Regelsystem vor, das lediglich wenig mit einem an Rechtsgütern orientierten Strafwürdigkeitsmodell gemein hat. Das Strafrecht kann genau wie seine Teilgebiete nur dann als stimmiges und in sich geschlossenes System der Sozialkontrolle funktionieren, wenn klar ist, welche Verhaltensweisen derart unerwünscht sind, dass auf sie mit strafrechtlichen Mitteln reagiert werden soll. Gibt die zu regelnde Materie aber nicht bestimmte Rechtsgüter vor, die Schutz erfahren sollen, sondern stattdessen ein Gefüge von Regeln, deren Einhaltung gesichert werden muss, ist es Aufgabe des Strafrechts, sein Strafwürdigkeitsurteil daran anzuknüpfen. Nur wenn sich das Strafrecht entsprechend an seinen Regelungsgegenstand annähert und dessen Steuerungsmechanismus aufgreift, kann es für eine sinnvolle Pönalisierung von dort auftretendem Fehlverhalten sorgen.

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Werden die dogmatischen Wesenszüge des Strafrechts jedoch nicht überprüft und entsprechend gestaltet, resultieren daraus unmittelbar mangelnde Erfolge bei der Handhabung der neuen Regelungsmaterie. Das unreflektierte Verharren am Bisherigen würde in der weiteren Entwicklung des Strafrechts zu einem Versagen in bestimmten Regelungsbereichen führen. Ein solches Unvermögen könnte sich im Rückzug des Strafrechts aus diesen Sachgebieten ausdrücken, wahrscheinlicher ist jedoch, dass der Gesetzgeber im Bestreben, eine Lösung der Problemlage herbeizuführen, in besonderem Maße aktiv wird und es so zu einer nahezu unbegrenzten Strafrechtsexpansion kommt. Die Negierung von Strafwürdigkeitsmodellen außerhalb der Rechtsgutslehre würde in jedem Fall den strafrechtlichen Anspruch auf Verhaltenssteuerung deutlich schmälern. Ein solcher Verlust des strafrechtlichen Steuerungsanspruchs kann jedoch nicht Ziel der Überlegungen sein, weshalb es Alternativen zu den bisherigen Strafwürdigkeitskriterien zu suchen und hinreichend zu legitimieren gilt. Die Anforderungen an ihre Legitimität sind dabei an den Maßstäben zu orientieren, welche an die Begründung des Rechtsguts gestellt werden. Da das Rechtsgut nicht verfassungsrechtlich verankert, sondern ein reines Produkt geistiger Überlegungen ist, erscheint es daher möglich, neue Kriterien in gleicher Weise zu entwickeln. Ist also alleinige Voraussetzung die Entwicklung eines Gedankenmodells, kann auch der Begriff der Regel und mit ihm ein Modell der Regelverletzung als Kriterium zur Feststellung der Strafwürdigkeit dienen.

Teil 2 Begriff des Marktwirtschaftsstrafrechts › III. Regelmodell des Marktwirtschaftsstrafrechts

III. Regelmodell des Marktwirtschaftsstrafrechts

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Der Begriff der Regel, oftmals auch jener der Spielregel, ist in der Fachliteratur verschiedenster Themengebiete genauso wie im Feuilleton nahezu inflationärer Verwendung ausgesetzt. In der strafrechtlichen und wirtschaftswissenschaftlichen Literatur findet sich dabei häufig die Formulierung der Spielregeln der Sozialen Marktwirtschaft. Diese werden gelegentlich zur Begründung diverser Vorgänge herangezogen, erhalten aber keine inhaltliche Erklärung. Vielmehr scheint angenommen zu werden, dass sich sowohl ihr Inhalt als auch Bedeutung und Funktion ohne Weiteres offenbaren. Kaum derart einfach dürfte sich dagegen die Rolle der Regel in der Sozialen Marktwirtschaft erschließen, insbesondere dann, wenn diese als Kriterium zur Bestimmung der Strafwürdigkeit dienen soll. Daher bedarf der Begriff der in der Sozialen Marktwirtschaft geltenden Regel einer eingehenden Untersuchung auf Inhalt, Bedeutung und Funktion. Begonnen werden kann dabei mit der auffälligen Nähe des Begriffs zur Spielregel und den Assoziationen zum Spiel[273].

Teil 2 Begriff des Marktwirtschaftsstrafrechts › III › 1. Grundzüge des Regelmodells

1. Grundzüge des Regelmodells

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Phänomene wie Kooperation, Korruption, Wettbewerb, Kampf und Konflikt lassen sich im Spiel und im gesellschaftlichen Leben finden.[274] Ohne bestimmte Regeln, welche die Handlungen der jeweiligen Teilnehmer lenken, wäre keine dieser Möglichkeiten des Miteinanderlebens vorstellbar.[275] Regeln treten dabei in verschiedenen Formen und unterschiedlichen Funktionen auf, indem sie eine bestimmte Praxis definieren, Pflichten auferlegen, festlegen, wie bestimmte Handlungen durchgeführt oder bestimmte Dinge getan werden.[276] Daneben gibt es aber auch Regeln, die nicht nur regulativ in Prozesse eingreifen, sondern auch selbst Formen des Verhaltens erzeugen bzw. prägen.[277] So erfordert jedes Spiel, auch das gegeneinander gespielte, also antithetische, dass die Spieler das Spiel miteinander spielen.[278]

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Als einer Tätigkeit, die allein zum Zweck der Vergnügung, zur Erholung oder aus Freude an der bloßen Verrichtung und oft zusammen mit anderen ausgeführt wird, liegen dem Spiel konkret bestimmte Handlungsabläufe zugrunde.[279] Spielregeln schaffen dabei nicht selten erst die Möglichkeit, ein Spiel überhaupt zu spielen.[280] Aus diesen kann sich besonders in der Gemeinschaft eine Vielfalt an Regeln ergeben, die aus der Art des Spiels oder dem Wunsch des Interagierens der Mitspieler untereinander konstitutiv hervorgehen und bestimmte Verhaltensweisen und Praxen definieren.[281] Derartige, oftmals für ein Spiel konstitutive, Regeln sind insbesondere dann von Bedeutung, wenn das Spiel in einem Wettkampf um die beste Leistung besteht und es einen Sieger zu ermitteln gilt. Diesem Leistungswettkampf entspricht im Bereich der Wirtschaft der Wettbewerb, wobei die spezifischen Regeln in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur oftmals als Institutionen bezeichnet werden.[282] Institutionen würden zwar das menschliche Verhalten stets beschränken, doch gleichzeitig Anreize zu sozialer, politischer oder ökonomischer Interaktion setzen.[283]

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Der Wettbewerb zeichnet sich gerade dadurch aus, dass am Markt möglichst viele Wirtschaftssubjekte mit ihren individuellen Zielen teilnehmen. Kulturell akzeptiert ist dabei, dass Wirtschaftsunternehmen mehrheitlich nahezu ausschließlich oder zumindest hauptsächlich das Ziel verfolgen, ihren Gewinn zu maximieren.[284] Ebenso toleriert wird, dass beim Streben der Marktakteure nach der besten Kosten-Nutzen-Bilanz der höhere Zielerreichungsgrad eines Akteurs einen niedrigeren Zielerreichungsgrad des Konkurrenten zur Folge hat. Gleiches gilt für das Erreichen der Marktführerschaft, welche aufgrund der dazu nötigen besonderen Kompetenz im jeweiligen Marktsegment grundsätzlich akzeptiert wird. Die Gesellschaft billigt und wünscht, dass die Unternehmen im Wettbewerb antreten, um einen Sieg über die Konkurrenz zu erringen, da auf diese Weise die Konsumenten von dazu notwendigen innovativen Leistungen sowie verbesserter Qualität profitieren, wobei gleichzeitig den Unternehmen durch die erzielten Gewinne neue Investitionen und die Einführung von Neuerungen möglich gemacht werden. Während es also den Wirtschaftsunternehmen überlassen ist, sich die Ziele ihrer wirtschaftlichen Betätigung zu suchen, sind die Mittel, welche ihnen zur Erreichung dieser Pläne zur Verfügung stehen, keineswegs beliebig wählbar. Denn obwohl die Unternehmen dem ständigen Druck möglicher Wissensvorsprünge der Konkurrenz ausgesetzt sind, gesteht ihnen die Wirtschaftsordnung nur bestimmte Maßnahmen im Wettbewerb zu, die keineswegs alle denkbaren Mittel zur Zielerreichung umfassen. Begrüßt und bewundert wird von der Gesellschaft derjenige, der auf „ehrliche Weise“ zum Beispiel schneller als die Konkurrenz neue Produkte entwickelt und einführt, qualitativ hochwertigere Güter herstellt oder preisgünstigere Produkte anbietet und deshalb am Markt am erfolgreichsten ist, nicht jedoch derjenige, der manipuliert, korrumpiert, trickst, fälscht, stiehlt oder betrügt.

Teil 2 Begriff des Marktwirtschaftsstrafrechts › III › 2. Regeln als Ausdruck gesellschaftlicher Wert- und Verhaltensvorstellungen

2. Regeln als Ausdruck gesellschaftlicher Wert- und Verhaltensvorstellungen

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In wenigen Festlegungen drücken sich die Wert- und Verhaltensvorstellungen einer Gesellschaft so stark aus wie in der Wahl einer Wirtschaftsordnung. Neben der Entscheidung für eine Methode zur Erreichung der optimalen Güterallokation werden dabei deren Voraussetzungen bestimmt und gegebenenfalls Maßnahmen beschlossen, um diese herzustellen und zu sichern. Mit der Wahl einer Wirtschaftsordnung sowie der Vorgabe ihrer Voraussetzungen und Charakteristika entsteht gleichzeitig die Notwendigkeit, diese zu schaffen und dauerhaft zu erhalten, denn anders wäre die Funktionsfähigkeit des gewählten Systems weder hergestellt noch gewährleistet. Bei der Wahl einer Wirtschaftsordnung wird also nicht nur darüber entschieden, welche Werte anzustreben und wie diese zu erreichen sind, sondern gleichzeitig auch, welche Ziele und Verhaltensweisen als unerwünscht bezeichnet werden. Dabei ist die Definition der erwünschten Ergebnisse von der Gesellschaft eng mit Vorschriften und Normen verknüpft, welche die dafür geltenden Verhaltensregeln enthalten.[285] Ohne Regeln könnten beispielsweise weder willkommene noch unerwünschte Verhaltensweisen überhaupt kategorisiert werden, weshalb vor jeder Handlung bereits eine Regel existiert[286]. Diese Regeln, welche letztlich der Erhaltung der Funktionsfähigkeit einer Wirtschaftsordnung dienen, sind ihr also immanent.

Teil 2 Begriff des Marktwirtschaftsstrafrechts › III › 3. Regeln der Sozialen Marktwirtschaft