Das Hochschulrecht in Baden-Württemberg

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Prof. Dr. Claus Eiselstein

1. Kapitel Rechtsgrundlagen für die Hochschulen
in Baden-Württemberg

A.Europarecht und Völkerrecht42 – 61

I.Rang und Wirkung von Europa- und Völkerrecht46 – 50

1.Europarecht46 – 49

2.Völkerrecht50

II.Die Hochschulpolitik der Union51 – 57

1.Zuständigkeiten für allgemeine und berufliche Bildung (Art. 165 und 166 AEUV)51

2.Bildungspolitische Maßnahmen im Hochschulbereich52 – 54

3.Regelungen zur Anerkennung von Diplomen und sonstigen Bildungsabschlüssen55 – 57

III.Die Forschungspolitik der Union58, 59

IV.Recht des Europarats und Völkerrecht60, 61

B.Bundesrecht62 – 87

I.Grundgesetz64 – 84

1.Grundrechte64 – 77

a)Allgemeines64, 65

b)Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 III 1 GG)66 – 70

c)Kunstfreiheit71 – 73

d)Sonstige Grundrechte (insbes. Art. 12 I GG)74, 75

e)Beamtenrecht (Art. 33 GG)76, 77

2.Bundesstaatliche Kompetenzordnung78 – 84

a)Der Grundsatz: Hochschulwesen als Sache der Länder78

b)Art. 74 I Nr. 33 GG: Hochschulzulassung und Hochschulabschlüsse79, 80

c)Art. 74 I Nr. 13 GG: Ausbildungsbeihilfen und Förderung der wissenschaftlichen Forschung81

d)Art. 74 I Nr. 27 GG: Statusrechte und -pflichten der Landesbeamten82, 83

e)Art. 91b I GG: Zusammenwirken bei Förderung von Wissenschaft und Forschung und zur Feststellung der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens84

II.Bundesgesetze85 – 87

1.Hochschulrahmengesetz85

2.Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG)86

3.Beamtenrecht87

C.Vereinbarungen zwischen Bund und Ländern88 – 93

I.Kultusministerkonferenz (KMK)89, 90

II.Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLK) und Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK)91, 92

III.Wissenschaftsrat (WR)93

D.Landesrecht94 – 114

I.Landesverfassung94 – 102

1.Überblick: Das Hochschulwesen als Gegenstand der Landesverfassung94, 95

2.Einzelne Vorschriften96 – 102

a)Art. 85 LV: Bestandsgarantie für Hochschulen und Art. 20 LV96 – 98

b)Art. 10 LV: Theologische Fakultäten99, 100

c)Art. 19 LV: Lehrerausbildung101

d)Art. 11 LV: Recht auf Bildung102

II.Landesgesetze103 – 109

1.Geschichtliche Entwicklung103 – 108

2.Geltende Rechtslage109

III.Hochschulsatzungen (Grundordnungen)110, 111

IV.Nichtstaatliche Hochschulen112 – 114

Inhaltsverzeichnis

A. Europarecht und Völkerrecht

B. Bundesrecht

C. Vereinbarungen zwischen Bund und Ländern

D. Landesrecht

40

Das Hochschulrecht ist in Deutschland nach dem Grundgesetz Sache der Länder. Die Zuständigkeit für die Hochschulen als Teil der umfassenderen Kulturhoheit bildet einen zentralen Teil der Staatlichkeit der Länder und trägt damit zu Ihrem Selbstverständnis und zur Identifikation der Bürger mit „ihrem“ Land bei.[1] Eine erfolgreiche Hochschulpolitik ist darüber hinaus ein wesentlicher Standortfaktor. Sie ermöglicht den ansonsten nur mit begrenzten Handlungsmöglichkeiten ausgestatteten Ländern in einem wichtigen Feld eigenständig zu entscheiden und das Wohl ihrer Bürger, aber auch des ganzen Landes voranzubringen. Hochschul- und Schulhaushalt bilden einen Hauptteil der Landesbudgets.[2] Nicht ohne Grund sind Erfolge der Hochschulen in Wettbewerben, Rankings etc. für die jeweiligen Länder Prestigesache, aber auch ganz konkrete Argumente im Wettbewerb der Standorte.

41

Dennoch sind die Länder nicht völlig frei in der Ausgestaltung des Hochschulwesens. Wie in viele andere Bereiche dringt das Europarecht auch in dieses Tätigkeitsfeld vor, während das Völkerrecht sich eher zurück hält (A). Daneben sind – auch nach der Föderalismusreform von 2006 und in letzter Zeit als Gegenbewegung wieder zunehmend –Bundeskompetenzen bzw. -finanzierungen und natürlich nicht zuletzt die grundrechtlichen Vorgaben zu beachten (B). Schließlich zwingen schon rein praktische Erwägungen zur Koordination mit anderen Ländern und dem Bund (C). Das vorliegende Kapitel möchte insoweit eine Orientierung geben. Abgerundet wird es durch Ausführungen zu den in der Landesverfassung Baden-Württembergs enthaltenen Rahmenbedingungen und generell zum Landesrecht (D).

1. Kapitel Rechtsgrundlagen für die Hochschulen in Baden-Württemberg › A. Europarecht und Völkerrecht

A. Europarecht und Völkerrecht

42

 

Nach dem den Römischen Verträgen zu Grunde liegenden funktionellen Ansatz der wirtschaftlichen Integration i.V.m. dem Grundsatz der begrenzten (Einzel-)Ermächtigung[3] besteht zunächst einmal keine Kulturkompetenz der Union und auch nur eine teilweise Zuständigkeit für das Bildungs- und speziell das Hochschulwesen. Dennoch greift (und griff auch schon von Anbeginn an) ein solcher restriktiver Ansatz zu kurz. So enthielt der EWG-Vertrag schon ursprünglich eine Zuständigkeit für die berufliche Bildung (unter die die Hochschulausbildung mitunter subsumiert wurde; Art. 150 EGV, jetzt 166 AEUV). Art. 47 EGV (jetzt 53 AEUV) enthielt eine Zuständigkeit für die Anerkennung der Hochschulabschlüsse. Außerdem vertrat und vertritt der EuGH in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass allgemeine Regeln des Vertrags (z.B. die Grundfreiheiten, das Diskriminierungsverbot) auch auf Bereiche ausstrahlen, in denen keine Regelungskompetenz der Union besteht.[4]

43

Zum andern wirkt sich das Hochschulwesen unbestreitbar auf das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes aus, so dass über Art. 114 und 115 dem Grunde nach eine Rechtsangleichungskompetenz eröffnet sein kann. Es ist einsichtig, dass z.B. der Zugang (der Arbeitnehmerkinder) zur Hochschulbildung für die Ausübung der Freizügigkeit durch ihre Eltern von Bedeutung ist. Ebenso steht außer Zweifel, dass Vergleichbarkeit und gegenseitige Anerkennung von Hochschulabschlüssen eine wesentliche Voraussetzung für die Ausübung von Grundfreiheiten (Freizügigkeit, Niederlassung, Erbringung von Dienstleistungen) ist.[5] Eine gemeinsame Forschungspolitik schließlich ist eine fast zwangsläufige Voraussetzung für das technologische Schritt halten des Gemeinsamen Marktes mit seinen Konkurrenten weltweit.

44

Vor diesem Hintergrund hat die Union seit Anbeginn vielfältige Aktivitäten entfaltet. Die verschiedenen Vertragserweiterungen haben ihre ausdrücklichen Kompetenzen zudem schrittweise erweitert (Forschungspolitik durch die Einheitliche Europäische Akte (EEA), jetzt Art. 179 ff. AEUV; Bildungspolitik Art. 149, 150 seit dem Maastricht-Vertrag, jetzt Art. 165, 166 AEUV). Zunächst fasste sie Entschließungen, legte Aktions- und Förderprogramme auf, errichtete einen Ausschuss für Bildungsfragen etc. Von besonderer Bedeutung waren die Diplomanerkennungs-RL von 1989[6] und die Berufsanerkennungsrichtlinie[7] von 2005, darüber hinaus die Aktivitäten im Rahmen des sog. Bologna-Prozesses zur Harmonisierung und Qualitätsverbesserung der Hochschulausbildung[8] und die Schaffung eines Europäischen Hochschulraumes. Im Forschungsbereich haben nunmehr sieben Forschungsrahmenprogramme und seit 2014 das Programm Horizon 2020 erheblich zur Verbesserung der Forschungslandschaft beigetragen.[9] Eine gewisse Tendenz zur Ausweitung dieser Aktivitäten auf Themen der allgemeinen Bildung war in der Vergangenheit aber auch spürbar.[10]

45

Aus dem völkerrechtlichen Umfeld zu nennen sind insbesondere die Europaratskonventionen zur Mobilität von Studenten und Wissenschaftlern,[11] die Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und der Europäischen Sozialcharta sowie der Internationale Pakt vom 19. Dezember 1966 über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Nicht im rechtlich-verbindlichen Sinne aber doch von großer Bedeutung für die praktische Politik sind darüber hinaus die Aktivitäten der OECD, die im Rahmen von Berichten, Analysen, Benchmarks u.a. den Staaten bildungspolitisch „den Spiegel vorhält“ und sie somit faktisch zu Aktivitäten zwingt.[12]

1. Kapitel Rechtsgrundlagen für die Hochschulen in Baden-Württemberg › A. Europarecht und Völkerrecht › I. Rang und Wirkung von Europa- und Völkerrecht

I. Rang und Wirkung von Europa- und Völkerrecht

1. Europarecht

46

Sowohl das Primärrecht (insbesondere die Gründungsverträge) wie das Sekundärrecht (Verordnungen, teilweise Richtlinien) der EU genießen unmittelbare Wirkung[13] sowie Anwendungsvorrang[14] vor allem nationalen Recht, einschließlich der Verfassungen, also in Deutschland auch vor dem Grundgesetz und den Landesverfassungen. Seit den grundlegenden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum Maastricht-Vertrag[15] und zur Bananenmarktordnung[16] steht fest, dass das Gericht bis auf weiteres eine Vereinbarkeit europäischen Rechts mit dem Grundgesetz nicht prüfen wird, so lange und soweit die Europäische Union insgesamt einen Standard von Grundrechten und weiteren Verfassungsgewährleistungen (z.B. Demokratie, Rechtsstaatlichkeit) einhält, der dem des Grundgesetzes entspricht. Anderenfalls wäre die Übertragung von Hoheitsbefugnissen nach Art. 23 i.V.m. 79 III GG nicht (mehr) zulässig und die Mitgliedschaft der Bundesrepublik generell in Frage zu stellen.

47

Unionsrecht, welches nicht vom Zustimmungsgesetz gedeckt, also ultra vires ist, kann diese Vorrangwirkung freilich nicht beanspruchen, jedoch ist auch hierbei zu beachten, dass der EuGH selbst zunächst die Kompetenz der Union zum Erlass des Rechtsaktes prüft. Bei schwer wiegenden Verstößen gegen den Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung freilich dürfte auch eine Nichtberücksichtigung trotz eines entgegen stehenden Urteils des EuGH zulässig sein,[17] desgleichen bei denkbaren Verstößen gegen die Identität des Grundgesetzes.[18]

48

Darüber hinaus sind die Mitgliedstaaten über Art. 4 III EUV verpflichtet, die Durchführung gemeinsamer Politiken und allgemein das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes nicht zu behindern, sondern im Gegenteil aktiv zu einem Erfolg des Integrationsprozesses beizutragen.[19] Dies beinhaltet auch jenseits der Rechtsangleichung die konstruktive Teilnahme an europäischen Maßnahmen und Programmen. So müssen sie Interessierten die Teilnahme an Unionsprogrammen (z.B. Forschungsrahmenprogramm) ermöglichen, die erforderlichen Strukturen schaffen und ggf. Kosten tragen.

49

Die genannten Verpflichtungen treffen im Rahmen ihres Zuständigkeitsbereichs auch die Länder sowie sonstige Einrichtungen, die hoheitlich handeln (also auch Gerichte, Körperschaften, insbesondere auch Hochschulen). Werden sie nicht eingehalten, macht sich der Mitgliedstaat Bundesrepublik einer Vertragsverletzung schuldig,[20] was erhebliche Sanktionen aber auch Schadensersatzforderungen der Bürger[21] nach sich ziehen kann. Nach den Vereinbarungen zur Föderalismusreform von 2006 belasten evtl. Strafzahlungen und Schadensersatzleistungen schwerpunktmäßig das verursachende Land[22] (auch wenn es selbst gar keine Handlungsmöglichkeiten hat wie z.B. bei der Entscheidung eines unabhängigen Gerichts).

2. Völkerrecht

50

Normen des Völkerrechts wie der Menschenrechtspakt, aber auch die Konventionen des Europarats sind gemäß Art. 59 II GG durch Transformation Gesetze im formellen Sinne. Sie binden zwar die staatlichen Organe, haben aber nicht die besondere Stellung, insbesondere den Anwendungsvorrang und die unmittelbare Wirkung des EU-Rechts.

1. Kapitel Rechtsgrundlagen für die Hochschulen in Baden-Württemberg › A. Europarecht und Völkerrecht › II. Die Hochschulpolitik der Union

II. Die Hochschulpolitik der Union

1. Zuständigkeiten für allgemeine und berufliche Bildung
(Art. 165 und 166 AEUV)

51

Seit dem Vertrag von Maastricht bilden die Art. 149 und 150 EGV und jetzt die fast inhaltsgleichen Art. 165 und 166 i.V.m. 6 Buchst. e AEUV die Grundlage der Bildungspolitik der Union, wobei Art. 166 die berufliche und Art. 165 die allgemeine Bildung umfasst und auch Bezug auf die Hochschulbildung nimmt. Damit dürfte geklärt sein, dass die Hochschulbildung unter Art. 165 zu subsumieren ist, auch wenn ihr ein starker Bezug zur Berufsausbildung innewohnt. Noch im Gravier-Urteil[23] war herauszulesen gewesen, dass das Hochschulstudium Berufsausbildung i.S.d. Art. 127 alt sein könnte.[24] Freilich sind die praktischen Auswirkungen dieser Einordnung eher gering, da in beiden Vorschriften auf die strikte (sic!) Beachtung der Verantwortung der Mitgliedstaaten hingewiesen und eine Harmonisierung ihrer Rechts- und Verwaltungsvorschriften ausdrücklich ausgeschlossen wird. Hinzu kommt, dass über Art. 53 eine ausdrückliche Harmonisierungskompetenz für Bildungsabschlüsse gewährt wird und selbstverständlich auch im Bildungsbereich Harmonisierung über Art. 114 möglich bleibt. Zudem sind Bildungsangebote als Dienstleistungen und Studierende somit als Nutznießer der passiven Dienstleistungsfreiheit zu qualifizieren. Neben dem eigentlichen Hochschulstudium machen die Hochschulen weitere Angebote, die ohne Zweifel der beruflichen Bildung zuzurechnen sind (z.B. berufliche Weiterbildung, Kontaktstudiengänge u.ä.).

2. Bildungspolitische Maßnahmen im Hochschulbereich

52

Die Union trägt nach Art. 165 I AEUV zur Entwicklung einer „qualitativ hoch stehenden Bildung“ bei. Sie fördert die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und unterstützt sie erforderlichenfalls, vor Allem durch Fördermaßnahmen und Empfehlungen (Art. 165 IV). Dabei sind aber die kulturelle Vielfalt sowie die originäre Zuständigkeit der Mitgliedstaaten zu achten. Eine Konkretisierung dieser eher allgemeinen Ziele erfolgt in Absatz 2: So soll eine europäische Dimension im Bildungswesen erreicht werden, wozu in erster Linie Fremdsprachenkenntnisse verbessert werden sollen. Weiter erwähnt werden die Förderung der Mobilität von Lernenden und Lehrenden, die akademische Anerkennung der Diplome und Studienzeiten, die Zusammenarbeit zwischen den Bildungseinrichtungen und der Informations- und Erfahrungsaustausch.

53

Angesichts des Ausschlusses der Rechtsharmonisierung bleibt die Union somit weitgehend auf finanzielle Förderung sowie sonstige koordinierende Maßnahmen (Berichte, Studien etc.) beschränkt.[25] Auf Art. 165 beruhten demgemäß die bekannten Austauschprogramme wie SOKRATES mit seinen Teilen ERASMUS und LINGUA,[26] ERASMUS MUNDUS,[27] TEMPUS[28] u.a.m. Diese Programme gingen 2014 in ERASMUS+ auf. Das Programm dauert von 2014 bis 2020 und vereinigt alle derzeitigen EU-Programme für allgemeine und berufliche Bildung, Jugend und Sport auf europäischer und internationaler Ebene und vereinfacht teilweise ihre Handhabung.[29] Nach Art. 165 III besteht weiterhin eine Zuständigkeit der Union für die Zusammenarbeit mit dritten Staaten.

54

Von besonderer Bedeutung ist der von der Union angestoßene sog. Bologna-Prozess. Auf der Basis einer am 19.6.1999 von 29 europäischen Bildungsministern in Bologna unterzeichneten Erklärung werden seither verschiedene Ziele verfolgt, wie z.B. die Einführung des zweistufigen Bachelor-/Master-Systems, die Zusammenarbeit im Bereich der Qualitätssicherung, Evaluierung und Akkreditierung oder die Einführung eines Leistungspunktsystems nach dem ECTS-Modell.[30] Die mittlerweile 47 an dem Prozess teilnehmenden Staaten verfolgen so eine Stärkung der europäischen Dimension in der Hochschulbildung, eine Verbesserung der Mobilität und eine Steigerung der Attraktivität der europäischen Hochschulen, konkret die Schaffung eines europäischen Hochschulraumes. Eine enge Zusammenarbeit mit dem europäischen Forschungsraum wird angestrebt. In Deutschland hat die Umsetzung des Bologna-Prozesses vor allem zur zunehmenden Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen[31] und zur Institutionalisierung der Qualitätssicherung geführt.[32]

3. Regelungen zur Anerkennung von Diplomen und sonstigen Bildungsabschlüssen

55

Die europaweite Anerkennung ausländischer Diplome ist eine konstitutive Voraussetzung für das Funktionieren der Personenverkehrsfreiheiten (Freizügigkeit der Arbeitnehmer – Art 45, Niederlassungsfreiheit – Art. 49 und Dienstleistungsfreiheit – Art. 56). Es ist unmittelbar einsichtig, dass niemand von diesen Freiheiten Gebrauch machen würde, müsste er oder sie erst noch das Diplom des Gaststaates erwerben.[33] Schon die ständige Rechtsprechung des EuGH zum Behinderungsverbot[34] müsste dazu führen, dass ausländische Abschlüsse – inhaltliche Gleichwertigkeit vorausgesetzt – europaweit anzuerkennen wären. Allerdings würde eine nur grundsätzlich statuierte Anerkennungspflicht angesichts des Dickichts europäischer Ausbildungs- und Berufszulassungsvorschriften rein praktisch unüberwindbare Hindernisse aufstellen und den einzelnen Mitgliedstaaten Raum lassen, wirkliche oder nur behauptete Defizite in der Ausbildung zum Anlass für die Behinderung der Freiheitsausübung zu machen. Bereits die Gründungsväter der EG haben, dies voraussehend, deshalb in Art. 53 AEUV eine entsprechende Kompetenz vorgesehen, die nicht zuletzt auch der Transparenz und Rechtssicherheit dienen soll.

 

56

Zur Umsetzung dieses Ziels hat die damalige EG zunächst (in den Siebziger- und Achtzigerjahren) den Weg beschritten, einzelne Berufe und Abschlüsse auf der Basis standardisierter Ausbildungsgänge zu harmonisieren.[35] Allerdings erwies sich dieser Weg als nicht praktikabel,[36] so dass Ende der Achtzigerjahre ein neuer Weg beschritten wurde. Anknüpfend nicht mehr an europaweit einheitliche Studienordnungen sondern an die Anerkennung des wechselseitigen Niveaus und der erreichten Kompetenz ergingen drei Anerkennungsrichtlinien,[37] von denen die hier einschlägige Diplomrichtlinie im Prinzip eine Anerkennung für den Fall eines mindestens dreijährigen Vollzeitstudiums auf Hochschulniveau vorsah. Ein Gemeinschaftsbürger musste danach in jedem Mitgliedstaat zur Berufsausübung zugelassen werden, wenn er die Zulassungsvoraussetzungen in (nur) einem Mitgliedstaat erfüllte. Weitere Voraussetzungen (Anpassungslehrgänge, zusätzliche Prüfungen etc.) konnten nur vorgeschrieben werden, wenn tatsächliche Defizite vorhanden waren.[38]

57

Im Jahre 2005 schließlich vollendete die EU ihren umfassenden Ansatz mit der Berufsanerkennungsrichtlinie,[39] die nunmehr für alle reglementierten beruflichen Tätigkeiten gilt. Sie geht vom Prinzip der gegenseitigen Anerkennung der Abschlüsse aus und definiert für bisher nicht spezifisch erfasste Berufe fünf verschiedene Kompetenzniveaus, denen bestimmte berufliche Anforderungen zugeordnet sind, für die dann die europaweite Anerkennung gilt.[40] Hochschulausbildungen sind danach auf dem vierten oder fünften Niveau angesiedelt. Nach der Umsetzung (Fristende Oktober 2007) traten die o.g. speziellen Richtlinien außer Kraft.[41] Unterstützt werden soll dieser Prozess durch die Aufstellung eines „Europäischen Qualifikationsrahmens (EQR)“ dem entsprechend nationale Qualifikationsrahmen gegenüber gestellt werden sollen. Im Jahre 2013 wurde die Berufsanerkennungsrichtlinie modernisiert, u.a. durch die Einführung eines europäischen Berufsausweises für bestimmte reglementierte Berufe.[42]

1. Kapitel Rechtsgrundlagen für die Hochschulen in Baden-Württemberg › A. Europarecht und Völkerrecht › III. Die Forschungspolitik der Union

III. Die Forschungspolitik der Union

58

Der Forschungspolitik ist ein eigener, umfänglicher Titel des AEUV gewidmet. Nach Art. 179 ist Ziel, die technologischen Grundlagen der Industrie zu stärken und die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu fördern. Damit knüpft sie direkt an die wirtschaftlichen Ziele des Binnenmarktes an. Adressaten sind Unternehmen, Forschungszentren und Hochschulen. Durchgängiges Förderprinzip ist die Unterstützung grenzüberschreitender Kooperationen sowie die Anwendungsorientierung. Die Union strebt die Gründung eines Europäischen Forschungsraumes an.[43]

59

Seit 1984 werden Ziele, Prioritäten und Finanzvolumen in mehrjährigen Förderprogrammen (sog. Forschungsrahmenprogramme, zuletzt galt das 7. FRP) und seit 2014 mit dem neuen Programm Horizon 2020 mit einem Volumen von rund 80 Mrd. Euro, (Art. 182) festgelegt.[44] Letzteres fördert Projekte aus den Bereichen Wissenschaftsexzellenz, Industrie und Gesellschaftliche Herausforderungen. Auch die Gründung gemeinsamer Unternehmen ist möglich. Zur Unionszuständigkeit gehört ebenso der Abschluss internationaler Abkommen. Auf der Basis eines Kommissionsvorschlags vom Frühjahr 2005 wurde ein Europäisches Technologieinstitut (EIT) mit Sitz in Budapest gegründet, das als virtuelles Institut die verschiedenen Forschungsbereiche zu Exzellenzzentren zusammenführen soll.[45] Für die Hochschulen stellen die Mittel aus den Forschungsprogrammen eine nicht unerhebliche Einnahmequelle dar. Gemäß Art. 4 III EUV muss ihnen staatlicherseits die Möglichkeit gegeben werden, Zugang zu solchen Quellen zu erhalten.

1. Kapitel Rechtsgrundlagen für die Hochschulen in Baden-Württemberg › A. Europarecht und Völkerrecht › IV. Recht des Europarats und Völkerrecht