Das Hochschulrecht in Baden-Württemberg

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(4) Abwahl eines Mitglieds des Rektorats durch die Gruppe der Hochschullehrer (§ 18a LHG)

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Mit dem durch das HRWeitEG von 2018 neu in das LHG eingefügten § 18a wurde zusätzlich zu der Möglichkeit einer vorzeitigen Beendigung der Amtszeit eines Rektoratsmitglieds durch Senat, Hochschulrat und Wissenschaftsministerium auch noch die Möglichkeit der Abwahl eines Rektoratsmitglieds ausschließlich durch die Gruppe der Hochschullehrer geschaffen. Eine vergleichbare Regelung gibt es bisher im deutschen Hochschulrecht nicht. Es drängt sich damit die Frage auf, warum ausgerechnet in einer Zeit, in der die Wissenschaftsfreiheit so wenig gefährdet ist, wie heute, eine solche Regelung als verfassungsrechtliche Notwendigkeit unterstellt wird. Im Gesetzentwurf der Landesregierung wird der eigentliche Anlass für diese Neuregelung auch benannt; mit der Regelung soll „dem Verlangen des Verfassungsgerichtshofs für das Land Baden-Württemberg Rechnung“ getragen werden, „dass die Gruppe der Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer sich ohne Mitwirkung anderer Gruppen oder weiterer Beteiligter von einem Rektoratsmitglied, das ihr Vertrauen nicht mehr genießt, trennen können muss“.[353] Allerdings bezieht sich diese Forderung des VerfGH BW[354] in seiner Entscheidung vom 14.11.2016 nicht auf die Gesamtheit der Hochschullehrer, sondern auf die „ in ein Selbstverwaltungsorgan gewählten Vertreter der Hochschullehrer …“..[355] Bei der Größe des Senats würde die Forderung des VerfGH BW allerdings bedeuten, dass eine kleine Zahl von Hochschullehrern, die sich etwa in der Größenordnung zwischen zehn und 25 bewegt, über die Abwahl eines Rektoratsmitglieds zu entscheiden hätte, während die Vertreter der anderen Gruppen, die – je nach Größe der Hochschule – bis zu 30 000 oder mehr Mitglieder repräsentieren, keine Rolle spielen würden. Dass ein solches Verfahren nur noch wenig mit dem Modell einer Gruppenhochschule zu tun hat, liegt auf der Hand.

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Die starke Rolle, die der VerfGH BW in seiner Entscheidung den Hochschullehrern zuschreibt, ist für sich gesehen eine denkbare Organisationsvariante für ein Hochschulmodell. Der Gesetzgeber kann das so regeln. Das eigentliche Problem liegt darin, dass das Modell dem Gesetzgeber aufgezwungen wird und sich von dem Modell der Gruppenhochschule, das vom BVerfG im Hochschulurteil als verfassungsgemäß anerkannt wurde, stark entfernt. Die Gruppe der Hochschullehrer erhält ein dominantes Eigengewicht, das sie nach der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG so nicht hatte und für das es auch keine aus der Verfassung sich ableitende Notwendigkeit gibt. Das wird deutlich, wenn man die Entscheidung des VerfGH BW mit der Rechtsprechung des BVerfG vergleicht. Als Referenz für die in Leitsatz 5 besonders herausgehobene These, die Vertreter der Hochschullehrer müssten sich von einem Mitglied des Leitungsorgans, das ihr Vertrauen nicht mehr genießt, trennen können, „ohne im Selbstverwaltungsgremium auf eine Einigung mit den Vertretern anderer Gruppen und ohne auf die Zustimmung eines anderen Organs oder des Staates angewiesen zu sein“, nimmt der VerfGH BW auf zwei Entscheidungen des BVerfG Bezug,[356] aus denen sich eine derart weitreichende Aussage überhaupt nicht ergibt. Es wird mit dem Zitat der Eindruck einer Kontinuität der Rechtsprechung suggeriert, die so nicht besteht. In der einen Entscheidung (BVerfGE 127, 87) wird nur die Entscheidungskompetenz des Fakultätsrats zur Abwahl des Dekans behandelt. Von einem eigenständigen Abberufungsrecht der Hochschullehrer im Fakultätsrat ist nicht die Rede. In der anderen Entscheidung (BVerfGE 136, 338) ging es entscheidend um die Frage, ob neben dem Erfordernis einer Mehrheit von drei Vierteln der Senatsmitglieder auch noch ein wichtiger Grund vorliegen muss, um beim Fachministerium die Entlassung des Vorstandsmitglieds beantragen zu können. Ein selbstständiges Abberufungsrecht der Hochschullehrer im Senat wird auch in dieser Entscheidung nicht gefordert. Der VerfGH BW beruft sich also auf zwei Entscheidungen des BVerfG, die die ausufernde Auslegung der Partizipationsrechte der Gruppe der Hochschullehrer in dieser Weise gar nicht vertreten haben.

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Die in § 18a LHG geschaffene Abwahloption weicht von der Forderung des Gerichts in der Weise ab, dass sie die Entscheidungskompetenz nicht auf die Vertreter der Hochschullehrergruppe im Senat begrenzt, sondern auf alle Hochschullehrer ausdehnt. Im Ergebnis ist das die wesentlich konsequentere Lösung, ändert aber nichts an der grundsätzlichen Bewertung, dass das Sonderrecht einer Mitgliedergruppe zur Abwahl von Rektoratsmitgliedern einen Systembruch bedeutet. Neben den gewählten Organen entsteht so in Gestalt der Gruppe der Hochschullehrer ein zusätzlicher Entscheidungsträger, der das Modell der Gruppenhochschule stark verändern kann. Wenn dieser Trend der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung sich fortsetzt, ist mit einer wachsenden Erosion des Modells der Gruppenhochschule zu rechnen. Die Voraussetzungen dafür wurden bereits durch den Verzicht auf jede Differenzierung bei der Auslegung des Begriffs der „wissenschaftsrelevanten Angelegenheiten“ geschaffen. Damit besteht die Möglichkeit, überall eine strukturelle Gefährdung der Wissenschaftsfreiheit zu konstatieren und entsprechende Kompensationen zugunsten der Hochschullehrer als Träger der Wissenschaftsfreiheit einzufordern[357] (s.o. Rn. 145 ff., 150). Mit dem Verständnis von Wissenschaftsfreiheit in der , Gruppenhochschule, wie es das Hochschulurteil des BVerfG[358] entwickelt hat, hat das nur noch wenig zu tun.

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Zur Abwahl eines Rektoratsmitglieds nach § 18a I 1 und 3 LHG legitimiert sind die wahlberechtigten Mitglieder der Gruppe der Hochschullehrer entsprechend § 10 I 2 Nr. 1 LHG. Den Grund für die vorzeitige Beendigung liefert die gesetzliche Regelung gleich mit. Der vom Gesetz für die vorzeitige Beendigung verlangte Vertrauensverlust wird vom Gesetz unterstellt, wenn die geforderte Mehrheit erreicht ist (§ 18a I 2 und 3 LHG). Auf das Vorliegen eines wichtigen Grundes kommt es also nicht an, was im Ergebnis bedeutet, dass sich eine etwaige Überprüfung vor Gericht auf reine Verfahrensfehler reduziert. Mit Blick auf das aufwändige Verfahren ist das zwar verständlich, rechtlich überzeugen kann die gesetzliche Regelung dennoch nicht. Eine Parallele zu einem politischen Wahlamt, bei dem eine Abwahl ohne Gründe möglich ist, besteht nicht. Die Mitglieder des Rektorats nehmen kein politisches Amt wahr, für die Hochschule als Einrichtung der funktionalen Selbstverwaltung gelten auch nicht die allgemeinen demokratischen Regeln. Bei der Abwahl eines Rektoratsmitglieds geht es nicht um eine politische Entscheidung, sondern schlicht um die Beendigung eines befristeten hauptamtlichen Dienstverhältnisses, für die ein wichtiger Grund gefordert werden muss. Wenn der Landesgesetzgeber einen solchen Grund einfach fingiert, um die Entscheidung einer Überprüfung durch die Gerichte zu entziehen, dann widerspricht das den übergreifenden bundesrechtlichen Grundsätzen zur Beendigung von befristeten Dienstverhältnissen (s.o. Rn. 278 ff.).

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Das Verfahren zur Abwahl gliedert sich in drei Abschnitte:


Das Abwahlbegehren,
die hochschulöffentliche Aussprache in einer gemeinsamen Sitzung von Senat und Hochschulrat und
die Abstimmung über die Abwahl.

Zur Durchführung des Verfahrens wird ein Abwahlausschuss gebildet, der sich aus dem Vorsitzenden des Hochschulrats und zwei weiteren vom Hochschulrat aus den eigenen Reihen ausgewählten Mitgliedern zusammensetzt (§ 18a V 2 LHG). Bei der Wahrnehmung der anspruchsvollen Aufgabe haben die Mitglieder des Abwahlausschusses gegenüber den Mitgliedern der Hochschulverwaltung und deren Einrichtungen ein Weisungsrecht. Wie allerdings das Zusammenspiel zwischen den nur ehrenamtlich tätigen von außerhalb kommenden Hochschulratsmitgliedern und der Hochschulverwaltung in einer solchen Situation realisiert werden kann, bleibt unklar. Der Gesetzgeber scheint auch gewisse Zweifel an der praktischen Umsetzbarkeit dieses Modells zu haben und lässt es deshalb zu, dass der Abwahlausschuss die Durchführung des Verfahrens einem Landesbeamten mit Befähigung zum Richteramt – nicht notwendigerweise Mitglied der Hochschule – überträgt, der dann gegenüber der Hochschulverwaltung weisungsberechtigt ist (§ 18a V 4 und 5 LHG). Die Einzelheiten des Verfahrens zur Abwahl sind in einer Satzung der Hochschule zu regeln (§ 18a VI 1 LHG).

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Das Abwahlbegehren, mit dem das Verfahren eingeleitet wird, verlangt einen von mindestens 25 Prozent der zur Abwahl berechtigten Hochschullehrer unterzeichneten Antrag (§ 18a I 3 LHG), der an den Abwahlausschuss zu richten ist. Zwischen der ersten Unterschrift auf dem Antrag und der Einreichung des Abwahlbegehrens dürfen nicht mehr als vier Wochen liegen; deshalb müssen die Daten der Unterschriftsleistung dokumentiert werden (§ 18a I 4 und 5 LHG). Über die Zulassung des Abwahlbegehrens hat der dafür zuständige Abwahlausschuss innerhalb von drei Wochen zu entscheiden; ein vorschriftsmäßig gestellter Antrag muss zugelassen werden (§ 18a V 1 und I 6 LHG). Der Abwahlausschuss prüft also nur die Einhaltung der rechtlichen Vorgaben. Die Zulassung des Antrags ist unverzüglich bekanntzumachen (§ 18a VI 2 LHG).

 

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Nach der Bekanntmachung der Zulassung des Abwahlbegehrens müssen innerhalb von sechs Wochen die hochschulöffentliche Aussprache und die eigentliche Abstimmung stattfinden (§ 18a II i.V.m. III LHG). Zwischen Aussprache und Abstimmung muss außerdem ein angemessener Zeitraum liegen, damit das Ergebnis der Aussprache auch hochschulweit vor der Abstimmung zur Kenntnis genommen werden kann. Die Verantwortung für die zeitgerechte Durchführung dieser Verfahrensschritte liegt beim Abwahlausschuss. Die hochschulöffentliche Aussprache findet in einer gemeinsamen Sitzung von Senat und Hochschulrat statt, die der Vorsitzende des Hochschulrats leitet (§ 18a III 1 LHG). Dabei muss dem vom Abwahlbegehren betroffenen Rektoratsmitglied Gelegenheit gegeben werden, gegenüber dem Senat und dem Hochschulrat Stellung zu nehmen. Hier wird nochmals deutlich, dass der Verzicht auf das Erfordernis eines wichtigen Grundes bei Verfahren zur vorzeitigen Beendigung der Amtszeit den Betroffenen weitgehend rechtlos stellt. Ohne Angabe von Gründen ist eine Stellungnahme und damit eine Klärung gar nicht möglich. Im Rahmen der gemeinsamen Sitzung können auch Äußerungen aus der anwesenden Hochschulöffentlichkeit zugelassen werden (§ 18a III 3 LHG). In nicht öffentlicher Sitzung[359] beschließen Senat und Hochschulrat dann jeweils für sich eine förmliche Stellungnahme zum Abwahlbegehren. Die beiden beschlossenen Stellungnahmen sind wiederum hochschulöffentlich bekannt zu geben (§ 18a III 4 LHG).

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Für die innerhalb der Frist von sechs Wochen nach der Zulassung des Abwahlbegehrens durchzuführende Abstimmung sind frühzeitig drei aufeinanderfolgende Werktage als Abstimmungstage festzusetzen und förmlich bekannt zu machen (§ 18a II und VI 2 LHG). Die Details des Verfahrens regelt die von der Hochschule zu erlassende Satzung (§ 18a VI 1 LHG), die vor allem eine freie, gleiche und geheime Abstimmung sicherstellen muss (§ 18a IV 1 LHG). Die förmlichen Bekanntmachungen richten sich nach der von der Hochschule entsprechend § 8 VI 1 LHG zu erlassenden besonderen Bekanntmachungssatzung (§ 18a VI 3 LHG).

Erfolgreich ist die Abwahl, wenn die Mehrheit der an der Hochschule tätigen wahlberechtigten Hochschullehrer für die Abwahl gestimmt hat und diese Mehrheit auch an mindestens der Hälfte aller Fakultäten oder Sektionen erreicht wurde. Das Erfordernis einer doppelten Mehrheit trägt dem Umstand Rechnung, dass die Untergliederungen einer Hochschule in Fakultäten oder Sektionen unterschiedlich groß sein können, was zu einer Dominanz großer Fakultäten oder Sektionen bei der Entscheidung führen würde, wenn nicht auch ein fakultäts- oder sektionsbezogenes Meinungsbild in die Entscheidungsfindung einbezogen wird.[360] Bei Hochschulen, denen diese Untergliederung fehlt, liegt die für eine Abwahl notwendige Mehrheit bei zwei Drittel der vorhandenen wahlberechtigten Hochschullehrer. Der Grund für das höhere Quorum liegt darin, dass es sich hier um Hochschulen mit einem kleinen Personalkörper handelt; das erhöht das Risiko eines Missbrauchs, weil eine kleine Zahl von wahlberechtigten Mitgliedern leichter zu manipulieren ist als eine große.[361] Die von der Hochschule zu erlassende Satzung für das Abwahlverfahren nach § 18a LHG kann auch strengere Voraussetzungen als im LHG geregelt festlegen (§ 18a IV 5 LHG).

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Das Ergebnis der Abstimmung über die Abwahl ist unverzüglich förmlich bekannt zu machen (§ 18a VI 2 LHG). War die Abwahl nicht erfolgreich, ist ein erneutes Abwahlbegehren gegen dasselbe Rektoratsmitglied frühestens sechs Monate nach der Bekanntgabe des negativen Ausgangs der Abstimmung zulässig. Entsprechendes gilt, wenn ein Abwahlverfahren – wegen fehlender Voraussetzungen – vom Abwahlausschuss gar nicht erst zugelassen wurde (§ 18a VI 4 LHG). Welche Rechtsfolgen nach einer erfolgreichen Abwahl durch die Hochschullehrer eintreten, regelt § 18a LHG nicht unmittelbar. Insbesondere fehlt eine Verweisung auf § 18 V LHG, der für den Fall der vorzeitigen Beendigung der Amtszeit eines Rektoratsmitglieds durch die Organe der Hochschule die möglichen Rechtsfolgen festlegt. Verständlicherweise gibt das Anlass zu Kritik, zumal die Regelung in § 18 V i.V.m. § 17 IV LHG sich in den rechtlichen Zusammenhängen auch nicht ohne weiteres erschließt. Gedanklich knüpft § 18a LHG an die Regelung in § 18 V LHG an, die Besonderheit der Regelung in einem eigenen Paragraphen hätte es jedoch nahegelegt, auf die Rechtsfolgen in § 18 LHG zu verweisen. Auch ohne eine solche Verweisung ist offensichtlich, dass das Abwahlverfahren nach § 18a LHG eine Variante zum Verfahren nach § 18 V LHG ist, die Rechtsfolgen also nur gleich sein können. Daraus rechtfertigt sich zumindest eine analoge Heranziehung des § 18 V LHG zur Schließung der Lücke mit Blick auf die Rechtsfolgen, weil die Regelung sonst unvollständig wäre.[362] Ist ein nebenamtliches Rektoratsmitglied von der Abwahl betroffen, was theoretisch auch vorkommen kann, endet das Amt – wie nach § 18 VI 5 LHG – unmittelbar mit der Abwahl.

Die gesetzliche Regelung in § 18a LHG begründet für die wahlberechtigten Hochschullehrer eine demokratische Legitimation nach Art. 20 II GG, das betroffene Rektoratsmitglied abzuwählen. Die Legitimation erstreckt sich aber nicht auf die Entscheidung über den beamtenrechtlichen Status eines hauptamtlichen Rektoratsmitglieds. Die Abwahlentscheidung ist insoweit nur die Grundlage für die Regelung der Rechtsfolgen, die vom LHG selbst getroffen werden.[363] Die gesetzlich geregelten Rechtsfolgen hängen davon ab, ob das Rektoratsmitglied vor Aufnahme seiner Rektoratstätigkeit in einem Dienstverhältnis zum Land stand, das während der Rektoratszeit fortbestand, aber ruhte, oder ob ein solches Dienstverhältnis nicht bestand. Im letzteren Fall führt die Abwahl dazu, dass das abgewählte Rektoratsmitglied nach § 18 V 7 LHG in den einstweiligen Ruhestand tritt. Im ersteren Fall, also bei Fortbestand eines früheren Dienstverhältnisses, lebt dieses frühere Dienstverhältnis mit Beendigung des Amtes als Rektoratsmitglied wieder auf. Für unterschiedliche Rechtsfolgen bei den beiden Fällen der Abwahl nach § 18 und § 18a LHG besteht kein Anlass und auch keinerlei Rechtfertigung, weil es in beiden Fällen nur um die Lösung der statusrechtlichen Fragen für das abgewählte hauptamtliche Rektoratsmitglied geht (dazu ausführlich Rn. 281 ff.).

c) Aufgabenbereich des Rektorats, interne Aufgabenverteilung und Einzelaufgaben des Rektors

(1) Überblick

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Das Rektorat leitet die Hochschule (§ 16 I 1 LHG). Vorsitzender des Rektorats ist der Rektor, der gleichzeitig auch die Hochschule nach außen vertritt[364] (§ 17 I 1 und 2 LHG). Das Rektorat nimmt damit im Innen- und Außenverhältnis der Hochschule weitreichende Verantwortung wahr. Es ist für alle Angelegenheiten zuständig, für die nicht ausdrücklich durch Gesetz oder Grundordnung eine andere Zuständigkeit besteht (§ 16 III 1 LHG). Die mit der Reform des Hochschulrechts zum 1.1.2000 vollzogene und bis heute fortbestehende Stärkung des Rektorats verfolgte vor allem zwei Ziele: die Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit der Hochschule zu erhöhen und die Verantwortung für getroffene Entscheidungen zu personalisieren und damit zu entanonymisieren. Entscheidungen in größeren Gremien lassen sich aus der Sicht von außen einzelnen Personen nicht zuordnen; das verleitet dazu, sich bei den Beratungen und Abstimmungen vor allem an den eigenen, individuellen Interessen zu orientieren. Ein Risiko, für die Entscheidung verantwortlich gemacht zu werden, besteht kaum. Das ist bei überschaubar besetzten Organen vollkommen anders; für jede Entscheidung eines solchen Organs wird die Verantwortung unmittelbar den Mitgliedern zugeschrieben. Sie stehen damit unter einem immanenten Begründungszwang, was auch die Interessenskonstellation deutlich verändert.

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Der Unterschied zwischen einer senatsgesteuerten und einer rektoratsgesteuerten Hochschule wird deutlich, wenn man die Entwicklung der baden-württembergischen Hochschulen seit der großen Hochschulreform im Jahre 2000 näher analysiert. Die Hochschulen in Baden-Württemberg konnten sich außerordentlich erfolgreich entwickeln, weil sie in Gestalt der Leitungsorgane Akteure hatten, die sich für deren Entwicklung eingesetzt und die Mitglieder und anderen Organe der Hochschule davon überzeugt haben, sich Ziele zu setzen und konsequent diese Ziele zu verfolgen. Dieses Engagement der baden-württembergischen Hochschulen lässt sich sehr konkret bei den regionalen und überregionalen Förderprogrammen wie „Hochschule 2012“, „Hochschulpakt 2020“ oder der „Exzellenzinitiative“ nachweisen (s.o. Rn. 136, 223) und hätte ohne die gestärkte Leitungsebene so nicht stattgefunden. Die Aufwertung der Leitungsebenen hat auch die Verlässlichkeit der von den Hochschulen gegebenen Zusagen deutlich gestärkt, weil die Leitungsebene hochschulintern solche Zusagen absicherte. Das hat die Belastbarkeit gemeinsamer Zielsetzungen und damit auch das gegenseitige Vertrauen deutlich erhöht. Wissenschaftsfreiheit realisiert sich nicht nur in der Arbeit jedes einzelnen Wissenschaftlers, sondern auch in der Möglichkeit, gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern komplexe wissenschaftliche Ziele zu verfolgen. Das erfordert neben der Bereitschaft der beteiligten Wissenschaftler zur Zusammenarbeit eine verlässliche, kontinuierliche Förderung und gezielte Schwerpunktsetzung, für die sich jemand einsetzen und auch die Verantwortung übernehmen muss. In Abhängigkeit von seiner Zusammensetzung können sich Bewertungen im Senat rasch ändern, damit ist bei einem Leitungsorgan nur zu rechnen, wenn – in längerfristigen Intervallen – ein Wechsel an der Spitze eintritt. Ein zugunsten des Senats geschwächtes Rektorat führt also zu keiner Stärkung der Wissenschaft und der Wissenschaftsfreiheit, sondern eher zum Gegenteil.

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Von vielen anderen Organisationen unterscheidet sich eine Hochschule darin, dass es mit den Fakultäten oder Sektionen rechtlich stark verselbstständigte Untergliederungen mit eigenen Organen gibt, die ein hohes Maß an Eigenverantwortung haben. Darüber hinaus ist jeder einzelne Hochschullehrer in dem ihm von Art. 5 III 1 GG garantierten Freiraum wissenschaftlich autonom, unterliegt also nur im Bereich der Lehre begrenzten Fremdeinflüssen, die dem Zweck dienen, das notwendige Lehrangebot sicherzustellen. Die Vorstellung, dass das Rektorat hierarchisch die Wahrnehmung der Aufgaben in der Hochschule vorgeben könnte, ist abwegig. Das Rektorat ist in Bezug auf die Gesamtentwicklung der Hochschule ein Ideen- und Impulsgeber. Mit der ihm zugeordneten Zentralen Hochschulverwaltung ist es in der Lage, in allen Bereichen Initiativen vorzubereiten und auf den Weg zu bringen. Es ist aber immer auf die Mitwirkung der anderen Organe, Hochschuleinrichtungen und Mitglieder angewiesen, denn nur diese sind auf Grund ihrer wissenschaftlichen Kompetenz in der Lage, angestrebte Ziele zu verwirklichen. Dieses Nebeneinander von zentraler und dezentraler Verantwortung gibt es vermutlich in dieser ausgeprägten Form nur an den Hochschulen und ist der Grund für ihre besondere und einmalige Struktur. Das Rektorat kann seine Ziele nicht einseitig innerhalb der Hochschule durchsetzen, es muss immer darum bemüht sein, die anderen Verantwortlichen bei seinen Entscheidungen „mitzunehmen“.

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Innerhalb des Rektorats unterscheidet die gesetzliche Regelung zwischen Kompetenzen, die beim Rektorat als Gremium liegen, und Zuständigkeiten, die dem Rektoratsvorsitzenden (Rektor, Präsident) persönlich vorbehalten sind. Die rechtliche Stellung des Rektors geht über die eines Vorsitzenden hinaus. Er nimmt innerhalb des Rektorats eine Schlüsselfunktion ein. So hat er für die Wahl der übrigen Mitglieder des Rektorats ein Vorschlagsrecht (§§ 18 IV 1 und VI 1 LHG). Ebenfalls auf Vorschlag des Rektors werden vom Rektorat die Geschäftsbereiche und die ständige Vertretung festgelegt (§ 16 II 1 LHG). Vor allem aber bestimmt er „die Richtlinien für die Erledigung der Aufgaben des Rektorats“ (§ 16 II 2 LHG). Beschlüsse in Haushaltsangelegenheiten können nur mit seiner Zustimmung gefasst werden (§ 16 II 4 LHG). An verschiedenen Stellen weist das LHG dem Rektor weitere Aufgaben zu; dazu gehören die Außenvertretung der Hochschule und der Vorsitz im Senat und seiner Ausschüsse (§ 17 I 1, 2 LHG). Die Aufgaben des Rektorats sind in dem Aufgabenkatalog, den § 16 III 2 LHG auflistet, nicht vollständig enthalten, sondern finden sich an verschiedenen Stellen des Gesetzes.

 

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Versucht man die Zuständigkeiten des Rektorats und seiner Mitglieder nach thematischen Zusammenhängen zu gliedern, dann ergeben sich folgende Verantwortungsbereiche:


Finanz- und Ressourcenentscheidungen,
personalbezogene Entscheidungen und Verwirklichung der Gleichstellung,
Struktur- und Entwicklungsplanung, Planung der baulichen Entwicklung,
hochschulinterne Organisation und Zuordnung von Aufgaben,
Vorbereitung der Senatssitzungen, Koordination der Gremienberatungen, Vollzug der Gremienbeschlüsse,
Mitwirkung bei Satzungen,
Kontrolle der hochschulinternen Aufgabenerfüllung,
Qualitätsmanagement,
Informationssystem, Berichtspflichten, Sicherstellung des hochschulinternen Informationsflusses,
Sicherstellung der hochschulinternen Ordnung und
Vertretung der Hochschule, Externe Kooperationen.

Die Aufgaben werden überwiegend im Zusammenwirken mit anderen Organen wahrgenommen, was der bereits angesprochenen breiten Konsensbildung in der Hochschule dient. Das eigentliche inhaltliche Gewicht des Rektorats ergibt sich nicht so sehr aus seiner Entscheidungszuständigkeit, als vielmehr aus der sorgfältigen und kompetenten Vorbereitung von Entscheidungen, der Fähigkeit, die Gremien zu überzeugen und der Kraft zur Durchsetzung getroffener Entscheidungen. Die Angelegenheiten der Medizinischen Fakultät unterliegen auf Grund ihrer Verknüpfung mit dem Universitätsklinikum besonderen Bedingungen, die die Zuständigkeit des Rektorats begrenzen. Diese Besonderheiten werden in einem eigenen Abschnitt (vgl. Rn. 1205 ff.) behandelt.