Das Hochschulrecht in Baden-Württemberg

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Vergleicht man die Entscheidung des VerfGH BW mit der im Jahre 2008 vom BayVerfGH getroffenen Entscheidung[123] zu vergleichbaren Rechtsfragen im BayHSchG, dann wird überdeutlich, dass hier von einem ganz unterschiedlichen Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit ausgegangen wird. In Übereinstimmung mit der langjährigen Rechtsprechung des BVerfG begrenzt die Entscheidung des BayVerfGH den Schutzbereich auf den eigentlichen Kern der wissenschaftlichen Tätigkeit und kommt so – bei einer ähnlichen gesetzlichen Regelung wie in Baden-Württemberg – zum Ergebnis, dass die Bestimmungen des BayHSchG keine strukturelle Gefährdung der Wissenschaftsfreiheit darstellen. Prüfungsmaßstab der bayerischen Entscheidung ist Art. 108 BayV, der – anders als in Baden-Württemberg, wo eine vergleichbare Regelung in der Landesverfassung fehlt, wenn man nicht der extensiven Auslegung des VerfGH BW folgt – unmittelbar die individuelle Wissenschaftsfreiheit schützt. Über die Verfassungsgerichte der Länder kann es also zu ganz unterschiedlichen Interpretationen des Schutzbereichs der individuellen Wissenschaftsfreiheit kommen.[124] Vor dem Hintergrund der inhomogen gewordenen Rechtsprechung des BVerfG wird das die Bereitschaft zur Erhebung von Verfassungsbeschwerden erhöhen. Legt man den Maßstab des VerfGH BW zu Grunde, dann dürften eine ganze Reihe von Landeshochschulgesetzen in ihrem gegenwärtigen Bestand gefährdet sein.[125] Letztlich kann nur das BVerfG die entstandene Rechtsunsicherheit über den Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit einschließlich der Unklarheit über den Begriff der „wissenschaftsrelevanten“ Angelegenheiten klären. Ein neues Grundsatzurteil, das die zum Teil unzutreffend zitierten früheren Entscheidungen einbezieht, erscheint unvermeidlich, um die entstandenen Widersprüche aufzulösen. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Entscheidung des BVerfG zur Fusion der BTU Cottbus mit der FH Lausitz vom 12.5.2015. Dort wird der Bereich der „wissenschaftsrelevanten“ Angelegenheiten graduell differenziert: „je höher die Wissenschaftsrelevanz der vom Leitungsorgan zu treffenden Entscheidungen sein kann“.[126] An anderer Stelle wird von „wissenschaftsorganisatorischen Entscheidungen“ gesprochen, bei denen der Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum habe; dem wird der Bereich der Wissenschaft als „ein grundsätzlich von Fremdbestimmung freier Bereich autonomer Verantwortung“ gegenübergestellt: „denn im Kern wissenschaftliche Entscheidungen sind der Wissenschaft selbst überlassen.“[127] Damit knüpft diese Entscheidung wieder stärker an die vom Hochschulurteil begründete traditionelle Rechtsprechung an.

2. Kapitel Rechtsstellung und Organisation der Hochschulen › A. Staat und Hochschulen › III. Hochschulselbstverwaltung und staatliche Regelungskompetenz

III. Hochschulselbstverwaltung und staatliche Regelungskompetenz

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In ähnlicher Weise wie bei der Wissenschaftsfreiheit des einzelnen Hochschullehrers stellt sich auch bei der Selbstverwaltung wissenschaftlicher Einrichtungen die Frage der Grenzziehung zwischen dem autonom von der wissenschaftlichen Einrichtung zu verantwortenden Bereich und dem Bereich, der einer gesetzlichen Regelung zugänglich ist. Die Frage hat mehrere Facetten. Zum einen geht es darum, ob Art. 5 III 1 GG auch wissenschaftlichen Einrichtungen selbst einen grundrechtlichen Schutz gewährt und welchen Umfang dieser Schutz hat. Daneben bedarf jedoch auch die Frage einer Klärung, wie die staatlichen Hochschulen in das staatliche Gesamtsystem eingefügt sind und durch welche Mechanismen die vom BVerfG in anderem Zusammenhang geforderte demokratische Legitimation für ihr Handeln sichergestellt wird.

1. Art. 5 III 1 GG und das Selbstverwaltungsrecht der Hochschulen

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Art. 5 III 1 GG gehört zum Katalog der Grundrechte, die nach Art. 1 III GG die drei staatlichen Gewalten als unmittelbar geltendes Recht binden. Von ihrem Wesen her sind die Grundrechte individuelle Rechtspositionen, die ihre Wirkung im Verhältnis zwischen Staat und einzelnem Grundrechtsträger entfalten. Art. 5 III 1 GG begründet insoweit ein individuelles Freiheitsrecht für jeden, der wissenschaftlich tätig ist oder werden will. Ob die Hochschulen selbst in Anlehnung an Art. 19 III GG Träger der Wissenschaftsfreiheit sind, lässt das BVerfG in seinen frühen Entscheidungen[128] unter Hinweis auf das allgemein anerkannte Selbstverwaltungsrecht für den Bereich von Forschung und Lehre offen, legt dies jedoch in späteren Entscheidungen zugrunde.[129] Soweit mit dem Einbezug der Hochschulen unter den Schutzbereich des Art. 5 III 1 GG der Zweck verfolgt wird, einen von gesetzlichen Regelungen freien Raum der Hochschulselbstverwaltung zu begründen, kann dies immer nur in dem von der Rechtsprechung des BVerfG gezogenen Rahmen geschehen. Die meisten der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entschiedenen Fälle zeigen, dass der Konflikt zwischen Staat und Hochschulen sich selten auf den Bereich wissenschaftlicher Tätigkeit bezieht, sondern meistens Fragen der institutionellen oder organisatorischen Rahmenbedingungen betrifft. Gerade diese Fragen aber fallen nach der Rechtsprechung des BVerfG nur insoweit unter den Schutzbereich des Art. 5 III 1 GG, als es um Regelungen geht, die sich unmittelbar auf Forschung oder Lehre auswirken oder eine strukturelle Gefährdung der Wissenschaftsfreiheit darstellen (vgl. Rn. 129 ff.). Wenn der staatliche Gesetzgeber nach der Rechtsprechung des BVerfG bei der Organisation staatlicher Hochschulen frei ist, soweit er den Kernbereich der Wissenschaftsfreiheit des Art. 5 III 1 GG beachtet, dann kann nicht gleichzeitig aus Art. 5 III 1 GG ein weitergehendes Autonomierecht der Hochschulen gegenüber dem Staat abgeleitet werden. Insoweit führt das BVerfG schlüssig aus, dass Einrichtungen des Staates Träger von Grundrechten nur sein können, soweit sie vom Staat unabhängig sind,[130] weil innerhalb des hoheitlichen Gesamtaufbaus des Staates es keine Grundrechte als subjektive Rechte geben kann.[131]

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Für den Bereich wissenschaftlicher Einrichtungen kommt das BVerfG unter Anwendung des Art. 5 III 1 GG zu dem Ergebnis: „Einrichtungen, die Zwecken der Wissenschaft dienen, ist Autonomie nur im Rahmen der ihnen zugewiesenen Aufgabe verliehen. Diese Aufgabe setzt freiheitliche Strukturen voraus, die in einem von unmittelbaren staatlichen Eingriffen geschützten Bereich Entfaltungsmöglichkeiten eröffnen. Die eigenverantwortliche Bewahrung dieser Strukturen gehört zur Aufgabe wissenschaftlicher Einrichtungen. Ihre Autonomie ist auf funktionsgerechte Wahrnehmung dieser Aufgabe beschränkt und von deren Fortbestand abhängig. Sie kann deshalb nicht die Aufrechterhaltung der Aufgabenzuweisung selbst sichern“.[132]

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Bejaht man mit der neueren Rechtsprechung des BVerfG ein Grundrecht der Hochschulen auf Wissenschaftsfreiheit aus Art. 5 III 1 GG, dann folgt daraus kein schrankenloses autonomes Selbstverwaltungsrecht, sondern nur der Schutz eines Kernbereichs wissenschaftlicher Strukturen, der vom Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Hochschule im jeweiligen Landeshochschulrecht zu beachten ist. Zutreffend weist Scholz[133] darauf hin, dass die Grundrechtsberechtigung über Art. 19 III GG nur deshalb besteht, weil die Hochschule als institutioneller „Sachwalter“ oder als Organisation der in ihr verbundenen Wissenschaftler auftritt. Dem Gesetzgeber verbleibt also ein weiter Gestaltungsraum zur Regelung der akademischen Selbstverwaltung und bei der Ausgestaltung der finanziellen Förderung, deren Grenzen erst überschritten werden, wenn freie wissenschaftliche Betätigung nicht mehr möglich ist oder inhaltlich in ihrem Kernbereich betroffen wird.[134] Aus Art. 5 III 1 GG lässt sich nicht ableiten, in welchem Umfang und in welcher Weise der Gesetzgeber seiner Pflicht zur Förderung der Hochschulen nachzukommen hat. Auch insoweit hat er einen breiten Gestaltungsspielraum.[135]

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Die Bestimmung des geschützten Kernbereichs der Wissenschaftsfreiheit hat für die Hochschule als Sachwalter der Interessen aller Wissenschaftler inhaltlich eine etwas andere Ausrichtung als die individuelle Wissenschaftsfreiheit des einzelnen Hochschullehrers. Für den Hochschullehrer geht es vor allem darum, dass er in seinem wissenschaftlichen Arbeitsbereich innerhalb der Hochschule geschützt ist, für die Hochschule dagegen geht es um die Regelung des Verhältnisses zwischen Staat und Hochschule, um die Sicherung der Gestaltungsrechte ihrer Mitglieder und um die Grenzen der Mitwirkungsrechte des Staates. Der Unterschied zeigt sich beispielsweise bei Berufungsverfahren. Hier sieht die Rechtsprechung des BVerfG einen besonderen Schutz der Hochschullehrer in der Weise vor, dass sie bei hochschulinternen Entscheidungen nicht von anderen Hochschulgruppen majorisiert werden dürfen. Im Verhältnis zwischen Hochschule und Staat dagegen gibt Art. 5 III 1 GG der Hochschule keinen Anspruch, ihren auf einer Berufungsliste an erster Stelle platzierten Hochschullehrer gegen den Willen des zuständigen Ministers durchzusetzen. Unabhängig von der Frage des Zusammenwirkens von Staat und Hochschulen, das in der Vergangenheit sehr ausgeprägt war,[136] im Zuge der Deregulierung aber auf wenige, besonders wichtige Bereiche reduziert wurde, geht es bei der Bestimmung von Inhalt und Umfang des Selbstverwaltungsrechts der Hochschule auch um die Frage der demokratischen Legitimation der Entscheidungsträger (vgl. dazu unter 3., Rn. 200 ff.).

 

2. Wissenschaftsfreiheit der Hochschulen, Hochschulselbstverwaltung und staatliche Aufsicht (Art. 20 LV)

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Art. 20 LV regelt einige wichtige Grundsätze zum Status der Hochschulen in Baden-Württemberg und ihrem Verhältnis zum Staat. Nach Art. 20 I LV ist die Hochschule frei in Forschung und Lehre; Art. 20 II LV bestimmt, dass die Hochschule „unbeschadet der staatlichen Aufsicht das Recht auf eine ihrem besonderen Charakter entsprechende Selbstverwaltung im Rahmen der Gesetze und ihrer staatlich anerkannten Satzungen“ hat. Für die Berufung von Hochschullehrern bestimmt Art. 20 III LV, dass die Hochschule bei der Ergänzung des Lehrkörpers durch Ausübung ihres Vorschlagsrechts mitwirkt.

a) Die Wissenschaftsfreiheit der Hochschule nach Art. 20 I LV

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Die lange Zeit zu Art. 5 III 1 GG geführte Diskussion, ob unter den verfassungsrechtlichen Schutz auch die Hochschulen selbst fallen, war für Baden-Württemberg stets irrelevant, weil Art. 20 LV diese Frage eindeutig in positivem Sinne beantwortet. Die Wissenschaftsfreiheit der Hochschulen nach Art. 20 I LV und das in Art. 20 II LV gewährleistete Selbstverwaltungsrecht stehen jedoch nicht isoliert im Raum, sondern sind aufgrund der Regelung des Art. 2 I LV, der bestimmt, dass die im GG festgelegten Grundrechte Bestandteil der Landesverfassung und unmittelbar geltendes Recht sind, unmittelbar mit den aus Art. 5 III 1 GG resultierenden Grundrechtspositionen verknüpft. Die Landesverfassung schützt also sowohl die individuelle Wissenschaftsfreiheit wie auch die institutionelle Freiheit der einzelnen Hochschule.

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Der verfassungsrechtliche Schutz des Art. 20 I LV bezieht sich nach dem eindeutigen Wortlaut nur auf die Hochschulen, lehnt sich dabei in der Formulierung aber an den Text von Art. 5 III 1 GG an. Es überrascht deshalb nicht, dass der (seinerzeitige) Staatsgerichtshof BW (StGH) in einer Grundsatzentscheidung[137] zu Art. 20 I LV die gleichen Gesichtspunkte anspricht wie das BVerfG in seinem Hochschulurteil zu Art. 5 III 1 GG. Art. 20 I LV wird danach als eine objektive, das Verhältnis von Wissenschaft, Forschung und Lehre zum Staat regelnde wertentscheidende Grundsatznorm verstanden. Der Begriff der Wissenschaft wird in Übereinstimmung mit dem BVerfG als Prozess der Erkenntnisgewinnung, ihrer Bewertung und ihrer Verbreitung unter Verwendung wissenschaftlicher Methoden definiert, wobei Forschung und Lehre als Einheit betrachtet werden.[138] Besonders betont wird vom Staatsgerichtshof die allgemeine Verpflichtung des Staates, hinreichende finanzielle und organisatorische Mittel, insbesondere auch die erforderlichen Institute zur Verfügung zu stellen, woraus andererseits ein Recht des an der Hochschule tätigen Wissenschaftlers abgeleitet wird, an diesen die Ausübung der Wissenschaftsfreiheit erst ermöglichenden Leistungen des Staates teilzuhaben.[139] Aus dem Text des Art. 20 I LV ergibt sich keine Regelung zur individuellen Wissenschaftsfreiheit, dennoch kommt der VerfGH BW in seiner Entscheidung vom 14.11.2016 zu dem Ergebnis, dass Art. 20 I LV den Schutz der individuellen Wissenschaftsfreiheit mit einschließt.[140] Eine Notwendigkeit für diese ausweitende Auslegung besteht in keiner Weise, weil die individuelle Wissenschaftsfreiheit unmittelbar über Art. 2 I LV i.V.m. Art. 5 III 1 GG geschützt ist. In Art. 20 I LV einen Schutz der individuellen Freiheit für Wissenschaftler an Hochschulen hineinzulesen, überdehnt den Wortlaut des Verfassungstextes und führt zwangsläufig zur Frage der rechtlichen Konkurrenz zwischen der Wissenschaftsfreiheit nach Art. 20 I LV und der nach Art. 2 I LV i.V.m. Art. 5 III 1 GG[141] (dazu oben ausführlicher Rn. 144 ff.).

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Art. 20 I LV gibt der Hochschule nicht nur ein Abwehrrecht gegen Eingriffe des Staates in den Kernbereich wissenschaftlicher Tätigkeit, sondern auch einen Anspruch auf die Herstellung und Sicherung der Rahmenbedingungen, die zur Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben unverzichtbar sind. Zur Durchsetzung dieser Rechte, kann die Hochschule sich auch des Rechtswegs bedienen.[142] In diesem Sinne ist die Hochschule Sachwalter für die bei ihr tätigen Wissenschaftler, in deren Interesse sie kraft eigenen Rechtes auftreten kann.[143] Zur Durchsetzung ihrer Rechte kann sich die Hochschule der Verfassungsbeschwerde vor dem VerfGH BW bedienen (Art. 68 I 2 Nr. 4 LV, § 55 I VerfGHG).[144] Ein allgemeiner Bestandsschutz ergibt sich für die Hochschulen weder aus Art. 20 I noch aus Art. 20 II LV.[145] Der Gesetzgeber kann also Hochschulen auflösen oder fusionieren.[146] Eine Ausnahme macht Art. 85 LV für die Universitäten und Hochschulen mit Promotionsrecht, die bei Inkrafttreten der Landesverfassung im Jahre 1953 bereits bestanden haben. Gegen eine beabsichtigte Aufhebung kann sich die Hochschule nach Art. 20 I LV i.V.m. Art. 85, Art. 68 I 2 Nr. 4 LV und § 55 I VerfGHG[147] zur Wehr zu setzen. Nicht unter den Bestandsschutz fallen die 1966 und 1967 gegründeten Universitäten Konstanz und Ulm sowie die anderen nichtuniversitären Hochschulen, auch die Pädagogischen Hochschulen,[148] die erst ab den 1970er Jahren in Teilschritten das Promotionsrecht erhalten haben. Die Bestandsgarantie nach Art. 85 LV schließt jedoch auch für die dadurch geschützten Hochschulen Maßnahmen der Umstrukturierung nicht aus.[149] Nicht zulässig wäre eine Fusion zweier unter die Regelung des Art. 85 LV fallender Hochschulen (z.B. von Heidelberg und Mannheim oder Stuttgart und Hohenheim). Wird dagegen eine nicht von Art. 85 LV erfasste Hochschule in eine von Art. 85 LV geschützte Hochschule integriert, steht die LV nicht entgegen, umgekehrt dagegen schon. Entscheidend ist der Fortbestand der durch Art. 85 LV geschützten Hochschule.

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Nach früherem Hochschulrecht war unklar, ob auch die Fachhochschulen unter den Schutz des Art. 20 I LV fallen.[150] Die in der 1. Auflage geäußerten Zweifel gegenüber der in den Hochschulgesetzen vorgenommenen Differenzierung sind inzwischen gegenstandslos geworden: die Freiheit von Forschung, Lehre und Kunst gilt inzwischen nach § 3 I LHG für alle Hochschulen, wobei der Inhalt dieser Freiheit immer von den Aufgaben bestimmt wird, die der jeweiligen Hochschule durch Gesetz übertragen wurden. Dementsprechend begrenzt die höchstrichterliche Rechtsprechung den Schutzbereich, der sich aus Art. 5 III 1 GG ergibt und der entsprechend auch für Art. 20 I LV gilt, auf die übertragenen dienstlichen Aufgaben, die nach § 2 I LHG bei den verschiedenen Hochschularten unterschiedlich sind. Das zeigt sich beispielsweise beim Promotionsrecht, das dem einzelnen Hochschullehrer nicht per se im Rahmen der Wissenschaftsfreiheit zusteht, sondern das nach § 38 I 4 LHG unter Beachtung der dort genannten gesetzlichen Voraussetzungen durch das Wissenschaftsministerium verliehen wird. Dabei trifft das Hochschulrecht in Anlehnung an die unterschiedlichen Aufgaben eine Unterscheidung zwischen den verschiedenen Hochschularten.

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Nur in dem Umfang, in dem ein Professor an einer Hochschule kraft Amtes lehrt und forscht, erwachsen ihm in seiner Eigenschaft als Hochschullehrer Rechte aus Art. 5 III 1 GG.[151] Die Freiheit von Forschung und Lehre wird also durch die der Hochschule übertragenen Aufgaben abgesteckt. Das gilt für die Hochschule und in gleicher Weise auch für den an der Hochschule tätigen Wissenschaftler. Das bedeutet, dass die Entscheidung, ob eine Einrichtung mit der selbstständigen Wahrnehmung von Aufgaben in Forschung und Lehre betraut wird und damit als Hochschule im Rechtssinne gilt, eine staatliche Entscheidung ist. Keine Einrichtung kann ohne staatliche Zustimmung sich selbst zur Hochschule deklarieren, weil dieser Status geschützt ist und unter der besonderen Verantwortung des Staates steht. So betont das BVerwG in diesem Zusammenhang, dass es nicht zulässig sei, „die im Hochschulurteil für die wissenschaftlichen Hochschulen entwickelten Grundsätze in vollem Umfang auf den Bereich der Fachhochschule zu übertragen“. Es bedürfe vielmehr der Differenzierung nach der dem jeweiligen Hochschultyp zugewiesenen Aufgabe.[152] Die damals daraus vom BVerwG gezogenen Konsequenzen, dass Fachhochschullehrer nicht als Hochschullehrer in dem auf wissenschaftliche Hochschulen bezogenen (materiellen) Sinne angesehen werden könnten,[153] lassen sich heute nicht mehr aufrechterhalten, weil sich die Aufgaben der heutigen „Hochschulen für angewandte Wissenschaften“, die aus den Fachhochschulen hervorgegangen sind, deutlich erweitert haben.[154] Entscheidend ist immer, wie der Gesetzgeber die Aufgaben der jeweiligen Hochschulart und damit der an dieser Hochschulart tätigen Hochschullehrer ausgestaltet hat. Ein praktisches Beispiel für diesen Prozess ist die Duale Hochschule Baden-Württemberg, die aus den früheren Berufsakademien entstanden ist. Ihr sind durch § 2 I 3 Nr. 5 LHG ganz spezifische Aufgaben übertragen, die sich deutlich von den Aufgaben der anderen Hochschulen unterscheiden.

b) Das Selbstverwaltungsrecht der Hochschulen nach Art. 20 II LV

(1) Rechtliche Grundlagen des Selbstverwaltungsrechts

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Unabhängig von Art. 5 III 1 GG haben die Hochschulen in Baden-Württemberg nach Art. 20 II LV das Recht auf Selbstverwaltung „im Rahmen der Gesetze und ihrer staatlich anerkannten Satzungen“ sowie „unbeschadet der staatlichen Aufsicht“. Würden sich Inhalt und Umfang der Selbstverwaltung bereits unmittelbar aus der Verfassung ergeben, wie das im Rahmen der Theorie einer autonomen Legitimation vertreten wird (vgl. dazu ausführlich Rn. 183, 196 ff., 200 ff.), dann wären die in Art. 20 II LV genannten Einschränkungen sinn- und gegenstandslos. Tatsächlich legt die Landesverfassung keine frei von gesetzlichen Regelungen autonome Selbstverwaltung fest. Wenn Art. 20 II LV den Hochschulen „das Recht auf eine ihrem besonderen Charakter entsprechende Selbstverwaltung“ zusagt, dann bedeutet das im Zusammenspiel von Art. 20 I und II LV, dass die Hochschule bei der Wahrnehmung der ihr anvertrauten Aufgaben in Forschung und Lehre frei von staatlichen Einflüssen sein muss, was die autonome Ausgestaltung der dafür vorzusehenden Strukturen unterhalb der Fakultätsebene mit einschließt. Das von der Verfassung gewährte Selbstverwaltungsrecht konzentriert sich also auf den Schutz der zur Erfüllung der Aufgaben in Forschung und Lehre notwendigen wissenschaftlichen Strukturen; diese für eine freie Wissenschaft unverzichtbaren Strukturen bilden den nicht antastbaren Kernbereich.[155] Im Übrigen aber überlässt es die Verfassung dem Gesetzgeber, in welcher rechtlichen Form und mit welcher inhaltlichen Struktur er die Hochschulen errichtet. Sofern er nur den geschützten Kernbereich des Selbstverwaltungsrechts der Hochschule respektiert, hat der Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum.

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Nichts anderes ergibt sich, wenn man in Anlehnung an die neuere Rechtsprechung des BVerfG[156] das Recht der Hochschulen auf Selbstverwaltung aus Art. 5 III 1 GG ableitet. Art. 5 III 1 GG garantiert im Rahmen der Wissenschaftsfreiheit den Hochschulen ebenfalls nur einen Kernbereich wissenschaftlicher Strukturen, im Übrigen bleibt die konkrete Ausgestaltung der Gesamtstruktur der Hochschulen dem Gesetzgeber überlassen. Art. 20 I, II LV und Art. 5 III 1 GG fügen sich also nahtlos zusammen, auch wenn der systematische Ausgangspunkt der beiden Normen nicht identisch ist,[157] weil bei Art. 5 III 1 GG der Schutz der individuellen Wissenschaftsfreiheit im Vordergrund steht, während Art. 20 LV unmittelbar den Schutz der Hochschule als wissenschaftlicher Institution in den Mittelpunkt stellt.

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Bei der Ausgestaltung der gesetzlichen Regelung muss der Gesetzgeber aber noch einen weiteren verfassungsrechtlichen Aspekt berücksichtigen, der eine besonders vertiefte Betrachtung erfordert: die Sicherstellung einer ausreichenden demokratischen Legitimation der Hochschule, ihrer Organe und sonstigen Entscheidungsträger. Diese vom Volk abzuleitende Legitimation entsteht nur durch eine entsprechende gesetzliche Regelung, die die einzelne Hochschule mit ihren Aufgaben und den zur Erfüllung vorgesehenen Strukturen überhaupt erst entstehen lässt. Das Selbstverwaltungsrecht kann eine solche demokratische Legitimation, wie unter 3. eingehend dargelegt wird, nicht begründen (vgl. Rn. 196 ff.).