Das Hochschulrecht in Baden-Württemberg

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1. Art. 5 III 1 GG als individuelles Freiheitsrecht

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Als Freiheitsrecht schützt Art. 5 III 1 GG vor jeder Art von staatlichen Eingriffen in die wissenschaftliche Betätigung, die sich im Prozess der Gewinnung, Bewertung und Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse manifestiert. Geschützt wird nicht die Position des Wissenschaftlers als solche,[12] auch nicht sein organisatorisches oder instrumentelles Umfeld,[13] sondern das wissenschaftliche Handeln, also das, „was nach Inhalt und Form als ernsthafter planmäßiger Versuch zur Ermittlung der Wahrheit anzusehen ist“.[14] Das beschriebene Freiheitsrecht gilt für jedermann, soweit das Handeln inhaltlich auf eine Betätigung ausgerichtet ist, die nach objektiven Maßstäben „wissenschaftlich“ ist. Die subjektive Deklaration eigenen Handelns als „wissenschaftlich“ genügt nicht.[15] Für den Bereich der Forschung fallen unter den Schutz des Freiheitsrechts insbesondere die Auswahl der Fragestellung,[16] die Methodik sowie die Bewertung und Verbreitung der Forschungsergebnisse,[17] für den Bereich der Lehre die Vermittlung der Lehrinhalte einschließlich wissenschaftlicher Lehrmeinungen und die Methodik.[18] Die in Art. 5 III 1 GG aufgeführte Freiheit der Forschung und die Freiheit der Lehre sind inhaltlich miteinander verzahnt und als solche Teilelemente der sie überwölbenden Freiheit der „Wissenschaft“.[19]

2. Art. 5 III 1 GG als Ausdruck einer objektiven Wertordnung für den Bereich der Wissenschaft

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Innerhalb des staatlichen Wissenschaftsbetriebs reicht das bloße Abwehrrecht des Wissenschaftlers gegen Eingriffe des Staates nicht aus, um das verfassungsrechtliche Ziel einer freien Wissenschaft zu gewährleisten. Wissenschaftliche Betätigung setzt zu ihrer Realisierung – von Fach zu Fach unterschiedliche – organisatorische und materielle Mindestbedingungen voraus, ohne deren Existenz das Freiheitsrecht des Art. 5 III 1 GG faktisch leerlaufen würde. Ein Chemiker ohne Laborplatz kann seine Wissenschaft nicht betreiben, auch wenn ihn niemand daran hindert. Aus der Schlüsselfunktion, die eine freie Wissenschaft sowohl für den Einzelnen wie auch für die gesamtgesellschaftliche Entwicklung hat, leitet das BVerfG[20] bei der Auslegung des Art. 5 III 1 GG eine objektive Wertentscheidung des Verfassungsgebers ab, die den Staat verpflichtet, für die Idee einer freien Wissenschaft aktiv einzustehen, sie zu schützen und zu fördern, um einer Aushöhlung der Freiheitsgarantie vorzubeugen. Aus dieser Einstandspflicht ergeben sich für den Staat zwei Konsequenzen:

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Er muss durch Bereitstellung personeller, finanzieller und organisatorischer Mittel die Pflege einer freien Wissenschaft ermöglichen, also funktionsfähige Institutionen für einen freien Wissenschaftsbetrieb zur Verfügung stellen, an denen der einzelne Wissenschaftler dann ein Teilhaberecht besitzt, das seine Arbeitsfähigkeit und damit seine wissenschaftliche Betätigung sicherstellt.[21]

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Bei organisatorischen Maßnahmen muss der Staat nicht nur darauf achten, dass der Freiraum für die wissenschaftliche Betätigung, welcher durch Art. 5 III 1 GG jedem Wissenschaftler eingeräumt ist und sich auch durch den Eintritt in die Korporation der Hochschule nicht verändert, gewahrt bleibt. Er ist darüber hinaus aus der objektiven Wertentscheidung des Grundgesetzes für eine freie Wissenschaft verpflichtet, solche staatlichen Maßnahmen auch organisatorischer Art zu treffen, die zum Schutz einer wissenschaftlichen Betätigung unerlässlich sind, weil sie eine solche erst ermöglichen. Das bedeutet umgekehrt, Regelungen zu unterlassen, die eine wissenschaftliche Betätigung realistisch gefährden. Dieser Pflicht des Staates korrespondiert ein Recht des einzelnen Grundrechtsträgers aus Art. 5 III 1 GG, die Erfüllung dieser Verpflichtungen auch einfordern zu können.[22]

3. Wissenschaftsfreiheit und staatliche Regelungskompetenz

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In Wahrnehmung seiner Gesamtverantwortung für den Hochschulbereich muss der Staat für die Hochschulen und die dort tätigen Wissenschaftler einen rechtlichen und strukturellen Rahmen schaffen, der einerseits die notwendige Funktionsfähigkeit des Hochschulbetriebs in Forschung und Lehre gewährleistet, andererseits aber auch den geschützten Bereich der Wissenschaftsfreiheit absichert. Soweit es um direkte Eingriffe in die wissenschaftliche Tätigkeit geht, lässt sich eine Verletzung der Wissenschaftsfreiheit vergleichsweise einfach bestimmen. Bei gesetzlichen Regelungen, die die Struktur und Organisation der Hochschulen betreffen, ist das sehr viel schwieriger, weil die Existenz solcher Regelungen noch zu keiner unmittelbaren Verletzung des Grundrechts bei den verschiedenen Grundrechtsträgern führt; erst Entscheidungen der durch die gesetzliche Regelung geschaffenen Organe haben diese Wirkung. Würde man unter diesem Gesichtspunkt ganz formal solche gesetzlichen Regelungen keiner generellen Überprüfung nach Art. 5 III 1 GG unterwerfen, dann befänden sich die Grundrechtsträger von vornherein in einer Defensivposition, weil jeder einzelne gezwungen wäre, eine konkrete Verletzung seines Grundrechts auf Wissenschaftsfreiheit abzuwarten, um sich dann zur Wehr zu setzen. Eine solche Rollenzuweisung entspricht aber nicht dem übergeordneten Leitprinzip, dass der Staat die Wissenschaft fördern und schützen soll. Der Schutz der Wissenschaftsfreiheit muss also bei gesetzlichen Regelungen zur Struktur und Organisation der Hochschulen früher ansetzen.

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Erstmals deutlich zu Tage getreten ist das angesprochene Problem bei der Überführung der Ordinarienuniversität in das System der Gruppenuniversität. Die damals vorausgegangene, über viele Jahre in Politik und Gesellschaft geführte Diskussion zur Umstrukturierung der Universitäten warf zentrale Fragen der Einbettung der deutschen Universität in das staatliche und verfassungsrechtliche System auf und führte zu einer Grundsatzentscheidung des BVerfG,[23] auf die sich bis heute alle nachfolgenden Entscheidungen des BVerfG zu dieser Thematik stützen. Streitgegenstand war das Vorschaltgesetz für ein niedersächsisches Gesamthochschulgesetz vom 26.10.1971[24]. Mit einer Verfassungsbeschwerde wandten sich niedersächsische Professoren und Dozenten gegen das Gesetz mit der Begründung, die organisatorischen Regelungen würden ihr Grundrecht auf freie wissenschaftliche Betätigung nach Art. 5 III 1 GG verletzen. In seiner allgemein als „Hochschulurteil“ bezeichneten Entscheidung arbeitet das BVerfG differenziert und mit großer Sorgfalt Kriterien heraus, um Umfang und Grenzen der Regelungsbefugnis des Gesetzgebers im Hochschulbereich unter Berücksichtigung des notwendigen Schutzes der Wissenschaftsfreiheit nach Art. 5 III 1 GG zu bestimmen. Dabei definiert das Gericht zum einen den unantastbaren Kernbereich des Freiheitsrechts und behandelt zum anderen die Frage, welche Relevanz das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit bei strukturellen und organisatorischen Regelungen des Staates hat.[25]

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Zunächst ruft das BVerfG im Hochschulurteil die historische Entwicklung des deutschen Hochschulsystem seit der Humboldt‘schen Reform in Erinnerung und weist darauf hin, dass Staat und Hochschulen stets gemeinsam Verantwortung für die Wissenschaft getragen haben.[26] Zu allen Zeiten habe der Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum für die Organisation der Hochschulen gehabt.[27] Das BVerfG sieht sogar eine Verpflichtung des Gesetzgebers, „bisherige Organisationsformen kritisch zu beobachten und zeitgemäß zu reformieren“.[28] Unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Grenzen könne der Gesetzgeber die Organisation der Hochschulen nach seinem Ermessen ordnen und sie auch den gesellschaftlichen und wissenschafts-soziologischen Gegebenheiten anpassen.[29] Die Wissenschaftsfreiheit habe weder das überlieferte Strukturmodell zur Grundlage, noch schreibe sie überhaupt eine bestimmte Organisationsform des Wissenschaftsbetriebs an den Hochschulen vor. Selbst wenn man aus Art. 5 III 1 GG eine Garantie der akademischen Selbstverwaltung ableite, sei der Gesetzgeber zur Entwicklung anderer Modelle der Hochschulselbstverwaltung frei, solange die Wissenschaftsfreiheit nicht beeinträchtigt wird. Es sei auch in der Vergangenheit nie bezweifelt worden, dass der Staat durch seine Gesetzgebung die Einzelheiten der akademischen Selbstverwaltung abweichend von ihrer herkömmlichen Gestalt regeln könne. Ein Rückblick auf die historische Entwicklung der Freiheit der Wissenschaft im 19. und 20. Jahrhundert bestätige diese Auslegung.[30] Kriterium für eine verfassungsgemäße Hochschulorganisation könne nur sein, ob mit ihr freie Wissenschaft möglich sei und ungefährdet betrieben werden könne. Sei dies gewährleistet, so führt das BVerfG detailliert in einer sehr viel späteren Entscheidung aus, dann könne der Gesetzgeber „eine direkte oder repräsentative Beteiligung an Entscheidungen, eine unmittelbare oder mittelbare Einflussnahme, Entscheidungs-, Veto-, Mitwirkungs- oder Anhörungsrechte, Aufsichts-, Informations- oder Kontrollrechte regeln“, also „die Art und Weise der Beteiligung der Grundrechtsträger frei gestalten“ .[31] Die zur Sicherung der Wissenschaftsadäquanz von hochschulorganisatorischen Entscheidungen gebotene Teilhabe der wissenschaftlich Tätigen müsse nicht in jedem Fall im Sinne der herkömmlichen Selbstverwaltung erfolgen; auch hochschulexterne Institutionen könnten dazu beitragen, „einerseits staatliche Steuerung wissenschaftsfreiheitssichernd zu begrenzen und andererseits der Gefahr der Verfestigung von status-quo-Interessen bei reiner Selbstverwaltung zu begegnen“.[32]

 

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Die entscheidende Frage ist damit, unter welchen Gesichtspunkten gesetzliche Regelungen zur Struktur und Organisation der Hochschulen eine Gefährdung der freien Wissenschaft darstellen können bzw. welche staatlichen Maßnahmen zum Schutz einer wissenschaftlichen Betätigung unerlässlich sind – denn dazu besteht eine Verpflichtung des Staates. Damit es bei der Auslegung dieser Kriterien nicht erneut zu ganz unterschiedlichen Interpretationen wie beim Begriff der „Wissenschaftsfreiheit“ kommt,[33] umschreibt das BVerfG in seinem Hochschulurteil ausführlich, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen. Das Gericht räumt zunächst ein, dass der unmittelbare kausale Zusammenhang zwischen organisatorischen Normen, die lediglich die Bildung und Zusammensetzung von kollegialen Beschlussorganen regeln, und Beeinträchtigungen der freien Ausübung von Forschung und Lehre (…) nicht ohne weiteres einsichtig“ (ist).[34] Der Freiheitsgehalt des durch die Zusammenarbeit der Grundrechtsträger sich formierenden Wissenschaftsprozesses werde jedoch im ganzen von seiner organisatorischen Gestaltung wesentlich beeinflusst. Nicht nur das formale Beratungs- und Entscheidungsverfahren der einzelnen Organe, sondern auch der Inhalt ihrer Entscheidungen werde durch ihre Zusammensetzung mindestens tendenziell in einem allgemeinen qualitativen Sinn vorausbestimmt mit der Folge, dass die Entscheidungen dieser Organe sich je nach ihrer Zuständigkeit auf den durch Art. 5 III 1 GG geschützten Freiheitsraum auswirken können. Ein effektiver Grundrechtsschutz erfordere deshalb adäquate organisationsrechtliche Vorkehrungen.[35] Im Rahmen dieser organisationsrechtlichen Vorkehrungen dürfen aber die anderen schutzwürdigen Interessen und Bedürfnisse, „…zu deren Befriedigung die Hochschule ebenfalls berufen ist“, nicht vernachlässigt werden.[36] Hochschulen – also auch Universitäten – sind keine reinen Forschungseinrichtungen, sie haben eine zentrale gesamtgesellschaftlich wichtige Aufgabe: die Heranbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses, vor allem für die Vielzahl der beruflichen Tätigkeiten, die eine Hochschulausbildung erfordern. „Insoweit ist die Universität nicht nur der Raum für die sich in wissenschaftlicher Eigengesetzlichkeit vollziehenden einzelnen Forschungs- und Bildungsprozesse, sondern Gegenstand und Mittel einer öffentlich kontrollierten Bildungs- und Forschungspolitik.“ Bei der Ausgestaltung der Wissenschaftsorganisation müsse deshalb diesen verschiedenartigen Funktionen Rechnung getragen werden.[37] Regelungen, die sich nur auf allgemeine Verwaltungsangelegenheiten beziehen und nicht auf die wissenschaftliche Tätigkeit einwirken, unterliegen weitgehend dem Zweckmäßigkeitsprinzip. Grenzen sind dem Gesetzgeber jedoch bei strukturellen oder organisatorischen Regelungen im Bereich der „wissenschaftsrelevanten“ Angelegenheiten gezogen; gemeint sind damit Angelegenheiten, die „Forschung und Lehre unmittelbar berühren“.[38]

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Zu den wissenschaftsrelevanten Aufgaben zählt das BVerfG „die Planung wissenschaftlicher Vorhaben, d.h. die Forschungsplanung, das Aufstellen von Lehrprogrammen und die Planung des Lehrangebots, die Koordinierung der wissenschaftlichen Arbeit, also das Abstimmen der Forschungsvorhaben und der Lehrangebote aufeinander, die Harmonisierung der Lehraufgaben mit den Forschungsvorhaben, ferner die organisatorische Betreuung und Sicherung der Durchführung von Forschungsvorhaben und Lehrveranstaltungen, insbesondere ihre haushaltsmäßige Betreuung einschließlich der Mittelvergabe, die Errichtung und der Einsatz von wissenschaftlichen Einrichtungen und Arbeitsgruppen, die Festsetzung der Beteiligungsverhältnisse bei wissenschaftlichen Gemeinschaftsaufgaben, die Festlegung und Durchführung von Studien- und Prüfungsordnungen“ und schließlich „die Personalentscheidungen in Angelegenheiten der Hochschullehrer und ihrer wissenschaftlicher Mitarbeiter“.[39]

Nicht „wissenschaftsrelevant“ sind dagegen Geschäfte, die sich auf den laufenden Betrieb der allgemeinen Verwaltung beziehen, und Entscheidungen über korporationsrechtliche Angelegenheiten, von denen alle Hochschulangehörigen in gleicher Weise berührt sind, die also die Grundstruktur der „Körperschaft“ Hochschule betreffen, nicht aber unmittelbar die in ihr geleistete Arbeit.[40]

Die sich aus Art. 5 III 1 GG für den Gesetzgeber im „wissenschaftsrelevanten“ Bereich ergebenden Grenzen definiert das BVerfG in zwei Richtungen: In positiver Hinsicht müsse dem Grundrechtsträger soviel Freiheit in seiner wissenschaftlichen Betätigung gewährt werden, wie dies unter Berücksichtigung der anderen legitimen Aufgaben der Hochschule und der Belange der verschiedenen in der Universität tätigen Grundrechtsträger möglich ist. In negativer Hinsicht dürfe durch die organisatorische Gestaltung des Wissenschaftsbetriebs nicht die Gefahr der Funktionsunfähigkeit oder der Beeinträchtigung des für die wissenschaftliche Betätigung der Mitglieder, insbesondere der Hochschullehrer, erforderlichen Freiheitsraums herbeigeführt werden.[41]

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Bezogen auf die „Gruppenuniversität“ kommt das BVerfG unter Anwendung der ausgeführten Grundsätze im Hochschulurteil zum Ergebnis, dass dieses Modell mit der objektiven Wertentscheidung des Art. 5 III 1 GG vereinbar ist. Dabei lässt es das BVerfG ausdrücklich offen, ob damit die zweckmäßigste Form der Hochschulorganisation gefunden ist. Das durch den Gesetzgeber verschiedenen Mitgliedergruppen eingeräumte Mitspracherecht wird dem Grunde nach als verfassungsgemäß angesehen, das BVerfG definiert aber in Abhängigkeit vom jeweiligen Beratungsgegenstand Vorgaben für die Stimmverteilung auf die Gruppenvertreter in den Organen.[42]

Für die an einer Hochschule betriebene Wissenschaft kommt den Hochschullehrern, denen die selbstständige Pflege von Forschung und Lehre vornehmlich anvertraut ist, eine herausgehobene Stellung zu. Das bedeutet nicht, dass die Vertreter der Gruppe der Hochschullehrer generell in den Gremien der Hochschulselbstverwaltung über eine „eindeutige Mehrheit“ verfügen müssten. Auf der anderen Seite muss der Gesetzgeber den verschiedenartigen Interessen und Funktionen der einzelnen Gruppen von Hochschulmitgliedern Rechnung tragen. Der allgemeine Gleichheitssatz in Verbindung mit der objektiven Wertentscheidung des Art. 5 III 1 GG verbietet es, Gruppen, die sich nach der Art des zu regelnden Lebensverhältnisses in verschiedenen Lagen befinden, ohne zureichenden Grund einer gleichen Regelung zu unterwerfen.[43] Der Gesetzgeber muss vielmehr durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherstellen, dass Störungen und Behinderungen der freien wissenschaftlichen Tätigkeit der Hochschullehrer durch Einwirkung anderer Gruppen so weit wie möglich ausgeschlossen werden.

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Bei der Verteilung der Stimmgewichte auf die Vertreter der Gruppen in den Organen, die über „wissenschaftsrelevante“ Angelegenheiten – also solche, die Forschung und Lehre unmittelbar betreffen – entscheiden, ist zwischen Angelegenheiten der Lehre und solchen der Forschung zu unterscheiden. Im Bereich der Lehre muss der Gesetzgeber den Hochschullehrern einen „maßgebenden Einfluss“ einräumen, d.h., sie müssen die Hälfte der Stimmen in einem Gremium haben; bei Angelegenheiten, die die Forschung betreffen, muss ihnen ein „ausschlaggebender Einfluss“ vorbehalten bleiben, d.h., sie müssen die Mehrheit der Stimmen haben oder bei Abstimmungen über solche Fragen mit qualifizierter Mehrheit wirksam entscheiden können.[44] Im Übrigen bleibt es dem Gesetzgeber anheimgestellt, den Gruppeneinfluss bei Entscheidungen über bestimmte Einzelbereiche von Forschung und Lehre stärker auszudifferenzieren, aus Art. 5 III 1 GG selbst folgt keine Verpflichtung dazu, weil sich aus der objektiven Wertentscheidung des Art. 5 III 1 GG für den Organisationsbereich nur allgemeine Grundsätze ableiten lassen.[45]

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Die Mitglieder der Hochschule haben also keine identischen, gleichen Rechte, sondern nehmen in sehr unterschiedlicher Weise an der Selbstverwaltung der Hochschule teil.[46] Das BVerfG definiert vier Kriterien, an denen sich die Festsetzung der Stimmgewichte zu orientieren hat: Qualifikation, Funktion, Verantwortung und Betroffenheit. Unter Anwendung dieser Kriterien hält das BVerfG ein Mitspracherecht der wissenschaftlichen Mitarbeiter in Fragen von Forschung und Lehre für gerechtfertigt. Bei den Studierenden wird ein Mitspracherecht in Angelegenheiten der Lehre als verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen, für den Bereich der Forschung werden gewisse Zweifel formuliert,[47] ob ein großer Teil der Studierenden die notwendigen Voraussetzungen erfüllt, dennoch sei die Einräumung eines gewissen Mitwirkungsrechtes nicht zu beanstanden. Bei den nichtwissenschaftlichen Bediensteten lasse sich unter Anwendung der Kriterien weder für die Lehre noch für die Forschung eine Beteiligung der Vertreter dieser Gruppe rechtfertigen.

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Die Berufung von Hochschullehrern wirkt sich unmittelbar auf die wissenschaftliche Tätigkeit der anderen Hochschullehrer aus, sei es im Rahmen der Sicherstellung der Lehre, in Form der Ausdifferenzierung des Fächerspektrums oder durch die Möglichkeit von Kooperationen in der Forschung. Der Gesetzgeber muss deshalb den Hochschullehrern bei Berufungsangelegenheiten einen ausschlaggebenden Einfluss einräumen, wissenschaftliche Mitarbeiter und Studierende können beteiligt werden, nicht aber nichtwissenschaftliche Bedienstete.[48]

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Damit das der Gruppe der Hochschullehrer aus verfassungsrechtlichen Gründen eingeräumte Stimmgewicht auch personell richtig zugeordnet wird, muss diese Gruppe homogen zusammengesetzt sein. Das erfordert einheitliche Mindestkriterien, weil sonst der Grundrechtschutz für diese Gruppe ausgehöhlt werden könnte.[49] Daraus folgt allerdings nicht, dass das Verfahren zur Bestellung der Vertreter der Hochschullehrer in den Selbstverwaltungsorganen in einheitlicher Weise und allein durch ein bestimmtes Wahlverfahren zu erfolgen hat. Der Gesetzgeber kann auch vorsehen, dass in den Gremien Amtsmitglieder vertreten sind, die, sofern sie objektiv der Gruppe der Hochschullehrer angehören, dann auch bei der Ermittlung des notwendigen Stimmgewichts der Gruppe der Hochschullehrer zugerechnet werden. Der VerfGH BW sieht das allerdings anders.[50]

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Ende des 20. Jahrhunderts setzt eine Entwicklung ein, die das Modell der „Gruppenhochschule“ deutlich modifiziert. Ausgangspunkt ist der Wunsch, den Hochschulbereich zu deregulieren (vgl. Rn. 170 ff.), um den vielfältigen Herausforderungen besser gerecht werden zu können. Das Hochschulrahmengesetz (HRG), das seit 1976 die Gestaltungsfreiheit der Länder im Hochschulbereich stark einschränkte, wird als zu unflexibel und starr empfunden, um auf neue Entwicklungen reagieren zu können. Auf Druck der Länder kommt es schrittweise zu einer Öffnung des HRG,[51] um den Ländern im Hochschulbereich zusätzliche Gestaltungsspielräume zu geben.[52]

Im Mittelpunkt der baden-württembergischen Hochschulreform des Jahres 2000, die mit gewissen Veränderungen bis heute Bestand hat, steht die Überlegung, den Hochschulen mehr Eigenverantwortung zu übertragen und die staatlichen Mitwirkungsrechte einzuschränken.[53] Das verlangte jedoch, die Handlungs- und Entscheidungsstrukturen innerhalb der Hochschulen zu professionalisieren, vor allem die Zuordnung der Verantwortung für Entscheidungen stärker zu personalisieren; die Erfahrungen mit dem vor dem Jahr 2000 zentral zuständigen Senat als Entscheidungsorgan waren eher ernüchternd. Das mag damit zusammenhängen, dass in einem größeren Gremium sich die Verantwortung für einzelne Entscheidungen nicht klar verorten lässt und damit Partikularinteressen die Gesamtinteressen der Hochschule dominieren.[54]

Bei der Einwerbung von Drittmitteln stand das individuelle Forschungsinteresse des Hochschullehrers im Vordergrund, das Interesse an der Profilierung der eigenen Hochschule hatte weniger Gewicht. Das erschwerte die Entwicklung breiter angelegter Forschungsstrategien und Schwerpunktbildungen, die es aber – angestoßen durch überregionale Förderprogramme der DFG oder einzelner Bundesministerien – durchaus gab. Für die mit der Reform übergreifend verantwortlichen, inhaltlich gestärkten Rektorate war es nun eine Herausforderung, Erfolg und Ansehen ihrer Hochschule zu steigern, was wiederum dazu beitrug, die Attraktivität der Hochschule bei der Gewinnung angesehener Wissenschaftler zu erhöhen. Die mit der Reform verbundene Erwartung einer deutlichen Qualitätssteigerung an den Hochschulen trat in Baden-Württemberg tatsächlich ein. Das belegt die Vielzahl der erfolgreichen Anträge der baden-württembergischen Universitäten im Rahmen der Exzellenzinitiative[55] und ist nicht zuletzt der Tatsache zu verdanken, dass die Universitäten in der neuen Struktur leichter und rascher in der Lage waren, überwölbende Zielsetzungen, Profile und Schwerpunkte für die Hochschule als Ganzes zu setzen und damit ihren Exzellenzstatus zu begründen.

 

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Gegenstand des am 1.1.2000 in Kraft getretenen HRÄG war nicht nur eine umfassende Reform der Hochschulorganisation, sondern auch die erstmalige Einrichtung eines hochschulinternen Kontrollorgans in Gestalt eines Hochschulrats. Die Erweiterung und Stärkung der Eigenverantwortung der Hochschulen wurde von der Vorstellung geleitet, dass die kontinuierlich notwendigen Anpassungsprozesse in Forschung und Lehre, die sich aus der dynamischen Entwicklung der Wissenschaft ergeben, am kompetentesten von den Hochschulen selbst vollzogen werden können. Zur Wahrnehmung dieser anspruchsvollen Aufgabe mussten insbesondere Instrumente zur Unterstützung und Erleichterung von Entscheidungen neu in den Hochschulen eingerichtet werden, die es bis dahin wegen der umfangreichen Zuständigkeit der Wissenschaftsministerien nicht gegeben hatte. Das Spektrum dieser neuen Instrumente reicht von der Struktur- und Entwicklungsplanung bis zur Qualitätssicherung. An die Stelle einer staatlich dominierten Anstalt mit korporativen Elementen sollte eine „unternehmerisch“ planende und weitgehend eigenverantwortlich handelnde Hochschule treten.[56] Diese Reform warf eine ganz neue Frage auf: Wie weit darf der Gesetzgeber bei der Übertragung von Entscheidungszuständigkeiten auf Leitungsorgane gehen, welche Mitwirkungsrechte müssen die Selbstverwaltungsorgane erhalten und unter welchen Voraussetzungen liegt eine strukturelle Gefährdung der Wissenschaftsfreiheit vor. Vor diesem Hintergrund hat die bundesweite Reform des Hochschulsystems, die seit der Jahrtausendwende in den Bundesländern – inhaltlich durchaus unterschiedlich – stattgefunden hat, zu einer Reihe von Verfassungsbeschwerden geführt. Wie die Entscheidung des baden-württembergischen VerfGH vom 14.11.2016 zu § 18 LHG zeigt, ist der Klärungsprozess noch nicht abgeschlossen.

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Richtungsweisend zu dieser Thematik ist hier zunächst die Entscheidung des BVerfG[57] zum Brandenburgischen Hochschulgesetz (BbgHG) aus dem Jahre 2004. Unter uneingeschränkter Aufrechterhaltung der früheren Argumentation greift das BVerfG den im „Hochschulurteil“ angesprochenen Gesichtspunkt auf, dass durch die organisatorische Gestaltung des Wissenschaftsbetriebs nicht die Gefahr der Funktionsunfähigkeit oder der Beeinträchtigung des für die wissenschaftliche Betätigung der Mitglieder, insbesondere der Hochschullehrer, erforderlichen Freiheitsraums herbeigeführt werden dürfe (vgl. Rn. 130) und entwickelt daraus die Vorgabe, dass die gesetzlichen Regelungen nicht zu einer strukturellen Gefährdung der Wissenschaftsfreiheit führen dürfen.[58] Eine „nur hypothetische Gefährdung“ reiche allerdings nicht aus, weil sich „die meisten hochschulorganisatorischen Entscheidungen, auch wenn sie den Kernbereich wissenschaftlicher Betätigung nicht unmittelbar berühren, aufgrund der Angewiesenheit der wissenschaftlich Tätigen auf den öffentlich bereitgestellten Wissenschaftsbetrieb mittelbar auf die wissenschaftliche Betätigung auswirken können“. Vielmehr müsse das „hochschulorganisatorische Gesamtgefüge mit seinen unterschiedlichen Einfluss- und Kontrollmöglichkeiten in den Blick“ genommen werden.[59] Dabei betont das BVerfG die besondere Herausforderung an den Gesetzgeber, der, wenn „ein hinreichendes Maß an organisatorischer Selbstbestimmung der Grundrechtsträger sichergestellt“ ist, frei sei, „den Wissenschaftsbetrieb nach seinem Ermessen zu regeln, um die unterschiedlichen Aufgaben der Wissenschaftseinrichtungen und die Interessen aller daran Beteiligten in Wahrnehmung seiner gesamtgesellschaftlichen Verantwortung in angemessenen Ausgleich zu bringen“. Für diese Aufgabe sei der parlamentarische Gesetzgeber besser geeignet als die an speziellen Interessen orientierten Träger der Wissenschaftsfreiheit.[60]

Damit werden zwei wichtige Aspekte angesprochen, die bei der Prüfung der Frage einer Gefährdung der Wissenschaftsfreiheit eine wichtige Rolle spielen: die Existenz von Partikularinteressen in der Hochschule, auf die bereits hingewiesen wurde, und die Existenz eines breiten Spektrums von Aufgaben und gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen, die vom Gesetzgeber in ausgewogener Weise berücksichtigt werden müssen.[61] Eine einseitige Orientierung nur an der Wissenschaftsfreiheit wird also der Notwendigkeit zu einem Ausgleich der verschiedenen Interessen in der Hochschule nicht gerecht. Vor diesem Hintergrund kommt das BVerfG zu dem Ergebnis, dass die Zuweisung von Entscheidungskompetenzen an Leitungsorgane mit Art. 5 III 1 GG vereinbar ist, sofern die Kompetenzen sachlich begrenzt sind und es durch die Organisation hinreichend gesichert ist, dass von ihrer Wahrnehmung keine strukturelle Gefährdung der Wissenschaftsfreiheit ausgeht.[62] In diesem Zusammenhang prüft das BVerfG auch die Verfassungsmäßigkeit des im BbgHG vorgesehenen Landeshochschulrats (vgl. dazu Rn. 210) und stellt dazu fest, dass keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen diese Regelung bestehen; auch die Möglichkeit eines Konflikts zwischen Senat und Landeshochschulrat bei der Bestellung eines Leitungsorgans stelle keine strukturelle Gefährdung der Wissenschaftsfreiheit dar. Die im Gesetz vorgesehene Möglichkeit, nur bei Erreichen einer Zweidrittelmehrheit des Senats die Hochschulleitung (Präsident) abwählen zu können, wird ausdrücklich gebilligt: Dies „trägt dem Ausnahmecharakter angemessen Rechnung und ist daher nicht zu restriktiv ausgestaltet“.[63] Insgesamt kommt das BVerfG für das mit zahlreichen Verfassungsbeschwerden angegriffene BbgHG zu dem Ergebnis, dass keine strukturelle Gefährdung vorliegt und weist die Verfassungsbeschwerden ab.

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Sechs Jahre später, im Jahre 2010, stand das Hamburgische Hochschulgesetz (HmbHG) vor dem BVerfG[64] auf dem Prüfstand. Es ging um die Kompetenzverteilung auf der Fakultätsebene. Das Hamburgische Gesetz sah weitreichende Entscheidungsbefugnisse für das Dekanat vor, gab aber der Fakultät bei Wahl und vor allem der Abwahl der Dekanatsmitglieder nur geringe Einflussmöglichkeiten. Die Angehörigen der Fakultät waren weitgehend dem Wohlwollen des Dekanats ausgeliefert. In Übereinstimmung mit der vorausgegangenen Entscheidung zum BbgHG führt das BVerfG aus, dass der Gesetzgeber nicht gehindert sei, einem Leitungsorgan der Hochschule auch in Bereichen mit Wissenschaftsbezug umfangreiche Kompetenzen einzuräumen. „Je stärker jedoch der Gesetzgeber das Leitungsorgan mit Kompetenzen ausstattet, desto stärker muss er im Gegenzug die direkten oder indirekten Mitwirkungs-, Einfluss-, Informations- und Kontrollrechte der Kollegialorgane ausgestalten, damit Gefahren für die Freiheit von Forschung und Lehre vermieden werden“.[65]

Das Gericht kommt deshalb zum Ergebnis, dass bei einer Übertragung weitreichender wissenschaftsrelevanter Kompetenzen auf ein Dekanat der Fakultätsrat als Repräsentativorgan der Fakultätsangehörigen in der Lage sein muss, seine Positionen durch die angesprochenen Formen der Beteiligung zum Ausdruck zu bringen, und notfalls auch die Möglichkeit haben muss, sich von einzelnen Mitgliedern des Leitungsorgans zu trennen. Dem BVerfG geht es dabei um ein Gegengewicht – das Gericht verwendet dafür den Begriff der Kompensation[66] – im Verhältnis zum starken Leitungsorgan, um damit eine strukturelle Gefährdung der Wissenschaftsfreiheit zu vermeiden. Vor dem Hintergrund der geringen Einfluss- und Mitwirkungsrechte war es für das BVerfG letztlich entscheidend, dass der hamburgische Fakultätsrat nicht einmal die Möglichkeit hatte, den Dekan selbst abzuwählen;[67] das Gesetz sah nur ein Vorschlagsrecht gegenüber dem Präsidium zur Abwahl des Dekans vor, für das noch eine qualifizierte Mehrheit von drei Viertel im Fakultätsrat erforderlich war. Der Vorschlag selbst war für das Präsidium nicht bindend, es konnte frei entscheiden. Nachvollziehbar ging bei dieser Konstellation das BVerfG davon aus, dass eine strukturelle Gefährdung der Wissenschaftsfreiheit vorlag. Die Hamburger Entscheidung stellt insoweit ein schlüssiges Beispiel für einen Fall struktureller Gefährdung der Wissenschaftsfreiheit dar. Sie fügt sich auch nahtlos in die vorausgegangene jahrzehntelange Rechtsprechung des BVerfG ein. Das gilt nicht mehr für die nachfolgend behandelte Entscheidung des BVerfG zum Niedersächsischen Hochschulgesetz, das die Fortgeltung der früheren Grundsätze zur Auslegung der „Wissenschaftsfreiheit“ in Frage stellt.