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»Auf diese Art also hat in Monarchien der Verstand immer noch viel bessere Chancen gegen seinen unversöhnlichen und allgegenwärtigen Feind, die Dummheit, als in Republiken. Dieser Vorzug aber ist ein großer. Überhaupt aber ist die monarchische Regierungsform die dem Menschen natürliche; fast so, wie sie es den Bienen und Ameisen, den reisenden Kranichen, den wandernden Elefanten, den zu Raubzügen vereinigten Wölfen und andern Tieren mehr ist, welche alle Einen an die Spitze ihrer Unternehmung stellen. Auch muss jede menschliche, mit Gefahr verknüpfte Unternehmung, jeder Heereszug, jedes Schiff, Einem Oberbefehlshaber gehorchen: überall muss Ein Wille der leitende sein. (…)

Republiken sind eben widernatürlich, künstlich gemacht und aus der Reflexion entsprungen, kommen daher auch nur als seltene Ausnahmen in der ganzen Weltgeschichte vor, nämlich die kleinen griechischen Republiken, die römische und die karthagische, welche noch dazu sämtlich dadurch bedingt waren, dass 5/6, vielleicht gar 7/8 der Bevölkerung aus Sklaven bestanden.«32

In den 1850ern steigt Moltke Rang für Rang, vom Oberstleutnant zum Generalleutnant und wird 1857 Chef des Generalstabs der Armee. Er nähert sich langsam und stetig seiner Bestimmung und den riesigen Aufgaben, die er zu erfüllen hat. Als Teil des Generalstabs befasst er sich mit Einsatzplanung, Aufmarschplanung, Ausbildung, Führung und Logistik; er ist nun fast 60 Jahre alt. Er studiert intensiv die Aufmarschpläne Friedrichs in Schlesien und Posen sowie die militärischen Karten der Regionen. Darüber hinaus besitzt Moltke ein umfassendes Verständnis für die Anwendungsmöglichkeiten der neuen Technik wie Fernmelder und Eisenbahn, was seinen späteren Plänen die Durchschlagskraft verleihen wird. Strategische Rüstung, Logistik und deren Zusammenspiel gewinnen im 19. Jahrhundert dergestalt an Bedeutung, dass der Planer zunehmend mehr Macht über den Kriegsverlauf besitzt als die ausführenden Truppen und Offiziere. Die Organisation wird »schöpferisch« und Moltke beherrscht sie meisterlich.

Nebenher ist Moltke wieder als preußischer Adjutant eingesetzt, dieses Mal bei Prinz Friedrich Wilhelm, dem späteren »99-Tage-Kaiser« Friedrich III. und kümmert sich in dieser Funktion auch um dessen militärstrategische Ausbildung, die sich später auszahlen wird. In seinem Gefolge besucht Moltke im Dezember 1856 Paris und lernt dort bei einem hohen Empfang den zweiten französischen Kaiser Louis Napoleon kennen. Nach dieser Begegnung wird Moltke ein hartes Urteil über Bonapartes Neffen fällen: »Er ist ein Empereur, aber kein König.«33 An diesem Abend kommt es zu einer weiteren interessanten Begegnung, Kaiserin Eugénie unterhält sich mit Moltke und ist fasziniert von diesem wortkargen, zugleich höflichen und liebevollen preußischen Offizier, dessen kurze Sätze geistvoll, abgewogen und umfassend sind. In einem Brief erwähnt sie Moltke und den Eindruck, den er auf sie machte:

»Der Begleiter des Prinzen, ein General Moltke, ist ein wortkarger Herr, aber nichts weniger als ein Träumer. Immer gespannt und spannend, überrascht er durch die treffendsten Bemerkungen. (…) Es ist eine imponierende Rasse, diese Deutschen. Louis sagte: die Rasse der Zukunft.«34

So ist die Kaiserin Eugénie, die letzte Monarchin Frankreichs, die nächste Frau, deren Zeugnis über Moltke so überaus positiv ausfällt. Ihr Gemahl, Napoleon III., verlor durch seinen Staatsstreich von 1851 den wohl besten Minister, den er als Präsident besaß: Alexis de Tocqueville. Dieser versuchte bis zuletzt den Parlamentarismus gegen dessen Feinde zu verteidigen. Als einer der hellsten politischen Köpfe seiner Zeit, Autor der Standardwerke Über die Demokratie in Amerika und Der alte Staat und die Revolution mit ideologischer Unabhängigkeit und fast preußischem Verantwortungsbewusstsein für Staat und Volk ausgestattet, wusste Tocqueville:

»Die Regierung, welche durch eine Revolution vernichtet wird, ist fast stets besser als ihre unmittelbar voraufgegangene und die Erfahrung lehrt, dass der gefährlichste Augenblick für eine schlechte Regierung gewöhnlich der ist, wo sie sich zu reformieren beginnt. Nur ein großes Genie vermag einen Fürsten zu retten, der es unternimmt, seinen Untertanen nach langer Bedrückung Erleichterung zu gewähren.«35

In dieser wie in unzähligen anderen Bemerkungen bewies er seinen bis ins Höchste gesteigerten politischen Verstand. Eine schlechte Regierung, die sich reformbereit zeigt, vernichtet durch Zugeständnis sich selbst; sie bekennt durch Entgegenkommen ihr Unvermögen und ihre Illegitimität. Das als »Tocqueville-Effekt« bekannte Phänomen traf und trifft zahlreiche Regierungen, die sich aus genuiner Regierungsunfähigkeit, Schwäche und anschließendem Opportunismus selbst richten. So sah es Moltke ebenfalls. Er betont wiederholt die Stärke, die die Regierung notwendigerweise nach innen wie nach außen besitzen muss. So sagt er Jahrzehnte später in seiner Reichstagsrede vom 14. Mai 1890:

»(…) – eine schwache Regierung ist eine dauernde Kriegsgefahr. Ich glaube, dass man den Wert und den Segen einer starken Regierung nicht hoch genug anschlagen kann. Nur eine starke Regierung kann heilsame Reformen durchführen, nur eine starke Regierung kann den Frieden verbürgen.«36

Louis Napoleon wird zunächst gewählter Staatspräsident, putscht anschließend und lässt sich 1852 zum Kaiser wählen. Mit seinem Onkel verbindet ihn verbindet der Ehrgeiz und die Ruhmsucht, nicht jedoch die Fähigkeiten und das Glück. Frankreich sprang in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts von System zu System; nur der Wandel besaß Kontinuität. Das erste Kaiserreich geht mit seinem Onkel Napoleon unter, es folgt die Monarchie der Bourbonen. Die Julirevolution von 1830 hat die Julimonarchie des Hauses Orléans zur Folge, die Februarrevolution von 1848 bringt Napoleons Neffen die Präsidentschaft der Zweiten Republik, dann ruft der neue Bonaparte schließlich das Zweite Kaiserreich aus. In Paris traf Bismarck 1855 den französischen Kaiser und tauschte sich mit ihm über die kommenden politischen Entwicklungen wie auch über die vergangenen Zeiten aus. In seinen Erinnerungen zeichnet er ein Bild des politischen Frankreichs der Bonapartes:

»Der Bonapartismus unterscheidet sich dadurch von der Republik, dass er nicht das Bedürfnis hat, seine Regierungsgrundsätze gewaltsam zu propagieren. Selbst der erste Napoleon hat den Ländern, die nicht direkt oder indirekt zu Frankreich geschlagen wurden, seine Regierungsform nicht aufgedrängt; man ahmte sie im Wetteifer freiwillig nach. Fremde Staaten mit Hilfe der Revolution zu bedrohen, ist seit einer ziemlichen Reihe von Jahren das Gewerbe Englands, nicht Bonapartes. Letzterer würde durch Ausbreitung revolutionärer Institutionen bei seinen Nachbarn Gefahren für sich selbst schaffen und wird vielmehr im Interesse der Erhaltung seiner Herrschaft und Dynastie bemüht sein, festere Grundlagen als die der Revolution für sich zu gewinnen.«37

Zwar ist Napoleon III. als Sieger aus dem Krimkrieg hervorgegangen, allerdings steht ihm seine wahre Prüfung noch bevor. Aus einem zunächst unbedeutenden Thronfolgestreit, der sich durch die Gebärden Napoleons zu einem Krieg mit ganz Deutschland entwickelte, sollte ganz Frankreich an den Rand des Abgrunds gebracht werden. Trefflich ist dazu eine Bemerkung vom letzten Kaiser der Trikolore selbst: »In Frankreich gibt es nichts, das ewig ist.«38


Währenddessen schwelt bereits seit längerer Zeit ein Konflikt, der Moltke, das Königreich Preußen und schließlich ganz Deutschland anstoßen wird und das Rad der Geschichte mächtig in Bewegung setzt. Im hohen Norden, in den Herzogtümern Schleswig und Holstein, schwillt seit den 1840ern die deutsch-nationale Bewegung an, die zum Missfallen Dänemarks die Aufnahme des mindestens anteilig dänisch bevölkerten Herzogtums Schleswig in den Deutschen Bund fordert. Dänemark pocht auf sein Lehen und die Eidergrenze, die seit Karl dem Großen Deutschland und Dänemark teilt. An dem Krieg von 1848-51 beteiligt sich Preußen nur bis 1850 und mit Hilfstruppen, die dem Deutschen Bund unterstehen. Der internationale Druck zwingt den Bund dazu, die Truppen abzuziehen, übrig bleiben lediglich die holsteinischen und schleswigschen Verbände. Moltkes »Heimat auf Zeit« Dänemark siegt über diese Armeereste; der dänische König mit seinem Gesamtstaat bleibt zunächst weiterhin Herzog in Schleswig und in Holstein. Die Folgen des Krieges werden im Protokoll von London festgehalten. Dann bricht im Jahr 1863 der Konflikt erneut aus: Dänemark stellt seine Novemberverfassung vor. Durch diese sollte unter anderem das Herzogtum Schleswig enger an Dänemark gebunden, Holsteins politische Mitbestimmung ausgeschaltet werden, wohl wissend, dass national motivierte Aufstände in beiden Herzogtümern ausbrechen und politische Reaktionen seitens des Deutschen Bundes, wenn nicht sogar direkt Österreichs und Preußens folgen werden. Der Deutsche Bund verhängt die Bundesexekution über Holstein, um intervenieren zu können, Preußen und Österreich reagieren unabhängig vom Bund und mobilisieren Truppen.

Endlich ist der Moment gekommen! Moltke ist Chef des Generalstabs, die Pläne für einen Krieg mit Dänemark stammen samt und sonders von ihm. Kurz vor Ausbruch des Krieges legte er König und Ministerpräsident Bismarck die Strategien und Erfolgsaussichten für den Kriegsfall dar. Bismarck ist dezidiert gegen den Krieg, für ein unbedeutendes Herzogtum, provoziere man schließlich keine Reaktionen der Großmächte. Es lag allerdings nicht mehr in seiner Macht: Der König sollte die Entscheidung treffen. Moltkes Plan gegen Dänemark wird von ihm folgendermaßen grob skizziert:

 

»Solange unsere Marine nicht eine Landung auf Seeland ermöglicht, um den Frieden in Kopenhagen selber zu diktieren, bleibt nur die Okkupation der Jütischen Halbinsel, welche, um als Zwangsmittel zu wirken, eine länger dauernde sein muss, dann aber die diplomatische Intervention und eventuell das tatsächliche Einschreiten dritter Mächte hervorruft. Das eigentliche Kampfobjekt bleibt, solange der Sitz der dänischen Regierung nicht erreicht werden kann, das dänische Landheer. Das bloße Zurückwerfen dieses Heeres führt nicht zum Ende des Krieges. Nicht ein erster Sieg, sondern seine rastlose Ausnützung, eine Verfolgung, welche die feindliche Armee vernichtet. Dazu ist selbstverständlich nötig, dass die dänische Hauptmacht auf der Halbinsel versammelt sei und uns in der Schlacht entgegentritt.«39

Doch wieder trübt ein Umstand Moltkes Stimmung: Er ist während des Krieges nicht vor Ort und muss in Berlin weilen. Er hat nicht die Befehlsgewalt und muss dem Gelingen seiner Pläne unter fremder Führung harren. Den Oberbefehl über die Truppen Preußens und Österreichs hat der bereits äußerst betagte Friedrich von Wrangel, dem Moltkes Pläne nicht in Gänze bekannt sind. Warum aber legte man Moltke erneut auf Eis? Misstraute man etwa dem früheren dänischen Kadetten und Leutnant im Krieg gegen seine ehemalige Heimat auf Zeit? Dieser Vorbehalt ist unbegründet bis absurd; für den längst als Preußen wiedergeborenen Moltke hätte ein solcher innerer Konflikt überhaupt nicht existieren können. Eher wird dessen fehlende praktische Erfahrung den Ausschlag gegeben haben, ihm weiterhin praktische Erfahrung zu verwehren. Unmut und Zorn werden jedoch nicht in ihm aufgestiegen sein, zu hoch ist sein Dienstethos, zu demütig und bescheiden sein Charakter.

Bei Rendsburg fallen am 1. Februar 1864 die ersten Schüsse. Wrangel verfährt nach eigenem Gutdünken, weswegen die schnelle Vernichtung der dänischen Armee misslingt; der Übertritt der Schlei bei Missunde verzögert sich, die Preußen überschreiten sie erst Tage später bei Arnis. Die Dänen unter de Meza ziehen sich zudem aus der Festung Danewerk zurück und entgehen so der Umfassung, also Vernichtung. Obwohl de Mezas Vorgehen für den weiteren dänischen Kriegsverlauf klug und überlegt war, so bedeutete die Aufgabe des Danewerks doch einen schweren Schock: Die Festung besaß für die dänischen Nationalen eine fast mythische Bedeutung. Der General wurde daraufhin aufgrund innenpolitischer Spannungen abgesetzt und die dänische Armee damit um einen ihrer besten Köpfe gebracht. Die österreichischen Truppen ziehen nach Norden, Preußen nach Osten. Prinz Friedrich Karl sammelt die Truppen und plant den Angriff auf die Schanzen bei Düppel, in die sich die Dänen zurückgezogen hatten. Zunächst traf am 7. April schwerer Artilleriebeschuss die dänische Stellung und sorgte für erhebliche Verluste von Mensch und Material. Die dänischen Truppen ziehen am 18. April aus den Schanzen ab und retten sich vor den eindringenden preußischen Truppen auf die Insel Alsen. Damit ist ein Großteil der dänischen Armee vom Kampf auf Jütland ausgeschlossen. Vor Helgoland erfechten die Dänen am 9. Mai nochmals den Sieg in der letzten offenen Seeschlacht ihrer Geschichte, während die laufenden Verhandlungen in London einen Waffenstillstand erwirken, der am 12. Mai in Kraft tritt. Preußen stellt sich derweil neu auf: Wrangel, der sich in einer Depesche über die Diplomaten echauffierte und diese »an den Galgen« wünschte, wird aufgrund seiner »eigenwilligen Korrespondenz« in den Ruhestand geschickt, Friedrich Karl erhält das Kommando und Moltke den Befehl. Nun darf der General Moltke endlich den »Vater aller Dinge« dirigieren. Der ausgehandelte Waffenstillstand ist nach knapp einem Monat beendet; Moltke befiehlt mit Genugtuung die Besetzung Alsens, er ist an seinem Ziel. Die Insel wird von den preußischen Truppen unter schweres Artilleriefeuer genommen und schließlich in der Nacht zum 29. Juni besetzt, was die Entscheidung bringt. Früh am nächsten Morgen fällt die Hauptstadt Sonderburg in preußische Hände. Moltkes Plan war vollends gelungen, der Krieg gegen seinen früheren Herrn wird zum Bekenntnis zu Preußen. Die weiteren Kämpfe auf Jütland verlaufen ohne nennenswerte Schwierigkeiten und der Krieg wird auf Seiten Preußens und Österreichs entschieden. Moltke, der mit seiner sorgfältigen Planung und schließlich dem Befehl den Bärenanteil am Schlachterfolg hatte, ist nun endlich in der ihm gebührenden Stellung angelangt. Die preußische Führung ist außerordentlich zufrieden und wird in kommenden Dingen sofort auf Moltke bauen. Der König schreibt nach dem Waffengang an Moltke:

»Als ein Zeichen meiner Anerkennung Ihrer Verdienste in diesem Kriege verleihe ich Ihnen den Kronenorden I. Klasse mit den Schwertern, den Ihnen der Prinz Friedrich Karl übergeben wird, der eine hohe Auszeichnung für Sie erbat, weshalb ich ihm die Freude gönne, Ihnen dieselbe zu überreichen.

Ihr treu ergebener Wilhelm«40

Der Mann im Felde, der Prinz, erbat sich also eine besondere Auszeichnung für den »Schreibtischtäter« Moltke. Letzterer nimmt die Auszeichnungen und seinen ersten erfolgreichen Feldzug mit stiller und warmer Genugtuung auf, kümmert sich derweil weiter um das Skizzieren neuer Aufmarschpläne und deren logistische Berechnung, denn der deutsche Dualismus um die Vorherrschaft über alle deutschen Länder ist durch den gemeinsamen Feind Dänemark alles andere als überwunden. Durch den Vertrag von Gastein fallen 1865 die Herzogtümer Schleswig und Sachsen-Lauenburg an Preußen, Holstein wird Österreich zugesprochen. Preußen erwarb zudem durch die Diplomatie Bismarcks die Rechte am Kieler Kriegshafen und am Bau eines Nord-Ostsee-Kanals durch Holstein. Jedoch bemerken viele Zeitgenossen den provisorischen Charakter der Verwaltung der Herzogtümer. Die Führung des Deutschen Bundes wird von Preußen und Österreich beansprucht; der Zusammenschluss der deutschen Staaten droht somit von den zwei riesigen Polen auseinandergerissen zu werden. Bismarck plante eine Bundesreform, die von Österreich und dessen Vasallen blockiert wurde. Österreich ließ darüber hinaus die weitere Regelung über die Herzogtümer stärker durch den Deutschen Bund regeln, berief im Juni 1866 in Holstein die Stände ein und verstieß damit gegen die geschlossenen Verträge mit Preußen. Bismarck, schwer gebeutelt durch ein Attentat und die diplomatischen Spannungen, verhandelte bereits mit dem frisch geschaffenen italienischen Königreich, konnte aus dessen Feindschaft zu Österreich Kapital schlagen und einen Bündnispartner im Süden gewinnen. Napoleon III. wiegelte beide Parteien gegeneinander auf, ohne einem Bündnis beizutreten; Frankreich konnte schließlich von einem massiven innerdeutschen Krieg ausschließlich profitieren.

Moltke hatte seinerseits Planung und Logistik auf die kommenden Gewitter des großen Mars eingestellt, er ist seit dem 8. Juni zum General der Infanterie befördert worden, hat bereits 1864 eine militärische Eisenbahnsektion einrichten lassen und verkürzte damit die Zeit der künftigen Mobilmachungen um annähernd die Hälfte. Moltkes technisches Genie sorgte dafür, dass Preußen nun für seinen Aufmarsch auf ganze fünf Bahnlinien zurückgreifen konnte, das große Österreich besaß hingegen nur eine einzige. Wenn dies auch die Front ausdehnte und verwundbarer machte, so wurde dies dadurch ausgeglichen, dass die preußischen Truppen durch den blitzschnellen Aufmarsch schon dann einsatzbereit waren, als Österreich noch aufmarschieren ließ. Alle Vorzeichen verraten somit: Dies wird der Krieg des Großen Schweigers, zum ersten Male ist ihm der Raum dergestalt gegeben, dass seine riesenhafte Gestalt in voller Größe auftreten kann. Seine Pläne sehen getrennte Wege vor, die sich an den entscheidenden Stellen treffen sollen; sie sorgen beim Stab zunächst für großes Misstrauen, welches Moltke mit seiner tiefen Ruhe und Sicherheit beseitigen kann. Hier wird zum ersten Mal die Losung »Getrennt marschieren – vereint schlagen« geprägt: Preußens Heer wird in drei selbstständige Verbände geteilt und in Richtung Böhmen geschickt, der strategische Papierkrieg und der logistische Aufwand sind folglich enorm. Moltke vertraut jedoch durch tief geschöpftes Selbstbewusstsein auf seine Pläne und sein strategisches Genie. Der kommende Krieg wurde im preußischen Sinne professionell, mit tadellosem Sachverstand, sicherem Weitblick und ruhigem Gewissen geplant. Dies soll ein preußischer Feldzug unter der meisterlichen Regie des alten Moltke werden.

Zunächst müssen die sich in Österreichs Netz befindenden Mittelstaaten wie Hannover, Sachsen, Hessen etc. ausgeschaltet werden, damit der österreichischen Spinne gezielt der Kopf abgeschlagen werden kann. Dresden wurde von der Elbarmee unter von Bittenfeld am 18. Juni ohne Widerstand besetzt, die I. Armee, geführt von Prinz Friedrich Karl, folgte ihr aus Richtung Lausitz nach Böhmen, wo sie am 22. Juni einrückten; auf österreichischer Seite marschierte der ungarische Feldzeugmeister von Benedek aus Olmütz kommend vor. Clam-Gallas führte die sächsischen Truppen bis zur Iser. Beim Gefecht von Hühnerwasser wird Clam-Gallas durch die Elbarmee von Bittenfelds geschlagen; am 27. Juni vereinigen sich Elbarmee und I. Armee und schlagen tags darauf die österreichischen Brigaden bei Münchengrätz und ziehen nach Gitschin. Zwei Drittel des preußischen Heeres sind nun bereits versammelt. Die österreichischen Offiziere sind unsicher, an welcher Stelle sie ihre Truppen konzentrieren sollen, aus Richtung Glatz ist gleichzeitig die II. Armee unter dem Oberbefehl des Kronprinzen Friedrich Wilhelm in drei Säulen unterwegs. Diese wird allerdings empfindlich von den Österreichern gestört und muss nach der verlorenen Schlacht von Trautenau die Marschroute ändern und vereinigt sich somit verspätet mit den anderen beiden. Benedek marschiert zu den Hügeln vor Königgrätz, um den preußischen Vorstoß aufzuhalten und sich gegebenenfalls hinter die Festung zurückzuziehen. Er lässt seine Artillerie aufstellen; knapp über 210 000 Soldaten befinden sich nun auf den Anhöhen, darunter auch die Sachsen mit Kronprinz Albert. Die Zange beginnt sich langsam zu schließen. Benedek, erfahrener Veteran in den italienischen Kriegen, ahnte bereits Schlimmstes; er schickt vor Annahme der Schlacht eine Depesche an den Kaiser in Wien. Man liest in ihr: »Bitte Eure Majestät dringend, um jeden Preis Frieden zu schließen. Katastrophe der Armee unvermeidlich.«41 – Umsonst. Benedeks weitsichtiger Warnung wird nicht mehr gefolgt. Ihre Majestät verlangt, falls es nicht anders ginge, den Rückzug und fragt zudem, ob bereits eine Schlacht stattgefunden hätte. Diese Nachricht deutet Benedek dergestalt, dass die Schlacht mit der gesamten Armee, in diesem hügeligen Terrain, mit der Elbe im Rücken, angenommen werden solle und handelt. Beim Vernehmen dieser Nachricht spricht Moltke zu König Wilhelm jene trockenen Worte, die Geschichte machen werden:

»Euer Majestät werden nicht nur diese Schlacht, sondern den Feldzug gewinnen.«42

Moltke ist mit dem Hauptquartier, Minister Roon, Ministerpräsident Bismarck und dem König in Gitschin untergebracht und gibt die Befehle für die Schlacht am 2. Juli aus. Am nächsten Morgen treffen die I. Armee und die Elbarmee an der Bistritz ein, die einzelnen Divisionen überqueren sie an unterschiedlichen Stellen. Dabei ereignet sich ein für Preußen unglaublicher Glücksfall: Österreichische Truppen unter Thun und Festetics verlassen ihre Stellungen nach Westen, um die Teile der I. Armee im Swiepwald in Kämpfe zu verwickeln und hinterlassen eine Lücke, durch die später die II. Armee ohne Widerstand zum restlichen Heer stoßen wird. Die I. Armee sollte die Österreicher locken und binden, damit die II. einen Flankenstoß vollziehen konnte und durch die Kämpfe im Swiepwald zog man den Feind in die perfekte Position. Dieser wehrte sich unterdessen wie wild; schwere Artillerie setzte der I. Armee mächtig zu, während der Kronprinz samt Armee schlicht nicht auftauchen wollte. Schon fragte der König nach Plänen für den Rückzug. Moltke, während der Schlacht wie schon am Euphrat von einer für die Umstehenden fast beängstigenden Jenseitigkeit befallen, stumm, unbeweglich, den Verlauf der Schlacht mit der Zunge schmeckend, antwortet kalt und leise: »Hier wird nicht zurückgegangen, hier geht es um Preußen.«43 Die Anwesenden überkam ein kalter Schauer: Was trieb diesen ehemaligen Kamelreiter in der osmanischen Wüste eigentlich, inmitten des kalten, verregneten Tages dieser Schlacht, dass er schweigend, mit starker Genugtuung und solch einer steinernen Ruhe den Rückzug ausschloss, während die I. Armee stark gerupft wurde und der Kronprinz nicht erschien?

Moltke war tief in seinem martialischen Element versunken: Es ist die unheimliche Ruhe, die den Feldherrn befiel, als der anfängliche Lärm sich zu plätscherndem Rauschen verdichtete, der durch die dumpfe Wucht vereinzelten Donners unterbrochen surrend verschwimmt und sich über alle menschlichen Stimmen, besonders die im eigenen Kopfe legt, während sich gleichzeitig die Eindrücke des Auges übersteigern und in ein unbestimmbares Blitzen und Leuchten inmitten schweren Rauches übergehen; der peitschende Rausch von Zerstörung, Licht und Blut, der sich in dieser gewaltigen Schlacht entlädt und wie der Krieg, überall in der Natur, neues Leben schenkt. Die irdischen Fesseln lösen sich, Körper und Geist schweben in Kontemplation, Panik und Entzückung – alles ist nun freudige Erwartung: Man erwartet den Tod, Unendlichkeit, reines Sein. Moltke wird während dieses atemberaubenden Schauspiels vor Verzückung abwechselnd die Augen geöffnet und geschlossen haben, es ist seine Schlacht und gleich wird sie sich als solche zu erkennen geben. Noch immer wüten die österreichischen Batterien grausam, ein frontaler Durchbruch ist nicht möglich. Nun setzte noch eine Steigerung des tödlichen Lärms ein und Moltke erkannte? wen? – der Kronprinz war gekommen! Mit tiefer Erleichterung erfüllt, ritt er zum König und meldete ihm:

 

»Seine Königliche Hoheit der Kronprinz greift eben ein. Euer Majestät haben die Schlacht gewonnen.«44

Über 400 000 Soldaten befinden sich nun in diesem Schauspiel vereint, ein Rückgriff auf die Schlachten der Antike. Endlich konnte die Zange zugreifen und Moltke gibt den einzigen schriftlichen Befehl der ganzen Schlacht: »Kronprinz bei Ziselowes. Rückzug der Österreicher nach Josephstadt abgeschnitten. Es ist von größter Wichtigkeit, dass das Korps des Generals von Herwarth auf dem entgegengesetzten Flügel vorrückt, während im Zentrum die Österreicher noch Stand halten.« Herwarth von Bittenfeld reagierte allerdings nicht rechtzeitig, weswegen Teile der österreichischen Kräfte entkommen konnten, ansonsten wäre der Schlusspunkt in höchster Vollendung gesetzt worden. Die Bilanz fällt dadurch jedoch nicht minder eindrucksvoll aus: Rund 1.300 Offiziere, 41 500 Mann und 6000 Reiter verlor man auf Seiten Habsburgs. Die Schlacht brachte vorzeitig die Entscheidung über den Krieg, auch wenn dieser bis vor die Tore Wiens getragen werden musste, um den Frieden zu diktieren, was am 23. August 1866 in Prag geschah. Die enorme Anspannung, die der gewagte Schachzug mit sich brachte und Bismarck an Selbstmord denken ließ, schlug sich nach der Schlacht auch bei Moltke nieder; er fiel vollständig angekleidet ins Bett, vom Fieber befallen. Wie jeder große Rausch brachte auch die Schlacht von Königgrätz gewaltige Auszehrung. Schon zum Zeitpunkt des Friedensschlusses ist Moltke schlagartig in aller Munde, bei der Siegesfeier in Berlin sieht man ihn schüchtern und unwohl inmitten der Parade; der stumme und zurückhaltende Charakter verträgt den Ruhm nicht. Die jubelnde Menge schreit: »Seht den Schweiger, er trägt den Krieg im Kopf, er ist der Vater des Krieges, darum muss ihm der Krieg gehorchen.«45 Der gewonnene Deutsche Krieg wurde nun politisch durch Bismarck in preußisches Kapital verwandelt. Knapp ein Jahr nach dem Waffengang schuf er den Norddeutschen Bund, der alte Deutsche Bund wurde aufgelöst. Preußen schluckte die Herzogtümer Schleswig und Holstein, dazu kamen noch die Kriegsgegner Hannover, Kurhessen, Nassau und Frankfurt. Dem von Preußen geführten Norddeutschen Bund traten Sachsen, Hessen, Schaumburg-Lippe und weitere kleine Länder bei. Österreich erkannte Preußens Vormacht in Norddeutschland an; immerhin konnte Preußen durch diese Annexionen seine bisherige Größe von 19 auf 26 Millionen Einwohner erweitern. Mit den verbleibenden deutschen Staaten Bayern, Württemberg, Baden wird das Schutz- und Trutzbündnis zum Zwecke deutscher Sicherheit und Verteidigung nach außen eingegangen, dem später Hessen folgte.

Moltke, der all dies militärisch ermöglichte, erhielt schon zur Unterzeichnung des Vorfriedens den Schwarzen Adlerorden. Eine weitere Ehre wird ihm zuteil: Er wird vom König zum Chef des Zweiten Pommerschen Grenadier-Regiments Nr. 9 ernannt und wird in dieser Position Nachfolger eines anderen Helden, nämlich jenem von Kolberg: August Neidhardt von Gneisenau. Der königliche Brief enthält die folgenden Worte:

»Die Vergangenheit dieses berühmten Regimentes und der Name Ihres Vorgängers in der Stelle als Chef desselben wird Sie meinen Wunsch, Ihnen eine besondere Auszeichnung zu gewähren, erkennen lassen.«46

Moltke ist damit endgültig in Preußen etabliert, er besitzt nun Position und Ehre und erhält für seine Verdienste zusätzlich stattliche 200 000 Taler, womit die elendigen Geldsorgen der Vergangenheit angehören. Endlich kann er sich dem Gutserwerb widmen und sich angemessen, zusammen mit Marie, häuslich niederlassen. Seine Wurzeln melden sich in ihm, es zieht ihn nach Mecklenburg und Holstein, wo die alten Güter der Familie standen. Dort wird er allerdings nicht fündig, weshalb die Wahl auf Kreisau in Niederschlesien fällt. Wie bereits in Blüchers Fall lässt sich nun der Mecklenburger in Schlesien nieder. Ruhe kehrt im Hause Moltke jedoch nicht ein, da der Herr auch für die kommenden militärischen Belange gebraucht wird. Kaum in ihrem neuen Heim angekommen, stirbt Marie traurigerweise 1868 an schwerem Fieber. All die Jahre gab sie ihm Kraft und Ruhe, machte seine Erfolge möglich, nun ist sie in ihrer ewigen Jugend verschieden. Nach ihrem Tod lenkt sich Moltke auf dem Gut mit Gartenarbeit und anderen Tätigkeiten ab, schreibt militärische Handbücher, sofern er nicht im Generalstab benötigt wird, denn von Westen weht ein salziger Wind herüber, der den Dunst privater Trauer zunächst wegbläst.


Im Südwesten Europas, namentlich auf der iberischen Halbinsel wird ein Thron frei und bleibt zunächst unbesetzt. Dieser leere Thron verursacht ein historisches Erdbeben, das die Landkarte Europas gewaltig verändern und Frankreichs Existenz aufs Spiel setzen sollte. Der spanische Thron ist seit der Absetzung Isabellas II. 1868 frei, die Blicke richten sich zunächst auf ihren Schwager Herzog Antoine von Montpensier. Antoine ist aus dem Hause Orléans und der jüngste Sohn Louis Philippes, des letzten König Frankreichs und »Königs der Franzosen«. Napoleon versucht natürlicherweise mit all seiner Macht diesen Kandidaten zu verhindern, denn einen Vertreter des konkurrierenden Geschlechts an der Spitze seines südlichen Nachbarn konnte er schlechterdings nicht dulden. Der nächste Kandidat war Ferdinand II. von Sachsen-Coburg und Gotha, König von Portugal. Fast hätte sich so die frühere spanisch-portugiesische Personalunion von 1580-1640 wiederholt, dieses Mal allerdings unter dem portugiesischen König. Ferdinand lehnt jedoch ab und verweist auf seinen Schwiegersohn Leopold. Er ist aus dem Hause Hohenzollern-Sigmaringen. Es muss an dieser Stelle nicht betont werden, wie viel schlimmer dieser Kandidat für Napoleon ist, der sich im Falle von dessen Inthronisierung in der Zange gewähnt hätte. Erstaunlicherweise gibt Bismarck in seinen Erinnerungen zu, dass er Leopold eher in einer französischen, als der von Louis so befürchteten spanisch-deutschen Koalition vermutete, hätte er den Thron bestiegen. Napoleon trommelt indes gemeinsam mit seinem Außenminister Gramont gegen die Kandidatur Leopolds und droht offen mit Krieg, auch aus Prestige-Erwägungen. Bismarck unterstützte auf eigene Faust Leopolds Kandidatur zum Zwecke seiner diplomatischen Pläne, sehr zum Missfallen des Königs und schließlich Moltkes, der schrieb:

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