Heliosphere 2265 - Band 47: Nanokiller

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Aus der Reihe: Heliosphere 2265 #47
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Kommandozentrale von Unit-1

Freudige Erregung loderte in Jessica heiß wie Feuer. Als Präsidentin der Republik und obendrein Idealistin, war jeder Erfolg Balsam für ihre Seele. Ein weiteres Zeichen für die Allianz war gesetzt. Das Kernmodul von Unit-1 erwies sich als bahnbrechend. Bereits in den ersten Wochen waren zahlreiche Technologien unterschiedlichster Art fusioniert worden. Ob im zivilen oder militärischen Bereich, die Gesellschaft der Menschen würde ebenso profitieren wie die der anderen Völker. Translokatoren mit neuer Reichweite, fixierte Phasentunnel mit beschleunigenden Wechselbrüchen, schnellere Antriebe und vieles mehr. Natürlich befanden sich die meisten der Komponenten noch im Prototyp-Status. Doch Jessica war zuversichtlich, dass man sie im Laufe der Zeit in die neue Allianz-Klasse würde einbauen können.

Gemeinsam mit den Abgesandten der Völker befand sie sich in der Kommandozentrale. Die Pause in den Gesprächen über die weitere Strategie wollte sie nutzen. Captain Ken Pembleton führte sie persönlich herum und erklärte die neuen Gerätschaften. Jedes Volk entsandte für eine gewisse Zeit einen Kommandanten oder eine Kommandantin aus seiner Mitte. Aktuell kommandierte ein menschlicher Captain die Station – noch für zwei weitere Monate.

Quinn Archer – Jessicas Stabschefin – hatte entspannt an einer Konsole gesessen und sich die Sensoren erklären lassen. Nun schloss sie zur Präsidentin auf. Für ihre erste Außenmission schlug sie sich gut.

Für die Kybernetiker war Fen Kar erschienen, für die Rentalianer Lu. Die Aaril hatten Z’Rol, einen Feueraaril, geschickt.

Eine kleine Sensation war der Parlide. Nachdem der Hegemon, die zentrale K.I. der Aliens, zu einem Teil der KSI geworden war, regierte ein von ihr bestimmter Nachfolger die Hegemonie – der Hybride, der viele Jahrzehnte in der Kaverne von Pearl eingeschlossen gewesen war. Unter der Prämisse einer Einheit zwischen Menschen und Sternenköpfen war er dabei, die gesamte Gesellschaft der Parliden neu zu strukturieren. Erste Lösungen für das Nachwuchsproblem waren dank der Aaril ebenfalls gefunden, obgleich sie noch ganz am Anfang standen.

Die parlidische Gesellschaft wurde ab sofort in Cluster unterteilt. Diese stellten sowohl Zugehörigkeit zu einer Kompetenzklasse als auch Hierarchie dar. Der Abgesandte der Hegemonie hatte sich als Alpha-3-2 vorgestellt. Er gehörte also zur regierenden Klasse, diplomatischer Cluster, zweiter in der Hierarchie.

Jessica sah die neue Struktur mit Skepsis, da sie den Grundstein für Benachteiligung legte. Doch die Parliden mussten ihren eigenen Weg finden.

Rot leuchtende LEDs rissen sie aus ihren Gedanken.

»Warnung, Verunreinigung der Atmosphäre registriert. Alle Abteilungen werden versiegelt. Quarantäneprotokoll geht online. Bitte legen Sie Ihre Skinsuits an.«

Captain Pembleton trat sofort an seine Kommandokonsole und rief Daten ab, während Jessica und Quinn einen der Suits anlegten. Die übrigen Anwesenden kamen der Aufforderung ebenfalls nach. Fen Kar berührte lediglich ein Symbol auf seinem Oberarm, worauf aus Gürtel und Armschellen eine Flüssigkeit expandierte, über seinen Körper lief und sich verfestigte.

Das brauchen wir unbedingt auch.

Jessica war nicht beunruhigt. Vermutlich war in einem der Labore ein Experiment missglückt.

»Sicherheitsalarm!«, rief Pembleton und machte diese Hoffnung zunichte. »Ich will ein Bild.«

Einer der Offiziere ließ seine Finger über die Konsole gleiten. Die Holosphäre expandierte als Band vor den kubisch angeordneten Konsolen.

»Damato!« Jessica starrte auf die kauernden Wissenschaftler, die gefesselt auf dem Bildschirm erschienen waren. Ovale Metallelemente auf den Konsolen im Labor mit den Wissenschaftlern leuchteten pulsierend und verströmten, wie in der Sphäre markiert wurde, ein unsichtbares Gas.

»Sicherheit, begeben Sie sich zum zentralen Labor«, befahl Pembleton. Er gab eine kurze Einschätzung der Lage. »Finden Sie den Eindringling!«

Und einen solchen musste es geben, denn die Wissenschaftler hatten sich kaum selbst gefesselt. Handelte es sich um einen Attentatsversuch?

Die Sicherheit traf ein und befreite Damato und die übrigen Wissenschaftler.

»Doktor, was ist hier los?«, fragte Pembleton.

»Captain, Madam Präsident.« Der Wissenschaftler blickte fahrig zu den Metallelementen. »Ich fürchte, eine Probe der Extraktoren wurde entwendet. Und freigesetzt.«

Fen Kar keuchte auf, was Jessica dazu veranlasste, sich dem Kybernetiker zuzuwenden. »Was ist los?«

»Mein Quarantäneschutz wurde soeben umgangen.«

»Warnung, Kontamination der Kommandozentrale«, verkündete die androgyne Stimme des Hauptcomputers.

Fast im gleichen Augenblick rann ein Blutfaden aus der Nase von Doktor Siu Damato. Der Wissenschaftler kippte um, als habe ihn jemand mit der Berührung eines Icons einfach ausgeschaltet.

Auf den Konsolen des Sensorspezialisten leuchtete es rot auf. Eine Abteilung nach der anderen wurde trotz des Quarantäneprotokolls kontaminiert.

»Captain«, Jessica trat ganz nah an den Kommandanten heran. »Ich brauche eine Einschätzung.«

»Wozu?«

»Wie lange wir noch zu leben haben.« Jessica ahnte, was hier geschehen war. »Und wir brauchen Unterstützung.«

»Ich kontaktiere sofort die NOVA-Station.«

»Die interne Sicherheit muss den Eindringling finden, bevor er mit der Probe entkommen kann. Unter allen Umständen.« Traurig blickte sie auf die Übertragung zum Labor. »Und wir benötigen die einzige Koryphäe auf diesem Gebiet, die es in der Republik gibt.«

»Ma’am?«

»Kontaktieren Sie die HYPERION. Wir brauchen Irina Petrova.«

*

IL HYPERION, auf dem Weg nach Theta Eridani, 02. August 2270, 11:51 Uhr

Tess atmete einmal tief durch, nahm einen letzten Schluck ViKo und trat ein. Das Schott teilte sich mit einem pneumatischen Zischen in der Mitte. Dahinter lag das technische Labor.

Bevor sie jedoch dazu kam, eine Frage zu stellen, fiel ihr Blick auf das Metallkonstrukt, das ihr gegenüberstand. Einer der Androiden von Opal, in der rechten Hand ein Pulsergewehr. Reflexartig ließ sie den Becher fallen, hechtete zur Seite und kam schmerzhaft auf dem Boden auf.

Das Sensorfeld im Gesicht des Androiden wandte sich ihr zu. »Buh.«

Erst das schallende Gelächter, in das Sarah ausbrach, ließ Tess die Situation begreifen. Wütend sprang sie auf. »Das war nicht witzig!«

»Du hättest dein Gesicht sehen sollen. Herrlich.« Die braunen Locken hüpften lustig herum, während Sarah lachte. »Und dann das ›Buh‹. Köstlich. Das Pulsergewehr ist übrigens nicht geladen. Ich denke, das mache ich noch einmal mit Alpha 365. CARA, rufst du den Sicherheitschef bitte …?«

»Auf keinen Fall!«, blaffte Tess. Erst jetzt registrierte sie das verhaltene Kichern, das aus den Lautsprechern hallte. »Hast du sie etwa dabei unterstützt, CARA?«

»Ich durfte den Androiden steuern«, kam es stolz zurück. »Er besitzt keinerlei eigene Intelligenzroutinen. Es war völlig harmlos.«

»Seid ihr verrückt?«, fragte Tess nachdrücklich. »Stellt euch vor, jemand spaziert hier herein und ist bewaffnet! Da kann sonst was passieren.«

»Der Androide ist mehrfach gepanzert. Da müsste man schon aus direkter Nähe ein ganzes Magazin leeren, um ihn zu zerstören«, verteidigte sich Sarah.

Erst jetzt bemerkte Tess die Gestalt, die an einem der seitlichen Terminals saß. »Doktor Petrova?!«

»In Person«, bestätigte diese. »Und nein, ich habe nichts mit dem Streich zu tun.« Ein Funkeln trat in die Augen der weißhaarigen älteren Frau. »Allerdings sah es tatsächlich ganz lustig aus.«

»Ich muss Peter davon erzählen«, sagte Sarah.

»Peter? Peter Task?!« Tess starrte ihre Freundin entgeistert an. »Seit wann sprecht ihr euch mit Vornamen an? Normalerweise ist er für dich doch nur ›der dämliche Navigator‹.«

»Nun, wir haben uns gestern unterhalten.«

»Auf dem Erholungsdeck«, warf CARA hilfsbereit ein.

»Wo sie sich eine halbe Stunde lang anbrüllten«, ergänzte Doktor Petrova. »Danach … ich will gar nicht wissen, was danach passiert ist.«

»Wir sind uns ähnlicher, als ich dachte«, schwärmte Sarah. »Er ist sehr leidenschaftlich.«

Tess verdrehte die Augen. »Du liebe Güte. Ihr seid einzeln schon schrecklich.«

»Es war ja nur ein aus der Wut geborener Quickie.« Sarah winkte ab. »Du wärst überrascht, wie intensiv Sex nach einem Streit sein kann. Es bleibt nicht mal Zeit, sich vollständig auszuziehen.«

»Das ist toll«, sagte Tess trocken. »Und mehr, als ich wissen wollte.«

»Cross und Ishida haben einen schlechten Einfluss auf dich.« Sarahs Blick taxierte Tess. »Du bist so steif geworden, seitdem du I.O. der HYPERION bist.«

»Ich trage Verantwortung.«

»Dabei kann man trotzdem Spaß haben.«

»Nicht deine Art von Spaß.«

»Doch.«

Tess seufzte. »Ich begebe mich jetzt zur Kommandobrücke. Und du schaffst den Androiden wieder zu den Technikern, damit die seine Konstruktionspläne fertig rekonstruieren können.«

Es zischte, als das Schott sich erneut öffnete.

Das Verhängnis nahm seinen Lauf und obgleich Tess noch versuchte, es aufzuhalten, war sie chancenlos.

Commodore Jayden Cross stand dem Androiden gegenüber. Die Sensorfläche des Metallkonstrukts waberte. Cross’ Körper, aufgerüstet von einem Bioneuralen Tattoo, reagierte blitzschnell. Er ließ den ViKo-Becher fallen, der sich zu dem von Tess am Boden gesellte und wie dahingezaubert lag ein Pulser in seiner rechten Hand. Auf mehrfache Schallgeschwindigkeit beschleunigte elektrisch geladene Partikel perforierten aus nächster Nähe den Oberkörper des Androiden. Der Commodore leerte das gesamte Magazin.

 

»Buh«, sagte die Maschine.

Dann kippte sie nach hinten weg und landete krachend auf dem Boden.

Doktor Petrova, Sarah und Tess starrten noch verdutzt auf Cross, als dieser den Pulser wieder in das Holster schob.

»Wieso tragen Sie einen Pulser?« Eine bessere Frage fiel Tess nicht ein.

»Schießstand«, erwiderte der Commodore kurz angebunden. »Was ist hier los?«

»Typisch.« Sarah stemmte die Fäuste in die Hüfte. »Kaum tauchen Sie irgendwo auf, machen Sie etwas kaputt.«

Doktor Petrova seufzte. »Das gilt ebenso für Sie. Allerdings bezieht sich das auf das Nervenkostüm aller Anwesenden.«

»Sie sind eine garstige alte Frau.« Sarah verschränkte die Arme.

»Wer von uns zählt die Jahrhunderte?«, gab Petrova mit einem diebischen Grinsen zurück.

»Und wie gut habe ich mich gehalten?« Sarah bereitete die Arme aus. »Im Gegensatz zu anderen.« Dabei warf sie dem Bauch der Chefärztin einen intensiven Blick zu.

»Doktor Petrova«, verschaffte Cross sich schneidend Gehör. »Es gab einen Zwischenfall auf Unit-1. Die HYPERION wird in wenigen Augenblicken den Phasenstromtunnel nach Alzir durchfliegen und von dort das geheime System aufsuchen, in dem sich die Allianzstation befindet. In Ihrem persönlichen Speicher liegt ein Dossier über das Vorkommnis. Priorität Alpha.«

»Aye, Sir.«

»Commander Kensington, Captain Ishida erwartet Sie auf der Brücke für die Einsatzbesprechung.«

»Aye, Sir.«

»Miss McCall, CARA, unterhalten wir uns ein wenig.«

Mit einem Schmunzeln auf den Lippen verließ Tess das Labor. Vermutlich durfte Sarah nun gemeinsam mit der Junior-K.I. die Reparatur des Androiden übernehmen. Und danach hoffentlich das Deck schrubben.

Die Admiralität hatte sehr schnell aus der Not eine Tugend gemacht. Die von Sjöberg gesteuerten Modelle waren deaktiviert und ihre Speicher geleert worden. Damit konnten sie von der Allianz nicht nur eingesetzt werden, die Techniker wollten sie auch reproduzieren. In einem Kampf am Boden konnte das Leben retten.

Es wurde bereits davon gesprochen, zukünftig Androiden-Truppen auf fremde Welten zu translozieren, bevor ein Außenteam einem möglichen Risiko ausgesetzt wurde. Andere sprachen davon, mittels Phasenfunk Fernkontrolle auszuüben und in Krisenfällen gänzlich auf menschliche Außenteams zu verzichten.

Wir leben in interessanten Zeiten.

Natürlich würde es Jahre dauern, bis die Technik entsprechend weit entwickelt war und niemand vermochte zu sagen, welchen Weg sie nehmen würde.

Der Lift brachte Tess zur Kommandobrücke.

*

Sol-System, Terra, 03. August 2270, 01:51 Uhr

Kirby taumelte zur Seite. Hatte das Interface eine Fehlfunktion? Erst mit einiger Verzögerung begriff sie, dass das Labor sich verändert hatte. Ein klobiger Holotank stand im Zentrum, zwei Terminals an der Wand. Alles andere fehlte.

»Ich habe die Verbindung hergestellt.« Eine grazile Frau mit langem, blondem Haar erhob sich. Sie trug einen einteiligen Overall, wie er um die 2230er in Mode gewesen war. »Ich leite den Datentransfer ein, lösche den alten Kern und lasse einen Cleaner alle Datenfragmente beseitigen.«

»Tamara Kensington«, flüsterte Kirby. Es handelte sich eindeutig um die Mutter von Tess Kensington.

»Ausgezeichnet«, erklang eine Stimme aus dem angrenzenden Raum. Kurz darauf tauchte ein hochgewachsener Mann auf. Seine Schultern besaßen die Breite eines Kleiderschranks, doch um die Hüften war er schlank. Volles braunes Haar und außergewöhnlich symmetrische Gesichtszüge ließen auf eine hochwertige Gen-Resequenzierung schließen. Vermutlich angewendet auf seine Eltern und weitergegeben über das Erbgut. Es war Arch Kensington, der Vater von Tess Kensington.

»Mir gefällt das nicht.« Tamara starrte auf die Skalen und Daten, die ein 3D-Monitor präsentierte.

»Was ist los?«

Sie berührte ein Icon. Der Holotank erwachte und projizierte die Daten des Monitors in einer furchtbaren Auflösung. Es musste eines der ersten Modelle gewesen sein. Das Hologramm zuckte und stabilisierte sich nur zögerlich.

»Es gibt Diskrepanzen.«

Arch beugte sich über den Holotank. »Massive Ausschläge«, stellte auch er fest. »Das deutet auf jemanden hin, der sehr unbedarft vorgeht. Irgendwelche sonstigen Warnsignale?«

Seine Frau schüttelte den Kopf. »Keiner der Genschlüsselträger wurde überprüft oder attackiert.«

Kirby erinnerte sich, dass die Eltern von Kensington einen Teil des genetischen Schlüssels in sich getragen hatten, der das Gefängnis der Ash'Gul'Kon zu öffnen vermochte. Niemand hatte gewusst, dass Richard Meridian längst einen Ersatzschlüssel über Klone angefertigt hatte.

»Möglicherweise jemand, der ein ähnliches Programm besitzt wie wir?« Arch versuchte, die Skalen über Gestensteuerung zu vergrößern, musste schließlich aber Icons am Rand des Tanks benutzen. »Wenn ich das richtig sehe, gab es massive Veränderungen im natürlich prognostizierten Ablauf. Das betrifft die terranische Börse und insbesondere BitUnit.«

Die digitale Währung war in den frühen 2220ern aufgekommen und schnell zu einem Gegenwicht des unionsweiten Dollars geworden. Tatsächlich war im Parlament sogar über eine Ablösung diskutiert worden. Dazu war es jedoch nie gekommen.

»Jemand manipuliert den Kurs«, schloss Tamara. »Der- oder diejenige muss über einen ausgezeichneten Prognosealgorithmus verfügen. Besser als unserer.«

»Was kaum möglich ist.« Arch knabberte an der Unterlippe, während er die Daten betrachtete. »Immerhin ist das Technologie, die nur den Erblinien zur Verfügung steht. Aber wie kann man sonst die Zukunft voraussagen? Um solch eklatante Abweichungen zu generieren, muss jemand gezielt von dem deterministischen Muster abgewichen sein.«

»Hier kommt das Ergebnis des Forensik-Algorithmus.«

Im Holotank wurden weitere Daten eingeblendet. Kontonummern zurückverfolgt, Kaufprofile überprüft, Firmenbesitzurkunden eingeblendet. Schließlich erschien das Konterfei eines Mannes.

»Das ist Noah March.« Tamara ging zum Holotank. »Wie ist das möglich?«

»Ketaria-Bund?«

»Niemals. Das hätten wir doch längst herausgefunden.«

»Dann bleiben nicht viele Optionen. Könnte es sich bei ihm um Meridian handeln?« Arch verschränkte die Arme. »Wir sollten ihm einen Besuch abstatten. Wie auch immer er an derart exakte Informationen gelangt ist, andere werden ebenfalls aufmerksam werden. Das ist nicht gut.«

Kirby erstarrte. Bisher war sie stets davon ausgegangen, dass die Eltern von Kensington nichts über die Zeitreisenden gewusst hatten. Ihre Verstrickung in das Schattennetzwerk hatte zu ihrem Tod geführt, eingeleitet von Tricia Hallmark, einer Ketaria-Assassine. Doch niemand hatte damals die Identität der Zeitreisenden gekannt. Wie also konnten die beiden davon wissen? Und wer war Noah March?

Mit einem schnellen Gedanken nahm Kirby Zugriff auf die Wissensdatenbanken. Nach der großen Enthüllung von Sarah McCall in der Omega-Datei hatte Admiralin Jansen eine Recherche eingeleitet. Im Zuge dessen waren zahlreiche Identitäten offenbart worden, die die Zeitreisenden im Verlauf ihres Lebens angenommen hatten.

Noah March gehörte nicht dazu.

Tamara nickte. »Finden wir es heraus. Und falls er es tatsächlich ist …«

»… ja, dann beenden wir es«, stimmte Arch zu.

Beide blickten gebannt auf das holografische Konterfei des Mannes.

*

Außerhalb der Aufzeichnung

Zucker und Geschmacksverstärker, gebunden in eine Geleemasse. Ian knabberte an seinem HaBi-Stick und genoss den Geschmack. In weiser Voraussicht hatte er eine Handvoll mitgenommen, als sie den Laden verlassen hatten. Obgleich es in den letzten Jahren massive Fortschritte in der Republik gegeben hatte, fehlten allerlei Dinge des alltäglichen Lebens noch immer.

»Die haben schon wieder einen Häuserblock gestürmt.« Ian deutete auf den 3D-Monitor, auf dem eine Sondereinheit der I.S.P. in schwarzen Panzermonturen in Gebäude eindrangen.

Sienna winkte ab. »Das inszenieren die doch nur für das Volk. Sjöberg will seine Gnadenlosigkeit und die Macht des Staatsapparates demonstrieren. Immerhin starb die Christensen.« Die hochgewachsene Australierin stand vor den beiden geschlossenen Schotten und betrachtete die angebrachten Codefragmentierer und Depolarisierer. »Irgendetwas stimmt hier nicht.«

»Ach, wirklich?«

»Ich meine wegen der Schotten.« Sie deutete auf das Metall, vor dem ein hauchdünner Prallschild waberte. »Die Kensingtons starben irgendwann um 2240er herum, oder?«

Ian nickte. »2244, um genau zu sein. Die Sache wurde dank der Omega-Datei ja legendär.«

»Aber diese Technik hier ist weitaus moderner.« Sie deutete mit dem Finger auf das BioTat-Interface, vor dem Kirby saß, wanderte weiter zu sekundären Holosphären und modernen Terminals und blieb schließlich am Prallschirm stehen. »Die Technologie hier ist eindeutig gewachsen, wurde ständig erweitert. Andernfalls hätte unsere Codefragmentierer jede Sicherheitsbarriere längst geknackt.«

Ian nickte widerstrebend. »Möglicherweise haben die Kensingtons nach ihrem Tod jemanden damit betraut, hier alles in Schuss zu halten.«

Sienna wiegte nachdenklich den Kopf hin und her. »Eine der anderen Erblinien? Die Genschlüsselträger?«

»Das wäre nicht sehr intelligent gewesen«, überlegte Ian. »Immerhin wurden die regelmäßig vom Ketaria-Bund unter Meridian getötet.«

»Aber wem hätten sie sonst vertraut?«

»Das findet Captain Belflair hoffentlich heraus.« Ian nickte in die Richtung der Kommandantin. »Und vielleicht gibt der Inhalt der beiden Kammern darüber ebenfalls Auskunft.«

»Die Captain ist also in irgendwelchen Speicherclustern unterwegs und ich breche mir einen ab, die Schottcodierung zu knacken. Was genau machst du?«

Ian biss herzhaft in seinen HaBi-Stick. »Ich lasse es mir schmecken und verfolge die Nachrichten.«

Sienna lachte auf und wandte sich wieder ihrer Arbeit zu. Natürlich wusste sie, dass Ian nicht nur Süßigkeiten futterte. Sein Blick wanderte immer wieder in Richtung der Sensoreinheiten, die sie in den letzten Wochen rund um das Gebäude platziert hatten. Falls etwas Verdächtiges geschah, musste er sofort reagieren. Viele Möglichkeiten blieben natürlich nicht. Sie konnten lediglich fliehen, wenn sie früh genug über möglichen Feindkontakt informiert wurden.

Er aktivierte weitere Softwareagenten und Analysealgorithmen, die jede Veränderung der Umgebung meldeten.

Mehr konnte er nicht tun.

*

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