Ein MORDs-Team - Der komplette Fall Marietta King

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»Ich komm gleich wieder, ich muss nur noch was erledigen«, flötete sie und hauchte Luftküsse zu den Girls. Ihr falsches Lachen dröhnte in ihren eigenen Ohren.

Als sie wieder bei Olivia und Randy ankam, fiel die Anspannung von ihr ab und sie hatte auf einmal ein Gefühl von Vertrautheit und Familie. Seltsam, die beiden kannte sie viel kürzer als die Mädels ihrer Klasse, und doch waren sie schon so intensiv zusammengewachsen. Ein warmes Gefühl stieg in ihr auf. Sie lächelte sie an und ergriff Randys Hand. »Sorry, du musst es noch kurz mit mir aushalten. Ich wusste gerade keinen anderen Ausweg, um den Schleimer loszuwerden.« Sie deutete mit den Augen in Kevins Richtung. »Aber so wie ich Bridget kenne, dauert das nicht lange und die beiden sind verschwunden.« Sie zog eine Grimasse.

Randy legte lachend seinen Arm um ihre Schultern und drückte sie. »Schon okay, du hast mich nur überrascht.«

Vince gab einen erstaunten Laut von sich und schaute Randy fragend an. »Wie jetzt? Ihr seid doch nicht zusammen?«

Danielle kicherte. »Nein, ich musste mir unseren Nerd nur kurz ausborgen, um aus dem Vertrag auszusteigen, den mein Dad vermutlich schon für mich geschlossen hat.« Das bittere Gefühl schluckte sie gleich wieder hinunter.

Vince bot sich an, eine Runde Getränke für alle zu holen, was ihn direkt sympathisch machte.

Als er weg war, schaute Danielle sich fragend um. »Wo ist eigentlich Mason?«

Olivia deutete vor den Getränkestand. »Der steht dahinten mit der Ex von Thompkins.«

»Was?« Danielle stützte sich auf Randys Schulter und stellte sich auf die Zehenspitzen, um einen besseren Blick zu erhaschen.

Mason schien sich angeregt mit der Blonden zu unterhalten, sie standen so dicht beieinander, dass ihr nicht unerheblicher Vorbau, bei dem sie wahrscheinlich nachgeholfen hatte, manchmal an ihn anstieß. Danielle schüttelte sich innerlich. »Und was ist mit Thompkins?«

»Anscheinend hat er sie sitzenlassen, nachdem er bekam, was er wollte«, sagte Olivia trocken, doch die Verachtung in ihrer Stimme konnte und wollte sie wohl auch nicht unterdrücken. »Sie ist jetzt ziemlich stinkig auf ihn. Und weil Thompkins uns hasst, schmeißt sie sich wahrscheinlich aus Rache Mason an den Hals. Und Mason wiederum nutzt die Chance und versucht, alles über die Schmierbacke in Erfahrung zu bringen.«

»Wissen wir denn schon, ob Thompkins was mit dem Einbruch zu tun hat?«

»Ich hab mich vorher mit Mason auf dem Klo getroffen. Also Thompkins persönlich war es nicht, in der Nacht vom Einbruch war die Kleine mit ihm zusammen«, sagte Randy und verzog angewidert das Gesicht. Wahrscheinlich wollte er sich das genauso wenig bildlich vorstellen wie Danielle. »Aber wir haben natürlich keine Ahnung, ob er sonst jemanden beauftragt hat.«

Danielle nickte langsam. »Und darüber weiß Mason nichts?«

»Noch nicht, aber er ist dran«, sagte Randy.

Olivia hob spöttisch die Augenbrauen. »Na ja, dran ist er auf jeden Fall.«

Danielle lachte auf. Mason stand sogar ziemlich nahe an Thompkins' Ex, seine Hand lag auf ihrem Oberarm und er grinste auf sie herab. Die Scheinwerfer beleuchteten die beiden nicht komplett, dennoch war nicht zu übersehen, dass auf beiden Seiten kräftig gebaggert wurde. Ob Mason es wirklich nur »für die gute Sache« tat? Irgendwie kam in Danielle der Eindruck auf, dass es Masons Ego ganz gut tat, mal wieder so richtig bewundernd angehimmelt zu werden, was definitiv der Fall war, wenn sie es aus der Ferne richtig beurteilte. Mason konnte ja auch richtig cool sein, wenn er wollte, das musste sie zugeben. Bestimmt hatte er kein wirkliches Interesse an Thompkins’ abgelegtem Mädchen, wahrscheinlich würde ihn der Gedanke genauso gruseln, aber Bedarf an Seelenstreicheleinheiten musste ein Typ wie Mason doch haben. Früher, zu Zeiten seiner Sportlerkarriere, war er der umschwärmte Mädchenmagnet gewesen. Sein Selbstbewusstsein hatte definitiv einen merklichen Schaden erlitten, das heute würde ihm ganz gut tun.

Doch wie ein Blitz schoss plötzlich ein anderer Gedanke in ihren Kopf und sie schrak auf. Ein ungutes Gefühl machte sich in ihr breit.

»Was ist, wenn Thompkins kommt?«

Randy, der immer noch den Arm um ihre Schulter gelegt hatte, versteifte sich förmlich neben ihr, dennoch erwiderte er ganz ruhig: »Anscheinend, laut der Kleinen, ist Thompkins heute nicht in der Stadt.«

Danielle konnte nicht mehr darauf antworten, denn in dem Augenblick kam Vince zurück, vier vollgefüllte Plastikbecher in den Händen balancierend.

Randy stürzte auf ihn zu. »Warte, ich helfe dir. Hey, ich wäre doch mitgekommen, hab gar nicht ans Tragen gedacht.«

»Schon gut, du musstest dich doch um deine Freundin kümmern.« Vince zwinkerte ihm zu.

Lachend nahm Danielle ihm ihren Orangensaft ab und bedankte sich verlegen, als er partout kein Geld dafür nehmen wollte.

»Dr. Pepper gab's leider nicht, nur Pepsi«, sagte Vince grinsend zu Olivia.

Auch Randy war es sichtlich peinlich, dass er seine Cola nicht bezahlen durfte.

Vince winkte ab. »Holt einer von euch die nächste Runde und dann passt das.«

Olivia reckte ihren Hals und schaute in die Menge. Dann wandte sie so schnell ihren Kopf, dass ihre schwarzen Haare flogen. »Leute, da ist Mrs. Flavio, die Tratschbase aus unserem Viertel. Ich gehe mal ein paar Worte mit ihr wechseln.« Sie blickte bedeutungsvoll in die Runde.

Aha, »Recherche« soll dieser Blick wohl bedeuten.

Und schon war Olivia auf und davon. Danielle sollte sich wohl auch dranmachen, sonst bekam sie ein schlechtes Gewissen, obwohl sie eigentlich viel lieber hier mit den Jungs die Party genossen hätte. Sie wandte sich an die beiden und deutete in die Menge zu ihren »Freundinnen«. Dabei fiel ihr auf, dass Kevin und Bridget gar nicht mehr dort standen. Zufrieden grinste sie.

»Wir könnten mal zu Katie gehen.« Nun war es an ihr, mit bedeutungsvollen Blicken in Richtung Randy um sich zu werfen. Der nickte.

Doch Vince sah wenig begeistert aus. »Hey, der Song ist cool, sollen wir nicht lieber mal zur Bühne gehen?«

Randy sah zwiegespalten aus. Es war ihm deutlich anzusehen, dass er die Bühne vorzog.

»Geht ihr ruhig, ich wollte Katie nur was fragen, weil …«, sie machte wieder eine bedeutungsvolle Pause, »sie mit jemand zusammen ist, den wir kennen.«

Randy warf ihr einen fragenden Blick zu.

»Also mit einem Kumpel von einem unserer Bekannten«, fügte sie erklärend hinzu.

Wenn Vince sich über ihr kryptisches Gespräch wunderte, ließ er es sich nicht anmerken. »Willst du lieber mit dorthin gehen?«, fragte er, an Randy gewandt.

Der nickte zögerlich, auch ihn schien das schlechte Gewissen zu drücken. »Ich sollte vielleicht meine Rolle als Danielles Freund weiterspielen.«

Sie versuchte, sich ihre Freude nicht anmerken zu lassen. Es war ein gutes Gefühl, Geborgenheit, wie sie mit ihm Arm in Arm voranschlenderte.

»Sind das gute Freundinnen von dir?«, fragte Vince, wie beiläufig, beim Hinlaufen.

Danielle lachte auf, und auf einmal fühlte sie sich befreit. »Nein, die haben keine Freundinnen, die sind sich selbst genug. Das Getue von best friend ist alles nur Show, der Rest ist Zickenkrieg.«

»Die örtliche Cheerleader-Gang?« Auf Vinces Wangen bildeten sich Grübchen beim Grinsen.

Randy kicherte.

Danielle stimmte giggelnd ein. »Tatsächlich waren wir schon bei den BC Tigers Cheerleader, ja!«

Auf einmal kam sie sich ganz ausgelassen vor. Selten hatte sie sich so wohlgefühlt. Die Musik von der nächsten lokalen Rockband, den Buzzers, war ziemlich cool, sie wippte mit. Randy und Vince kamen überraschend gut bei den Mädels an. Es kam ihr gelegen, dass Katie auf sie zutrat. »Seit wann hast du denn einen Freund?«

»Ach, ein paar Wochen«, winkte sie ab. Hoffentlich würde das Gerücht nicht zu ihren Eltern durchdringen, sonst gab es sicher wieder Hausarrest. Und Katies Eltern waren mit ihren gut befreundet.

»Was ist denn mit deinem Freund, Mikey … wie hieß er noch?« Sie lächelte zuckersüß.

»Sssht«, zischte Katie und ließ ihre Augen zu den anderen schweifen.

Vertraulich legte Danielle ihr die Hand auf den Arm. »Hey, das bleibt doch unter uns. Unsere Eltern müssen doch nicht wissen, was wir tun.« Sie bohrte ihren Blick in Katies. »Nicht wahr?«

Die nickte und schaute zu Randy. »Klar!«

Augenscheinlich hatte sie verstanden. Gut so!

Danielle hakte sich bei ihr ein und raunte ihr verschwörerisch zu: »Was ist denn nun mit diesem Mikey? Trefft ihr euch noch?«

Katie kicherte. »Logisch. So schnell lasse ich diesen heißen Typen nicht aus meinen Fingern, du verstehst?« Sie hob anzüglich die Augenbrauen. »Da geht was!«

Eine Welle von Übelkeit schwappte in Danielle hoch. Was konnte an diesem schmierigen Typen, einem Freund von Thompkins, heiß sein? Sie wollte nicht mal dran denken.

Sie versuchte, normal zu klingen und setzte ein Honiglächeln auf. »Ach, ich hatte gedacht, ich hätte dich am Montagabend mit einem anderen gesehen, aber vielleicht habe ich etwas verwechselt.«

Katie schürzte die Lippen. »Ganz bestimmt war das nicht ich. Montagabend war ich in der Maniküre.« Sie wedelte mit ihren grellpink-weißen, mit Glitter versetzten Gelnägeln vor Danielles Augen herum.

»Hey, wie toll«, quetschte Danielle, Begeisterung heuchelnd, heraus.

»Außerdem war Mikey zwar mit zwei Kumpels ein paar Tage in L.A., aber er würde auch ganz bestimmt nicht dulden, dass sein Baby mit einem anderen herumhängt!« Als wäre das etwas Positives, beugte sie sich näher und sagte stolz: »Er lässt mich überwachen, wenn er nicht da ist.«

 

Danielle schüttelte sich innerlich und musste sich zwingen, ihre geheuchelte Begeisterung aufrechtzuerhalten. Was war daran toll, überwacht zu werden?

»Stell dir vor, er hat mir sogar was aus Hollywood mitgebracht …« Und schon fing Katie an zu schwärmen.

Hatte er ein schlechtes Gewissen?, lag es Danielle auf der Zunge, doch sie schluckte die hässliche Bemerkung hinunter.

Das Klingeln ihres iPhones erlöste sie. Selten hatte sie sich so über einen Anruf ihrer Mutter gefreut.

»Sorry, tut mir leid«, log sie an Katie gewandt und bückte sich ein Stück, um vom Lärmpegel abgeschirmt zu sein. »Ja, Mum?«

»Wo bist du?«

»Ich bin hier auf dem Fest, bei Katie und den anderen Mädels.« Sie stöhnte genervt. Doch was für ein Glück, wenigstens ihre Mum mal nicht anlügen zu müssen.

»Und was ist mit Kevin?«

Verdammt, den hatte sie schon wieder vergessen!

Sie zögerte. »Mum, er hat mich angemacht.«

In der Leitung war es still. Wenn ihre Mutter jetzt wieder anfing zu kuppeln, dann war es endgültig aus. Doch sie klang nur ziemlich müde, als sie antwortete: »Und wo ist er jetzt?«

»Mit Bridget los.«

»Aber du bist nicht wieder mit diesem Collister-Jungen unterwegs, oder?«

Danielle presste die Lippen zusammen. »Nein, Mum, ich hab heute noch kein Wort mit ihm gewechselt. Ich bin bei Katie, das hab ich dir doch gesagt«, zischte sie. Gelogen war es nicht, aber manchmal könnte sie ihre Mutter umbringen.

Doch sie schien jetzt beruhigt. »Aber mach keine Dummheiten.«

Hatte sie das jemals? Auf einmal überkam sie eine große Lust, mal etwas richtig Dummes zu tun. Vielleicht sollte sie sich Vince an den Hals werfen? Doch diese Anwandlung verschwand auch schnell wieder, als sie aufgelegt hatte.

Sie gab den Jungs ein Zeichen. Als sie bei ihr waren, legte sie ihre Arme um Randys Hals. »Auch negativ, Katies Typ war in L.A.«, flüsterte sie ihm ins Ohr.

»Shit«, wisperte er zurück. »Okay, lass uns weiterziehen.«

»Nur zu gerne.«

Die Mädels kreischten ihr Bedauern hinaus.

»Was ist denn da vorne am Getränkestand los?«, fragte Vince auf einmal und deutete auf den Tumult voraus. Masons blonde Haare blitzten daraus hervor.

Danielle erstarrte und auch Randys Arm fiel von ihrer Schulter, als hätte ihn die Kraft verlassen.

»Shit!«, stöhnte er, dann stürzte er los. Sie konnte sich gerade noch an seiner Lederjacke festklammern und hinter ihm her stolpern. Entfernt hörte sie noch den völlig verblüfften Vince rufen, doch er wurde wohl abgedrängt, seine Stimme wurde leiser. Sie drehte sich nicht um, keinesfalls wollte sie Randy verlieren. Die Schaulustigen nahmen zu, es wurde gedrängelt und geschubst. Gab es da eine Schlägerei? Mason? Wo war Mason?

Irgendwo ertönte ein lauter Schrei. War das die Ex von Thompkins?

Ein Aufbrausen ging durch die Menge. Eine Welle von Panik durchflutete Danielle, ihr Herz raste.

»Mason!« Hatte sie so laut und schrill gekreischt? Es hallte in ihren eigenen Ohren, ihr Hals brannte, auch Randy war zusammengezuckt.

Kurz tauchte ein Glatzkopf auf, dicht daneben Masons Blondschopf. Gespenstisch zuckten die Blitze eines Stroboskops über die Köpfe der wabernden Menschenmasse hinweg. Die Rockmusik, die sie einmal gemocht hatte, bestand nur noch aus dröhnenden Bässen, die ihr Herz noch schneller rasen ließen. Schreie hallten durch die Luft. Die Menschenmasse nahm ihr den Atem. Die Finger schmerzten, so fest waren sie in Randys Jacke gekrallt. Mason, hämmerte es durch ihren Kopf.

War das Mason, eingekeilt zwischen dem Glatzkopf und einem anderen Typen mit rotem Basecap?

Wo war die Polizei? Warum holte keiner die Polizei? Was war da los?

Jemand rempelte sie an, ihre Finger rissen sich von Randys Jacke los. Danielle taumelte. Sie schrie auf. Da packte eine warme Hand die ihre und zog sie mit sich. Randy! Erleichterung verdrängte für einen kurzen Moment die Panik. Sie versuchte, das rote Basecap im Auge zu behalten. Es entfernte sich Richtung Ausgang, gegen den Strom der hineinstürmenden Leute.

»Mason!« Auch Randy brüllte, chancenlos gegen den Lärm. Rücksichtslos kämpfte er sich durch die Meute. Ihre Hand drohte seiner zu entgleiten, er packte fester zu. Sie nahm ihren Ellbogen zu Hilfe, um sich durchzudrücken, die Beschimpfung einer Frau glitt an ihr ab.

In dem großen Strahler vor dem Ausgang wähnte sie kurz etwas Rotes zwischen all den Menschen zu sehen, doch wieder war es weg. Mason!

Auf einmal sah sie, wie Thompkins' Ex von einem Typen hochgehoben wurde. Sie hatte total verheulte Augen und fuchtelte wild mit den Armen. Die nackte Angst war ihr ins Gesicht geschrieben.

Randy umklammerte Danielles Hand noch fester.

Danielle schluckte. Das saure Brennen in ihrem Magen drängte sich in ihren Hals. Einen kurzen Blick erhaschte sie auf Randys Gesicht, er war leichenblass.

Als sie den Kopf wieder drehte, sah Danielle etwas auf sich zukommen. Dann verspürte sie einen Schlag auf den Kopf. Ein stechender Schmerz schoss in ihren Schädel. Und es wurde schwarz um sie herum.

*

Zwischenspiel

Laut surrte der Lüfter des Rechners. Seine Finger flogen über die Tastatur. Am liebsten hätte er seine Haare gerauft, doch das hätte seine Frisur zerstört. Das war undenkbar. Er richtete seine Konzentration wieder auf die zu lösende Aufgabe. Verflucht, er musste unbedingt herausfinden, wie er das Problem aus der Welt schaffen konnte. Sie warteten darauf. Er hatte versprochen, sich darum zu kümmern – wer konnte auch ahnen, dass dieser Junge diese App einfach weiter programmierte?

Jetzt hatte er endlich die Verschlüsselung der ersten Partition geknackt. Womöglich konnte er zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen! Dem Jungen die App wegnehmen und gleich auch noch Profit daraus ziehen. In letzter Zeit war wenig Geld geflossen, er konnte nicht viel liefern. Und er brauchte das Geld so dringend, auf gar keinen Fall wollte er seinen exklusiven Lebensstil ändern, nur weil man beschlossen hatte, ihn für die Überwachung einzusetzen.

Das Ticken der großen Standuhr in der Ecke seines Arbeitszimmers machte ihn nervös. Stereotyp hämmerte ein kleines Männchen mit einem Hammer auf seine Nerven. Tick-Tack. Am liebsten hätte er die Uhr abgestellt, doch sie war von seiner Großmutter, ein wertvolles antikes Stück, das ihm einige Bewunderung einbrachte.

Er zwang sich, den Monitor zu fixieren. Die Buchstaben und Zahlen verschwammen schon vor seinen Augen und begannen zu tanzen. Er blinzelte.

Verflucht! Wenn nichts anderes half, würde er schärfere Maßnahmen ergreifen müssen. Er stand auf und griff nach dem Telefon.

*

Barrington Cove Kite-Festival

Verfluchte Scheiße! Olivia hätte diesen Typen am liebsten weggeboxt, der sich ihr feixend in den Weg stellte. Mit beiden Händen drückte sie ihn beiseite, der Zorn gab ihr Kraft. Sein erstaunter Ausruf, als er rückwärts stolperte, juckte sie nicht mehr – wo waren die beiden geblieben? Da tauchte Randys Wuschelkopf wieder auf, ein paar Meter vor ihr. Um sie herum flogen Fäuste, das Ganze war zu einer Massenschlägerei ausgeartet, weil zwei Betrunkene sich im Gedrängel geschubst fühlten. Wo waren Danielle und Mason, verdammt? Sie stieß einen lauten Fluch aus, der ihr von zwei Frauen einen pikierten Blick einbrachte. Scheiß drauf! Auf einmal drückte sich jemand von hinten durch die Menge, wie eine Planierraupe. Olivia wurde beiseite gerammt.

»Hey, du Idiot«, rief sie ihm hinterher, doch auf einmal erschrak sie. Die große, breite Gestalt kam ihr vage bekannt vor. Sie schlug sich die Hand vor den Mund und beeilte sich, ihm in der Gasse, die er schlug, zu folgen.

Da blitzten auch Danielles hellblonde Haare aus der Menge, sie schien zu taumeln. Schon war George, der Chauffeur, bei ihr. In seiner Freizeitkleidung hatte sie ihn fast nicht erkannt. Wo war der eigentlich plötzlich hergekommen? Eine Faust flog auf ihn zu, doch George blockte sie mit seiner Hand ab und umfing sie. Olivia meinte, Knochen knirschen zu hören, der Schläger-Typ schrie auf. Einen anderen wehrte George mit einem gezielten Ellbogenhaken ab. Um Himmels willen, war das wirklich der Chauffeur?

Als wöge Danielle nichts, packte er sie auf seine Arme. Ein Typ daneben hängte sich an seinen Arm und verhaspelte sich in seiner Verteidigungsrede, weil er Danielle nur aus Versehen geschlagen hatte, doch George schüttelte ihn ab wie eine lästige Fliege. Der Typ strauchelte, fiel nach hinten. Olivia hakte bei Randy unter und schoss dem Chauffeur hinterher. Bloß nicht aus den Augen verlieren. Plötzlich schienen ihnen alle Platz zu machen, wie er mit Danielle gebieterisch durch die Menge schritt. Obwohl er nicht wirklich massig wirkte, eher durchtrainiert, war sein Auftreten schon ziemlich eindrucksvoll, zumindest half es beim Vorankommen.

»Wo ist Mason?«, brüllte sie Randy ins Ohr.

»Keine Ahnung, ich glaube, zwei Typen haben ihn in Richtung Ausgang geschleppt.« Der Freund sah ziemlich fertig aus.

Olivia ließ einige derbe Flüche vom Stapel.

»Das kannst du laut sagen.« Randy blickte zornig, dann plötzlich erschrocken. »Aber wo ist Vince?«

»Weiß nicht, aber der ist sicher okay, ich schreib ihm gleich.«

Olivia blendete die Musik, das Summen der Gesprächsfetzen und die Gesichter um sich herum aus und konzentrierte sich nur auf Georges Rücken. Wo war Mason?

Kurz vor dem Ausgang ließ der Chauffeur Danielle wieder runter. »Können Sie gehen?«

Danielle nickte. Sie sah noch etwas verwirrt aus.

»Was ist passiert?« Georges Miene war angespannt.

»Mason ist weg. Entführt! Wir müssen ihm nach!« Danielle packte George am Arm.

»Dann rufen wir den Sheriff. Sie müssen erst mal nach Hause, wir brauchen Eis für Ihren Kopf«, erhob George Einspruch. »Ihre Mutter bringt mich um, wenn ich Sie laufen lasse.«

Olivia zog Randy am Ärmel weiter in Richtung Ausgang. Sie mussten Mason finden.

»Wartet«, rief Danielle und stolperte los.

»Verdammt!«, fluchte George, doch er hob sie ohne große Umstände wieder auf seine Arme und überholte Randy und Olivia mit großen Schritten kurz nach dem Ausgang. Er dirigierte sie nach rechts.

»Hier steht mein Wagen.« Er deutete mit dem Kinn auf einen schwarzen Lincoln Continental und setzte Danielle vorsichtig ab.

In dem Moment schoss ein goldfarbener Chevy mit quietschenden Reifen an ihnen vorbei.

»Scheiße, das war doch das Auto von Thompkins Kumpel vom Jahrmarkt!« Olivia wurde es abwechselnd heiß und kalt. Oh Gott, was machten die mit Mason!

»Das sind sie«, rief Danielle. »Die rote Basecap.«

Ungewohnt ungalant schob George Danielle auf den Beifahrersitz. »Los, steigt ein!«, brüllte er und hechtete zur Fahrerseite.

Olivia schlug eilends die Hecktür hinter sich zu. Es tat einen lauten Schlag. Hoffentlich fiel dieser coole Oldtimer nicht gleich auseinander. Doch als George den Motor startete, erklang ein sattes Röhren. »Anschnallen«, brüllte er, dann gab er Gas.

Georges Lincoln flog förmlich über die Straßen. Wider Willen musste sie dem Chauffeur Bewunderung zollen, als er durch den glücklicherweise spärlichen Nachtverkehr dem goldenen Chevy hinterherschoss. Im ersten Augenblick hatte das Auto schwammig gewirkt, doch die Kurvenlage war nicht schlecht. Georges Miene war völlig konzentriert. Was war dieser Chauffeur nur für ein Typ? Randy klammerte sich mit der Hand am Türgriff fest und auch Danielle kreischte kurz auf, doch Olivia merkte, wie das Adrenalin sie durchflutete. Sie liebte schnelles Fahren. Und George hatte seinen Wagen definitiv im Griff. Sicherlich hatte der auch mehr PS unter der Haube als das Original, das aus den Sechzigern stammen musste.

»Die werden Mason umbringen«, sagte Danielle auf einmal.

Olivia erstarrte. »Wer sagt das?«

»Stimmt, Thompkins' Ex hat so was gesagt.« Randy biss auf seine Unterlippe. Sein Gesicht wirkte gespenstisch weiß. »Ich rufe Deputy Sachsen an!«

Sicher dauerte es nur Sekunden, bis Randy mit dem Deputy sprach, doch es kam ihr ewig vor.

Während der in seinen Wagen spurtete und seine Kollegin anrief, hielt Randy die Verbindung. Es piepte.

 

»Shit, mein Akku ist fast leer«, fluchte er.

George schoss einhändig um eine Kurve, während er mit seiner Rechten in der Mittelkonsole ein Ladegerät herausfischte und nach hinten warf. »Hinten an der Konsole ist eine 12V-Steckdose.«

Randy steckte das Ladegerät an.

Olivia kam sich vor wie in einem schlechten Film. Der Fahrer im goldenen Chevy hatte wohl gemerkt, dass sie ihn verfolgten, denn auch er gab mehr Gas. Die Ampel sprang auf Rot. Der Chevy schoss hindurch. Olivia hielt die Luft an.

»F..k«, stieß George zwischen den Zähnen hervor, das erste Mal, dass er wirklich eine emotionale Reaktion zeigte. Er zögerte nicht mal eine Sekunde, dann gab er Vollgas, während er seine Hand auf die Hupe presste. Olivia hielt die Luft an. Der Lincoln schoss wie eine Rakete über die Kreuzung. Neben ihnen quietschten Bremsen von Autos, die gerade losfahren wollten. Keiner hupte, vielleicht waren alle zu geschockt.

Der Chevy bog scharf links ab. George raste mit Vollgas hinterher, dann zog er die Handbremse und schlitterte um die Kurve. Mannomann, dieser Typ konnte fahren! Olivia schluckte. Angst und Adrenalinstöße gaben sich die Hand. Danielle verhielt sich auf dem Vordersitz überraschend ruhig, vielleicht war sie schon in einer Schockstarre. Oder tougher als gedacht. Randy neben ihr verlor sich in seiner Technik. Er hatte das GPS seines Smartphones eingeschaltet und gab Deputy Sachsen telefonisch die Straßennamen und Richtungen durch. Der näherte sich von Norden her.

Olivia zuckte zusammen, als Randy laut fluchte. Dann wurde es dunkel um sie. Zum ersten Mal war Danielle wieder kurz zu hören, sie gab einen unterdrückten Schrei von sich, dann war sie wieder still, nur das Dröhnen des Motors hallte durch den Innenraum. Olivia bekam einen Druck auf die Ohren, es knackte.

Mist, ein Tunnel. Die Handy-Verbindung unterbrach. Die Fahrrandbegrenzungsleuchten zuckten stroboskopartig an ihnen vorbei. Olivia kniff die Augen zusammen. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis sie durch den Tunnel waren. Hektisch wählte Randy erneut die Nummer des Deputys. Endlich war die Verbindung wieder da.

»Ich komme über die Achte Ost und kann ihnen vielleicht den Weg abschneiden«, drang es aus dem Lautsprecher von Randys Telefon.

Es hatte alles etwas Unwirkliches, wie sie über die Straßen schossen, die Lichter an ihnen vorbeizuckten, die Autos, Hupen, Ampeln. Der Motor des Lincoln röhrte laut, wenn George herunterschaltete und beschleunigte. Dann Deputy Sachsens verzerrte Stimme durch den Lautsprecher, Randy, der monoton Richtungsanweisungen von seinem Smartphone herunterbetete, das er fest umklammert hielt. Olivia griff nach dem Stecker, der in den Kurven immer wieder aus dem Zigarettenanzünder zu rutschen drohte.

Wie durch einen Rausch drang Randys Stimme zu ihr. »Der Deputy ist jeden Augenblick da.«

Dann ging alles ganz schnell. Voraus zuckten blaue Blitze auf, schon war auch die Sirene zu hören. Der goldene Chevy verlangsamte, sie kamen ihm näher.

Deputy Sachsen musste seinen Privatwagen genommen haben, das Blaulicht blitzte über einer burgunderfarbene Limousine, die Marke konnte Olivia nicht erkennen. An der vorausliegenden U-Turn-Stelle schoss der Deputy mit einer 180-Grad-Wende und quietschenden Reifen auf ihre Fahrbahn, dann kam auf der Beifahrerseite eine Kelle mit einem rot blinkenden »Stop« aus dem Fenster.

Eine Lautsprecherdurchsage ertönte: »Bitte fahren Sie rechts ran.« Der Fahrer des goldenen Chevys stieg in die Eisen. Olivia wurde in den Gurt gedrückt, als George mit einem lauten »Achtung« ebenso heftig bremste. Der Wagen kamen ins Schleudern, doch George hatte ihn sofort wieder im Griff.

Randy rutschte sein Smartphone aus der Hand, als er sich reflexartig am Fahrersitz abstützte.

Der goldene Chevy rollte auf der Standspur aus. George folgte ihm mit dem Lincoln. Erst jetzt merkte Olivia, dass ihr Herz raste. Sie löste ihre Finger vom Vordersitz, wo sie sich festgekrallt hatte, und ließ sich langsam nach hinten sinken.

Deputy Sachsen und eine weibliche Polizistin stiegen mit gezückten Pistolen aus.

»Hände so, dass ich sie sehen kann, und aus dem Wagen aussteigen!«, wies der Deputy an.

Das war also der gerühmte Deputy Sachsen? Mit seiner grünen Bundfaltenhose und dem blau-karierten Hemd, das überhaupt nicht passte, wirkte er eher wie ein gescheiterter Privatdetektiv als der Typ, von dem Randy und Mason so begeistert waren.

Olivia griff nach dem Türgriff, doch in dem Moment wandte sich der Deputy zu ihnen. »Sie bleiben alle im Wagen.«

Randy, der auch gerade aussteigen wollte, starrte verblüfft. »Was?«

»Glaubt mir, es ist besser so, wer weiß, was dort passiert oder ob sie Waffen haben«, warf George ein.

Danielle schlug sich wortlos die Hand vor den Mund.

Sie öffneten alle Scheiben, um nichts zu verpassen.

Aus der Beifahrerseite schoss der Typ mit der roten Basecap mit erhobenen Händen auf den Deputy zu.

»Das ist Brian Bruker, der Sohn des Sheriffs«, sagte Randy verblüfft.

Und der Glatzkopf – der Typ vom alten Jahrmarkt, der Randy und sie überfallen hatte – folgte ihm. Obwohl sie es ja erwartet hatte, trieb sein Anblick Olivia kalte Schweißtropfen auf die Stirn. Sie schielte zu Randy, der noch blasser wurde, falls das überhaupt ging.

Bevor Olivia nach Mason fragen konnte, sprudelte es aus Brian heraus. »Deputy Sachsen, gut dass Sie da sind. Wir werden von diesen Verrückten dort verfolgt!« Er deutete auf Georges Lincoln.

»Was?«, zischte Olivia empört.

Doch der Deputy ging nicht darauf ein, sondern lief um den Wagen. Er deutete auf den Rücksitz. »Was ist das?«

»Ach, das ist Collister, der Drogenjunge, der ist völlig stoned. Hat sich total zugedröhnt auf dem Fest, wir wollten ihn gerade nach Hause bringen«, sagte Brian mit einem fiesen Grinsen, dann wies er auf sie, »bevor die Typen wie die Irren hinter uns her gerast sind.« Er zog ein treuherziges Hundegesicht. »Wir hatten solche Angst, dass wir zu schnell geflüchtet sind. Gut, dass Sie da sind, Officers.« Dieses Mal wandte er sich mit einem schmierigen Lächeln an die Polizistin.

»Arschloch! Was haben die Mason gegeben?«, zischte Randy, er sah aus, als wollte er aus der Tür stürzen. Olivia legte ihm die Hand auf den Arm. Auch sie hätte die Wahrheit am liebsten aus dem Vollidioten rausgeprügelt, doch instinktiv spürte sie, dass hier gerade etwas verdammt schief lief.

Als Brian auf den Deputy zugehen wollte, sagte Officer Anders nur scharf, mit der Hand an der Waffe: »Besser, Sie rühren sich nicht von der Stelle.«

»Mein Vater ist der Sheriff«, sagte Brian hasserfüllt. »Das wird Konsequenzen für Sie haben.«

Sie reagierte nicht darauf.

Gut so!, applaudierte Olivia ihr stumm.

Deputy Sachsen lief um den goldenen Chevy herum und öffnete die Hecktür. Olivia spitzte die Ohren, doch sie konnte nicht hören, was er sagte. Dann sicherte er seine Waffe und schob sie hinten in den Hosenbund, bevor er ins Fahrzeug griff. Anscheinend war Mason bei Bewusstsein, doch er torkelte und hielt sich dann kichernd am Deputy fest.

In Olivia kochte die Wut hoch, sie wäre am liebsten aus dem Auto gestürzt. Verdammt, was haben die ihm verpasst?

Der Deputy lehnte ihn gegen den Wagen und stützte ihn mit seinem Körper ab. »Ich werde deinen Vater anrufen, Mason.«

Olivia holte tief Luft. Kaum hatte der Deputy aufgelegt, fingen Brian Bruker und ein glatzköpfiger Kumpel schon wieder an zu diskutieren.

»Ihr könnt euch normal hinstellen, aber bitte verhaltet euch ruhig!«

»Wir sind doch hier nicht die Verbrecher, sondern die …«

»Bleib bitte ruhig, Brian«, warf der Deputy ein.

»Sie werden schon noch ein Verfahren an den Hals kriegen wegen Freiheitsberaubung«, stieß der Sohn des Sheriffs hervor.

»Ich tue nur, was in meiner Dienstvorschrift steht«, sagte der Deputy mit einem ziemlich debil wirkenden Grinsen.

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