Ein MORDs-Team - Der komplette Fall Marietta King

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Ein Dienstag, nach der Schule

Randy steckte den Schlüssel ins Schloss und rüttelte. Was war denn los, warum ließ der sich heute so schwer drehen, klemmte das Schloss? Er stellte seine Sporttasche mit den Klamotten, die er für die Übernachtung bei Mason dabei gehabt hatte, ab und zog mit einer Hand die Tür am Knauf zu sich, während er mit der anderen nochmals am Schlüssel drehte. Endlich sprang die Tür auf. Er würde nachher mal einen Tropfen Feinöl ins Schloss träufeln, nicht dass seine Tante Barbara dann vor verschlossener Tür stehen musste, wenn sie von ihrer zweitägigen Fortbildung zurückkam. Pfeifend ging er direkt ins Bad, um die gebrauchte Wäsche wegzubringen. Der Wäschekorb lag umgeworfen da, die schmutzige Kleidung auf dem Boden verteilt. War die Nachbarskatze wieder heimlich zur Tür hineingeschlüpft? Doch sie war nicht zu sehen.

An der Küchentür blieb er wie angewurzelt stehen. Sämtliche Schranktüren und Schubladen waren aufgerissen, Cornflakes lagen auf dem Boden verstreut, der Küchenstuhl war umgekippt. Eine eisige Kälte kroch in ihm hoch. Er überwand die Starre und hastete weiter. Auch im Wohnzimmer lag alles kreuz und quer – der Sessel war umgeworfen. Randy raste, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, nach oben in sein Zimmer.

Der Anblick traf ihn wie ein Hieb mit einem Baseballschläger. Kreuz und quer lagen die Elektronikteile über sein Zimmer verstreut, sein Flachbildschirm war umgekippt. Er stöhnte. Unter seinem Schreibtisch klaffte eine riesige Lücke. Sein Tower fehlte!

Er hielt sich am Türrahmen fest, seine Knie drohten nachzugeben. Atme, Randy! Tief holte er Luft und tastete sich vorsichtig voran, um auf nichts zu treten. Er musste den Schaden überblicken. Ein altes Notebook war weg, aber das war kein großer Verlust. Shit! Vincents Laptop, den er auseinander gebaut hatte, um den Lüfter zu montieren, lag auf dem Boden. Der Bildschirm war aus der Halterung gerissen und hatte einen großen Sprung. Randy wurde schlecht.

Irgendwo klackte es. Er zuckte zusammen. Fuck! Was, wenn der Einbrecher noch im Haus war? Vorsichtig schob er die Tür hinter sich zu und lehnte sich dagegen. Mit zittrigen Händen fischte er sein Smartphone aus der Hosentasche. Polizei rufen? Damit womöglich Sheriff Bruker, ihr alter Widersacher, hier in seinen Sachen wühlte? Auf gar keinen Fall!

Randy wählte Masons Anschluss.

Geh schon ran, Mason, du Schwachkopf!, feuerte er ihn in Gedanken nach dem sechsten Läuten an. Mailbox. Randy legte auf und ließ es wieder läuten. Mensch, Mason! Nach dreimaligem Läuten ging er ran.

»Wer stört mich auf dem Klo?«, witzelte er.

Randy reagierte nicht auf die Begrüßung. »Bei uns wurde eingebrochen!«

In der Leitung war es kurz still. »Ach, du Scheiße! Hast du die Bullen gerufen?«

»Den Arsch Bruker?«

»Stimmt. Warte mal, mein Dad war zum Mittag da.«

Randy hörte Gemurmel im Hintergrund. Ihm wurde abwechselnd heiß und kalt.

»Okay, mein Dad kümmert sich darum. Ich melde mich sofort wieder bei dir.«

Und bevor Randy antworten konnte, hatte Mason schon aufgelegt.

Verdammt, als Erstes musste er wissen, ob noch jemand im Haus war. Eine Waffe! Er brauchte eine Waffe! Er griff den großen, schweren Akku-Strahler – der wog sicher gute zwei Kilo. Mit der anderen Hand umklammerte er sein Smartphone in der Hosentasche. Dann schlich er sich mit hämmerndem Herzen nach draußen. Er spitzte die Ohren – es war nichts zu hören.

Auch im Schlafzimmer seiner Tante herrschte Chaos, Kleider lagen kreuz und quer. Der Vorhang bauschte sich auf. Randy hätte beinahe vor Schreck die Lampe fallenlassen. Doch es war nur eine Böe durch das gekippte Fenster gekommen – die Jalousie war nur halb geschlossen. Es blieb still. Mit dem Rücken an der Wand schob er sich wieder nach draußen. Sein Herz raste. Er zuckte zusammen, als hätte er einen elektrischen Schlag bekommen, als sein Telefon in der Tasche anfing zu brummen.

Mason. Randy drückte auf die Rufannahme.

»Mein Dad hat Deputy Sachsen alarmiert. Du sollst bleiben, wo du bist, und nichts anfassen oder verändern, sagt der Deputy«, wies Mason ihn an. »Er ist gleich bei dir.«

»Okay«, wisperte Randy. »Ich wollte nur schauen, ob noch jemand im Haus ist.«

»Bist du des Wahnsinns?«, fuhr Mason auf. »Rühr dich nicht und spiel nicht den Helden. Ich komm auch gleich, mach mich gerade auf den Weg.«

Randy brummte nur als Antwort. Er und Held spielen – das sagte der Richtige!

Doch kaum hatte er aufgelegt, läutete auch schon die Türglocke. Er flitzte runter und spähte durch den Spion. Deputy Sachsen stand draußen, mit einer jungen Kollegin, die er als Officer Anders vorstellte, als Randy geöffnet hatte. Als sie ihn mit »Mr. Steinbeck« ansprachen, winkte er ab und bat, ihn »Randy« zu nennen.

Die beiden Polizisten durchsuchten zuerst das Haus. Ein surreales Bild, wie sie mit gezückten Waffen durch die Räume gingen. Es war jedoch keiner mehr da, der Einbruch war sicherlich in der Nacht erfolgt. Sie rekonstruierten anhand der Kratzspuren, dass der Einbrecher es vermutlich zuerst an der Tür versucht hatte, das Sicherheitsschloss jedoch nicht aufbekommen hatte, dann hatte er wohl die Terrassentür aufgehebelt, auch hier war eine Kerbe in der Tür.

»Leider ist es bei vielen Balkontüren relativ einfach, sie zu öffnen, euer Schloss hilft da nicht viel. Wenn ihr länger weg seid, lasst bitte unbedingt immer die Jalousie herunter«, legte der Deputy ihm nahe.

Randy nickte. Irgendwie war er immer noch wie vor den Kopf geschlagen, er kam sich vor, als passierte alles um ihn herum wie im Nebel.

»Hast du deine Tante schon angerufen?«, fragte der Deputy.

Randy verneinte. »Ich würde sie wirklich nur ungerne stören, die Schulung ist wichtig für sie. Und … es ändert ja nichts mehr daran, wenn sie es später erfährt, oder?« Er biss auf seine Unterlippe. »Müssen wir sie denn anrufen?«

»Nein, von uns aus nicht, wir können auch später mit ihr reden. Wenn es für dich okay ist, deine Aussage allein zu machen?«

Randy nickte.

»Stört es dich, wenn ich unser Gespräch auf Band aufnehme?« Der Deputy grinste verlegen. »Ich kann meine eigene Sauklaue meist nicht mehr lesen.«

Randy lächelte schwach. »Nein, natürlich nicht.«

Der Polizist schaltete sein Gerät an. »Wusste denn jemand davon, dass das Haus heute Nacht leer steht?«

»Nun ja, das gesamte Krankenhaus weiß, dass meine Tante Fortbildung hat – sie ist Krankenschwester und macht gerade eine Zusatzausbildung zur OP-Schwester. Und dass ich heute bei Mason übernachtet habe – puh!« Er versuchte zu rekapitulieren. »Nur Danielle und Olivia, Freundinnen von uns. Und natürlich Masons Eltern. Ach ja, und ein Kollege von Mr. Collister, der kurz vorbeikam – aber sicher niemand, der an einem Einbruch bei uns interessiert sein könnte.«

Der Deputy tippte sich mit dem Zeigefinger gegen die Lippen und pustete dagegen. Es sah aus, als wollte er etwas sagen, doch dann verwarf er es wohl wieder, denn er wandte sich an Officer Anders, die alles fotografiert hatte und nun mit irgendeiner Speziallampe die Wände und Böden nach Fingerabdrücken und Spuren ableuchtete und einscannte. »Schauen Sie bitte auch noch im Garten nach, ob Sie etwas finden.«

Mit entschuldigendem Gesichtsausdruck wandte er sich an Randy. »Leider stehen uns für Einbrüche keine großen Spurensicherungs-Teams zur Verfügung, wie du sie vielleicht aus dem Fernsehen kennst, da der – ich nenne es mal – Schaden zu gering ist und die Erfolgsquote einfach zu niedrig, aufgrund irgendwelcher Spuren Einbrecher dingfest zu machen. Meist ergibt es sich dann eher, dass das Diebesgut sichergestellt werden kann, wenn wir einen Hehler ergreifen können.«

Randy schloss die Augen. Es kämpften immer noch Fassungslosigkeit und Wut in ihm. Der Verlust seines Rechners war schon eine Tragödie, aber irgendwie war das Gefühl, dass jemand hier in ihren Sachen gewühlt hatte, noch viel schlimmer. So eine verdammte Scheiße! Wenn ich den erwische …

»Wenn meine Kollegin durch ist, können wir dann gemeinsam schauen, was alles wegkam? Ich meine das, was du so auf die Schnelle selbst beurteilen kannst. Wenn deine Tante heute Abend wieder da ist, werde ich nochmals wiederkommen und mit ihr sprechen.« Der Deputy lächelte ihm beruhigend zu.

»Ja, klar.«

Der oder die Diebe hatten Tante Barbaras Notgroschen in der leeren Mehldose im Küchenregal nicht entdeckt. Sie bewahrte dort immer rund einhundert Dollar in kleinen Scheinen auf, falls Randy etwas zu essen kaufen musste, wenn sie Schicht hatte, oder sie mal schnell Bargeld brauchte. Auch im Wohnzimmer fehlte auf den ersten Blick nichts. Der Fernseher war ebenso wie die Stereoanlage eine ältere Generation, hier im Haus gab es nicht viele Gegenstände, die wirklich von Wert waren und sich lohnten, gestohlen zu werden. Im Schlafzimmer war die Schatulle mit Tante Barbaras Modeschmuck ausgekippt, aber Randy konnte nicht sagen, ob es dort wertvolle Stücke gegeben hatte. Als er kleiner war, hatte er sich den Schmuck zwar mal angeschaut und damit herumgespielt, aber nicht einzeln gemerkt. Der größte Schaden und – wie er jetzt feststellte – die meisten Werte hier im Haus waren wirklich in seinem Zimmer. Der Flachbildschirm und auch sein Fernseher waren wirklich teuer gewesen – er hatte sich alles von seinem Erbe, von dem er jährlich eine gewisse Summe ausbezahlt bekam, gekauft -, aber wahrscheinlich waren sie dem Einbrecher zu groß zum Wegtragen gewesen. Komischerweise hatte der Dieb auch seine Playstation stehenlassen, auch die war doch einiges wert. Vielleicht war er durch etwas gestört worden?

 

Oder – und dieser Verdacht gärte seit Anbeginn in Randy – war jemand nur auf seine Daten scharf gewesen? Steckten der Widerling Thompkins oder sogar der Graf hinter der ganzen Angelegenheit? Thompkins hatte ihnen Rache angedroht – aber irgendwie hatte er immer gedacht, der würde sie mal vermöbeln oder so.

Ein Ruf von Officer Anders aus dem Wohnzimmer unterbrach seine Gedanken. Sie hatte mit der Lampe einen recht großen Fußabdruck gefunden. Sie nahm den Abdruck mit einer Art Gelfolie ab und vermaß ihn. Er war 32 Zentimeter lang, also wohl Schuhgröße 11. Randy hatte Herren- 9 ½, seine Tante Damengröße 7.

»Falls er nicht von einem Fremden ist, könnte er nur von Mason sein, der hat auf jeden Fall größere Füße als ich«, sagte Randy grübelnd. »Aber ich glaube nicht, dass er im Wohnzimmer war, nachdem Tante Barbara gewischt hat.«

»Es sind wohl Gummisohlen, aber mit getrenntem Absatz«, sagte Officer Anders.

Randy schüttelte den Kopf. »Dann sind es sicher nicht seine, Mason trägt Basketballstiefel.«

Als Mason kurz darauf eintraf, verglich Officer Anders den Abdruck mit Masons Schuh – das Absatzprofil war unterschiedlich.

»Eine erste Spur«, sagte Deputy Sachsen lächelnd. »Auch wenn es solche Schuhe wahrscheinlich dutzendweise gibt und ein Nachweis nicht so einfach ist.« Er wandte sich an Mason. »Können wir noch zum Vergleich auch deine Fingerabdrücke nehmen?«

Mason runzelte die Stirn. »Na ja, nachdem sie sie ja bei meinem Spind nicht genommen haben …«

Der Deputy warf einen Blick über die Schulter zu seiner Kollegin, dann sagte er ganz leise: »Glaub mir, wir hätten nichts gefunden.«

»Ich bin unschuldig!« Mason klang empört.

»Das weiß ich doch«, sagte Deputy Sachsen beruhigend. »Es ist nicht wegen dir …«

Die Wangenknochen des Deputy mahlten, doch er sagte nichts mehr dazu, sondern wandte sich an seine junge Kollegin. »Würden Sie bitte Mr. Collisters Fingerabdrücke abnehmen, wenn es für ihn in Ordnung geht?«

Mason stimmte zu und bückte sich, um seinen Schuh wieder anzuziehen. Sein Knöchel war von dem Unfall noch leicht geschwollen, aber er humpelte kaum mehr. Dennoch schien ihm das Schuheanziehen noch Schmerzen zu bereiten.

»Alles okay?«, fragte Randy besorgt. Auch auf der Stirn, über der Platzwunde, hatte Mason noch ein großes Pflaster kleben, und auf seiner Wange schillerte ein gelber Fleck.

»Ja, frag nicht, geht schon«, brummte er. »Erzähl du lieber mal, was los ist? Was wurde denn gestohlen?«

»Mein Rechner, ein alter Laptop …, zwei defekte Smartphones – was ich bisher entdecken konnte«, zählte er auf.

Mason starrte ihn mit großen Augen an. »Alle Daten weg?«

Randy schnaubte. »Na ja, meinen neuen Laptop hatte ich ja glücklicherweise dabei und ich habe noch zwei komplette Sicherungen, eine verschlüsselt auf einer Cloud und eine …« Vielsagend hob er die Augenbrauen. Mason würde schon blicken, dass er im alten Tarnowski-Haus noch ein Backup hatte.

Sein Freund nickte verstehend. »Aber … wenn jemand all deine Daten hat …?«

Zögernd hob Randy die Achseln. »Es war nicht so viel. Und ich habe alles mehrfach verschlüsselt«, sagte er langsam. »Trotzdem …«

Da rief der Deputy sie zu sich und setzte sich ins Wohnzimmer. »Wir haben hier an der Balkontür noch ein, zwei schwarze Haare gefunden. Wir müssen überprüfen, ob die von dir stammen, Randy. Allerdings sehen sie länger aus.«

Randy blickte Mason an. »Olivia hat lange schwarze Haare. Das ist die Einzige, die da war, die mir gerade einfällt. Aber die war nicht am Balkon.«

Mason schüttelte den Kopf. »Nee, mehr weiß ich auch nicht, alle anderen sind braun oder blond.«

Deputy Sachsen rieb sich das Kinn. »Ich gehe mal davon aus, dass die Strähne von niemand Langhaarigem stammt, es ist circa zehn Zentimeter lang. Es wird auf jeden Fall zu den Beweismitteln gepackt und gegebenenfalls die DNS mit der in unseren Computern verglichen.«

Dann stand er auf.

»Ich würde mich jetzt gerne noch in der Nachbarschaft umhören, ob jemand etwas gesehen hat. Fällt euch sonst noch irgendwer ein, der etwas wissen oder …«, er zögerte kurz, »speziell an einem Einbruch bei euch interessiert sein könnte?«

Randy und Mason blickten sich vielsagend an. Wahrscheinlich dachte Mason genau so an Thompkins wie er. Doch das mussten sie erst in Ruhe absprechen.

Er schaltete sein Diktiergerät ab und drückte ihnen seine Visitenkarte in die Hand. »Wenn irgendetwas ist – egal was -, dann ruft mich an, okay?«

Randy und Mason nickten fast gleichzeitig.

Randy erwiderte den festen Händedruck. »Ganz herzlichen Dank, Deputy Sachsen, für alles!«

Der Deputy nickte nur, dann fiel die Tür hinter den Polizisten ins Schloss.

»Ich glaube, der Deputy ist ziemlich okay«, sagte Randy. »Der wirkte heute gar nicht so trottelig wie sonst manchmal. Nur sein Kleidergeschmack, na ja.« Er rollte die Augen.

Mason kicherte. »Vielleicht sollte Danielle ihm mal ein paar Modetipps geben. Aber da würde sie sich vermutlich zuerst uns vorknöpfen.«

Randy lachte und vergaß für einen Moment seine Sorgen.

*

Tarnowski-Haus

Ein Dienstag, nach der Schule

Danielle ließ sich in ihren Lieblingssessel fallen. »Was für eine fürchterliche Woche!«, stöhnte sie. »Erst Masons Unfall, dann der Hackerangriff, jetzt der Einbruch … Mannomann!« Ein Ereignis hatte das nächste gejagt.

Mason fasste sich unwillkürlich an seine Kopfverletzung.

»Stimmt, man kommt gar nicht mehr aus den Aufregungen heraus.«

»Gibt's schon was Neues zu dem Fahrer vom Unfallwagen?«, fragte Olivia mit sorgenvoller Miene. Danielle hatte den Eindruck, dass sie sich Vorwürfe machte, nicht darauf geachtet zu haben, wer hinter dem Steuer saß. Auch die anderen Zeugen hatten nur vage Beschreibungen eines jungen Mannes abgeliefert. Irgendjemand hatte sich um den angeblich geschockten Kerl gekümmert, und als die Polizei ihn vernehmen wollte, war er weg. Getürmt. Es gab wilde Gerüchte von Alkohol hinterm Steuer. Vielleicht war er auch abgehauen, weil der Wagen gestohlen war.

Mason tat mal wieder cool, vielleicht wollte er damit seine eigene Angst überspielen. »Nein, noch nichts Neues. Wahrscheinlich hatte er Angst vor mir und ist deshalb getürmt«, witzelte er mit schiefem Grinsen. Er setzte sich zu Olivia aufs Sofa, zog sich einen Hocker heran und legte seine Füße darauf.

»Was macht dein Knöchel?«, warf Danielle ein und blickte auf seinen Fuß. Immerhin hatte er sich den Basketballstiefel schon wieder zugebunden. »Und Randy hat was von blauen Flecken, Prellungen, Blutergüssen und einer angeknacksten Rippe erzählt.«

»Ach, ihr braucht mich nicht mehr fragen«, wehrte er ab, »alles okay so weit. Tut kaum mehr weh.« Das Gelenk war wirklich fast abgeschwollen, man sah nichts mehr. Auch die sichtbaren Prellungen schwanden und die Fäden an seiner Stirn waren auch schon gezogen, er sah schon viel besser aus. »Meine Grandma sagte auch immer, Unkraut vergeht nicht.« Sein Grinsen verschwand jedoch gleich wieder, als er auf Randy blickte, der mit konzentrierter Miene vor dem Rechner saß und gequält aufstöhnte. »Und? Kannst du die Daten alle retten?«

Randy brummte. »Ja, schon. Ist halt super mühsam. Ich spiegle gerade diese Festplatte hier.«

»Sind die Sachen eigentlich versichert?«, wollte Olivia wissen.

»Yep.« Randy nickte. »Also finanziell ist es nicht das Problem.« Seine sorgenvolle Miene verhieß jedoch nichts Gutes.

»Denkst du, sie werden deine Daten knacken können?« Danielle blickte ihn fragend an. Das wäre ja wirklich fatal!

Randy zuckte die Schultern. »Früher oder später kriegt jeder gute Hacker wohl die Daten gecrackt. Ich habe mir wirklich Mühe gegeben, aber garantieren kann ich nichts.« Dann hob er die Mundwinkel. »Wenigstens habe ich zu Hause auf dem Hauptrechner nicht viele unserer Daten über Marietta King gespeichert, immer nur das, was ich aktuell bearbeitet habe.«

»Und wer steckt jetzt hinter dem Einbruch?«, fragte Olivia. »Hat das was mit Thompkins zu tun? Musstet ihr ihn vor der Schule unbedingt provozieren? Ich hab euch doch gesagt, er ist gefährlich.«

Mason fuhr fort. »Das ist einfach so passiert. Was hätten wir denn tun sollen? Vielleicht war es aber auch ein stinknormaler Überfall.«

Vielleicht machten sie sich einfach zu viele Gedanken und waren schon paranoid. Danielle wickelte eine blonde Strähne um ihren Finger. Doch irgendetwas sagte auch ihr, dass da noch mehr dahintersteckte.

Auch Olivia schien etwas Ähnliches zu denken. »Was ist mit der App oder sonst einer deiner Entwicklungen?«, fragte sie, an Randy gewandt.

Der schüttelte den Kopf. »Davon wisst nur ihr. Und Masons Dad. Das glaube ich nicht.«

»Okay, also wohl doch eher Thompkins«, entschied Olivia und stand auf, um sich eine Dr.-Pepper-Cola aus dem Kühlschrank zu holen. »Möchte sonst noch jemand was?«

»Ist da noch ein Butterfinger drin?«

Danielle grinste. Mason konnte einfach nicht denken, ohne was zu essen.

Er fing den Riegel, den Olivia ihm zuwarf, mit einer Hand auf. Raschelnd öffnete er das Papier, zerknüllte es und biss in den Schokoriegel. »Wir sollten also herausfinden, was bei Thompkins in letzter Zeit so abging. Ob er hinter dem Überfall steckt.«

»Alter! Deine Mutter würde wieder sagen, du sollst zuerst den Mund leer machen, bevor du sprichst«, sagte Randy grinsend, worauf Mason die Papierkugel nach ihm warf und ihn zielsicher am Kopf traf.

Olivia ignorierte das Geplänkel. »Heißt das, du willst zum Crest Point gehen und diese Typen wieder belauschen?« Sie schien von der Idee nicht übermäßig angetan.

Mason schluckte den Bissen hinunter und leckte sich Schokolade vom Daumen. »Siehst du eine bessere Möglichkeit, wie wir an die Kerle rankommen?«

Grübelnd drehte Danielle an ihrer Haarsträhne. Der Gedanke, der schon eine Weile in ihrem Kopf gespukt hatte, nahm Gestalt an. »Was ist denn mit dem Kite-Festival am Samstag?« Das Barrington Cove Kite-Festival war eines der größten in der Umgebung. Von weit her kamen die Leute, um die kunstvoll gefertigten Drachen zu bewundern. Und ganz Barrington Cove war auf den Beinen. »Da treibt sich doch Gott und die Welt rum, und nach ein paar Drinks werden die Zungen lockerer. Immerhin kommt ein Großteil seiner Clique – oder sollte ich sagen Kunden? – auch dorthin, die hängen auch immer mit ihm am Crest Point ab. Wenn wir uns da mal umhören, bringt uns das vielleicht weiter. Der Schwachkopf Thompkins brüstet sich doch auch gerne mal mit seinen Taten.«

Mason warf ihr einen anerkennenden Blick zu. »Gar keine schlechte Idee.«

»Allerdings! Lasst es uns doch mal probieren, ich wollte eh dort vorbeigehen«, stimmte Olivia zu. »Schaden kann es nichts.«

Randy sah nicht besonders glücklich aus. Massenveranstaltungen waren nicht sein Ding. Aber schließlich war er überstimmt.

»Ich kann allerdings erst abends.« Danielle zog eine Grimasse. »Mein Dad hat so dusselige Geschäftsfreunde zu einem Segeltörn auf unsere Yacht eingeladen, weil er findet, dass man vom Meer aus den besten Blick über die Flug-Drachen hat.«

»Hey, so ein Trip mit dem Segelboot ist doch megacool.« Mason bekam einen schwärmerischen Blick.

Danielle grinste gequält. »Nicht immer. Ich darf den Sohn eines Geschäftsfreundes meines Dads bespaßen – so ein typisch-arroganter College-Boy-Schnösel. Seine Eltern sind auch dick mit dem Bürgermeister.« Schon beim Gedanken an den Schleimer gruselte es sie.

»Na, herzlichen Glückwunsch!«, sagte Olivia trocken und warf ihr einen mitleidigen Blick zu.

Danielle richtete sich in ihrem Sessel auf. »Wenigstens kommt Brandon, mein Bruder, auch mal wieder aus Harvard heim. Den kriegt man ja sonst nie zu Gesicht.«

»Ich wusste gar nicht, dass du einen großen Bruder hast«, sagte Randy erstaunt.

Danielle schluckte. »Na ja, ich glaube, er manchmal auch nicht.« In ihren eigenen Ohren klang ihr Lachen etwas schrill.

Mason wechselte das Thema. »Was machen wir denn eigentlich jetzt mit Marietta? Irgendwo sollten wir rausfinden, ob das Kind existiert.«

»Hast du eigentlich über diesen angeblich ermordeten Zirkusjungen Marek noch was rausgekriegt, Randy?«, fragte Danielle. »Immerhin könnte er der Vater sein.«

»Nein, gar nichts. Vom Erdboden verschluckt … zumindest, was ich datentechnisch aktuell rausfinden konnte. Allerdings bin ich mit den Akten auch noch nicht durch.«

 

»Ich hab auch schon ans Stadtarchiv gedacht«, sagte Olivia. »Und ich dachte mir, ob wir beide da mal vorbeigehen sollten? So als Reporter-Team für die Schülerzeitung.«

Mason nickte. »Das klingt nach einem Plan.«

Randy stimmte begeistert zu.

Auch wenn der Einbruch bei ihm immer noch nicht vergessen war, gab ihnen allen der Gedanke, aktiv etwas unternehmen zu können, neuen Auftrieb.

*