Handbuch des Strafrechts

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Seit der Entscheidung des Großen Senates für Strafsachen BGHSt 9, 385 ff. reicht die Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers zur Tötung nicht aus, wenn der Täter diese Art der Tötung nicht mit „feindseliger Willensrichtung“ praktiziert. Anlass dieser Einschränkung des Mordtatbestandes war der Fall eines Ehemannes und Familienvaters, der Kind und Ehefrau im Schlaf getötet bzw. zu töten versucht hat, um ihnen damit „eine Wohltat“ zu erweisen.[169] Der Täter wollte den Opfern dadurch Leid, Schmerzen und Todesangst ersparen. Er ist mit dieser Einstellung gewissermaßen das „Gegenmodell“ zu dem Täter, der sein Opfer grausam tötet und dabei eine rohe und unbarmherzige Gesinnung manifestiert. Unnötige Qual und Schmerzen zu bereiten ist grausame Tötung und daher Mord,[170] genau diese tötungsbegleitende Effekte zu vermeiden, verdient eine mildernde Beurteilung. Der Große Senat für Strafsachen leitet dies aus dem Begriff „Heimtücke“ her: „Der Begriff ‚Heimtücke‚ hat nach allgemeinem Sprachgebrauch eine feindliche Willensrichtung des Täters gegen das Opfer zum Inhalt. Diese feindselige Haltung des Täters gegen das Opfer zeigt sich darin, dass er dessen Arg- und Wehrlosigkeit zum Töten ausnutzt. Sie gibt damit dem Gesamtbilde der Tat das Gepräge. Wenn der Täter jedoch – wie hier – seine Familie, die er sehr liebt, mit sich in den Tod nehmen, ihr also das Schicksal bereiten will, das er sich selbst zugedacht hat, weil er in krankhafter Verblendung meint, zum Besten seiner Familie zu handeln, so fehlt es ihm an der feindseligen Willensrichtung, die für das Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit kennzeichnend ist. Er handelt dann nicht heimtückisch“.[171]

bb) Grausamkeit

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Grausam ist im allgemeinen Sprachgebrauch ein Attribut sowohl für Menschen als auch für Ereignisse. Ein Schicksal oder eine Krankheit – z.B. Krebs – können grausam sein. Ein Mensch wird als grausam bezeichnet, wenn er einen Hang zu Taten hat, die ihrerseits als grausam charakterisiert werden. In erster Linie ist es die grausame Behandlung anderer Menschen, die der Grund dafür ist, jemandem die Eigenschaft grausam zuzuschreiben. Grausame Tötungen sind neben grausamen Körperverletzungen in Gestalt von Folter, Marter, Tortur die ausgeprägtesten Erscheinungsformen grausamen menschlichen Verhaltens. Als eine Kombination aus überaus schmerzhafter Körperverletzung, seelischer Quälerei[172] und Tötung stellt sich die Definition des Mordmerkmals „grausam“ dar. Grausam tötet, wer dem Opfer besondere Schmerzen oder Qualen körperlicher oder seelischer Art zufügt und dies aus roher, gefühlloser, unbarmherziger Gesinnung heraus tut.[173] Insbesondere langanhaltendes allmählich gesteigertes Leiden des Opfers ist ein typisches Grausamkeitsmerkmal.[174] Gewissermaßen die Umkehrung einer grausamen Tötung ist der „Gnadentod“, den der Täter dem Opfer – z.B. auch Tieren – „schenkt“, um es von einem langen Leiden zu erlösen („kurz und schmerzlos“) bzw. vor lang andauerndem Leiden zu bewahren. Das spezifisch grausame eines Tötungsakts kann sich auch gegen Dritte richten, z.B. wenn Kinder gezwungen werden, der Hinrichtung ihrer Eltern beizuwohnen. Die gefühllose und unbarmherzige Gesinnung des Täters kann auch auf diese Weise zum Ausdruck gebracht werden. Mordmerkmalsgemäß ist jedoch nur die Grausamkeit gegenüber dem Tötungsopfer. Wird dieses schnell und relativ schmerzfrei getötet, kann das immense seelische Leiden der Angehörigen, die dies miterleben müssen, aus dem Totschlag keinen Mord machen. Hat die Tat aber mordgleichen Unrechtsgehalt, kann sie als Totschlag in einem besonders schweren Fall mit lebenslanger Freiheitsstrafe schuldangemessen geahndet werden, § 212 Abs. 2 StGB.[175] Die grausamkeitsbegründenden Tatumstände müssen bei Vollzug der Tötungshandlung, also zwischen unmittelbarem Ansetzen (§ 22 StGB) und Vollendung vorliegen.[176] Grausamkeit – vor allem seelischer Art – im Vorbereitungsstadium (der Täter beschreibt dem Opfer vor der Tat in aller Ausführlichkeit, wie er es zu Tode foltern werde) vermag das Mordmerkmal nur zu begründen, wenn sie in die Phase der Ausführung des Tötungsaktes hineinwirkt.[177] Allgemein anerkannt ist, dass grausame Tötung auch in Form eines unechten Unterlassungsdelikts (§§ 211, 13 StGB) möglich ist. Denn als klassischer Fall grausamer Tötung gilt z.B. das Verhungernlassen eines Kleinkindes durch die Eltern.[178] Kein Mord ist eine ohne Tötungsvorsatz begangene grausame Körperverletzung, die in eine vorsätzliche Tötung übergeht, bei deren Vollzug Grausamkeitsmerkmale nicht mehr vorliegen.[179]

cc) Mit gemeingefährlichen Mitteln

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Entgegen dem Plural im Gesetzestext („Mitteln“ statt „Mittel“) kann das Mordmerkmal auch durch Verwendung eines einzigen gemeingefährlichen Mittels erfüllt werden. Was dafür konkret erforderlich ist, ist sehr umstritten. Rechtsprechung und Literatur stellen darauf ab, dass das eingesetzte Mittel eine „Breitenwirkung“ hat, die sich darin äußert, dass nicht nur das individuelle Opfer, das der Täter töten will, sondern auch noch „unbeteiligte Dritte“ mitbetroffen werden könnten.[180] Charakteristisch für das gemeingefährliche Mittel sei, dass der Täter „die Ausdehnung der Gefahr nicht in seiner Gewalt hat.“[181] Erforderlich ist also, dass mehrere Menschen dem eingesetzten Mittel zum Opfer fallen können, der Täter aber eigentlich nicht alle diese Menschen töten will. Daraus folgt, dass der letzte neben dem Täter noch lebende Mensch niemals mit einem gemeingefährlichen Mittel getötet werden kann, selbst wenn der Täter durch gezielte Sprengung eines Staudamms eine Überschwemmung auslöst, bei der das Opfer ertrinkt.[182] Bei einer Tötung mit gemeingefährlichem Mittel müssen nach der gefestigten Definition immer noch weitere Menschen in der Nähe sein, um durch das verwendete Tötungsmittel zumindest in Lebensgefahr gebracht zu werden. Denn der Grund der behaupteten Höchststrafwürdigkeit sei „eine sozialpsychologisch vermittelte Verunsicherung der Allgemeinheit“.[183] Diese Technik der Tötung werde als „gesteigert bedrohlich empfunden, weil gleichsam jedermann zufällig in den Einzugsbereich eines solchen Tötungsverbrechens geraten kann und deshalb keine Chance hat, sich auf die ihm drohende Gefahr einzustellen und darauf zu reagieren.“[184] Warum sich diese Verunsicherung aber nur dann einstellen soll, wenn der Täter „die Ausdehnung der Gefahr nicht in seiner Gewalt hat“, erschließt sich nicht. Chancenlos ist man gegenüber dem Tatmittel mit Breitenwirkung erst recht, wenn es dem Täter egal ist, wie viele Menschen durch die von ihm ausgelöste Explosion getötet werden. Nicht erkennbar ist auch, wieso die Gefährdung „unbeteiligter Dritter“ strafwürdiger sein soll als die Massentötung zahlreicher „beteiligter Dritter“. Nach h.M. folgt aus ihrer Gemeingefährlichkeits-Definition, dass das Werfen einer Bombe in ein vollbesetztes Lokal, mit dem der Täter möglichst viele Menschen töten will, keine Tötung mit gemeingefährlichem Mittel ist.[185] Denn keine der anwesenden Personen ist „unbeteiligter Dritter“ im Sinne der zugrunde gelegten Definition. Eine wenig überzeugende Notlösung zur Vermeidung des paradoxen Ergebnisses ist es, sämtliche Lokalbesucher zu „letztlich austauschbaren Repräsentanten der Allgemeinheit“ zu erklären.[186] Die gewollte Tötung vieler Menschen „auf einen Schlag“ sei eine „schlichte Mehrfachtötung“ und diese sei per se kein Mord, sondern allenfalls Totschlag in einem besonders schweren Fall, § 212 Abs. 2 StGB.[187]

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Die h.M. macht die Entscheidung über die Gemeingefährlichkeit von einigen Details abhängig, zu denen es keine gesetzlichen Festlegungen gibt und zu denen sich einleuchtende dogmatische Festlegungen nicht treffen lassen: Welche Intensität muss die drohende Mitbetroffenheit der „unbeteiligten Dritten“ haben, Gefahr für das Leben oder Gefahr für die körperliche Unversehrtheit?[188] Müssen die Menschen konkret gefährdet werden oder genügt eine abstrakte Gefährlichkeit?[189] Wie viele Menschen müssen mindestens betroffen sein?[190] Konsequent dem Gebot möglichst restriktiver Auslegung des Mordtatbestandes folgen diejenigen, die eine konkrete Gefahr für das Leben verlangen.[191] Andere lassen eine abstrakte Lebensgefährlichkeit ausreichen.[192] Eine dritte Meinungsgruppe bezieht sogar die bloße Gefährlichkeit für die körperliche Unversehrtheit mit ein.[193] Die Frage nach der erforderlichen Mindestanzahl mitgefährdeter Personen ist unbeantwortbar. Davon zeugen die von Schneider zitierten Floskeln in Entscheidungen des Bundesgerichtshofes, mit denen die Hilflosigkeit nur mühsam überdeckt wird: „größere Zahl“, „Mehr- oder Vielzahl“, „Zahl der potenziell gefährdeten Personen nicht ohne Weiteres auf einen Blick überschaubar“.[194] Vor allem der letztgenannte Vorschlag entfernt sich sehr weit von der Mindestzahl drei, die Schneider vorschlägt,[195] ohne begründen zu können, warum die Grenze nicht z.B. bei zehn liegen sollte.[196] Einig ist man sich aber dahin, dass die Gefährdung nur einer Person nicht ausreichen kann.[197] Dieser Aussage ist entgegenzuhalten, dass es zur Erfüllung des Mordtatbestandes ausreicht, wenn der Täter einen Menschen tötet. Das gilt für alle Mordmerkmale des § 211 Abs. 2 StGB. Das Gemeingefährlichkeits-Merkmal macht davon keine Ausnahme. Andererseits macht die Tötung eines zweiten Menschen die Tat nicht per se zum Mord. Deswegen kann es auch nicht darauf ankommen, ob durch die Tötung eines Menschen noch weitere Menschen gefährdet worden sind. Die meisten erfolgsqualifizierten Straftatbestände des Bereichs „Gemeingefährliche Straftaten“ belegen dies: §§ 306c, 307 Abs. 3 Nr. 1, 308 Abs. 3, 309 Abs. 4, 314 Abs. 2, 316a Abs. 3, 316c Abs. 3 StGB. Jeweils genügt die leichtfertige Tötung eines einzelnen Menschen für eine Sanktionsentscheidung, die mindestens eine Freiheitsstrafe von zehn Jahren beinhalten muss. Demgegenüber soll die vorsätzliche Tötung eines Menschen mit einem seiner Art nach gemeingefährlichen Mittel ein Totschlag mit einem Strafrahmen von 5 bis 15 Jahren sein? Wer hier auf § 212 Abs. 2 StGB verweist, sollte besser gleich die Definition des Mordmerkmals anpassen.

 

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Nach unbestrittener allgemeiner Ansicht ist die Verwirklichung des Mordmerkmals „mit einem gemeingefährlichen Mittel“ durch Tötung eines einzelnen Menschen möglich. Entgegen der h.M. brauchen aber bei Begehung der Tat keine weiteren Menschen tatsächlich in Gefahr sein. Ausreichend ist, dass das Tötungsmittel seiner Art nach andere Menschen töten könnte.[198] Denn das ist mit „gemeingefährlich“ gemeint. Es gibt keinen Grund, zur Bestimmung der Gemeingefährlichkeit nicht auf §§ 306 ff. StGB zu rekurrieren. Die Gemeingefährlichkeit kennzeichnet der Umstand, dass die weiteren potentiellen Opfer sich weder zeitlich noch räumlich in der Nähe der tatsächlich getöteten Person aufhalten müssen und dennoch durch dasselbe Mittel zu Tode kommen könnten. Vergiftet der Täter in der Sahara das Trinkwasser in dem einzigen Reservoir im Umkreis von 100 km, ist der erste Mensch, der infolge Trinkens zu Tode kommt, durch ein gemeingefährliches Mittel getötet worden, auch wenn der nächste Durstige frühestens in einem Monat zu der Wasserstelle kommen wird. Wird der einsame Wanderer in der Wüste durch eine Rakete getötet, ist das eine Tötung mit einem gemeingefährlichen Mittel, wenn ein zur Zeit der Tat 100 Meter entfernter zweiter Wüstenwanderer durch dieselbe Rakete getötet worden wäre. Kein gemeingefährliches Mittel ist der Täter selbst, auch wenn er durch die Ungeübtheit im Umgang mit einer Schusswaffe bei der Tötung eines Menschen zugleich eine Vielzahl weitere Menschen in die Gefahr bringt, getroffen und getötet zu werden. Das hat der BGH so zutreffend entschieden, wenngleich er dabei unzutreffende Gemeingefährlichkeits-Kriterien zum Maßstab nahm: „Die auf ein bestimmtes Ziel gerichtete Schußwaffe, mit der nur ein Schuss abgegeben werden soll, bedeutet ihrer Natur nach keine unberechenbare Gefahr für eine unbestimmte Vielzahl von Menschen. Das der Strafdrohung des Mordes mit gemeingefährlichen Mitteln zugrunde liegende erhöhte Unwerturteil hat seinen Grund aber in der besonderen Rücksichtslosigkeit des Täters, der sein Ziel durch die Schaffung unberechenbarer Gefahren für andere durchzusetzen sucht, indem er ein Tötungsmittel verwendet, dessen Gefährdungsbereich für unbeteiligte Dritte er nicht begrenzen kann. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, wenn zwar eine Mehrzahl von Personen als Repräsentanten der Allgemeinheit in den Gefahrenbereich geraten, tatsächlich aber die von der Waffe ausgehende Gefährdung durch die möglichen Wirkungen nur einer Kugel begrenzt sind. Das Tötungsmittel wird somit nicht dadurch zum gemeingefährlichen, dass der Täter infolge äußerer Umstände oder aber wegen persönlicher Unsicherheit die Waffe nicht ausreichend beherrscht und sein Ziel verfehlt. Bei typischerweise im Ausmaß der Wirkungen beherrschbaren Tötungsmitteln bestimmt nicht der Taterfolg (das Verfehlen des eigentlichen Ziels) die Einordnung als gemeingefährliches Mittel. Das gilt auch dann, wenn der Täter einen Schuß auf eine Person abgibt mit der primär nicht gewollten, aber erkannten und für diesen Fall gebilligten Gefahr, bei einem Fehlschuß einen anderen aus einer Vielzahl von Menschen zu treffen.“[199]

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Überwiegend wird angenommen, dass Mord mit gemeingefährlichem Mittel in der Form des unechten Unterlassungsdelikts (§§ 211, 13 StGB) nicht möglich ist.[200] Diese dogmatische Kategorie steht beispielsweise in Rede, wenn der Täter ohne Tötungsvorsatz einen todbringenden Wirkstoff freisetzt, danach die Möglichkeit eines dadurch verursachten Todesfalles erkennt und dies billigend in Kauf nehmend nichts zur Abwendung des drohenden Todeserfolgs unternimmt. Mord durch Unterlassen sei das nicht, da der Täter das gemeingefährliche Mittel einsetzen müsse und es nicht ausreiche, wenn er eine bereits vorhandene gemeingefährliche Situation ausnutze. Keine Rolle spiele dabei, ob die Gefahr zufällig entstanden, von einer dritten Person verursacht oder vom Täter selbst ohne Tötungsvorsatz herbeigeführt worden ist.[201] Davon, dass der Täter das gemeingefährliche Mittel „einsetzen“ müsse und dies etwas anderes sei als die Verursachung des Todes durch Auslösung eines Kausalverlaufs, in dem das gemeingefährliche Mittel und seine Wirkung ein Teil der Ursachenkette ist, ist im Text des § 211 StGB nichts zu finden. Ein „Einsetzen“ ist auch durch Unterlassen möglich. Man mag die Passivität gegenüber der tödlichen Wirkung des Mittels „ausnutzen“ nennen. Irgendwelche Schlussfolgerungen drängt dieses Wort nicht auf. Wenn eine Restriktion der gemeingefährlichen Tötung durch Unterlassen dogmatisch begründet sein soll, muss sie aus § 13 Abs. 1 StGB abgeleitet werden. Der blassen „Entsprechungsklausel“, die dies grundsätzlich einfordert, sind konkrete Anweisungen allerdings nicht zu entnehmen. Daher ist zu erwägen, das Erfordernis der Garantenstellung auf das Mordmerkmal zu erstrecken. Konkret bedeutet das, dass einen Mord als unechtes Unterlassungsdelikt in der Variante „gemeingefährliches Mittel“ nur begehen kann, wer Garant dafür ist, dass eine gemeingefährliche Situation nicht entsteht. Kommt bei einem Hausbrand eine Frau ums Leben, weil niemand das Feuer gelöscht hat, kann sich ein Feuerwehrmann wegen Mordes durch Unterlassen strafbar machen, nicht aber der Ehemann der Frau, der keine Abwendungspflicht in Bezug auf das Feuer selbst hat.

g) Mordmerkmale § 211 Abs. 2 StGB – 3. Gruppe

aa) Allgemeines

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Der Strafwürdigkeitsgehalt, der die Straftatermöglichungsabsicht und Straftatverdeckungsabsicht befähigt, in die Kategorie der Mordmerkmale aufgenommen zu werden, wird als besonders verwerfliche Zielsetzung oder Zweckverfolgung charakterisiert.[202] Obwohl der Gesetzeswortlaut das Wort „Absicht“ nicht verwendet, ist diese Bezeichnung zutreffend, da „um zu“ eine im Strafgesetzbuch übliche Ausdrucksform für Absichten ist, z.B. die Bereicherungsabsicht in § 253 Abs. 1 und § 259 Abs. 1 StGB und die Leistungsverschaffungsabsicht in § 265 Abs. 1 StGB. In § 315 Abs. 3 Nr. 1 lit. b StGB hat der Gesetzgeber die Straftatermöglichungs- und Straftatverdeckungsabsicht mit den Worten „in der Absicht“ umschrieben. Es handelt sich um subjektive Merkmale, die überwiegend dem subjektiven Tatbestand des Mordes,[203] von anderen der Schuld zugeordnet werden. Praktische Konsequenzen hat diese Verortung auf bestimmten Stufen des Straftataufbaus für die Anwendbarkeit des § 28 StGB oder des § 29 StGB bei Taten mit mehreren Beteiligten.[204] Wie immer, wenn eine Strafvorschrift die Strafbarkeit von einer Absicht des Täters abhängig macht, ist die Erreichung dessen, worauf die Absicht gerichtet ist, keine Strafbarkeitsvoraussetzung. Zur Erfüllung des Mordtatbestandes ist es daher nicht erforderlich, dass der Täter durch die Tötung eine andere Straftat tatsächlich ermöglicht oder verdeckt.[205] Ausreichend ist also eine Tötung, die ein Ermöglichungs- oder Verdeckungsversuch ist. Die subjektive Sicht des Täters ist auch maßgeblich für die Bestimmung des Absichtsgegenstandes „Straftat“. Der Täter muss sich vorstellen, dass die Tat, die er durch Tötung ermöglichen oder verdecken will, eine Straftat ist. Es kommt nicht darauf an, dass die Tat nach objektivem Maßstab Straftatqualität hat. Stellt er sich eine Tat vor, die durch Notwehr gerechtfertigt ist, hat er keine Ermöglichungs- oder Verdeckungsabsicht, unabhängig davon, ob die Notwehrvoraussetzungen tatsächlich erfüllt sind oder nicht. Im Fall der Verdeckungsabsicht ist nicht einmal erforderlich, dass es die zu verdeckende Tat überhaupt gegeben hat. Im Fall der Ermöglichungsabsicht ist es ebenfalls nicht notwendig, dass die Begehung der beabsichtigten Tat möglich ist.[206] Auch ein objektiv untauglicher Versuch kann Bezugstat der Ermöglichungsabsicht sein, wenn der Täter die Untauglichkeit nicht kennt und deshalb an die Realisierbarkeit seiner Absicht glaubt.[207]

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„Straftat“ ist eine Tat, die einen Straftatbestand erfüllt, rechtswidrig und schuldhaft ist. Eine Ordnungswidrigkeit ist von dem Begriff nicht erfasst, § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB.[208] Es trifft allerdings zu, dass es bei Inkrafttreten der die beiden Absichtsmerkmale beinhaltenden Fassung des § 211 StGB das Ordnungswidrigkeitenrecht noch nicht gab. Erstmalig im Jahr 1949 tauchte in dem Text eines deutschen Gesetzes der Terminus „Ordnungswidrigkeit“ auf.[209] Viele Delikte, die später in Ordnungswidrigkeiten umgewandelt wurden, waren bei Inkrafttreten des § 211 StGB im Jahr 1941 Straftaten, überwiegend Übertretungen. Solange waren sie auch taugliche Bezugsdelikte der Ermöglichungs- und Verdeckungsabsicht.[210] Allerdings kann daraus nicht geschlossen werden, dass pauschal alle Ordnungswidrigkeiten diesen Mordmerkmalen zugeordnet werden können. Das ist allenfalls in Bezug auf solche Tatbestände erörterungswürdig, die ursprünglich Straftaten waren und später ins Ordnungswidrigkeitenrecht verschoben wurden. Aber auch insofern ist die Ausgrenzung aus dem Mordtatbestand die vorzugswürdige Behandlung. Die Herabstufung zur Ordnungswidrigkeit ist eine Rechtsänderung, die den Täter besser stellt. Deshalb müssten in konsequenter Umsetzung des Gedanken des § 2 Abs. 3 StGB sogar Tötungen, die der Ermöglichung oder Verdeckung von Taten galten, die zur Zeit der Tötung noch Straftaten waren, im Falle der Umwandlung in Ordnungswidrigkeiten den Mordmerkmalen Ermöglichungs- und Verdeckungsabsicht entzogen werden. Große praktische Auswirkungen hat die Kontroverse nicht. Denn Tötungen, mit denen der Täter die Ermöglichung oder Verdeckung einer Ordnungswidrigkeit anstrebt, werden in der Regel wegen der Niedrigkeit des Beweggrundes Mordqualität haben.[211]

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Die Straftat, die der Täter ermöglichen oder verdecken will, kann eine eigene oder eine fremde sein.[212] Entscheidend ist, dass die vorgestellte Tat bei objektiver Würdigung alle Voraussetzungen einer Straftat erfüllt. Handelt es sich z.B. um ein Sonderdelikt und erfüllt der Täter das vom Gesetz vorausgesetzte besondere Tätermerkmal nicht, ist Ermöglichungs- oder Verdeckungsabsicht nur möglich, wenn der Täter sich die Erfüllung des besonderen Tätermerkmals irrig vorstellt. Relevant ist nur ein tatsachenbezogener Irrtum, wie er dem untauglichen Versuch zugrunde liegt. Bildet sich der Täter auf Grund fehlerhafter rechtlicher Wertung ein, die zu ermöglichende oder zu verdeckende Tat sei eine Straftat („Wahndelikt“), ist das Absichtsmerkmal nicht erfüllt. Umgekehrt ist die irrtümliche Annahme, die Tat sei nicht strafbar, nur im Fall fehlerhafter tatsächlicher Vorstellung beachtlich. Rechtsirrtümer entlasten nicht, z.B. die nicht auf der Vorstellung eines rechtfertigenden Sachverhalts beruhende Annahme, die Tat sei nicht rechtswidrig.