Handbuch des Aktienrechts

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1. Kapitel Geschichte und Zukunft des Aktienrechts

Inhaltsverzeichnis

I. Wesenselemente

II. Entstehung der Rechtsform Aktiengesellschaft

III. Bisherige Entwicklung des Aktienrechts in Deutschland

IV. Ausblick – Was bringen die nächsten 25 Jahre?

1. Kapitel Geschichte und Zukunft des Aktienrechts › I. Wesenselemente

I. Wesenselemente

1

Die AG ist die Handelsgesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit (juristische Person), die kraft ihrer Struktur am besten geeignet ist, große Finanzmittel in kleinster Stückelung in Form von langfristigem, haftendem Eigenkapital auf den Kapitalmärkten aufzunehmen.[1] Die börsennotierte AG kann dank ihrer Flexibilität bei der Kapitalaufnahme am leichtesten die nötige Masse erreichen, die für globales Agieren und globale Präsenz erforderlich ist. Die AG gegenwärtiger Prägung ist ein Kind der industriellen Revolution.[2] Sie ist bedeutendes Adjuvans einer in der Menschheitsgeschichte einmaligen Schaffung von Wohlstand. Die Industrialisierung benötigte Kapital für Maschinen und Anlagen, und dazu bedurfte es Kapitalsammelstellen. Das konnten Banken sein, die Spareinlagen einsammelten und als Fremdkapital zur Verfügung stellten; das waren aber auch die Aktiengesellschaften, die sich mit Eigenkapital am Kapitalmarkt versorgen können. Die AG kann aber auch zu einer gerechten Vermögensverteilung, einer Teilhabe aller am Produktivvermögen und damit zu einer Aufhebung des Gegensatzes von Arbeit und Kapital beitragen. Wären alle unsere Großunternehmungen in privater Hand (wie etwa Bertelsmann), so könnte dies zu sozialen Spannungen und vermehrten Fragen der Verteilungsgerechtigkeit führen. Die börsennotierte AG hingegen eröffnet zumindest theoretisch die Möglichkeit der Beteiligung für Jedermann am Wachsen und Florieren unserer Wirtschaft.

Anmerkungen

[1]

Vgl. Hueck S. 181 f.; Großkommentar/Assmann Einl. Rn. 292; Großkommentar/Brändel § 1 Rn. 9.

[2]

K. Schmidt/Lutter/K. Schmidt Einl. Rn. 3.

1. Kapitel Geschichte und Zukunft des Aktienrechts › II. Entstehung der Rechtsform Aktiengesellschaft

II. Entstehung der Rechtsform Aktiengesellschaft

2

Die AG als handelsrechtlicher Kooperationstyp geht nach den Forschungsergebnissen von Karl Lehmann und Gustav Schmoller auf die seit Anfang des 17. Jahrhunderts vor allem in den Niederlanden und in England entstandenen Handelskompanien zurück, mit denen die Schifffahrtsreeder überseeische Unternehmungen verwirklichen wollten.[1] Wer sich an einer solchen Unternehmung zu beteiligen beabsichtigte, leistete eine Aktie. Der Name „Aktie“ ist die niederländische Form des lateinischen Wortes „actio“, also „Anspruch“. Der sich Beteiligende hat Anspruch auf seinen Anteil am Kapital, am Gewinn, aber auch an der Gestaltung der gemeinsamen Belange. Gerade diese drei Faktoren, die die Beteiligung von einem Darlehen unterscheiden, hatten bei den Handelskompanien erhebliche praktische Bedeutung und führten schnell zu ihrer Verbreitung. Während in der Entstehungszeit dieser Gesellschaften den Aktionären noch eine Nachschusspflicht auferlegt war, wenn die Gesellschaft weiteres Kapital benötigte, erfolgte sukzessive ein Abbau dieser Verpflichtung, bis Anfang des 19. Jahrhunderts unter dem Einfluss des französischen code de commerce von 1807 die Haftungsbeschränkung des Aktionärs auf seine Einlage eingeführt wurde.[2]

Art. 33 dieses für die Rechtsordnung des Aktienrechts in Europa richtungweisenden Gesetzes hat folgenden Wortlaut:

„Les associés (de la société anonyme) ne sont passibles que de la perte du montant de leur intérêt dans la société.“

Anmerkungen

[1]

Lehmann Die geschichtliche Entwicklung des Aktienrechts bis zum code de commerce, 1895; Würdinger S. 13 ff.; Großkommentar/Meyer-Landrut Einl. I/1, 3. Aufl.; Hueck S. 175 ff.; Großkommentar/Assmann Einl. Rn. 12 ff.; Münch. Hdb. GesR IV/Hoffmann-Becking § 1 Rn. 1.

[2]

Großkommentar/Meyer-Landrut Einl. I/1, 3. Aufl.; Würdinger S. 13; Großkommentar/Assmann Einl. Rn. 13, 30 ff.; Münch. Hdb. GesR IV/Hoffmann-Becking § 1 Rn. 3.

1. Kapitel Geschichte und Zukunft des Aktienrechts › III. Bisherige Entwicklung des Aktienrechts in Deutschland

III. Bisherige Entwicklung des Aktienrechts in Deutschland

1. Kapitel Geschichte und Zukunft des Aktienrechts › III. Bisherige Entwicklung des Aktienrechts in Deutschland › 1. Vorläufer des AktG

1. Vorläufer des AktG

1.1 Handelsgesetze

3

In den deutschen Staaten sind AG erst um die Mitte des 18. Jahrhunderts gegründet worden, und zwar auf gewohnheitsrechtlicher Grundlage im Rahmen von Handelsbräuchen. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts wurden zur Finanzierung des Eisenbahnbaus[1] die ersten gesetzlichen Bestimmungen erlassen (preußisches Gesetz vom 9.11.1843),[2] wobei die Gründung einer AG staatlicher Genehmigung bedurfte. Das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch (ADHGB) vom 16.3.1861 enthält entsprechende Vorschriften.[3] Dieses Gesetzbuch brachte erstmals eine vollständige Kodifikation des Aktienrechts, auch der inneren Organisation der Organe und ihrer Zuständigkeiten. Erst das Gesetz des Norddeutschen Bundes vom 11.6.1870,[4] das ab 1871 im ganzen deutschen Reich galt, schaffte im Zuge des wirtschaftlichen Liberalismus die staatliche Genehmigung ab.[5] Über die Novelle vom 18.7.1884[6] wurde das Aktienrecht in das Handelsgesetzbuch (HGB) vom 10.5.1897,[7] das zusammen mit dem BGB am 1.1.1900 in Kraft trat, integriert. Die Novelle von 1884 führte als Reaktion auf die schlechten Erfahrungen der Gründerjahre den Aufsichtsrat als Kontrollorgan (anstelle der fortgefallenen staatlichen Überwachung) ein.[8]

1.2 Mitbestimmungsanfänge

4

Unter dem Eindruck der Wirtschaftskrise der 30er Jahre erfolgte eine Reihe von markanten Eingriffen in das Aktienrecht des HGB, vor allem durch die Notverordnungen vom 19.9.1931[9] und vom 6.10.1931.[10] Bereits in den 20er Jahren waren durch das Betriebsrätegesetz vom 4.2.1920 und durch das Gesetz vom 15.2.1922 die ersten Mitbestimmungsregeln für die Aufsichtsräte der Aktiengesellschaften eingeführt worden. Beide Gesetze wurden später durch § 65 des Gesetzes zur Ordnung der Nationalen Arbeit vom 20.1.1934 aufgehoben.

1. Kapitel Geschichte und Zukunft des Aktienrechts › III. Bisherige Entwicklung des Aktienrechts in Deutschland › 2. AktG 1937

2. AktG 1937

5

Das Aktiengesetz vom 30.1.1937 (AktG 1937)[11] beendete diese Entwicklung der laufenden Novellierung des Aktienrechts des HGB durch Ausklammerung der Materie aus dem HGB und Überführung in ein Sondergesetz. Die bedeutendste sachliche Neuerung des AktG 1937 war die erhebliche Stärkung der rechtlichen Stellung des Vorstands zu Lasten der Hauptversammlung, wobei innerhalb des Vorstands noch zusätzlich die Figur des Vorsitzenden (Generaldirektor) geschaffen und mit besonderen Zuständigkeiten und Vollmachten ausgestattet wurde. Dies wurde bisweilen als Ausdruck des Führerprinzips bezeichnet, kann aber auch als eine Orientierung am US-amerikanischen Recht mit der starken Stellung des CEO gesehen werden.[12] Weiterhin wurde das Mindestgrundkapital erhöht auf 500 000 RM statt zuvor 100 000 RM. Hiermit sollte erreicht werden, dass die Rechtsform der AG den großen Gesellschaften vorbehalten blieb, denn ein Grundkapital von 500 000 RM im Jahre 1937 dürfte heute (2016) etwa einem solchen von über 2 Mio. EUR entsprechen. Insgesamt war das AktG 1937 ein durchdachtes, sprachlich hervorragend ausgearbeitetes Gesetzgebungswerk, das wie inzwischen viele konzedieren, kein „Nazi-Gesetz“ war, sondern – bis auf einige Zeitgeistkonzessionen – der rechtswissenschaftlichen Forschung der Weimarer Republik entsprang und die Materie des Aktienrechts lückenlos, praxisnah und mit juristischer Prägnanz unter Verarbeitung von Rechtsprechung und Schrifttum aus einer jahrzehntelangen Entwicklung gestaltete.[13]

 

1. Kapitel Geschichte und Zukunft des Aktienrechts › III. Bisherige Entwicklung des Aktienrechts in Deutschland › 3. Vom AktG 1965 bis zum KonTraG

3. Vom AktG 1965 bis zum KonTraG

3.1 Ausgangslage

6

Die nächste große Aktienrechtskodifikation in Deutschland war das Aktiengesetz vom 6.9.1965 (AktG 1965),[14] dem vor allem im Montanmitbestimmungsrecht und im Bereich der Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln und der Gewinn- und Verlustrechnung (so genannte kleine Aktienrechtsreform vom 23.12.1959) wichtige Reformgesetze vorangegangen waren. Das AktG 1965 basierte wesentlich auf dem AktG 1937, enthielt aber auch bedeutsame Neuregelungen, u.a.:[15]


völlige Neugestaltung des Konzernrechts;
Verstärkung der Rechte der Hauptversammlung gegenüber der Verwaltung, jedoch Übertragung des Rechts der Feststellung des Jahresabschlusses auf Vorstand und Aufsichtsrat;
Betonung der Gesamtverantwortung des Vorstands;
verstärkte Verankerung von Minderheitsrechten und von Einzelrechten der Aktionäre;
Neufassung (Verfeinerung) der Gliederungsvorschriften für Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung;
zusätzliche Verankerung von Erläuterungen, die im Geschäftsbericht enthalten sein müssen (z.B. Änderungen der Bewertungsmethoden);
Prüfungspflicht hinsichtlich des Geschäftsberichts.

3.2 Entwicklung

7

Mit dem AktG 1965, das trotz zahlreicher Änderungen noch heute die Basis unseres Aktienrechts darstellt, sollte weniger ein grundsätzlicher struktureller Neubeginn eingeläutet, als eine sichtbare Distanzierung von der Gesetzgebung des Dritten Reichs markiert und die auf Privateigentum beruhende freiheitliche Wirtschaftsordnung unterstrichen werden.[16] Demnach basiert das AktG 1965 in vielen Punkten auf dem AktG 1937 und dessen Vorstufen. Die Reform von 1965 war beseelt vom Idealbild des Klein- und Belegschaftsaktionärs, vom deutschen Privataktionär, der sich für sein Unternehmen interessiert. Sie wurde von der Vorstellung geleitet, dass der einzelne Aktionär der Wächter der Interessen seiner Mitaktionäre sein könne und das Aktienrecht daher vom Aktionär als dem wirtschaftlichen Eigentümer der AG ausgehen müsse.[17] Heute (2016), 50 Jahre später, sieht die Welt angesichts der globalisierten Finanzmärkte und des institutionalisierten Anteilsbesitzes anders aus. Wie hat die Gesetzgebung seither reagiert?

Das Aktiengesetz hat seit 1965 zahllose Änderungen erfahren,[18] unter anderem ist das aktienrechtliche Rechnungswesen seit dem 1.1.1986 (Inkrafttreten des BiRiLiG) in seinen wesentlichen Teilen Bestandteil des HGB, das nach diesem Zeitpunkt insbesondere in Bezug auf die Rechnungslegung der Kreditinstitute und Versicherungsunternehmen geändert worden ist.[19] Auch zahlreiche weitere Änderungen des HGB sind, meist im Zusammenhang mit übergreifenden Artikelgesetzen, erfolgt, zuletzt durch das Kapitalgesellschaften- und Co-Richtlinie-Gesetz (KapCoRiLiG) vom 24.2.2000.

3.2.1 Wiedervereinigung

8

Mit dem am 3.10.1990 erfolgten Beitritt der neuen Bundesländer (ehemalige DDR) zum GG wurden diese Teil der BRD (Art. 1 Einigungsvertrag – EVertr. – vom 31.8.1990).[20] Gleichzeitig trat das GG in diesen Ländern sowie in dem Teil des Landes Berlin, in dem es bislang nicht galt, in Kraft (Art. 3, 4 EVertr.). Außerdem wurde in diesen Gebieten das im bisherigen Bundesgebiet gültige Bundesrecht wirksam, soweit es nicht in seinem Geltungsbereich auf bestimmte Länder oder Landesteile der BRD beschränkt war und soweit nicht durch den EVertr. etwas anderes bestimmt wurde (Art. 8 EVertr.).[21] Hierzu gehörte das Gesellschaftsrecht im weiteren Sinne, also insbesondere AktG, GmbHG, HGB, GWB, UmwG, KWG, KAGG, VAG und HypBankG.[22] Außerdem gehörte hierzu das gesamte Steuerrecht, also insbesondere EStG, KStG, UStG und UmwStG, und zwar mit Wirkung ab dem 1.1.1991.

3.2.2 Änderungsgesetze und ihre Gründe im Überblick

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Abgesehen von den genannten Entwicklungen, war der gesetzgeberische Reformeifer im Gesellschaftsrecht von 1965 bis Anfang der 90er Jahre eher begrenzt. Es war die Zeit der gesellschaftsrechtlichen Richtlinien der EU, die stark vom deutschen Recht beeinflusst waren, und deren Umsetzung daher keine grundstürzenden Änderungen des Aktiengesetzes erforderte. Es war auch die Zeit des Mitbestimmungsgesetzes von 1976 in der sozialliberalen Koalition unter Helmut Schmidt. Da der Gesetzgeber sich ansonsten eher zurücknahm, war es aber auch eine Phase richterlicher Rechtsfortbildung vor allem unter den Senatspräsidenten Robert Fischer (1963–1968) und Walter Stimpel (1971–1985), wobei die Gesellschaftsrechtswissenschaft, jedenfalls in der Form ihres „Arbeitskreises Gesellschaftsrecht“, beachtlichen konzeptuellen Einfluss auf die Rechtsprechungsentwicklung nahm.[23]

10

Anfang der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts änderte sich das Reform-Szenario.[24] Der Gesetzgeber trat wieder auf den Plan.[25] Die zweite Hälfte der „Pentekontaetie“ seit 1965, also die Zeit von 1990 bis 2015, sind oft als die Jahre der „Aktienrechtsreform in Permanenz“ bezeichnet worden.[26] Wie kam es zu dieser plötzlichen gesetzgeberischen Aktivität? Dem AktG 1965 wurden damals „Kapitalmarktferne“ und „Starrheit“ vorgeworfen. Die Zahl der AGs in Deutschland war 1990 auf ca. 2 600 gesunken. Man sprach von der „Krise der AG“. Die Aktiengesellschaft war eindeutig am Leitbild der großen Publikumsgesellschaft orientiert, sie war die Rechtsform der Bayers und BASFs. Die Kleinen sollten in die GmbH gehen. Die christlich-liberale Koalition unter Helmut Kohl machte sich Sorgen um die im internationalen Vergleich niedrige Eigenkapitalausstattung der deutschen Unternehmen – besonders im Mittelstand (besonders in der GmbH und GmbH &Co KG). Deutschland schien für die Globalisierung schlecht gerüstet. Die Stärkung des Finanzplatzes Deutschland, die Bekämpfung der Bankenmacht und der Deutschland-AG wurden zum politischen Befreiungsprogramm. Weitere Herausforderungen entstanden durch den Trend weg von der Fremdfinanzierung hin zur Eigenkapitalaufnahme über die Börsen, die Zunahme von Streubesitz und ausländischen institutionellen Investoren, die Internationalisierung der Finanzmärkte und die in diesem Rahmen aufflammende Corporate Governance Diskussion (genauer zu diesen Aspekten noch in Abschnitt 4 und 5).

11

Man konstatierte damals:[27]


Eine Verschiebung weg von der Fremd- und Innenfinanzierung und dem Hausbankensystem hin zur Eigenkapitalfinanzierung über die Börsen. Das Interesse am „Going Public“ erwachte.
Deutsche Unternehmen befanden sich bis dahin zumeist im Kontrollbesitz von Großaktionären (Familien, Banken, Versicherungen, wechselseitige Beteiligungen). Diese sog. Deutschland-AG, die Festung Deutschlands, brach langsam auf.
Unter der Globalisierung wurden die Finanzmärkte international, das Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht blieben weitgehend national. Der Anteil insbesondere ausländischer institutioneller Anleger an deutschen Gesellschaften nahm zu.
Die ausländischen Anleger erwarteten die ihnen gewohnten Regelungsmuster auch vom deutschen Aktienrecht. Die Corporate Governance-Diskussion nach anglo-amerikanischen Vorbildern kam mit Macht in Deutschland an. Das Shareholder-Value-Denken kam in Mode.

12

Durch das Gesetz vom 22.7.1993 zur Durchführung der 11. Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts (Zweigniederlassungsrichtlinie)[30] wurden wichtige Regelungen vor allem für die grenzüberschreitende Zweigniederlassung getroffen. Das Gesetz vom 26.7.1994 über den Wertpapierhandel und zur Änderung börsenrechtlicher und wertpapierrechtlicher Vorschriften (Zweites Finanzmarktförderungsgesetz)[31] brachte neben detaillierten Regelungen in Bezug auf den Erwerb eigener Aktien durch die Gesellschaft vor allem die Herabsetzung des Mindestnennbetrags der Aktien auf 5 DM.[32] Das Gesetz vom 2.8.1994 für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts (KlAGG)[33] stellte eine wichtige Etappe auf dem Weg der Öffnung der AG für die mittelständische Wirtschaft dar, die sich bislang vor dieser Rechtsform wegen der organisatorischen und formalen Strukturen gescheut hatte. Nach dem Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung (EGInsO) vom 5.10.1994,[34] das am 1.1.1999 in Kraft trat, folgte schließlich das jahrelang diskutierte Gesetz zur Bereinigung des Umwandlungsrechts (UmwBerG) vom 28.10.1994,[35] das das Umwandlungsrecht grundlegend und praxisnah umgestaltete und in ein Sondergesetz (UmwG) überführte. Weitere Änderungen des AktG 1965 sowie des KWG erfolgten schließlich durch das Gesetz zur Harmonisierung bank- und wertpapieraufsichtsrechtlicher Vorschriften vom 22.10.1997.[36] Im Jahre 1998 folgten nach dem Dritten Finanzmarktförderungsgesetz vom 24.3.1998[37] vier bedeutsame aktienrechtliche Reformgesetze, die über viele Jahre hinweg in der Öffentlichkeit diskutiert wurden:[38] Das Stückaktiengesetz (StückAG) vom 25.3.1998 mit der Einführung der nennbetragslosen Aktie (unechte nennwertlose Stückaktie),[39] das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) vom 27.4.1998,[40] das Gesetz zur Einführung des Euro (EuroEG) vom 9.6.1998[41] und das Handelsrechtsreformgesetz (HRefG) vom 22.6.1998.[42] Im Jahre 2000 folgte das Kapitalgesellschaften- und Co-Richtlinie-Gesetz (KapCoRiLiG) vom 24.2.2000.[43]

13

Im Jahr 2001 folgte das Namensaktiengesetz (NaStrAG),[44] mit dem die international verbreitete Namensaktie entstaubt, die grenzüberschreitende Stimmrechtsausübung erleichtert und elektronische Medien eingeführt wurden; es entstanden in dieser Zeit die großen Finanzmarktförderungsgesetze, die das deutsche Kapitalmarktrecht auf internationalen Stand hoben.

 

14

2005 folgte das UMAG[45] mit Feinsteuerungen zum Haftungs- und Beschlussmängelrecht, aber erst dem ARUG im Jahr 2009[46] ist es gelungen, dem Geschäftsmodell der räuberischen Aktionäre den Boden zu entziehen. Ebenfalls 2005 in der Amtszeit von Brigitte Zypries hatten wir das VorstOG[47] zur Vergütungstransparenz, 2006 folgte das EHUG[48] mit der Einführung elektronischer Handelsregister in Deutschland, 2007 das Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetz[49] und 2008 kam die große GmbH-Reform MoMiG[50] mit bedeutenden Vereinfachungen zum Haftkapitalsystem auch für die AG (u.a. cash-pooling). Auf die Finanzkrise 2007/2008 antworteten die Finanzmarktstabilisierungsgesetze,[51] die aber keinen Flurschaden im allgemeinen Aktienrecht anrichteten. Ihre Regelungen sind deshalb auch nicht ins Aktiengesetz eingefügt, sondern in Sondergesetzen verortet worden. Außerordentliche Maßnahmen in den Rettungsgesetzen sollten nicht zur Blaupause für das allgemeine Aktienrecht werden. Die Krise ist im Bankenbereich entstanden, die allgemeine Wirtschaft trägt keine Schuld daran. Das VorstAG von 2009, das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung,[52] mit dem die Vergütungsanreize der Vorstände auf eine langfristige Perspektive umgestellt werden sollten, war allerdings von der Krise motiviert.

15

Und im Jahr 2015 erblickte endlich die (kleine) Aktienrechtsnovelle 2016 das Licht des Bundesgesetzblatts mit einer großen Zahl von redaktionellen Verbesserungen, Klarstellungen und Erleichterungen im Detail und wenigen für das Finanzierungsrecht aber bedeutsamen Änderungen (umgekehrte Wandelschuldverschreibung, stimmrechtslose Vorzugsaktie).[53]

16

Auf das KIAGG und das KonTraG soll im Folgenden näher eingegangen werden, weil sie den Reigen der grundlegenden Corporate Governance-Reformgesetze richtungsweisend eröffnet haben.