Theatergeschichte

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1.5.2 Schauspielkunst als Hilfsdienst für Rhetoren



Um der Schauspielkunst Legitimität zu verleihen, die sie in den Augen des Publikums besitzt, nicht aber in denen der Angehörigen der Elite, wird sie zum Hilfsmittel des Lebenstheaters der Rhetorik erkoren. Theaterspiel erfreut sich in der aristotelischen Poetik – im Vergleich etwa zur Lobpreisung der Tragödientexte – nur geringer Wertschätzung. Demgegenüber fällt auf, welche enorme Bedeutung Aristoteles in seiner Politik und besonders in der letzten Fassung seiner Rhetorik dem Theater zumisst, sofern das Problem der Lenkung und Leitung der öffentlichen Meinung in den Fokus rückt. Im Vergleich zu Platon erfolgt dabei eine nahezu völlige Umkehrung: Theater wird jetzt zum bewusst eingesetzten sozialen Rollenspiel. Aristoteles schreibt im dritten Buch der Rhetorik, es genüge nicht, „dass man weiß, was zu sagen ist, sondern man muss es auch in der rechten Art sagen, und dies trägt viel dazu bei, dass die Rede einen bestimmten Eindruck erweckt“.

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 Sachverhalte überzeugen erst im mündlichen Vortrag. Die Menge ist unfähig, die Wahrheit als solche zu erfassen, lässt sich von Meinungen und Leidenschaften leiten und zieht eine scheinbar wahre Lüge der unwahrscheinlichen Wahrheit vor. Deshalb müsse man ihr selbst dann, wenn man ihr die Wahrheit verkünden wolle, diese in die Form des Scheins, des Trugs und der Illusion kleiden. Dazu eignet sich – neben Sophistik und Demagogie – die Schauspielkunst. Die „Machart“ als die eigentliche „Kunst“ muss bewusst verborgen werden und als „natürlich“ erscheinen.

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 Die richtige Handhabung dieser Mittel birgt beträchtliche Möglichkeiten; so ist es zum Beispiel realisierbar, „Feinde und Freunde, wenn sie es sind, als solche darzustellen; wenn sie es aber nicht sind, sie dazu zu machen und die, die behaupten, das eine oder andere zu sein, zu widerlegen und die, die zweifeln, ob aus Zorn oder aus Feindschaft etwas geschehen ist, zu der Meinung, zu der man es sich vornimmt, zu bringen“.

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 Das heißt, man muss sich nicht an den Verstand, sondern an die Affekte wenden, man muss die Leidenschaften der Menge manipulieren. Theaterspiel ist nicht um seiner selbst willen zu fördern, sondern als Vehikel für eine wirksame Rhetorik.



Marcus Tullius Cicero (106 – 43 v. Chr.) lässt den Redner Gemüt und Charakter der Zuhörer formen. Vor dem schlechten Beispiel der Schauspielkunst ist eine Rhetorik als eine Art bessere Schauspielkunst zu entwickeln. Selbst wenn es neben der philoso­phischen und historischen Wahrheit eine künstlerische Wahrheit geben sollte, so ist diese doch nach antik-philosophischem Diskurs gegenüber den anderen beiden von geringerem Wert, da sie an die niedere Schauspielkunst gebunden ist. Der Redner ist aber in seiner höheren Schauspielkunst der Wahrheit des Philosophen und des Geschichtsschreibers nicht mehr verpflichtet.

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 Er soll die Nachahmung nur diskret andeuten, sodass der Hörer sich mehr denkt, als er sieht. Zwar verhüllen oder enthüllen sowohl die Rhetorik als auch die Schauspielkunst Wahrheit durch Erwecken von Wahrscheinlichkeit, Schein und Illusion, aber sich mit Rhetorik ausführlich zu beschäftigen, bringt Ansehen, während Schauspielern als Handwerk zu vernachlässigen ist. Obgleich die Rhetorik in der Renaissance in eine Krise geraten und selbst zum Gegenstand humanistischer Satire werden wird – man denke nur an Erasmus’ amüsanten Dialog Der ­Ciceronianer –, bleibt sie auch dann für den rhetorischen Schauspielstil noch bedeutsam.

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1.5.3 Die christliche Theaterfeindschaft



Die Zugehörigkeit zur christlichen Glaubensgemeinschaft sollte nach dem Willen der Kirchenväter durch eine besonders enthaltsame Lebensweise ausgedrückt werden, die der römischen Verschwendungssucht eine Absage erteilt. In seiner traditionsbildenden Schrift De spectaculis verwirft Tertullian daher sämtliche Spiele, besonders aber jeg­lichen Besuch von Spielen durch Christen. In den Abschnitten 1 bis 13 wird vor allem der heidnische Charakter von Spielen herausgestellt, weshalb sie zum Götzendienst (Venus, Bacchus) verführen würden. In den Kapiteln 14 bis 28 betont er den körperliche Leidenschaften erregenden und unsittlichen Charakter der Spiele, dem sich eine kämpfende Kirche entgegenzustellen habe. Die beiden abschließenden Abschnitte verweisen im Sinne der Welttheatermetapher auf das Schauspiel der Wiederkunft des Herrn als das größte Schauspiel aller Zeiten, das andere überflüssig mache. Die im philosophischen Wahrheitsdiskurs vorgebrachten Gründe begleiten den Angriff Tertullians, der gesellschaftliche Erneuerung befördern soll: Heidnisch sind die Darstellungen nicht nur im theologischen Sinne, sondern auch, weil sie unwahre Abbilder mit den Eigenschaften Täuschung (Maske, Kothurn), Fälschung (Fiktion) und Verstellung (Stimme, Geschlecht, Alter, Kleidung) produzieren.



Die tiefe Bußgesinnung unter den monotheistischen Christen hebt sie aus der Masse jener Menschen heraus, die mehreren Göttern huldigen. Man unterwirft sich selbst dem ethischen Impetus, zunächst das eigene Leben zu ändern, und sei es auch auf einem peripheren Feld. Bei der enormen Nähe zum Beispiel zu den Glaubensinhalten und der Kultausübung für den Gott Mithras muss insbesondere der christliche Moralkodex eine Differenz herstellen, die im Widerstand gegen den als ein locker vereinigendes Band initiierten Kaiserkult gipfelt. In den daraus erwachsenden Christenverfolgungen (bis 311) bilden oft Folter- und Hinrichtungsszenen, an Christen begangene Gräuel, den Höhepunkt von Spielen, was deren Ablehnung umso einsichtiger macht. Bis ins 4. Jahrhundert hinein müssen sich die Kirchenväter jedoch auf Appelle beschränken, man kann in praxi kaum Einfluss auf das Spielgeschehen nehmen, bevor sich nicht das Christentum als Staatsreligion durchgesetzt hat.



Bei aller allgemeinen Ablehnung der Spiele gilt dem Kampf gegen den Mimus die oberste Priorität, da er Heidnisches und Körperliches unentwirrbar verflicht, weil er kaum über Texte fassbar ist und weil sich das Lachen stärker als jede andere Wirkung von Spielen rationalistisch-moralischer Argumentation entzieht. Zwischen Tertullian und Johannes Chrysostomus, Patriarch von Konstantinopel, erringt der Mimus die Vorherrschaft im römischen Theaterwesen. Chrysostomus gehört zu jenen gelehrten Kirchenoberhäuptern, die besonders häufig, intensiv und über einen langen Zeitraum gegen Theater predigen und auf diese Weise viele wertvolle Informationen überliefern. Wenn die Darstellungen auf den griechischen Bühnen einigen Philosophen ein Dorn im Auge waren, weil sie ihre Sozialutopien unterliefen, einigen Geschichtsschreibern, weil sie historische Vorgänge variierend interpretierten, dann ist der römische Mimus für Chrysostomus deshalb so abgrundtief verwerflich, weil er die Aufmerksamkeit der Gläubigen von der Kirche abzieht. Auch hier liegt wieder ein Konkurrenzverhältnis dem stets aufs Neue ausgesprochenen Bann zugrunde:



„Unaufhörlich schwatzen die Christen von den Miminnen, ihren Worten, ihrer Gestalt, ihrem Putz. Mimen, Pantomimen und Wagenlenker sind ihr tägliches Gespräch. Psalmen oder Stellen aus der heiligen Schrift weiß kaum einer herzusagen Wenn die Frau viel in die Kirche geht, gleich ist der Mann unzufrieden; er selbst aber geht tagelang ins Theater und zum Mimus. Man kommt aus dem Mimus mit unheiligen Gedanken zur Kirche; man vergisst, dass unsichtbare Engelchöre mit der Gemeinde mitsingen und steht lachend da vor dem Angesichte Gottes; man vergisst, dass man im Gotteshause ist und nicht im Theater. Was in der Kirche erbaut wird, wird durch den Mimus eingerissen. Wie eine trübe Schlammquelle verschlemmt er das Feld, das die Kirche zu reinigen sich bemüht.“

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Chrysostomus scheut keine Mühe, in wachsender Erbitterung stets neue Bezeichnungen für den Mimus zu finden:



„Theater der Wollust, eine unheilbare Pest, ein Gift, eine verderbliche Schlinge, ein Katheder der Pestilenz, Hochschule der Unsittlichkeit, Schule der Üppigkeit, Tanzboden der Unkeuschheit, der feurige babylonische Ofen, den der Teufel selber heizt Die Mimen und Miminnen sind Dreckmenschen, Hunde und Schweine, die im Schmutze wühlen und grunzen, ja Kloaken .“

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Selbst dieser Ausdruck sei noch viel zu harmlos, meint Johannes Chrysostomus, er wolle aber Milde walten lassen. Mimen und Miminnen sind ganz selbstverständlich von aller christlichen Gemeinschaft ausgeschlossen. Er aber tritt, getreu seinen Überzeugungen, zusätzlich auch für die Exkommunikation von Besuchern des Mimus ein. Allerdings weiß er selbst, dass er kaum etwas erreichen kann.

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 Die unheilige Allianz zwischen dem Kaiserhaus und der Bevölkerungsmehrheit in ihrer Freude am Mimus wird ihm schließlich zum Verhängnis. Er stirbt 407 in der Verbannung, weil er, als in Konstantinopel eine silberne Bildsäule der Kaiserin Eudoxia errichtet wird und zur Ehre des Tages Mimen und Pantomimen auftreten, die Kaiserin in öffentlicher Predigt eine Herodias nennt, die da tanzt, um Johannes’ Haupt zu erlangen.



Die gesamte Theaterhistoriografie wird nachantik in ihrer Ausprägung als philo­sophisch-ästhetischer Diskurs von zwei divergierenden Perspektiven überschattet, der platonischen und der aristotelischen. Wenn nach wissenschaftlicher Schärfe und geistiger Exklusivität gestrebt wird, muss Theater wegen seiner Wahrheitsferne als etwas Niedriges und Entbehrliches, ja Gefährliches gelten (Platon). Wird praktische Einflussnahme auf Personengruppen samt Machtausübung anvisiert, erscheint Theater in seiner Materialität und seiner Wirkung als ein nützliches Instrument (Aristoteles).

 



Es ist kein Ruhmesblatt europäischer Geistesgeschichte, über zweitausend Jahre lang – beeinflusst von christlicher Theaterscheu – das entspannte Verhältnis des Publikums zu den verschiedensten Theaterformen ignoriert zu haben. Theater in der Nachfolge von Platon und Aristoteles aus der Perspektive der Dichtung zu betrachten, wie es vom französischen Klassizismus bis hin zum Konzept vom „plurimedialen Text“ geschieht

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, statt es als eigenständige Kunst zu analysieren, bedeutet eine enorme Einschränkung, die auf die Unsicherheit verweist, einen beweglichen Gegenstand zu erfassen. Während die Werte der Musik und der bildenden Kunst kaum in Abrede gestellt werden, büßt Theater für seine Körpergebundenheit und für seine Nähe zum Alltag. Die aristotelische Auffassung reicht mindestens bis einschließlich zu Bertolt Brecht, der zwar Aristoteles’ Dramenkonzeption kritisiert, gleichzeitig aber wie dieser die Fabel als Kernstück der Theaterveranstaltung ansieht. Die platonische reicht bis in den Neoliberalismus hinein, der bezüglich Theater den fehlenden Nutzen im Sinne von Rendite beklagt. Umso erstaunlicher die Resistenz einer Kunst, die tagtäglich nicht nur den platonischen Wahrheitsanspruch ignoriert, sondern auch die aristotelische Instrumentalisierung und den von allen Konkurrenten gemeinsam hergestellten schlechten Leumund.






1.6 Vom Tanzplatz zum Theatrum



Kreis und Viereck. Als örtlicher Ausgangspunkt für szenische Vorgänge, die als Theater bezeichnet werden können, sind generell der Tanzplatz und das Podium anzunehmen. Der Tanzkreis bietet schon in den Frühstadien gesellschaftlicher Entwicklung schnelle und einfache Wechsel von Hervorhebung und Nivellierung, von Agieren und Schauen in rhythmischer Bewegung. In lustvoll-spielerischem Handeln werden dynamisch Fähigkeiten und Fertigkeiten erprobt, wobei der Tanzkreis durch Traditionsbildung den Tanzplatz schafft, der sakrale und profane Funktionen zu erfüllen hat. Ein massiver oder portabler Altar für Opferrituale im Zentrum des Kreises gestattet es, Geschichten von Göttern vorzutragen und auszuagieren – wobei hier eine große Lücke zwischen hoher Wahrscheinlichkeit und geringer Belegbarkeit klafft. Das Podium, ein erhöhter Standort einer oder weniger Personen gegenüber vielen, gegeben durch Geländebeschaffenheit oder extra errichtet, verwirklicht die örtliche Hervorhebung bis heute (je nach Aspekten benannt als Neutralbühne, Podiumsbühne, Sukzessionsbühne) für szenische Vorgänge, die vor- und nachbereitet werden können durch Ein-, Aus- und Umzüge, bei welchen sich Akteure an Zuschauenden vorbei bewegen. Strukturell gesehen handelt man also miteinander im rhythmischen Austausch, bildet ein Gegenüber oder bewegt sich aneinander vorbei. Die schrittweise Ausgestaltung des Ortes und die Stärkung des Schauwertes durch Technik gehören zur an Fortschritt gebundenen Technologiegeschichte von Theater. Wenn man will, bilden sie einen eigenen Diskurs, der Mediengeschichte von Theater genannt werden kann.






1.6.1 Zur Entwicklung des antiken Theaterraumes



Die besondere Bedeutung der Kreisform – die deshalb im nachfolgenden Schema auch den Anfang bildet – ist für Theater überhaupt wie für antikes Theater gegeben, sollte aber nach neuerer Forschung entwicklungsgeschichtlich nicht verabsolutiert werden, weil sonst einerseits die Umzugsformen unterschätzt werden und andererseits den rectilinearen Theaterbauten zu wenig Gewicht beigemessen wird.

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Abb 4 Modell zur Entwicklung des antiken Theaterraumes.

(Quelle)

 



Umso mehr Zuschauende zu erwarten sind, desto mehr Aufwand muss im 6. und 5. Jahrhundert v. Chr. bezüglich ihrer geordneten Unterbringung betrieben werden. Zwar stammt die Orchestra grundsätzlich vom kreisrunden Tanzplatz (1.) ab, aber eine so direkte Genese der griechischen Theaterbauten, wie sie für die Theorie wünschenswert wäre, stützt die Praxis nicht.

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 Man saß durchaus nicht immer im Kreis um eine runde Orchestra, sondern einige Theateranlagen, wie zum Beispiel in Thorikos, im Osten Attikas, wiesen eine polygonal-trapezförmige Sitzanordnung auf.








Abb 5 Das Theater von Thorikos, ältere Ausbaustufe.

(Quelle)



Es handelt sich um ein nach Südwesten ausgerichtetes Theater mit Dionysos-Tempel und ohne steinerne Skene. Das théatron wird Mitte 5. Jahrhundert v. Chr. in Stein ausgeführt und Mitte 4. Jahrhundert v. Chr. nach oben erweitert. Niemand vermag zu erklären, warum das 1886 freigelegte Theater keine kreisrunde Orchestra besitzt. Eine plausible Vermutung Wilhelm Dörpfelds macht Sparsamkeitsgründe verantwortlich: Um Grabungen in den Bergabhang zu vermeiden, habe man diese Form gewählt. Doch warum nur bei einigen wenigen griechischen Theatern und nicht auch bei den anderen weit über 100 gut erforschten? Waren einige Gemeinden etwa wohlhabender und konnten sich aufwendigere Erdarbeiten leisten? Oder ist die eher rechteckige oder trapezoide Bühne generell die weit ältere Bühnenform, von der gerade deshalb nur wenige Monumente erhalten geblieben sind? Diese Position wird zum Beispiel von Egert Pöhlmann vertreten.

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 Andere rectilineare Bauten wie die Theater von Dionysos-Ikaria, Rhamnous und im Athener Vorort Alimos oder außerhalb Attikas in ­Chaironeia, Isthmia, Tegea, Phlious und Argos werden angeführt, um zu zeigen, dass auch die ersten Bauphasen des Dionysostheaters in Athen, bis weit in das 5. Jahrhundert hinein, rectilinear geprägt waren.

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 Die Forschung neigt dazu, die rectilineare Bauweise grundsätzlich als die Regel für die ältesten Baustufen griechischer Theater zu betrachten.



In Athen befand sich eine Orchestra für die Wettbewerbe des 6. Jahrhunderts zuerst wahrscheinlich auf der Agora.

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 Um der schnell wachsenden Zuschauerzahlen Herr zu werden, errichtete man hölzerne Zuschauertribünen. Als vermutlich um 500 eine dieser Tribünen zusammenbrach, nahm man ein festes Theater in Angriff: aus praktischen Gründen am Südabhang der Akropolis, wo neben dem Dionysostempel schon eine einfache Orchestra existierte. Hier nun erscheint – der Zeitpunkt hängt davon ab, ob man die These von der zunächst trapezförmigen Orchestra befürwortet oder nicht – als Bauform des Theatron das Koilon, womit ein Sitzrund als Hohlform gemeint ist: stufenförmig ansteigende Sitzreihen umfassen die Orchestra mit dem Altar zu zwei Dritteln, abgeschlossen, wenn nötig, durch eine temporäre Skene, zunächst als Zelt, Umkleideraum, Hintergrund und schließlich als begehbares Bühnenhaus (2.).



Ein hölzernes Bühnengebäude, dem je nach Anforderung die Gestalt eines Palastes, Tempels usw. gegeben werden konnte, entstand vermutlich um 460 v. Chr. Damit sehen die Athener anlässlich der Aufführung der Orestie 458 möglicherweise zum ersten Mal den Palast des Agamemnon als nachgebildeten Handlungsort. An der rechten und linken Seite erhält die Skene später Flügelbauten (3.), eventuell offene, die Paraskenien, zuerst aus Holz gefertigt. Zwischen ihnen spielt sich vor der Skenenwand die Dialoghandlung der Schauspieler ab. Der Platz wird zum leicht erhöhten Podest ausgebaut, dem Proskenion, das, als Sprechbühne benutzt, Logeion heißt und durch Stufen mit der Orchestra verbunden ist.

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 Dieses eigentliche Spielfeld der Hauptdarsteller wird im Kontakt mit dem Chor auf die Orchestra ausgedehnt, die noch genug Raum auch für große Aufzüge bietet – wie etwa bei der Rückkunft des siegreichen Agamemnon auf dem mit Pferden bespannten Kampfwagen. Noch gibt es breite Paradoi. In perikleischer Zeit wird der Zuschauerraum aus Holzsitzen in Segmente aufgeteilt. Die bronzene Einlassplakette, das Symbolon, bezeichnet für den Zuschauer Reihe und Sitzplatz. Der Eintritt für die ärmeren Bevölkerungsschichten ist unentgeltlich. Sie erhalten in perikleischer Zeit sogar zwei Obolen Schaugeld, das Theorikon, als Ersatz für den Arbeitsausfall. Das Dach des Bühnenhauses ist wahrscheinlich schon im 5. Jahrhundert begehbar. Dort wartet am Beginn des Agamemnon der Wächter auf die Feuerzeichen vom Fall Trojas. Diese Oberbühne ist mit einer Öffnung für Göttererscheinungen (Epiphanie) ausgerüstet. In der Psychostasie, der Seelenwägung, einer Dichtung des Aischylos, erscheint dort Zeus zwischen Thetis und Eos, die für ihre Söhne Achilleus und Memno