Angriff auf die Demokratie

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Zu meiner Person

Wissen baut Ängste ab. Ängste verschwinden, wenn deren Anlass sich als Falschmeldung entpuppt. Aus leidiger Erfahrung weiß ich, wie ein Fake aufgebaut sein muss, damit er sich optimal verbreitet. Falschmeldungen entlarve ich täglich. Damit versuche ich, Ängste zu reduzieren. Außerdem beobachte ich die Entwicklung der partizipativen Kulturen auf Social Media.

Zu diesem Job bin ich nicht gekommen, weil jemand gerufen hat: »Hey Wolf, wir brauchen dich!« Es waren vielmehr zwei unterschiedliche Wege, die sich schließlich gekreuzt haben, weil sie gut zusammenpassen. Ursprünglich habe ich evangelische Theologie studiert. Auf den ersten Blick mag das seltsam erscheinen. Was hat das Theologiestudium mit dem Faktenprüfen zu tun? Sehr viel, wenn wir genauer hinschauen.

Es gibt kaum ein Buch auf dieser Welt, das so oft und intensiv auf Fakten, Traditionen, Herkünfte und Aussagen hin geprüft wurde wie die Bibel. Ganz besonders von der Evangelischen Theologie. Es gehört zum Grundhandwerkszeug dieses Studiums, Inhalte auf Herkunft und Überlieferung hin zu prüfen. Aus dem Studium habe ich zwei wichtige Arbeitselemente übernommen, die Teil der täglichen Arbeit eines Faktenprüfers sind. Erstens den Aufbau einer Exegese, zweitens die Synopse.

Bei der Exegese handelt es sich um eine wissenschaftliche Auslegung verschiedenster Texte. Hauptaufgabe ist es, herauszufinden, was die zentrale Aussage eines Textes ist, wo sie verändert wurde und warum sie verändert wurde. Natürlich suchen die Exegeten auch nach Anhaltspunkten, wer diese Aussage verändert hat und was diese Veränderung bewirken sollte. Typischerweise sind Texte aus der Bibel Gegenstand der Exegese. Aber sie funktioniert nach denselben Prinzipien auch bei allen möglichen anderen Texten.

Bei einer Synopse handelt es sich um eine vergleichende Arbeit. Wir betrachten verschiedene Texte nebeneinander und beurteilen, was sie gemeinsam haben oder was sie unterscheidet. Dabei kristallisiert sich heraus, wer Änderungen gemacht hat. Es ist erkennbar, welcher Text der älteste ist und welcher Text Sondergut trägt. Klassischerweise dient eine Synopse dem Vergleich der Evangelien, lässt sich aber genauso mit allen möglichen Texten machen, die Ähnlichkeiten aufweisen.

Obwohl ich Theologie studiert habe, kam Pfarrer als Beruf für mich später nicht mehr in Frage. Meine berufliche Laufbahn begann ich als Verantwortlicher für Medien und Kommunikation in einem mittelständischen Betrieb. In diesen Jahren war es auch meine Aufgabe, als Administrator die IT des Unternehmens zu betreuen. Schlussendlich waren es sieben Jahre, die nichts mit der Theologie zu tun hatten, in denen ich viel technisches Wissen sammeln und umsetzen konnte.

Dann kam Mimikama, ein kleiner Verein, 2011 gegründet, um Menschen auf Social Media zu helfen. Ursprünglich ging es darum, Menschen vor Fallen auf Facebook zu bewahren. Mimikama ist ein Verein gegen Internetmissbrauch, wo niemand am Anfang mit einem Sack voll Geld gestanden hat und gesagt hat: »Mimikama, Ihr müsst jetzt was gegen Internetmissbrauch tun«. Nein, das war anders. Der Verein ist aus reinem Eigenantrieb entstanden. Der Gründer wollte andere Menschen vor einer Falle bewahren, in die er selbst getappt war. Das hat so gut funktioniert, dass er weitergemacht hat. Nein, natürlich nicht in eine Falle tappen, sondern andere davor warnen.

Es war diese Arbeit des Vereins, in der meine beiden beruflichen Wege sich vereint haben. Die Suche nach den Ursprüngen von Behauptungen, die Prüfung, ob jemand etwas verändert oder manipuliert hat, aber auch die Analyse technischer Abläufe von Social Media und des Internets, hier kommt alles zusammen, was ich bis dahin in meinen verschiedenen Laufbahnen erlernt habe.

Gleichzeitig hat die Arbeit auch etwas menschlich Befriedigendes. Der Job hier macht zwar nicht reich und auch nicht schön, er macht aber in einem gewissen Umfang glücklich. Denn ich darf Menschen helfen und ihnen ihre Ängste nehmen. Andererseits stimmt der Job auch nachdenklich. Das ist mein großes Problem.

Im Zuge meiner Arbeit habe ich den anfangs schleichenden, mittlerweile recht lauten Angriff auf unsere demokratischen Werte mitverfolgt. Da werden Menschen zum Schweigen gebracht. Da werden mithilfe von Lügen ganze Gruppen von Menschen zum Feindbild deklariert und angegriffen. Mittlerweise sehe ich unsere pluralistische und offene Gesellschaft in Gefahr, wenn Rechtsextreme über Social Media ganz unverhohlen ihre Umsturzpläne propagieren. Das kann ich nicht einfach tolerieren.

Das Schlimme daran ist, dass diese Entwicklung sich seit Jahren abzeichnet. Die heute sichtbaren Resultate des rechtsextremen Angriffs auf die Demokratie via Social Media waren zu erwarten. In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass Internet und Social Media zunehmend politisch und auch manipulativ genutzt werden. Menschen werden mit Falschmeldungen beeinflusst und ändern dementsprechend ihr Verhalten. Ich habe gemerkt, welch großen Schaden eine einzige Lüge anrichten kann, wenn sie unwidersprochen weitergeleitet wird. Und Social Media basieren auf dem Weiterleiten.

Ich will diese Lügen einfach nicht zulassen. Ich will Falschmeldungen und Lügen so viele Knüppel zwischen die Beine werfen wie nur möglich. Erst recht dann, wenn sie unsere Lebensweise bedrohen und unsere demokratischen Werte in Gefahr sind. Das Schwarz-Weiß-Bild von Mythen und Falschmeldungen, aber auch das Handeln von Rechtsextremen basiert häufig auf der Errichtung von Feindbildern. Immer mehr Menschen geraten ins Visier der Rechtsextremen. Flüchtende, Journalisten, Umweltschützer, Linke, Gemäßigte oder Humanisten sind Beispiele für Gruppen, die Rechtsextreme zu ihren Feindbildern erklären. Aber auch unabhängige junge Frauen oder Homosexuelle sowie alle, die nicht in »klassische« Familienstrukturen und Geschlechterrollen passen, sind den Rechten offenbar ein Dorn im Auge. Doch eine Demokratie schützt alle Lebensweisen und daher ist es wichtig, die Demokratie gemeinsam zu erhalten.

Ich habe auch bemerkt, wie wichtig es ist, genau diese demokratiefeindlichen Mechanismen zu erklären. Daher besteht meine Arbeit nicht nur im Veröffentlichen von Artikeln auf unserer Website, sondern auch in der Öffentlichkeitsarbeit. Ich halte Vorträge und rede mit Menschen über die Probleme auf Social Media. Diese Vorträge finden seit Jahren an unterschiedlichsten Orten statt. Mein Publikum ist bunt gemischt. Ich spreche in Schulen, vor Vereinen, aber auch in Firmen oder auf großen Veranstaltungen. Da Social Media uns alle betreffen, spielt es keine Rolle, wer um einen Vortrag bittet. Da Social Media kein Alter kennen, spielt es auch keine Rolle, wie alt die Menschen im Publikum sind.

Als ich mich entschied, dieses Buch zu schreiben, habe ich noch nicht gewusst, was mir bevorsteht. Keiner von uns hatte damals eine Idee davon, wie sehr die Coronakrise unser Leben beeinflussen würde. Anfangs haben wir in Europa noch gehofft, dass wir das Virus an den Grenzen abwehren können.

Es war ebenfalls noch nicht abzusehen, welchen Einfluss die Coronakrise auf Manipulationen und politische Propaganda auf Social Media haben würde. Heute wissen wir mehr. Heute kann ich genau beschreiben, welche Strategien die Rechtsextremen angewendet haben, um Menschen in Verschwörungsmythen zu verstricken, damit sie die Realität verleugnen und kommunikativ nicht mehr zu erreichen sind. Heute sehen wir, welche Gewalt auch durch die Verbreitung von Falschmeldungen und Mythen entstanden ist.

Das folgende Kapitel beschäftigt sich daher mit der besonderen Eignung von Social Media für den Angriff auf die Demokratie. Warum sind ausgerechnet Social Media ein so fruchtbarer Boden für Manipulationen und Propaganda? Warum können Rechtsextreme ihre Inhalte hier besonders effektiv und effizient unters Volk mischen? Das liegt augenscheinlich nicht nur an der Massentauglichkeit von Social Media. In diesem Kapitel will ich zeigen, wie Falschmeldungen zu Geschichten werden, die sich gut weitererzählen lassen. Ich will zeigen, warum bedeutungsschwangere Worte und Sätze, sinnstiftende Erzählungen und Emotionen für den Transport von Falschmeldungen so wichtig sind.

Demokratie bedeutet auch Kommunikation auf Augenhöhe. Die Demokratie lebt vom Austausch und einer gemeinsamen Entwicklung aufgrund von Erkenntnissen. Dieser Austausch stirbt aufgrund von Radikalisierung ab. Die Menschen können nicht mehr miteinander. Die Kommunikationsstrategien, die Menschen auseinandertreiben und zum Schweigen bringen, will ich in einem weiteren Kapitel behandeln. Auch die Arbeit von Mimikama war schon Ziel von Angriffen via Social Media. Weil wir Falschmeldungen entlarvt haben, sind wir ins Fadenkreuz eines als »Anonymous« agierenden Rechtsextremen geraten.

In einem weiteren Kapitel behandle ich die Eskalationsstufen, die wir anhand des anhaltenden Angriffs auf die Demokratie nachvollziehen können. Der erste Schub erfolgte 2015/16, als viele Flüchtende nach Europa gekommen sind. Die jüngsten Ereignisse beim Sturm auf das Kapitol in Washington D.C. zeigen, dass die Eskalation weiter voranschreitet. Schon fast wie in einem Drehbuch arbeiten die Rechtsextremen Jahr um Jahr mit wachsendem Erfolg auf ein Ziel hin: Umsturz und Abschaffung der Demokratie. Wer glaubt, dass es sich dabei nur um ein Schreckgespenst handelt, dem möchte ich das Gegenteil beweisen. Der Angriff auf die Demokratie geht weiter. Er wird noch ernstere Folgen haben.

Doch warum ist die Gegenwehr nicht massiver? Sind wir dem Angriff auf die Demokratie machtlos ausgeliefert? Müssen wir manipulative Kommunikationsstrategien einfach hinnehmen? Können wir Social Media nicht einfach aufgeben und uns in die Realität zurückziehen? Gibt es keine Ideen und Visionen, wie wir die durch Falschmeldungen, Mythen und Hass geschaffene Schieflage in Angriff nehmen können? Das sind die Fragen, die uns bis zum Schluss beschäftigen sollen.

 

DER ANGRIFF AUF DIE DEMOKRATIE

Es ist wieder einer dieser nasskalten Novemberabende, an denen ich zuhause sitze und erneut an diesem Buch arbeite. Nicht immer komme ich gut voran. Häufig scheitere ich daran, meine Beobachtungen aus dem Netz in die richtigen Worte zu fassen. Es ist das eine, wenn ich als Faktenprüfer auf meiner Website einen kurzen Faktencheck veröffentliche. So ein Text bezieht sich auf ein ganz konkretes überschaubares Thema und kommt mit einem klaren Ergebnis schnell auf den Punkt. Doch hier geht es um so viel mehr. Der Punkt an sich ist nicht mit 450 Wörtern erklärt, so wie ich es in meinen alltäglichen Artikeln schaffe. Meine Gedanken kreisen um so viele Fragen, auf die ich eine Antwort suche. Wann zum Beispiel wurden das Internet und Social Media zu dem großen Propagandasprachrohr und der Manipulationsmaschine, wie wir sie heute kennen?

Besonders seit 2014, seit der Krimkrise, ist mir die Zunahme politischer Inhalte auf Social Media aufgefallen. Es dürften verschiedene synergetische Effekte gewesen sein, die zu einer verstärkten Politisierung von Social Media geführt haben. Einerseits war auf internationaler Ebene die Krimkrise natürlich ein Thema. Viele Medien berichteten von russischen Propagandaaktionen auf Social Media. Begriffe wie Troll-Armee oder Putinbots tauchten in diesem Zusammenhang auf.

Zum gleichen Zeitpunkt entdeckten auch rechtspopulistische Parteien in Europa das Internet und vor allem Social Media als ihren Aktionsraum. Die frisch gegründete Alternative für Deutschland (AfD) konnte beispielsweise 2014 schon auf günstigem und einfachem Wege auf der Klaviatur von Social Media spielen. In Österreich war es die FPÖ, deren Politiker wussten, wie sie die Teilnehmenden auf Social Media dazu bringen konnten, sich mit ihren Inhalten auseinanderzusetzen.

Seit damals ist auch die Massentauglichkeit des Mediums Internet weiter gereift. Das Internet ist flächendeckend verfügbar. Endgeräte sind allgegenwärtig. Fast alle haben ein Smartphone. So können nahezu alle jederzeit auf Social Media zurückgreifen.

In der Vergangenheit hat die technische Entwicklung neuer massentauglicher Medien schon oft zu dramatischen politischen Entwicklungen geführt. Um die Besonderheit der neuesten Entwicklung zu verdeutlichen, möchte ich an dieser Stelle einen kurzen Blick zurück auf die Entwicklung der Massentauglichkeit von verschiedenen Kommunikationsformen werfen. Sie alle haben ihre Geschichte, sie alle hatten ihre Auswirkungen.

Buchdruck

Schauen wir zunächst auf die Bücher und den Buchdruck. Bücher und Schriften existierten schon lange. Aber als Johannes Gutenberg ab 1450 den Buchdruck mit beweglichen Lettern entwickelte, begann eine neue Ära der Massentauglichkeit von Büchern. Das erste gedruckte Buch war die Bibel.

Vor dem Buchdruck waren es zumeist Mönche, die Bücher in mühsamer Handarbeit abschrieben. Auf einmal waren diese Schriftgelehrten jedoch nicht mehr für die Vervielfältigung eines Buches notwendig. Mehr noch: Neben der Bibel druckten die Buchdrucker auch viele andere Schriften und erreichten damit immer mehr Menschen. Medienhistorisch war der Buchdruck mit beweglichen Lettern also eine Wende.

Davon profitierten die Reformatoren der damaligen Zeit, die ihre Lehren vielen Menschen vermitteln konnten. Der Buchdruck machte es möglich. Luther, Calvin oder Zwingli waren nicht die ersten Reformatoren. Jan Hus, ein böhmischer christlicher Theologe und Prediger, scheiterte hundert Jahre zuvor mit denselben Ideen wie Luther. Auch er wird als Reformator gelistet, nur war er nicht erfolgreich. Das lag vor allem daran, dass seine Ideen ohne Druck nicht so weite Verbreitung fanden. Es gab nicht nur in Böhmen Reformversuche, sondern auch in Britannien und Italien. Sie alle scheiterten jedoch daran, dass sie nicht stark genug verbreitet werden konnten.

An dieser Stelle möchte ich anmerken, dass Buchdruck und Reformation wechselseitig voneinander profitierten. Die Botschaften der Reformation benötigten die neue Massentauglichkeit, gleichzeitig brauchte der Buchdruck aber auch einen brisanten Inhalt, den er präsentieren konnte. Das merken wir uns an dieser Stelle einfach mal. Die Bibel in ihrer gedruckten Version war seinerzeit ein Renner. Im September 1522 erschien Luthers Übersetzung des Neuen Testamentes. Sie wurde in 3000 Exemplaren gedruckt und diese Auflage war in nur drei Monaten ausverkauft. Dazu kamen die Botschaften der Reformatoren, die eine gewisse Brisanz in sich trugen und somit spannende Sekundärliteratur waren.

Wie wir wissen, führte diese Verbreitung der Lehren zu Unruhen, die in einen jahrzehntelangen paneuropäischen Glaubenskrieg mündeten, der erst 1648 endete, lange nach den ersten Schriften der Reformatoren.

Radio

Die nächste große technische Entwicklung stellten Radiowellen dar. Radioempfangsgeräte und auch einige wenige Sender gab es bereits in den 20er-Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts. Der wichtige Punkt ist jedoch immer die Massentauglichkeit. Die kam erst in den 30er-Jahren, als Sender verfügbar waren und es in einem Großteil der Haushalte Empfangsgeräte gab. Hier kommt der Volksempfänger ins Spiel. Die Entwicklung und Verbreitung dieses Empfangsgerätes haben die Nationalsozialisten bewusst vorangetrieben.

Dahinter steckte natürlich eine ausgeklügelte Propagandastrategie. Die Machthaber im Dritten Reich nutzten gezielt die Massentauglichkeit der Radiowellen. So viele Haushalte wie möglich sollten ein für die Propaganda nutzbares Radiogerät bekommen. Daher erteilten die Nazis gleich mehreren Herstellern im Deutschen Reich den Auftrag, Volksempfänger zu produzieren. Er war recht einfach aufgebaut und sehr günstig. Auf diese Weise konnten sich sehr viele Haushalte das Gerät leisten. Damit verbunden kam auch das Gerücht auf, dass der Volksempfänger den Empfang von Feindsendern verhinderte. Doch das stimmt nicht. Der Umstand, dass kaum fremde Sender mit dem Kasten empfangen werden konnten, war tatsächlich der Billigbauweise des Geräts geschuldet. Es lag einfach an der Technik der leistungsschwachen Audioschaltung.

Der Volksempfänger wurde damals zum wichtigsten Propagandainstrument. Durch ihn kamen Hitlers Reden zu den Menschen. Die Nazis konnten Verluste und Niederlagen in Siege umdeuten und den Opferwillen der Bevölkerung beschwören. Gegen Ende des Krieges nahm die Propagandawirkung des Volksempfängers jedoch ab, da die Realität ein deutlich anderes Bild zeigte als die Propagandamitteilungen, welche über das Gerät in den Haushalten ertönten. Das wiederum ist gleichzeitig der Beweis für die starke Wirkung des Volksempfängers. Hier wird deutlich, dass es zuvor durch den Apparat möglich war, ein falsches Bild der Realität zu vermitteln.

Einen spannenden Ansatz für eine weitere Entwicklung stellte Bertolt Brecht in seiner Radiotheorie dar. Brecht hat hier bereits die Grundlagen des Internets und speziell von Social Media beschrieben, als er meinte:

»Der Rundfunk ist aus einem Distributionsapparat in einen Kommunikationsapparat zu verwandeln. Der Rundfunk wäre der denkbar großartigste Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens, ein ungeheures Kanalsystem, d.h., er würde es, wenn er es verstünde, nicht nur auszusenden, sondern auch zu empfangen, also den Zuhörer nicht nur hören, sondern auch sprechen zu machen und ihn nicht zu isolieren, sondern ihn in Beziehung zu setzen. Der Rundfunk müßte demnach aus dem Lieferantentum herausgehen und den Hörer als Lieferanten organisieren.«

Film und Fernsehen

Auch der Film war zur Zeit des Zweiten Weltkrieges ein wichtiges Propagandainstrument. Weitere Verbreitung fand der Film damals über Kinos. Auch hier zeigten sich die Nazis als Experten der manipulativen Kriegspropaganda. Sie setzten Kameramänner und Fotografen in sogenannten Propagandakompanien systematisch an der Front ein. Das Filmmaterial prüften die Propagandaabteilungen sehr genau.

Die in Kinos präsentierte Wochenschau diente der Glorifizierung des Krieges. Wer in der Wochenschau Bilder vom Leid des Krieges erwartet, wird leer ausgehen. Tote tauchten in dieser Propagandasendung nicht auf. Zu sehen waren nur Szenen, die sich dazu eigneten, die Kriegsmoral der Bevölkerung aufrecht zu erhalten oder gar zu erhöhen. Neben der Wochenschau gab es auch Dokumentarfilme wie zum Beispiel »Die Feuertaufe«. Damit vermittelten die Nazis Bilder von der angeblichen deutschen Kriegsüberlegenheit und ergänzten damit die Propaganda via Volksempfänger.

Die Alliierten nutzten den Rundfunk und Kino im Prinzip genauso. Für sie war es besonders wichtig, auch weiterhin junge Männer für den Dienst an der Front zu rekrutieren.

In Deutschland und Österreich hatte diese Form der Vereinnahmung von Medien nach dem Krieg ein Ende. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk sollte verhindern, dass ein Staat sich des Rundfunks bemächtigt und ihn als Propagandainstrument ausnutzt. Dieser Aspekt scheint vielen Menschen heutzutage aus dem Gedächtnis gefallen zu sein. Ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk ist nicht gemacht worden, um der Bevölkerung Gebühren aus der Tasche zu ziehen. Nein, diese Art des Systems soll garantieren, dass diese Kanäle nicht mehr missbraucht werden.

Das Fernsehen wurde erst in den 1960er-Jahren massentauglich. Erst zu dieser Zeit hielten die Fernseher Einzug in die Wohnzimmer. Puncto Sende- und Empfängerverhältnis sowie Technik handelt es sich beim TV um eine Weiterentwicklung des Radios. Insofern ist das Fernsehen gemeinsam mit dem Radio technisch ein Rundfunk. Neu hinzugekommen ist lediglich die visuelle Komponente. Damit hat das Fernsehen das Kino als audiovisuelles Massenmedium in den Hintergrund gedrängt. Insbesondere das Politische verlagerte sich in Form der Nachrichtensendungen ins Fernsehen. Bis in die 1980er-Jahre gab es nur wenige Sender. Dementsprechend beschränkt war der Sendeplatz. Dementsprechend hatten radikale Inhalte abseits der politischen Mitte kaum Chancen auf massenhafte Verbreitung.