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Spreemann Co

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Achtes Kapitel

Jedoch es ist nun einmal so im Leben: auf die Dauer kann uns nur der eigne Zustand betrüben oder Freude machen.

Nicht lange, nachdem die verschiedenen, immergrünen Kränze nach Dresden abgegangen waren, drehten sich die Gedanken der Familie Spreemann wieder den eigenen Angelegenheiten zu.

Jeder hatte genug mit sich selbst zu tun.

Die jungen Frauen, die sich jetzt oftmals nicht wohl fühlten, sollten, wie Mutter Lieschen befahl, überhaupt nur an Heiteres denken. Sie sollten sich um nichts andres als um sich selbst und die glückliche Erwartung der Zukunft kümmern.

Sie besuchte sie abwechselnd mit Eingemachtem, frisch gebackenem Kuchen oder irgend einer Leckerei vom Konditor.

»In solchen Zeiten müssen es junge Frauen gut haben,« sagte sie.

Wer weiß, wo sie das gelernt haben mochte. Denn als sie selbst in diesem Zustand gewesen war, hatte sich niemand besondere Mühe um sie gegeben.

Aber ein Mutterherz kommt ohne Vorstudien zu mancher Weisheit.

Lieschen kam mit ihren Süßigkeiten und tröstete unermüdlich, wenn man ihr klagte, daß die jungen Ehemänner von früh bis spät im Geschäft wären. Daß sie auch zu Hause nur vom Geschäft und wieder vom Geschäft sprächen.

Sie sagte, daß sie es selbst ihr Leben lang nicht anders gewohnt gewesen und von anderen Frauen gehört hätte, daß man damit viel glücklicher daran sei, wie wenn man seinen Mann immer zu Hause hocken habe.

Ihr Ehrgefühl verlangte, daß sich die Frauen ihrer Söhne glücklich fühlten.

Obwohl auch ihr Entzücken für das neue Geschäftshaus nicht mehr so grenzenlos war.

Ja, wenn sie den ganzen Tag auf dem Dönhoffsplatz hätte stehen können. Die vielen Schaufenster, das Aus und Ein der Menge beständig vor Augen haben könnte. An jedem Abend dies feierliche Geflimmer der Gasflammen hätte beobachten können.

So aber saß sie hier draußen und war viel allein.

Oft blieb Spreemann des langen Weges und der vielen Arbeit halber über Mittag in der Stadt.

Und wenn er des Abends heimkehrte, war er auch meist knurrig und brummig.

Sagte Lieschen, daß er schön müde sein müsse, fragte er, ob das wieder eine Anspielung auf sein Alter sein sollte.

Wenn sie fragte, ob der Laden wieder voll gewesen, fragte er zurück, ob sie glaube, daß all der Plunder nur für den eigenen Privatgebrauch aufgehäuft sei. Natürlich waren Käufer dagewesen.

Lieschen wußte recht gut, daß Spreemann nur brummte, wenn ihm nicht wohl zu Mut war.

Sie wurde unruhig, und als sie Hans einmal unter vier Augen sah, fragte sie, ob es nicht denselben Effekt machen würde, wenn man nur jede zweite der vielen Gasflammen anstecken würde. Es müsse sich doch viel dabei sparen lassen.

Er aber lachte, gab ihr einen Kuß und sagte, daß sie sich um solche Dinge nicht beunruhigen solle. Sie brauchte keine Angst um die Butter fürs Brot zu haben.

Und er lachte so siegesgewiß und sah so englisch und elegant aus, daß es Lieschen wieder ganz warm und ruhig ums Herz wurde.

Wirklich war ihre Besorgnis auch auf falsche Wege geraten.

Was Spreemann heftig und erregt machte, war gerade der Erfolg. Erfolg macht ruhelos.

Nicht der gesunde, gemächliche Fortschritt, der, wie die Natur selbst, in Sommer- und Wintersäson eingeteilt gewesen. Bei dem man rauchen und überlegen konnte. Sondern dieses übereilige Vorwärtsspringen. Hinweg über Zeit und Zahlen. Wo sollte das hinführen? Wo sollten alle die Neuigkeiten herkommen? Wieder und wieder?

Spreemann frühstückte mit der Uhr in der Hand, er war stets der Erste von den drei Chefs, der sich am Morgen einstellte.

Und doch mußte er jedesmal erfahren, daß sich Hans die Genehmigung zu irgend einem Plan schon wieder vorweg genommen hatte.

Hans hatte unaufhörlich neue Gedanken, die beunruhigten.

Auch Christian. Aber seine waren andrer Art. Bei ihnen lag es klar zu Tage, daß sie das Geschäft förderten. Da hatte er wieder aus den gewebten Wollstrümpfen einen Berliner Bären aufgebaut, der sich sehen lassen konnte. Er war der reine Künstler. Und zwar ein Künstler, den man sich gefallen ließ. Der trotz alledem normal blieb.

Aber mit Hans konnte sich Spreemann nicht verstehen. Sein lächelnder Anblick schon reizte ihn, trotzdem ihn alle Geschäftsfreunde zu dem Genie seines Sohnes, der der echte Nachkomme solchen angesehenen, tüchtigen Vaters war, beglückwünschten.

Er nahm die Segenswünsche mit freundlichem Knurren in Empfang. Es ist besser, beneidet, als bemitleidet zu werden. Aber innerlich fand er Hansens Geschäftsart nicht genial.

Da hatte er einen ganz großen Ballenlager Tuch gekauft, das einen Webefehler hatte. Das konnte man billig verschleudern, aber es würde für den Käufer nicht den geringsten Schneiderlohn wert sein. So etwas kaufte man nicht als geborner Berliner. Und das verkaufte man nicht in einer anständigen Stadt wie Berlin. Vielleicht machte man das so in England. Wo ein ganzer Stadtteil der Hauptstadt ein Verbrecherviertel war.

»Das ist ein Schmutzgeschäft,« sagte er zornbebend.

»Das einen Reingewinn abwerfen wird,« parierte Hans, mit Berliner Geschicklichkeit.

Spreemann hob die Hand. Aber als er aufsah, ließ er sie in seinem eignen grauen Bart halt machen. Diesen fremden feinen Herrn da im Gehrock konnte er wohl nicht schlagen.

Aber er ließ es doch nicht zu, daß die schlechte Ware zum Verkauf kam. Sie wurde mit Schaden weitergegeben.

Hans zuckte die Achseln und sagte, daß der Vater hoffentlich wisse, was er tue, wenn er sein eignes Geschäft schädige und hindere.

Und weil Spreemann es wußte und noch immer sehr gut zu rechnen verstand, mußte er dafür an andrer Stelle wieder ein Auge zudrücken. Oder besser seine Ohren verschließen.

Hans hatte versucht, zum Frühjahr fertige Überzieher einzuführen. Ein Gedanke, der sich als glücklich erwies. Von diesen englischen Mänteln, die nach einem Londoner Modell gearbeitet wurden, konnte kaum genug in den engen Schneiderstuben, die nach dem Hof hinauslagen, fertiggestellt werden.

Sie brachten einen kräftigen Überschuß.

Und darum kniff Spreemann seine Lippen schweigend zusammen, wenn Hans zu den Kunden sagte:

»Mit diesem Mantel ziehen Sie die Internationalität selber an. Kein Mensch in der Welt wird Sie darin für einen Berliner halten.«

Man sollte es nicht glauben. Aber man war jetzt stolz, für einen Ausländer gehalten zu werden.

Darauf wäre Spreemann nicht im Traum gekommen. Er im Gegenteil hatte den alten Spruch erneuern lassen wollen:

»In London nicht, noch in Paris,

In Brüssel nicht, noch Wien,

Kleiden Monsieur sich und Madame

So schick wie in Berlin.

Er hatte sogar gedacht, ihn, von einem richtigen Maler gemalt, in die Mitte des neuen Hauses zu hängen.

Aber Hans hatte gesagt, daß dies eine Kulturblamage wäre. Man würde es für einen Spott halten.

Und er hatte für diese Stelle die Bilder des Kaiserpaares, Bismarcks und Moltkes bestimmt.

Und da Spreemann in diesen Bildern etwas Imponierendes fand, hatte er nachgegeben.

Sich wehren oder nachgeben aber war nun sein Tagewerk. Und er sagte sich selbst immerfort, daß er jung war, weil ihn die Angst quälte, was alles man noch aus seinem Geschäft machen würde, wenn er nicht mehr Wache hielt.

Wollte Hans doch sogar mit den neuen Aktien hantieren die jetzt überall durch die Luft flogen und die reich machen sollten, ohne den Schweißverlust der Arbeit.

Slovitzka hatte sich schon eine Villa in Babelsberg davon gekauft. Dicht neben dem Schlößchen des Kaisers.

Besonders mit gewissen Eisenbahnaktien war geradezu Gold zu scheffeln.

Aber Klaus Spreemann blieb unerbittlich.

»So lange ich lebe, wird nicht spekuliert.«

Nicht einmal weil er fürchtete, sein Geld zu verlieren.

Trotz seiner Erbitterung konnte er sich eines Gefühls der Hochachtung vor Hansens schlauer Geschicklichkeit nicht erwehren.

Aber er wollte nicht zugeben, daß man Geld mühelos erwarb. War sein ganzes Leben umsonst gewesen? Hatte man erst heute das Glück erfunden?

Hans schmeichelte sich bei der Mutter ein. Sie sollte dem Vater zureden, nicht das Glück ihrer Kinder mit Füßen zu treten. Das Glück ihrer Enkel. Heute heimsten die Berliner ein, was Jahrhunderte vorgearbeitet hätten. Ein Narr, wer tatenlos dabei stände und andern das Glück in den Schoß fallen ließ.

Lieschen wurde sehr beunruhigt. Sie hatte gedacht, daß sie schon durch das Geschäft so viel verdienen würden. Gewiß wollte auch sie, daß die Enkel reiche und angesehene Leute werden würden.

Aber mit dem Vater zu sprechen wagte sie nicht. Doch natürlich, in all den langen Jahren hatte sie sich auch ein bißchen erspart.

Sie gab es Hans mit glücklichem Lächeln. Sie wollte keine Zinsen, wie er ihr gerührt versprach. Er sollte es ihr nur wiedergeben, wenn er damit das viele Geld verdient hatte. Und auch das nur der Ordnung halber. Weil doch ihrem Christian einmal die Hälfte davon zukam.

Ehe Hans fortging, fragte sie noch, für welche Bahn es denn wäre.

»Tilsit–Insterburg,« sagte er.

»Kenne ich nicht,« sagte Lieschen. Aber als sie zu sehen glaubte, daß über Hansens Gesicht ein Schatten lief, wie wenn er in ihren Worten ein Zeichen des Mißtrauens gefunden, fügte sie eilig hinzu, daß es also gewiß eine schöne Gegend sei.

Und sie streichelte liebevoll über Hansens klugen Kopf und gab ihm einen Abschiedskuß.

So war es Sommer geworden.

Auf Lieschens Balkon sprießte pflichtgetreu aus allen Zigarrenkisten nutzbringendes Suppengrün.

Der unruhige Kastanienbaum trug seine Blütendolden wie Hochzeitskandelaber und brachte Schatten und Duft.

»Wie rasch man mit solchem Baum vertraut wird,« sagte Lieschen. »Rascher wie mit einem Menschen.«

Sie war so recht voll freudiger Erwartung.

Annalise saß oft hier auf dem Balkon. Und die Müllerleute scheuten nicht den heißen, staubigen Weg, um sie hier zu sehen. Ihr Wohlbefinden zu bewundern und ihr weitere gute Ratschläge zu geben.

 

Ilka kam selten. Sie wohnte ja selbst im Freien. Und außerdem war sie oft mißgelaunt. Ihr Zustand war ihr unausstehlich. Sie kam nun um die Sommerreise. Auf Slovitzkas Drängen und in Hinsicht auf die immer steigenden Aktien schaffte ihr Hans wenigstens eine Equipage an. Da fuhr sie auf den Tiergartenkorso, kam auch Hans aus dem Geschäft abholen und fand Zerstreuung und Aufheiterung.

Diese Equipage machte die Eltern Spreemann gleichzeitig stolz, wie mißtrauisch.

Allerdings sah man jetzt viel Leute im eignen Wagen, die früher, auch Sonntags, zu Fuß gegangen waren. Und Droschke fuhren sogar schon die Maurer.

Aber soviel Aufwand, noch ehe Kinder im Haus. Was sollte da erst später werden. Slovitzka aber sagte, das sind Zeiten, wie sie nicht wiederkommen werden. Hans aber sei der Mann seiner Zeit.

Das beruhigte Lieschen sehr, denn Slovitzka verstand etwas von Geschäft und Leben.

Sie sagte zu Spreemann, daß sie auf ihre Söhne stolz sein könnten.

Aber dann kamen Tage, wo sie sich wirklich nicht um das Geldverdienen da draußen kümmerte.

Schlimm genug, daß die Herren sogar in diesen Tagen nur rasch laufende Boten von den erregenden Vorgängen in ihren Heimen Nachricht erhielten.

Nur weil die Reisesäson auf der Höhe war.

Lieschen aber kam in diesen Tagen und Nächten nicht zur Ruhe.

Sie fuhr in Ilkas blau ausgeschlagener Equipage vom Tiergarten nach der Kochstraße und wieder zurück, ohne die vornehme Position, in der sie sich befand, überhaupt zu bemerken. Sie stand zitternd vor Ilkas Zimmer, in das niemand hereingelassen wurde und wo die allerneuesten Ärzte über Baldrian lächelten und mit Chloroform hantierten.

Sie näherte sich auf den Fußspitzen Annalisens Schmerzenslager, an dem die Müllerin ihr größeres Anrecht in einem breiten Sessel behauptete.

Nur ihr Herz durfte helfen mit Beten und Segenswünschen.

Aber alles kommt einmal in Ordnung.

Endlich war der Abend da, wo sie Spreemann alter Großpapa nannte. Ohne daß er über dieses böse Beiwort zu schelten begann, wo sie sich als doppelte Großmutter todmüde zu Bette legte.

Alles war gut gegangen. Nur Ilkas kleiner Spreemann war zu aller Verwunderung ein winziges Mädchen geworden.

Mutter Lieschen, die sich unter Neugeborenen immer nur Knaben vorgestellt hatte, war zu Tränen gerührt, als sie sah, wie zart und zierlich kleine Mädchen waren, wenn sie den schwierigen Lebenslauf begannen. Sie empfand beinahe Hochachtung vor dem eignen Geschlecht.

Das fand Spreemann übertrieben.

Er leugnete nicht die Notwendigkeit des weiblichen Geschlechts. Es hatte sozusagen zur Grundlage seines ganzen Geschäfts gehört. Aber für seine eigne Person hätte er sich mit Töchtern niemals gefreut.

Lieschen hörte aus den Worten ihrer Angehörigen stets nur das Angenehme heraus. So freute sie dies als nachträgliches Lob und streckte sich zufrieden im Bett aus. Zwei Nächte lang hatte sie nur für kurze Augenblicke geruht.

Spreemann aber brummelte weiter.

»Da haben sie nun eine Hochzeitsreise nach Italien gemacht,« sagte er. »Haben ein echtes Ölgemälde und sogar eine Equipage. Und was ist die Folge von allem? Ein Mädchen von noch nicht drei Kili.«

»Drei ein halb,« verbesserte Lieschen in eifrigem Gerechtigkeitssinn.

Spreemann aber überhörte dies.

Er lobte Anneliese mit vielen Worten der Anerkennung und sagte, daß er es sich nicht ausreden ließe: Berliner Blut sei Berliner Blut.

Lieschen sagte, daß sicher etwas Wahres an seinen Worten sei.

Aber daß man sich nicht versündigen solle, denn alle konnten doch nun einmal nicht Berliner sein.

»Wohl dem, der es ist,« sagte Spreemann fest. Und damit schlief das neue Großelternpaar ein.

Neuntes Kapitel

Das Jahrhundert zählte nun eine hohe Jahreszahl. Es hatte viele neue Bequemlichkeiten gebracht. Aber jeder kleine Mensch, der hinzukam, mußte doch wieder mit allem von vorn anfangen.

Mutter Lieschen lernte mit Staunen die alte Weisheit, daß alles schon dagewesen. Daß sich alles gleich blieb, wie fein man auch selber inzwischen geworden, wie groß und verändert auch ringsum die Stadt.

Es war die gleiche Sorge um die Beschaffenheit des Windelinhalts, um Bad und Puder, um Festigkeit von Gaumen und Beinchen, wie vor bald fünfundzwanzig Jahren. Ja, wahrscheinlich wie zu Anfang der Welt. Ausgenommen vielleicht die Zeit des Paradieses, wo vermutlich auch in dieser Beziehung alles leichter und einfacher gewesen.

Aber Lieschens Erfahrungen kamen nun zur Geltung. Selbst Ilka hatte jeden Tag einen ängstlichen Rat von ihr zu erfragen und war glücklich zu hören, daß auch Hans und Christian manchmal Nächte lang durchgeschrien hatten, ohne daß es etwas Schlimmes bedeutet hatte. Nur zum Vergnügen.

Lieschen fühlte, daß eine Großmutter nötig war auf der Welt. Das gab ihr auch Spreemann gegenüber wieder etwas von der alten Festigkeit. Auch äußerlich begann sie wieder in die Breite zu gehen. Oder kam das nur davon, daß sie wieder ein großkariertes Kleid trug, wie vor Jahren?

Jedenfalls bewegte sie sich durch Herbst und Winterkälte in gleicher emsiger Zufriedenheit. In ihrer Küche duftete es stets nach Lakritzensaft oder Fenchelsirup.

Denn wenn den Kindern erst etwas fehlte, war es zu spät. Vorher mußten die Medizinen genommen werden. Oder doch mindestens bereit stehen.

Sie nahm es sehr gleichgültig hin, daß auch dieses Weihnachtsfest dem neuen Kaufhaus einen großen Kassenerfolg brachte. Tausendmal mehr erstaunte es sie, daß Ilkas zarte kleine Paula schon nach fünf Monaten einen festen Vorderzahn aus echtem Elfenbein hatte.

Sie war ein wenig parteiisch für diese kleine Paula.

Auch die besten Frauen neigen zum Widerspruch.

Annalises dicker Junge lachte noch mit leerem Gaumen.

Er war Otto getauft worden. Zu Ehren Bismarcks, der Christian beim Einzug von Paris die verstümmelte Hand gedrückt hatte und für den Christian und auch der Müller und somit auch Annalise ohnedies die echte Verehrung hegten.

Auch Spreemann war stolz über diesen Otto.

Er hatte ihm zu Weihnachten eine silberne Sparkasse geschenkt. Es war ein aufrecht stehender Bär, der einen Spruch hinter den Ohren hatte.

»Spare in der Zeit, so hast du in der Not,« stand da eingeritzt.

Lieschen fand diese Worte etwas ernsthaft für einen Säugling, besonders im Hinblick auf den erneuten Kassenerfolg.

Aber sie bestellte doch in aller Heimlichkeit das gleiche Geschenk für die kleine Paula. Gerechtigkeit muß sein.

Es war derselbe Bär.

Aber hinter seinen Ohren stand:

»Spare in der Zeit, so hast du in der Not die Großmama.«

Der Juwelier hatte einen Punkt vergessen. Oder auch sparen wollen. Denn Lieschen hatte ein wenig vom Preise heruntergehandelt. Aus alter, guter Gewohnheit.

»Nun,« sagte sie, »man wird auch so wissen, was es heißen soll.«

Das gab ein stolzes Weihnachtsfest in diesem Jahr. Bei Spreemanns und überall. Ganz Berlin schien in Gold zu schwimmen.

Kein Mensch schmückte jetzt noch grüne Papierpyramiden, die Jahr für Jahr dauerten, da sie nicht welken konnten, weil sie niemals geblüht hatten. Große Tannenbäume mit dem würzigen Duft des deutschen Waldes standen an allen Straßenecken und fanden reißenden Absatz. Was machte es, wenn sie schon bald nach dem Fest nadelten und verbrannt werden mußten. Andres Jahr, andre Bäume. Und noch höhere.

Slovitzka hatte einen Tannenbaum aus seinem eignen Villengelände. Und seine Gabe an Ilka waren Ohrgehänge und ein Halbmond aus Diamanten, die, wie er sagte, nicht aus böhmischem Glas gemacht waren.

»Du hast Diamanten und Perlen, hast alles, was Menschen Begehr,« trällerte Hans, wenn er in den Feiertagen die kleine Paula, satt und zufrieden, auf den Knien schaukelte.

Das war ein Vers, den ein wirklicher Dichter gemacht. Ein wenig aus Spott, weil er, wie die meisten Dichter, immer ein wenig zwischen Lachen und Weinen schaukeln mußte.

Aber jetzt pfiff es jeder Berliner Schusterjunge. In gläubigem Ernst.

Denn nicht nur ein Schusterjunge mußte daran glauben und eine Ahnung des allgemeinen Reichtums bekommen, wenn aus allen Häusern, und wie viele neue waren nicht in diesem Jahr aus dem Boden gewachsen, der solide, den Magen wie das Selbstgefühl befestigende Dampfgeruch guter Soßen und guter Braten quoll. Wenn einem bei jedem Schritt der süße Duft backender Napfkuchen und siedenden Marzipans in die Nase stieg.

Selbst in den Kellerwohnungen tauchte man in Kaffee und Zichorie sein Stück Sträußelkuchen, weil man's dazu hatte. Oder doch morgen schon auf dem gleichen grünen Zweig sein konnte wie der Nachbar.

Das neue Geld setzte keinen Rost mehr an. Das bewegte sich und machte Bewegung.

In allen Taschen hörte man es klappern. Auf den Straßen und Treppen, die jetzt schnellere Schritte zu fühlen bekamen als früher.

Vorwärts hieß es.

Man war nicht dumm. Man ließ sich nicht dumm machen. Was dem einen recht, ist dem andern billig. Berliner war Berliner.

Die Habgier der Masse war erwacht.

Ein sehr effektvoller Weihnachtsartikel von Spreemann & Co. war ein neuer Aschenbecher gewesen. Um eine imitierte Messingschale lief ein Kranz von munteren Schweinen. Diese Schweine aber trugen sowohl im Maul, wie an Körperteilen, die sonst Leute, die fein sein wollen, nicht mit einem Blicke würdigen, schöne, täuschend nachgemachte Goldstücke.

Diese Neuheit hatte Aufsehen erregt und großen Beifall gefunden. Man hatte sich darum gerissen.

Sie kosteten dem Fabrikanten drei Groschen das Stück. Er gab sie für fünf Groschen an Spreemann & Co. ab, die sie für den fabelhaften Preis von nur zehn Groschen verkauften.

Als man am Heiligabend die Ladentüren schloß, waren hunderttausend Stück davon abgesetzt worden. Aber es war ein Artikel, der das ganze Jahr gehen konnte.

Dabei ließ sichs schon leben und leben lassen.

Selbst Spreemann hatte an diesem Tage eine kleine Aktie gekauft. In der er keine Spekulation sah. Es war eine Zoologische-Garten-Aktie, deren Zinsen im freien Eintritt zu den wilden Herrlichkeiten dieses Unternehmens bestanden. Daran konnte kein Betrug sein. Spreemann legte sie in die Sparkasse für Otto und künftige Geschwister und konnte kaum die Zeit erwarten, wo er seinem runden Enkel zeigen würde, wie man eigenhändig die Löwen füttert.

Der Müller, als gleichberechtigter Großpapa dieses Otto, billigte dieses Verfahren. Er hatte selbst zwei Aktien der Pferdebahn in Bereitschaft. Aber alle andern Unternehmungen erklärte er für Schwindel. Er glaubte immer noch nur an das, was er sah.

Er sagte höhnisch zu Hans, daß er selbst, trotz seines Alters, noch nicht weitsichtig geworden. Und bestärkte damit einen alten Argwohn, den Vater Spreemann schon lange hegte, wenn er an die Zeit von Hansens Reise nach England zurückdachte.

Es war sonderbar, daß man nicht einmal seine eignen Kinder kannte, die man doch vor Augen gehabt, ehe sie ein Haar auf dem Kopfe und einen Zahn im Munde hatten.

Lieschen allerdings schien besser mit ihnen Bescheid zu wissen.

Aber sie war eben arglos und vertrauensselig wie alle Frauen. Vom Leben verstand sie im Grunde nichts.

Das war also die gleiche Meinung, die Lieschen von ihm hatte. Ohne Übereinstimmung keine echte Ehe . . .

Aber Übereinstimmung im Großen hindert nicht Zwiespalt im Kleinen.

Es gab jetzt viel Konzerte und Theatervergnügungen in der Stadt. Lieschen und die jungen Frauen wollten bei vielem dabei sein. Auch die Müllerin. Weniger aus Vergnügungssucht oder Kunstverlangen, sondern weil sie ihre goldne Kette umhängen wollte.

Spreemann aber nannte jede Art von Kunst noch heute: Geschwollnes Zeug.

Obwohl man zu den bekannten und beachteten Bürgern der Stadt gehörte.

Lieschen versuchte, im Verein mit den Kindern, diesen Mangel des Familienoberhauptes so viel wie möglich zu vertuschen. Man erfand vor den Bekannten ein Waffenlager von Ausreden für sein Fernbleiben.

Man konnte doch nicht sagen, daß er an Abenden, wo Pauline Lucca sang, den schlafenden kleinen Otto besuchte und sich ihn anguckte, als hätte er noch nie ein Kind gesehen. Oder daß er um diese Zeit einfach zu Bett ging und zu Lieschen, die sich schmückte, ärgerlich sagte, daß alle diese Menschen, die jetzt ausstaffiert in die Theater fuhren, nicht wert wären, ein Bett zu haben.

Das konnte man nicht weitererzählen. Ebensowenig aber durfte es so aussehen, als käme er nicht mit, weil man ein teures Billett hatte ersparen wollen.

Aus diesem Grunde mußte ihn Lieschen eines Tages einfach zwingen, ein Konzert zu besuchen, das besondres Aufsehen erregte. Beim alten Bilse. Wohin sich Spreemann schon manchmal hatte hinlocken lassen, weil er dort wenigstens Bier trinken und Leberwurstschnitten essen konnte und außerdem sehr häufig Pause zwischen den Musikstücken war.

 

Diesmal aber sollte es nichts zu trinken und zu essen geben. Die Plätze kosteten das Zehnfache. Dafür aber sollte der ganze Hof anwesend sein.

Der neue Musiker Richard Wagner, von dem man überall so viel Lärm machte, sollte das wohlbekannte Berliner Orchester dirigieren. Das nur Stücke spielen sollte, die er selbst gemacht hatte.

Wer nur halbwegs auf sich hielt, mußte hier dabei sein.

Spreemann wollte nicht begreifen, warum man gerade an einem Abend gehen sollte, wo derselbe Platz zehnmal so viel kostete als sonst. Musik war wohl Musik. Immer die gleichen Töne, nur jedesmal ein wenig anders durcheinander geschüttelt.

Und gerade dieser Wagner? War das nicht derselbe, dessen Nürnberger Geschichte man neulich im Opernhaus nicht einmal zu Ende hören wollte? Der Musik daraus gemacht hatte, weil ein Nachtwächter ein paar Kerle durchgeprügelt?

Das hieß doch geradezu das Geld zum Fenster hinauswerfen.

Lieschen sagte, daß er der Sache nicht auf den Kern käme. Und daß das alles nebensächlich wäre. Man ging hin, weil alle hingingen. Alle da sein würden. Und man jetzt dazu gehörte. Zeigen mußte, daß man dazu gehörte. Sie begriff diese Ansicht der Kinder vollkommen. Woher sollte Otto sonst einmal Hoflieferant oder sogar Kommerzienrat werden? Die Zukunft kann nichts bringen, was man nicht selbst gesät hatte. Das sollte er selbst wohl am Besten wissen.

Der geschickte Hinweis auf Otto verfehlte nicht seine Wirkung.

Die Billette wurden gekauft. Da auch Slovitzka und die Müllerleute gingen, waren es neun Plätze. Sie kosteten ein kleines Vermögen.

Schon das sich Zuraunen dieser Summe brachte die festlich gekleideten Damen in Stimmung.

Der beliebte Saal war mit eleganten Leuten bis in alle Winkel gefüllt.

Auch der Kaiser und die Kaiserin waren mit ihrer ganzen Familie erschienen.

Genau wie Spreemann.

Wenn sich Lieschen nicht irrte, hatte der Kaiser mehrmals zu ihr und Ilka hinübergesehen.

Er gehörte wohl vor allen anderen zu denen, die etwas von echten Spitzen und Diamanten verstanden.

Ein wenig enttäuscht wurde man nur, als der berühmte Musiker das Podium betrat. Das war ein lächerlich kleiner Mann. Wie stattlich war dagegen der alte Bilse mit seinen vielen Ehrenzeichen auf der Brust. Es war einem ordentlich peinlich vor Spreemann.

Aber der kleine Dirigent gab sich wirklich Mühe. Er regte sich furchtbar auf, der Taktstock flog nur so durch die Luft.

Als das erste Stück zu Ende war, zeigte es sich auch, daß er es allen recht gemacht hatte. Alle klatschten und riefen ihm Beifallsbezeugungen zu. Und so blieb es den ganzen Abend über. Auch Blumen fielen in Hülle und Fülle auf den kleinen beweglichen Mann, der immer erregter zu werden schien.

»So viele Blumen. Und im Februar,« flüsterte Lieschen der Müllerin zu.

Beide waren stolz, dabei zu sein.

In der Pause sagte Spreemann, daß er nicht viel von Musik verstehe, daß es ihm aber vorkomme, als ob diese neue Musik viel lauter wäre als die alte, an die man schon einigermaßen gewohnt wäre.

Er hatte auch nicht gesehen, daß sogar der Kaiser zweimal geklatscht hatte.

Was Lieschen bestimmt behauptete.

Aber er war nicht schlecht gelaunt. Die Nähe des Hofes übte eine wohltuende Wirkung auf sein echtes Berliner Gemüt.

Nur eins beeinträchtigte etwas den Genuß. Slovitzka war nicht gekommen. Sein teurer Platz blieb leer.

»Sündhaft,« sagte Lieschen. »Wie mancher wäre glücklich über diesen Kunstgenuß.«

Sie sagte es zu Hans. Der aber kaute an seinem Bart und schien ihre Worte garnicht gehört zu haben. Ebensowenig wie er über die Abwesenheit seines Schwiegervaters nachzudenken schien.

Auch über die Musik sagte er kein Wort.

Lieschen musterte ihn besorgt. Erst jetzt fiel es ihr auf, wie schlecht er aussah. Geradezu alt. Ihr junger Junge. Er überarbeitete sich gewiß.

Sie wollte in diesen Tagen ernstlich mit ihm reden. Erst kam die Gesundheit und dann erst das Geld.

Spreemann und sie hatten es stets so gehalten und waren trotzdem zu etwas gekommen.

In leiser Zärtlichkeit strich sie über Hansens Ärmel.

Guter, gediegener Stoff, dachte sie dabei.

»Was mag Papa verhindert haben?« fragte Ilka und beugte sich zu Hans.

Er starrte über sie hinweg und sagte, daß Slovitzka kein Wickelkind wäre und diese Besorgnis lächerlich sei.

In Ilkas Augen traten Tränen.

Nur Christian hatte diesen Zwischenfall bemerkt.

»Was hast du, Hans«, fragte er erstaunt und rückte vorsichtig den Spitzenschal auf Ilkas Schulter zurecht.

»Beunruhige dich nicht, lieber Christian,« sagte Ilka, schon wieder gefaßt und in ihrem gewohnten spöttischen Tone. »Das hat dein Bruder manchmal so an sich.«

Auf Christians gutes, gesundes Gesicht kam ein Ausdruck besorgter Nachdenklichkeit.

»Waren Hans und Ilka nicht glücklich? War es möglich, mit Ilka nicht glücklich zu sein?«

Aber da setzte diese laute, aufpeitschende Musik wieder ein.

Alles verstummte. Nur die heimlichen Gedanken tanzten doppelt erregt nach diesen Tönen, die oft mit einer Dissonanz ineinander kreischten.

Dann war das Konzert zu Ende.

Aber der Dirigent mußte noch einige Worte des Dankes sprechen. Er sächselte.

Spreemann hatte sich und Lieschen längst gesagt, daß dies kein Berliner war.

Aber die übrigen waren trotzdem mit ihm zufrieden. Der Beifallsjubel wollte kein Ende nehmen.

Und immer wieder flogen neue Blumen aufs Podium. Viele Rosen. Im Winter.

Lieschen mußte an Christians Heimkehr denken. An Karolines Beerdigung.

Wie merkwürdig, immer wieder die gleichen Blumen.

Nur zu andren Zwecken. Und für andre.

Aber unleugbar dieselben Blumen, der gleiche Duft, der an so viel Vergangnes erinnerte.