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Die Entstehung der Kontinente und Ozeane

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So verlockend es auch erscheint, diese immer unsicherer werdenden Spuren weiter zu verfolgen, so müssen wir uns dies bei dem gegenwärtigen Stand unserer Kenntnisse doch versagen, da hierbei den Vermutungen ein ungebührlicher Raum zugewiesen werden müßte. Da bereits sichere Inlandeisspuren aus dem Algonkium (in Kanada) gefunden sind, so wird es zweifellos früher oder später gelingen, die Pollage auch für diese ältesten Zeiten zusammenhängend zu verfolgen. Gegenwärtig erscheint mir jedoch ein solcher Versuch als verfrüht, da unser Bild von den Konturen, ja sogar von der Größe der damaligen Urkontinentalscholle noch nicht deutlich genug ist. Es genügt auch wohl, bis zur Devonzeit zu zeigen, daß die Verschiebungstheorie auch in der Paläoklimatologie imstande ist, die grundsätzlichen Schwierigkeiten zu beseitigen.

Zum Schluß seien noch einmal die mittleren Lagen der Pole sowie Deutschlands seit dem Devon, bezogen auf Afrika in der heutigen Lage, zusammengestellt:

Sechstes Kapitel.
System, Ursachen und Wirkungen der Kontinentalverschiebungen

System. Obwohl die Verschiebungen der Kontinente auf den ersten Blick ein recht buntes Bild verschiedenartiger Bewegungen bilden, so erkennt man doch ein großes System: Die Kontinentalschollen bewegen sich äquatorwärts und westwärts. Es empfiehlt sich, die beiden Komponenten dieser Bewegung gesondert zu betrachten.

Eine äquatorwärts gerichtete Bewegung, die „Polflucht“ der Kontinentalmassen, ist bereits von verschiedenen Autoren, so namentlich von Kreichgauer125 und Taylor126, angenommen worden. Sie ist wohl ganz allgemein zu erkennen, bei großen Schollen mehr, bei kleinen weniger, und am stärksten in mittleren Breiten. Insbesondere äußert sie sich bei Eurasien in der Anordnung des großen tertiären Faltengürtels des Himalaja und der Alpen, welcher auf dem damaligen Äquator entstand, sowie in den bauchigen Stauchungsformen der ostasiatischen Küste. Sehr deutlich ist ferner die Polflucht bei Australien, denn es bewegt sich nach Nordwesten, wie aus den Deformationen der Inselreihen des Sunda-Archipels, aus dem hohen jugendlichen Gebirge auf Neuguinea und aus dem südöstlichen Zurückbleiben der einstigen Girlande Neuseeland übereinstimmend hervorgeht. Bei Nordamerika macht sich die Polflucht geltend in der südwestlichen Verschiebung Grinnell-Lands gegenüber Grönland (oder auch Labradors gegenüber Südgrönland), ferner auch in der beginnenden Stauchung der sich ablösenden Randkette Kaliforniens und der damit in Verbindung stehenden Erdbebenverwerfung von San Franzisko. Sogar bei der kleinen Scholle Madagaskar ist die Polflucht noch erkennbar, da sie sich von ihrer Abrißstelle am afrikanischen Kontinent nach Nordosten bewegt hat. Afrika und Südamerika liegen heute auf dem Äquator und erfahren deshalb wohl nur geringe meridionale Verschiebungen. Die großen Verschiebungen, welche Südamerika im Tertiär erfuhr und die zur Auffaltung der südamerikanischen Anden führten, waren – unter Rücksicht auf die damalige Pollage – nach Nordwesten gerichtet, lassen also gleichfalls die Polflucht erkennen. Gleiches gilt wohl auch für Antarktika.

Der Zusammenschub Lemuriens vom Tertiär ab bis heute läßt sich in seinen ersten Teilen noch als Polflucht Vorderindiens auffassen. Heute liegt dies allerdings 10 bis 20° nördlich des Äquators, so daß eine Polflucht die Faltung nur verringern könnte. Das gegenwärtige Andauern des Zusammenschubes muß daher wohl ganz auf Rechnung der Polflucht Asiens gesetzt werden, wobei anzunehmen ist, daß Indien als Vorderrand desselben durch den Widerstand, den es im Sima findet, festgehalten und infolgedessen aufgefaltet wird.

Die andere Komponente, die Westwanderung der Kontinente, geht aus dem unmittelbaren Anblick der Erdkarte vielleicht noch klarer hervor. Die großen Schollen ziehen im Sima nach Westen. Schon die Pangäa der Karbonzeit hatte so einen Vorderrand (Amerika), der sich wegen des Widerstandes des zähen Simas in Falten legte (Präkordilleren), und einen Hinterrand (Asien), von dem sich Randketten und Brocken ablösten und als Inselgruppen im Sima des Pazifik stecken blieben. Dieser Gegensatz zwischen dem Ost- und dem Westufer unseres Hauptozeans ist auch heute äußerst auffallend, zumal sich in Ostasien, begünstigt durch dessen meridionale Stauchung, gerade der großartige Prozeß der Ablösung und Zurücklassung zahlreicher Randketten abspielt. Der nach Süden vorgestreckte Kontinentallappen von Hinterindien und den Sundainseln zeigt ein Zurückbleiben nach Osten und bezeugt so die Westwanderung ebenso wie das gleichfalls nach Osten gerichtete Abbrechen Ceylons von der Südspitze Vorderindiens. Auch südlich davon, im Bereich Australiens, spielen sich dieselben Vorgänge ab, wie die schon zurückgelassene Girlande Neuseeland und das nordwestlich gerichtete Vordringen der australischen Scholle zeigen. Dieselben Erscheinungen wie an der ostasiatischen Küste treffen wir auch an der Ostküste Amerikas wieder. In Mittelamerika bilden die Antillen ein schönes Beispiel nach Osten zurückbleibender Girlanden, wobei zu bemerken ist, daß die kleinen Inseln stärker zurückbleiben als die großen; Florida bleibt nach Osten zurück, ebenso wie die Südspitze Grönlands. In Südamerika treten die Massen der Abrolhos-Bank durch Zurückbleiben nach Osten unter dem Kontinent heraus; die Gegend der Drakestraße mit ihren nachschleppenden Festlandspitzen und weit zurückgebliebenen Verbindungsketten war schon früher als Musterbeispiel für die Verschiebung nach Westen erläutert worden. In Afrika äußert sich die Westwanderung in dem östlichen Zurückbleiben der kleineren Scholle Madagaskar (was sich mit dessen Polflucht zu nordöstlicher Bewegung zusammensetzt). Vielleicht darf man auch das junge ostafrikanische Bruchsystem, von welchem die Abtrennung Madagaskars wohl nur einen Teil bildet, mit der Westwanderung in Verbindung bringen, wenn es sich hier auch nicht mehr um Girlanden, sondern um größere Schollen, etwa von der Größe Madagaskars, handelt. An der afrikanischen Westküste scheinen sich zwar die Kanaren und Kapverden erst in jüngerer Zeit vom Kontinent gelöst und sich also von ihm nach Westen entfernt zu haben, allein dieses geringe Vorauseilen des Sima nach Westen ist wohl leicht aus dem ganzen Strömungsbild des Sima bei der Öffnung des Atlantik zu erklären und würde nur besagen, daß sich die Simafläche des Atlantik bei dem Fortschreiten seiner Öffnung wie Gummi zieht, oder daß hier das Einströmen des Sima in die Spalte überwiegt.

Ob sich alle Einzelheiten der Verschiebungen durch diese zwei Komponenten der Polflucht und der Westwanderung darstellen lassen, muß wohl noch dahingestellt bleiben. Die Hauptbewegungen – auch für die Vorzeit – werden aber anscheinend durch sie vollständig dargestellt.

Ursachen. Als Ursache der Polflucht hat Kreichgauer die Zentrifugalkraft bezeichnet. Seine Ableitung ist aber falsch, da er statt des Rotationsellipsoids die Kugelform voraussetzt, und die von ihm abgeleitete Kraft fällt eben gerade dadurch fort, daß die Erde abgeplattet ist. Indessen bleibt auch beim Rotationsellipsoid noch eine Polfluchtskraft für die Kontinente übrig, wie folgende Betrachtung lehrt, die ich mit Zustimmung des Verfassers einer demnächst in Peterm. Mitt. erscheinenden Arbeit von W. Köppen entnehme:

Der Schwerpunkt einer Kontinentalscholle liegt 2,4 km höher als ihr Auftriebspunkt (Schwerpunkt des verdrängten Simas), liegt also in einer höheren Niveaufläche als dieser letztere. Die höhere Niveaufläche ist aber stärker abgeplattet, weil die Anziehungskraft der Erde für sie kleiner ist (auch in den hier in Frage kommenden Schichten des Erdinnern nimmt die Anziehungskraft mit Annäherung an den schweren Eisenkern der Erde noch zu) und obendrein die Zentrifugalkraft noch etwas größer ist als für die untere. Diese beiden Niveauflächen haben also ihren größten Abstand am Äquator, den kleinsten am Pol, und sind nur an diesen beiden Orten einander parallel, in mittleren Breiten aber gegeneinander geneigt. Dies letztere ist es nun, worauf es ankommt. Denn der Auftrieb wirkt senkrecht zur unteren, die Schwere senkrecht zur oberen Niveaufläche, und diese beiden Kräfte können also, da die beiden Lotrichtungen einen kleinen Winkel miteinander bilden, sich nicht gegenseitig aufheben, sondern geben eine kleine Resultante in Richtung auf den Äquator. Es ist auch ohne weiteres einzusehen, daß diese Polfluchtskraft sowohl am Pol wie am Äquator Null sein muß. Denn an beiden Stellen sind eben die genannten beiden Niveauflächen parallel zueinander, so daß keine Resultante aus Auftrieb und Schwerkraft übrig bleibt. Die Polfluchtskraft muß also für mittlere Breiten ein Maximum erreichen127.

 

Die andere Bewegungskomponente, die Westwanderung, kann meines Erachtens durch die ablenkende Kraft der Erdrotation zwangsläufig mit der Polflucht verknüpft sein, so daß die Bewegung der Kontinentalschollen – auch ursächlich – Ähnlichkeit mit der der Passatwinde bekäme. Wie weiter unten gezeigt werden wird, würde sich hieraus gerade eine besonders einfache Erklärung für die Zertrümmerung der mittelmeerischen Bruchzone ergeben. Auch würde dazu stimmen, daß Afrika, weil am genauesten auf dem Äquator, die geringste Westwanderung erkennen läßt.

Es besteht aber auch die Möglichkeit, diese allgemeine Westwanderung der Lithosphäre auf die Reibung der Gezeitenwelle zurückzuführen, welche durch die Sonnen- und Mondanziehung im festen Erdkörper erzeugt wird. Es ist bei dem heutigen Stand der Forschung allerdings keineswegs sichergestellt, ob und wieweit wir mit einer solchen Gezeitenwelle des festen Erdkörpers zu rechnen haben, speziell, ob die durch Sonne und Mond erzeugte Deformation nicht eine rein elastische ist. Aber das eine ist sicher: wenn eine noch so kleine Gezeitenwelle des festen Erdkörpers die Erde umkreist, so äußert sich die Reibung – sofern sie eben überhaupt zu Wort kommt – in einem fortwährenden Zurückhalten namentlich der oberflächlichen Schichten nach Westen. Auch diese Gezeitenreibung ist bereits wiederholt, so von E. H. L. Schwarz128, Wettstein129 u. a., zur Erklärung der Erdoberfläche herangezogen worden. In der Verschiebungstheorie würde sie namentlich zur Erklärung des ersten Aufreißens der Lithosphäre und ihrer anfänglichen Zusammenfaltung nach Art eines Papierlampions gute Dienste leisten. Man brauchte dazu nur anzunehmen, daß die Reibung, welche diese ständig auf ihrer Unterlage nach Westen gleitende Lithosphäre erfuhr, nicht überall gleich groß war. Es muß wohl noch dahingestellt bleiben, ob man zur Erklärung der Westwanderung zwischen diesen beiden Ursachen zu wählen hat, oder ob sie beide gleichzeitig wirksam sind.

Wirkungen. Die wichtigste Wirkung der Kontinentalverschiebungen bilden die Polwanderungen. Es war schon früher gesagt, daß bei der zähflüssigen Erde die Abplattung nicht eigentlich zur Festlegung der Achse größter Trägheit beisteuert, sondern nur bewirkt, daß die Polwanderungen außerordentlich langsam vor sich gehen. Denn die Abplattung ist ja bei jeder Änderung der Trägheitsachse bereit, ihr durch fließende Verschiebungen der Teilchen zu folgen und sich der neuen Lage anzupassen. Nur geschieht dies wegen der Zähigkeit des Erdkörpers mit Verzögerung. Die Hauptträgheitsachse, und damit also auch die Drehungsachse, die sich auf jene einzustellen strebt, werden also nicht durch die Abplattung bestimmt, von der man vielmehr ganz absehen muß, sondern nur durch die kleineren Unregelmäßigkeiten der Massenverteilung, namentlich also durch die Anordnung der Kontinentalschollen, die trotz ihrer Isostasie wegen ihres von der Erdachse entfernter gelegenen Schwerpunktes ein größeres Trägheitsmoment besitzen als das verdrängte Sima. Jede Änderung in der Anordnung der Kontinente wird daher auch die Lage der Hauptträgheitsachse und damit der Rotationsachse beeinflussen, und zwar in sehr beträchtlicher Weise, da die Achsenlage eben nur von dieser Anordnung abhängt. Es wird vielleicht einmal möglich sein, aus jeder vorgegebenen Kontinentalgruppierung mathematisch die Hauptträgheitsachse abzuleiten, natürlich nur auf dem Wege numerischer Integration, da die Flächen und Konturen der Kontinente sich nicht in Formeln fassen lassen. Man würde dann in der Lage sein, diese theoretisch berechnete Hauptträgheitsachse unmittelbar mit den geologischen Befunden für die verschiedenen Zeiten zu vergleichen. Bisher steht eine solche mathematische Behandlung der Frage allerdings noch aus. Daß aber ein solcher enger Zusammenhang zwischen der Kontinentalgruppierung und der Achsenlage tatsächlich besteht, geht schon daraus hervor, daß die großen Polwanderungen gerade immer mit den Zeiten lebhafter Kontinentalverschiebungen zusammenfallen. Besonders deutlich ist dies für die Zeit seit dem Beginn des Tertiärs: als der südliche Atlantik sich öffnete, wich der Südpol nach der entgegengesetzten Seite hin aus bis zu seiner Lage im Diluvium; als dann auch die Verbindung zwischen Europa und Nordamerika abbrach, wich nunmehr umgekehrt der Nordpol wieder nach der entgegengesetzten Richtung bis zu seiner heutigen Lage aus.

Auch die Spaltungen der Lithosphäre, die Grabenbrüche, scheinen eine bestimmte Rolle in diesen großen Zusammenhängen zu spielen. Wenngleich hier wohl manche Unregelmäßigkeiten vorkommen, ist doch zu bemerken, daß sich diese Spalten vorzugsweise im äquatorialen Gebiet, und zwar in meridionaler Richtung bilden. Dies gilt offensichtlich für das große ostafrikanische Bruchsystem, das der heutigen und der diluvialen Äquatorlage entspricht, und es gilt auch für den im Oligozän entstandenen Rheingraben. Die große atlantische Spalte verläuft für die tertiären Pollagen ungefähr meridional, desgleichen die Spalte, deren eine Seite der Ostrand von Afrika bildet. Die südliche Zuspitzung der Kontinente in Südamerika, Südafrika, Vorderindien läßt sich so auf nahezu meridionale Spalten zurückführen, die bis zum damaligen Südpol durchgeführt wurden.

Namentlich scheint mir auch die Entstehung der mittelmeerischen Bruchzone mit ihren fensterartigen Öffnungen in der Lithosphäre hierdurch eine neue Beleuchtung zu gewinnen. Sie dürfte auf kürzere meridionale Spalten in der alten Äquatorzone der Sekundärzeit zurückzuführen sein, welche sodann durch die Polflucht der Kontinentalmassen in ihrer Längsrichtung breitgequetscht wurden. Daß diese Zone so besonders stark zertrümmert und vielfach bis zur Unkenntlichkeit der ursprünglichen Formen zerwürgt ist, läßt sich vielleicht durch die Schwankungen der Äquatorlage erklären; denn wenn der Äquator aus ihr z. B. nach Süden herausrückt, so läßt die Polflucht der südlichen Kontinentalmasse nach und damit wird auch deren Westwärtsdrängen vermindert, sofern dies durch die ablenkende Kraft der Erdrotation mit der Polflucht verknüpft ist. Umgekehrt nimmt für die nördliche Kontinentalmasse Polflucht und Westwärtsdrängen zu. Wenn dann der Äquator wieder auf die Nordseite des Mittelmeeres hinüberschwankt, so wird nunmehr das Westwärtsdrängen der nördlichen Kontinentalmassen geschwächt, das der südlichen verstärkt. Auf diese Weise muß bei wiederholten Schwankungen der Äquatorlage ein Hin- und Herarbeiten oder Schrauben der nördlichen Kontinente gegen die südlichen eintreten.

Als ein weiteres Glied in der Reihe dieser großen Zusammenhänge sind auch noch die Transgressionen zu erwähnen. Es ist ein naheliegender und bereits von zahlreichen Autoren, wie Reibisch130, Kreichgauer131, Semper132, Heil u. a. vertretener Gedanke, daß wegen der Zähigkeit des Erdkörpers seine Abplattung bei Verlegung der Achse gegen diese nachhinkt, während das Wasser der Ozeane sofort folgt. Infolgedessen müßten alle diejenigen Gebiete, deren Breite bei der Polveränderung abnimmt, überschwemmt, solche, deren Breite zunimmt, trockengelegt werden. Wir können diese Regel an der Hand unserer Fig. 30 (S. 100) für die Breitenänderungen Deutschlands prüfen. Im Laufe des Karbons nahmen die Transgressionen ab; im Perm war Deutschland noch teilweise von dem Zechsteinmeer bedeckt, in der Triaszeit dagegen wurde es trockene Wüste (Buntsandstein!) und blieb dies auch noch in der älteren Jurazeit. In der jüngeren Jurazeit dagegen setzt eine große Transgression ein, welche das Jurameer in Deutschland schafft; in der mittleren Kreide setzt wieder eine neue Verstärkung der Transgression ein (Kreidemeer), und noch im Paleozän und Eozän sind große Teile des Landes vom Meere bedeckt. Von der Mitte des Eozän ab findet jedoch ein auffallender Rückgang der Transgression statt, der dann in der Folgezeit zur gänzlichen Trockenlegung Deutschlands führte. Vielleicht läßt sich das heutige Sinken der Nordseeküste und das junge Abbrechen der Landverbindungen mit England als neuerliches Vordringen der Transgressionen deuten, soweit hier nicht die Nachwirkungen der Eiszeit überwiegen. Vergleichen wir hiermit die oben genannte Breitenkurve, so findet man in der Tat bestätigt, daß die Transgressionen abnehmen, wenn die Breite zunimmt, und zunehmen, wenn diese abnimmt. Es würde sich durchaus verlohnen, dieselbe Probe auch für andere Orte auf der Erde anzustellen. Doch würde eine solche Untersuchung den Rahmen dieses Buches überschreiten.

Zum Schluß dieses Kapitels möchte ich nicht unterlassen, den hypothetischen Charakter dieser Betrachtungen, insbesondere derjenigen über die Ursachen der Kontinentalverschiebungen, zu betonen. Im Gegensatz zur Verschiebungstheorie selbst, an deren grundsätzlicher Richtigkeit mir, wie mehrfach ausgesprochen, ein Zweifel nicht mehr zu bestehen scheint, handelt es sich hier um die ersten, tastenden Versuche einer mechanischen Auffassung dieser zunächst lediglich aus den Beobachtungen erschlossenen Kontinentalverschiebungen. Selbst wenn diese mechanischen Vorstellungen sich als wesentlich unrichtig erweisen sollten, so würde damit natürlich die Richtigkeit der Verschiebungstheorie in keiner Weise in Frage gestellt werden. Denn wenn die Beobachtungen zeigen, daß Verschiebungen stattgefunden haben, so müssen wir sie offenbar annehmen, gleichgültig, ob wir sie heute schon erklären können oder nicht.

Siebentes Kapitel.
Nachweis der Kontinentalverschiebungen durch astronomische Ortsbestimmung

Vor allen anderen Theorien mit ähnlich weitreichenden Aufgaben hat die Verschiebungstheorie den Vorzug voraus, daß sie sich durch exakte astronomische Ortsbestimmungen prüfen läßt. Wenn die Kontinentalverschiebungen so lange Zeiträume hindurch tätig waren, so ist ohne weiteres anzunehmen, daß sie auch heute noch fortdauern, und es ist nur die Frage, ob die Bewegungen schnell genug sind, um sich unseren astronomischen Messungen innerhalb nicht allzu langer Zeiträume zu verraten. Um hierüber ein Urteil zu gewinnen, müssen wir auf die absolute Zeitdauer der geologischen Abschnitte etwas eingehen. Die Bewertung derselben ist bekanntlich unsicher, aber doch nicht in dem Maße, daß es eine Beantwortung unserer Frage unmöglich macht. Wenn z. B. der seit der letzten Eiszeit verflossene Zeitraum von Penck auf Grund seiner alpinen Glazialstudien auf 50000 Jahre, von Steinmann auf mindestens 20000, höchstens 50000, und von Heim nach neueren Berechnungen aus der Schweiz und ebenso von den Glazialgeologen der Vereinigten Staaten nur auf etwa 10000 Jahre geschätzt wird, so reicht die Übereinstimmung dieser Zahlen doch für unsere Zwecke bereits völlig aus.

 

Für die älteren Zeiten hat man namentlich aus der Mächtigkeit der Sedimente ein Urteil über die Zeitdauer ihrer Ablagerung zu gewinnen versucht und ist dabei z. B. für das Tertiär auf eine Größenordnung von 1 bis 10 Millionen Jahre gekommen133. Das größte Ansehen genießt gegenwärtig wohl die auf etwa gleiche Werte führende physikalische Altersbestimmung der Gesteine auf Grund des Heliumgehalts derselben, der aus dem Zerfall radioaktiver Stoffe stammt. Die Messungen werden an Zirkonkristallen ausgeführt, deren Heliumgehalt durch Zerfall des Uranoxyds erzeugt wird. Strutt, der diese Methode ausbildete, fand so für das Oligozän 8,4 Millionen Jahre, für das Eozän 31, das Karbon 150 und das Archaikum 710 Millionen Jahre. Königsberger134 hat später die Struttschen Messungen neu berechnet und das geologische Alter einiger der Versuchsgesteine anders bestimmt. Aus seinen und den früheren Angaben kommt man etwa auf die folgenden Zeiträume:



Mit Hilfe dieser Zahlen und den von den Kontinenten zurückgelegten Wegen können wir uns unschwer ein ungefähres Bild von dem zu erwartenden Betrag der jährlichen Verschiebung machen. Leider werden die Zahlen auch besonders dadurch sehr unsicher, weil der Zeitpunkt, zu welchem die Schollen sich trennten, auch in der relativen geologischen Zeitfolge meist noch recht ungenau bestimmt ist. Es ist daher zu erwarten, daß manche von diesen Zahlen künftig noch stark verändert werden müssen. Einstweilen komme ich auf die in der folgenden Tabelle zusammengestellten Werte:



Die größte Änderung ist also bei dem Abstand Grönlands von Europa zu erwarten. Die Bewegung ist hier eine ostwestliche, die astronomischen Ortsbestimmungen können also nur eine Vergrößerung der Längendifferenz, nicht der Breitenunterschiede, ergeben. Es ist in der Tat vor kurzem gelungen, diese Vergrößerung der Längendifferenz Grönland–Europa exakt nachzuweisen. J. P. Koch hat im sechsten Bande der Ergebnisse der Danmark-Expedition135 in dessen Hauptteil „Survey of Northeast Greenland“ auf S. 240 in einem „The drift of North Greenland in a westerly direction“ überschriebenen, 16 Seiten langen Kapitel136 die Frage der Bewegung Grönlands auf Grund der Längenbestimmungen von Sabine (1823), Börgen und Copeland (1870) und Koch (1907) in sorgfältigster Weise untersucht und dabei eine Verschiebung Grönlands nach Westen gefunden, welche betrug



Die Längenbestimmungen sind nicht genau an der gleichen Stelle ausgeführt. Sabine beobachtete am Südufer der nach ihm benannten Insel, Börgen und Copeland ebendort, aber an einer etwas anderen Stelle, Kochs Beobachtungen waren dagegen erheblich nördlicher, am Danmarkshafen auf Germanialand angestellt, waren jedoch durch ein Dreiecksnetz mit der Sabine-Insel verbunden. Die aus dieser Übertragung entspringenden Ungenauigkeiten wurden von Koch in eingehendster Weise untersucht, und es wurde festgestellt, daß sie gegenüber der Ungenauigkeit der Längenbestimmungen selber vernachlässigt werden können. Diese Ungenauigkeit der Längenbestimmungen, die in allen drei Fällen durch Mondbeobachtungen gewonnen wurden, sind, wie bei dieser Methode unvermeidlich, recht groß; sie werden durch den „mittleren Fehler“ ausgedrückt, der aus der inneren Übereinstimmung der Beobachtungsreihen abgeleitet wird. Dieser mittlere Fehler beträgt:



Vergleichen wir diese mittleren Fehler, die uns den Grad der Ungenauigkeit der Längenmessungen angeben, mit den beobachteten Änderungen der Länge, so ist ersichtlich, daß die letzteren den mittleren Fehler weit übersteigen. Es ist also nicht mehr möglich, diese Längenänderungen der Ungenauigkeit der Messungen zur Last zu legen, wir haben sie vielmehr als reell zu betrachten137.

Die Bedeutung dieses ersten Nachweises von Kontinentalverschiebungen durch astronomische Ortsbestimmungen kann meines Erachtens gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Wie unsere Tabelle lehrt, ist ein noch größerer Betrag bei Kap Farvel zu erwarten, und es müßte hier, wenn man die viel genauere funkentelegraphische Längenbestimmung benutzt, in noch viel kürzerer Zeit möglich sein, die Verschiebung zu ermitteln. Da Island seit 1906 durch Kabel mit Europa verbunden ist, müßte sich auch hier die Verschiebung durch telegraphische Längenmessung im Laufe von fünf bis zehn Jahren einwandfrei ermitteln lassen138.

Weniger günstig liegen offenbar die Verhältnisse bei der Längendifferenz Europa–Nordamerika. Nach unserer Tabelle ist hier ein jährlicher Zuwachs des Abstandes von zwei bis drei Metern zu erwarten, aber diese Zahl gilt als Mittel seit dem Abriß Neufundlands von Irland. Seitdem scheint sich die Bewegungsrichtung Nordamerikas durch den Abriß von Grönland geändert zu haben, indem sie sich mehr nach Süden richtete. Dies geht aus der heutigen Lage zu Grönland hervor und wird auch bestätigt durch die beginnende Stauchung der kalifornischen Halbinsel und die Sprungrichtung bei der Erdbebenspalte von San Franzisko. Es läßt sich also schwer sagen, wie groß hier der zu erwartende heutige Zuwachs der Längendifferenz ist. Man kann nur so viel sagen, daß er jedenfalls kleiner sein wird als die genannte Zahl. Aus den vorliegenden, mit dem Kabel gewonnenen transatlantischen Längenbestimmungen von 1866, 1870 und 1892 hatte ich seinerzeit auf eine tatsächliche Vergrößerung des Abstandes von vier Metern pro Jahr geschlossen. Nach Galle139 sind jedoch die dabei zugrunde gelegten Messungen unrichtig kombiniert, wodurch der Betrag zu groß wird. Kurz vor dem Kriege war mit Rücksicht auf unsere Frage eine neue Längenmessung mit Amerika im Gange, die auch durch eine funkentelegraphische Messung kontrolliert wurde. Obwohl diese Messung durch Zerschneiden des Kabels bei Kriegsbeginn vorzeitig abgebrochen wurde und infolgedessen das Resultat nicht die wünschenswerte Genauigkeit besitzt, scheint doch daraus hervorzugehen, daß die Veränderung noch zu klein ist, um als gesichert gelten zu können. Es wurde nämlich für den Längenunterschied Cambridge–Greenwich gefunden 140:



Die älteste Bestimmung von 1866, für welche ich 4h 44m 30,89s gefunden hatte, ist als zu ungenau fortgelassen worden. Es ist hiernach wohl sehr zu wünschen, daß eine neue vollständige Längenbestimmung ausgeführt wird, aber man wird mit der Möglichkeit rechnen müssen, daß die Verschiebung zu klein ist, um mit Rücksicht auf den mittleren Fehler der Beobachtung schon jetzt sicher wahrgenommen zu werden.

Vielleicht wird es aber möglich sein, die Verschiebung Nordamerikas durch korrespondierende Breitenbestimmungen mit Grönland zu ermitteln. Nach unserer Tabelle hat sich Labrador mit einer mittleren Geschwindigkeit von 8 bis 16 Meter pro Jahr von Südgrönland nach SW bewegt. Nehmen wir an, daß hiervon etwa sechs Meter pro Jahr auf die Breitenänderung entfallen, so würde sich der Breitenunterschied dieser beiden Orte jährlich um etwa 0,2″ vergrößern, ein Betrag, der durch die viel genaueren Breitenbestimmungen in relativ kurzer Zeit ermittelt werden könnte. Auch bei der Breitendifferenz Madagaskar–Afrika und vielleicht sogar Vorderindien–Afrika und Australien–Wilkesland besteht wohl Aussicht, ihre Änderung durch wiederholte korrespondierende Breitenbestimmungen in nicht allzu langer Zeit zu messen.

Zum Schluß sei noch auf die bekannte Erscheinung der säkularen Breitenabnahme der europäischen und nordamerikanischen Sternwarten hingewiesen. Nach A. Hall141 sind folgende Breitenabnahmen als gesichert zu betrachten: bei Washington in 18 Jahren um 0,47″; bei Paris in 28 Jahren um 1,3″; bei Mailand in 60 Jahren um 1,51″; bei Rom in 56 Jahren um 0,17″; bei Neapel in 51 Jahren um 1,21″; bei Königsberg i. Pr. in 23 Jahren um 0,15″; bei Greenwich in 18 Jahren um 0,51″. Auch für Pulkowa ergibt sich nach Kostinsky und Sokolow eine säkulare Breitenabnahme. Die Ursache dieser Breitenänderungen kann entweder die Polflucht der Kontinente oder eine Verlegung des Pols nach der vom Atlantik abgewendeten Seite hin sein. Im ersteren Falle wäre zu erwarten, daß Japan gleichfalls eine Breitenabnahme hat, im letzteren müßte hier die Breite zunehmen. Bevor einwandfreie Beobachtungen aus Ostasien vorliegen, wird man eine Entscheidung hierüber kaum treffen können. Zum Vergleich sei nur angeführt, daß für die Zeit zwischen Eozän und Eiszeit (etwa zehn Millionen Jahre) eine totale Polverschiebung von etwa 65°, das ist 0,02″ pro Jahr, resultiert.

125Kreichgauer, Die Äquatorfrage in der Geologie. Steyl 1902.
126Taylor, Bearing of the tertiary mountain belt on the origin of the earth’s plan. B. Geol. S. Am. 21, 2, Juni 1910, S. 179-226.
127Es ist wesentlich, daß der Schwerpunkt der Scholle oberhalb des Auftriebspunktes liegt. Wäre es umgekehrt, so würde eine Äquatorflucht die Folge sein. Die Polflucht setzt voraus, daß die Dichtezunahme nach unten im Sial jedenfalls nicht merklich rascher ist als im Sima, eine Annahme, die wohl ohne weiteres plausibel ist.
128G. J. 40, 294-299, 1912.
129Wettstein, Die Strömungen des Festen, Flüssigen und Gasförmigen und ihre Bedeutung für Geologie, Astronomie, Klimatologie und Meteorologie. Zürich 1880.
130Reibisch, Ein Gestaltungsprinzip der Erde. 27. Jahresber. d. Ver. f. Erdk. z. Dresden, S. 105-124, 1901.
131Kreichgauer, Die Äquatorfrage in der Geologie. Steyl 1902.
132Semper, Das paläothermale Problem, speziell die klimatischen Verhältnisse des Eozän in Europa und im Polargebiet. Zeitschr. Deutsch. Geol. Ges. 48, 261, 1896.
133Vgl. Dacqué, Grundl. u. Meth. d. Paläogeographie, S. 273, Jena 1915, und Rudzki, L’âge de la terre, Scientia 13, No. XXVIII, 2, S. 161-173, 1913.
134Königsberger, Berechnungen des Erdalters auf physikalischer Grundlage, Geol. Rundsch. 1, S. 241, 1910.
135Danmark-Ekspeditionen til Grönlands Nordöstkyst 1906-1908 under Ledelsen af L. Mylius-Erichsen 6 (Meddelelser om Grönland 46). Köbenhavn 1917.
136Vgl. mein Referat in Astr. Nachr. 208, Nr. 4986, Mai 1919.
137In meinen früheren Veröffentlichungen war der Betrag der Längenänderung wesentlich kleiner angegeben, so daß mit Rücksicht auf den mittleren Fehler der Beobachtungen noch keine völlige Sicherheit des Resultats bestand. Diese Angaben beruhten auf einer vorläufigen Berechnung der Längen der Danmark-Expedition. Die inzwischen erfolgte endgültige Berechnung ergibt, wie oben angegeben, einen größeren Längenunterschied, so daß nunmehr kein Zweifel an der Realität bleibt.
138Bei der Landesaufnahme der Färöer 1890 bis 1900 zeigte sich, wie J. P. Koch mir mitteilte, eine auffallende Drehung des nördlichen Teiles der Inselgruppe gegen den südlichen, welche man, da sie für Beobachtungsfehler viel zu groß war, schließlich auf verkehrtes Zusammenkleben der älteren Karten zurückführen zu müssen glaubt. Da aber auch die Länge und Breite der Inselgruppe – letztere um nicht weniger als zwei Bogenminuten! – anders ausfielen als bei der ersten Vermessung, scheint diese Annahme doch nicht zulässig zu sein. Obwohl die Größe des Betrages den Verdacht nahelegt, daß diese Unstimmigkeit doch auf andere Ursachen zurückzuführen ist, bleibt doch die Möglichkeit bestehen, daß es sich auch hier um reelle Verschiebungen handelt, die dann allerdings außergewöhnlich stark wären. Jedenfalls bedarf die Angelegenheit dringend einer Revision.
139Galle, Entfernen sich Europa und Nordamerika voneinander? Deutsche Revue, Febr. 1916.
140Vgl. den Jahresbericht d. preuß. Geodät. Instituts in Vierteljahresschrift d. Astron. Ges. 51, 139.
141Günther, Lehrb. d. Geophysik 1, 278. Stuttgart 1897.