Star Force - Rebellen des Mars

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"Reicht die Bewaffnung der Star Ships aus, um überhaupt etwas gegen die Waffen der Fremden auszurichten?" fragte Carrow.

"Das ist noch nicht ausprobiert worden!"

"Bei einem Angriff setzen wir das Leben unserer Leute aufs Spiel und möglicherweise kommt überhaupt nichts dabei heraus", gab Carrow zu bedenken.

"Die Leute kennen das Risiko. Sie sind schließlich bei der Star Force und nicht bei den Pfadfindern."

Die Besatzungen der Star Ships und ihr Schicksal sind ihm vollkommen gleichgültig! erkannte Darius Carrow.

Dann fragte er: "Wo befindet sich dieses 'Beiboot'?"

"Auf dem Mars. Unweit des Lowell-Kraters, wenn man den Berichten unserer Star Ships glauben schenken kann."

"Ist es möglich aus dem Orbit heraus das Beiboot des Alien-Schiffs zu vernichten?"

"Wir wissen nichts über die Abwehrmöglichkeiten, die die Fremden in ihren Schiffen installiert haben."

"Gegen die ballistischen Sprengköpfe an Bord unserer Star Ships dürfte es kaum eine wirksame Abwehr geben, Carrow."

Er hat sich wahrscheinlich längst entschieden! dachte Carrow. In Wahrheit braucht er nur jemanden, mit dem er die Verantwortung teilen kann. Jemanden, der ihm zustimmt und ihn in dem bestärkt, was er ohnehin getan hätte.

Aber Carrow hatte keine Lust, in diesem Spiel seine Rolle klaglos einzunehmen. In seinem Hirn arbeitete es. Was konnte er tun um diesen Zug, der sich schon in Bewegung gesetzt zu haben schien, noch aufzuhalten? Was..?

"Stellen Sie vorsichtshalber erst ein Ultimatum", riet Carrow.

Berringer schien überrascht zu sein. Ein flüchtiges Lächerln flog über sein Gesicht, so als wollte er sagen: Carrow, du alter Zauderer!

"Sie haben bisher nicht reagiert. Weder Darran noch das fremde Schiff."

"Das ist richtig, Sir."

"Warum sollten sie es also jetzt tun? Es gibt keinen vernünftigen Grund, das anzunehmen, Carrow."

"Was kostet Sie ein Versuch, Sir?"

"Nun..."

"Sie erhalten sich damit eine Option..."

"Welche?"

"Das fremde Schiff doch noch für die Westunion technologisch auszubeuten. Wenn Sie es erst einmal zerschossen haben – vorausgesetzt, das ist mögllich! – dürfte das schwierig werden!"

Berringer hob das Kinn. Er bedachte Carrow mit einem nachdenklichen Blick. "Vielleicht haben Sie recht", murmelte er. "Also ein Ultimatum. Sorgen Sie für eine Formulierung, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrigläßt."

"Wird erledigt", versprach Carrow.

"Darran kann was erleben, wenn er wirklich dahinterstecken sollte und uns alle an der Nase herumgeführt hat!" knurrte der Präsident. Seine Augen wurden schmal dabei. Die Mundwinkel zogen sich nach unten. Ein düsterer Zug machte sich in seinem Gesicht breit.

*

***

Commander Pat Gonzalez hangelte sich durch einen der Korridore an Bord des Star Ships ARMSTRONG.

Er gähnte.

Gonzalez hatte gerade eine Ruhephase hinter sich, aber gut geschlafen hatte er offensichtlich nicht. Angesichts der angespannten Lage war das auch nicht weiter verwunderlich.

"Na, wie steht's?" knurrte er, als er die Kommandozentrale der ARMSTRONG erreichte.

"Keine Neuigkeiten, Sir", meldete Celine Durant, die Funkerin.

Gonzalez verzog das Gesicht.

"Die Warterei geht mir auf die Nerven!", brummte er, während hinter ihm Jeff Larson in den Raum schwebte. Auch er hatte eine Schlafphase hinter sich.

Celine rieb sich die Augen.

"Wird Zeit, daß ich mich aufs Ohr haue", meinte sie. "Wann kommt Sergeant Montgommery endlich, um mich abzulösen?"

Jeff Larson grinste.

"Der ist nicht auf seiner Liege festgeschnallt. Könnte noch 'ne Weile dauern, bis er wirklich wach ist!"

Celine verdrehte die Augen.

"Mein Gott, das ist eine Dienstauffassung!"

Die ARMSTRONG befand sich jetzt zusammen mit ihren Schwesterschiffen auf der sonnenabgewandten Seite des Mars. Die Sonne schob sich als gleißende Sichel hinter dem dunklen Schatten hervor, den der Planet warf.

Celine hatte gerade ihr Head-Set abnehmen wollen, als sie plötzlich mitten in der Bewegung erstarrte. Ihr Gesicht wirkte angestrengt.

"Wir bekommen gerade etwas herein...", murmelte sie. "Befehle... sämtlich verschlüsselt, aber das haben wir gleich..."

Jeff Larson warf ihr einen fragenden Blick zu.

Einige Sekunden mußten sie darauf warten, daß der Computer die Signale entschlüsselt hatte.

"Wir sollen dem fremden Schiff, das inzwischen wieder auf dem Mars gelandet ist, ein Ultimatum stellen!" flüsterte Celine und nahm jetzt endgültig ihr Head-Set ab. Sie wandte sich an den Commander der ARMSTRONG. "Sie müssen sich das unbedingt selbst anhören, Sir... Ich kann es einfach nicht glauben!"

"Was können Sie nicht glauben, Sergeant?" hakte Commander Pat Gonzalez nach.

"Unten auf der Erde geht man offenbar davon aus, daß sich John Darran und seine Leute an Bord dieses Beibootes befunden haben."

"Was sollte das für einen Sinn machen?" zweifelte Larson.

Das Gesicht des Commanders hingegen wurde zu einer starren Maske. Die Augenbrauen zogen sich zusammen, bildeten jetzt eine geschlängelte schwarze Linie mit einer kleinen Unterbrechung in der Mitte. Larson registrierte, wie sich die Hände des Commanders unwillkürlich zu Fäusten zusammenkrampften.

"Es macht Sinn", war der Commander überzeugt.

"Dann sollen wir also tatsächlich auf unsere eigenen Leute schießen!" stellte Larson fest.

Er konnte es noch immer nicht richtig fassen.

War diese Entwicklung wirklich so überraschend? fragte er sich. Das ist doch genau das, was du von Anfang an befürchtet hast. Und nun ist es eingetreten. Viel schneller, als du gedacht hast. Selbst der Commander ist offensichtlich schockiert. Und das will bei Gonzalez schon etwas heißen.

Die Gedanken rasten nur so in Larsons Kopf.

"Darran und seine Leute sind Renegaten", erklärte Gonzalez dann kühl. "Welche Möglichkeit bleibt der Führung der Star Force denn sonst noch, um das Schlimmste zu verhindern..."

"Es war übrigens nicht der Code der Star Force, der bei der Verschlüsselung der Nachricht verwendet wurde", meldete Sergeant Durant.

Pat Gonzalez hob die Augenbrauen.

"Sondern?"

"Der Code des Geheimdienstes der Westunion."

"Das bedeutet, daß dieser Befehl direkt aus dem Hauptquartier des Präsidenten kam!" flüsterte Gonzalez.

"Hätte ich mir auch kaum denken können, daß Major Wilbert T. McCloud seinen alten Freund John Darran so einfach im Regen stehen läßt!" knurrte Jeff Larson.

Das mulmige Gefühl, das sich schon lange in seiner Magengegend bemerkbar gemacht hatte, war jetzt zu einer ausgewachsenen Übelkeit mutiert. Ganz sicher kein Fall von Weltraumkrankheit! durchzuckte es Larsons Hirn. Wahrscheinlich war sein Magen einfach ein bißchen sensibler als sein Hirn. Larson war immer gut damit gefahren, seine Instinkte nicht gering zu schätzen.

Du kannst nichts machen, dachte er. Alles läuft einfach seinen Gang, du bist nur Einzelner und kannst nichts ausrichten...

"Ich frage mich, weshalb Berringer so hart reagiert", erklärte Celine Durant.

Pat Gonzalez hob die Augenbrauen.

"Ich hoffe nicht, daß das eine ernsthafte Frage ist, Sergeant Durant." Der tadelnde Unterton war nicht zu überhören.

"Andernfalls hätte ich sie nicht gestellt." Celines Erwiderung war schneidend.

"Es sieht ganz so aus, als hätte sich Darran den größten Machtfaktor des Sonnensystems unter den Nagel gerissen", flüsterte Gonzalez. "Und das rechtfertigt jede Maßnahme. Ich wiederhole: jede. Und jetzt spielen Sie mir den vollständigen Befehl ab, Sergeant!"

"Aye, aye, Sir!"

*

Sergeant Case Lester zerschnitt mit dem Energiemesser die metallisch wirkende Platte. Mit einem leisen Surren ging das Messer durch das ultraharte Material durch, zerteilte es, als ob es sich um gepresste Pappe handeln würde.

Als er fertig war, deaktivierte Lester das Energiemesser.

Er wandte den Kopf nach links.

Sergeant Larian Sjöberg hatte ihm bei der Arbeit zugesehen.

Die beiden trugen Druckanzüge und befanden sich in einem der vier Beiboothangars des auf dem Mars havarierten Kugelraumers der Alpha-Klasse. Auch sie hatten eine Induktiv-Schulung hinter sich und verfügten nun in einigen Teilbereichen über das komplette Wissen der Fremden. Jetzt gehörten sie zu einem Trupp, der damit beschäftigt war, eines jener 40-m-Beiboote des Kugelraumers auszuschlachten, die nicht mehr zu retten sein würden.

Die EXPLORER II hatte ja bereits ihre Flugtauglichkeit unter Beweis gestellt, als John Darran mit einigen seiner Leute damit einen Probeflug unternommen hatte. Und die Arbeiten an dem zweiten Beiboot machten gute Fortschritte.

Die restlichen zwei Beiboote waren allerdings wohl zu sehr geschädigt, als daß man noch hoffen konnte, sie in absehbarer Zeit Instand zu setzen.

Schließlich drängte die Zeit.

Sowohl die Erbauer der Roboter, die sich im Kugelraumer befunden hatten, als auch deren geheimnisvolle Gegner, mit denen sie sich eine Art Raumschlacht geliefert hatten, als deren Ergebnis der Kugelraumer havariert war, konnten jederzeit ins Sol-System zurückkehren.

Und dann wollte John Darran vorbereitet sein...

Lester blickte kurz zu dem Außenschott hinüber, der ein Loch aufwies. Aus diesem Grund war die atembare Atmosphäre aus dem gesamten Hangar entwichen. Es herrschte Mars-Atmospäre. Für irdische Verhältnisse also ein ziemlich gutes Vakuum mit ein paar Spuren Kohlendioxid und Wasserdampf. Lester und Sjöberg waren daher gezwungen, Druckanzüge zu tragen.

 

Rötlicher Staub drang immer wieder in Schüben durch die Öffnung herein. Der Wind wehte draußen mit einer Geschwindigkeit von etwa 100 Kilomtern pro Stunde. Für irdische Verhältnisse ein Orkan, für den Mars nicht weiter der Rede wert. Ein laues Lüftchen. Die gefürchteten Sandstürme hatten Geschwindigkeiten bis zu 500 Kilometer pro Stunde.

Die Temperatur im Inneren des Hangars betrug etwa Minus vierzig Grad Celsius.

Draußen im Freien war es natürlich noch wesentlich kälter.

Lester wollte zu einem weiteren Schnitt an der Metallplatte ansetzen, aber Sjöbergs Stimme hielt ihn zurück. Sie flötete Lester über Helmfunk direkt ins Ohr.

"Warte mal!"

"Was ist denn?"

"Augenblick..."

Lester ließ das Energiemesser wieder sinken, deaktivierte es.

Von draußen drang erneut ein Schwall von rotem Staub ins Innere des Hangars.

Die beiden Männer wandten für einen Moment den Blick dorthin.

"Was hältst du von John Darrans Plan?" fragte Sjöberg.

Lester hob den Blick. Das Helmvisier seines Gegenübers spiegelte leicht, so daß er Schwierigkeiten hatte, Sjöbergs Gesicht genau zu sehen.

Worauf will er mit dieser Frage hinaus? fragte sich Lester. Sein Puls berschleunigte sich.

Wieder drang Sjöbergs Stimme über den Helmfunk an Lesters Ohr.

"Wir kennen uns eine Ewigkeit, Case."

"Ja, seit unserer Kadettenzeit auf der Star Force Akademie."

"Ich denke, da kann man ehrlich miteinander reden."

"Ich war immer ehrlich zu dir!"

"Ja, sicher..."

Lester atmete tief durch. Für Sekundenbruchteile beschlug das Innere seines Helms etwas. Aber die internen Systeme des Anzugs regelten das innerhalb kürzester Zeit.

"Was meinst du damit?" fragte Lester.

Weißt du es wirklich nicht? echote es in seinem Bewußtsein. Es ist eigentlich doch nur eine rhetorische Frage, nichts weiter. Schließlich kannst auch du zwei und zwei zusammenzählen...

"Mach mir nichts vor, Case! Dir stinkt Darrans Kurs doch genauso wie mir! Ich hab' doch recht, was?"

Case Lester musste schlucken, so genau hatte sein Gegenüber mit seiner Bemerkung ins Schwarze getroffen. Vorsichtig! Sämtliche Alarmglocken in ihm waren jetzt aktiv geworden.

"Wir sollten uns auf einem separaten Kanal unterhalten", schlug er dann im Tonfall kühler Sachlichkeit vor.

"Okay."

"Dann los!"

"Einen Moment noch..."

Case Lester griff an den Helm, betätigte einen Schalter. Sjöberg vollführte dieselbe Bewegung mit einer Verzögerung von etwa einer Sekunde.

"Jetzt können wir sprechen, ohne dass man uns abhören kann", stellte Sjöberg fest.

"Das war ganz schön leichtsinnig von dir...", monierte Lester.

"Nun mal den Teufel nicht an die Wand!" erwiderte Sjöberg. Seine Atmung ließ den Helmfunk etwas übersteuern.

"Ist doch wahr!" rechtfertigte sich Lester.

"Ich wusste gar nicht, daß du so schwavche Nerven hast, Case!"

"Darüber kann ich nicht lachen."

"Case, wir haben einen Eid auf die Westunion geschworen."

"Ja, ich weiß."

"Wir alle! Auch Commander Darran!"

"Aber den scheint das im Moment nicht mehr sonderlich zu kümmern!"

"Und was ist mit dir, Case? Glaubst du noch an die Dinge, die dir mal wichtig waren oder hast du deine Meinung auch einfach so über Bord geworfen, weil ein gewisser Commander John Darran es dir gesagt hat?"

Case Lester schwieg einen Augenblick. Ja, was war mit ihm? Wie sollte er sich zu dieser Sache stellen? Das war die Frage der Fragen, die hinter allem stand. Aber bislang hatte er sich noch nicht einmal getraut, das offen zu formulieren. Wie sollte er sich da entscheiden?

Sjöberg fuhr indessen fort: "Dir ist doch klar, worauf das ganze hinausläuft..."

"Du wirst es mir sicher gleich sagen."

"Klar."

"Ich bin ganz Ohr."

"Wir befinden uns in einer Gruppe meuternder Star Force-Leute, angeführt von einem Größenwahnsinnigen. So jedenfalls sehe ich das."

"Und warum hast du auf der Versammlung nichts davon gesagt?" fragte Lester. "Verdammt nochmal, kein Schwein hat auch nur einen kritischen Ton herausgebracht. Alle schienen mir von den Argumenten John Darrans vollkommen eingelullt zu sein!"

Lester atmete tief durch.

"Du hast auch nichts gesagt", erinnerte ihn Larian Sjöberg dann.

"Ja, ich weiß..."

"Vergiß das nicht! Und vermutlich gibt es noch andere, die geschwiegen haben. Entweder, weil ihnen erst nach und nach klar wurde, worauf sie sich eingelassen haben oder..."

Sjöberg stockte.

"Oder?" hakte Lester nach.

Sjöberg hob den Arm zu einer unbestimmten Geste. "John Darran hat einen nicht zu unterschätzenden Einfluß auf die Leute... Er hat die meisten so manipuliert, daß sie seinen Argumenten auf den Leim gegangen sind. Und wer wollte da schon als einziger aufstehen und den Spielverderber geben?" Sjöberg schüttelte den Kopf. "Außerdem ist er der Commander, alle vertrauten ihm..." Eine kurze Pause folgte, ehe Sjöberg dann fortfuhr. Sein Tonfall war gedämpft. Selbst über den Helmfunk kam diese Nuance deutlich herüber. "Darran hat von Anfang an alles geplant."

"Wie kommst du darauf?" fragte Lester.

"Er hat systematisch jeden Kontakt zum Oberkommando der Star Force unterbunden. Ich habe mit einem der Funker gesprochen. Darran ist ein eiskalter Rechner, der genau weiß, was er tut. Darauf kannst du Gift nehmen!"

"Wirklich?" meinte Lester zweifelnd. "Ich glaube, wenn dem wirklich so wäre, wäre mir insgesamt wohler."

"Wie meinst du das?"

"Wenn er wirklich so kühl rechnen würde: Wie kann er dann auf die Idee kommen, daß er zusammen mit einer Handvoll Renegaten mehr gegen einen eventuellen Angriff der Fremden ausrichten kann, als es der geballen Macht der Westunion möglich wäre!"

"Du vergißt die Machtmittel, die er nun in den Händen hält... Sehr bald wird er über zwei Raumschiffe verfügen, deren Möglichkeiten alles, buchstäblich alles, übersteigen, wozu die irdische Raumfahrt bisher in der Lage war!"

"Aber um wie vieles wirksamer wäre dieses Machtmittel in den Händen der Westunion!"

"Da gebe ich dir recht!"

"Ich weiß nicht, was Darran letztlich bezweckt... Will er die Herrschaft auf der Erde an sich reißen?"

"Gut möglich."

"Die Menschheit erpressen?"

"Ich traue ihm alles zu!"

"In einem hat er jedenfalls recht. Diese Außerirdischen werden früher oder später wieder hier auftauchen. Und ob wir es nun wollen oder nicht - die Menschheit ist jetzt nicht mehr allein im Universum. Da draußen gibt es Lebewesen, für die wir offenbar kaum mehr Bedeutung haben, als es irgendein unentdecktes Steinzeitvolk am Amazonas oder auf Papua-Neuguinea im letzten Jahrhundert für die moderne Zivilisation hatte."

Eine erneute Pause entstand.

Dann sagte Sjöberg: "Wir müssen etwas unternehmen, Case! Oder willst du alles so treiben lassen?"

"Nein..."

"Eines Tages wird man uns alle vor ein Gericht stellen und fragen, was wir getan haben, um den Amoklauf dieses Comanders zu unterbinden..."

"Möglich..."

"Glaub's mir, so wird's kommen!"

"Hast du einen Vorschlag?"

"Den habe ich. Und außerdem sind wir mit Sicherheit nicht die einzigen, die so denken..."

Eine Gestalt tauchte jetzt auf. Ein Mann in einem Druckanzug. Langsam und etwas unbeholfen bewegte er sich vorwärts. Die geringere Marsgravitation ließ irdische Raumfahrer immer wieder dazu neigen, sich zu kraftvoll zu bewegen. Das Resultat waren dann ungelenke, sprunghafte Bewegungsabläufe. Man konnte einem sofort ansehen, ob er zum ersten Mal hier auf dem roten Planeten war oder schon mehrere Fahrten hinter sich hatte.

Lester und Sjöberg wechselten einen kurzen Blick.

Bei dem Ankömmling handelte es sich um Sergeant Cole Indish.

Er machte Zeichen.

Sjöberg und Lester schalteten ihren Helmfunk wieder auf die allgemeine Frequenz.

"Was ist los mit euch?" dröhnte Indishs Stimme jetzt aus den Helmlautsprechern der beiden anderen. "Wieso benutzt ihr einen separaten Kanal? Habt ihr Geheimnisse?" Indish lachte. Er war im Inneren des zerstörten Beibootes gewesen und vermutlich war es ihm eigenartig vorgekommen, die beiden plötzlich nicht mehr reden zu hören.

"Alles klar, Cole!" meinte Lester.

Dem trauen wir besser nicht! überlegte er dabei. Wenn wir wirklich etwas erreichen wollen, dann muß der Kreis der beteiligten Personen so klein wie möglich bleiben.

*

Jay Sindraman, Vier-Sterne-General und Leiter der verschiedenen PAZIV-Geheimdienste, setzte die Datenbrille ab. Eigentlich hatte er damit Dossiers bearbeiten sollen, aber statt dessen hatten er sich einen Hollywood-Film aus der dekadenten Westunion angesehen. Die dortige Filmproduktion war jener im PAZIV-Bereich nach wie vor überlegen, auch wenn Hollywood inzwischen durch Bombay ('Bollywood') erhebliche Konkurrenz bekommen hatte.

Das allgegenwärtige World Wide Web machte es möglich, an jedem Punkt des Globus jeden Film downzuloaden.

Inzwischen war es selbst hier, in der geheimen viertausend Meter unter dem Meeresspiegel gelegenen Sicherheitszentrale der PAZIV möglich, Kontakt zum erdumspannenden Datennetz herzustellen. Und jemand vom Rang General Jay Sindramans ließ es sich nicht nehmen, davon ausgiebig Gebrauch zu machen. Mochte es sich dabei nun um Produkte der dekadenten Gegner auf der anderen Seite des Globus handeln oder nicht.

Jay Sindraman mußte schmunzeln.

So starr und undurchlässig die Grenzen auf politischer Ebene auch geworden waren, die Datenströme des World Wide Web waren einfach nicht zu kontrollieren. Natürlich hatte es in den vergangenen gut sechzig Jahren seit Installierung des Internet immer wieder Versuche gegeben, das Netz politisch zu bevormunden. Es hatte sich als unmöglich erwiesen. Länder, die versucht hatten, sich von der Netz-Gemeinde abzukoppeln, hatten das in der Vergangenheit stets teuer bezahlt. Mit Rückständigkeit und dem Abgeschnittensein von Handel und Know-how. Nichteinmal der große Krieg von 2031 hatte daran etwas geändert.

'Es bleibet dabei, die Bits sind frei...', ging Sindraman die leicht abgeänderte Fassung eines alten deutschen Liedes durch den Kopf. Sindraman hatte als junger Mann ein paar Jahre in Deutschland verbracht, als dort zu Beginn des Jahrhunderts Computerspezialisten gesucht worden waren.

Eine Ewigkeit ist das her, ging es Sindraman durch den Kopf. Inzwischen war er ein Mann von beinahe neunzig Jahren. Aber er dachte nicht im Traum daran, sich aus seinen Funktionen zurückzuziehen. Körperlich war er fit und geistig konnte er es mit seiner immensen Erfahrung, die er in all den Jahren gesammelt hatte, ohnehin mit jedem Rivalen aufnehmen.

Alles steuert auf einen großen Krieg zu, ging es Sindraman durch den Kopf. Wer weiß, wie lange in Hollywood überhaupt noch Filme produziert werden können... Schon sehr bald könnten die Studios in Schutt und Asche liegen. Die ballistischen Raketen lagern nur in ihren Silos und warten darauf, das die Knöpfe gedrückt werden... Auf beiden Seiten! Und von den chemisch-biologischen Waffen ganz zu schweigen, die ebenfalls einsatzbereit sind.

Es gab einige wenige Orte auf der Erde, die sicher waren.

Sicher vor jedweder Vernichtungswaffe, ob es sich nun um Raketen, Atomsprengköpfe, Laserwaffen oder chemisch-biologische Kampfmittel handelte.

Und an einem dieser Orte befand Sindraman sich jetzt.

Ein schwacher Trost angesichts der gegenwärtigen politischen Entwicklung auf diesem geschundenen Planeten, dachte er.

Das Hauptquartier des Sicherheitsdienstes der Pazifischen Vereinigung, kurz PAZIV genannt. Es handelte sich um eine Unterwasserstation von gigantischem Ausmaß, die tief in den Meeresboden hineingegraben worden war. Sie hatte noch nicht einmal einen offiziellen Namen. Und selbst die 'andere Seite' wußte nur, daß dieser Ort existierte. Irgendwo im Pazifik oder im Indischen Ozean. Der genaue Ort war unbekannt. Und das war gut so.

X-Point nannten die Geheimdienstler der Westunion diese Geheimstation.

Sindraman wußte das, weil er Agenten in wichtigen Positionen der Westunion installiert hatte und so über ein hervorragendes Informantennetz verfügte.

 

X-Point --- dieser Name hatte sich im internen Gebrauch inzwischen sogar bei Sindraman und seinen Leuten eingebürgert.

Wenn es einen Ort gab, an dem man günstigste Überlebenschancen für jede Art von Katastrophen hatte, dann war es X-Point.

Eine Stimme meldete sich über das Interkom auf dem Schreibtisch.

"Major Sung ist eingetroffen und mit ausreichendem Security-Faktor identifiziert!" erklärte die Stimme. Es handelte sich um die Kunststimme des Computersystems, das die Iris- und Handflächenscans bearbeitete, die jeder über sich ergehen lassen mußte, der zu General Sindraman vordringen wollte.

"Major Sung soll hereinkommen", antwortete Sindraman. "Ich warte schon auf ihn."

Eine Schiebetür öffnete sich mit einem surrenden Laut.

Major Sung betrat den Raum. Der Chinese war halb so alt wie Sindraman, von kleiner Statur aber sehr drahtig. Das Haar war blauschwarz, was in gewissem Gegensatz zu den Falten stand, die sich im Gesicht des Majors bereits gebildet hatten. Zweifellos waren sie gefärbt oder er trug ein organisches Haarteil. Jay Sindraman amüsierte die Eitelkeit seines Gegenübers. Kein graues Haar durfte zu sehen sein. Auf den Inder wirkte das lächerlich.

Das Alter wird in der chinesischen Kultur verehrt - aber niemand niemand möchte alt aussehen! ging es Sindraman mit einem sarkastischen Lächeln um die Mundwinkel durch den Kopf. Er hatte das oft erlebt. Ein Inder hatte keine Probleme damit, sich mit grauen Haaren oder Halbglatze zu zeigen. Ein Chinese versuchte das um jeden Preis zu vermeiden.

Major Sung nahm Haltung an. Unter dem linken Arm trug er ein winziges Laptop, auf dem vermutlich seine Unterlagen gespeichert waren.

"Stehen Sie bequem, Major und setzen Sie sich!"

"Danke, General!"

Sindraman deutete auf einen der schlichten Bambussessel in seinem Büro. Er hatte darauf geachtet, in dieser weitgehend künstlichen Umgebung, tief unter der Meeresoberfläche, so oft wie möglich natürliche Materialien zu verwenden. Materialien, die ihn an das Leben 'da oben' erinnerten. Lebendig begraben unter Milliarden von Kubikmetern Salzwasser wollte der General den Kontakt mit der 'dort oben' nicht ganz verlieren.

Vermutlich wird sich mit der Zeit der Begriff von 'Natürlichkeit' verändern, ging es Sindraman durch den Kopf. Sowohl was die vielen PAZIV-Bürger angeht, die inzwischen in Unterwasserstädten lebten, als auch was die Menschen der Westunion betrifft, die versuchen den Weltraum zu erobern. Das Leben paßt sich an. So ist es seit Jahrmilliarden. An neue Lebensräume, so extrem sie auch sein mögen. Das gilt für fremde Planeten ebenso wie für den Grund des Meeres.

Die PAZIV hatte dabei nach Ansicht Sindramans im Vergleich mit der Westunion das bessere Los gezogen. Daran bestand für ihn nicht der geringste Zweifel.

Verglichen mit den ungastlichen Gesteinsbrocken, die außerhalb der Erdumlaufbahn durch das All zogen und sich Planeten nannten, war der Meeresgrund ein vergleichsweise freundlicher und leicht zu erschließender Ort.

Ein Ort voller bislang verborgener Rohstoffe und Geheimnisse.

Und voller Leben. Leben, das in seiner wahren Vielfalt bis heute noch nicht gänzlich bekannt war. Ein großer Teil der hier unten lebenden Spezies würden sich auf lange Sicht mit Sicherheit wirtschaftlich ausbeuten lassen. Etwa die besonders schnell wachsenden Riesenkraken, von denen man sich vorstellen konnte, daß sie bei einer industriellen Nutzung zu begehrten Eiweislieferanten wurden. Kein Tier, das an der Oberfläche lebte, kein Rind und kein Schwein konnte eine vergleichbare Wachstumsrate aufweisen.

Und die Gentechnik lieferte zusätzliche Möglichkeiten, an denen die Wissenschaftler der PAZIV bereits fleißig arbeiteten. So gab es unterseeische Versuchsfarmen mit gentechnisch veränderten Walen, auf deren massigen Körpern sich Eiweißknollen bildeten. Knollen, die abgeerntet werden konnten und nachwuchsen wie Fingernägel oder Haare. Außerdem versuchte man in hydroponischen Anlagen den Algenreichtum der Meere als Nahrungslieferant zu erschließen. Das war angesichts der erst in den letzten Jahren langsam zum Stillstand gekommenen Bevölkerungsexplosion im PAZIV-Gebiet auch dringend notwendig.

Die Zukunft gehörte dem Meer.

Und der Pazifischen Vereinigung, kurz PAZIV.

Davon war General Jay Sindraman – bei aller Skepsis, die ansonsten in ihm herrschte – zutiefst überzeugt.

Allerdings hatte die Fokussierung auf die Weltmeere auch ihren Preis gehabt. Die Vernachlässigung der Raumfahrttechnik. Und in der unerwarteten, alles über den Haufen werfenden Lage, die seit den jüngsten Ereignissen auf dem Mars eingetreten war, konnte dieser Umstand durchaus ein Nachteil für die PAZIV werden. Sindraman war sich dieses Umstandes voll bewußt.

Was den Großteil der übrigen PAZIV-Machtelite anbetraf, hatte der General da allerdings seine erheblichen Zweifel.

Jay Sindraman wandte Major Sung einen nachdenklichen Blick zu. Verbirgt sich hinter diesen regungungslosen Zügen auch eine Meinung zu diesen Fragen? überlegte er. Oder ist da nichts, als sture Erfüllung von Befehlen?

Jay Sindraman vermutetete eher letzteres.

Er hat Ambitionen! erkannte der General. Auch wenn er versucht, diese Tatsache so gut es geht zu verbergen. Aber du wirst ihn im Auge behalten müssen. Sehr genau sogar... Und bevor er versucht, dich alten Mann abzuservieren, wirst du ihn stolpern lassen, wie so viele andere vor ihm. Du hast so viele kommen und gehen sehen. Major Sung wird einer von ihnen sein...

"General Sindraman, die Lage spitzt sich zu", erklärte Major Sung, der jetzt sein Laptop aufklappte und aktivierte. Seine Bewegungen waren schnell und sicher. Ein Mann, der im richtigen Moment zuzupacken weiß, dachte Jay Sindraman. Das Gerät ruhte auf seinem linken Knie. Seine Hände glitten über die Tastatur. Ein vertrautes, klackerndes Geräusch. "Einen Moment noch", murmelte Sung.

Sindraman lächelte.

"Sagt Konfuzius nicht 'Eile mit Weile'?"

Major Sung blickte auf, schienm leicht irritiert zu sein. "Ich kenne mich mit Konfuzius nicht so aus", bekannte er.

"Verwunderlich – für einen Chinesen." Sindraman amüsierte das.

Major Sung war um Fassung bemüht, konnte aber seinen Ärger trotz des maskenhaften Gesichts nicht ganz verbergen. Es war die dunkelrote Gesichtsfarbe, die ihn unmißverständlich verriet. Das Gesicht wahren, dachte Sindraman. Eine chinesische Tradition, die wohl auch etwas aus der Mode gekommen zu sein scheint... Zumindest, was den Grad an Perfektion angeht, mit der sie beherrscht wird!

"Mir scheint, Ihnen schweben veraltete Klischeebilder vor, General Sindraman – wenn ich das bei allem Respekt bemerken darf."

"Sie dürfen...", nickte General Sindraman.

Er musterte das unbewegliche Gesicht des Chinesen. Bei allem Respekt! echote es in General Jay Sindramans Bewusstsein. Das klingt beinahe wie Hohn. Bedachte man, dass Sung aus einer Kultur kam, in der die Achtung vor dem Ranghöheren einen besonderen Stellenwert hatte, war Major Sungs Bemerkung beinahe schon ein Affront. Warum tut er das? fragte sich General Sindraman. Was gibt ihm den Mut dazu? Ihm – diesem sonst so speichelleckerischen Subalternen? Es gab nur eine mögliche Erklärung dafür. Irgend jemand stand hinter ihm, protegierte ihn, deckte ihn nötigenfalls auch. Irgend jemand schickte diesen alerten Major vielleicht auch als eine Art Minenhund vor.

Macht dir das wirklich Angst? ging es Sindraman durch den Kopf. Unwillkürlich machte sich ein leicht spöttisches Lächeln um seine blutleeren Lippen herum breit. Nein, dachte er, das ist einer der Vorteile deines Alters. Du stehst über diesen Dingen, über den kurzfristigen Ambitionen von Leuten wie Sung. Und am Ende wirst du sie alle überleben...

Er hatte Sung nie getraut. Aber Sindramans Einfluß war letztlich nicht stark genug gewesen, um Sungs Versetzung nach X-Point zu verhindern. Der General hoffte, daß sich diese Niederlage nicht im Endeffekt als schwerwiegend herausstellte.

Offenbar gab es starke Interessengruppen in der Regierung, die Sung stützten. Kräfte von ganz oben. Kräfte, in deren Augen ein altes Fossil wie Sindraman vielleicht nicht mehr so richtig in die Landschaft paßte.

Sindraman war Gegenwind gewohnt.

Eine zähe Mischung aus Geduld und Härte kennzeichnete den Inder. Wer es mit ihm aufnehmen wollte, mußte einen langen Atem haben...